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Der Fluch
Novelle
»Ich habe mich vergebens abgemüht, gnädige Tante«, sprach der junge Mann mit voller, wohltönender Stimme, »eine artige Novelle oder eine leichte, fröhliche Erzählung für diesen Abend zu ersinnen. Doch um nicht wortbrüchig zu erscheinen, muß ich schon den Fehler einigermaßen gutzumachen suchen. Wenn Sie erlauben, will ich etwas aus meinem eigenen Leben erzählen, das, wenn es nicht ganz den romantischen Reiz und den anziehenden Gang einer Novelle, doch immer den Wert der Wahrheit für sich hat.«
Die Tante bemerkte ihm gütig, daß die einfache Wahrheit oft größern Reiz habe, als die erfundene Spannung einer Novelle, ja sie gestand ihm, daß sie etwas sehr Interessantes erwarte, denn er sehe seit der Zurückkunft von seinen Reisen so geheimnisvoll aus, daß man auf seine Begebnisse recht gespannt sein dürfe.
Die älteren Damen lorgnettierten ihn aufmerksam, und gaben dieser Bemerkung vollkommen Beifall; der junge Mann aber hub an zu erzählen:
»Als ich vor fünf Jahren in diesem Saal von einer großen Gesellschaft, welche die Güte meiner Tante noch einmal um den Scheidenden versammelt hatte, Abschied nahm, warnten mich einige Damen – wenn ich nicht irre, war Frau von Wollau mit davon – vor den schönen Römerinnen, vor ihren feurigen, die Herzen entzündenden Blicken. Ich nahm ihre Warnung dankbar an, noch kräftigeren Schutz aber versprach ich mir von jenen holden blauen Augen, von jenen freundlichen vaterländischen Gesichtchen, von all den lieblichen Bildern, die ich in feinem und treuem Herzen aufbewahrt, mit über die Alpen nahm.
Und sie schützten mich, diese Bilder, gegen jene dunkeln Feuerblicke der Römerinnen, wie sie aber vor sanften blauen Augen, welche ich dort sah, sich unverantwortlich zurückzogen, wie sie mein armes, unbewahrtes Herz ohne Bedeckung ließen, will ich als bittere Anklage erzählen.
Der s . . . . sche Gesandte am päpstlichen Hofe hatte mir in der Karwoche eine Karte zu den Lamentationen in der Sixtinischen Kapelle geschickt; mehr, um den alten Herrn, der mir schon manche Gefälligkeit erwiesen hatte, nicht zu beleidigen, als aus Neugierde, entschloß ich mich, hinzugehen. Ich war nicht in der besten Laune, als es Abend wurde, statt einer lustigen Partie, wozu mich deutsche Maler geladen, sollte ich einen Klaggesang mit anhören, der mir schon an und für sich höchst lächerlich vorkam.
Nie hatte ich mich nämlich von der Heiligkeit solcher Ritualien überzeugen können, selbst in dem ehrwürdigen Kölner Dom, wo die hohen Gewölbe und Bogen, das Dunkel des gebrochenen Lichtes, die mächtigen vollen Töne der Orgel manchen andern ernster stimmen mögen, konnte ich nur über die Macht der Täuschung staunen.
Meine Stimmung wurde nicht heiliger als ich an das Portal der Sixtinischen Kapelle kam. Die päpstliche Wache, alte, ausgediente schneiderhafte Gestalten, hielten hier Wache mit so meisterlicher Grandezza, als nur die Cherubim an der Himmelstüre. Der Glanz der Kerzen blendete mich, da ich eintrat, und stach wunderbar ab gegen den dunklen Chor, in das die Finsternis zurückgeworfen schien. Nur der Hochaltar war dort von dreizehn hohen Kerzen erleuchtet.
Ich hatte Muße genug, die Gesichter der Gesellschaft um mich her zu mustern. Ich bemerkte nur sehr wenige Römer, dagegen fast alles, was Rom an Fremden beherbergte.
