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Novelle
(Fortsetzung)
Man kann sich denken, daß ich in Rom immer viele Geschäfte habe. Die heilige Stadt hatte immer einen Überfluß von Leuten, die in der ersten, zweiten oder dritten Abstufung mein waren.
Man wird sich wundern, daß ich eine Klassifikation der guten Leute (von anderen Sünder genannt) mache; aber, wer je mit der Erde zu tun hatte, hat den Menschen bald abgelernt, daß nur das Systematische mit Nutzen bei ihnen betrieben werden könne. Es ist dies besonders in Städten wie Rom, unumgänglich notwendig; wo so vielerlei Nüanzen guter Leute vom roten Hut bis auf die Kapuze, vorn Fürsten, der die Macht hat, Orden zu verleihen, bis auf den Armen, dem solche um dreißig Taler angeboten werden, sich vorfinden, da muß man Klassen haben. Ich werde in der Bibel und von den heutigen Philosophen als das negierende Prinzip vorgestellt, daher teilte ich meine guten Leute ein, in: 1. Klasse, mit dem Prädikat »recht gut«, solche, die geradehin verneinen; als da sind: Freigeister, Gottesleugner, etc. 2. Klasse, »gut«. Sie sagen mit einigem Umschweif nein; gelten unter sich für Heiden, bei Vernünftigen für liberale Männer, bei der Menge für fromme Menschen. In dieser Klasse befinden sich viele Türken und Pfaffen. Die dritte Klasse mit dem Prädikat »mittelmäßig«, sind jene, die ihr »Nein« nur durch ein Kopfschütteln andeuten. Es sind jene, die sich selbst für eine Art von Gott halten, mögen sie nun Ablaß verkaufen, oder als evangelisch-mystisch-pietistische Seelen einen Separatfrieden mit dem Himmel abschließen; der letzteren gibt es übrigens in Rom wenige.
Es läßt sich annehmen, daß das Innere dieses Systems, die verschiedenen Übergänge der Klassen beinahe mit jedem Jahr sich ändern. Geld, Sitten, der Zeitgeist üben hier einen großen Einfluß aus, und machen beinahe alle zwei Jahre eine Reise an Ort und Stelle notwendig.
Als ich vor einiger Zeit auf einer solchen Visitationsreise in Rom verweilte, war ich Zeuge folgender Szenen, die ich aufzuzeichnen nicht unterlassen will, weil sie vielleicht für manchen Leser meiner Memoiren von Interesse sein möchten.
Ich ging eines Morgens unter den Säulengängen der Peterskirche spazieren, dachte nach über mein System und die Veränderungen, die ihm durch die Missionäre in Frankreich, und das Überhandnehmen der Jesuiten drohte, da stieß mir ein Gesicht auf, das schon in irgendeiner interessanten Beziehung zu mir gestanden sein mußte. Ich stand stille, ich betrachtete ihn von der Seite. Es war ein schlanker, schöner, junger Mann; seine Züge trugen die Spuren von stillem Gram; dem Auge, der Form des Gesichtes nach, war er kein Italiener – ein Deutscher, und jetzt fiel mir mit einem Male bei, daß ich ihn vor wenigen Monaten in Berlin, im Salon jener Dame gesehen hatte, die mir und dem Ewigen Juden einen ästhetischen Tee zu trinken gegeben hatte. Es war jener junge Mann, dessen anziehende Unterhaltung, dessen angenehme Persönlichkeit mir damals ein so großes Interesse eingeflößt hatten. Er war es, der uns damals eine Avantüre aus seinem Leben erzählt hatte, die ich für würdig fand, bei der Beschreibung jenes Abends mit aufzuzeichnen.
Ob ihn wohl die Liebe zu jener jungen Dame noch einmal in die heilige Stadt gezogen hatte? Ob ihm, wie mir, der düstere Himmel seines Landes und die süße Langeweile der ästhetischen Tees im Hause seiner Tante so drückend wurde, daß er sich unter eine südlichere Zone flüchtete? Ich beschloß seine Bekanntschaft zu erneuen, um über jenes interessante Begegnis, dessen Erzählung der Jude unterbrochen, um über ihn selbst, über seine Schicksale, etwas Näheres zu vernehmen. Er stand an einer Säule des Portals, den Blick fest auf die Türe gerichtet; fromme Seelen, schöne Frauen, junge Mädchen strömten aus und ein, ich sah, er blieb gleichgültig, wenigstens schien ihn keine dieser Gestalten zu interessieren. Endlich erscheint ein kleiner Florentiner Strohhut in der Türe; war es die Form dieses Hutes, waren es die weißen wallenden Federn, war es die einfache Rose, aus welcher dieser Busch hervorwallte, was dem jungen Mann so reizend, so bekannt dünkte? Noch konnte man weder Gestalt noch Gesicht der Dame sehen, aber seine Augen glänzten, ein Lächeln der erfüllten Hoffnung flog um seinen Mund, seine Wangen röteten sich, er richtete sich höher auf, und schaute unverwandt den Säulengang hin. Noch verdeckten zwei Pfaffen mit ihren Kapuzen die Nahende, jetzt bogen sie rechts ein, und ich sah ein holdes, süßes Wesen heranschweben.
Wer, wie ich, erhaben über jede Leidenschaft, die den Sterblichen auf der Erde quält, die Dinge betrachtet wie sie sind, nicht wie sie euch Liebe oder Haß, oder eure tausend befangenen Vorurteile schildern, dem ist eine solche seltene Erscheinung ein Fest, denn es ist etwas Neues, Originelles. Ich gedachte unwillkürlich jener Worte des jungen Mannes, wie er uns den Eindruck beschrieb, den der Anblick jener Dame zum erstenmal auf ihn machte, mit welchem Entzücken er uns ihr Auge beschrieb; – ich war keinen Augenblick im Zweifel, daß diese liebliche Erscheinung, die auf uns zukam, und jene rätselhafte Dame eine und dieselbe sei.
