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Likasch und die Holzfäller

Als Bärbel aus dem Walde trat, dunkelte es schon. Die Umrisse der Weidenstümpfe am Bach verschwammen, und wie ein schweres, schwarzes Gitter umrahmten die hohen Fichten jenen unregelmäßig ausgeschnittenen Fleck, aus dem die obersten Häuser der Holzfäller verstreut lagen. Trotzdem erkannte sie den Handwagen vom Likasch, der auf dem Fahrweg unterhalb des Hauses stand. Von dort aus furchte sich nämlich nur ein schmaler Fußsteig durch das Wiesenstück hinauf zu Elsners Wohnung, zum Gehen breit genug, aber zum Fahren zu unbequem. Deshalb ließ Likasch seinen Wagen gewöhnlich unten auf dem Wege stehen, wenn er Anton Elsner besuchte. Überdies konnte er von der Stube drinnen achtgeben, daß ihm keiner etwas wegnahm. Es ging um diese Zeit auch niemand mehr ins untere Dorf.

Bärbel sah also, daß Likasch da war. Sicher wollte er wieder vom Vater etwas Besonderes, sonst wäre er schon eher aufgebrochen, dachte das Mädchen bei sich, als es ins Haus trat. Die beiden Männer schienen in eine wichtige Unterhaltung vertieft zu sein, denn sie schauten kaum auf, als Bärbel die Tür öffnete. Likasch brummelte so etwas wie einen Gruß vor sich hin, wandte sich halb um und nickte dem Mädchen zu.

»Wo warst du eigentlich?« fragte der Vater.

»Im Walde.«

»So lange.«

»Ja. Zwei Kinder hatten sich verlaufen, und da bin ich ein Stück mitgegangen«, sagte Bärbel und machte sich am Herd zu schaffen. Sie wunderte sich, daß der Vater danach fragte. Sonst tat er das nie.

»Wo kamen denn die beiden Kinder her?« wollte Likasch wissen.

»Sie gehörten in die Zollhäuser.«

»So.«

»Hast du sie begleitet?« fragte Anton Elsner.

»Ja, aber bloß bis vor die Futterplätze, dann war's ja nicht mehr weit.«

»Na, dann ist's gut«, meinte der Vater.

Bild: Rolf Winkler

Likasch traute nicht. »Bist du wirklich nur bis zu den Futterplätzen mitgegangen? Oder bis zu den Zollhäusern? Hm?«

»Was die Bärbel sagt, stimmt schon«, beruhigte ihn Elsner. »Sie weiß ganz genau, daß die Grenzer und wir nichts miteinander zu tun haben und daß man ihnen lieber auf drei Meilen aus dem Wege geht, nicht wahr, Bärbel?«

»Ja.«

»Sie gönnen deinem Vater – was sag' ich – uns allen gönnen sie's nicht, daß wir hier leben wollen, denn das Holzhacken ist doch viel zu mühselig und bringt obendrein kaum das Futter ins Haus«, meinte Likasch und drehte sich eine Zigarette. Er zündete sie an und fuhr, zu Anton Elsner gewandt, fort: »Wie war es denn früher bei euch? Im Sommer mochte es angehen, aber im Winter! Kein Geld im Haus, dagegen zwei Mäuler, die gestopft sein wollten. Und jetzt? Geht's euch jetzt nicht besser? Warum sollen wir die Waren nicht drüben einkaufen, über der Grenze, wo wir sie billiger kriegen? Wenn wir sie hier in den Dörfern wieder verkaufen, dann sagen die Grenzer, es wäre Schmuggel, und möchten uns am liebsten einsperren. – Dabei ist es euer gutes Recht«, rief Likasch und hieb zur Bekräftigung mit der Faust auf den Tisch. »Ihr müßt euch ja auch damit über die Berge abschleppen. Ist das vielleicht keine Arbeit? Die Grenzer stehen faul herum und haben weiter nichts zu tun, als auf euch aufzupassen. So schön möchte ich's auch einmal haben. Warum gönnen sie euch nicht die paar Pfennige, die ihr dabei verdient! Leinwand ist Leinwand, ob sie drüben eingekauft und hier wieder weiterverkauft wird oder umgekehrt, ich meine, das ist doch am Ende gleich und geht die Grenzer nichts an.«

