Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von der italienischen Kriegserklärung bis zum Eintritt Bulgariens in den Krieg

Die Mittelmächte waren am Ende des Jahres 1914, wie wir gesehen haben, in die Verteidigung gedrängt, in eine feste Verteidigung im Westen, eine bewegliche im Osten. Es handelte sich für die Leiter ihrer Operationen darum, auch in dieser schwierigen Lage die Initiative zu behalten. Wie die Dinge lagen, konnte sich die Initiative nur im Osten entfalten.

Dort setzte sie bald nach Beginn des Jahres 1915 auf den breiten Flügeln der in gewaltigem Bogen von den Masurischen Seen über das westliche Polen und die Karpathen bis zur ungarisch-rumänischen Grenze geschwungenen Kampffront ein.

An der Karpathenfront gelang es, den Russen Czernowitz wieder abzunehmen und sie in schweren Winterkämpfen über die verschneiten Pässe zurückzuwerfen. Aber die Kraft der dort kämpfenden österreichisch-ungarischen Armee und der sie verstärkenden deutschen Truppen reichte nicht aus, um den Ausgang aus dem Gebirge zu erzwingen und das belagerte Przemysl zu entsetzen. In der zweiten Februarhälfte kam die Angriffsbewegung ins Stocken.

 

Masurenschlacht. Durchbruchsversuch im Westen

Dagegen führte die Umfassungsschlacht, die Hindenburg am 7. Februar gegen den rechten Flügel der russischen Front einleitete, zu einem vernichtenden Schlag, dessen Wucht selbst Tannenberg übertraf. Acht Tage nach dem Beginn des Ringens war die russische Armee im Räume von Augustow – Suwalki eingekreist, und wenige Tage darauf erreichte die »Winterschlacht in Masuren« mit der Vernichtung der russischen Nordarmee ihren Abschluß.

Ostpreußen war jetzt endgültig von den Russen befreit und vor neuen Einbrüchen gesichert. Die Offensivkraft der russischen Gesamtarmee war durch die Zerschmetterung ihres rechten Flügels und den Verlust seines gesamten Kriegsmaterials auf das schwerste erschüttert. Bis in die Karpathen hinein empfanden die Armeen der Mittelmächte die Entlastung. Ihre Führer sahen den Weg zu einer umfassenden und entscheidenden Offensive geöffnet.

Inzwischen rüttelten an der Westfront Franzosen, Engländer und Belgier mit ihren farbigen Hilfsvölkern unausgesetzt an den deutschen Stellungen, bald in Flandern, im Artois und in der Picardie, bald an der Aisne und in der Champagne, bald vor Verdun und in den Vogesen. Alle diese Vorstöße vermochten das deutsche Stellungssystem wohl da und dort leicht einzubeulen, aber nicht zu erschüttern, geschweige denn zu durchbrechen. Ja, die deutschen Truppen zeigten sich trotz der starken zahlenmäßigen Überlegenheit der Feinde zu kräftigen Gegenstößen fähig. Als sie gegen die Mitte des Januar 1915 in wuchtigem Gegenangriff die Franzosen von den Soissons beherrschenden Höhenstellungen herunterfegten, erzitterte Paris in Panik, und die Feldherren wie die Staatsmänner der Entente mußten sich Rechenschaft geben, daß die Träume vom September ausgeträumt waren, daß nur eine riesenhafte Anstrengung den deutschen Stellungsring würde sprengen können.

Eine solche Anstrengung versuchte der Marschall Joffre um die Mitte des Februar 1915. In breit angelegter Durchbruchsschlacht versuchte er die deutschen Linien in der Champagne zu zerreißen, zum mindesten aber dem in der Masurenschlacht schwer bedrängten russischen Verbündeten eine Entlastung zu verschaffen. Weder das weitere noch auch das engere Ziel wurde erreicht. Nach drei Wochen fast ununterbrochenen Ansturmes mußte das Unternehmen aufgegeben werden.