Ein glühendes Rot hatte die Züge des Jünglings übergossen. Er hatte den Hut gezogen, es war, als schwebte ihm ein Morgengruß, oder eine freundliche Rede auf den Lippen, und überrascht von der stillen Größe des Mädchens sei er verstummt. Auch sie errötete, sie schlug die Augen auf, als er sich verbeugte, sie warf einen fragenden Blick auf ihn, hielt einen kurzen Moment ihre Schritte an, als erwarte sie, von ihm angeredet zu werden; er schwieg, sie eilte bewegt weiter.
Der junge Mann sah ihr mit trüben Blicken nach, dann folgte er langsamen Schrittes; oft blieb er, wie in Gedanken verloren, stehen. Ich ging ihm einige Straßen nach, er trat endlich in ein Kaffeehaus, wo sich die deutschen Künstler zu versammeln pflegen. Hatte schon früher dieser Mensch und seine Erzählung meine Teilnahme erregt, so war ich jetzt, da ich Zeuge eines flüchtigen, aber so bedeutungsvollen Zusammentreffens gewesen war, um so neugieriger, zu erfahren, in welchem Verhältnis der Berliner zu dieser Dame stehe; daß es kein glückliches Verhältnis, kein gewöhnliches Liebesverständnis war, glaubte ich in ihren Mienen, in ihrem sonderbaren Benehmen gelesen zu haben.
Man wird sich erinnern, daß ich als hoffnungsvoller Zögling des Ewigen Juden, als Herr von Stobelberg die Bekanntschaft dieses Mannes machte. Daher trat ich in dieser Rolle in das Café. Der junge Herr saß in einem Fenster, und las in einem Brief. Ich wartete eine Weile, ob er wohl bald ausgelesen haben werde, um ihn dann anzureden, aber er las immer. Ich trat von der Seite hinter ihn, um nach dem Schluß dieses riesengroßen Briefes zu blicken – es waren wenige Zeilen von einer Frauenhand, die er, wie es schien, gedankenlos anstarrte.
»Habe ich die Ehre, Herrn von S. vor mir zu sehen?« fragte ich in deutscher Sprache, indem ich vor ihn trat.
»Der bin ich«, antwortete er, indem er den düsteren Blick von dem Brief auf mich schlug, und mein Kompliment durch ein leichtes Neigen des Hauptes erwiderte.
»Sie scheinen mich nicht mehr zu kennen; und doch war ich so glücklich, einmal einen Abend im Hause Ihrer Tante in Berlin zu genießen, den vorzüglich Ihre Unterhaltung, Ihre interessanten Mitteilungen mir unvergeßlich machen.«
»Im Hause meiner Tante?« fragte er, aufmerksamer werdend. »Wie, war es nicht ein höchst ennuyanter Tee? Waren nicht einige männliche Weiber und einige zartweibliche Herren zugegen? Ich erinnere mich, ich mußte etwas erzählen. Doch Ihr Name, mein Lieber, ist mir leider entfallen.«
»Baron von Stobelberg; ich reiste damals mit –«
»Ah – mit einem ganz sonderbaren Kauz von Hofmeister, jetzt erinnere ich mich ganz, er war so unglücklich, allen Damen, ohne es zu wollen, Sottisen zu sagen und überschnappte endlich, nämlich mit dem Stuhl?«
»So ist's; wollten Sie erlauben, meinen Kaffee hier zu trinken? Ich bin noch so fremd hier, ich kenne keine Seele. Sie sind wohl schon lange hier bekannt?«
Ein melancholisches Lächeln zog um seinen Mund. »O ja, bin schon lange hier bekannt«, antwortete er düster. »Ich war früher in Geschäften hier, jetzt zu – zu meiner Erholung.«
»Sie erinnern mich da auf einmal wieder an den Abend bei Ihrer Tante, mein Hofmeister brachte mich damals um einen köstlichen Genuß. Sie erzählten uns ein kleines Abenteuer, das Sie mit einer Deutschen in Rom gehabt. Ihre Erzählung war auf dem Punkte, eine Wendung zu nehmen, die uns über vieles, namentlich über Ihre sonderbare Verwechslung mit einem Ebenbilde aufgeklärt hätte, da zerstörte mein Mentor durch seinen Fall meine schöne Hoffnung, ich war genötigt, mit ihm den Salon zu verlassen und plage mich seitdem mit allerlei Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, wie es Ihnen möchte ergangen sein? Ob Sie sich mit Ihrem Ebenbilde geschlagen haben? Ob Sie auch ferner der schönen Luise sich nahen konnten, ob nicht endlich ein Liebesverhältnis zwischen Ihnen entstanden? Kurz, ich kann Sie versichern, es peinigte mich tagelang, die tollsten Konjekturen erfand ich, aber nie wollten sie passen.«
Der junge Mann war während meiner Reden nachdenklich geworden; es schien etwas darin zu liegen, das ihm nicht ganz recht war; vielleicht ahnete er meine unbezwingliche Neugierde nach seiner Avantüre, er blickte mich scharf an, aber er wich in seiner Antwort aus.
