Wilhelm Hauff
Mitteilungen aus den Memoiren des Satan
Wilhelm Hauff

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Achtes Kapitel

Der Satan bekömmt Händel und schlägt sich; Folgen davon

Indessen ereignete sich etwas anderes, das ich hier nicht übergehen darf, weil es als ein Kommentar zu den Sitten des wunderlichen Volkes, unter welchem ich lebte, dienen kann. Ich hatte schon seit einiger Zeit fleißig die Anatomie besucht, um auch die Ärzte kennenzulernen, da geschah es eines Tages, daß ich mit mehreren Freunden um einen Kadaver beschäftigt war, indem ich ihnen durch Zergliederung der Organe des Hirns, des Herzens etc. die Nichtigkeit des Glaubens an Unsterblichkeit darzutun suchte.

Auf einmal höre ich hinter mir eine Stimme, »Pfui Teufel! wie riecht's hier!«

Ich wandte mich rasch um und erblickte einen jungen Theologen, der mich schon in jener dogmatischen Vorlesung durch den Eifer und das Wohlbehagen, mit welchem er die unsinnige Konjektur des Professors niederschrieb, gegen sich aufgebracht hatte. Als ich nun diese Äußerung »pfui Teufel, wie riecht's hier!« die ich in jenem Augenblick aus des Theologen Munde nur auf mich, als den »Herrn im Kot« bezog, hörte, sagte ich ihm ziemlich stark, daß ich mir solche Gemeinheiten und Anzüglichkeiten verbitte.

Nach dem uralten heiligen Gesetzbuche der »Burschen«, das man Komment heißt, war dies eine Beschimpfung, die nur mit Blut abgewaschen werden konnte. Der Theologe, ein tüchtiger Raufer, ließ mich daher am andern Tage sogleich fordern. Ein solcher Spaß war mir erwünscht, denn wer sein Ansehen unter seinen Kommilitonen behaupten wollte, mußte sich damals geschlagen haben, obgleich das Duell an sich von meinen Freunden als etwas Unvernünftiges, Unnatürliches angesehen wurde. Ich hatte meinen Gegner bestimmen lassen, die Sache in einem Vergnügungsort, eine Stunde vor der Stadt, auszumachen, und beide Partien erschienen zur bestimmten Zeit an Ort und Stelle.

Feierlich wurde jeder einzelne in ein Zimmer geführt, der Oberrock ihm ausgezogen, und der »Paukwichs«, das heißt, die Rüstung, in welcher das Duell vor sich gehen sollte, angelegt. Diese Rüstung oder der Paukwichs bestand in einem Hut mit breiter Krempe, die dem Gesicht hinlänglichen Schutz verlieh, einer ungeheuern, fußbreiten Binde, die über den Bauch geschnallt wurde; sie war von Leder, gepolstert und mit der Farbe der Verbindung, zu welcher man gehörte, ausgeschmückt; eine ungeheure Krawatte, wogegen Herrn Studiosus Würgers ein Groschenstrick war, stand steif um die Gegend des Halses und schützte Kinn, Kehle, einen Teil der Schultern und den obern Teil der Brust. Den Arm, vom Ellbogen bis zur Hand, bedeckte ein, aus alten seidenen Strümpfen verfertigtes Rüstzeug, Handschuh genannt. Ich gestehe, die Figur, in diese sonderbare Rüstung gepreßt, nahm sich komisch genug aus; doch gewährte sie große Sicherheit, denn nur ein Teil des Gesichtes, der Oberarm und ein Teil der Brust war für die Klinge des Gegners zugänglich. Ich konnte mich daher des Lachens nicht enthalten, wenn ich im Spiegel meinen sonderbaren Habit betrachtete; der Satan in einem solchen Aufzuge und im Begriff, sich wegen des schlechten Geruchs auf der Anatomie zu schlagen!

Meine Genossen aber nahmen dieses Lachen für einen Ausbruch der Kühnheit und des Muts, gedachten, es sei jetzt der rechte Augenblick gekommen, und führten mich in einen großen Saal, wo man mit Kreide die gegenseitige feindliche Stellung auf dem Boden markiert hatte. Ein Fuchs rechnete es sich zur hohen Ehre, mir den »Schläger« vorantragen zu dürfen, wie man den alten Kaisern Schwert und Szepter vorantrug. Jener war eine aus poliertem Stahl schön gearbeitete Waffe mit großem, schützendem Korb und scharf geschliffen wie ein Schermesser.

Wir standen endlich einander gegenüber; der Theologe machte ein grimmiges Gesicht und blickte mit einem Hohn auf mich, der mich nur noch mehr in dem Vorsatz bestärkte, ihn tüchtig zu zeichnen.

Wir legten uns nach alter Fechterweise aus, die Klingen waren gebunden, die Sekundanten schrien »los«, und unsere Schläger schwirrten in der Luft und fielen rasselnd auf die Körbe. Ich verhielt mich meistens parierend gegen die wirklich schönen und mit großer Kunst ausgeführten Angriffe des Gegners, denn mein Ruhm war größer, wenn ich mich von Anfang nur verteidigte, und erst im vierten, fünften Gang ihm eine Schlappe gab.

Allgemeine Bewunderung folgte jedem Gang; man hatte noch nie so kühn und schnell angreifen, noch nie mit so vieler Ruhe und Kaltblütigkeit sich verteidigen sehen. Meine Fechtkunst wurde von den ältesten »Häusern« bis in den Himmel erhoben und man war nun gespannt und begierig, bis ich selbst angreifen würde; doch wagte es keiner, mich dazu aufzumuntern.

Vier Gänge waren vorüber, ohne daß irgendwo ein Hieb blutig gewesen wäre. Ehe ich zum fünften aufmarschierte, zeigte ich meinen Kameraden die Stelle auf der rechten Wange, wohin ich meinen Theologen treffen wolle. Dieser mochte es mir ansehen, daß ich jetzt selbst angreifen werde, er legte sich so gedeckt als möglich aus und hütete sich, selbst einen Angriff zu machen. Ich begann mit einer herrlichen Finte, der ein allgemeines Ah! folgte, schlug dann einige regelmäßige Hiebe, und klapp! saß ihm mein Schläger in der Wange.

Der gute Theologe wußte nicht, wie ihm geschah, mein Sekundant und Zeuge sprangen mit einem Zollstab hinzu, maßen die Wunde und sagten mit feierlicher Stimme: »Es ist mehr als ein Zoll, klafft und blutet, also Ansch–ß«; das hieß soviel als: weil ich dem guten Jungen ein zollanges Loch ins Fleisch gemacht hatte, war seiner Ehre genug geschehen.

Jetzt stürzten meine Freunde herzu, die ältesten faßten meine Hände, die jüngeren betrachteten ehrfurchtsvoll die Waffe, mit welcher die in der Geschichte einzige und unerhörte Tat geschehen war; denn wer, seit des großen Renommisten Zeiten durfte sich rühmen, vorher die Stelle, die er treffen wollte, angezeigt und mit so vieler Genauigkeit getroffen zu haben?

Ernsten Blickes trat der Sekundant meines Gegners herein und bot mir in dessen Namen Versöhnung an. Ich ging zu dem Verwundeten, dem man gerade mit Nadel und Faden seine Wunde zunähte und versöhnte mich mit ihm.

»Ich bin Ihnen Dank schuldig«, sagte er zu mir, »daß Sie mich so gezeichnet haben. Ich wurde, ganz gegen meinen Willen, gezwungen, Theologie zu studieren; mein Vater ist Landpfarrer, meine Mutter eine fromme Frau, die ihren Sohn gerne einmal im Chorrock sehen möchte. Sie haben mit einem Mal entschieden, denn mit einer Schmarre vom Ohr bis zum Mund, darf ich keine Kanzel mehr besteigen.«

Die Burschen sahen teilnehmend auf den wackern Theologen, der wohl mit geheimer Wehmut an den Schmerz des alten Pastors, an den Jammer der frommen Mama denken mochte, wenn die Nachricht von diesem Unfall anlangte; ich aber hielt es für das größte Glück des Jünglings, durch eine so kurze Operation der Welt wieder geschenkt zu sein. Ich fragte ihn, was er jetzt anzufangen gedenke, und er gestand offen, daß der Stand eines Kavalleristen oder eines Schauspielers ihn von jeher am meisten angezogen hätte.

Ich hätte ihm um den Hals fallen mögen für diesen vernünftigen Gedanken, denn gerade unter diesen beiden Ständen zähle ich die meisten Freunde und Anhänger; ich riet ihm daher aufs ernstlichste, dem Trieb der Natur zu folgen, indem ich ihm die besten Empfehlungsbriefe an bedeutende Generale und an die vorzüglichsten Bühnen versprach.

Dem ganzen Personale aber, das dem merkwürdigen Duell angewohnt hatte, gab ich einen trefflichen Schmaus, wobei auch mein Gegner und seine Gesellen nicht vergessen wurden. Dem ehemaligen Theologen zahlte ich nachher in der Stille seine Schulden, und versah ihn, als er genesen war, mit Geld und Briefen, die ihm eine fröhliche, glänzende Laufbahn eröffneten.

Meine geheime Wohltätigkeit war so wenig, als der glänzende Ausgang meiner Affaire ein Geheimnis geblieben. Man sah mich von jetzt wie ein höheres Wesen an, und ich kannte manche junge Dame, die sogar über meine großmütigen Sentiments Tränen vergoß.

Die Mediziner aber ließen mir durch eine Deputation einen prachtvollen Schläger überreichen, weil ich mich, wie sie sich ausdrückten, »für den guten Geruch ihrer Anatomie geschlagen habe«.

Die Welt bleibt unter allen Gestalten die nämliche, die sie von Anfang war. Dem Bösen, selbst dem Unvernünftigen huldigt sie gerne, wenn es sich nur in einem glänzenden Gewande zeigt; die gute, ehrliche Tugend mit ihren rauhen Manieren und ihrem ungeschliffenen, rohen Aussehen wird höchstens Achtung, niemals Beifall erlangen.


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