In den folgenden Monaten lag der Schwerpunkt der Kämpfe bei dem nordwestlichen Frontteil. Am 23. April begannen unsere Truppen einen umfassenden Angriff auf die britischen Stellungen in der Gegend von Ypern. Jetzt, in der besser gewordenen Jahreszeit, wollte unsere Heeresleitung noch einmal den im Spätherbst mißlungenen Versuch machen, hier die feindliche Stellung aus den Angeln zu heben. Die Anfangserfolge waren vielversprechend. Es schien, als ob es gelingen sollte, die Ypernstellung in eine eiserne Zange zu nehmen. Aber auch diesmal blieb dem Heldenmut unserer Truppen der entscheidende Erfolg versagt. Dagegen setzten vom 10. Mai an Franzosen und Engländer mit schweren Angriffen gegen unsere Stellungen auf und an der Lorettohöhe ein. Abermals und dringender denn je brauchte das russische Heer eine Entlastung.

 

Befreiung Galiziens und Eroberung Polens

Denn am 2. Mai hatte mit der Schlacht bei Gorlice die gewaltige Aktion der verbündeten Armeen eingesetzt, für die die Karpathenkämpfe im Januar und Februar und auch die Winterschlacht in Masuren, trotz ihrer gewaltigen Dimensionen, nur eigentlich die Einleitung gewesen waren. Die russischen Linien in Westgalizien von der ungarischen Grenze bis zur Mündung des Dunajec in die Weichsel wurden im ersten Anprall an zahlreichen Stellen durchbrochen. Die westgalizische Front war zerschmettert, die südlich anschließende Karpathenfront kam ins Weichen, ebenso die im Weichselbogen stehenden russischen Linien. Vierzehn Tage nach Beginn der Offensive war der San erreicht und an mehreren Stellen überschritten. Am 3. Juni wurde das nach langer Belagerung am 22. März gefallene Przemysl wiedererobert. Am 22. Juni wurde Lemberg den Russen entrissen.

Im Juli rückte der Schwerpunkt des Ringens nach Polen. Westlich der Weichsel wie zwischen Weichsel und Bug drängten unsere siegreichen Armeen gegen Norden. Gleichzeitig begann unsere Nordarmee, die inzwischen mit schwachen detachierten Kräften den größten Teil von Kurland erobert hatte, einen zermalmenden Druck von der Südgrenze Ostpreußens gegen die Narewlinie. Im August war die Frucht reif. Fast gleichzeitig fielen am 4. und 5. August Iwangorod im Süden und Warschau im Norden. Am 19. August folgte Kowno, am 20. Nowo-Georgiewsk mit einer unerhörten Beute an Artillerie und sonstigem Material. Am 26. August war Brest-Litowsk, der gewaltige Waffenplatz am Bug, in unserer Hand. Drei Wochen später waren unsere Truppen 180 Kilometer weiter östlich in Pinsk angelangt; das russische Heer war vor ihnen in den Pripjetsümpfen verschwunden. Die wolhynischen Festungen Luck und Dubno wurden eine leichte Beute. Im Norden wurde am 3. September das stark befestigte Grodno gestürmt. Am 18. September fiel Wilna. Aber leider blieb einem großartigen Umfassungsversuch Hindenburgs in Richtung auf Minsk der Erfolg versagt. Ende September 1915 hielten wir in einer Linie, die aus der Gegend Dünaburg in fast genau südlicher Richtung über Pinsk nach der Ostgrenze Galiziens führte. Hier war die große, Anfang Mai eingeleitete Operation zum Abschluß gekommen.

Gewaltiges war in den fünf Monaten erreicht worden. Das Anfang Mai bis auf einen kleinen Rest von den Russen besetzte Galizien und der östliche Rand von Ostpreußen waren befreit, ganz Polen, Litauen und Kurland, dazu große Teile von Wolhynien und Weißrußland mit ihren starken Festungen waren erobert. Die große russische Armee, die größte, die wohl je die Welt gesehen, war geschlagen und auseinandergesprengt, große Teile von ihr waren vollkommen vernichtet. Mehr als eine Million Gefangener waren in unsern Händen geblieben. Die Verluste der Russen an Kriegsmaterial waren ungeheuer.

