Wilhelm Hauff
Mitteilungen aus den Memoiren des Satan
Wilhelm Hauff

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West suchte die Geschichte mit der Frau des Engländers auf Verführung zu schieben. Ich habe eine solche bei einem Mann, der das Bild der Geliebten fest im Herzen trägt, nie für möglich gehalten. Doch die Strafe ereilte ihn bald. Er gestand mir, daß er froh gewesen sei, als er, vielleicht durch Vermittlung des Engländers, von seinem Posten zurückberufen wurde. Donna Ines habe ihm allerlei sonderbare Vorschläge zur Flucht gemacht, in die er nicht eingehen können; er sei, ohne Abschied von ihr zu nehmen, abgereist. Was ihn eigentlich bestimmte, nach Rom zu gehen, sah ich nicht recht ein, und er suchte auch über diesen Punkt so schnell als möglich hinwegzukommen. Er erzählte ferner, wie er durch Luisens Ankunft erfreut worden sei, wie er sich vorgenommen, nur ihr, ihr allein zu leben. Doch da sei plötzlich Donna Ines in Rom erschienen, sie habe sich mit zwei Kindern geflüchtet, sei ihm nachgereist, und habe jetzt verlangt, er solle sie heiraten.

Es entging mir nicht, daß der Kapitän mich hier belog. Ich hatte von dem Gesandten bestimmt erfahren, daß jener schon in Paris angehalten und über die Flucht der Donna zur Rede gestellt worden sei; er konnte sich also denken, daß sie ihm nachreisen werde, und dennoch knüpfte er die Liebe zu Luisen von neuem an. Ferner, wie hätte es Ines wagen können, ihm zu folgen, wenn er ihr nicht versprochen hätte, sie zu heiraten, wenn er sie nicht durch tausend Vorspiegelungen aus ihrem ruhigen Leben herausgelockt und zur Abenteurerin gemacht hätte?

Er schilderte mir nun ein Gewebe von unglücklichen Verhältnissen, in welche ihn diese Frau, die mit allen Kardinälen, namentlich mit Pater Rocco, schnell bekannt geworden, geführt habe. Es wurde ernstlich an der Auflösung ihrer früheren Ehe gearbeitet, und es war als bekannt angenommen worden, daß er die Geschiedene heiraten werde.

›Sie sagten mir hier nichts Neues‹, antwortete ich ihm; ›dies alles beinahe wußte ich vorher. Aber ich hoffe, daß Sie als Mann von Ehre einsehen werden, daß das Verhältnis zu Fräulein von Palden nicht fortdauern kann, oder Sie müssen sich von der Spanierin lossagen.‹

Das letztere könne er nicht, sagte er, er habe von ihr und dem Kardinal Rocco Vorschüsse empfangen, die sein Vermögen übersteigen, er könne also wenigstens im Augenblick keinen entscheidenden Schritt tun.

›Im Augenblick heißt hier nie‹, erwiderte ich ihm. ›Sie werden sich aus diesen Banden, wenn sie so beschaffen sind, nie mit Anstand losmachen können. Ich halte es also für Ihre heiligste Pflicht, Luisen nicht noch unglücklicher zu machen; denn was kann endlich das Ziel Ihrer Bestrebungen sein?‹

Er errötete und meinte, ich halte ihn für schlechter als er sei. Doch er fühle selbst, daß man einen Schritt tun müsse. Er glaube aber, es sei dies meine Sache. Er trete mir Luisen ab, ich solle mir auf jede Art ihre Gunst zu erwerben suchen und sie glücklich machen. Er hatte Tränen in den Augen, als er dies sagte, und ich sah mit beinahe zu mitleidigen Augen, wie weit ein Mensch durch Leichtsinn kommen könne.

Ich ging um nichts weiser geworden, ohne daß ein wirklicher Entschluß gefaßt worden war, von dem Kapitän; mein Gefühl war eine Mischung von Verachtung und Bedauern. Auf der Treppe begegnete mir wieder der schöne Knabe und fragte, ob er wohl jetzt zu Papa kommen dürfte.«

»Ha! und jetzt setzten Sie wohl alle Segel auf, Freundchen«, fragte ich; »jetzt machten Sie wohl Jagd auf die schöne Galeere Luise?«

»Ja und nein«, antwortete er trübe; »sie schien meine Liebe zu übersehen, nicht zu achten, aber bald bemerkte ich, daß sie ängstlicher wurde in meiner Nähe, es schmerzte sie, daß mir ihre Freundschaft nicht genügen wolle. Und jener Elende, sei es aus Bosheit oder Leichtsinn, zog sich nicht von ihr zurück, ich vermute es sogar, er hat sie vor mir gewarnt. So standen die Sachen, als die Zeit, die ich in Rom zubringen sollte, bald zu Ende ging. Im Kabinett des Gesandten arbeitete man schon an Memoiren, die man mir nach Berlin mitgeben wollte, man wunderte sich, daß ich noch keine Abschiedsbesuche mache – und ich, ich lebte in dumpfem Hinbrüten, ich sah nicht ein, wie ich dieser Reise entfliehen konnte, und dennoch hielt ich es nicht für möglich, Luisen zu verlassen, jetzt da ihr vielleicht bald der schrecklichste Schlag bevorstand. Oft war ich auf dem Punkt, ihr alles, alles zu entdecken, aber wie war es mir möglich, ihre himmlische Ruhe zu zerstören, das Herz zu brechen, das ich so gerne glücklich gewußt hätte?

