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siehe Bildunterschrift

Alexander III.

An den Kaiser

In einem Majestätsbeleidigungsprozeß
gegen die »Zukunft« (1898),

Eurer Majestät

Gestalt hat in den eben verstrichenen Tagen öfter als sonst noch die Blicke der Bürger auf sich gelenkt. Mit ehrlicher Freude ward es von ernst gestimmten, dem lauten Gassenlärm und der Prunksucht abholden Deutschen begrüßt, als bekannt wurde, der Kaiser habe das seltsame Ansinnen abgelehnt, die kurze, vielfach von schlimmen Irrungen und Wirrungen erfüllte Zeitspanne seiner Regierung durch ein geräuschvolles Fest zu feiern, und schlicht und still nur, als ein fromm gläubiger Christ, der Hoffnung Ausdruck verliehen, Gott, der über diese ersten zehn Jahre hinweggeholfen habe, werde auch weiter helfen. Das klang wohltuend in das vom steten Festlärm übersättigte Ohr und nährte den tröstenden Glauben, die leidige Lust an Jubelchören, geputzten und erleuchteten Häusern, an Menschenspalieren und dem übrigen Apparat sogenannter Volksfeierlichkeit entstamme einer unterhalb des Thrones gelegenen Region, nicht, wie die Bosheit munkelte, einem unstillbaren Sehnen des gekrönten Vertrauensmannes der Deutschen. Dann kam die Kunde, mehr als zwei Millionen erwachsener, zur Mitwirkung an den Reichsgeschäften nach der Verfassung berufener Männer hätten bei der Wahl ihre Stimme für die internationale, in ihrem besonderen Sinn revolutionäre und nach eigenem Bekenntnis antimonarchische Sozialdemokratie abgegeben; und erschreckt fragte mancher, wie diese Botschaft wohl auf den Träger der Krone wirken werde, der in den schärfsten und schroffsten Wendungen das Volk so oft zum Kampf wider diese Partei aufrief und nun erleben muß, daß während seiner Regierungszeit gerade die Zahl ihrer Anhängerschaft sich fast verdreifacht hat. Ungefähr um dieselbe Stunde erfuhr man, der Monarch habe sich öffentlich zu einem Gefühl »tiefer Achtung vor den exakten Wissenschaften« bekannt. Nicht so erfreulich klang das Glaubensbekenntnis, das Eure Majestät vor den versammelten Mitgliedern Ihrer Hoftheater abzulegen für gut hielten. Viele Kunstverständige und künstlerisch Empfindende können die dort ausgesprochene Ansicht nicht teilen, das Theater solle »eine der Waffen des Herrschers« sein und pädagogisch-patriotischen Zwecken dienen; sie können nicht finden, daß die Leistungen der Berliner Hofbühnen »in allen Ländern mit Bewunderung« betrachtet werden, sondern fällen gerade über die neusten Leistungen dieser Bühnen ein sehr hartes, ein rückhaltlos verdammendes Urteil und raten jedem Ausländer, die deutsche Theaterkunst an anderen Stätten kennen zu lernen; sie sind auch nicht, wie Eure Majestät, der Meinung, daß von »Materialismus und undeutschem Wesen« unserer Bühne heute die schlimmsten Gefahren drohen, sondern sind überzeugt, daß es die Aufgabe des jetzt lebenden Geschlechtes ist, seiner vom Determinismus, von der Entwicklungslehre und allen übrigen Ergebnissen der eben erst von Eurer Majestät gepriesenen exakten Wissenschaften beherrschten Weltanschauung den künstlerischen Ausdruck zu suchen und zu finden; sie glauben, daß die von außen, namentlich von Norden, Osten und Westen gekommenen Anregungen für das Werden unserer Dichtung von schwer zu überschätzendem Wert gewesen sind und daß es für die deutsche Kunst förderlicher und deshalb auch im höchsten Sinn patriotischer ist, diesen Anregungen zu folgen, als pomphaft aufgeputzten Dilettantendramen, nur weil sie dynastische Legenden lärmend zu kurzem Scheinleben gestalten, die Theatertüren zu öffnen. Doch da kein Vernünftiger dem Kaiser das Recht freister Aussprache der eigenen Meinung bestreiten kann, wurden auch diese fremd klingenden Worte mit der geziemenden Ehrerbietung hingenommen. Ähnlich war das Empfinden, das bald darauf die in Potsdam vor der Front der Leibregimenter gehaltene Rede hervorrief. Die Klage des Sohnes, der den Schmerz über den Verlust des Großvaters und Vaters noch nicht verwunden hat, weckte sympathischen Widerhall und die Klage des Königs, der sich lange verkannt wähnte, überraschte durch einen aus diesem Munde neuen Ton trübsinniger Resignation. Rasch aber meldeten sich doch auch diesmal Bedenken. Hat wirklich nur das Heer zuerst an den dritten Kaiser im Deutschen Reich geglaubt, ist gerade ihm nicht, mehr als irgendeinem anderen deutschen Fürsten, die weit überwiegende Mehrheit des Volkes mit froh liebendem Vertrauen, wie nur je ein Bräutigam der Braut, entgegengekommen? Ist wirklich die Armee »die Hauptstütze des Landes und des Thrones«, von dem doch in der Volkshymne gesungen wird, daß ihn auf steiler Höhe nicht Rosse noch Reisige sichern, daß nur des freien Mannes unerzwungene Liebe ihn wirksam zu schützen vermag? Und kann es heutzutage, in der Zeit der allgemeinen Wehrpflicht, überhaupt nützlich sein, das Heer, durch dessen strenge Schule jeder waffenfähige Mann zu gehen hat, als eine in sich abgeschlossene, zu begrenzende Kasteneinheit in einen Gegensatz zu der Masse des Volkes zu bringen? Der Armee hat, wie Eurer Majestät bekannt ist, auch die große Mehrheit der zwei Millionen Männer angehört, die jetzt für die Sozialdemokratie gestimmt haben; auch sie taten im Waffenrock ihre Pflicht und eigneten sich da den vielleicht wichtigsten Teil der Fähigkeiten an, die sie nun zu brauchbaren Werkzeugen einer antimonarchischen Bewegung machen: den blinden Gehorsam, die straffe Disziplin und die Bescheidenheit, die sich damit begnügt, in einem riesigen Maschinenbetrieb ein kleines, unscheinbares Rädchen zu sein. Wenn die Armee den jungen Kaiser mit getrostem Vertrauen begrüßte, dann kam dieses Vertrauen aus der in stolzer Jugendkraft prangenden Generation, die damals das Heer bildete und heute, obwohl sie zum großen Teil Sozialdemokraten wählt, aus dem Heeresverbande geschieden ist. Der Gegensatz, den der Kaiser zu sehen glaubt, ist, so dachte das Volk, in der Wirklichkeit unserer deutschen Zustände, die keine Prätorianer kennt, nicht vorhanden. Und kaum war das Staunen über diese Rede verhallt, da kam auch schon die Nachricht, wieder sei ein Blatt konfisziert, wieder ein Verfahren wegen Majestätsbeleidigung eingeleitet worden. Wie viele Prozesse solcher Art werden wir noch erleben? Wird die Sozialdemokratie nicht triumphierend nächstens die Ziffer veröffentlichen, die mit Majestätsprozessen in diesen zehn bangen Jahren erreicht worden ist, und auf ihre Art so das Jubiläum feiern? So fragte man flüsternd ringsum. Und die sich das verbotene Blatt, in dem sie Fürchterliches finden zu müssen erwartet hatten, insgeheim noch verschaffen konnten, schüttelten, beinahe enttäuscht, die Köpfe und fragten beängstigt weiter: Ist es möglich, daß in einem modernen Lande solches geschieht, möglich, daß der Deutsche Kaiser sich durch diesen harmlosen Artikel beleidigt fühlt, der offenbar geschrieben wurde, um einen häßlichen und gefährlichen Verdacht von der Majestät abzulenken? Sollen wir in der Stickluft der Eunuchenpresse den freien, erfrischenden Atemzug mählich verlernen, der das Germanentum jahrhundertelang Kraft schöpfen ließ? Wieder verstand das Volk seinen Kaiser nicht und wieder erwachte, wie so oft schon, die Sorge, ob nicht binnen kurzer Frist die monarchische Entwicklung uns schwere Krisen heraufführen werde.