Und doch war Rußland nicht bezwungen. Seine Armee als Ganzes war zwar stark geschwächt, aber nicht vernichtet, sein Kriegswille war nicht gebrochen. Hinter der langgestreckten neuen Front begann es, aus seinem fast unerschöpflichen Menschenreservoir und mit der finanziellen und industriellen Hilfe seiner Verbündeten wie der neutralen Amerikaner sich ein neues Kriegswerkzeug zu formen; das es später bei den weiteren Entscheidungen mit Wucht in die Wagschale warf.

 

Rumänien und Bulgarien

Während wir mit klopfendem Herzen dem Siegeslauf unserer Armeen folgten, stürmten schwere politische Sorgen auf uns ein.

Die Entente war nicht imstande, den wuchtigen Schlag, den wir militärisch gegen Rußland führten, durch einen Gegenschlag zu parieren. Die Loretto-Offensive brachte ihr zwar einigen nicht unwichtigen Geländegewinn; aber sie vermochte ebensowenig, wie im Februar und März die Champagne-Offensive, unsere Stellungen zu durchbrechen oder uns zu zwingen, die russische Armee freizugeben. Dafür suchte die Entente Entlastung auf diplomatischem Gebiete. Rumänien und Bulgarien wurden gleichzeitig in Bearbeitung genommen. Das Ziel war, einen neuen Balkanbund herzustellen, die Türkei endgültig von uns zu trennen, Konstantinopel und die Dardanellen durch eine vom Lande her mit der Ententeflotte und dem Landungskorps von Gallipoli zusammenwirkende Armee zu forcieren und gleichzeitig vom Osten und Südosten her einen umfassenden Angriff der vereinigten Balkanstaaten auf Österreich-Ungarn anzusetzen, der unserer Offensive gegen Rußland ein Ende setzen sollte. Zusammen mit dem vom Süden und Südosten zu führenden Einmarsch der italienischen Armeen sollte diese Aktion den Zusammenbruch der Donaumonarchie und das Ende des Krieges bringen. Mit allen Mitteln wurde darauf hingearbeitet, die beiden Balkanstaaten diesem Plane dienstbar zu machen. Geld wurde ebensowenig gespart wie Versprechungen.

Unsere Gegenaktion war besonders schwierig in Rumänien, wo mit dem Tode des Königs Carol die letzte Stütze der Mittelmächte gefallen war und der Hof, die Regierung, die Armee und das Volk aus der Geneigtheit, im geeigneten Zeitpunkt mit der Entente zu gehen, überhaupt keinen Hehl mehr machten. Den Versprechungen der Entente, die den Rumänen Siebenbürgen und Ungarn bis zur Theiß in Aussicht stellte, vermochten wir nichts annähernd Gleichwertiges gegenüberzustellen. Auch wenn es gelang, die ungarische Regierung zu erheblichen Zugeständnissen an die ungarländischen Rumänen zu bewegen, auch wenn man die Rumänen auf Bessarabien hinwies, selbst wenn man ihnen die Bukowina anbot, was wollte dies besagen gegenüber der von der Entente eröffneten Aussicht auf ein im Umfang und der Bevölkerung verdoppeltes Großrumänien! Zwar feilschte man um Kleinigkeiten, so um das Banat, auf das auch Serbien Ansprüche erhob; aber diese Differenzen waren nicht das retardierende Element in den Entschlüssen der Bratianu und Take Jonescu, sondern einzig und allein die mangelnde Sicherheit des unbedingten Erfolges. Man wollte einer starken russischen Hilfe für die Moldau, einer Deckung gegen Bulgarien für die Walachei vergewissert sein, ehe man sich entschloß, einzugreifen. Demgegenüber gab es für die Mittelmächte nur ein Mittel, Rumänien draußen zuhalten oder gar es auf ihre Seite zu bringen: wir mußten als die Stärkeren erscheinen und in der Lage sein, auf Rumänien einen unmittelbaren militärischen Druck auszuüben.