Likasch machte eine Pause, blies den Zigarettenrauch durch die Nase und wandte sich an das Mädchen, das auf der Herdplatte über einer kleinen Spiritusflamme Wasser ansetzte: »Siehst du, Bärbel, deshalb sag' ich immer wieder: geh den ›Grünen‹ aus dem Wege, den Grenzern. Was da oben in den Zollhäusern wohnt, ist unser Feind, das steht fest, und wer's nicht glauben will, wird's erleben.«

Bärbel sagte nichts dazu. Als Likasch bald darauf gegangen war, dachte sie darüber nach. Vielleicht hatte er recht, sicher sogar, denn seit ihm der Vater bei seinem Handel half, kam mehr Geld ins Haus als früher. Sie konnte öfter zum Metzger gehen, und sonntags reichte es auch einmal für ein Stück Kuchen, den es früher nur an hohen Festtagen gegeben hatte.

Auch die anderen Holzfäller meinten, es wäre besser geworden, seitdem Likasch ins Dorf gekommen sei. Sie waren gar nicht mehr neugierig, was kümmerte es sie, woher Likasch kam oder was er früher war, er gab ihnen öfter etwas zu verdienen, und das konnten sie gut gebrauchen. Wenn er sich also in dem verlassenen Haus vom Stürk niederließ, sollte es ihnen recht sein. Ein einziger hatte ihn abgewiesen, der alte Menzel. Im Dorfkrug ließ er sogar einmal das Bier stehen, das Likasch, der die Holzfäller auf seiner Seite haben wollte, für ihn bezahlt hatte. Die anderen redeten auf ihn ein, Likasch wäre ein freundlicher Mann, und man dürfe es nicht mit Leuten verderben, die Geld in ihrem Säckel hätten und sich freigebig zeigten. Aber Menzel traute ihm nicht. Er sagte es ganz offen und meinte, ein ehrlicher Groschen sei mehr wert als eine Mark, von der man nicht wisse, woher sie komme. Die andern lachten ihn aus, er nähme es zu genau, und sie wären wohl auch noch ehrliche Leute. Oder ob er das bezweifle?

Nein, hatte Menzel darauf erwidert, er habe lange genug mit ihnen zusammen gearbeitet, um zu wissen, daß sie anständige Leute wären, die ihr Handwerk verstünden, doch sei es schon öfter vorgekommen, daß ein Kranker die andern angesteckt hätte. Mit einem nicht mißzuverstehenden Blick auf Likasch, der eben durch die Tür trat und den Wirt begrüßte, war Menzel aufgestanden und hinausgegangen. Seit jenem Tage ließ er sich nicht mehr im Gasthaus blicken. Dem Lindenwirt konnte es recht sein, denn der alte Menzel trank höchstens einen dünnen Korn, wenn er kam, und auch das geschah selten. Zudem lag die Gefahr nahe, daß es zu einem Streit zwischen ihm und Likasch kommen konnte, und daß der gebefreudige Fremde schließlich wegblieb.

Anton Elsner hatte vergeblich versucht, auf Menzel einzureden, er solle sich mit Likasch befreunden, es wäre bestimmt kein Nachteil für ihn. Ob er die schwere Waldarbeit auf seine alten Tage noch lange werde verrichten können, sei fraglich. Er würde es so viel leichter haben. Menzel wußte, daß es der Anton gut mit ihm meinte. Trotzdem vermied er es, mit Likasch zusammenzukommen. »Das ganze Dorf hat er verhext«, meinte er zu Förster Brusse, als der eines Nachmittags zum Ladeplatz kam und erzählte, Likasch würde ins Haus vom Stürk ziehen, es sei schon an ihn vermietet. Brusse kannte den Fremden nicht oder nur durch die kurze Unterredung wegen des Hauses. Er meinte, Menzel sehe wohl ein wenig schwarz, doch der alte Holzfäller war der Ansicht, man könne den Teufel nicht schwärzer sehen als er eben ist.

