Wilhelm Hauff
Mitteilungen aus den Memoiren des Satan
Wilhelm Hauff

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2. Der Baron wird ein Rezensent

»Mein Oncle war ein nicht sehr berühmter Schriftsteller, aber ein berüchtigter, anonymer Kritiker. Er arbeitete an zehn Journalen, und ich wurde anfänglich dazu verwendet, seine Hahnenfüße ins reine zu schreiben. Schon hier lernte ich nach und nach in meines Oncles Geist denken, faßte die gewöhnlichen Wendungen und Ausdrücke auf und bildete mich so zum Rezensenten. Bald kam ich weiter; der herrliche Mann brachte mir die verschiedenen Klassen und Formen der Kritik bei, über welche ich übrigens hinweggehen kann, da sie einen Fremden nicht interessieren.«

»Nein, nein!« rief der Lord; »ich habe schon öfters von dieser kritischen Wut Ihrer Landsleute gehört. Zwar haben auch wir, z. B. [in] Edinburg und London einige Anstalten dieser Art, aber sie werden, höre ich, in einem ganz anderen Geiste besorgt als die Ihrigen.«

»Allerdings sind diese Blätter in meinem Vaterlande, eine sonderbare, aber eigentümliche Erscheinung. Wie in unserer ganzen Literatur immer noch etwas Engbrüstiges, Eingezwängtes zu verspüren ist, wie nicht das, was leicht und gesellig, sondern was mit einem recht schwerfälligen gelehrten Anstrich geschrieben ist, für einzig gut und schön gilt, so haben wir auch eigene Ansichten über Beurteilung der Literatur. Es traut sich nämlich nicht leicht ein Mann oder eine Dame in der Gesellschaft ein Urteil über ein neues Buch zu, das sich nicht an ein öffentlich ausgesprochenes anlehnen könnte; man glaubt darin zu viel zu wagen. Daher gibt es viele öffentliche Stimmen, die um Geld und gute Worte ein kritisches Solo vortragen, in welches dann das Tutti oder der Chorus des Publikums einfällt.«

»Aber wie mögen Sie über diese Institute spotten, mein Herr Baron?« unterbrach ihn der Lord; »ich finde das recht hübsch. Man braucht selbst kein Buch als diese öffentlichen Blätter zu lesen, und kann dann dennoch in der Gesellschaft mitstimmen.«

»Sie hätten recht, wenn der Geist dieser Institute anders wäre. So aber ergreift der, welcher sich nach diesen Blättern richtet, unbewußt irgend eine Partie, und kann, ohne daß er sich dessen versieht, in der Gesellschaft für einen Goethianer, Müllnerianer, Vossiden oder Creuzerianer, Schellingianer oder Hegelianer, kurz für einen Y-aner gelten. Denn das eine Blatt gehört dieser Partie an, und haut und sticht mehr oder minder auf jede andere, ein anderes gehört diesem oder jenem großen Buchhändler. Da müssen nun fürs erste alle seine Verlagsartikel gehörig gelobt, dann die seiner Feinde grimmig angefallen werden, oft muß man auch ganz diplomatisch zu Werk gehen, es mit keinem ganz verderben, auf beiden Achseln (Dichter-)Wasser tragen und indem man einem freundlich ein Kompliment macht, hinterrücks heimlich ihm ein Bein unterschlagen.«

»Aber schämen sich denn Ihre Gelehrten nicht, auf diese Art die Kritik und Literatur zu handhaben?« fragte der Marquis; »ich muß gestehen, in Frankreich würde man ein solches Wesen verachten.«

»Ihre politischen Blätter, mein Herr, machen es nicht besser. Übrigens sind es nicht gerade die Gelehrten, die dieses Handwerk treiben. Die eigentlichen Gelehrten werden nur zu Kernschüssen und langsamen, gründlichen Operationen verwandt, und mit vier Groschen bezahlt. Leichter, behender sind die Halbgelehrten, die eigentlichen Voltigeurs der Literatur. Sie plänkeln mit dem Feind, ohne ihn gerade gründlich und mit Nachdruck anzugreifen; sie richten Schaden in seiner Linie an, sie umschwärmen ihn, sie suchen ihn aus seiner Position zu locken. Auch dürfen sie sich gerade nicht schämen, denn sie rezensieren anonym, und nur einer unterschreibt seine kritischen Bluturteile mit so kaltem Blute, als wollte er seinen Bruder freundlich zu Gevatter bitten.«

»Das muß ja ein eigentlicher Matador sein!« rief der Lord lächelnd.