Da stürzte eines Morgens der Kapitän West in mein Zimmer; er war bleich, verstört, es dauerte eine lange Zeit, bis er sich fassen und sprechen konnte. ›Jetzt ist alles aus‹, rief er, ›sie stirbt, sie muß sterben, dieser Kummer wird sie zerschmettern!‹ Er gestand, daß Donna Ines oder der Kardinal Rocco seine Liebe zu Luisen entdeckt hätten, ihr schrieben sie sein Zögern, sein Schwanken zu, und der Kardinal hatte geschworen, er wolle an diesem Tage zu dem deutschen Fräulein gehen, und sie zur Rede stellen, wie sie es wagen könne, einen Mann, der schon so gut als verehelicht sei, von seinen Pflichten zurückzuhalten.

Ich kannte diesen Priester und seine tückische Arglist; ich erkannte, daß die Geliebte verloren sei. Ich weiß Ihnen von dieser Stunde, von diesem Tag wenig mehr zu erzählen. Ich weiß nur, daß ich den Kapitän in kalter Wut zur Türe hinausschob, mich schnell in die Kleider warf, und wie ein gejagtes Wild durch die Straßen dem Hause der Signora Campoco zulief. Als ich unten an dieser Straße anlangte, sah ich einen Kardinal sich demselben Hause nähern. Er schritt stolz einher, Frater Piccolo trug ihm den Mantel, es war kein Zweifel, es war Rocco. Ich setzte meine letzten Kräfte daran, ich rannte wie ein Wahnsinniger auf ihn zu, doch – ich kam eben an, als mir Piccolo mit teuflischem Lächeln die Türe vor der Nase zuwarf.

Eine Art von Instinkt trieb mich, all diesem Jammer zu entfliehen. Ich ging wie ich war zu dem Gesandten und sagte ihm, daß ich noch in dieser Stunde abreisen werde. Er war es zufrieden, gab mir seine Aufträge, und bald hatte ich die heilige – unglückselige Stadt im Rücken. Erst als ich nach langer Fahrt zu mir selbst kam, als meine Vorstellungen sich wieder ordneten und deutlicher wurden, erst dann tadelte ich meine Feigheit, die mich zu dieser übereilten Flucht verführte. Ich tadelte meine ganze Handlungsweise, ich klagte mich an, die Unglückliche auf diesen Schlag nicht vorbereitet zu haben; – doch es war zu spät, und wenn ich mir meine Gefühle, meine ganze Lage zurückrief, ach, da schien es so verzeihlich, die Geliebte verschont zu haben! So kam ich nach Berlin, in dieser Stimmung trafen Sie mich dort, und ein Teil dieser Geschichte war es, den ich damals im Hause meiner Tante erzählt habe.«

Der junge Mann hatte geendet; seine Züge hatten nach und nach jene Trauer, jene Wehmut angenommen, die ich in seinem Wesen, als ich ihn in Berlin sah, zu bemerken glaubte; er war ganz derselbe, der er an jenem Abend war, und die Worte seiner Tante, er sehe seit seiner Zurückkunft so geheimnisvoll aus, kamen mir wieder in den Sinn, und ließen mich den richtigen Blick dieser Dame bewundern. An seiner ganzen Historie schienen mir übrigens nur zwei Dinge auffallend. Unglückliche Mädchen wie das Fräulein, abenteuernde Damen wie Ines, intrigante Priester wie Kardinal Rocco hatte ich auf der Welt schon viele gesehen. Aber die beiden Männer waren mir, als Menschenkenner, etwas rätselhaft.

Der Kapitän hatte allerdings schon einen bedeutenden Grad in meinem Reglement erlangt, aber unbegreiflich war es mir, wie sich dieser Mann so lange auf einer Stufe halten konnte, da doch nach moralischen wie nach physischen Kräften, ein Körper, welcher abwärts gleitet, immer schneller fällt. Er war falsch, denn er spielte zwei Rollen, er war leichtsinnig, denn er vergaß sich alle Augenblicke, er war eifersüchtig, obgleich er es selbst mit zwei Frauen hielt, er war schnell zum Zorn reizbar, als deutscher Kapitän liebte er wahrscheinlich auch das Est, Est, Est, Eigenschaften, die nicht lange auf einer Stufe lassen. Ein anderer an seiner Stelle wäre vielleicht aus Eifersucht und Zorn schon längst ein Totschläger geworden, ein zweiter wäre, leichtsinnig wie er, all diesem Jammer entflohen, hätte die Donna Ines hier, und Fräulein Luise dort, sitzenlassen, und vielleicht an einem andern Ort eine andere gefreit; ein dritter hätte vielleicht der Donna Gift beigebracht, um die schöne Sächsin zu besitzen, oder aus Verzweiflung die letztere erdolcht.

Aber wie langweilig dünkte es mir, daß das Fräulein noch in demselben Zustande war, daß die beiden Anbeter noch nicht in Streit geraten waren, daß das Ende von diesen Geschichten ein Übertritt zur römischen Kirche, eine Hochzeit der Donna Ines und vielleicht eine zweite, Luisens mit dem Berliner werden sollte?

Denn eben dieser ehrliche Berliner! er stand zwar in etwas entfernten Verhältnissen zu mir, doch wußte ich, wenn ich ihm das Ziel seines heimlichen Strebens, das Fräulein, recht lockend, recht reizend vorstellte, wenn ich ihren Besitz ihm von ferne möglich zeige, so machte er Riesenschritte abwärts, denn seine Anlagen waren gut. Ich beschloß daher, mir ein kleines Vergnügen zu machen, und die Leutchen zu hetzen.

