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Am 20. September donnerten zum ersten Male wieder seit langer Zeit an der serbischen Donau die Kanonen. Belgrad und Semendria wurden aus österreichischen und deutschen Geschützen beschossen. Es war nur ein Auftakt. Der wirkliche Angriff begann erst am 6. Oktober.
Vorher aber machte die Entente einen heroischen Versuch, auf der Westfront die Entscheidung des Krieges zu erzwingen.
Am 25. September 1915 meldete der deutsche Heeresbericht:
»Auf der ganzen Front vom Meere bis zu den Vogesen nahm das feindliche Feuer an Stärke zu und steigerte sich östlich von Ypern zwischen dem Kanal von La Bassee und Arras sowie in der Champagne von Prosnes bis zu den Argonnen zu äußerster Heftigkeit. Die nach der zum Teil 15 stündigen stärksten Feuervorbereitung zu erwartenden Angriffe haben begonnen.«
Was mit dieser Generaloffensive erreicht werden sollte, besagte ein Armeebefehl des Generals Joffre vom 14. September, in dem es hieß:
»Auf dem französischen Kriegsschauplatz zum Angriff zu schreiten, ist für uns eine Notwendigkeit, um die Deutschen aus Frankreich zu verjagen. Wir werden sowohl unsere seit zwölf Monaten unterjochten Volksgenossen befreien, als auch dem Feinde den wertvollen Besitz unserer besetzten Gebiete entreißen. Außerdem wird ein glänzender Sieg über die Deutschen die neutralen Völker bestimmen, sich zu unsern Gunsten zu entscheiden, und den Feind zwingen, sein Vorgehen gegen die russische Armee zu verlangsamen ... Der gegenwärtige Zeitpunkt ist für einen allgemeinen Angriff besonders günstig. Einerseits haben die Kitchener-Armeen ihre Landung in Frankreich beendet, und andererseits haben die Deutschen noch im letzten Monat von unserer Front Kräfte weggezogen, um sie an der russischen Front zu verwenden. Die Deutschen haben nur sehr dürftige Reserven hinter der dünnen Linie ihrer Grabenstellung ... Es wird sich für alle Truppen, die angreifen, nicht nur darum handeln, die ersten feindlichen Gräben wegzunehmen, sondern ohne Ruhe Tag und Nacht durchzustoßen über die zweite und dritte Linie bis in das freie Gelände. Die ganze Kavallerie wird an diesen Angriffen teilnehmen, um den Erfolg mit weitem Abstand vor der Infanterie auszunutzen.«
Entente-Offensive. Landung in Saloniki
Südwestlich von Lille, in der Gegend von Loos, erzielten die Engländer, in der Champagne die Franzosen ansehnliche Anfangserfolge. In der Champagne verloren wir die ganzen ersten Stellungen des III. Armeekorps, viele Gefangene und viele Geschütze. Aber weder im Artois noch in der Champagne erreichten die Feinde den Durchbruch. Es gelang uns, ausreichende Reserven heranzuführen und die Einbruchsstellen abzuriegeln. Die schweren Angriffe dauerten mit kurzen Unterbrechungen bis in die zweite Oktoberhälfte hinein, ohne unsern Feinden mehr zu bringen als unbedeutende lokale Geländegewinne.
Während Engländer, Belgier und Franzosen in diesen gewaltigen Anstürmen ihre Kräfte nutzlos erschöpften, kamen auf dem Balkan die Ereignisse ins Rollen.
Bulgarien mobilisierte. Rußland, unterstützt von Frankreich, stellte am 4. Oktober ein Ultimatum. Am 7. Oktober war der Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Bulgarien und den Ententemächten vollzogen.
In den Tagen des letzten und stärksten Druckes auf Bulgarien bemächtigte sich die Entente des Hafens von Saloniki als Operationsbasis. Am 5. Oktober landete sie dort Truppen, angeblich auf Grund einer Aufforderung des Ministerpräsidenten Venizelos. Am gleichen Tage gab Venizelos seine Entlassung, nachdem ihm der für die unbedingte Aufrechterhaltung der Neutralität eintretende König erklärt hatte, »er könne der Politik seines Kabinetts nicht bis zu Ende folgen«. Die Besetzung von Saloniki wurde von der Entente durchgeführt und aufrechterhalten gegen den formellen Protest der griechischen Regierung.