»Ein Matador in jedem Sinne des Worts. Auf spanisch – ein Totschläger, denn er hat schon manchen niedergedonnert; und wahrhaftig, er ist der höchste Triumph dieser Matador, und zählt für zehen, wenn er Pacat ultimo macht. Und bei den literarischen Stiergefechten ist er Matador! denn er, der Hauptkämpfer ist es, der dem armen gehetzten und gejagten Stier den Todesstoß gibt.«

»Gestehen Sie, Sie übertreiben; – Sie haben gewiß einmal den unglücklichen Gedanken gehabt, etwas zu schreiben, das recht tüchtig vorgenommen wurde, und jetzt zürnen Sie der Kritik?«

Der junge Deutsche errötete. »Es ist wahr, ich habe etwas geschrieben, doch war es nur eine Novelle, und leider nicht so bedeutend, daß es wäre rezensiert worden; aber nein; ich selbst habe einige Zeit unter meines Oncles Protektion den kritischen kleinen Krieg mitgemacht, und kenne diese Affären genau. Nun, mein Oncle brachte mir also die verschiedenen Formen und Klassen bei. Die erste war die sanftlobende Rezension. Sie gab nur einige Auszüge aus dem Werk, lobte es als brav und gelungen, und ermahnte auf der betretenen Bahn fortzuschreiten. In diese Klasse fielen junge Schriftsteller, die dem Interesse des Blattes entfernter standen, die man aber für sich gewinnen wollte. Hauptsächlich aber war diese Klasse für junge schriftstellerische Damen.«

»Wie?« erwiderte der Lord, »haben Sie derer so viele, daß man eine eigene Klasse für sie macht?«

»Man zählte, als ich noch auf der Oberwelt war, sechsundvierzig jüngere und ältere; Sie sehen, daß man für sie schon eine eigene Klasse machen kann, und zwar eine ›gelinde‹, weil diese Damen mehr Anbeter und Freunde haben, als ein junger Schriftsteller. Die zweite Klasse ist die lobposaunende. Hier werden entweder die Verlagsartikel des Buchhändlers, der das Blatt bezahlt, oder die Parteimänner gelobt. Man preist ihre Namen, man ist gerührt, man ist glücklich, daß die Nation einen solchen Mann aufweisen kann. Die dritte Klasse ist dann die neutrale. Hier werden die Feinde, mit denen man nicht in Streit geraten mag, etwas kühl und diplomatisch behandelt. Man spricht mehr über das Genus ihrer Schrift und über ihre Tendenz, als über sie selbst, und gibt sich Mühe, in recht vielen Worten nichts zu sagen, ungefähr wie in den Salons, wenn man über politische Verhältnisse spricht, und sich doch mit keinem Wort verraten will.

Die vierte Klasse ist die lobhudelnde. Man sucht entweder einen, indem man ihn scheinbar und mit einem Anstrich von Gerechtigkeit ein wenig tadelt, zu loben, oder umgekehrt, man lobt ihn mit vielem Anstand und bringt ihm einige Stiche bei; die ihn entweder tief verwunden oder doch lächerlich machen. Die fünfte Klasse ist die grobe, ernste; man nimmt eine vornehme Miene an, setzt sich hoch zu Roß und schaut hernieder auf die kleinen Bemühungen und geringen Fortschritte des Gegners. Man warnt sogar vor ihm und sucht etwas Verstecktes in seinen Schriften zu finden, was zu gefährlich ist, als daß man öffentlich davon sprechen möchte. Diese Klasse macht stillen, aber tiefen Eindruck aufs Publikum. Es ist etwas Mystisches in dieser Art der Kritik, was die Menschen mit Scheu und Beben erfüllt. Die sechste Klasse ist die Totschläger-Klasse. Sie ist eine Art von Schlachtbank, denn hier werden die Opfer des Zornes, der Rache, niedergemetzelt ohne Gnade und Barmherzigkeit, sie ist eine Säge- und Stampfmühle, denn der Müller schüttet die Unglücklichen, die ihm überantwortet werden, hinein, und zerfetzt, zersägt, zermalmt sie.«