Einige französische Marquis, berüchtigte Spieler, einige junge Engländer von meiner Bekanntschaft, standen ganz in meiner Nähe. Sie zogen mich auf, daß auch ich mich habe verführen lassen, dem Spectacle, wie sie es nannten, beizuwohnen; Lord Parter aber meinte, es seie dies wohl der Schönen zu Gefallen geschehen, die ich mitgebracht habe. Er deutete dabei auf eine junge Dame, die neben mir stand. Er fragte nach ihrem Namen und ihrer Straße, und schien sehr ungläubig, als ich ihm damit nicht dienen zu können behauptete.
Ich betrachtete meine Nachbarin näher; es war eine schlanke hohe Gestalt, dem Wuchs nach keine Römerin; ein schwarzer Schleier bedeckte das Gesicht und beinahe die ganze Gestalt, und ließ nur einen Teil eines Nackens sehen, so rein und weiß, wie ich ihn selten in Italien, beinahe nie in Rom gesehen hatte.
Schon pries ich im Herzen meine Höflichkeit gegen den alten Diplomaten, hoffend, eine interessante Bekanntschaft zu machen; wollte eben – da begann der Klaggesang und meine Schöne schien so eifrig darauf zu hören, daß ich nicht mehr wagte, sie anzureden. Unmutig lehnte ich mich an eine Säule zurück, Gott und die Welt, den Papst und seine Lamentationen verwünschend.
Unerträglich war mir der monotone Gesang. Denken Sie sich, sechzig der tiefsten Stimmen, die unisono, im tiefsten Grundton der menschlichen Brust, Bußpsalmen murmeln. Der erste Psalm war zu Ende, eine Kerze auf dem Altar verlöschte. Getröstet, die Farce werde ein Ende haben, wollte ich eben den jungen Lord anreden, als von neuem der Gesang anhub.
Jener belehrte mich zu meinem großen Jammer, daß noch alle zwölf übrigen Kerzen verlöschen müssen, bis ich ans Ende denken könne. Die Kirche war geschlossen und bewacht, an ein Entfliehen war nicht zu denken. Ich empfahl mich allen Göttern, und gedachte einen gesunden Schlaf zu tun. Aber wie war es möglich? Wie Strahlen einer Mittagssonne strömten die tiefen Klänge auf mich zu. Zwei bis drei Kerzen verlöschten, meine Unruhe ward immer größer.
Endlich aber, als die Töne noch immer fortwogten, drangen sie mir bis ins innerste Mark. Das Erz meiner Brust schmolz vor den dichten Strahlen, Wehmut ergriff mich, Gedanken aus den Tagen meiner Jugend stiegen wie Schatten vor meiner Seele auf, unwillkürliche Rührung bemächtigte sich meiner, und Tränen entstürzten seit Jahren zum erstenmal meinem Auge.
Beschämt schaute ich mich um, ob doch keiner meine Tränen gesehen. Aber die Spieler, wunderbarer Anblick! lagen zerknirscht auf ihren Knieen, der Lord und seine Freunde weinten bitterlich. Zwölf Kerzen waren verlöscht. Noch einmal erhoben sich die tiefen, herzdurchbohrenden Töne, zogen klagend durch die Halle, immer dumpfer, immer leiser verschwebend. Da verlöschte die letzte Kerze, und zugleich mit das Feuermeer der Kirche, und bange Schatten, tiefe Finsternis drang aus dem Chor, und lagerte sich über die Gemeine. Mir war, als war ich aus der Gemeinschaft der Seligen hinausgestoßen in eine fürchterliche Nacht.
Da tönten aus des Chores hintersten Räumen, süße klagende Stimmen. Was jenes tiefe, schauerliche Unisono unerweicht gelassen, zerschmolz vor diesem hohen Dolce der Wehmut. Rings um mich das Schluchzen der Weinenden, vom Chor herüber Töne, wie von gerichteten Engeln gesungen, glaubte ich nicht anders, als in einer zernichteten Welt mit unterzugehen und zu hören, der Glaube an Unsterblichkeit sei Wahn gewesen.
Der Gesang war verklungen, Fackeln erhellten die Szene, die Menge ergoß sich durch die Pforten und auch ich gedachte mich zum Aufbruch zu rüsten, da gewahrte ich erst, daß meine schöne Nachbarin noch immer auf den Knien niedergesunken lag. Ich faßte mir ein Herz.