Am 6. Oktober überschritten deutsche und österreichisch-ungarische Truppen an verschiedenen Stellen die serbischen Grenzflüsse Drina, Sawe und Donau. Zwei Tage später wurde Belgrad genommen. Semendria folgte. Der Vormarsch ins Innere Serbiens begann. Am 15. Oktober griff Bulgarien ein. Zehn Tage später war an der Donau die Verbindung zwischen den Truppen der Mittelmächte und Bulgariens hergestellt; der Donauweg war endlich frei. Am 6. November fiel die serbische Festung Nisch; die Eroberung des alten Serbien war damit abgeschlossen. Vier Wochen darauf wurde Monastir genommen. Mitte Dezember war Alt- und Neuserbien in den Händen der deutschen, österreichischen und bulgarischen Truppen. Mitte Januar 1916 besetzten die Österreicher die montenegrinische Hauptstadt. Wenige Tage später streckte Montenegro die Waffen. Der Abzug der Ententetruppen von den Dardanellen setzte das Siegel unter diese Ereignisse.
Aber es blieb die Ententebasis in Saloniki als Pfahl im Fleisch, und nördlich der Donau verharrte Rumänien in dauerndem Abwarten.
Durchstoß nach Bulgarien. Verdun
Ich halte es für einen der schwersten und verhängnisvollsten Fehler, die von unserer Seite während des Krieges gemacht worden sind, daß wir, ehe wir auf dem Balkan ganze Arbeit getan hatten, uns mit unserer Hauptmacht wieder dem westlichen Kriegsschauplatz zuwendeten, um dort den Versuch zu machen, mit Verdun den wichtigsten Schulterpunkt des feindlichen Stellungssystems zu brechen.
Über die Gründe für diesen Entschluß und über die Art und Weise, wie er zustandegekommen ist, habe ich niemals volle Klarheit bekommen können. Die Vorbereitungen der Aktion gegen Verdun wurden mit solcher Heimlichkeit betrieben, daß es im Februar, kurz vor Beginn unserer Operationen, zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem General von Falkenhayn und dem Reichskanzler von Bethmann Hollweg gekommen ist, weil letzterer außer dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts auch mich in den Plan eingeweiht hatte.
Ich selbst hatte am Neujahrstag 1916 Gelegenheit zu einer längeren Unterhaltung mit dem General von Falkenhayn in seinem Amtszimmer im Berliner Kriegsministerium. Von Verdun und einer größeren Offensive in Frankreich erwähnte er nichts; Hauptgegenstand unserer Unterhaltung war vielmehr die Aufnahme des uneingeschränkten U-Bootkrieges, von der Falkenhayn, gestützt auf das Urteil des Admiralstabs, ein baldiges Ende des Krieges erwartete, während ich Zweifel gegen die Berechnung des Admiralstabs geltend machte. Meinerseits wies ich darauf hin, daß die Balkansituation einer weiteren Klärung bedürfe. Insbesondere müßten wir uns vergewissern, wie wir mit Rumänien daran seien. »Nur wenn Sie der Donna Rumania den Arm fest um die Taille legen, wird sie sich entschließen, mit uns zu tanzen.« Falkenhayn antwortete: »Sie gehören wohl auch zu den Leuten, die meinen, ich müßte nach Kiew marschieren?« Ich antwortete, daß Kiew mir Hekuba sei, daß es mir vielmehr einzig und allein auf Rumänien ankomme, das wir nicht als ganz unsicheren Kantonisten im Rücken behalten dürften.
