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2. Trost für Liebende
»Was war doch dies für ein sonderbarer Herr?« fragte ich meinen Nachbar, indem ich mich dicht an ihn anschloß. »Findet er wirklich bei den Damen so sehr Beifall, oder ist er ein wenig verrückt?«
»Ein Geck ist er, ein Narr!« rief der Seufzende, indem er mit dem Kopf aus den Schultern herausfuhr, und die Arme umherwarf; »ein alter Junggeselle von fünfundvierzig, und spielt noch den ersten Liebhaber. Eitel, töricht, glaubt, jede Dame, die er aus seinen kleinen Äuglein anblinzelt, ist in ihn verliebt, drängt sich überall an und ein –«
»Nun da spielt dieser Graf Rebs eine lächerliche Rolle in der Gesellschaft, da wird er wohl überall verhöhnt und abgewiesen?«
»Ja, wenn die Damen dächten wie Sie, wertgeschätzter Herr! aber so lächerlich dieser Gnome ist, so töricht er sich überall gebärdet, so – o Rebekka! der Teufel hat die Weiberherzen gemacht.«
»Ei, ei!« sagte ich, indem ich schnell Nro. 45 aufschloß und den Verzweifelnden hineinschob, »ei! lieber Herr Zwerner, wer wird so arge Beschuldigungen ausstoßen. Und auf Fräulein Rebekka, setzen Sie sich doch gefälligst aufs Sofa, auf das Fräulein sollte er auch Eindruck gemacht haben, dieser Gliedermann?«
»Ach, nicht er, nicht er; sie sieht, daß er lächerlich ist und geckenhaft, und doch kokettiert sie mit ihm; nicht mit ihm, sondern mit seinem Titel. Es schmeichelt ihr, einen Grafen in ihrer Loge zu sehen, oder auf der Promenade von ihm begrüßt zu werden, vielleicht wenn sie eine Christin wäre, hätte sie einen solidern Geschmack.«
»Wie, das Fräulein ist eine Jüdin?«
»Ja, es ist ein Judenfräulein; ihr Vater ist der reiche Simon in der neuen Judenstraße; das große gelbe Haus neben dem Herrn von Rothschild, und eine Million hat er, das ist ausgemacht.«
»Sie haben einen soliden Geschmack; und wie ich aus dem Gespräch des Grafen bemerkt habe, können Sie sich einige Hoffnung machen?«
»Ja«, erwiderte er ärgerlich, »wenn nicht der Satan das Papierwesen erfunden hätte. So stehe ich immer zwischen Türe und Angel. Glaube ich heute einen festen Preis, ein sicheres Vermögen zu haben, um vor Herrn Simon treten, und sagen zu können: ›Herr! wir wollen ein kleines Geschäft machen miteinander, ich bin das Haus Zwerner und Comp. aus Dessau, stehe so und so, wollen Sie mir Ihre Tochter geben?‹ Glaube ich nun so sprechen zu können, so läßt auf einmal der Teufel die Metalliques um zwei, drei Prozent steigen, ich verliere, und meinem Schwiegerpapa, der daran gewinnt, steigt der Kamm um so viele Prozente höher, und an eine Verbindung ist dann nicht mehr zu denken.«
»Aber kann denn nicht der Fall eintreten, daß Sie gewinnen?«
»Ja, und dann bin ich so schlecht beraten wie zuvor. Herr Simon ist von der Gegenpartei. Gewinne ich nun durch das Sinken dieser oder jener Papiere, so verliert er ebensoviel, und dann ist nichts mit ihm anzufangen, denn er ist ein ausgemachter Narr und reif für das Tollhaus, wenn er verliert. Ach, und aus Rebekkchen, so gut sie sonst ist, guckt auf allen Seiten der jüdische Geldteufel heraus.«
»Wie, sollte es möglich sein, eine junge Dame sollte so sehr nach Geld sehen?«
»Da kennen Sie die Mädchen, wie sie heutzutage sind, schlecht«, erwiderte er seufzend. »Titel oder Geld, Geld oder Titel, das ist es, was sie wollen. Können Sie sich durch einen Lieutenant zur ›Gnädigen Frau‹ machen lassen, so ist er ihnen eben recht, hat ein Mann wie ich Geld, so wiegt dies den Adel zur Not auf, weil derselbe gewöhnlich keines hat.«
»Nun, ich denke aber, das Haus Zwerner und Comp. in Dessau hat Geld, woher also Ihr Zweifel an der Liebe des Fräuleins?«
»Ja, ja!« sagte er etwas freundlicher, »wir haben Geld, und so viel, um immer mit Anstand um eine Tochter des Herrn Simon zu freien; aber Sie kennen die Frankfurter Mädchen nicht, werter Herr! Ist von einem angenehmen, liebenswürdigen jungen Mann die Rede, so fragen sie, ›Wie steht er?‹ Steht er nun nicht nach allen Börsenregeln solid, so ist er in ihren Augen ein Subjekt, an das man nicht denken muß.«