 

Diplomatisches Ringen auf dem Balkan

Auch in Bulgarien lagen die Verhältnisse für unsere Diplomatie nicht leicht. Zwar war der Haß gegen Serbien und Rumänien groß. Serbien hatte sich im zweiten Balkankrieg den in den ursprünglichen Abmachungen Bulgarien zuerkannten Hauptteil von Mazedonien angeeignet. Die bulgarischen Mazedonier aber waren seit langem die eifrigsten und tätigsten bulgarischen Nationalisten und spielten in Sofia eine große und einflußreiche Rolle. Die Rumänen hatten durch ihre Intervention das Schicksal Bulgariens im zweiten Balkankrieg entschieden und den Bulgaren die südliche Dobrudscha abgenommen. Aber auch mit Griechenland, das die Mittelmächte neutral zu halten wünschten und bisher mit dem König und gegen Venizelos neutral gehalten hatten, und mit der Türkei, die an unserer Seite kämpfte, hatten die Bulgaren Rechnungen zu begleichen. Griechenland hatte sich nicht nur in dem auch von den Bulgaren begehrten Saloniki festgesetzt, sondern den Bulgaren im zweiten Balkankriege die wertvollen Gebiete von Serres, Drama und Cavalla abgenommen. Die Türkei, die nach dem ersten Balkankrieg auf die Linie Enos-Midia zurückgedrängt war, hatte den zweiten Balkankrieg benutzt, um sich Adrianopel sowie einen bis an die Maritza heran- und über die Maritza hinausreichenden Geländestreifen wiederzuholen. Auch das war eine noch nicht vernarbte Wunde. Die Entente bot den Bulgaren Mazedonien und Thrazien an, war aber hinsichtlich Mazedoniens durch serbischen und griechischen Widerstand, hinsichtlich einer allzu starken Annäherung an Konstantinopel durch russische Empfindlichkeiten behindert.

Spiel und Gegenspiel auf dem Balkan war in vollem Gange und schien der Entscheidung zuzudrängen, als Italien am Pfingstsonntag 1915 an Österreich-Ungarn den Krieg erklärte. Aus zuverlässiger Quelle hatten wir vorher Nachrichten über Abmachungen zwischen Italien und Rumänien erhalten, nach denen die beiden Staaten sich dahin verständigt hatten, gemeinschaftlich einzugreifen. Aber schon in den Wochen vor der italienischen Kriegserklärung war es klar, daß Rumänien noch zögerte. Es war wohl in erster Linie unser Sieg von Gorlice und seine Auswirkung, die Rumänien noch zur Zurückhaltung veranlaßten; aber die Lage Rumänien gegenüber blieb prekär.

Die Bulgaren zeigten sich zurückhaltend und warteten offenbar auf Anerbietungen, die wir ihnen in Rücksicht auf die Türkei nicht machen konnten. Auch die auf Kosten Griechenlands gehenden Wünsche konnten wir nicht erfüllen. In Athen kämpfte König Konstantin mit Venizelos einen schweren Kampf um die griechische Neutralität. Hätten wir Bulgarien damals die griechischen Provinzen an der Bucht von Cavalla versprochen, so hätten wir uns die bulgarische Unterstützung mit der Kriegserklärung Griechenlands erkauft. Wir drückten auf die Türkei, die Entente drückte auf Serbien und Griechenland, um die Voraussetzungen für ein Gewinnen Bulgariens zu schaffen. Oft schien die Entscheidung auf des Messers Schneide zu stehen. Aber auch hinsichtlich Bulgariens hatte ich den Eindruck, daß den Ausschlag nur ausreichende militärische Garantien für den Erfolg seines Losschlagens geben würden. Nur wenn wir uns fähig und bereit zeigten, sofort mit der bulgarischen Armee wirksam zu kooperieren, konnten wir hoffen, den unerträglich werdenden Schwebezustand zu unsern Gunsten zu beendigen.

Die immer dringender werdenden Hilferufe von den Dardanellen erinnerten fast täglich an das, was auf dem Spiele stand.