Verdun. Russische Offensive
Am 23. Februar 1916 begannen, infolge des für die Artillerievorbereitung unmöglichen Wetters einige Tage später, als ursprünglich geplant, unsere Operationen gegen Verdun. Bereits zwei Tage später nahmen unsere Truppen das hochgelegene Fort Douaumont, den wichtigen Nordpfeiler der Außenbefestigungen von Verdun. Wir schienen den Erfolg in den Händen zu haben. Bei den Franzosen herrschte die schwerste Besorgnis; die Befehle zur Räumung der Stadt und des rechten Maasufers sollen damals gegeben, aber gleich darauf widerrufen worden sein. Während wir mit unserer schweren Artillerie nur langsam vorwärts kamen, verstärkte sich der französische Widerstand. Monatelang wogte der Kampf auf den Höhen und in den Schluchten rechts und links der Maas hin und her, ohne eine Entscheidung zu bringen. Die Verluste auf beiden Seiten waren gewaltig. Unsere Heeresleitung suchte sich und andere damit zu trösten, daß die französischen Verluste noch erheblich größer seien als die unsrigen, ja daß dieses »Ausbluten der Franzosen im Sack von Verdun« wichtiger sei als der Besitz der Festung selbst. Niemandem war bei diesem Troste wohl.
Gegen die Mitte des Jahres lief sich die Verdun-Offensive tot. Andere Kampfhandlungen von riesenhaftem Ausmaß, für die unsere Gegner die Initiative ergriffen, übertönten den verhallenden Kanonendonner an der Maas.
Mitte Mai hatten die Österreicher nach großen Vorbereitungen in Südtirol gegen die Italiener, die in den zwölf Monaten seit ihrer Kriegserklärung so gut wie nichts erreicht hatten, eine Offensive begonnen. Der Angriff entwickelte sich gut. Ende Mai waren die wichtigen befestigten Plätze Asiago und Arsiero in den Händen der Österreicher. Der Austritt in die Po-Ebene schien gesichert.
Da führte das russische Heer vom 5. Juni an auf der ganzen Front zwischen dem Pruth und dem Styrknie wuchtige Stöße gegen die nicht sehr starken österreichischen Linien. Sie schlugen eine weite und tiefe Bresche. Die wolhynischen Festungen fielen. Czernowitz und die Bukowina wurden wieder preisgegeben. Hunderttausende von Gefangenen und ungezähltes Material geriet in die Hand der Russen, die über die Leichtigkeit, mit der sie diesen großen Erfolg errangen, vielleicht selbst am meisten erstaunt waren.
Die Österreicher waren gezwungen, die wankende Front mit allen Mitteln zu stützen. Die so vielversprechende Offensive gegen Italien wurde aufgegeben, um Truppen für den bedrohten Osten freizubekommen. Die Italiener konnten zu Gegenangriffen übergehen. Gegen Ende Juni mußten die Österreicher ihre Südtiroler Front zurücknehmen; am Isonzo mußten sie vor den erneut einsetzenden Offensivstößen der Italiener sich auf die Höhen östlich des Flusses zurückziehen und Görz preisgeben. Auch vom nördlichen Teil der russischen Front, den Hindenburg kommandierte, wurden Verstärkungen auf Verstärkungen nach dem Süden abgegeben, obwohl auch im Norden russische Angriffe begannen. Ja es wurden einige türkische Divisionen an der galizischen Front eingesetzt.
Die schweren Kämpfe an der Ostfront waren noch in vollem Gange, als die Ententeheere am 1. Juli im Westen zu einem alle bisherigen Offensivstöße weit übertreffenden Angriff ansetzten, »In einer Breite von 40 Kilometern,« so berichtete unser Großes Hauptquartier am 2. Juli, »begann gestern der seit vielen Monaten mit unbeschränkten Mitteln vorbereitete englisch-französische Massenangriff nach siebentägiger stärkster Artillerie- und Gasvorbereitung auf beiden Ufern der Somme sowie des Ancrebaches.« Von diesem Tage an waren unsere Truppen fünf volle Monate hindurch den wütenden Anstürmen der Engländer und Franzosen ohne Unterbrechung ausgesetzt. Der Feind hatte die starke Überlegenheit in der Zahl der Kämpfenden. Er hatte eine noch weit größere Überlegenheit im Material aller Art; denn die Industrie nahezu der ganzen Welt arbeitete für ihn. Es ist eine kaum faßliche Leistung unserer Feldgrauen, daß sie, unaufhörlich überschüttet vom dichtesten Eisenhagel, in kaum aussetzenden Nahkämpfen mit der in unerschöpflichen Wellen anstürmenden weißen und farbigen Übermacht die eiserne Kette hielten und nur Schritt für Schritt dem ungeheuren Druck Raum gaben. Es ging fast über menschliche Kraft, aber es wurde durchgehalten.