Während diese Gedanken flüchtig in mir aufstiegen, wurde dem Herrn von S. ein Brief gebracht. Er sah die Aufschrift an und errötete, er riß das Siegel auf, er las, und sein Auge wurde immer glänzender, seine Stimme heiterer. »Der Engel!« rief er aus, »sie will mich dennoch sehen! wie glücklich macht sie mich! Lesen Sie, Freund«, sagte er, indem er mir den Brief reichte; »müssen solche Zeilen nicht beglücken?«

Ich las:

»Mein treuer Freund!

Mein Herz verlangt darnach, Sie zu sprechen. Ich wollte Sie nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen, bis Sie mir gute Nachrichten zu bringen hätten; Sie selbst sind es eigentlich, der diesen Bann aussprach. Doch heben Sie ihn auf, Sie wissen, wie tröstlich es mir ist, mit Ihnen sprechen zu können. Der Fromme ist wieder hier; er verspricht sich das Beste von West. Ach! daß er ihn zurückbrächte von seinem Abwege, nicht zu mir, meine Augen dürfen ihn nicht mehr sehen, nur zurück von dieser Schmach, die ich nicht ertragen kann.

L. v. P

N. S. Wissen Sie in Rom keinen Deutschen, der in Mecklenburg bekannt wäre? West hat dort Verwandte, die vielleicht in der Sache etwas tun könnten.«

»Ich kann mir denken, daß dieses schöne Vertrauen Sie erfreuen muß«, sagte ich, »doch einiges ist mir nicht recht klar, in diesem Brief, das Sie mir übrigens aufklären werden. Wegen der Verwandten in Mecklenburg kann sich übrigens das Fräulein an niemand besser wenden, als an mich, denn ich war mehrere Jahre dort, und bin beinahe in allen Familien genau bekannt.«

Der junge Mann war entzückt, dem Fräulein so schnell dienen zu können. »Das ist trefflich!« rief er, »und Sie begleiten mich wohl jetzt eben zu ihr? Ich erzähle Ihnen unterwegs noch einiges, was Ihnen die Verhältnisse klarer machen wird.«

Ich sagte mit Freuden zu, wir gingen.

»In Berlin«, erzählte er, »hielt ich es nur zwei Monate aus; ich hatte niemand hier in Rom, der mir über das unglückliche Geschöpf hätte Nachricht geben können, und so lebte ich in einem Zustand, der beinahe an Verzweiflung grenzt; nur einmal schrieb mir der sächsische Gesandte: Der Papst habe sich jetzt öffentlich für den Kapitän West erklärt, man spreche davon, daß der Preis dieser Gnade, der Übertritt des Kapitäns zur römischen Kirche sein solle. In demselben Brief erwähnte er mit Bedauern, daß die junge Dame, die uns alle so sehr angezogen habe, die mich immer besonders auszuzeichnen geschienen, sehr gefährlich krank sei, die Ärzte zweifeln an ihrer Rettung.

Wer konnte dies anders sein, als die arme Luise. Diese letzte Nachricht entschied über mich. Zwar hätte ich mir denken können, daß das, was ihr der Kardinal mitteilte, Krankheit, vielleicht den Tod zur Folge haben werde, aber jetzt erst, als ich diese Nachricht gewiß wußte, jetzt erst kam sie mir schrecklich vor; ich reiste nach Rom zurück, und meine Bekannten hier haben sich nicht weniger darüber gewundert, mich so unverhofft zu sehen, als meine Verwandten in Berlin, mich so plötzlich wieder entlassen zu müssen. Besonders die Tante konnte es mir nicht verzeihen, denn sie hatte schon den Plan gemacht, mich mit einer der Fräulein, die Sie beim Tee versammelt fanden, zu verheiraten.

Erlassen Sie es mir, zu beschreiben, wie ich das Fräulein wiederfand ! Nur eins schien diese schöne Seele zu betrüben, der Gedanke, daß West zu seiner großen Schuld noch einen Abfall von der Kirche fügen wolle. Ich lebe seitdem ein Leben voll Kummer. Ich sehe ihre Kräfte, ihre Jugend dahinschwinden, ich sehe, wie sie ein Herz voll Jammer unter einer lächelnden Miene verbirgt. Um mich zu noch tätigerem Eifer, ihr zu dienen, zu zwingen, gelobte ich, sie nicht mehr zu sprechen, bis ich von dem Kapitän erlangt hätte, daß er nicht zum Apostaten werde, oder – bis sie mich selbst rufen lasse. Das letztere ist heute geschehen. Es scheint, sie hat Hoffnung, ich habe keine; denn er ist zu allem fähig, und Rocco hat ihn so im Netze, daß an kein Entrinnen zu denken ist.«

»Aber der Fromme«, fragte ich; »soll wohl der seine Bekehrung übernehmen?«

»Auf diesen Menschen scheint sie ihre Hoffnung zu gründen. Es ist ein deutscher Kaufmann, ein sogenannter Pietist, er zieht umher, um zu bekehren; doch leider muß er jedem Vernünftigen zu lächerlich erscheinen, als daß ich glauben könnte, er sei zur Bekehrung des Kapitäns berufen. Eher setze ich einige Hoffnungen auf Sie, mein Freund, wenn Sie durch die Verwandten etwas bewirken könnten; doch auch dies kommt zu spät! Wie sie sich nur um diesen Elenden noch kümmern mag!«

Viel versprach ich mir von diesem Besuch bei dem Fräulein von Palden. Was ich von ihr gesehen, von ihr gehört, hatte mir ein Interesse eingeflößt, das diese Stunde befriedigen mußte. Ich hatte mir schon lange zuvor, ehe ich sie sah, ein Bild von ihr entworfen, ich fand es, als sie mir damals im Portikus erschien, beinahe verwirklicht; nur eines schien noch zu fehlen, und auch das hatte sich jetzt bestätigt; ich dachte mir sie nämlich etwas fromm, etwas schwärmerisch, und sie mußte dies sein, wie konnte sie sonst einem deutschen Pietisten die Heilung des Kapitän West zutrauen?