»Aber, wer trägt denn die Schuld von diesem unsinnigen Vertilgungssystem?« fragte Lasulot.

»Nun, das Publikum selbst! Wie man früher an Turnieren und Tierhetzen die Freude hatte, so amüsiert man sich jetzt am kritischen Kriege; es freut die Leute, wenn man die Schriftsteller mit eingelegten Lanzen aufeinander anrennen sieht, und – wenn die Rippen krachen, wenn einer sinkt, klatscht man dem Sieger Beifall zu. Ländlich, sittlich! ›Ein Stier, ein Stier, ruft's dort und hier!‹ In Spanien treibt man das in der Wirklichkeit, in Deutschland metaphorisch, und wenn ein paar tüchtige Fleischerhunde einen alten Stier anfallen, und sich zu Helden an ihm beißen, wenn der Matador von der Galerie hinab in den Zirkus springt,

›und zieht den Degen
und fällt verwegen
zur Seite den wütenden Ochsen an –‹

da freut sich das liebe Publikum, und von ›Bravo!‹ schallt die Gegend wider!«

»Das ist köstlich!« rief der Engländer, doch war man ungewiß, ob sein Beifall der deutschen Kritik oder dem Rum gelte, den er zu sich nahm; »und ein solcher Klassen-Kritikus wurden Sie, Master Garnmacher?«

»Mein Oncle war, wie ich Ihnen sagte, für mehrere Journale verpachtet; wunderbar war es übrigens, welches heterogene Interesse er dabei befolgen mußte. Er hatte es so weit gebracht, daß er an einem Vormittag ein Buch las, und sechs Rezensionen darüber schrieb, und oft traf es sich, daß er alle sechs Klassen über einen Gegenstand erschöpfte. Er zündete dann zuerst dem Schlachtopfer ein kleines gelindes Lobfeuer aus Zimtholz an; dann warf er kritischen Weihrauch dazu, daß es große Wolken gab, die dem Publikum die Sinne umnebelten und die Augen beizten. Dann dämpfte er diese niedlichen Opferflammen zu einer düsteren Glut, blies sie dann mit dem kalten Hauch der vierten Klasse frischer an, warf in der fünften einen so großen Holzstoß zu, als die Sancta simplicitas in Konstanz dem Huß, und fing dann zum sechsten an, den Unglücklichen an dieser mächtigen Lohe des Zornes zu braten und zu rösten bis er ganz schwarz war.«

»Wie konnte er aber nur mit gutem Gewissen sechserlei so verschiedene Meinungen über einen Gegenstand haben? Das ist ja schändlich!«

»Wie man will. Ich erinnere Sie übrigens an die liberalen und an die ministeriellen Blätter Ihres Landes; wenn heute einer Ihrer Publizisten eine Ode an die Freiheit auf der Posaune geblasen hat, und ihm morgen der Herr von . . . . . einige Sous mehr bietet, so hält er einen Panegyrikus gegen die linke Seite, als hätte er von je in einem ministeriellen Vorzimmer gelebt.«

»Aber dann geht er förmlich über«, bemerkte der Marquis; »aber Ihr Oncle, der Schuft, hatte zu gleicher Zeit sechs Zungen und zwölf Augen, die Hälfte mehr als der Höllenhund.«

