Wilhelm Hauff
Mitteilungen aus den Memoiren des Satan
Wilhelm Hauff

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3. Ein Schabbes in Bornheim

Der einzige Zweifel, der den seufzenden Dessauer noch quälte, war die Furcht, den Vater seiner Geliebten in bedeutenden Verlust zu stürzen, wenn er seine Operation nach meinem Plane einrichte. Doch auch dafür wußte ich ein gutes, sehr einfaches Mittel. Er mußte den Herrn Simon in der neuen Judenstraße auf seine Seite bringen, mußte ihm bedeutende Winke von der nahenden Krisis geben; entweder nahm dann der Jude an dem ganzen Unternehmen unbewußt teil und gewann zugleich mit dem Dessauer, oder, er war wenigstens gewarnt und mußte einige Achtung vor einem Mann bekommen, der so genau die politischen Wendungen zu berechnen wußte, der seine Kombinationen so geschickt zu machen verstand.

Dem Kaufmann leuchtete dies ein. Er kam von selbst auf den Gedanken, noch an diesem Tage mit dem alten Simon zu sprechen, und lud mich ein, mit ihm nach Bornheim zu fahren, wo der Schabbes heute die noble Welt des alten Judenquartiers, der neuen Judenstraße, überhaupt alle Stämme Israels versammelt habe.

Wir fuhren hinaus; der Seufzer schien ein ganz anderer Mensch geworden zu sein. Sein trübseliges Gesicht leuchtete freundlich vom Glanze der Hoffnung, sein Auge hob sich freier, um seine Stirne, seinen Mund war jede Melancholie verschwunden, sein großer runder Kopf steht nicht mehr zwischen den Schultern, er trägt ihn freier, erhabener, als wollte er sagen: »Seht ihr Frankfurter und Bornheimer, ich bin es, das Haus Zwerner und Comp. aus Dessau, nächstens eine bedeutende Person an der Börse, und wenn es gut geht, Bräutigam der schönen Rebekka Simon in der neuen Judenstraße!«

Aus dem Garten des Goldenen Löwen in Bornheim tönten uns die zitternden Klänge von Harfen und Gitarren, und das Geigen verstimmter Violinen entgegen; das Volk Gottes ließ sich vormusizieren im Freien, wie einst ihr König Saul, wenn er übler Laune war. Wir traten ein; da saßen sie, die Söhne und Töchter Abrahams, Isaaks und Jakobs, mit funkelnden Augen, kühn gebogenen Nasen, fein geschnittenen Gesichtern, wie aus einer Form geprägt, da saßen sie vergnügt und fröhlich plaudernd, und tranken Champagner aus saurem Wein, Zucker und Mineralwasser zubereitet, da saßen sie in malerischen Gruppen unter den Bäumen, und der Garten war anzuschauen, als wäre er das gelobte Land Kanaan, das der Prophet vom Berge gesehen, und seinem Volk verheißen hatte. Wie sich doch die Zeiten andern durch die Aufklärung und das Geld!

Es waren dies dieselben Menschen, die noch vor dreißig Jahren keinen Fuß auf den breiten Weg der Promenade setzen durften, sondern bescheiden den Nebenweg gingen; dieselben, die den Hut abziehen mußten, wenn man ihnen zurief: »Jude, sei artig, mach dein Kompliment!« Dieselben, die von dem Bürgermeister und dem Hohen Rat der freien Stadt Frankfurt jede Nacht eingepfercht wurden in ihr schmutziges Quartier. Und wie so ganz anders waren sie jetzt anzuschauen. Überladen mit Putz und köstlichen Steinen saßen die Frauen und Judenfräulein; die Männer, konnten sie auch nicht die spitzigen Ellbogen und die vorgebogenen Knie ihres Volkes verleugnen, suchten sie auch umsonst den ruhigen, soliden Anstand eines Kaufherrn von der Zeile oder der Million zu kopieren, die Männer hatten sich sonntäglich und schön angetan, ließen schwere goldene Ketten über die Brust und den Magen herabhängen, streckten alle zehn Finger, mit blitzenden Solitairs besteckt, von sich, als wollten sie zu verstehen geben: »Ist das nicht was ganz Solides? Sind wir nicht das auserwählte Volk? Wer hat denn alles Geld, gemünzt und in Barren, als wir? Wem ist Gott und Welt, Kaiser und König schuldig, wem anders als uns?«