Wir wurden von der Signora Campoco und ihren Hunden freundlich empfangen; den Berliner führte sie zu ihrer Nichte, mich bat sie in ein Zimmer zu treten, wo ich einen Landsmann finden werde. Ich trat ein. Am Fenster stand ein kleiner hagerer Mann, von kaltem, finsterem Aussehen. Er heftete seine Augen immer zu Boden, und wenn er sie einmal aufschlug, so glühten sie von einem trüben, unsicheren Feuer. Ich machte ihm mein Kompliment, er erwiderte es mit einem leichten Neigen des Hauptes und antwortete: »Gegrüßet seist du mit dem Gruße des Friedens!«

Ha! dachte ich, das ist niemand anders als der Pietist! Solche Leute sind eine wahre Augenweide für den Teufel; er weiß wie es in ihrem Innern aussieht, und, diese herrliche Charaktermaske, lächerlicher als Polischinello, komischer als Passaglio, pathetischer als Truffaldin, und wahrer als sie alle, trifft man besonders in Deutschland, und seit neuerer Zeit in Amerika, wohin sie die Deutschen verpflanzt haben. Diese Protestanten glauben im echten Sinne des Wortes zu handeln, wenn sie gegen alles protestieren. Der Glaube der katholischen Kirche ist ihnen ein Greuel; der Papst ist der Antichrist, gegen ihn und die Türken beten sie alle Tage ein absonderliches Gebet. Nicht zufrieden mit diesem, protestieren sie gegen ihren eigenen Staat, gegen ihre eigene Kirche. Alles ist ihnen nicht orthodox, nicht fromm genug. Man glaubt vielleicht, sie selbst sind um so frömmer? O ja, wie man will. Sie gehen gesenkten Hauptes, wagen den Blick nicht zu erheben, wagen kein Weltkind anzuschauen. Ihre Rede ist »Ja, ja, nein, nein.« Auf weitere Schwüre und dergleichen lassen sie sich nicht ein. Sie sind die Stillen im Lande, denn sie leben einfach und ohne Lärm für sich; doch diese selige Ruhe in dem Herrn verhindert sie nicht, ihre Mitmenschen zu verleumden, zu bestehlen, zu betrügen. Daher kommt es, daß sie einander selbst nicht trauen. Sie vermeiden es, sich öffentlich zu vergnügen, und wer am Sonntag tanzt, ist in ihren Augen ein Ruchloser. Unter sich selbst aber feiern sie Orgien, von denen jeder andere sein Auge beschämt wegwenden würde.

Drum lacht mir das Herz, wenn ich einen Mystiker dieser Art sehe. Sie gehen still durchs Leben und wollen die Welt glauben machen, sie seien von Anbeginn der Welt als extrafeine Sorte erschaffen und plombiert worden, und der heilige Petrus, mein lieber Cousin, werde ihnen einen näheren Weg, ein Seitenpförtchen in den Himmel aufschließen. Aber alle kommen zu mir; Separatisten, Pietisten, Mystiker, wie sie sich heißen mögen, seien sie Kathedermänner oder Schuhmacher, alle sind Nr. 1 und 2, sie verneinen, wenn auch nicht im Äußern, denn sie sind Heuchler in ihrem Herzen von Anbeginn.

Ein solcher war nun der fromme Mann am Fenster. »Ihr seid ein Landsmann von mir«, fragte ich nach seinem Gruß, »Ihr seid ein Deutscher?«

»Alle Menschen sind Brüder und gleich vor Gott«, antwortete er; »aber die Frommen sind ihm ein angenehmer Geruch.«

»Da habt Ihr recht«, erwiderte ich, »besonders wenn sie in einer engen Stube Betstunde halten. Seid Ihr schon lange hier in dieser gotteslästerlichen Stadt?«

Er warf einen scheuen Blick auf mich und seufzte: »O welche Freude hat mir der Herr gegeben, daß er einen Erweckten zu mir sandte; du bist der erste, der mir hier saget, daß dies die Stadt der Babylonischen H―, der Sitz des Antichrists ist. Da sprechen sie in ihrem weltlichen Sinne von dem Altertum der Heiden, laufen umher in diesen großen Götzentempeln, und nennen alles ›Heiliges Land‹, selbst wenn sie Protestanten sind; aber diese sind oft die Ärgsten.«

»Wie freut es mich, Bruder, dich gefunden zu haben. Sind noch mehrere Brüder und Schwestern hier? Doch hier kann es nicht fehlen; in einer Gemeinde, die der Apostel Paulus selbst gestiftet hat, müssen fromme Seelen sein.«

»Bruder, geh mir weg mit dem Apostel Paulus, dem traue ich nur halb; man weiß allerlei von seinem früheren Leben, und nachher, da hat er so etwas Gelehrtes wie unsere Professoren und Pfarrer; ich glaube, durch ihn ist dieses Übel in die Welt gekommen. Zu was denn diese Gelehrtheit, diese Untersuchungen; sie führen zum Unglauben. Die Erleuchtung macht's, und wenn einer nicht zum Durchbruch gekommen ist, bleibt er ein Sünder. Ein altes Weib, wenn sie erleuchtet ist, kann so gut predigen und lehren in Israel als der gelahrteste Doktor.«