»Die Deutschen haben es von jeher in allen mechanischen Künsten und Handarbeiten weit gebracht«, erwiderte mit großer Ruhe der junge Mann. »So auch in der Kritik. Als mich nun mein Oncle so weit gebracht hatte, daß ich nicht nur ein Buch von dreißig Bogen in zwei Stunden durchlesen, sondern auch den Inhalt einer unaufgeschnittenen Schrift auf ein Haar erraten konnte, wenn ich wußte, von welcher Partei sie war; so gebrauchte er mich zur Kritik. ›Ich will dir‹, sagte er, ›die erste, zweite, fünfte und sechste Klasse geben. Die Jugend, wie sie nun einmal heutzutag ist, kann nichts mit Maß tun. Sie lobt entweder über alle Grenzen, oder sie schimpft und tadelt unverschämt. Solche Leute, besonders wenn sie ein recht scharfes Gebiß haben, sind übrigens oft nicht mit Gold zu bezahlen. Man legt sie an die Kette bis man sie braucht, und hetzt sie dann mit unglaublichem Erfolg, denn sie sind auf den Mann dressiert, trotz der besten Dogge. Zu den Mittelklassen, zu dem Neutralitätssystem, zu dem verdeckten Tadel, zu dem ruhigen, aber sicheren Hinterhalt gehört schon mehr kaltes Blut.‹

So sprach mein Oncle und übergab mir die Kränze der Gnade und das Schwert der Rache. Alle Tage mußte ich von frühe acht bis ein Uhr rezensieren. Der Oncle schickte mir ein neues Buch, ich mußte es schnell durchlesen und die Hauptstellen bezeichnen. Dann wurden Kritiken von Nr. 1 und 2 entworfen, und dem Alten zurückgeschickt. Nun schrieb er selbst 3 und 4, und war dann noch ein Hauptgericht zu exequieren, so ließ er mir sagen: ›Mein lieber Neffe; nur immer Nr. 5 und 6 draufgesetzt; es kann nicht schaden, nimm ihn ins Teufels Namen tüchtig durch‹; und den ich noch vor einer Stunde mit wahrer Rührung bis zum Himmel erhoben, denselben verdammte ich jetzt bis in die Hölle. Vor Tisch wurden dann die kritischen Arbeiten verglichen, der Oncle tat, wie er zu sagen pflegte, Salz hinzu, um das Gebräu pikanter zu machen; dann packte ich alles ein und verschickte die heil- und unheilschweren Blätter an die verschiedenen Journale.«

»God damn! habe ich in meinem Leben dergleichen gehört?« rief der Lord mit wahrem Grauen; »aber wenn Sie alle Tage nur ein Buch renzensierten, das macht ja im Jahr 365! Gibt es denn in Ihrem Vaterland jährlich selbst nur ein Dritteil dieser Summe?«

»Ha! da kennen Sie unsere gesegnete Literatur schlecht, wenn Sie dies fragen. So viele gibt es in einer Messe, und wir haben jährlich zwei. Alle Jahre kann man achtzig Romane, zwanzig gute und vierzig schlechte Lust- und Trauerspiele, hundert schöne und miserable Erzählungen, Novellen, Historien, Phantasien etc., dreißig Almanachs, fünfzig Bände lyrischer Gedichte, einige erhabene Heldengedichte in Stanzen oder Hexametern, vierhundert Übersetzungen, achtzig Kriegsbücher rechnen, und die Schul-, Lehr-, Katheder-, Professions-, Konfessionsbücher, die Anweisungen zum frommen Leben, zu Bereitung guten Champagners aus Obst, zu Verlängerung der Gesundheit, die Betrachtungen über die Ewigkeit, und wie man auch ohne Arzt sterben könne, usw. sind nicht zu zählen; kurz man kann in meinem Vaterland annehmen, daß unter fünfzig Menschen immer einer Bücher schreibt; ist einer einmal im Meßkatalog gestanden, so gibt er das Handwerk vor dem sechzigsten Jahr nicht auf. Sie können also leicht berechnen, meine Herren, wieviel bei uns gedruckt wird. Welcher Reichtum der Literatur, welches weite Feld für die Kritik!«

Der junge Deutsche hatte diese letzten Worte mit einer Ehrfurcht, mit einer Andacht gesprochen, die sogar mir höchst komisch vorkam; der Lord und der Marquis aber brachen in lautes Lachen aus, und je verwunderter der junge Herr sie ansah, desto mehr schien ihr Lachreiz gesteigert zu werden.