»Ich erinnere mich«, sagte er, »daß wir damals alle bedauerten, Ihre Gesellschaft entbehren zu müssen. Sie waren uns allen wert geworden, und die Damen behaupteten, Sie haben etwas Eigenes, Anziehendes, das man nicht recht bezeichnen könne, Sie haben einen höchst pikanten Charakter. Nun, Sie werden in der Zeit diese Damen entschädigt haben; wann waren Sie das letzte Mal bei meiner Tante?«
Ich sah ihn staunend an; »Ich hatte nie die Ehre, bei Ihrer Tante gesehen zu werden, als an jenem Abend.«
Er entgegnete hierauf nichts, sprach vom Papst und dergleichen, kam aber immer wieder darauf zurück, mich durch eine Zwischenfrage nach Berlin, ins Haus seiner Tante zu verlocken. »Was wollen Sie nur immer wieder mit Berlin?« fragte ich endlich, »ich war seit jenem Abend nicht mehr dort, und reiste in dieser Zeit in Frankreich und England. Sehen Sie einmal in meinem Paß, welch ungeheure Tour ich in dieser Zeit gemacht habe!«
Er warf einen flüchtigen Blick hinein und errötete; »Verzeihen Sie, Baron!« rief er, indem er meine Hand ungestüm drückte; »vergeben Sie, ich hielt Sie für einen Spion meiner Tante. –«
»Ihrer Tante? für einen Spion, den man Ihnen bis Rom nachschickt?«
»Ach, die Menschen sind zu keiner Torheit zu gut. Ich halte mich etwa seit zwei Monaten wieder hier auf. Meine Verwandten toben, weil ich meinen Posten im Bureau des Ministers plötzlich und ohne Urlaub verlassen habe; sie bestürmten mich mit Briefen, ich kam nicht; sie wandten sich an die preußische Gesandtschaft hier; sie fand aber nichts Verdächtiges an mir, und ließ mich ungestört meinen Weg gehen. Vor einigen Tagen schrieb mir ein Freund, ich solle auf meiner Hut sein, man werde einen Spion in meine Nähe senden, um alle meine Schritte zu bewachen.«
»Ist's möglich? und warum denn dies alles?«
»Ach, es ist eine dumme Geschichte, eine Anordnung meines verstorbenen Vaters legt mir Pflichten auf, die – ein andermal davon – die ich nicht erfüllen kann. Und Sie, lieber Stobelberg, hielt ich für den Spion. Vergeben Sie mir doch?«
»Unter zwei Bedingungen«, erwiderte ich ihm. »Einmal, daß Sie mir erlauben, Sie recht oft zu begleiten, um der Spion Ihres Spion zu sein. Halten Sie mich nicht für indiskret, es ist wahre Teilnahme für Sie, und der Wunsch, Ihnen nützlich zu werden. Sodann – teilen Sie mir, wenn es Ihnen anders möglich ist, den Schluß Ihres Abenteuers mit.«
»Den Schluß?« rief er und lachte bitter, »den Schluß? ich wünschte, es schlösse sich, könnte es auch nur mit meinem Leben schließen. Doch kommen Sie, wir wollen unter jene Arkaden gehen. Die Künstler kommen um diese Zeit hieher, wir könnten nicht ungestört reden: wer weiß, ob man nicht einen von ihnen zu meinem Wächter ersehen hat.«
Ich folgte Otto von S. . . . . – so hieß der junge Mann – unter die Arkaden. Er legte seinen Arm in den meinigen, wir gingen eine Weile schweigend auf und ab; er schien mehr nachdenklich als zerstreut.
»Es ist etwas, was mir Vertrauen zu Ihnen einflößt«, hub er lächelnd an; »ich habe über den Ausspruch jener Damen in Berlin nachgedacht und finde ihn, so komisch er mir damals vorkam, dennoch bestätigt. Es ist mir, in den paar Viertelstunden, die wir beisammen sind, als seien Sie ein Wesen, das ich längst kannte, als seien Sie schon jahrelang mein Freund. Und doch haben Sie nicht jenes Gutmütige, Ehrliche, was an den Deutschen sogleich auffällt, was bewirkt, daß man Ihnen gerne vertraut; Sie haben für Ihre Jahre viel Beobachtungsgeist in Ihrem Auge, und um Ihren Mund in gewissen Augenblicken einen Zug, der nicht immer das bestätigt, was Sie sagen wollten. Und dennoch fühle ich, daß mir der Zufall viel geschenkt hat, der Sie in jenes Haus führte, ich fühle auch, daß man Ihnen trauen kann, mein Lieber.«
»Ich halte nichts auf Gesichter, und habe durch Erfahrung gelernt, daß sie nicht immer der Spiegel der Seele sind. Es freut mich übrigens, wenn etwas an mir ist, das Ihnen Vertrauen einflößt. Es ist vielleicht der rege Wunsch, Ihnen dienen zu können, was Ihnen einiges Vertrauen gibt?«
»Möglich; doch ich bin Ihnen einige Aufschlüsse über mich und mein Abenteuer hier in Rom schuldig. Ich erzählte Ihnen wie ich mit Luise von Palden bekannt wurde –«
»Erlauben Sie, nein! diesen Namen höre ich zum erstenmal. Sie erzählten uns, daß Sie eine junge Dame in den Lamentationen der Sixtinischen Kapelle kennenlernten, die Ihre ganze Aufmerksamkeit erregte. Sie wurden von ihr mit einem andern verwechselt, Sie gefielen sich in diesem Quiproquo, und versetzten sich unwillkürlich so in die Stelle des Liebhabers, daß Sie das Mädchen sogar liebten –«
»Und wie liebe ich sie!« rief er bewegt.