»Dort sitzt sie, die Taube von Juda, dort sitzt sie, die Gazelle des Morgens«, rief der Seufzer in poetischer Ekstase, und zerrte mich am Arm; »schauen Sie dort, unter dem Zelt von hölzernem Gitterwerk. Der mit dem runden Leib, der langen Nase und den grauen Löckchen am Ohr, ist der Vater, Herr Simon aus der neuen Judenstraße, die dicke Frau rechts mit den schwarzseidenen Locken und dem rotbraunen Gesicht ist die Tante; eine fatale Verwandtschaft, aber man weiß sich in Zukunft zu separieren nach und nach.«

»Aber wo ist denn die Gazelle, die Taube, ich sehe sie noch nicht –«

»Geduld, noch bedeckt die neidische Wolke, die Tante, das Gestirn des Aufgangs; fassen wir ein Herz, treten wir näher. Doch eben fällt mir bei, ich muß Sie vorstellen; wie nenne ich Sie, mein lieber Freund und Ratgeber?«

»Ich bin der k. k. Legationsrat Schmälzchen aus Wien«, gab ich ihm zur Antwort, »reise in Geschäften meines Hofes nach Mainz.«

»Ah«, rief er, nachdem er schon bei dem kaiserlich-königlich an den Hut gegriffen hatte, »Le-Legationsrat, wirklicher, und nicht bloß Titular ums liebe Geld? Das freut mich, Dero werte Bekanntschaft zu machen. Hätte es mir gleich vorstellen können, Sie haben einen gar tiefen Blick in die Staatsaffären. Wahrhaftig, hätte es Ihnen gleich ansehen können; haben so etwas Diplomatisches, Kabinettsmäßiges in Dero Visage.«

»Bitte, bitte, keine Komplimente. Gehen wir zum Juden, ich hoffe Ihnen nützlich sein zu können.«

Wir traten zu dem Zelt aus hölzernem Gitterwerk. Mein Begleiter errötete tiefer, je näher er trat; seine Wangen liefen vom Hellroten ins Dunkelrote, von da ins bläulich Schattierte an, und als wir vor dem Herrn Simon standen, war er anzusehen wie eine schöne dunkelrote Herzkirsche. Die Tante, »das neidische Gewölk«, erhob sich, und nun ward auch das Gestirn des Morgens sichtbar. Das Schickselchen, die Kalle, ich meine Rebekka des Juden Tochter, war nicht übel. – Sie hatte, um mich wie Graf Rebs auszudrücken, viel Race und ihre Augen konnten den Seufzer wohl bis aufs Herz durchbrennen, obgleich er zur Vorsicht und aus Eleganz drei Westen angetan hatte.

Nachdem mich mein Freund, der als solides Haus aus Dessau bei der Familie wohlgelitten schien, vorgestellt hatte, machte er sich an die Taube von Juda, und überließ es mir, den alten Simon zu unterhalten. Mein Titel schien ihm einigen Respekt eingeflößt zu haben. »Haben da ein schönes Fach erwählt, Herr von Schmälzlein«, bemerkte er wohlgefällig lächelnd; »habe immer eine Inklination für die Diplomatik gehabt, aber die Verhältnisse wollten es nicht, daß ich ein Gesandter oder dergleichen wurde. Man weiß da gleich alles aus der ersten Hand; man kann viel komplizieren und dergleichen; was ließen sich da für Geschäfte machen!«

»Sie haben recht, mein Herr! Man lernt da die verwickeltsten Verhältnisse kennen. Allein aber schauen S', das Ding hat auch seinen Haken. Man weiß oft eigentlich zu viel, es geht einem wie ein Rad im Kopf umher.«

Der Jude rückte näher. Mit einem Wiener Diplomaten, mochte er denken, nehme ich es auch noch auf. »Zeviel?« sagte er; »ich für meinen Teil kann nie zeviel wissen. Was die Papiere betrifft, da kann ein Fingerzeig, ein halber, ein Viertelsgedanke oft mehr tun, als eine lange Rede im Frankfurter Museum. Nu, Sie stehen solide in Wien. Ihr Staat ist ein gemachtes Haus trotz einem; was der Herr von M. auf dem Flageolett vorpfeift, das singen die Staren nach.«

»Die Staren vielleicht, aber nicht die Zaren!«

»Gut, très bien bon! gut gegeben, hi! hi! hi! apropos, wissen Sie Neues aus daher?« Er rückte mir schon näher und wurde verfänglicher.