Nach der Landung der Ententetruppen auf Gallipoli war eine Aktion gegen den Negotiner Kreis erneut in Erwägung gezogen worden. Angesichts des guten Verlaufs der Offensive in Westgalizien war die Oberste Heeresleitung mehr als bisher geneigt, die Aktion in Angriff zu nehmen. Die Kriegserklärung Italiens an Österreich machte den Plan abermals zunichte; denn jetzt mußte jeder anderswo entbehrliche Mann zur Abwehr des italienischen Angriffs herangezogen werden. Auch diese Aussicht auf eine Lösung mußte also vertagt werden.

Wenn die Lage überhaupt noch eine Verschärfung erfahren konnte, so durch die ernste Spannung unseres Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten infolge der Torpedierung der »Lusitania«. Das Schiff war am 7. Mai versenkt worden; am 17. Mai, sechs Tage vor der italienischen Kriegserklärung, übergab Herr Gerard die Note, die im ernstesten Ton Genugtuung und Sicherheiten gegen die Wiederholung eines solchen Falles verlangte. Seit jenen Tagen lag der schwere Schatten des Bruchs mit Amerika über unserm Schicksal.

 

Notwendigkeit der Öffnung des Donauweges

Den Abend des 22. Mai, den Vorabend des Pfingstfestes, verbrachte ich bis spät in die Nacht hinein beim Kanzler. Wir waren allein auf dem großen Gartenbalkon. Eine wundervolle Mondnacht lag über dem Park. Der Kanzler schloß sich auf und sprach über seine Sorgen. Vom Fürsten Bülow waren Telegramme aus Rom gekommen; der Fürst hatte noch eine letzte, ganz schwache Hoffnung, aber das Gefühl sagte uns, daß der italienische Krieg unabwendbar sei. Wir konnten jetzt hoffen, daß es gelingen werde, den italienischen Angriff am Isonzo und an der Alpenfront aufzuhalten. Aber die Rückwirkung auf den Balkan? Wie lange würde in Rumänien das Schwanken, das seit unserer Gorlice-Offensive bemerkbar war, vorhalten? Wie lange noch würden die Türken ohne ausgiebige Munitionszufuhr die Dardanellen halten können? Welche Mittel gab es, Rumänien unter Druck zu halten und die Verbindung mit der Türkei herzustellen? Unser Angriff in Galizien hatte den San und damit einen gewissen Abschluß erreicht. Weiter östlich hatten die österreichisch-ungarischen Truppen überall die Karpathenausgänge erkämpft und standen in der Bukowina, am Pruth und an der rumänischen Grenze. Die Frage lag nahe, ob jetzt nicht die Möglichkeit gegeben sei, einen Teil unserer Ostarmeen heranzuziehen, um die Lage auf dem Balkan in unserm Sinne zu entscheiden. Der Kanzler sagte mir, daß General Falkenhayn eine Erneuerung der Offensive in Galizien vorbereite und dafür seine Truppen brauche. Ich fragte nach dem strategischen und politischen Ziel; die Säuberung Ostgaliziens und die Befreiung Lembergs ständen nach meiner Ansicht politisch und schließlich auch militärisch doch weit hinter einer endgültigen Eingliederung des Balkans in unser politisch-strategisches System zurück. Der Kanzler entgegnete, nach Falkenhayns Ansicht sei die russische Armee furchtbar mitgenommen; der jetzt beginnende neue Angriff solle das Werk vollenden; beim Durchhalten dieses Programms hoffe die Oberste Heeresleitung in wenigen Wochen die russische Offensivkraft, zum mindesten für den Rest des Sommers, endgültig zu brechen; es sei für ihn, den Kanzler, auch wenn er weniger zuversichtlich denke als Falkenhayn, sehr schwer, dem siegreichen Feldherrn in den Arm zu fallen.