»Und Rebekka denkt auch so?«
»Wie soll sie andere Empfindungen kennenlernen in der neuen Judenstraße? Ach! Ihre Neigung zu mir wechselt nach dem Kurs der Börsenhalle! Man weiß hier, daß ich mich verführen ließ, viele Metalliques und preußische Staatsschuldscheine zu kaufen. Mein Interesse geht mit dem der hohen Mächte und mit dem Wohl Griechenlands Hand in Hand. Verliert die Pforte, so gewinne ich und werde ein reicher Mann; gewinnt der Großtürke und sein Reis-Effendi, so bin ich um zwanzigtausend Kaisergulden ärmer, und nicht mehr würdig, um sie zu freien. Das weiß nun das liebenswürdige Geschöpf gar wohl, und ihr Herz ist geteilt zwischen mir und dem Vater. Bald möchte sie gerne, daß die Pforte das Ultimatum annehme, um mein Glück zu fördern; bald denkt sie wieder, wieviel ihr Vater durch diese Spekulation des Herrn von Metternich verlieren könnte, und wünscht dem Effendi so viel Verstand als möglich. Ich Unglücklicher!«
»Aber, lieben Sie denn wirklich dieses edle Geschöpf?« fragte ich.
Tränen traten ihm in die Augen, ein tiefer Seufzer stahl sich aus seiner Brust. »Wie sollte ich sie nicht lieben«, antwortete er, »bedenken Sie, fünfzigtausend Taler Mitgift, und nach des Vaters Tod eine halbe Million, und wenn Gott den Israelchen zu sich nimmt, eine ganze. Und dabei ist sie vernünftig und liebenswürdig, hat so was Feines, Zartes, Orientalisches; ein schwarzes Auge voll Glut, eine kühn geschwungene Nase, frische Lippen, der Teint, wie ich ihn liebe, etwas dunkel und dennoch rötlich. Ha! und eine Figur! Herr! wie sollte man ein solches Geschöpf nicht lieben!«
»Und haben Sie keinen Rival als den Gnomen, den Grafen Rebs?«
»Oh, einige Judenjünglinge, bedeutende Häuser, buhlen um sie, aber ihr Sinn steht nach einem soliden Christen; sie weiß, daß bei uns alles nobler und freier geht als bei ihrem Volk, und schämt sich, in guter Gesellschaft für eine Jüdin zu gelten. Daher hat sie sich auch den Frankfurter Dialekt ganz abgewöhnt und spricht Preußisch; Sie sollten hören, wie schön es klingt, wenn sie sagt, ›ißßt es möchlich?‹ oder: ›Es jienge wohl, aber es jeht nich.‹«
Der Seufzer gefiel mir; es ist ein eigenes, sonderbares Volk, diese jungen Herren vom Handelsstand. Sie bilden sich hinter ihrem Ladentisch eine eigene Welt von Ideen, die sie aus den trefflichsten Romanen der Leihbibliotheken sammeln; sie sehen die Menschen, die Gesellschaft nie, es sei denn wenn sie abends durch die Promenade gehen oder sonntags, gekleidet wie Herren comme il faut, auf Kirchweihen oder sonstigen Bällen sich amüsieren. Reisen sie hernach, so dreht sich ihr Ideengang um ihre Musterkarte und die schöne Wirtin der nächsten Station, welche ihnen von einem Kameraden und Vorgänger empfohlen ist; oder um die Kellnerin des letzten Nachtlagers, die, wie sie glauben, noch lange um den »schönen, wohlgewachsenen, jungen Mann« weinen wird. Sie haben irgendwo gelesen oder gehört, daß der Handelsstand gegenwärtig viel zu bedeuten habe; drum sprechen sie mit Ehrfurcht von sich und ihrem Wesen, und nie habe ich gefunden, daß einer von sich sagte: Kaufmann oder Bänderkrämer, sondern: »Ich reise in Geschäften des Hauses Bäuerlein oder Zwierlein«, und fragte man in welchen Artikeln, so kann man unter zehn auf neun rechnen, sie ganz bescheiden antworten hören: Knöpfe, Haften und Haken, Tabak, Schnupf- und Rauch-, und dergleichen bedeutende Artikel. Haben sie nun gar im Städtchen ihrer Heimat ein »Schätzchen« zurückgelassen, so darf man darauf rechnen, sie werden, wenn von Liebe die Rede ist, »ihre sehr interessante Geschichte« erzählen, wie sie Fräulein Jettchen beim Mondschein kennengelernt haben, sie werden die Brieftasche öffnen und unter hundert Empfehlungsbriefen, Annoncen von Gasthöfen etc., ein Seidenpapier hervorziehen, das ein »Pröbchen Haar von der Stirne der Geliebten« enthält.