»Monsieur de Garnmackre! nehmen Sie es nicht übel, daß ich mich von Ihrer Erzählung bis zum Lachen hinreißen ließ«, sagte der Marquis, »aber Ihre Nation, Ihre Literatur, Ihre kritische Manufaktur kam mir unwillkürlich so komisch vor, daß ich mich nicht enthalten konnte, zu lachen. Ihr seid sublime Leute! das muß man euch lassen.«

»Und der Herr hier hat recht«, bemerkte Mylord mit feinem Lächeln. »Alles schreibt in diesem göttlichen Lande, und was das schönste ist, nicht jeder über sein Fach, sondern lieber über ein anderes. So fuhr ich einmal auf meiner grand tour in einem deutschen Ländchen. Der Weg war schlecht, die Pferde womöglich noch schlechter. Ich ließ endlich durch meinen Reisebegleiter, der deutsch reden konnte, den Postillon fragen, was denn sein Herr, der Postmeister, denke, daß er uns so miserable Pferde vorspanne? Der Postillon antwortete: ›Was das Post- und das Stallwesen anbelangt, so denkt mein Herr nichts.‹

Wir waren verwundert über diese Antwort, und mein Begleiter, dem das Gespräch Spaß machte, fragte, was sein Herr denn anderes zu denken habe? ›Er schreibt!‹ war die kurze Antwort des Kerls. ›Wie? Briefverzeichnisse, Postkarten?‹ ›Ei, behüte‹, sagt er, ›Bücher, gelehrte Bücher.‹ ›Über das Postwesen?‹ fragten wir weiter. ›Nein‹, meinte er; ›Verse macht mein Herr, Verse, oft so breit als meine fünf Finger und so lang als mein Arm!‹ und klatsch! klatsch! hieb er auf die mageren Brüder des Pegasus und trabte mit uns auf dem stoßenden Steinweg, daß es uns in der Seele wehe tat. ›God damn!‹ sagte mein Begleiter, ›wenn der Herr Postmeister so schlecht auf dem Hippogryphen sitzt wie sein Schwager auf diesen Kleppern, so wird er holperigte Verse zutage fördern!‹ Und auf Ehre, meine Herren, ich habe mich auf der nächsten Station erkundigt, dieser Postmeister ist ein Dichter, und wie Sie, Mr. Garnmacher, ein großer Kritiker.«

»Ich weiß, wen Sie meinen«, erwiderte der Deutsche mit etwas unmutiger Miene, »und Ihre Erzählung soll wohl ein Stich auf mich sein, weil ich eigentlich auch nicht für dieses Gebiet der Literatur erzogen worden. Übrigens muß ich Ihnen sagen, Mylord, in Ihrem kalten, systematischen, nach Gesetzen ängstlich zugeschnittenen Land, möchte etwas dergleichen auffallen, aber bei uns zulande ist das was anderes. Da kann jeder in die Literatur hineinpfuschen, wann und wie er will, und es gibt kein Gesetz, daß einem verböte, etwas Miserables drucken zu lassen, wenn er nur einen Verleger findet. Bei den Kritikern und Poeten meines Vaterlandes ist nicht nur in Hinsicht auf die Phantasie, die schöne romantische Zeit des Mittelalters, nein, wir sind, und ich rechne mich ohne Scheu dazu, samt und sonders edle Raubritter, die einander die Blumen der Poesie abjagen und in unsere Verliese schleppen, wir üben das Faustrecht auf heldenmütige Weise, und halten literarische Wegelagerungen gegen den reich beladenen Krämer und Juden. Die Poesie ist bei uns eine Gemeindewiese, auf welcher jedes Vieh umherspazieren, und Blumen und Gras fressen kann nach Belieben.«