Somme-Offensive 1916. Lage im Osten
In der Zeit der schärfsten Zuspitzung der militärischen Lage, als zu dem russischen Vorstoß die französisch-englischen Angriffe hinzukamen, weilte ich bei dem Feldmarschall von Hindenburg in Kowno. Ich hatte Gelegenheit, mit Hindenburg und seinen Offizieren die politische und militärische Lage eingehend zu besprechen. Der Eindruck, den ich gewann, war erschütternd. Hindenburg sagte mir am Abend des 3. Juli: »Wir haben hier oben im Norden überhaupt nur noch eine durchsichtige Kattunschürze. Ich habe, um das Loch bei den Österreichern zuzustopfen, alles weggegeben, was ich entbehren kann, und mehr als das. Es blieb mir nichts anderes übrig. Aber was ich weggegeben habe, sehe ich nicht wieder. Nun greift der Russe hier oben bei uns an, ich weiß nicht, was werden soll.« Seine Mitarbeiter wurden deutlicher. Die verhängnisvollen Nachteile des Mangels eines einheitlichen Oberbefehls über die Ostfront mußte auch dem Laien einleuchten. Meine Zweifel an der Richtigkeit der im Osten befolgten Strategie, die ich seit den Monaten Mai und Juni mit mir herumtrug, fand ich bestärkt. Wir standen vom Rigaer Busen bis zur rumänischen Grenze in einer weit auseinandergezogenen, wohl mehr als zwölfhundert Kilometer langen Front, die in ihren überwiegenden Teilen eines jeden natürlichen Schutzes entbehrte und gegen energische Offensivstöße einer an einem beliebigen Punkt zusammengeballten Macht kaum zu halten war. Im Westen hatten wir unsere beste Kraft in der Verdun-Offensive eingesetzt; nicht nur war es uns nicht gelungen, die große Schulterfestung zu bezwingen, auch der angebliche Erfolg des Ausblutens der Franzosen wurde durch die jetzt beginnende Somme-Offensive als Täuschung erwiesen. Dazu im Hintergrund die rumänische Gefahr, die durch den Zusammenbruch des Rumänien zunächst gelegenen österreichischen Frontteiles nahezu automatisch ausgelöst werden mußte.
Das dringendste Erfordernis der Stunde erschien mir die Vereinheitlichung des Oberbefehls über die gesamte Ostfront. In diesem Sinne telephonierte ich noch vom Osten aus am 4. Juli mit dem Reichskanzler.
Vereinheitlichung des Oberbefehls im Osten
Als ich am Sonntag, 9. Juli, nach Berlin zurückkehrte, schilderte ich dem Kanzler mündlich auf das Eindringlichste meine Wahrnehmungen und Eindrücke. Der Kanzler hatte, wie mir bekannt war, schon in einem früheren Stadium des Krieges und auch späterhin wiederholt die Frage des Oberbefehls aus dem Zweifel heraus, ob der General von Falkenhayn der richtige Mann an diesem Platze sei, zur Sprache gebracht. Die militärischen Berater des Kaisers hatten jedoch damals mit Entschiedenheit an General von Falkenhayn festgehalten. Der Kanzler erzählte mir jetzt, daß der Kronprinz von Bayern neuerdings an den Grafen Lerchenfeld, der diesen kurz zuvor im Gefolge des Königs von Bayern in seinem Hauptquartier besucht hatte, einen Brief mit den heftigsten Vorwürfen gegen die Oberste Heeresleitung geschrieben habe. Auch andere hohe Offiziere seien jetzt zu der Ansicht gekommen, daß die Oberste Heeresleitung in ihrer derzeitigen Zusammensetzung den Schwierigkeiten der Lage nicht gewachsen sei. Der Kanzler hatte inzwischen bereits die Übertragung des Oberbefehls über die gesamte Ostfront einschließlich der österreichisch-ungarischen Truppen an den Feldmarschall von Hindenburg verlangt. Der Chef des Generalstabs der österreichisch-ungarischen Armee Conrad von Hötzendorff war alsbald mit dem Antrag befaßt worden, hatte aber zunächst abgelehnt. Einige Tage später hörte ich, daß der ungarische Ministerpräsident Graf Tisza sich entschieden für die Übertragung des Oberbefehls an Hindenburg ausgesprochen habe. Am 18. Juli waren die Generale Conrad von Hötzendorff, von Falkenhayn und Ludendorff zur Besprechung der Angelegenheit in Berlin; eine Einigung kam nicht zustande.