 

Exposé über die Lage auf dem Balkan

Am nächsten Vormittag sprach ich mit dem Unterstaatssekretär Zimmermann und einigen meiner Freunde vom Auswärtigen Amt über dieselbe Frage. Die italienische Kriegserklärung war inzwischen sicher geworden, und der Kanzler hatte sich entschlossen, am nächsten Abend mit Herrn von Jagow nach dem Großen Hauptquartier zu reisen. Mir schien von dem richtigen Entschluß in dieser kritischen Lage für den Ausgang des ganzen Krieges so viel abzuhängen, daß ich für meine Person nichts versäumen wollte. Ich übergab deshalb dem Kanzler vor seiner Abreise die nachstehende Niederschrift:

»Unsere Feinde werden, nachdem die Verführung Italiens zum Treubruch gelungen ist, alles daransetzen, um die Balkanstaaten, insbesondere Rumänien und Bulgarien, zum Eingreifen gegen uns zu bringen und dadurch gleichzeitig der Türkei das Ausharren an unserer Seite unmöglich zu machen. Das Gelingen dieser Bemühungen würde sofort die militärische Aufgabe aufs äußerste erschweren: das österreichisch-ungarische Staatsgebiet wäre nicht nur im Norden gegen die Russen und im Südwesten gegen die Italiener, sondern im weiten Bogen auch im Osten und Süden gegen die neuen Balkanarmeen zu verteidigen, während gleichzeitig die Öffnung der Dardanellen gestatten würde, den Russen und Rumänen Kriegsmaterial und eventuell Hilfstruppen in unbeschränkten Mengen zuzuführen.

»Es ist also nicht nur ein politisches, sondern auch ein militärisches Lebensinteresse, daß der Übertritt Rumäniens und Bulgariens in das Lager unserer Feinde verhindert wird.

»Ein solches Verhindern ist heute durch das Mittel bloßer Versprechungen oder auch sofortiger effektiver Zugeständnisse nicht mehr möglich. Versprechungen sind nach dem Treubruche Italiens noch stärker im Kurs gesunken, als sie es bereits waren; außerdem sind unsere Gegner in der Lage, alle unsere und Österreich-Ungarns Versprechungen zu übertrumpfen. Sofortige effektive Zugeständnisse könnten nur gegenüber Rumänien in Betracht kommen (Bukowina, Siebenbürgen); aber der Appetit der Rumänen geht heute bereits so weit, daß er nicht befriedigt werden kann; irgendwelche Anerbietungen würden also nur eine Einladung zur Chantage sein und als Zeichen der Schwäche aufgefaßt werden und so die zu vermeidende Entwicklung vielleicht noch beschleunigen.

»Sowohl Rumänien wie auch Bulgarien werden sich unter diesen Umständen in ihrem Verhalten nur durch positive Ereignisse und Handlungen bestimmen lassen. Dabei wird das Verhalten der beiden Balkanstaaten sich gegenseitig beeinflussen: ein Vorgehen Rumäniens gegen uns wird der russenfreundlichen Partei in Sofia Oberwasser geben, während umgekehrt die Furcht vor einem Vorgehen Bulgariens an unserer Seite die Russenfreundschaft und Kriegslust Rumäniens dämpfen würde.

»Frage: Was hat zu geschehen:

  1. um Rumänien von dem Eingreifen uns gegenüber zurückzuhalten?
  2. um Bulgarien zu einem Eingreifen an unserer Seite zu veranlassen?

»ad 1. Bei dem nahezu sicheren Versagen aller Versprechungen und Zugeständnisse bleibt uns – außer der unter 2. zu besprechenden Sicherung über Bulgarien – nur der militärische Druck; wenn wir in der Lage sind, den Rumänen zu sagen: sobald ihr euch rührt, schlagen wir zu, ist die Situation gewonnen. Erscheinen wir den Rumänen gegenüber als die Stärkeren und Fordernden statt als die Schwachen und Bittenden, so wird der Mut der Rumänen sich verflüchtigen; und selbst, wenn wir dann zum Losschlagen gegen Rumänien gezwungen sein sollten, können wir als Angreifer mit großer Sicherheit auf ein Mitgehen Bulgariens rechnen, während wir als schwache Angegriffene auch Bulgarien auf der andern Seite sehen würden.

»Die Frage ad 1 kommt also darauf hinaus: Können unsere Armeen in Galizien und der Bukowina jetzt schon eine den sofortigen Einmarsch in die Moldau gestattende Gruppierung erfahren?