»Du hast recht, Bruder«, erwiderte ich ihm; »und ich war in meinem Leben in der Seele nicht vergnügter, nie so heiter gestimmt als wenn ich einen Bruder Schuster, oder eine Schwester Spitälerin das Wort verkündigen hörte. War es auch lauterer Unsinn was sie sprach, so hatte ihr es doch der Geist eingegeben, und wir alle waren zerknirscht. Doch sage mir, wie kommst du ins Haus dieser Gottlosen?«

»Bruder, in der Stadt Dresden im Sachsenland, wo es mehr Erleuchtete gibt als irgendwo, da wohnte ich neben ihrem Haus. Damals war sie ein Weltkind, und lachte, wenn die Frommen am Sonntagabend in mein Haus wandelten, um eine Stunde bei mir zu halten. Als ich nun hieher kam in dieses Sodom und Gomorra, da gab mir der Geist ein, meine Nachbarin aufzusuchen. Ich fand sie von einem Unglück niedergedrückt. Es ist ihr ganz recht geschehen, denn so straft der Herr den Wandel der Sünder. Aber mich erbarmte doch ihre junge Seele, daß sie so sicherlich abfahren soll, dorthin wo Heulen und Zähnklappern. Ich sprach ihr zu und sie ging ein in meine Lehren, und ich hoffe, es wird bei ihr bald zum Durchbruch kommen. Und da erzählte sie mir von einem Mann, den der Satan und der Antichrist in ihren Schlingen gefangen haben, und bat mich, ob ich nicht lösen könne diese Bande kraft des Geistes, der in mir wohnet. Und darum bin ich hier.«

Während der fromme Mann die letzten Worte sprach, kam der Berliner mit dem Fräulein. Jener stellte mich vor, und sie fragte errötend, ob ich mit der Familie des Kapitäns West in Mecklenburg bekannt sei. Ich bejahte es; ich hatte mit mehreren dieser Leute zu tun gehabt und gab ihr einige Details an, die sie zu befriedigen schienen.

»Der Kapitän ist auf dem Sprung, einen sehr törichten Schritt zu tun, der ihn gewiß nicht glücklich machen kann, S. hat Ihnen wohl schon davon gesagt, und es kömmt jetzt darauf an, ihm das Mißliche eines solchen Schrittes auch von seiten seiner Familie darzutun.«

»Mit Vergnügen; dieser fromme Mann wird uns begleiten; er ist in geistlichen Kämpfen erfahrner als ich; ich hoffe, er wird sehr nützlich sein können.«

»Es ist mein Beruf«, antwortete der Pietist, die Augen greulich verdrehend, »es ist mein Beruf, zu kämpfen, solange es Tag ist. Ich will setzen meinen Fuß auf den Kopf der Schlange, und will ihr den Kopf zertreten wie einer Kröte; soeben ist der Geist in mich gefahren. Ich fühle mich wacker wie ein gewappneter Streiter, lieben Brüder, lasset uns nicht lange zaudern, denn die Stunde ist gekommen; Sela!«

»Gehen wir!« sagte der Berliner; »sein Sie versichert, Luise, daß Freund Stobelberg und ich alles tun werden, was zu Ihrer Beruhigung dienen kann. Fassen Sie sich, sehen Sie mutig, heiter in die Zukunft, die Zeit bringt Rosen.«

Das schöne, bleiche Mädchen antwortete durch ein Lächeln, das sie einem wunden Herzen mühsam abgezwungen hatte. Wir gingen, und als ich mich in der Türe umwandte, sah ich sie heftig weinen.

Wir drei gingen ziemlich einsilbig über die Straße, der Pietist, vom Geiste befallen, murmelte unverständliche Worte vor sich hin, und verzog sein Gesicht, rollte seine Augen wie ein Hierophant. Der Berliner schien an dem guten Erfolg unseres Beginnens zu zweifeln und ging sinnend neben mir her, ich selbst war von dem Anblick der stillen Trauer jenes Mädchens, ich möchte sagen, beinahe gerührt; ich dachte nach, wie man es möglich machen könnte, sie der Schwärmerei zu entreißen, sie dem Leben, der Freude wiederzugeben, denn so gerne ich ihr den Himmel und alles Gute wünschte, so schien sie mir doch zu jung und schön, als daß sie jetzt schon auf eine etwas langweilige Seligkeit spekulieren sollte. Durch den Berliner schien ich dies am besten erreichen zu können; besser vielleicht noch durch Kapitän West, der mir ohnedies verfallen war, doch zweifelte ich, ob man ihn noch von der Spanierin werde losmachen können.

Auf der Hausflur des Kapitäns ließ uns der Pietist vorangehen, weil er hier beten und unsern Ein- und Ausgang segnen wolle. Doch, o Wunder! als wir uns umsahen, nahm er nach jedem Stoßseufzer einen Schluck aus einem Fläschchen, das seiner Farbe nach einen guten italienischen Likör enthalten mußte. Ha! jetzt muß der Geist erst recht über ihn kommen, dachte ich, jetzt kann es nicht fehlen, er muß mit großer Begeisterung sprechen.

Der Kapitän empfing uns mit einer etwas finsteren Stirne. Der Berliner stellte uns ihm vor, und sogleich begann der Pietist, vom Geist getrieben, seinen Sermon.