Ich war in den folgenden Tagen in München und Stuttgart. Sowohl der König von Bayern wie der König von Württemberg sprachen sich mir gegenüber aus eigener Initiative dafür aus, daß in der ungemein ernsten Lage auf den Feldmarschall von Hindenburg zurückgegriffen werden müsse. Der württembergische Ministerpräsident von Weizsäcker, dessen ruhiges und klares Urteil ich immer besonders schätzte, flehte mich geradezu an, der Kanzler müsse dem Kaiser die Augen öffnen. Weder Kaiser noch Reich könnten einen ernsten Rückschlag ertragen, wenn Hindenburgs Genie und Ansehen nicht voll in Wirksamkeit gesetzt werde.
Hindenburg Oberbefehlshaber im Osten
Als ich nach Berlin zurückkam, lagen dort geradezu verzweifelte Berichte aus Wien vor. Auch Graf Andrassy, der gerade in Berlin anwesend war, erkannte an, daß die Zeit der Eitelkeiten und Rivalitäten vorbei sei und nur der einheitliche Oberbefehl Hindenburgs die Lage retten könne. Dazu kamen Nachrichten aus Rumänien, die darauf schließen ließen, daß Bratianu sich der Entente gegenüber zum Eingreifen unter gewissen Bedingungen verpflichtet habe, und daß der König zu schwach sei, um Widerstand zu leisten. Der Kanzler bestand telegraphisch auf der schleunigen Übertragung des Oberbefehls über die gesamte Ostfront an Hindenburg und reiste am 25. Juli selbst nach dem Großen Hauptquartier, um die Sache unter allen Umständen in Ordnung zu bringen. Am 2. August wurde denn auch amtlich publiziert: »Unter Generalfeldmarschall von Hindenburg wurden mehrere Heeresgruppen der Verbündeten zu einheitlicher Verwendung nach Vereinbarung der beiden Obersten Heeresleitungen zusammengefaßt.« Hindenburg hatte, wie mir der Kanzler nach seiner Rückkehr aus dem Hauptquartier erzählte, mit dieser Lösung, die ihm den Oberbefehl über die Ostfront von Kurland bis zu den Karpathen, einschließlich der österreichisch-ungarischen Armee gab, sich befriedigt und weiteres als zur Zeit unerwünscht erklärt.
Es kam jedoch bald zu ernsten Reibungen zwischen dem neuen Obersten Befehlshaber der Ostarmee und dem Chef des Generalstabs des Feldheeres, die sich auf die Frage »Falkenhayn oder Hindenburg?« zuspitzten. Der Kanzler trat in Konsequenz seiner früheren Stellungnahme mit großer Entschiedenheit für die Ersetzung Falkenhayns durch Hindenburg ein, während die militärische Umgebung des Kaisers auch jetzt noch an Falkenhayn festhielt. Allerdings gehörte der Kanzler nicht zu den unbedingten Bewunderern des von dem Feldmarschall untrennbaren Generals Ludendorff. Ludendorff sei geneigt, seinem Temperament zu unterliegen und in ernsten Situationen übereilt zu handeln; so auch jetzt wieder, wo er, ohne den unpäßlichen Hindenburg zu fragen, ein Abschiedsgesuch abgeschickt habe, um es dann wieder anzuhalten. Auch in der Beurteilung der militärischen Lage in seinem Befehlsbereich habe er, der Kanzler, an Ludendorff mehrfach das Schwergewicht der inneren Ruhe und Sicherheit vermißt; er sei ihm zu sehr »himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt«. Die Lage ließ jedoch auch nach seiner Ansicht keine andere Wahl als die Ersetzung Falkenhayns durch Hindenburg-Ludendorff.