›Signora‹, sprach ich, ›die Tore werden geschlossen, wir sind die letzten in der Kapelle.‹
Keine Antwort. Ich faßte ihre Rechte, die auf der Seite niederhing, sie war kalt und ohne Leben. Sie lag in Ohnmacht.
Ich befand mich in sonderbarer Lage. Die Nacht war schon weit vorgerückt; nur noch einige Flambeaux zogen durch die Kirche, ich mußte alle Augenblicke befürchten, vergessen zu werden. Ich besann mich nicht lange, rief einen der Fackelträger herbei, um mit seiner Hülfe die Dame aufzurichten.
Wie ward mir, als ich den Schleier aufschlug. Der düstere Schein der halbverlöschten Fackel fiel auf ein Gesicht, wie ich es auch auf den herrlichsten Kartons von Raffael nie gesehen! glänzendbraune Locken hatten sich aufgelöst und fielen herab bis in den verhüllten Busen und umzogen das liebliche Oval ihres Angesichtes, auf dem sich eine durchsichtige Blässe gelagert hatte. Die schönen Bogen der Brauen versprachen ein ernstes, vielleicht etwas schelmisches Auge, und den halbgeöffneten Mund, umkleidet mit den weißesten Perlen, konnte Gram, konnte Scherz so gezogen haben.
Als wir sie aufrichten wollten, schlug sie das herrliche, blaue Auge auf, dessen eigener, schwärmerischer Glanz mich so überraschte, daß ich einige Zeit mich zu sammeln nötig hatte. Sie richtete sich plötzlich auf, stand nun in ihrer ganzen Schöne mir gegenüber. Welch zarte Formen bei so vielem Anstand, bei so ungewöhnlicher Höhe des Wuchses. Sie schaute verwundert in der Kirche umher, ließ dann ihre Blicke auf mich herübergleiten:
›Und Sie hier, Otto?‹ sprach sie, nicht italienisch, nein, in reinem, wohlklingendem Deutsch.
Wie war mir doch so wunderbar! sie sprach so bekannt zu mir, ja sogar meinen Namen hatte sie genannt; woher konnte sie ihn wissen? – Sie schien verwundert über mein Schweigen.
›Nicht bei Laune, Freund? und doch haben Sie mich so freundlich unterstützt? Doch! lassen Sie uns gehen, es wird spät.‹
Sie hatte recht. Die Fackel drohte zu verlöschen. Ich gab ihr den Arm. Sie drückte zärtlich meine Hand.
Was sollte ich denken, was sollte ich machen? Betrug von ihr war nicht möglich – das Mädchen konnte keine Dirne sein. Verwechslung war offenbar. Aber sie wußte mich bei meinem Namen zu nennen, sie war so ohne Arg. – Ich wagte es – ich übernahm die Rolle eines verstimmten Verehrers, und schritt schweigend mit ihr durch die Hallen.
Am Portal geht mein Jammer von neuem an. Welche Straße sollt ich wählen, um nicht sogleich meine wahre Unbekanntschaft zu verraten? Ich nahm allen meinen Mut zusammen, und schritt auf die mittlere Straße zu.
›Mein Gott‹, rief sie aus, und zog meinen Arm sanft seitwärts, ›Otto, wo sind Sie nur heute, hier wären wir ja an die Tiber gekommen.‹
Oh! wie hörte ich so gerne diese Stimme! Wie lieblich klingt unsere Sprache in einem schönen Munde. Schon oft hatte ich die Römerinnen beneidet, um den Wohllaut ihrer Töne; hier war weit mehr, als ich je in Rom gehört; es mußte offenbar ein deutsches Mädchen sein, ich sah es aus allem, und doch so reine, runde Klänge ihrer Sprache! Als ich noch immer schwieg, brach sie in ein leises Weinen aus. Ihr tränendes Auge sah mich wehmütig an, ihre Lippen wölbten sich, wie wenn sie einen Kuß erwarteten.