Er stellte sich vor den Kapitän hin, schlug die Augen zum Himmel und sprach: »Bruder! was haben meine Ohren von dir vernommen? So ganz hat dich der Teufel in seinen Klauen, daß du dich dem Antichrist ergeben willst? Daß du absagen willst der heiligen, christlichen Kirche, der Gemeinschaft der Heiligen? Sela. Aber da sieht man es deutlich. Wie heißt es Sirach am 9. im dritten Vers? He? ›Fliehe die Buhlerin, daß du nicht in ihre Stricke fallest.‹ –«

»Zu was soll diese Komödie dienen, Herr von S.«, sprach der Kapitän gereizt. »Ich hoffe, Sie sind nicht gekommen, mir in meinem Zimmer Sottisen zu sagen.«

»Ich wollte Sie mit Herrn von Stobelberg, der Ihre Familie kennt, besuchen, da ließ sich dieser fromme Mann, der gehört hat, daß Sie übertreten wollen, nicht abhalten, uns zu begleiten.«

»Große Ehre für mich, geben Sie sich aber weiter keine Mühe, denn –«

»Höret, höret wie er den Herrn lästert, in dessen Namen ich komme«, schrie der Pietist; »der Antichrist krümmet sich in ihm wie ein Wurm, und der Teufel sitzt ihm auf der Zunge. O warum habt Ihr Euch blenden lassen von Weltehre? Was sagt derselbe Sirach? ›Laß dich nicht bewegen von dem Gottlosen in seinen großen Ehren; denn du weißt nicht, wie es ein Ende nehmen wird. – Wisse, daß du unter den Stricken wandelst, und gehest auf eitel hohen Spitzen!‹«

»Sie kennen meine Familie, Herr von Stobelberg? Sind Sie vielleicht selbst ein Landsmann aus Mecklenburg?«

»Nein, aber ich kam viel in Berührung mit Ihrer Familie, und bin mit einigen Gliedern derselben sehr nahe liiert. So zum Beispiel mit Ihrem Oncle F., mit Ihrer Tante W., mit Ihrem Schwager Z.«

»Wie? Der Satan hat ihm die Ohren zugeleimt«, rief der fromme Protestant, als sein abtrünniger Bruder ihn völlig ignorierte. »Auf, ihr Brüder, ihr Streiter des Herrn, lasset uns ein geistliches Lied singen, vielleicht hilft es.« Er drückte die Augen zu und fing an, mit näselnder, zitternder Stimme zu singen:

»Herr, schütz uns vor dem Antichrist,
    Und laß uns doch nicht fallen;
Es streckt der Papst mit Hinterlist
    Nach uns die langen Krallen;
        Und laß dich erbitten,
        Vor den Jesuiten
        Und den argen Missionaren
        Wollest gnädig uns bewahren.

Sie sind des Teufels Knechte all,
    Nur wir sind fromme Seelen;
Wir kommen in des Himmels Stall,
    Uns kann es gar nicht fehlen;
        Denn nach kurzem Schlafe
        Ziehn wir frommen Schafe
        In den Pferch für uns bereitet,
        Wo der Hirt die Schäflein weidet.

Dort scheidet er die Böcke aus –«

Man kann eben nicht sagen, daß der Fromme wie eine Nachtigall sang, aber komisch genug war es anzusehen, wie er vom Geist getrieben, dazu agierte; auf den Wangen des Kapitäns wechselte Scham und Zorn, und man war ungewiß, ob er mehr über die Unverschämtheit dieses Proselytenmachers staunte, oder mehr über den Inhalt der frommen Hymne erbost sei. Als der Pietist nach einem tiefen Seufzer den dritten Vers anhub, ging die Türe auf, und die hohe, majestätische Gestalt des Kardinals Rocco trat ein. Er war angetan mit einem weißen, faltenreichen Gewand, und der Purpur, der über seine Schultern herabfloß, gab ihm etwas Erhabenes, Fürstliches. Er übersah uns mit gebietendem Blick, und die Rechte, die er ausstreckte, mochte vielleicht den ehrwürdigen Kuß eines Gläubigen erwarten.

Der Kapitän war in sichtbarer Verlegenheit; er fühlte, daß der Kardinal uns den Protestantismus sogleich anriechen, daß es ihn erzürnen werde, seinen Katechumenen in so schlechter Gesellschaft zu sehen. Er nannte der Eminenz unsere Namen, doch als er Herrn v. S. erblickte, trat er erschrocken einen Schritt zurück und flüsterte dem Frater Piccolo in der violetten Kutte zu: »Das ist wohl der Teufel, den du im Traume gesehen?«

Piccolo antwortete mit drei Kreuzen, die er ängstlich auf seinen Leib zeichnete, und der Kardinal fing an, leise einige Stellen aus dem Exorzismus zu beten. Während dieser Szene hatte sich der fromme Kaufmann, dem das Wort auf der Lippe stehengeblieben war, wieder erholt; er betrachtete die imponierende Gestalt dieses Kirchenfürsten, doch schien sie ihm nicht mehr zu imponieren, nachdem er bei sich zu dem Resultat gelangt war, daß nur ein frommer protestantisch-mystischer Christ zur Seligkeit gelangen könne. Er hub im heulenden Predigerton auf italienisch an: »Siehe da, ein Sohn der Babylonischen, ein Nepote des Antichrists. Er hat sich angetan mit Seide und Purpur, um eure armen Seelen zu verlocken. Hebe dich weg, Satanas!«

»Ist der Mensch ein Narr?« fragte der Kardinal, indem er näher trat und den Prediger ruhig und groß anschaute. »Piccolo, merke dir diesen Menschen, wir wollen ihn im Spital versorgen.«