Glückliche Nomaden! Ihr allein seid noch heutzutage die fahrenden Ritter der Christenheit; und wenn es euch auch nicht zukommt, mit eingelegter Lanze à la Don Quijote eurer Jungfrauen Schönheit zu verteidigen, so richtet ihr doch in jeder Kneipe nicht weniger Verwüstung an, wie jener mannhafte Ritter, und seid überdies meist euer eigener Sancho Pansa an der Tafel.
Eine solche liebenswürdige Erziehung, aus Comptoir-Spekulationen, Romanen, Mondscheinliebe und Handelsreisen zusammengesetzt, schien nun auch mein Nachbar Seufzer genossen zu haben. Nur etwas fehlte ihm, er war zu ehrlich. Wie leicht wäre es für einen Mann von Zweimalhunderttausend gewesen, Kuriere nicht von Höchst, oder von Langen, sondern von Wien, sogar mit authentischen Nachrichten kommen zu lassen, um seinem Glücke aufzuhelfen. Ist denn auf der Erde nicht alles um Geld feil? und wenn Rothschild mit Geld etwas machen kann, warum sollte es ein anderer nicht auch können, wenn sein Geld ebensogut ist, als das des großen Makkabäers?
Zwar ein solcher Sperling macht keinen Sommer; eine solche Handelsseele mehr oder weniger mein, kann mir nicht nützen; doch die Nüanzen ergötzen mich, jenes bunte Farbenspiel, bis ein solcher Hecht ins Netz geht, und darum beschloß ich ihm zu nützen, ihn zu fangen.
»Ich bin«, sagte ich zu ihm, »ich bin selbst einigermaßen Papierspekulant, daher werden Sie mir vergeben, wenn ich Ihre bisherige Verfahrungsart etwas sonderbar finde.«
»Wie meinen Sie das?« fragte er verwundert. »Als ich in Dessau war, ließ ich mir nicht jeden Posttag den Kurszettel schicken? und hier, gehe ich nicht jeden Tag in die Börsenhalle? gehe ich nicht jeden Tag in die neue Judenstraße, um das Neueste zu erfragen?«
»Das ist es nicht was ich meine, ein Genie wie Sie, Herr Zwerner (er verbeugte sich lächelnd), das heißt, ein Mann mit diesen Mitteln, der etwas wagen will, muß selbst eingreifen in den Lauf der Zeiten.«
»Aber mein Gott«, rief er verwunderungsvoll, »das kann ja jetzt niemand als der Rothschild, der Reis-Effendi und der Herr von Metternich; wie meinen Sie denn?«
»Über Ihr Glück, Sie geben es selbst zu, kann ein einziger Tag, eine einzige Stunde entscheiden; zum Beispiel, wenn die Pforte das Ultimatum verwirft, die Nachricht schnell hieher kommt, kann eine Krisis sich bilden, die Sie stürzt. Ebenso im Gegenteil, können Sie durch eine solche Nachricht sehr gewinnen, weil dann Ihre Papiere steigen?«
»Gewiß, gewiß«, seufzete er; »aber ich sehe nur noch nicht recht ein –«
»Nur Geduld; wer gibt nun diese Nachricht, wer bekommt sie? Das Ministerium in Wien, oder ein guter Freund, der sehr nahe hingehorcht und dem großen Portier ein Stück Geld in die Hand gedrückt hat, läßt noch in der Nacht einen Kurier aufsitzen; der reitet und fährt und fliegt nach Frankfurt, und bringt die Depesche, wem?«
»Ach, dem Glücklichsten, dem Vornehmsten!«
»Nein, dem, der am besten zahlt. Einen solchen Kurier kann ich Ihnen um Geld auch verschaffen, ich habe Konnexionen in Wien. Man kann dort mancherlei erfahren, ohne gerade der österreichische Beobachter zu sein; kurz, wir lassen einen Brief mit der Nachricht einer wichtigen Krisis, eines bedeutenden Vorfalls, kommen –«
»Etwa, der Sultan habe einen Schlag bekommen, oder der Kaiser von Rußland sei plötzlich –«
»Nichts davon, das ist zu wahrscheinlich, als daß es die Leute glauben; Unwahrscheinliches, Überraschendes, muß auf der Börse wirken –«
»Also etwa der Fürst von M. sei ein Türke geworden; habe dem Islam geschworen?«