»Herr von Garnmacker«, unterbrach ihn der Marquis de Lasulot; »ich würde Ihre Geschichte erstaunlich hübsch und anziehend finden, wenn sie nur nicht so langweilig wäre. Wenn Sie so fortmachen, so erzählen Sie uns achtundvierzig Stunden in einem fort. Ich schlage daher vor, wir verschieben den Rest und unsere eigenen Lebensläufe auf ein andermal, und gehen jetzt auf die Höllenpromenade, um die schöne Welt zu sehen!«

»Sie haben recht«, sagte der Lord, indem er aufstand und mir ein Sixpencestück zuwarf, »der Herr von Garnmacher weiß auf unterhaltende Weise einzuschläfern. Brechen wir auf; ich bin neugierig, ob wohl viele Bekannte aus der Stadt hier sind?«

»Wie?« rief der junge Deutsche nicht ohne Überraschung, »Sie wollen also nicht hören, wie ich mich in Berlin bei den Herren vom Mühlendamm zu einem Elegant perfektionierte? Sie wollen nicht hören, wie ich einen Liebeshandel mit einer Prinzessin hatte, und auf welche elendigliche Weise ich endlich verstorben bin? Oh, meine Herren, meine Geschichte fängt jetzt erst an, interessant zu werden.«

»Sie können recht haben«, erwiderte ihm der Lord mit vornehmem Lächeln, »aber wir finden, daß uns die Abwechslung mehr Freude macht. Begleiten Sie uns; vielleicht sehen wir einige Figuren aus Ihrem Vaterland, die Sie uns zeigen können.«

»Nein, wirklich! ich bin gespannt auf Ihre Geschichte«, sagte der Marquis lachend, »aber nur jetzt nicht. Es ist jetzt die Zeit, wo die Welt promeniert, und um keinen Preis, selbst nicht um Ihre interessante Erzählung möchte ich diese Stunde versäumen. Gehen wir.«

»Gut«, antwortete der deutsche Stutzer, resigniert und ohne beleidigt zu scheinen. »Ich begleite Sie; auch so ist mir Ihre werte Gesellschaft sehr angenehm, denn es ist für einen Deutschen immer eine große Ehre, sich an einen Franzosen oder gar an einen Engländer anschließen zu können.«

Lachend gingen die beiden voran, der Baron folgte, und ich veränderte schnell mein Kostüm, um diese merkwürdigen Subjekte auf ihren Wanderungen zu verfolgen, denn ich hatte gerade nichts Besseres zu tun.

Die Menschen bleiben sich unter jeder Zone gleich – es ist möglich, daß Klima und Sitten eines anderen Landes eine kleine Veränderung in manchem hervorbringe; aber lasset nur eine Stunde lang Landsleute zusammen sprechen, der Nationalcharakter wird sich nicht verleugnen, wird mehr und mehr sich wieder hervorheben und deutlicher werden. So kommt es, daß dieser Geburtstag meiner lieben Großmutter mir Stoff zu tausend Reflexionen gibt, denn selbst im Fegfeuer, wenn diesen Leutchen nur ein Tag vergönnt ist, findet sich Gleiches zu Gleichem, und es spricht und lacht, und geht und liebt wie im Prater, wie auf der Chaussee d'Antin oder im Palais Royal, wie Unter den Linden, oder wie in . . . . . . . . .

Welchen Anblick gewährte diese höllische Promenade! Die Stutzer aller Jahrhunderte, die Kurtisanen und Merveilleuses aller Zeiten; Theologen aller Konfessionen, Juristen aller Staaten, Financiers von Paris bis Konstantinopel, von Wien bis London; und sie alle in Streit über ihre Angelegenheiten, und sie alle mit dem ewigen Refrain: »Zu unserer Zeit, ja! zu unserer Zeit war es doch anders!« Aber ach, meine Stutzer kamen zu spät auf die Promenade, kaum daß noch Baron von Garnmacher einen jungen Dresdner Dichter umarmen, und einer Berliner Sängerin sein Vergnügen ausdrücken konnte, ihre Bekanntschaft hier zu erneuern! Der edle junge Herr hatte durch seine Erzählung die Promenadezeit verkümmert, und die große Welt strömte schon zum Theater.


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