»Sie suchten die Dame lange vergeblich in Rom, der Zufall führte endlich das schöne Kind im Karneval als Maske an Ihre Seite. Es ist schon dunkel, sie glaubt in Ihnen den Freund zu finden; Sie, lieber Freund, benützen die Gelegenheit noch einmal, diesen Scherz, der Ihnen so angenehm ist, fortzuführen. Sie bringen die Dame auf eine Loge, um das Pferderennen anzusehen. Da erscheint auf einmal der rechte Liebhaber, und Sie – erblicken sich. Bis hieher hörte ich damals. Sie können sich denken, wie begierig ich bin, zu hören, wie es Ihnen erging.«
»Ich gestehe«, fuhr Herr v. S. fort, »mir selbst fiel die Ähnlichkeit dieses Mannes mit meinen Zügen, meiner Gestalt, selbst meiner Kleidung überraschend auf. Das letztere hatte wohl die Mode verschuldet, die damals alle junge Welt zwang, sich schwarz zu kleiden. Doch auch für die große Ähnlichkeit unserer Züge, so auffallend sie ist, hat man Beispiele. Sie erinnern sich vielleicht des Falles, der in Frankreich vorkam. Zwei Franzosen trafen in Amerika zusammen. Ihre Ähnlichkeit war so groß, daß man sie gewöhnlich miteinander verwechselte, der eine starb, der andere, ein armer Teufel, wußte sich seine Papiere zu verschaffen, reiste nach Frankreich zurück und lebte mit der Frau des Verstorbenen noch lange Jahre, bis der Betrug an den Tag kam.Die Möglichkeit einer solchen Verwechslung beweist ein Fall, der sich vor einigen Monaten in Ravensburg im Württembergischen zutrug. Zwei Zwillingsbrüder sahen sich täuschend ähnlich. Der eine tötete einen Mann und floh. Er wußte, daß sein Bruder, der in Bregenz in einem österreichischen Regiment diente, desertiert war. Der Mörder wandte sich dorthin, zeigte sich in der Gegend, ließ sich als Deserteur gefangen nehmen und viermal Spießruten jagen. Er diente einige Zeit in der Stelle seines Bruders, bis der Betrug durch einen Zufall entdeckt wurde.
Der Herr und die Dame schienen nicht weniger überrascht als ich; die letztere errötete, sie gedachte vielleicht jenes Kusses, und es wurde ihr wohl mit einemmal klar, daß es schon an jenem Abend nicht ihr Otto gewesen sei, gegen den sie sich so zärtlich bewiesen. Der Herr mit meinen Gesichtszügen fragte mich in etwas barschem Ton in schlechtem Französisch, wie ich dazu komme, diese Komödie zu spielen. Ich nahm, nicht aus Furcht vor seinem rollenden Auge, sondern im Gefühl, ein Unrecht, vielleicht eine Unschicklichkeit wieder gut machen zu müssen, alle Artigkeit, die ich in der Welt gelernt hatte, zusammen, und bat die Dame, mir ›einen Scherz zu vergeben, zu dem sie mich selbst verleitet habe‹. ›Sie selbst?‹ rief bei diesen Worten jener Mann, und seine Züge verzogen sich immer mehr zum Zorn, ›sie selbst? Es ist ein abgekartetes Spiel, ich sehe schon, ich bin der betrogene Teil. Doch ich will nicht stören‹ – Er sagte dies vor Wut zitternd, indem er sich von seinem Platz entfernen wollte. Luise – o ich habe sie nie so süß, so wundervoll gesehen, wie in jenem Augenblicke; sie schien mit aller Hingebung der Zärtlichkeit an diesem Manne zu hängen; sie ergriff bebend seine Hand, sie rief ihn mit den liebevollsten Tönen; sie beteuerte, sich unschuldig zu wissen, sie rief mich zürnend zum Zeugen auf. Ich war hingerissen von diesem Zauber der Liebe, der sich mir hier zum erstenmal in seiner ganzen Schönheit darstellte. Es ist etwas Schönes um ein Mädchen, das in sanfter, stiller Liebe ist, es ist etwas Heiliges, möchte ich sagen. Aber der Schmerz inniger Liebe, das Zittern zärtlicher Angst, und diese Tränen in den blauen Augen, dieses Flüstern der süßesten Namen von den feinen Lippen, und diese Röte der Angst und der Beschämung auf den zarten Wangen, es ist ein Bild, irdischer zwar als jenes, aber von einer hinreißenden Gewalt.«
»Ich kenne das«, unterbrach ich diese rednerischen Schilderungen des verliebten Berliners, dem die Dame seines Herzens in jeder neuen Form wieder lieblicher schien, »ich kenne das, so was Heiliges, so was Weinendes, Madonnenartiges, Grazienhaftes, Süßes, Bitterschmerzliches, kurz so was Klagendes, Anziehendes, ich kenne das; aber wie war es denn mit dem zornigen Patron, der Euer Wohlgeboren so ähnlich?«
»Er glaubte ihren Versicherungen nicht; war es Eifersucht, war es sein leidenschaftlicher Zorn, den er nicht bemeistern konnte, er stieß sie zurück, er drohte, sie nie mehr zu sehen. Das Mädchen setzte sich weinend auf ihren Stuhl. Die tobende Freude der Römer an dem Pferderennen, ihr Jauchzen, ihr Rufen stand in schneidendem Kontrast mit dem stillen Schmerz dieses Engels. Ich fühlte inniges Mitleid mit ihr, ich fühlte mich tief verletzt, daß ein Mann, eine Dame, ein Liebender, die Geliebte so schnöde beleidigen könne. ›Mein Herr‹, sagte ich, ›das Wort eines Mannes von Ehre kann Sie vielleicht überzeugen, daß die Schuld dieser Szene allein auf mir ruht.‹ ›Eines Mannes von Ehre?‹ rief er höhnisch lachend; ›so kann sich jeder Tropf nennen.‹ Jetzt glaubte ich die Formen der gesellschaftlichen Höflichkeit nicht weiter beobachten zu müssen. Ich gab ihm ein wohlbekanntes Zeichen, flüsterte ihm meinen Namen, die Nummer meines Hauses und die Straße zu, in welcher ich wohnte, und verließ ihn.