Der Pietist geriet in Wut: »Baalspfaffe, Götzendiener, Antichrist!« schrie er, »du willst mich ins Spital tun? Ha, jetzt kommt der Geist erst recht über mich. Ich will barmherzig sein mit dir, Sodomiter! ich will dich lehren die Hauptstücke der Religion, daß du deine ketzerischen Irrtümer einsehest. Aber zuvor ziehe sogleich den Purpur ab, zu was soll dieser Flitter dienen? Meinst du, du gefallest dem Herrn besser, wenn du violette Strümpfe anhast? O du Tor! das sind die ekeln Lehren des Antichrist, des Drachen, der auf dem Stuhle sitzt, in Sack und Asche mußt du Buße tun.«

Jetzt glühte Roccos Auge vor Wut, seine Stirne zog sich zusammen, seine Wangen glühten: »Jetzt sehe ich, Kapitän!« rief er, »was Euch so lange zögern macht; Ihr haltet Zusammenkünfte mit diesen wahnsinnigen Ketzern, die Euch in Eurem Aberglauben bestärken. Ha! bei der heiligen Erde, Ihr habt uns tief gekränkt.«

»Herr Kardinal!« fiel ihm Herr von S. in die Rede, »ich bitte uns nicht alle in eine Klasse zu werfen; wenn jener Mann dort den Trieb in sich fühlt, alle Welt zu bekehren, so können wir ihn nicht daran verhindern; doch meine ich, man habe sich nicht darüber zu beklagen, denn Ew. Eminenz wissen, daß es gleichsam nur Repressalien für die Missionen und die Jesuiterei sind, mit welcher man gegenwärtig alle Welt überschwemmt.«

Jetzt war der rechte Zeitpunkt, die Leutchen zu hetzen; jetzt galt es, sie zu verwickeln, um sie nachher desto länger trauern zu lassen. »Herr von S.«, sagte ich, »der Herr Kapitän will, denke ich, durch sein Schweigen beweisen, daß er Seiner Eminenz recht gebe. Zwar schließt mich mein Bewußtsein von den ›wahnsinnigen Ketzern‹ aus, ich mache keine Proselyten, ich unterrichte niemand in der Religion; aber Ihrer werten Familie in Mecklenburg werde ich bei meiner Rückkehr sagen können –«

»Stille!« rief der Pietist mit feierlicher Stimme; »Bruder, Mann Gottes, willst du dich so versündigen, mit dem Baalspfaffen zu rechten? Er geht einher wie ein Pharisäer, aber es wäre ihm besser, ein Mühlstein hänge an seinem Hals, und er würde ertränket wo es am tiefsten ist.«

»Hüte dich, einen Pfaffen zu beleidigen«, ist ein altes Sprüchwort, und der Kapitän mochte auch so denken; ich sah, daß Beschämung vor uns, von Rocco wie ein Schulknabe behandelt zu werden, und die Furcht, ihn zu beleidigen, in seinem Gesicht kämpfte.

»Ich muß Ihren Irrtum berichtigen, Eminenz«, entgegnete er; »diesen Mann hier kenne ich nicht, und er kann sich auch entfernen wann er will, denn seine schwärmerischen Reden sind mir zum Ekel, aber über diese Herren hier haben Sie eine ganz falsche Ansicht. Herr von Stobelberg bringt mir Nachrichten von meiner Familie, Herr von S. besucht mich. Ich weiß nicht, welche bösliche Absicht Sie darein legen wollen.«

Weit entfernt, den Kardinal durch diese Worte zu besänftigen, brachte er ihn nur noch mehr auf, doch bezähmte er laute Ausbrüche desselben, und seine stille Wut wurde nur in kaltem Spott sichtbar; »Ja, ich habe mich freilich höchlich geirrt«, sagte er lächelnd, »und bitte um Verzeihung, meine Herren. Ich dachte, Ihr Besuch betreffe religiöse Gegenstände, doch nun merke ich, daß es friedlichere Absichten sind, was Sie herführt. Herr von S. wird wahrscheinlich den Herrn Kapitän wieder in die süßen Fesseln des deutschen Fräuleins legen wollen? Trefflich! ob auch eine andere Dame darüber sterben wird, es ist ihm gleichgültig; ich bewundere nebenbei auch Ihre Gutmütigkeit, Capitano! daß Sie sich von demselben Mann zurückführen lassen, der Sie so geschickt aus dem Sattel hob!«

Zu welch sonderbaren Sprüngen steigert doch den Sterblichen die Beschämung. Gefühl des Unrechts, wirkliche Beleidigung, Zorn, alle Leidenschaften seiner Seele hätten den Kapitän wohl nicht so außer sich gebracht, als das Gefühl der Scham, vor deutschen Männern von einem römischen Priester so verhöhnt zu werden. »Die Achtung, Signor Rocco«, sagte er, »die Achtung, die ich vor Ihrem Gewand habe, schützt mich, Ihnen zu erwidern, was Sie mir in meinem Zimmer über mich gesagt haben. Ich kenne jetzt Ihre Ansichten über mich hinlänglich, und wundere mich, wie Sie sich um meine arme Seele so viele Mühe geben wollten. Diesem Herrn, der, wie Sie sagten, mich aus dem Sattel hob, werde ich folgen; doch wissen Sie, daß, was er getan hat, mit meiner Zustimmung geschah: ich werde ihm folgen, obgleich es zuvor gar nicht in meiner Absicht lag; nur um Ihnen zu zeigen, daß weder Ihr Spott, noch Ihre Drohungen auf mich Eindruck machen; und wenn Sie ein andermal wieder einen Mann meiner Art unter der Arbeit haben, so rate ich Ihnen, Ihren Spott oder Ihren Zorn zurückzuhalten, bis er im Schoße der Kirche ist.«

Das reiche, rosige Antlitz Roccos war so weiß geworden, als sein seidenes Gewand. »Geben Sie sich keine Mühe«, entgegnete er, »mir zu beweisen, wie wenig man an einem seichten Kopf Ihrer Art verliert. Glauben Sie mir, die Kirche hat höhere Zwecke, als einen Kapitän West zu bekehren –«

»Wir kennen diese schönen Zwecke«, rief der Berliner mit sehr überflüssigem Protestantismus; »Ihre Plane sind freilich nicht auf einen einzelnen gerichtet, sie gehen auf uns arme Seelen alle. Sie möchten gar zu gerne unser ganzes Vaterland und England und alles was noch zum Evangelium hält, unter den heiligen Pantoffel bringen. Aber Sie kommen hundert Jahre zu spät, oder zu früh; noch gibt es, Gott sei Dank, Männer genug in meinem Vaterlande, die lieber des Teufels sein wollen, als den Heiligen Stuhl anbeten.«

»Bringe mir meinen Hut, Piccolo!« sagte der Priester sehr gelassen, »Ihnen, mein Herr von S., danke ich für diese Belehrung; doch lag uns an den dummen Deutschen wenig. Es liegt ein sicheres Mittel in der Erbärmlichkeit Ihrer Nation und in ihrer Nachahmungssucht. Ich kann Sie versichern, wenn man in Frankreich recht fromm wird, wenn England über kurz oder lang zur alleinseligmachenden Kirche zurückkehrt, dann werden auch die ehrlichen Deutschen nicht mehr lange protestieren. Drum leben Sie wohl, mein Herr, auf Wiedersehen.« Die Züge des Kardinals hatten etwas Hohes, Gebietendes, das mir beinahe nie so sichtbar wurde, als in diesem Moment. Ich mußte gestehen, er hatte sich gut aus der Sache gezogen und verließ als Sieger die Walstatt. Frater Piccolo setzte ihm den roten Hut auf, ergriff die Schleppe seines Talars, und mit Anstand und Würde grüßend schritt der Kardinal aus dem Zimmer.

Der Berliner fühlte sich beschämt und sprach kein Wort; der Pietist murmelte Stoßgebetlein, und war augenscheinlich düpiert, denn der Streit ging über seinen Horizont, an welchem nur die Ideen »von dem Antichrist, dem Drachen auf dem Stuhl des Lammes, dem Baalspfaffen, der babylonischen Dame, dem ewigen Höllenpfuhl und dem Paradiesgärtlein« in lieblichem Unsinn verschlungen, schwebten.

Dem Kapitän schien übrigens nicht gar zu wohl bei der Sache zu sein. Ich erinnerte mich, gehört zu haben, daß er von Donna Ines und diesem Priester bedeutende Vorschüsse empfangen habe, die er nicht zahlen konnte; es war zu erwarten, daß sie ihn von dieser Seite bald quälen würden, und ich freute mich schon vorher, zu sehen, was er dann in der Verzweiflung beginnen werde. Auch zu diesem Auftritt hatte ihn sein Leichtsinn verleitet, denn hätte er bedacht, was für Folgen für ihn daraus entstehen können – er hätte sich von falscher Scham nicht so blindlings hinreißen lassen. Der Berliner fuhr übrigens bei dieser Partie ebenso schlimm. Ich wußte wohl, daß er die Hoffnung auf Luisens Besitz nicht aufgegeben hatte, daß er sie mächtiger als je nährte, da sie ihn heute hatte rufen lassen; ich wußte auch, daß sie den Kapitän nicht gerade zu sich zurückwünschte, sondern ihn nur nicht katholisch wissen wollte, ich wußte, daß sie dem Berliner vielleicht bald geneigt worden wäre, weil sie sah, mit welchem Eifer er sich um sie bemühe; und jetzt hatte der Kapitän vor uns allen ausgesprochen, daß er das Fräulein wiedersehen wolle; und so war es.

»Es ist mein voller Ernst, Herr von S.«, sagte er, »ich sehe ein, daß ich mich diesen unwürdigen Verbindungen entreißen muß. Können Sie mir Gelegenheit geben, das Fräulein wiederzusehen, und ihre Verzeihung zu erbitten?«

»Ich weiß nicht, wie Fräulein von Palden darüber denkt«, antwortete der junge Mann etwas verstimmt und finster; »ich glaube nicht, daß nach diesen Vorgängen –«

»Oh! Ich habe die beste Hoffnung«, rief jener, »ich kenne Luisens gutes Herz, und kann nicht glauben, daß sie aufgehört habe, mich zu lieben. Hören Sie einen Vorschlag. Signora Campoco hat einen Garten an der Tiber; bitten Sie das Fräulein, mit ihrer Tante heute abend dorthin zu kommen. Ich will sie ja nicht allein sehen, Sie alle können zugegen sein; ich will ja nichts, als Vergebung lesen in ihren Augen, ein Wort von ihr soll mir genug sein, um mich mit mir selbst und mit dem Himmel zu versöhnen. Ach, wie schmerzlich fühle ich meine Verirrungen!«

»Gut, ich will es sagen«, erwiderte der Berliner, indem er mit Mühe nach Fassung rang. »Soll ich Ihnen Antwort bringen?«

»Ist nicht nötig; wenn Sie keine Antwort bringen, bin ich um sechs Uhr als reuiger Sünder in dem Garten an der Tiber.«

 


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