›Bist du mir nicht mehr gut, mein Otto? Ach könntest du mir zürnen, daß ich die Lamentationen hörte? Oh! zürne mir nicht. Doch du hast recht, wäre ich lieber nicht hingegangen. Ich glaubte Trost zu finden, und fand keinen Trost, keine Hoffnung. Alle meine Lieben schienen dem Grab entstiegen, schienen über die Alpen zu wehen, und mit Tönen der Klage mich zu sich zu rufen. Wie bin ich so allein auf der Erde‹, weinte sie, indem ihr blaues Auge in das nächtliche Blau des Himmels tauchte, ›wie bin ich so allein – und wenn ich dich nicht hätte, mein Otto.‹ –
Meine Lage grenzte an Verzweiflung, das schönste, lieblichste Kind im Arme, und doch nicht sagen können, wie ich sie liebte! Als ihre Tränen noch nicht aufhören wollten, flüsterte ich endlich leise: ›Wie könnte ich dir zürnen?‹
Sie schaute freudig dankbar auf – ›Du bist wieder gut? und oh! wie siehst du heute doch gar nicht so finster aus, auch deine Stimme klingt heute so weich! Sei auch morgen so, und laß nicht wieder einen ganzen langen Tag auf dich warten.‹
Sie näherte sich einem Haus und blieb davor stehen, indem sie die Glocke zog. ›Und nun gute Nacht, mein Herz‹, sagte sie, ›wie gerne säß ich noch zu dir auf die Bank, aber die Signora wartet wohl schon zu lange.‹ Ich wußte nicht wie mir geschah, ich fühlte einen heißen Kuß auf meinen Lippen und weg war sie.
Ich merkte mir die Nummer des Hauses, aber die Straße konnte ich nicht erkennen. Nur einen Brunnen, und gegenüber von ihrem Haus eine Madonna in Stein gehauen, konnte ich als Zeichen für die Zukunft anmerken. Ich wand mich mit unsäglicher Mühe durch das Gewirre der Straßen und war doch nicht froh, als ich endlich mein Haus erreichte. Bis an den lichten Morgen kein Schlaf. Zuerst ließ mich der Mond nicht schlafen, der mich durchs Fenster herein angrinste, und als ich die Gardine vorzog, schien gar der Engelkopf des Mädchens hereinzublicken; mitunter zogen auch die Lamentationen durch meinen wirren Kopf, und ich verwünschte endlich ein Abenteuer, das mich eine schlaflose Nacht kostete.
Sehr frühe am andern Morgen traten Lord Parter und einer seiner Freunde bei mir ein. Sie wollten mir begegnet sein, als ich meine rätselhafte Schöne zu Haus brachte, und schalten mich neckend, daß ich sie gestern gänzlich verleugnet habe. Als ich ihnen mein Abenteuer, dem größern Teil nach, erzählte, wurden sie noch ungestümer und behaupteten, mich deutlich schon mehreremal mit derselben Dame gesehen zu haben. Immer klarer ward mir, daß irgendein Dämon sich in meine Gestalt gehüllt habe, da ja auch das Mädchen mich so genau zu kennen schien, und ich war nicht minder begierig, das liebe Mädchen, als das leibhafte Konterfei meiner Gestalt zu Gesicht zu bekommen. Die beiden Engländer mußten mir Stillschweigen geloben, indem ich mich vor dem Spott meiner Bekannten fürchtete, zugleich versprachen sie auch, mir suchen zu helfen.
Nach langem Umherirren, wobei wir tausend Lügen ersinnen mußten, um die erwachende Neugierde unserer Freunde zu täuschen, fanden wir endlich in dem entlegensten Winkel der Stadt jene Merkzeichen, die Madonna und den Brunnen. Ich sah das Haus der Holden, ich sah die Bank an der Türe, auf welcher ich hätte selig werden sollen, aber hier ging auch unser Weg zu Ende. Als Fremde hätten wir zu viel gewagt, so weit entfernt von den uns bekannten Straßen, unter einer Menschenklasse, die besonders den Engländern so gram ist, uns in ein fremdes Haus einzudrängen. Wir zogen mehreremal durch die Straße, immer war die Türe verschlossen, immer die Fenster neidisch verhängt. Wir verteilten uns, bewachten tagelang die Promenaden, weder meine Schöne noch mein Ebenbild ließen sich sehen.
Geschäfte riefen mich in dieser Zeit nach Neapel. So angenehm mir sonst diese Reise gewesen wäre, so war sie mir in meiner gegenwärtigen Spannung höchst fatal. Unaufhörlich verfolgte mich das Bild des Mädchens, im Traum wie im Wachen hörte ich die liebliche Stimme flüstern. Hatten mich die Gesänge in der Kapelle so weich gestimmt, hatte das flüchtige Bild der Schönen vermocht, was der Geist und die Schönheit so mancher andern nicht über mich vermochte?