Es waren widerstreitende Gefühle, die in meiner Brust erwachten, als ich zu Haus über diesen Vorfall nachdachte. Ich mußte mir gestehen, daß ich unbesonnen, töricht gehandelt hatte, die Rolle eines andern bei diesem Mädchen zu übernehmen. Es ist wahr, der Zufall war so überraschend, die Gelegenheit so lockend, ihre Erscheinung so reizend, so anziehend, daß wohl keiner der Versuchung widerstanden hätte. Aber mußte mich nicht schon der Gedanke zurückschrecken, daß es ihr bei dem Geliebten schaden könnte, traf er uns beide zusammen? in welch ungünstigem Lichte mußte ich, mußte auch sie ihm erscheinen!
Und doch – wo ist der Mensch, der nicht in einem solchen Falle sich vor sich selbst zu entschuldigen wüßte; ich fühlte, daß ich dieses unbekannte, reizende Wesen liebe, und wie leicht entschuldigt Liebe! und weil ich sie liebte, haßte ich den begünstigten Mann. Er war ein Barbar in meinen Augen; wie konnte er die Geliebte so grausam behandeln; wie durfte er, wenn er sie wahrhaft liebte, an ihrer Tugend zweifeln, und wer, der jemals in dieses treue, seelenvolle Auge gesehen, wer konnte an der Reinheit dieses Engels zweifeln?
Am Morgen nach dieser Begebenheit bekam ich einen italienischen, schlechtgeschriebenen Brief, er enthielt die Bitte einer Signora Maria Campoco dem Überbringer des Briefes in ihr Haus zu folgen, wo sie mir etwas Wichtiges zu sagen habe. Ich kannte keine Dame dieses Namens, ich fragte den Diener nach der Straße, er nannte mir eine, von welcher ich nie gehört hatte. Eine Ahnung sagte mir übrigens, dieser Brief könnte mit meinem Abenteuer von gestern zusammenhängen; ich entschloß mich zu folgen. Der Diener führte mich durch viele Straßen in eine Gegend der Stadt, die mir völlig unbekannt war. Er beugte endlich in eine kleine Seitenstraße, ein Brunnen, eine Madonna von Stein fiel mir ins Auge, es war kein Zweifel, ich befand mich an dem Haus, wohin ich Luisen aus den Lamentationen begleitet hatte.
Es war ein kleines unscheinbares Haus, dessen Türe der Diener aufschloß; über einen finstern Gang, eine noch dunklere Treppe, brachte er mich in ein Zimmer, dessen Eleganz nicht mit dem übrigen Ansehen des Hauses übereinstimmte. Nachdem ich eine Weile gewartet hatte, erscholl das Klaffen vieler Hunde, die Türe öffnete sich – aber nicht meine Schöne, sondern eine kleine, wohlbeleibte, ältliche Frau trat, umgeben von einer Schar kleiner Hunde, ins Zimmer.
Es dauerte ziemlich lange, bis Tasso, Ariosto, Dante, Alfieri und wie die Kläffer alle hießen, über den Anblick eines fremden Mannes beruhigt waren, und die kleine Dame endlich zum Wort kommen konnte. Sie sagte mir sehr höflich, sie habe mich rufen lassen, um wegen einer Angelegenheit ihrer Nichte, Luise von Palden mit mir zu sprechen. – Das Verlangen, das schöne Kind wiederzusehen, mich bei ihr selbst zu entschuldigen, gab mir eine Notlüge ein: ich fragte sie in so miserablem Italienisch, als mir nur möglich war, ob sie Französisch oder Deutsch verstehe? Sie verneinte es, ich zuckte die Achsel und gab ihr mehr durch Zeichen als Worte zu verstehen, daß ich der italienischen Sprache durchaus nicht mächtig sei. Sie besann sich eine Weile, sagte dann, ich könne in ihrer Gegenwart mit ihrer Nichte sprechen, und entfernte sich.
Wie schlug mein Herz von Erwartung, von Liebe bewegt! Wie beschämt fühlte ich mich, in ihren Augen als ein Nichtswürdiger zu scheinen, der ihren Irrtum auf so indiskrete Art benützte! die hündische Leibwache der Signora verkündete, daß sie nahe. Ich fühlte seit langer Zeit zum erstenmal eine Verlegenheit, ein Beben; ich fühlte, wie ich errötete, jene Sicherheit des Benehmens, das mich jahrelang begleitet hatte, wollte mich in diesem Augenblicke verlassen.
Sie kam, sie dünkte mir in dem einfachen, reizenden Negligé lieblicher als je, und ihre Verwirrung, als sie mich sah, der Unmut, den ich in ihrem Auge zu lesen glaubte, vermochte ihre Anmut nicht zu schwächen. ›Mein Herr! es ist eine sehr sonderbare Begebenheit, die Sie in dieses Haus führt‹, sprach sie mit jenen klangvollen Tönen, die ich so gerne hörte; ›Sie müssen selbst gestehen‹, setzte sie hinzu, aber sei es, daß die Erinnerung an jenen Abend sie zu unangenehm berührte, sei es, daß sie einem meiner Blicke begegnete, die vielleicht mehr als Ehrfurcht ausdrückten, sie schlug die Augen nieder, errötete aufs neue und schwieg.