Rumänische Kriegserklärung. Hindenburg Chef des Generalstabs
Inzwischen erfuhren die Dinge eine weitere Zuspitzung. Seit der zweiten Augusthälfte lauteten die Nachrichten aus Bukarest zwar unklar und widerspruchsvoll; aber im Zusammenhang mit der Gesamtlage hatte ich aus dem, was mir bekannt wurde, den Eindruck, daß Rumänien im Begriff sei, gegen uns loszuschlagen. Ich ließ mich in dieser Beurteilung, aus der heraus ich schon seit längerer Zeit auf den schleunigen Abtransport des von Deutschland gekauften rumänischen Getreides hingewirkt hatte, auch durch die lügnerischen Versicherungen des Ministerpräsidenten Bratianu und des rumänischen Königs nicht irremachen. Als mir am Sonntag, 27. August, der Kanzler gegen 11 Uhr durchs Telephon sagte – in Dingen, die nicht für alle Ohren bestimmt waren, pflegten war französisch zu telephonieren –: »L'Italie nous a declare la guerre,« antwortete ich: »Et la Roumanie suivra sur-le-champ,« Im Auswärtigen Amt hatte man noch Zweifel. Abends um II Uhr teilte mir der Kanzler mit, daß die rumänische Kriegserklärung in Wien überreicht worden sei. Bei der ernsten Lage auf allen Kampffronten nahm der Kanzler die Nachricht sehr schwer. Es blieb uns natürlich keine Wahl, als die rumänische Kriegserklärung an Österreich-Ungarn sofort mit unserer Kriegserklärung an Rumänien zu beantworten. Noch in der Nacht wurde an die sämtlichen Bundesregierungen telegraphiert. Ich schlug vor, sofort auch mit den Parteiführern wegen Einberufung des Reichstags in Verbindung zu treten. Bei diesen regten sich Bedenken, ob die nötige Geschlossenheit gewahrt werden könne, und die Einberufung unterblieb.
Die Telegramme aus dem Hauptquartier über die Möglichkeit der Gegenwirkung gegen den von den Rumänen seit Wochen und Monaten vorbereiteten Überfall lauteten wenig trostvoll. Es stand nur wenig Infanterie dort und fast gar keine Artillerie! Weder in Pleß noch in Teschen scheint man geglaubt zu haben, daß Rumänien doch noch losschlagen würde. Die Bulgaren hatten sich seit dem 20. August in eine Offensive gegen die Ententearmee vor Saloniki verbissen; in welchem Umfange und in welcher Zeit Truppen zur Verwendung gegen Rumänien herausgezogen werden konnten, war ungewiß. Zum Glück hatte sich die im Juni angesetzte russische Offensive gegen die galizische und wolhynische Front ausgelaufen und verblutet. Hätte Rumäniens Angriff einige wenige Wochen früher eingesetzt, zu der Zeit, als die österreichisch-ungarische Front im Zusammenbrechen war, dann hätte wohl nichts die Katastrophe aufhalten können.
Die rumänische Kriegserklärung und die dadurch geschaffene Erschwerung der militärischen Lage veranlaßte den Kaiser, den Generalfeldmarschall von Hindenburg nach Pleß zu berufen. Der General von Falkenhayn erhob gegen diese ohne sein Befragen erfolgte Berufung Einspruch, worauf der Kaiser ihm anheimstellte, seine Entlassung einzureichen. Als der Kanzler am Vormittag des 29. August im Großen Hauptquartier eintraf, war die Ernennung Hindenburgs zum Chef des Generalstabs des Feldheeres und Ludendorffs zum Ersten Generalquartiermeister bereits vollzogen.