Unruhig reiste ich ab. Die Reise, so viele abwechselnde Gegenstände, die ernsten Geschäfte, der Reiz der Gesellschaft, nichts gab mir meine Ruhe wieder.
Es war die Zeit des Karnevals, als ich nach Rom zurückkehrte. Durfte ich hoffen, im Gewühle der Menge den Gegenstand meiner Sehnsucht herauszufinden? Meine englischen Freunde waren abgereist, ich hatte niemand mehr dem ich mich vertrauen mochte. Ohne Hoffnung hatte ich mehrere Tage verstreichen lassen, ich war nicht zu bewegen, mich unter die Freuden des Karnevals zu mischen.
Wie erstaunte ich aber, als mich am Morgen des vierten Tages der Karnevalswoche der Gesandte fragte, wie ich mich gestern ›amüsiert‹ habe. Ich sagte ihm, ich sei nicht im Korso gewesen. Er erstaunte, behauptete, mich von seinem Wagen aus mit einer Dame am Arm gesehen und begrüßt zu haben. Er schwieg etwas beleidigt, als ich es wieder verneinte. Aber plötzlich kam mir der Gedanke, wie wenn es die Gesuchten wären? – Man war in allen Zirkeln sehr gespannt auf diesen Abend. Ein prachtvoller Maskenzug, worin Damen aus den edelsten römischen Häusern eine Rolle übernommen hatten, sollte das Karneval verherrlichen. Ich gab dem Drängen meiner Bekannten nach und ging mit in den Korso.
Erwarten Sie von mir keine Beschreibung dieses Schauspiels. Zu jeder andern Zeit würde ich ihm alle meine Aufmerksamkeit geschenkt haben, nicht nur weil es mir als Volksbelustigung sehr interessant gewesen wäre, sondern weil sich der Charakter der Römer gerade hier am meisten aufdeckt. Aber wenn ich sage, daß von dem ganzen Abend, von allen Herrlichkeiten des Korso nur noch ein Schatten in meiner Erinnerung geblieben und nur ein heller Stern aus dieser Nacht auftaucht, so werden Sie vergeben, wenn ich über das interessante Schauspiel Ihre Neugierde nicht zur Genüge befriedige.
Die lange, enge Straße war schon gefüllt, als wir durch die Porta del popolo hereintraten; unabsehbar wogten die Wellen der Menge durcheinander; und das Auge gleitete unbefriedigt darüber hinweg, weil es unter der Mischung der grellsten Farben keinen Punkt fand, der es festhielt. Die Erwartung war gespannt. Überall hörte man von dem Maskenzug reden, der sich nun bald nahen müsse. Ein rauschendes Beifallrufen drang jetzt von dem Obelisken auf der Piazza herüber und verkündete die Auffahrt der Masken. Alle Blicke richteten sich dorthin. Von den Balkons und Gerüsten herab wehten ihnen Tücher und winkten schöne Hände entgegen, indem die Equipagen sich in die Seiten drängten, um den Wagen des Zuges Platz zu machen. Er nahte. Gewiß ein herrlicher Anblick. Die Götter der alten Roma schienen wieder in die alten Mauern eingezogen zu sein, um ihren Triumph zu feiern. Liebliche, majestätische Gruppen! Welch herrliche Umrisse in den Gestalten des Apoll und Mars, wie lieblich Venus und Juno, und man konnte es nicht für Unbescheidenheit halten, sondern mußte gerade hierin den schönsten Triumph finden, wenn das Volk mit Ungestüm den Göttinnen zurief, die Masken abzunehmen. Unendlich wurde aber der Beifall, als die Gräfin Parvi, die edlen Formen des Gesichtes unverhüllt, als Psyche sich nahte! Wahrlich, dieser liebliche Ernst, diese sanfte Größe hätten einen Zeuxis und Praxiteles begeistern können.
Der Abend nahte heran, man rüstete sich, die Gerüste zu besteigen, weil das Pferderennen beginnen sollte. Ich stand ziemlich verlassen auf der Straße, musternd mit sehnsüchtigen Blicken die Galerien und Balkone, ob meine Schöne nicht darauf zu treffen sei. Plötzlich fühlte ich einen leisen Schlag auf die Schulter. ›So einsam?‹ tönte in der lieben Muttersprache eine süße Stimme in mein Ohr. Ich sah mich um. Eine reizende Maske, in der Kleidung einer Tirolerin, stand hinter mir. Durch die Höhlen der Maske blitzten jene blauen Augen, die mich damals so sehr überraschten. Sie ist's – es ist kein Zweifel. Ich bot ihr schweigend die Hand, sie drückte sie leise. ›Du böser Otto‹, flüsterte sie, ›den ganzen Abend habe ich dich vergebens gesucht. Wie mußte ich schwatzen, um die Signora loszuwerden!‹
Die Wache rückte die Straße herab. Es war hohe Zeit, die Galerien zu suchen. Ich deute hinauf, sie gab mir ihren Arm, sie folgte. Ein heimliches Plätzchen hinter einer Säule bot sich dar, sie wählte es von selbst. Karneval, Pferderennen, alle Schönheiten Roms waren für mich verloren, als mein stiller Himmel sich öffnete, als sie die Maske abnahm. Noch lieblicher, noch unendlich schöner war sie als an jenem Abend. Die zarte Blässe, die sie damals aus der Kapelle brachte, war einer feinen, durchsichtigen Röte gewichen; das Auge strahlte noch von höherem Glanz als damals, und der tiefe, beinahe wehmütige Ernst der Züge, wie sie sich mir damals zeigte, war durch ein Lächeln gemildert, das fein und flüchtig um die zarten Lippen wehte.
Sie heftete wieder einige Minuten schweigend ihr Auge auf mein Gesicht, strich mir spielend die Haare aus der Stirne, und rief dann plötzlich: ›Jetzt bist du's wieder ganz! ganz wie an jenem Abend in der Kapelle, den du mir so hartnäckig leugnest! Gestehst du ihn deiner Luise noch nicht?‹
Welche Pein! was sollte ich sagen? da fiel plötzlich das Signal, die Pferde rannten durch den Korso. Meine Schöne bog den Kopf abwärts, und ich, meiner Sinne kaum mächtig, flüchtete hinter die nächste Säule, um nicht im Augenblick vor dem arglosen Mädchen als ein Tor, oder noch etwas Schlimmeres zu erscheinen. Und was war ich auch anders, wenn ich mich selbst recht ernstlich fragte? Was wollte ich von dem Mädchen, was konnte ich von ihr wollen? Und war nicht eine so weit getriebene Neugierde Frevel?
Während ich noch so mit mir selbst kämpfte, ob es nicht ehrlicher sei, ein Abenteuer aufzugeben, dessen Ende nur ein törichtes sein könnte, bemerkte ich, daß meine Stelle schon wieder besetzt sei. Ich schlich näher herzu, um wenigstens zu hören, wer der Glückliche sei, da ich ihn, ohne meine unbescheidene Nähe zu verraten, nicht sehen konnte.
›Wie magst du nur so zerstreut fragen‹, sagte Luise, ›du selbst hast mich ja heraufgeführt.‹
›Ich hätte dich geführt, der ich diesen Augenblick erst zu dir trete? Gestehe, du betrügst mich: wer hat dich hergeleitet?‹
Mit befangener Stimme, dem Weinen nahe, beharrte sie auf dem, was sie vorhin sagte. ›Du bist auch wie unser Wetter über den Alpen, soeben noch so freundlich, und jetzt so kalt, so finster.‹
Jener stand schnell auf: ›Ich bin nicht gestimmt, meine Gnädige, das Ziel Ihrer Scherze zu sein‹, sagte er, ›und wenn Sie sich in Rätsel vertiefen, wird meine Gesellschaft Ihnen lästig werden.‹ Er brach auf und wollte gehen. Ich konnte die Leiden der Armen nicht mehr verlängern, trat hervor hinter der Säule, um mich als Auflösung des Rätsels zu zeigen. Aber wie ward mir! Meine eigene Gestalt, mein eigenes Gesicht glaubte ich mir gegenüber zu sehen. Die überraschende Ähnlichkeit –«