Ich faßte mich, ich suchte mich zu entschuldigen so gut es ging; ich erzählte ihr, wie ich sie hilflos und in Ohnmacht in der Kirche gefunden, wie ich ihren Irrtum nicht habe berichtigen können, aus Furcht, sie möchte meine Begleitung ablehnen, die ihr in ihrem damaligen Zustande so notwendig war. Meine zweite Unbesonnenheit schob ich auf die Maskenfreiheit des Karnevals, ich suchte einen Scherz daraus zu machen, ich behauptete, es sei an diesem Abend erlaubt, jede Maske vorzunehmen, und so habe ich die ihres Freundes vorgenommen. Ich glaubte, sagte ich, in diesen Scherz um so eher eingehen zu dürfen, da wir Landsleute sind, und die Deutschen in Rom als Kinder einer Heimat, nur eine große Familie sein sollten.«
»Eine gefährliche Verwandtschaft!« erwiderte ich dem jungen Berliner, indem ich mich im stillen über seine jesuitische Logik freute; »wie? brachte die Dame nicht das Corpus juris und den – – – – gegen Sie in Anwendung? In Schwaben möchte zur Not ein solches Verwandtschaftssystem gelten, oder bei den Juden, welche Herren und Knechte, Norden und Süden ›unsere Leute‹ nennen; aber Deutschland? bedenken Sie, daß es in zweiunddreißig Staaten geteilt ist, wo ist da ein Verwandtschaftsband möglich? Wenn Sie sich im Himmel oder in der Hölle treffen, so heißen sie nur Österreicher, Preußen, Hechinger und fürstlich Reußische Landeskinder!«
»Luise mochte auch so denken«, fuhr er fort. »Doch nötigte ihr meine Deduktion ein Lächeln ab; es schien ihr angenehm, über diese Punkte so leicht weggehen zu können. Sie klagte sich selbst an, diesen Irrtum veranlaßt zu haben, sie vergab, sie erlaubte mir, ihre schöne Hand zu küssen. Doch ihre Blicke wurden wieder düster. Sie sagte, wie sie nur zu deutlich bemerkt habe, daß ich tiefbeleidigt weggegangen sei, daß dieser Streit noch eine gefährliche Folge haben könne. Ihr Auge füllte sich mit Tränen, als sie dies sagte. Sie beschwor mich, ihrem Freund zu vergeben, sie suchte ihn zu entschuldigen, ihn, der sie selbst so tief beleidigt hatte, sie sprach mit so zärtlicher Wärme für den Mann, der so ganz vergessen hatte, daß die wahre Liebe glauben und vertrauen müsse, der so niedrig war, dieser reinen Seele gegenüber gemeine Eifersucht zu zeigen. Ich wäre glücklich, selig gewesen, hätte dieses Mädchen so von mir gesprochen!
Ich fragte sie, ob sie in seinem Auftrag mir dieses sage? Sie war betreten, sie antwortete, daß sie gewiß wisse, daß es ihm leid sei, mir jene Worte gesagt zu haben; ich versprach, wenn er mir dies selbst sagen werde, nicht mehr an die Sache zu denken. Wie heiter war sie jetzt, sie scherzte über ihren Irrtum, sie verglich meine Züge mit denen ihres Freundes, sie glaubte große Ähnlichkeit zu finden, und doch schien es ihr unbegreiflich, wie sie nicht an meinen Augen, meiner Stimme, an meinem ganzen Wesen ihren Mißgriff erkannt habe. Sie rief ihrer Tante zu, daß sie ihren Zweck vollkommen erreicht habe.
Signora Campoco, die während der ganzen Szene am Fenster gesessen, und bald die Leute auf der Straße, bald ihre Hündchen, bald uns betrachtet hatte, kam freundlich zu mir, dankte für meine Gefälligkeit, ihr Haus besucht zu haben, und bemerkte: sie hätte nie geglaubt, daß unsere barbarische Sprache so wohltönend gesprochen werden könne. Sie sehen, ich hatte jetzt nichts mehr in diesem Hause zu tun; so gerne ich noch ein Stündchen mit Fräulein von Palden geplaudert hätte, so neugierig ich war, ihre Verhältnisse in Deutschland und ihre Lage in Rom zu erfahren – der Anstand forderte, daß ich Abschied nahm, mit dem unglücklichen Gefühle Abschied nahm, diese Schwelle nie mehr betreten zu können. Signora, sie hätte sich vielleicht gekreuzt, hätte sie gewußt, daß ein Ketzer vor ihr stehe, Signora empfahl mich der Gnade der Heil. Jungfrau, und Luise reichte mir traulich die Hand zum Scheiden. Ich fragte sie noch, wie der Herr heiße, mit welchem ich das Glück gehabt habe, verwechselt zu werden. Sie errötete und sagte: ›Er will zwar hier nicht bekannt sein und so zurückgezogen als möglich leben, doch warum sollte ich Ihnen seinen Namen verhehlen? Ich möchte so gerne, daß Sie Freunde würden. Er heißt – – – – und wohnt – – – –‹«
So, »etwas breit nach Art der lieben Jugend« hatte mir der junge Mann den weiteren Verlauf seines Abenteuers erzählt, ich hörte ihm gerne zu, obgleich nichts peinlicher für mich ist, als eine lamentable Liebesgeschichte recht lang und gehörig breit erzählen zu hören; aber interessant war mir dabei die Art, wie er mir erzählte. Sein ausdrucksvolles Auge schien die Glut seiner Gefühle widerzustrahlen, seine Züge nahmen den Charakter düsterer Wehmut an, wenn er sich unglücklich fühlte, und ein angenehmes Lächeln erheiterte sie, wenn er mir die Reize der jungen Dame zu beschreiben suchte. Plötzlich, als er mir eben erzählte, wie er das Haus der Signora verlassen habe, drückte er meinen Arm fester und brach in einen kleinen Fluch aus. »So muß der Teufel diesen Pfaffen doch überall haben«, rief er und wandte sich unmutig um. Ich war erstaunt, welchen Pfaffen sollte ich denn überall haben? Ich fragte ihn, was ihn so aufbringen könne.