»Herr Simon«, sagte ich mit Artigkeit ausweichend, »Sie wissen, es gibt Fälle –«

»Wie!« rief er erschrocken, »Gotts Wunder! Neue Fallissements, waas! ist nicht die Krisis vom letzten Winter schon ein Strafgericht des Herrn gewesen? Waas?«

»Um Jottes willen, Papa!« schrie Rebekka, indem sie den Arm des zärtlichen Seufzers zurückstieß und aufsprang, »doch kein Unglück? Mein Jott! doch nich hier in Frankfort?«

»Beruhigen Sie sich doch, gnädiges Fräulein, ich sprach mit Ihrem Herrn Papa über Politik, und rechnete einige Fälle auf, und er hat mich holter nicht recht verstanden.«

Sie preßte mit einem zärtlichen, hinsterbenden Blick auf den erschrockenen Dessauer, ihre Hand auf das Herz und atmete tief. »Nee! was ich erschrocken bin jeworden, da machen Sie sich keenen Bejriff von!« lispelte sie. »Mein Herz pocht schrecklich! Na, erzählen Sie man weiter; was sachte der Graf? Sie hätten ins Parterre jestanden und wären melancholisch jewesen?«

Das Geflüster der Liebenden wurde leiser und leiser; die Blicke des Seufzers wurden feuriger, er zog als »das Gewölke« ein wenig im Garten auf und ab ging, die niedliche Hand der Jüdin an die Lippen und gestand ihr, wenn ich anders recht gehört habe, daß nächstens die Metalliques und die . . . . . . um drei Prozente steigen werden.

»Herr von Schmälzlein!« sagte der Alte, nachdem er einigen koscheren Wein zu sich genommen, »Sie haben mir da einen Schreck in den Leib gejagt, den ich nie vergesse. Fallen, Fälle, wie kann man auch nur dies Wort in Gesellschaft aussprechen!! Nun, Sie wollten sagen?«

»Es gibt Affären«, fuhr ich fort, »wo der Diplomat schweigen muß. Über das Nähere meiner Sendung z. B. werden Sie selbst mich nicht befragen wollen; nur so viel kann ich Ihnen aber, mein Herr Simon, im engsten Vertrauen! –«

»Der Gott meiner Väter tue mir dies und das!« rief er feierlich; »so ich nur meinem Nachbar oder seinem Weib, oder seinem Sohn, oder seiner Tochter das Geringste –«

»Schon gut! ich traue auf Ihre Diskretion; kurz, so viel kann ich Ihnen sagen, daß nächstens eine bedeutende Krisis eintreten wird; ganz zu allernächst. Für oder gegen wen darf ich nicht sagen; doch Herr von Zwerner –«

»Von Zwerner?«

»Nun, ich nenne ihn so, man weiß ja nicht, was geschieht; an ihn war ich besonders empfohlen vom Fürsten, und ich glaube, wenn ich anders richtig schließe, er muß in den nächsten Tagen Kuriere aus Wien bekommen.«

»Der Zwerner?! ei, ei! wer hätte das gedacht! Zwar ich sagte immer, hinter dem steckt etwas; geht so tiefsinnig, kalkulierend umher, hat wahrscheinlich nicht umsonst so unsinnig viele Metalliques gekauft; ei, sehe doch einer! Hält sich Kuriere mit Wien! Und, wenn man fragen darf, es handelt sich wohl um das Ultimatum mit der Pforte?«

»Ja.«

»Ei, darf man fragen? wie ist es ausgefallen? Hat er eingewilligt, der Effendi? Hat er?«

»Mein Herr Simon, ich bitte –«

»O ich verstehe, ich verstehe, Sie wollen es nicht sagen, aus Politik, aus Politik, aber er hat, er hat?«

»Trauen Sie auf nichts, ich warne Sie, auf keine Nachricht trauen Sie, als auf authentische. Der Herr dort weiß vielleicht mancherlei, und hat nicht das drückende Stillschweigen eines Diplomaten zu beobachten.«

»Ei, hätte ich das in meinem Leben gedacht, Kuriere von Wien, und der Zwerner aus Dessau; zwar er ist ein solides Haus, das ist keine Frage, aber denn doch nicht so außerordentlich. Ob sich wohl was mit ihm machen ließe?« setzte er tiefer nachsinnend hinzu, indem er seine Nase herunter gegen den Mund bog, und das lange Kinn aufwärts drückte, daß sich diese beiden reichen Glieder begegneten und küßten. Dies war der Moment, wo er anbeißen mußte, denn er nagte schon am Köder. Ich gab dem Seufzer aus Dessau einen Wink, sich dem Papa zu nähern, und nahm seinen Platz bei der Gazelle des Morgenlandes ein.


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