»ad 2: Auch Bulgarien gegenüber wird mit Versprechungen allein (Mazedonien, Dobrudscha usw.) nichts auszurichten sein. Immerhin kann Bulgarien vielleicht stark beeindruckt werden durch den Hinweis auf die großen, vom Dreiverband den Rumänen gemachten Versprechungen (Ungarn bis zur Theiß), wodurch Rumänien endgültig die Vorherrschaft auf dem Balkan gewinnen würde. Sichere Wirkung ist aber auch bei den Bulgaren nur durch Handlungen zu erreichen. In erster Linie steht hier der Angriff auf den Negotiner Donauzipfel; hier ist die geographische Entfernung am kürzesten, und ein Losschlagen gegen Serbien würde den Bulgaren wegen Mazedonien eher liegen als ein Losschlagen gegen Rumänien im Falle unseres Einrückens in der Moldau. Eine Aktion gegen den Negotiner Zipfel würde freilich die Bulgaren nur dann mit Sicherheit zum Losschlagen an unsere Seite bringen, wenn unsere Aktion raschen Erfolg aufweisen oder wenigstens von vornherein durch das Einsetzen ausreichend starker Kräfte den Erfolg sichern würde.

»Als wirksamstes Mittel, eine gegen uns gerichtete Balkankombination im Keim zu zerstören und Bulgarien zum Eingreifen an unserer Seite zu veranlassen, erscheint also nach wie vor eine ausreichend starke Aktion gegen den Negotiner Zipfel.

»An zweiter Stelle steht eine Gruppierung unserer Truppen in Galizien und der Bukowina, die in der kürzesten Zeit uns gestatten würde, einen starken Druck auf Rumänien auszuüben, nicht nur nach der negativen Seite des Stillhaltens hin, sondern auch nach der positiven Seite des Durchlassens von Munition usw. nach Bulgarien und der Türkei.

»Geschieht nicht in der allernächsten Zeit entweder das eine oder das andere, dann ist zu befürchten, daß trotz des schönsten Fortgangs unserer Operationen in Galizien der ganze Balkan gegen uns geht und die Türkei zur Kapitulation gezwungen wird. Dann wären die Früchte des galizischen Sieges verloren und alle die großen Opfer umsonst gebracht.

»Es ist also zwingend notwendig, auf das gewissenhafteste und sorgfältigste zu überlegen, wie der Fortgang der galizischen Operation – und natürlich auch die Verteidigung gegen den italienischen Angriff – mit den unter 1 und 2 angeführten Aktionen in Einklang gebracht werden kann. Diese zwingende Notwendigkeit ist nicht nur eine politische; denn die politischen Entwicklungen von heute setzen sich morgen in militärische Zwangslagen um Auch Graf Czernin, damals noch österreichisch-ungarischer Gesandter in Bukarest, sah in jener Zeit eine Aussicht, Rumänien zu gewinnen. In einer Rede, die er am 11. Dezember 1918 in Wien gehalten hat, führte er aus, daß Majorescu, der Führer der rumänischen Konservativen, damals nicht abgeneigt gewesen sei, sich auf unsere Seite zu stellen; die rumänische Armee, die nach Bessarabien vorgestoßen wäre, wäre weit in den Rücken der zurückflutenden russischen Armee gekommen und hätte nach menschlicher Berechnung in Rußland ein Debacle herbeiführen müssen. Damals, wo es noch kein »Amerika« am Horizont gab, hätte man nach einem solchen Erfolg vielleicht den Krieg beendigen können. Allerdings hätten damals die Rumänen als Preis für ihre Kooperation eine ungarische Grenzrektifikation verlangt, die von Ungarn glatt refüsiert worden sei.«.

Der Kanzler schloß sich meiner Auffassung an. Im Großen Hauptquartier jedoch stellte man die Ausnutzung des galizischen Sieges bis zur äußersten Möglichkeit über alle andern Erwägungen.

Während unsere Armeen in Galizien neue Siege errangen, Lemberg befreiten und weiter gegen Osten vordrangen, blieb die Balkanlage im Schwebezustand. Bulgarien suchte sich mit der Türkei direkt zu verständigen; aber die Sondierung, ob die Türkei bereit sei, den Bulgaren Adrianopel und die Grenze Enos-Midia zuzugestehen, stieß in Konstantinopel, trotz der bedrängten Lage der Dardanellen, auf entrüstete Ablehnung. Insbesondere Enver Pascha, der Wiedereroberer Adrianopels, konnte sich mit der Herausgabe dieser Festung nicht abfinden. Djavid Bey, mit dem ich in jener Zeit über die Deckung des türkischen Geldbedarfs verhandelte, sagte mir am 1. Juli, die Herausgabe von Adrianopel sei gänzlich ausgeschlossen, deutete aber an, daß die Maritza als Grenze möglich sei. Das war eine Grundlage für die diplomatische Verständigung; aber gleichzeitig wurde auch immer deutlicher, daß ohne eine militärische Aktion unsererseits auf dem Balkan Bulgarien nicht zum Marschieren zu bringen war.

 

Feldzug in Polen

Wieder trat in jener Zeit eine Pause auf dem galizischen Kriegstheater ein. Die Offensive nach Osten hatte sich ausgewirkt. »Die Lage ist unverändert« lautete fast Tag für Tag der Heeresbericht über den südöstlichen Kriegsschauplatz. Aber auch jetzt konnte sich die Oberste Heeresleitung nicht entschließen, sich dem Balkan zuzuwenden. Das große Kesseltreiben gegen Polen von Norden und Süden her war bereits in Vorbereitung. Falkenhayn vertröstete den Kanzler auf die Beendigung dieser Aktion.

Der glänzende Feldzug in Polen füllte den Juli und August. Mit Hängen und Würgen hielten die Türken die Dardanellen, während in Sofia der Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg, unterstützt von dem Gesandten Grafen Oberndorff und Herrn von Rosenberg vom Auswärtigen Amt, mit König Ferdinand und seiner Regierung, im Großen Hauptquartier der General von Falkenhayn mit den bulgarischen Militärs über die politischen und militärischen Bedingungen des Zusammenschlusses verhandelten, nachdem unter unserer Mitwirkung eine Einigung zwischen Bulgarien und der Türkei zustandegekommen war, die den Türken Adrianopel beließ, den Bulgaren aber die Maritza mit einem Geländestreifen auf dem östlichen Ufer zurückgab.

Den Bulgaren wurde ferner das bulgarische Mazedonien sowie das östliche Serbien bis zur Morawa zugesagt. Ihre Ansprüche auf das griechische Gebiet von Drama, Serres und Cavalla sollten nur dann praktisch werden, wenn Griechenland von seiner Neutralität zu Kriegshandlungen gegen unsern Verband übergehen sollte. Dafür behielten sich die Türken vor, im Falle einer bulgarischen Gebietserweiterung auf Kosten Griechenlands die jetzt von ihnen abzutretenden Gebiete von Bulgarien zurückzuverlangen.

 

Anschluß Bulgariens an die Mittelmächte

Die Entente hat nicht vermocht, so lange wir ihr auch notgedrungen Zeit lassen mußten und so sehr sie alle diplomatischen Künste spielen ließ, den Anschluß Bulgariens an die Mittelmächte zu verhindern. Zwar war der griechische Ministerpräsident bereit, der Entente über den Kopf seines Königs hinaus einen großen Trumpf in die Hand zu geben, indem er zugunsten Bulgariens auf Serres, Drama und Cavalla gegen Entschädigung durch Smyma und andere von Griechen bevölkerte Teile Kleinasiens verzichten wollte. Aber Serbien sperrte sich gegen die Ausdehnung der von den Westmächten in Mazedonien gewünschten Konzessionen; und den großen Trumpf, Konstantinopel, der bei den Bulgaren sicher gestochen hätte, wagte man in Rücksicht auf Rußland nicht auszuspielen. So gewannen die Mittelmächte das Übergewicht.

Am 7. September konnten in Sofia alle Verträge unterzeichnet werden. Die Vorbereitungen für die gemeinschaftliche Aktion gegen Serbien wurden sofort eingeleitet.


 << zurück weiter >>