»Sehen Sie nicht hin, sonst müssen wir grüßen«, gab er mir zur Antwort, »ich kann ihn nicht ansehen, den Jesuiten.«
Ich stellte mich, als befolge ich treulich seinen Befehl, doch konnte ich nicht umhin, einen Seitenblick in die Straße zu werfen, und sah wirklich ein höchst ergötzliches Schauspiel. Die Straße herauf kam ein hoher Prälat der Kirche, der Kardinal Rocco, ein Mann, der schon längst als einer der zweiten Klasse mit dem Prädikat »gut« auf meinen Tafeln verzeichnet ist. Eine große majestätische Gestalt voll stolzer Würde; sein weißes Haar, von einem einfachen roten Käppchen bedeckt, stach sonderbar ab gegen ein Gesicht, das man eigentlich reich nennen könnte. Gewölbte Brauen, große Augen, eine Adlernase, die Unterlippe etwas übermütig gezogen, das Kinn und die Wangen voll und kräftig. Über das rollende Untergewand trug er einen Talar, dessen eines Ende er in malerischen Falten über den Arm gelegt hatte; das andere Ende hielt in einiger Entfernung hinter ihm herschleichend sein Diener, ebenfalls ein Mönch, ein dürres bleiches Geschöpf, dessen tückische Augen nach allen Seiten spähten, ob seine Eminenz von den Gläubigen ehrfurchtsvoll, wie es sich gebührt, begrüßt werden.
Der Gang des Kardinals war der Gang eines Siegers, und eine solche Erscheinung in diesen Straßen erinnerte nur zu leicht an die Senatoren der »Ewigen Stadt.«
»Sehen Sie, wie er hingeht, dieser Pharisäer«, flüsterte der junge Mann mit den Zähnen knirschend. »Sehen Sie, wie der Pöbel sich zum Handkuß drängt, mit welcher Würde, mit welcher Grazie er seinen Segen erteilt.
Theaterpossen! wenn diese Leute wüßten, was ich von ihm weiß, sie würden diesem Pharisäer, diesem Verfälscher des Gesetzes die Insignien seiner Würde vom Leibe reißen, oder sie wären wert, von einem Türken beherrscht zu werden.«
»Was bringt Sie so auf! verehrter Freund? Wer ist dieser Ehrenmann? was hat er Ihnen zuleid getan? hängt er mit Ihren Abenteuern zusammen?« Ich mußte lange fragen, bis er mich hörte, denn er schaute mit durchbohrenden Blicken der Eminenz nach, und murmelte Verwünschungen wie ein Zauberer.
»Ob ich ihn kenne? ob er mir etwas zuleide getan? Oh! dieser Mensch hat ein Leben vergiftet, ein Herz zu Boden getreten, das – doch Sie werden mehr von ihm hören; es ist der Kardinal Rocco, der Satan ist nicht schwärzer als er; mit seinem roten Hut deckt er alle Sünden zu, aber trotzdem, daß er geweiht ist, wird ihn dennoch der Teufel holen!«
Da hat es gute Wege, dachte ich; Nro. 2, gute Sorte! doch was konnte dieser Berliner gegen Rocco haben; unmöglich konnte ich glauben, daß sein Protestantismus so tief gehe, daß er jeden, der violette Strümpfe trug, in die Hölle wünschen mußte. Er hatte sich wieder gesammelt: »Vergeben Sie diese Hitze, Sie werden mir einst recht geben, so zu urteilen, wenn ich Sie erst mit dem Treiben dieser Menschen bekannt mache. Doch jetzt noch einiges zum Verständnis meines Abenteuers. Die Geschichte mit – – – – war bald abgetan. Er schickte einen Franzosen zu mir, der mir erklärte, daß jener sich in mir geirrt habe und um Verzeihung bitte. Durch ihn erfuhr ich auch, daß Luisens Geliebter früher Offizier, und zwar in . . . . schen Diensten gewesen sei.
Um diese Zeit kam die Schwester des sächsischen Gesandten nach Rom, sich einige Zeit mit ihrer Familie bei ihrem Bruder aufzuhalten. Ich war am ersten Abend ihres Aufenthaltes zufällig zugegen, und – stellen Sie sich einmal mein Erstaunen vor, als ich hörte, wie sie eine andere Dame fragte, ob nicht ein Fräulein von Palden hier lebe? Ich wandte mich unwillkürlich ab, um nicht dem ganzen Kreise mein Erröten, mein Entzücken zu zeigen; es war mir etwas so Neues, so Schönes, Luisens Namen aus einem fremden Munde zu hören. Jedoch keine der anwesenden Damen wollte von ihr wissen, und ich fühlte mich nicht berufen, unaufgefordert mein Geheimnis mitzuteilen.
Deutsche, besonders Frauen pflegen immer großen Anteil an Landsleuten zu nehmen; es konnte daher nicht anders sein, als daß man seine Verwunderung laut darüber aussprach, daß ein deutsches Fräulein in Rom lebe, die auch keinem von allen bekannt sein sollte? ›Wer ist sie? ist sie schön? wie kommt sie nach Rom?‹ fragte man einstimmig, und wie lauschte ich, wie pochte mein Herz, endlich über das interessante Wesen etwas zu hören.
