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Die fünfundzwanzig Männer, die, von Washington bis auf Mac Kinley, den Vereinigten Staaten von Amerika präsidierten, haben, alle zusammen, nicht so viel Lärm gemacht wie der sechsundzwanzigste Präsident: Herr Theodore Roosevelt aus dem Staate New York. Der schnitte gern in alle Rinden ein, daß er der klügste und tapferste, der reinste und größte Mann seines Jahrhunderts ist; mindestens seines. Jurist und Kameralist, Historiker, Nationalökonom, Verwalter, Kriegsmann, Marinetechniker, Organisator und Oberst der rough riders und Sieger von Las Guasimas; Achill und Homer in einer Person: denn er selbst hat seine kubanische Heldenleistung andächtig der Menschheit geschildert. Als er, nach der Ermordung Mac Kinleys, am vierzehnten September 1901 Präsident geworden war, kam bald hastiges Leben ins Weiße Haus. Der Vorgänger, ein Mann von ungewöhnlicher Intelligenz, Voraussicht und Willenskraft, hatte sich still gehalten und war nur ins Licht getreten, wenn ein Staatsinteresse ihn aus dem Schatten trieb. Der neue Herr wollte gesehen, im hintersten Winkel des Erdballs gekannt sein und war unermüdlich in dem Bemühen, den werten Namen dem Stamm der Weltesche einzukerben. Mit behendester Kunst organisierte er seinen Weltruhm. Sicherte heute dem Onkel Sam das geweitete Imperium. Rief, ein auf Kosten der Trusts durch die Klippen der Volkswahl Gelotster, morgen zum Kampf gegen die Unternehmerkartelle, deren Häupter er reiche Räuber schimpfte. Und versprach, übermorgen dem Menschengeschlecht höhere Kultur, den Bürgern der Vereinigten Staaten die Gesundheit und Sauberkeit des öffentlichen Wesens herbeizuzaubern. Hic et ubique. Ein Demagoge von stattlichem Format; nie von Skrupeln und Zweifeln geplagt; zu schneller Auffassung und Anpassung fähig; und mit einem in der Neuen Welt nie erblickten Mut zu er Allure des sieghaften Imperators. Eine irgendwie beträchtliche Lebensleistung des Fünfzigers ist von Weitem nicht zu erkennen. Er hat die Ställe der Union nicht gereinigt, der Trusthydra nicht den Kopf abgehauen; nur, durch die Ängstigung der Kapitalisten, seine Heimat in eine Krisis gerissen, aus deren Gefahr Rockefeller, Morgan und andere »reiche Räuber« das leidende Land retten mußten. Amerikaner der höheren Geistesschicht sprechen im Ton ironischer Geringschätzung über den Mann und seine Bluffs. Doch muß im Ton seines Wesens ein Stück der »Volksseele« zu robustem Ausdruck gekommen sein: sonst hätte er im Yankeegedräng nicht solchen Anhang erworben und bewahrt … Vor sieben Monaten, als Herr Roosevelt, der in Afrika alles je von Zoologen erwähnte Tropengetier in den Wüstensand gestreckt haben sollte, durch Europa toste und (der Verfechter der Monroe-Doktrin, die jede Europäereinmischung in amerikanische Politik abwehrt) den Völkern der Alten Welt unverlangte Lehre ins Antlitz sprudelte, empfahl ich, den Mann, der uns in Ostasien gefällig war, in der schwierigsten Stunde neudeutscher Geschichte aber für Frankreich optiert und der Dritten Republik fast mehr noch als der Brite Grey und der Russe Lamsdorf genützt hat, weder wie einen Monarchen noch wie einen Hort deutscher Nation zu empfangen. »Herr Roosevelt ist ein Privatmann, der zu seinem Vergnügen reist. Vielleicht will er, der wieder Präsident zu werden wünscht, mit der Tatsache, daß er an Europas Höfen wie ein Imperator empfangen, in Europens Hauptstädten wie ein volkstümlicher Held gefeiert wird, auf seine Landsleute wirken und seine Wahlchancen bessern. Staatsgeschäftsreisender ist er jedenfalls nicht. Die ungemein schnelle Entwicklung zum Weltimperium hat Amerika der Gefahr hochmütiger Selbstüberschätzung genähert. Die Yankeeneigung in den Glauben, der Amerikaner sei der vollkommene Ausdruck moderner Menschheit und dürfe auf seiner Höhe den zwischen Basalten und verfallenen Schlössern keuchenden Europäer belächeln, wird begünstigt, wenn Europa die Sippe Jonathans würdelos umdienert. Ob drüben die ernsten Menschen, deren Geldgier nicht ärger, deren Pflichtgefühl und Kultursehnen nicht geringer ist als deutscher Kaufleute, stark genug sind, um ihr Land vor der Schädigung durch Demagogenkniffe zu hüten, bleibt abzuwarten; die Schätzung amerikanischer Nüchternheit müßte schrumpfen, wenn Gauklerbravour dort auf den höchsten Sitz hülfe.« Das wird nicht geschehen: las ich in manchem Brief, der übers Meer kam; auch dem Gespräch mit Amerikanern der Vorderreihe mußte ich diese Gewißheit entnehmen. Andere sprachen anders; mit zweifelloser Zuversicht die Stimmen, die aus Amtssphären herübertönten. Die Spektakelreise Roosevelts, hieß es da, ist widrig und über den Taktmangel des Mannes, über die lächerliche Trivialität seiner Reden kein Wort zu verlieren. Das schadet ihm aber nicht im allergeringsten. Die Amerikaner kennen ihn und wissen, daß ihm die Reise, wie ein Faustkampf oder eine Löwenjagd, ein sensationelles Erlebnis ist, das er als Nervenfutter braucht, und haben seine laute Versicherung, nie werde er, wie General Ulysses Sidney Stoney Grant in Europa und Asien tat, nach dem Ablauf seiner Präsidentenzeit herumreisen und sich feiern lassen, immer ungläubig belächelt. Die Gelehrten verhöhnen ihn ebenso schonungslos wie die Leute in Wallstreet. Wer die Masse haben will, muß die Wesenszüge zeigen, die den feineren Geist abstoßen. Roosevelt ist jetzt populärer als auf der Höhe seiner Präsidentschaft. Daß er dem Papst grob zu antworten wagte, hat seinen Nimbus erweitert. Wenn's möglich wäre, ihn heute schon auf Tafts Posten zu bringen, so würden neun Zehntel aller Amerikaner dafür stimmen. Warum? Weil Taft, mit all seiner Tüchtigkeit, die Leute langweilt und Roosevelt, mit seinem dramatischen Temperament, ihnen stets neuen Unterhaltungsstoff bietet. Er kommt wieder an die Spitze: und deshalb ist's klug, daß ihm Deutschland alle erdenklichen Ehren bereitet. So sprachen ernsthafte Menschen. Bei einem Trauergottesdienst zum Gedächtnis Eduards des Siebenten nannte, im Mai, der Reverend Dr. Robert S. Mac Arthur in einer New-Yorker Kirche Herrn Roosevelt den König der Erdenkönige. Nach allem, was ich gehört und gelesen hatte, mußte mir dennoch der Zweifel bleiben. Die Sozialisten hassen den Mann; haben ihn in einer Schimpfflut, von der Europas übertünchte Höflichkeit nichts träumt, zu ersäufen versucht. Den Katholiken kann er, der den Papst gekränkt und die Träger hoher Römerwürde getäuscht hat, nicht willkommen sein. Die Trustmänner sehen in ihm den Erzfeind und fast alle Besitzenden den Demagogen, dessen Leichtfertigkeit die Panik des Jahres 1907 bewirkt und das Vermögen der Mittelklasse (nicht der »reichen Räuber«, die im trüben Wasser noch neuen Gewinn fischen konnten) geschmälert hat. Und von Mond zu Mond schwoll die Schar, die fand, ein zügelloses, nur von Applausgier geleitetes Temperament, das ein gestern vor allem Volk gesprochenes, gestern feierlich verpfändetes Wort heute vergessen habe und deshalb immer wieder den Schein der Unwahrhaftigkeit und treulosen Wortbruches auf sich lade, tauge nicht auf den Sitz, wo die Würde der freien Republik thronen soll. Wie sollte für einen von so starken Gruppen Befehdeten sich die Mehrheit zusammenballen?
In Berlin wurde er nicht, wie angekündet worden war, auf dem Bahnhof vom Kaiser empfangen, wohnte auch nicht im Schloß. Doch gab's, ihm zur Ehre, ein Festmahl und eine Gefechtsübung; er durfte in der Aula der Berliner Universität eine Vorlesung leisten (an die sich die jüngsten Semester in grimmiger Heiterkeit erinnern) und auf die Devotion würdiger Professoren, die ihn unbedeckten und gebückten Hauptes bis an den Wagen geleiteten, huldvoll herniedergrinsen. Der emsige Schreiberstab, der ihm von Ägypterland her folgte, sorgte für den gehörigen Widerhall. In der Berliner Rede war nur der Mut zu plumper Umschmeichelung des Kaisers beachtenswert. Tut nichts, sagten die Überschlauen; der Mann wird wieder Präsident, hat alle Winde, die in den Vereinigten Staaten die Stimmung hitzen und kühlen, im Schlauch seines Willens und wir müssen froh sein, wenn er uns freundlich bleibt. Über London (wo der Reisende die einfachste Taktpflicht unerfüllt ließ) ging's in die Heimat zurück. Ins wildeste Getümmel der Agitation. Edward Henry Harriman, der Theodorum recht in der Nähe sah, hat einmal geschrieben, heutzutage gelte einer, der redet, den meisten mehr als einer, der handelt. Herr Roosevelt redete täglich. Tobte, schmähte, verdächtigte; mimte das Gewissen Amerikas. Da er ringsum, auch von Freunden, hörte, die Würde der Präsidentschaft heische von dem, der einst ihr Träger war, selbst im Kampf eine noble Haltung, sich vereinsamen fühlte und, out in the cold, zu frieren anfing, verbündete er sich dem mächtigen Preßkapitän Hearst, den er vorher bekämpft hatte; und schien des Sieges nun völlig sicher. Er ist geschlagen worden. Die Nation, die ihn so lange reden ließ, hat bündig gegen ihn gesprochen und der Demokratenpartei im Kongreß die Mehrheit verschafft. Ein Triumph der Trusts? Die Demokraten, die das Evangelium von der Ebenbürtigkeit des Silbers seit Clevelands zweiter Präsidentenzeit aus der Massengunst gedrängt hat, haben die Zwingburg der Trusts früher und ungestümer berannt als die Republikaner. Nein: das Ergebnis der Novemberschlacht ist eine ganz persönliche Niederlage Roosevelts. Den will man nicht länger an der Rampe sehen. Der ist, in unvergleichlich höherem Grade als Cleveland für die Handelskrisis des Jahres 1893, für den Windbruch von 1907 verantwortlich. Ein Unruhestifter, der sich in Caesars Toga mummen möchte, morgen neue Panik erwirken kann und Europens Spottsucht wieder über den Yankee lächeln lehrte. Amerika wollte beweisen, daß es nicht sei wie dieser und den Blick durch Praestigia nicht blenden lasse. Der mannigfach begabte und (auch im gefährlichsten Sinn) versatile Mann mag sich, wenn er eine Weile geduldig im Dunkel bleibt, von der Niederlage erholen. Als Machtwerber ist er fürs erste abgetan. Und mit ihm, so wollen wir hoffen, ein Wahn, der allzu lange das deutsche Auge umnebelt hat. Daß die amtliche Berichterstattung irrte, ist, wie jeder Fehler armer Menschenschwachheit, verzeihlich. Was aber trieb im Mai denn zu der Proskynesis? Der Glaube, daß Roosevelt Deutschlands Freund, Englands Feind sei und, als Vertrauensmann Amerikas, im Notfall die Vereinigten Staaten auf unsere Seiten bringen werde. Den Wünschen Specks von Sternburg hat er sich manchmal willfährig gezeigt; als der Senat das Marmorgeschenk des Deutschen Kaisers zurückschicken wollte, den Vorschlag durchgedrückt, daß dieser steinerne Preußenfritz nicht als König, sondern als Feldherr behandelt und neben Hannibal vor die Kriegsschule in Washington gestellt werde; also sehr pfiffig eine sichtbare Kränkung vermieden. Doch in der Zeit der anglo-deutschen Konflikte die Vereinigten Staaten gegen England mobil zu machen: das vermöchte nicht einmal der große George, wenn er von seinem Reiterstandbild ins Leben niederstiege. Noch im heftigsten Zank fühlt der Amerikaner sich dem Briten verwandt. Und wie ungern gerade die besten Elemente im Land schon in ruhigen Tagen eine feindselige Wendung gegen England sehen, haben drüben die Deutschen gemerkt, als der Luftplan einer deutsch-irischen Interessengemeinschaft aufgetaucht war, deren Grundmauer nur der Groll gegen Britannien mörteln konnte. Die Hoffnung, hinter der Atlantis einen Bundesgenossen zu finden, der mit dem Schwert uns die Weite öffnet, muß endlich eingescharrt werden; und dürfte, auch wenn ihr »boss« noch einmal auf die Beine käme, nie wieder deutsche Köpfe verwirren.
Klarheit ist, mag sie auch Schmerz bereiten, immer nützlich; wer sein Herz nicht an Trugbilder hängt, ist vor Enttäuschung sicher. Seit Fürst Bülow, nach der Annexion der Balkanprovinzen, von der in Österreichs Fährnis bewährten Nibelungentreue der Deutschen sprach, hat bei uns zu Haus mancher sich angewöhnt, das Verhältnis zu Österreich-Ungarn pathetisch zu betonen. Der vierte Kanzler traf als Zitator nicht jedesmal ins Schwarze. Als er, bei einem unnötigen Ausfall gegen Chamberlain, behauptete, schon Friedrich habe die Schmäher Preußens und seines Königs gewarnt, auf Granit zu beißen, lieh er dem Borussen Worte, die der Korse Napoleon Bonaparte gesprochen hatte. (»Les pamphlétaires, je suis destiné à être leur pâture, mais je redoute peu d'être leur victime: ils mordront sur du granit.«) Als er seine Landsleute den Mannen Gunthers verglich, bedachte er nicht, wie schlimm den treuen Nibelungen im Heunenland Etzels gelohnt ward. Einerlei. Nur: wir wollen nüchtern bleiben und auch von Österreich-Ungarn nicht mehr erhoffen, als es, mit seinen Czechen und Polen, Magyaren und Südslaven, im Drang uns zu gewähren vermag.
Trop de fleurs. Auch in Wien weiß jeder Wache, daß Deutschland 1909 gehandelt hat, wie es handeln mußte; daß sein Interesse, nicht Österreichs, dieses Handeln erzwang. Welcher Schuld wegen wurde Österreich denn gescholten und bedroht? Weil es in der Ära des jungtürkischen Parlamentarismus, der Bosniaken und Herzegowzen an die Wahlurne rufen konnte, sein Hoheitrecht dem Bereich des Zweifels entrückt, das Ansehen des alten Kaisers zur Erledigung eines dem Nachfolger unbequemeren Staatsgeschäftes benutzt und die seit dreißig Jahren okkupierten Balkanprovinzen annektiert hatte? Nein: weil es dem Deutschen Reich verbündet und noch nicht entschlossen war, diese Bundesgenossenschaft gegen einen anglo-russisch-französischen Assekuranzvertrag zu tauschen; und weil, so lange die mitteleuropäischen Kaiserreiche nicht voneinander zu haken waren, die Einkreisung Deutschlands nicht zu voller Wirksamkeit kommen konnte. Wurde Österreich eingeschüchtert und aus dem Bund geängstet, dann mußten wir bereit sein, gegen die kaunitzische Koalition (Frankreich, Rußland, Österreich unter britischem Patronat), deren Schreckbild dem ersten Kanzler den Schlummer störte, zu kämpfen oder von ihr demütigende Zumutung hinzunehmen. Blieb da eine Wahl? Kein Deutscher möchte zweifeln, daß Österreich in jedem Bündnisfall seiner Pflicht genügen würde; wenn's inzwischen mit Rußland wieder ganz einig geworden wäre. Davon wurde in den Delegationen nicht gesprochen. Nur der Gedanke, Deutschlands Konflikte könnten Österreich-Ungarn schädigen, aus lächelnder Ruhe zurückgewiesen.
Während in Wien dem Deutschen Reich, weils vor anderthalb Jahren bereit schien, gegen Rußland zu marschieren, Lobgesänge angestimmt wurden, fuhr der Zar aller Reußen nach Potsdam. »Die Monarchen küßten einander herzlich auf beide Wangen. Kaiser Nikolaus trug deutsche, Kaiser Wilhelm russische Uniform.« Der Brauch ist alt und könnte nachgerade modernisiert werden; daß gegen Küsse unter Männern seit der Nacht des Jüngerverrates leicht sich der Christenargwohn regt, hat, bei ähnlichem Anlaß schon Lagarde warnend erwähnt; und Höflichkeit läßt sich heute wohl erweisen, ohne daß der Kriegsherr eines Volksheeres sich ins Kleid einer fremden Armee knöpft, wider die er übermorgen vielleicht zu den Waffen rufen wird. Wovon zwischen Frühstück und Abendmahlzeit, Jagd und Lustspiel geredet wurde, hat draußen natürlich keiner erlauscht. Am zweiten Tag aber lasen alle, im Neuen Palais und in der Wilhelmstraße sei »festgestellt worden, daß auf keinem Gebiet zwischen Deutschland und Rußland irgendeine Meinungsverschiedenheit bestehe.« Jubilate! Der Gedankenaustausch, dessen Ergebnis so lieblich aussieht, hatte gewiß den bezwingenden Herzenston männlicher Aufrichtigkeit.