Der Förster entfernte sich bald darauf. Da nahm Menzel den Anton beiseite. »Ich weiß, was ihr alle macht.«

»Na?« fragte Elsner.

»Ihr schmuggelt für den Likasch Ware über die Grenze. Gib es doch zu! Umsonst kriegt ihr von dem kein Geld, das kannst du mir nicht weismachen.«

Elsner zuckte die Achseln. Er sah an dem Alten vorbei. Doch Menzel ließ nicht locker. »Muß das sein? Der Förster hat mir gesagt, nächstes Jahr würde mehr gebaut, da ginge es uns wieder besser.«

»Nächstes Jahr …« erwiderte Elsner. »Wenn Likaschs Handel gut geht, beteilige ich mich vielleicht an seinem Geschäft. Leinwand und Tuchstoffe werden immer gekauft. Da brauche ich mich nicht mehr mit der Holzfällerei abzuplagen.«

»Nimm doch Vernunft an! Der Likasch nutzt euch nur so lange aus, wie er's für nötig hält. Weil ihr die Wege übers Gebirge kennt, besser als er, namentlich bei Nacht und Nebel. Ihn selber hätten die Grenzer bald am Kragen.«

»Ach, was du redest …«, versuchte Elsner zu beschwichtigen.

»Anton, bleib bei deiner Arbeit. Sie ist schwer, mag sein, aber ehrlich. Freilich, mit dem Ware-herüberbringen verdienst du es leichter. Aber wie lange geht es, da ist der Likasch eines Tages über alle Berge, und ihr habt das Nachsehen. Wenn du schon nicht an dich selber denkst, dann denk wenigstens an dein Mädel, an die Bärbel.«

Elsner sah den Alten groß an: »Du verstehst mich nicht. Gerade wegen der Bärbel tue ich es doch. Sie soll's etwas besser haben als früher. Was ist denn weiter dabei, Paul? Wem tun wir eigentlich unrecht? Niemandem. Keinem nehmen wir was weg. Daß drüben die Ware billiger ist und wir den Nutzen davon haben, wenn wir sie hier verkaufen, ist ein Geschäft wie jedes andere.«

»Du, die Grenzer denken aber nicht so«, wandte Menzel ein.

»Was gehn mich die Grenzer an. Wir lassen sie in Ruhe und sie sollen uns in Ruhe lassen. Überhaupt will ich von der ganzen Sache nichts mehr hören, hast du mich verstanden«, erklärte Elsner unwirsch, schulterte die Axt und ging einige Schritte weiter an seinen Arbeitsplatz.

Nach Feierabend kehrten sie zwar gemeinsam ins Dorf zurück, aber keiner sprach viel. So schieden sie zuletzt mit kurzem Gruß, Menzel setzte seinen Weg ins untere Panitz fort, und Elsner stapfte den Wiesensteig hinauf zu seinem Hause.

Bärbel war am Nachmittag in Weißwasser gewesen, einem Seitental, das eine Stunde weit von Panitz entfernt lag. Sie sollte für die Lehrersfrau Himbeeren pflücken, die an den Berglehnen drüben in Hülle und Fülle wuchsen. Als sie heimkam, suchte sie vergeblich ihr Reh. Sie lief ums Haus, rief das Gräulein ein ums andere Mal, doch antwortete ihr nur vom Walde her ein schwaches Echo. Also hatte Förster Brusse recht behalten.

Es wird ihm schon gut gehen, dachte Bärbel, nahm die beiden Himbeerkannen, die sie vor der Tür rasch abgestellt hatte, und trug die frischen, duftenden Früchte ins Kellergewölbe. Dann suchte sie nochmals, aber das Gräulein blieb verschwunden. Wahrscheinlich hatte es den niedrigen Gartenzaun übersprungen und war in den Wald gelaufen. Bärbel wollte es, wie sie versprochen, gleich im Forsthaus melden, doch es war schon spät geworden. Der Vater würde bald kommen, da mußte das Abendbrot fertig sein. Sie nahm sich vor, nach dem Essen in die Försterei zu gehen. Die Himbeeren brauchten erst am anderen Morgen abgeliefert zu werden, denn im Keller hielten sie sich über Nacht frisch.


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