Sie erzählte, wie sie in . . . . th Luisen kennengelernt, die damals durch ihr schönes Äußere, durch ihre Liebenswürdigkeit, ihren Verstand die ganze Stadt beschäftigt, ihre näheren Bekannten bezaubert habe. Um so auffallender sei auf einmal ein Liebeshandel gewesen, der sich zwischen einem Offizier, einem bürgerlichen Subjekt, und der Tochter des Geheimen Rats Palden entspann. Dieser Mensch habe außer seiner schönen Figur und einem blühenden Gesicht keine Vorzüge, nicht einmal gute Sitten gehabt. Dem Vater sei diese Geschichte zu ernstlich geworden, er habe den Offizier zu einem Regiment zu versetzen gewußt, das mit einem Teil der französischen Armee nach Spanien bestimmt war. Man habe sich in . . . . th allgemein gefreut über die Art, wie sich Fräulein Palden in diese Wendung fügte; doch bald erfuhr man, daß die Verbindung mit dem Offizier nichts weniger als abgebrochen sei, sondern durch Armeekuriere und dergleichen, Briefe gewechselt werden. Es vergingen so beinahe zwei Jahre. Die Armee kehrte zurück, doch nicht mit ihr jener Offizier. Man sagte in Gesellschaften und in Luisens Nähe, er sei wegen einer Ehrensache aus dem Dienst getreten. Seine Kameraden schwiegen hartnäckig hierüber, doch gab es einige Stimmen im Publikum, die von einer vorteilhaften Heirat, andere, die von einer Entführung oder von beiden sprachen, kurz man bemerkte, daß Herr v. ..., so hieß der Offizier, seiner Dame ungetreu geworden sei. Um diese Zeit starb der alte Herr von Palden. Seine erste Frau war eine Römerin, das Fräulein entschloß sich auf einmal, zu großer Verwunderung der Stadt . . . . th zu ihren Verwandten nach Rom zu ziehen.
So viel wußte die Schwester des Gesandten von Luisen. Es war mir genug, um ihr Verhältnis zu . . . . . ganz in der Ordnung zu finden, nur war es mir unbegreiflich, was ihn bewogen haben könnte, nach Rom zu gehen? oder kam er erst nach ihr hieher? und warum heiraten sie sich nicht, da doch ihre Hand jetzt frei und von niemand abhängig ist?
Ich quälte mich mit diesen Gedanken. Ich hätte so gerne mehr und immer mehr von dem holden Kind erfahren; ich fühlte lebhaft den Wunsch, sie wiederzusehen, zu sprechen; ich wollte ja nicht geliebt werden, nur sehen, nur lieben wollte ich sie. Da fiel mir bei, wie ich dies so leicht möglich machen könnte. Ich durfte ja nur der Schwester des Gesandten sagen, wo sich Luise aufhalte, und dann konnte ich gewiß sein, sie schon in den nächsten Tagen im Hotel des Gesandten zu sehen. Ich tat dies, und mein Wunsch wurde erfüllt.«
Ein Bekannter des Herrn von S. gesellte sich hier zu uns und unterbrach zu meinem großen Ärger die Erzählung. Ich machte noch einige Gänge mit ihnen unter den Arkaden; als ich aber sah, daß der Bekannte sich nicht entfernen wolle, fragte ich den Berliner nach seiner Wohnung, und ging, mit dem Vorsatz, ihn am nächsten Morgen zu besuchen. Ich muß gestehen, ich fing an, die Geschichte des jungen Mannes weniger anziehend zu finden, weil sie mir in eine gewöhnliche Liebesgeschichte auszuarten schien. Doch zwei Umstände waren es, die mir von neuem wieder Interesse einflößten, und mich bestimmten seine Abenteuer zu hören. Ich erinnerte mich nämlich, wie überraschend sein Anblick, sein ganzes Wesen in Berlin auf mich gewirkt hatten. Es war nicht der gewöhnliche Kummer der Liebe, wie er sich bei jedem Amoroso vom Mühlendamm ausspricht, es war ein Gram, ein tieferes Leiden, das mir um so anziehender dünkte, als es nur ganz unmerklich und leise durch jene Hülle schimmerte, womit die gesellschaftlichen Formen die weinende Seele umgeben. Er schien ein Unglück zu kennen, zu teilen, das ihn unausgesetzt beschäftigte, zu welchem ihn die Erinnerung sogar mitten in einem ästhetischen Tee rettungsvoll zurückführte.
Das zweite, was mich zu dem jungen Mann und seinem Abenteuer zog, war die Szene, die ich morgens vor der Peterskirche beobachtet hatte. Ich hatte dort bemerkt, daß er sie mit Sehnsucht erwarte; sie war gekommen, aber es schien kein fröhliches Zusammentreffen. Sie schien ihn etwas mit ihren Blicken zu fragen, das er nicht beantworten, sie schien etwas zu verlangen, das er nicht erfüllen konnte; wie schwer mußte es ihm werden, in der Ferne zu stehen, und dem holden Mädchen durch keine Silbe zu antworten, er ließ sie gehen wie sie gekommen: aber dann sandte er ihr Blicke voll zärtlicher Liebe nach. Warum sagte er ihr nicht auf der Stelle, wie er sie liebe? Welche Gewalt mußte sie über ihn ausüben, um ihn in diese engen Schranken einer beinahe blöden Bescheidenheit zurückzuweisen? Wieviel es sie koste, sah ich an ihrem Auge, in welchem eine Träne perlte, als sie weiterging.
Diese Fragen drängten sich mir auf, als ich über den jungen Mann und die rätselhafte Dame nachdachte. Wo nicht ein blindes Fatum waltet, und ein Uhrwerk die Gedanken der Sterblichen treibt, da lernt keiner aus, sei er Gott oder Teufel, wohl sagt der Mensch, der kleinlich nur auf die Resultate seiner Geschichte sieht: »Es wiederholt sich alles im Leben.« Aber wie es sich wiederhole, wie der endliche Geist in seiner kurzen Spanne Zeit wächst und ringt und strebt, und gegen die alte Notwendigkeit ankämpft, das ist ein Schauspiel, das sich täglich mit ewig neuem Reize wiederholt; und das Auge, das von Weltintrigen gesättigt, vom Anschauen der Kämpfe großer Massen ermüdet ist, senkt sich gerne abwärts zum kleineren Treiben des einzelnen. Drum möge es keinem jener verehrlichen Leute, für die ich meine Memoiren niederschreibe, kleinlich dünken, daß ich in Rom, wo so unendlich viel Stoff zur Intrige, ein so großer Raum zu einem diabolischen Festtagsspiel ist, mit einer Liebeshistorie mich befasse – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .!