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Es war mir nicht beschieden, mit der Waffe für das Vaterland zu kämpfen. Infolge eines Unfalles hatte ich seit dem Jahre 1893, also bei Kriegsausbruch seit 21 Jahren, keine militärische Übung mehr gemacht und im Jahre 1899 als dauernd untauglich meine Entlassung als Reserveoffizier erhalten. Unter diesen Umständen mußte ich mich damit bescheiden, in dem Krieg, der von Anfang an nicht nur ein Krieg der Waffen, sondern auch ein Kampf der Finanzen und Volkswirtschaften war, auf dem Platze, auf den mich mein Lebensweg geführt hatte, mein Bestes zu tun.
Es waren keine kleinen Anforderungen, die der Krieg, namentlich in seinen ersten Wochen, an die Banken und ihre Leitungen stellte. Es hieß den Kopf oben behalten und mit äußerster Anspannung der Nerven und der Arbeitskraft die Vorkehrungen und Verfügungen treffen, die nicht nur für die Erhaltung des Kredits und der Zahlungsfähigkeit des eigenen Instituts, sondern auch für die Erhaltung der finanziellen Grundlagen unserer gesamten Volkswirtschaft erforderlich waren. Es hieß gleichzeitig mitwirken an der Schaffung der Grundlagen unserer finanziellen Kriegführung und an dem Aufbau der Einrichtungen und Organisationen, die für die Mobilmachung unserer gesamten Volkswirtschaft und die Einstellung unseres Wirtschaftslebens auf den Krieg erforderlich waren.
Übernahme des Amtes als Reichsschatzsekretär
Auch über meinen unmittelbaren Pflichtenkreis hinaus wurde ich von der Regierung und Obersten Heeresleitung herangezogen. So wurde ich alsbald nach der Besetzung Brüssels in das Große Hauptquartier gerufen und von dort nach Belgien gesandt, um dem zum Generalgouverneur ernannten Generalfeldmarschall von der Goltz und dem ihm als Chef der Zivilverwaltung beigegebenen Regierungspräsidenten von Sandt bei der Einrichtung der Okkupationsverwaltung, insbesondere bei der Ordnung der finanziellen Angelegenheiten (Bankenkontrolle, Kontributionsfrage usw.) behilflich zu sein.
Im Dezember 1914 stellte mich der Reichskanzler von Bethmann Hollweg vor die Frage, ob ich bereit sei, die Leitung des Reichsschatzamtes zu übernehmen. Er brauche an der Spitze der Reichsfinanzverwaltung einen Mann, der nicht nur mit dem deutschen Wirtschaftsleben, sondern auch mit den Finanzen und der Wirtschaft unserer Verbündeten, unserer Feinde und des neutralen Auslandes vertraut sei und außerdem über eine ungebrochene Arbeitskraft verfüge. Er schätze die Person und die Verdienste des Reichsschatzsekretärs Kühn sehr hoch; aber Herr Kühn habe selbst wiederholt angedeutet, daß sein Alter und seine Gesundheit den durch den Krieg gewaltig gesteigerten und von Grund aus veränderten Anforderungen seines Amtes nicht mehr gewachsen seien.
Das Angebot des Kanzlers kam mir völlig überraschend. Der Gedanke widerstrebte mir, meine in mehr als achtjähriger Tätigkeit mir liebgewordene, mich ausfüllende und mich befriedigende Wirksamkeit in der Leitung der Deutschen Bank mit einer neuen, in wichtigen Teilen mir bisher recht fernliegenden Aufgabe zu vertauschen und meine freie Stellung gegen ein von Kanzler und Parlament abhängiges Staatsamt aufzugeben. Ich brachte andere Persönlichkeiten in Vorschlag, von denen ich annehmen durfte, daß sie der Aufgabe ebensogut und besser gewachsen sein würden als ich. Der Kanzler hatte gegen jeden meiner Vorschläge eine Einwendung, wollte auch alle die von mir genannten Namen mit seinen Beratern, insbesondere dem Reichsbankpräsidenten Havenstein, bereits diskutiert haben. Der einzige, der außer mir in Frage käme und den auch ich in erster Linie vorschlug, der Reichsbankpräsident selbst, habe in Rücksicht auf seinen geschwächten Gesundheitszustand auf das bestimmteste abgelehnt; er, der Kanzler, müsse von mir das Opfer verlangen. »Betrachten Sie das Reichsschatzamt als Ihren Schützengraben!«
Nach kurzer Bedenkzeit erklärte ich mich bereit, dem Wunsche des Kanzlers zu entsprechen. Am 1. Februar 1915 trat ich das neue Amt an.
Falsche Sparsamkeit
Was mir an meiner neuen Behörde – in Erinnerung an die Erfahrungen aus meiner früheren Tätigkeit in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes – am wenigsten sympathisch war, das war der stark ausgeprägte Geist der Negation. Die für eine staatliche Finanzverwaltung bequemste Sparsamkeit, aber auch die zweischneidigste Sparsamkeit, ist der wahllose Widerstand gegen neue Ausgaben. Diese Art Sparsamkeit war mir in wenig angenehmem Gedächtnis. Große Unterlassungssünden, namentlich auf dem Gebiete des kolonialen Eisenbahnbaues und des militärischen Schutzes, die sich späterhin auch finanziell bitter rächten, hatten ihre Wurzel darin, daß die Bewilligungsscheu des Reichstages im Reichsschatzamt einen stillen, aber wirksamen Verbündeten besaß. Daß auch der Krieg die alte Tradition nicht ohne weiteres fortgeschwemmt hatte, davon konnte ich mich bald überzeugen. In den ersten Tagen meiner Amtstätigkeit wurde mir ein Schreiben an eine andere Behörde vorgelegt, in dem die Bewilligung der Gelder für einen mir durchaus vernünftig und notwendig erscheinenden Zweck kurzerhand abgelehnt wurde. Ich bat den Herrn, der die Sache bearbeitet hatte, um eine Begründung seines ablehnenden Standpunktes und erhielt die klassische Antwort: »Wir lehnen solche neuen Anträge grundsätzlich zunächst einmal ab. Ist die Angelegenheit wirklich dringend, dann kommt die betreffende Behörde schon auf die Sache zurück, und dann kann man sich's überlegen.«
Ich suchte von Anfang an den Rahmen für die Tätigkeit des Reichsschatzamtes weiter zu spannen, als es der Überlieferung entsprach, und die im Kriege doppelt notwendige Sparsamkeit nicht so sehr in der grundsätzlichen Beschneidung der Anträge der anderen Ressorts, als vielmehr in der positiven Mitarbeit an der finanziell und wirtschaftlich zweckmäßigen Gestaltung des Notwendigen zu verwirklichen.