Ich reiste mit dem Staatssekretär v. Jagow am 30. August gleichfalls nach Pleß. Obwohl Bulgariens Haltung gegenüber der neuen Situation noch nicht geklärt war – Bulgarien hat an Rumänien erst am 1. September den Krieg erklärt – fanden wir eine zuversichtliche Auffassung der Lage. Vier deutsche Divisionen rollten bereits von der Westfront nach Siebenbürgen, weitere Verstärkungen wurden vorbereitet. Man werde zwar den Rumänen für ihre Operationen zunächst freie Hand lassen müssen, sie dann aber fassen und schlagen. Hindenburgs unerschütterliche Ruhe und Ludendorffs rasch zugreifende Bestimmtheit gaben den Besprechungen die Signatur. Wir alle verließen Pleß mit einem Gefühl der Erleichterung und Beruhigung.
Niederwerfung Rumäniens
Die Rumänen brachen, fast ohne Widerstand zu finden, tief in Siebenbürgen ein. Im Westen erneuerten Engländer und Franzosen mit einer alles bisher Dagewesene übertreffenden Wucht ihre Angriffe an der Somme, um uns das Abziehen von Truppen für Rumänien unmöglich zu machen. Aber trotzdem sie gegen Mitte September bis über die Straße Bapaume-Peronne hinaus vorstießen, ließen sich Hindenburg und Ludendorff, die sich inzwischen an Ort und Stelle vom Stand der Dinge überzeugt hatten, in ihren Dispositionen für den rumänischen Feldzug nicht beirren. Während die Rumänen in Ungarn vordrangen, faßte sie der erste Stoß dort, wo sie ihn augenscheinlich am wenigsten erwarteten, zwischen der Donau und dem Schwarzen Meer in der Dobrudscha, und warf sie auf den Trajanswall zurück. Gegen Ende September war unser Aufmarsch auch in Ungarn vollendet. Am 29. September wurden die Rumänen bei Hermannstadt geschlagen, am 8. Oktober wurde Kronstadt wieder genommen, und in den folgenden Wochen wurden die rumänischen Truppen auf die Karpathengrenze zurückgedrängt. Die Operationen in der Dobrudscha, an denen außer bulgarischen und deutschen auch türkische Truppen teilnahmen, fanden ihre Krönung in der Einnahme des rumänischen Hafens Constanza (23. Oktober) und der am Eisenbahnübergang über die Donau gelegenen Stadt Cernavoda (25. Oktober). Schon in diesem Zeitpunkte war der Feldzug für Rumänien verloren, den Alliierten war der Trumpf aus der Hand geschlagen, der die Entscheidung des Krieges hatte bringen sollen.
In der ersten Novemberhälfte erkämpften sich die deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen die Ausgänge aus den Karpathen in die Wallachei. Am 25. November erzwangen sich deutsche und bulgarische Truppen von Süden her den Donau-Übergang. In der dreitägigen Schlacht am Argesfluß griffen die beiden Armeen von Norden, Westen und Süden das rumänische Heer umfassend an und bei. Als Frucht des Sieges fiel die Landeshauptstadt Bukarest am 6. Dezember in die Hand der Verbündeten. Wenig mehr als drei Monate hatten genügt, Rumänien niederzuschlagen und für uns die Lage wiederherzustellen. Auch die schweren Angriffe, die von der ersten Novemberhälfte an die Saloniki-Armee der Entente ausführte und die am i8. November die Bulgaren nötigten, Monastir wieder aufzugeben, vermochten das Schicksal Rumäniens ebensowenig zu wenden, wie die fortgesetzten heftigen Offensivstöße an der Somme.
Der Krieg war an einem großen Haltepunkte angelangt, der Freund und Feind nötigen mußte, sich auf sich selbst zu besinnen und Umschau zu halten, ob nicht vor der Einleitung neuer Kämpfe die Möglichkeit bestehe, die schwer leidenden Völker aus Blut und Tränen heraus zu dem ersehnten Frieden zu führen.