»Ich sage Ihnen ja, nichts Wahrscheinliches; nein, geradezu, die Pforte habe das Ultimatum angenommen. Bekommen Sie nun diese Nachricht mit allem möglichen geheimnisvollen Wesen, lassen Sie den Kurier sogleich ein paar Stationen weiterreisen, lassen Sie den Brief einige Geheimniskrämer lesen, gehen kurze Zeit darauf in die Börsenhalle, so kann es nicht fehlen, Sie sind ein wichtiger Mann und setzen Ihre Papiere mit Gewinn ab.«
»Aber, lieber Herr«, erwiderte der Kaufmann von Dessau kläglich, »das wäre ja denn doch erlogen, wie man zu sagen pflegt, eine Sünde für einen rechtlichen Mann, bedenken Sie, ein Kaufmann muß im Geruch von Ehrlichkeit stehen, will er Kredit haben.«
»Ehrlichkeit, Possen! Geld, Geld, das ist es, wornach er riechen muß, und nicht nach Ehrlichkeit. Und was nennen Sie am Ende Ehrlichkeit? ob Sie Ihre Kunden bei einem Pfunde Kaffee betrügen, ob Sie einem alten Weib ihr Lot Schnupftabak zu leicht wiegen, oder ob Sie dasselbe Experiment im großen vornehmen, das ist am Ende dasselbe.«
»Ei, verzeihen Sie, da muß ich denn doch bitten; an der Prise, die das Weib zu wenig bekömmt, stirbt sie nicht, wie man zu sagen pflegt, aber wenn ich einen solchen Kurier kommen lasse, so kann er durch seine falsche Nachricht ein Nachrichter der ganzen Börse werden; viele Häuser können fallieren, andere wanken und im Kredit verlieren, und das wäre dann meine Schuld!«
»So, mein Herr?« sagte ich mit mitleidigem Lächeln zu der schwachen Seele, »so, Sie schämen sich nicht, die Moral, das Herrlichste was man auf Erden hat, so zu verhunzen? also wegen der Folgen wollen Sie nicht? nicht vor dem Beginnen an sich, als einem unmoralischen, beben Sie zurück? Wer den Anfang einer Tat nicht scheut, darf auch ihr Ende nicht scheuen, ohne für eine kleine Seele zu gelten. Oder glauben Sie, eine Rebekka könne man dadurch verdienen, daß man im Weißen Schwanen wohnt und seufzt, daß man zur Tafel geht und mit dem Kaninchen, dem Grafen Rebs, grollt?«
»Aber, mein Herr«, rief der Seufzer etwas pikiert, »ich weiß gar nicht, was Sie mir, als einem ganz Fremden für eine Teilnahme erzeigen; ich weiß gar nicht, wie ich das nehmen soll?«
»Mein Herr, das haben Sie sich selbst zuzuschreiben; Sie haben mir Ihre Lage entdeckt und mich gleichsam um Rat gefragt, daher meine Antwort. Übrigens bin ich ein Mann, der reist, um überall das Treffliche und Erhabene kennenzulernen. In Ihnen glaubte ich gleich auf den ersten Anblick solches gefunden zu haben; –«
»Bitte recht sehr, eine so ganz gewöhnliche Physiognomie wie die meine –«
»Das können Sie nicht so beurteilen, wie ein anderer; auf Ihrer Stirne thront etwas Freies, Mutiges, um Ihren Mund weht ein anziehender Geist –«
»Finden Sie das wirklich«, rief er, indem er lächelnd meine Hand faßte und verstohlen nach dem Spiegel blickte; »es ist wahr, man hat mir schon dergleichen gesagt, und, in Stuttgart hat man mich sogar versichert, ich sei dem berühmten Dannecker auf der Straße aufgefallen, und er sei eigens deswegen einigemal in den König von England gekommen, um von mir etwas für seinen Johannes abzusehen.«
»Nun sehen Sie, wie muß es nun einen Mann, wie ich bin, überraschen, so wenig Mut, so wenig Entschluß hinter dieser freien Stirne, diesem mutigen Auge zu finden!«
»Ach, Sie nehmen es auch zu strenge; ich habe ja Ihren Vorschlag durchaus nicht verworfen, nur einiges Bedenken, einige kleine Zweifel stiegen in mir auf, und – nun Sie haben wahrlich nicht unrecht, ich fühle einen gewissen Mut, eine gewisse Freiheit in mir, es ist ein gewisses Etwas, ja – so gut es ein anderer tun kann, will ich es auch versuchen. Es sei, wie Sie sagten, ich will es daranrücken und einen Kurier kommen lassen; wir wollen die Metalliques steigern!«