Das konfiszierte Blatt ist die »Zukunft«, der angeblich das Majestätsrecht verletzende Artikel ist von mir geschrieben. Da die Angelegenheit mich also leider sehr persönlich betrifft, bitte ich um die Erlaubnis, zunächst darüber sprechen zu dürfen. Sie werden gleich sehen, daß es sich nicht um eine persönliche, das öffentliche Interesse nicht berührende Sache, sondern um ein sehr ernstes Symptom handelt.

Als der das erste Jahrzehnt Ihrer Regierung endende Tag nahte, las man in manchen Blättern präludierende Artikel, nach deren Schilderungen im Deutschen Reich alles über jeden Begriff herrlich bestellt sein müßte. Kein Schatten einer Verstimmung zwischen Kaiser und Volk, keine Spur einer Minderung des deutschen Ansehens in der Welt, nein: wundervolles Wachsen, Blühen und Gedeihen unter dem Szepter eines Monarchen, den die große Mehrheit der Nation in überschwänglicher Liebe verehrt und um den uns alle Völker der bewohnten Erde beneiden. Mir wurden solche Artikel, wurden Gedichte und Anzeigen von Jubiläumswerken, die buchhändlerische Spekulation zu diesem Tage spenden zu sollen glaubte, in ganzen Haufen ins Haus geschickt. Sie ärgerten mich; denn sie widersprachen der Wahrheit, auch der subjektiven, zu der die Verfasser sich unter vier Augen bekennen würden. Soll, so dachte ich, das alte, unwürdige Spiel fortgesetzt, sollen die unheilvollen Versuche, den Kaiser über die wahre Stimmung zu täuschen, auch bei diesem Anlaß erneuert werden? Das Volk ist mißtrauisch; es kratzt gern, nach neugieriger Kinder Art, von flimmernden Gegenständen den Goldfirnis ab, glaubt gern, daß auch die durch ihre Geburt hoch über die Masse Erhöhten kleiner Menschenschwäche zugänglich sind, und kichert vergnügt, wenn es unter dem Purpur die Fleischfarbe entdeckt. Es will einen Herrn haben, aber dieses Herrn Wesenheit soll sich von der eigenen nicht allzu sehr unterscheiden. Werden ihm nun Schriften gezeigt, die den Monarchen im niedersten Schranzenstil verherrlichen, dann ist es schnell mit der Ansicht bei der Hand, solche Hymnen müßten doch wohl nach dem Geschmack des Besungenen sein. Und diese Ansicht muß selbst im Hirn der Verständigen Wurzel schlagen, wenn ihnen geschwätzig erzählt wird, der Gefeierte habe sich »huldvollst zur Entgegennahme« eines Buches »bereit erklärt«, in dem er als ein auf allen Gebieten menschlicher Betätigung zur Meisterschaft Herangereifter geschildert wird und dessen Absatz die Unternehmer im Prospekt durch die Bemerkung zu mehren suchen, die Liste der Besteller werde Ihrer Majestät der Kaiserin unterbreitet werden, die einen Teil des Ertrages wohltätigen Werken zuwenden wolle. Ein solcher Prospekt, einer von vielen, wurde mir, mit recht vielen unfreundlichen Glossen eines Vernunftmonarchisten versehen, gesandt und stimmte den Sinn zu allerlei ernsten Gedanken. Es ist nicht möglich, dachte ich, daß der Kaiser an diesen Dingen, die so übel nach Byzanz duften, im Innersten Freude hat, nicht möglich, daß es ihn befriedigen kann, wenn er erfährt, in der Tiergartenstraße, wo man doch keinen Grund hat, sich für den Bau neuer protestantischer Kirchen besonders zu erwärmen, seien so und so viele Exemplare von Leuten gekauft worden, die ihren Namen vor das Auge seiner Frau bringen möchten, wie ihm auch nicht angenehm sein kann, daß auf Plakaten und in Theaternotizen sein hoher Titel zu Reklamezwecken mißbraucht wird. Er läßt wohl, weil er sie nicht hindern kann, den Dingen ihren Lauf, lobt vielleicht auch den Eifer der Unternehmer, aber seiner innersten Neigung entspricht solches Gebahren sicher nicht. In diese Stimmung wehte der Zufall die Erinnerung an Laboulayes reizvolles Märchen vom Prince-Caniche hinein. Das weltberühmte, durch Geist und Grazie entzückende Buch schildert, wie ein edler Fürstensohn allen Versuchen der Byzantiner, ihn zu verblenden und zum Tyrannenwahn zu erziehen, siegreich widersteht, weil die Erfahrungen, die er selbst macht (der Märchendichter läßt sie ihn als Pudel machen), ihn zu ganz anderer Anschauung und zu weiser Selbstbescheidung führen. Hyazinth hat als fünfzehnjähriger Prinz, dessen Geist eine schlechte Tradition verwirrte, die eigene Kraft überschätzt, seiner Körperstärke und namentlich seiner Intelligenz zu viel zugetraut, aber er findet sich, als er auf den Thron gelangt ist, bald selbst und wird nicht nur ein guter König, nein: ein Musterbild moderner Monarchentugend. Da hatte ich ja, was ich brauchte, um die auch in loyalen Gemütern entstandenen Zweifel schnell und hoffentlich für immer zu verscheuchen. Wilhelm der Zweite gleicht, wenn er ihm je glich, nicht mehr dem Prinzen, gleicht, wenn mein Blick nicht trügt, noch nicht dem König Hyazinth: er steht in der Mitte des von jedem temperamentvollen, mit einem reichen Erbe beschenkten Monarchen zu durchmessenden Weges und erst das zweite Regierungsjahrzehnt kann über sein Charakterbild volle Klarheit schaffen. Jetzt aber, gerade jetzt, nach dem von der Profitsucht bewirkten Jubiläumslärm und nach den Wahlen, schien mir die Stunde gekommen, wo man andeuten durfte und sollte, wie eine sympathische Monarchenpersönlichkeit das Herandrängen byzantinischer Liebedienerei empfinden muß, wie sie das Maß des eigenen Wesens viel richtiger und viel bescheidener zu bestimmen weiß als der Troß der kleinen Leute, die sie, geschäftig wedelnd, umdienern, weil sie dabei einen fetten Bissen oder mindestens einen Huldbeweis zu erschnappen hoffen. Der in der kleinen Fabel skizzierte König weist allzu hitzige Bewunderer in ihre Schranken zurück und bekennt sich zu Ansichten, die jeden Monarchen zieren müßten. In der Märchenwelt könnte er so sprechen, wie ich ihn sprechen ließ, könnte er auch die Einstampfung von Schriften befehlen, deren Geruch ihm nicht wohlgefällig ist. In der gemeinen Wirklichkeit hat der moderne Monarch diese Macht nicht, spricht er auch wohl vor Privatpersonen aus einer ihm fremden Gesellschaftsschicht nicht seine geheimsten Gedanken aus. Ist es aber beleidigend, anzunehmen, daß auch ein moderner Monarch über byzantinische Regungen im Innersten wenigstens so denkt, wie der zum Mut der Wahrheit gereifte König Hyazinth in der Fabel darüber spricht?

Diese Frage hat ein von der Staatsanwaltschaft veranlaßter Amtsgerichtsbeschluß bejaht. Wer an die neue und neueste Gerichtspraxis nicht gewöhnt ist, wird staunend forschen, wo denn die Beleidigung der Majestät in einem Artikel zu finden sei, in dem der Kaiser nicht mit einer Silbe erwähnt wird und in dem er, wenn sein Wesen wirklich der Pudel-König verkörpern sollte, doch nur in der anmutigsten Gestalt erschiene. Und der Forscher wird weiter fragen, ob ein Märchen, das in Frankreich vor einunddreißig Jahren, in der schlimmsten Zeit der napoleonischen Bücherzensur, in den Tagen des erbitterten Polizeikampfes gegen Rocheforts Lanterne, unbeanstandet blieb, heute im Deutschen Reich den Tatbestand eines Majestätsverbrechens enthält; vielleicht auch, ob nicht viel eher die Annahme beleidigend gewesen wäre, der Kaiser könne mit innerem Behagen auf die üppig ans Licht wuchernden byzantinischen Künste blicken, könne sich freuen, wenn er liest, daß er auf allen Gebieten menschlicher Betätigung ein Meister ist, könne am Ende gar befriedigt schmunzeln, wenn der von seinem Wink abhängige Theaterintendant ihm ins Gesicht zu sagen wagt: »Nur unter den Augen Eurer Majestät, nur dem weisen Rat, den allzeit das Richtige treffenden Anweisungen, dem hohen und feinen Kunstverständnis, dem umfassenden Wissen Eurer Majestät ist es möglich gewesen, die königlichen Theater so weit zu bringen, daß ihre Aufführungen, wie ich sagen darf, mit wenigen Ausnahmen wohl jederzeit als Parade- und Festvorstellungen vor Eurer Majestät gegeben werden könnten.« Die Annahme, solches Gerede könne den Kaiser erfreuen, würde auch ich heute noch für ungerecht, für beleidigend halten; sie zu entwurzeln, war der Zweck der kleinen Fabel und kaum etwas konnte mich mehr überraschen als der Versuch, in ihr eine Kränkung des Kaisers zu finden. Da ich aber recht oft schon das Objekt der vivisektorischen Bemühungen strebsamer Staatsanwälte gewesen bin, habe ich mich in die dunklen Gedankengänge solcher Herren nachgerade hineinfühlen gelernt und kann mir auch jetzt schon ungefähr vorstellen, wie sie ihre übereilte Anklage begründen werden; bei solchen »Begründungen« wird fast immer ja nach dem Satz Edmond Schérers verfahren: »Rien n'est plus répandu que la faculté de ne pas voir ce qu'il y a dans un article, et d'y voir ce qui n'y est pas.« Ein Herr in der Robe wird sich also am festgesetzten Tage des Termines vom Sitz erheben, das Barett aufstülpen und sprechen: »Der Angeklagte macht geltend, er habe einen der höchsten Sympathie würdigen Monarchen geschildert und ihn Worte sprechen lassen, die jedem Herrscher zur Ehre gereichen müßten. Das ist unbestreitbar richtig, wird auch von der Anklagebehörde natürlich nicht bestritten. Da aber dem Angeklagten bekannt war, daß unseres Kaisers Majestät nicht so zu reden geruht haben, wie er seinen Fabelkönig reden läßt, wollte er einen Vergleich heraufbeschwören, der die Allerhöchste Person zu verhöhnen und verächtlich zu machen voll und ganz geeignet ist. Er wollte sagen: ›So müßte ein guter Monarch sprechen, – fragt Euch, ihr Leser, also selbst, ob einer, der nicht so spricht, ein guter Monarch sein kann!‹ Der Angeklagte hat demnach die Absicht, des Kaisers Majestät herabzusetzen, in sein Bewußtsein aufgenommen; er hat freilich, aus dem Gefühl einer Vorsicht, die man weniger höflich auch Feigheit nennen könnte, die Folgerungen seinen Lesern überlassen, mindestens aber mit unbestimmtem Dolus gehandelt und deshalb habe ich, im Interesse der durch solches Treiben gefährdeten Rechtsordnung, zu beantragen« und so weiter. Zuvor aber wird er sich emsig bemühen, dem Gerichtshof zu beweisen, alles Ungünstige, was über den Prinzenknaben Hyazinth gesagt ist, müsse unbedingt auf den Kaiser bezogen werden, während die überaus günstige Schilderung des Königs Hyazinth für das Urteil gar nicht in Betracht kommen könne … Ich will nicht erst fragen, ob solche Gesinnungsriecherei, solches Schnüffeln nach Anspielungen überhaupt der Rechtspflege eines modernen Landes würdig ist, nicht prüfen, was mit solchen Waffen gegen Treitschkes Charakteristik Friedrich Wilhelms des Vierten und manches andere Werk auszurichten gewesen wäre. Aber ist dem begründenden Staatsanwalt der Unterschied zwischen dem Märchenstil und den Lebensformen unserer Alltäglichkeit denn wirklich unfaßbar? Weiß er nicht, daß in der Märchenwelt, wo Baum und Busch, wo alles, was kreucht und fleucht, mit menschlicher Stimme und menschlichem Intellekt begabt ist, jedes handelnde oder leidende Wesen aussprechen darf und muß, was es in der Wirklichkeit schweigend fühlen würde? Und hat er nicht einmal bemerkt, daß ich selbst in der Märchenform noch ausdrücklich sagte, der Bericht über die Rede des Königs entstamme wahrscheinlich einem Organ der Umsturzpartei, einer märchenländischen Umsturzpartei, die, nach alter Legendensitte, den König gegen die Kamarilla auszuspielen versucht, während das unter ministerieller Verantwortlichkeit redigierte Regierungsblatt keine Silbe davon meldete? Mit fast zu derber Deutlichkeit wies diese Bemerkung den Leser doch darauf hin, nicht in offiziellen Berichten etwa das Echo des Empfindens zu suchen, das in der Seele eines Monarchen lebt, und sich durch die Kahlheit solcher Berichte nicht den Glauben an den guten Geschmack eines Regenten rauben zu lassen …

Ich sehe dem Prozeß seelenruhig entgegen. Noch sind wir am Ende doch nicht so weit, daß man im Deutschen Reiche Richter finden könnte, denen dieser Artikel hinreichenden Stoff zu einer Verurteilung böte. Wären wir so weit, dann hätten wir allzu redlich den Hohn des Auslandes verdient, das schon jetzt von dem Khalifat Deutschland sich höhnisch zu raunen erdreistet. Dann wäre der alte Ruhm deutscher Rechtspflege im Fundament erschüttert und Treitschkes wehmütiges Wort furchtbare Wahrheit geworden, daß eine ernste Publizistik bei uns nicht mehr möglich ist. Dann müßten wir auf gekrümmten Knien um gnädige Wiedergewährung der alten Präventivzensur betteln, deren Zustände im Vergleich mit den heutigen paradiesisch zu nennen wären. Ich werde einstweilen der Überzeugung leben, daß Wilhelm der Zweite so denkt, wie ich Laboulayes Hyazinth sprechen ließ. Und wenn ich offiziell und unzweideutig darüber belehrt werden sollte, daß er wider Erwarten nicht so denkt, dann werde ich mir sagen: Er kennt die Stimmung des Volkes nicht, hält, was künstliche Mache, was der Brunstschrei der nach Gunst oder nach Vorteil gierigen Profitwut ist, für das Echo der Wahrheit und glaubt, der Volksstimme, mag sie ihn mit der Schmeichelsucht der Liebe auch nach seinem Gefühl überschätzen, den Weg zu seinem Ohr nicht versperren zu dürfen.

Und hier wird die scheinbar private zur öffentlichen Angelegenheit; hier mündet die Klage des Einzelnen in die Besorgnis eines großen und wichtigen Teiles der deutschen Volksgemeinschaft.

»Sire,« so sprach Junius einst zum dritten Georg, »es ist das Unglück Ihres Lebens und die tiefste Ursache der unheilvollen Erscheinungen, die wir unter Ihrer Regierung erleben mußten, daß Sie die Sprache der Wahrheit nicht hören, sie in den Klagerufen ihres Volkes nicht belauschen können. Noch sind wir bereit, alle bejammernswerten Vorgänge zu vergessen und auf das natürliche Wohlwollen Ihres Wesens die stolzesten Hoffnungen zu setzen. Weit sind wir von dem Gedanken entfernt, Ihre Absicht könne übel, könne auf die Zerstörung der Grundrechte gerichtet sein, auf denen alle bürgerliche und politische Freiheit in Ihrem Lande beruht. Nährten wir einen für Ihr Ansehen als eines gewissenhaften Königs so schimpflichen Verdacht, dann würden wir für unsere Vorstellungen schon längst nicht mehr den Ton demütiger Klage wählen. Englands Volk hält dem Hause Hannover die Treue, nicht, weil es eine Familie der anderen vorzieht, sondern, weil es überzeugt ist, daß für die Erhaltung seiner bürgerlichen und religiösen Freiheiten die Herrschaft dieser Familie notwendig war und ist. Ein Fürst, der dem bösen Beispiel der Stuarts folgen wollte, sollte gerade durch dieses Beispiel belehrt und gewarnt werden und, statt sich stolz seines hohen Königstitels zu rühmen, lieber still bei sich bedenken, daß Kronen in Revolutionen nicht nur gewonnen, nein, auch verloren werden können.« Die Verhältnisse lagen im England des Junius anders als heute im Deutschen Reich; hier wie dort aber ist nichts wichtiger, als daß an einer Stelle mindestens noch die subjektiver Überzeugung entspringende Wahrheit rückhaltlos ausgesprochen wird; vielleicht dringt sie dann doch auf die Höhe des Thrones. Solange ich Atem habe, wird nichts, gar nichts, mich hindern, auszusprechen, was ist. Und wenn der Wunsch, mich ins Gefängnis zu bringen, endlich erfüllt, wenn jeder andere, der noch ein offenes Wort zu sagen wagt, unschädlich gemacht würde: was wäre gewonnen? … Schopenhauer schrieb einmal: »›Die Wahrheit steckt tief im Brunnen‹, hat Demokritos gesagt und die Jahrtausende haben es seufzend wiederholt. Aber es ist kein Wunder, wenn man, sobald sie heraus will, ihr auf die Finger schlägt.« Damit man sieht, daß mich das Ausholen zum Schlage noch nicht wie einen Jammermann erschlottern läßt, will ich, was mir wahr scheint, wenigstens gründlich sagen, – auf die Gefahr, der Strebsamkeit neues Material zu neuen »Begründungen« zu liefern.

Sie werden, Herr Kaiser, schmählich seit Jahren belogen. Die Stimmung ist nicht so, wie sie Ihnen geschildert wird, ist vielmehr so, daß die wärmsten Anhänger der Monarchie sie bekümmert, mit wachsender Besorgnis sehen. Ihnen hat man, wie ich annehme, gesagt, zuerst habe die von Friedrichsruh gespeiste Bismarckfronde, dann die Agrarfronde gegen Ihr Ansehen gewühlt; beider Tücke, so fahren die Tuschler wohl fort, sei siegreich längst durch die Macht Ihrer strahlenden Persönlichkeit überwunden, der sich der Erdkreis in Bewunderung beuge, und nun schalle, außerhalb des Lagers der »roten Rotte«, nur eine hell jauchzende Stimme des Jubels über Ihre Reden und Taten durch das deutsche Land. Als Beweisstücke werden Ihnen dann wahrscheinlich Zeitungsausschnitte vorgelegt, aus denen das höchste Lob Ihnen entgegenklingt. Das alles ist unwahr. Die Jubelartikel werden bei Parteiführern bestellt, denen man ins Ohr flüstert, es sei für die Fraktionszwecke nützlich, den Kaiser bei guter Laune zu erhalten, oder sie entstammen dem Geschäftssinn der Bourgeoisie, die aus Plusmachersucht um jeden Preis die Ruhe bewahrt wissen möchte und erst ungeberdig werden wird, wenn eines häßlichen Tages der kleinste Konflikt die Schachermachei und deren heiligste Güter bedroht. Die Leute, die, weil der Brotherr es heischt, diese Artikel schmieden müssen, glauben kein Wort von dem, was sie schreiben; sie sitzen nach der Arbeit im Wirtshaus und erzählen einander Kaiseranekdoten. Genau dasselbe tun die Offiziere in den Kasinos, die Beamten in den Ministerien und Präsidialbüros. Die konservativen Abgeordneten, die in dröhnendem Prologpathos ihre monarchische Gesinnung beteuern, haben ihrem Gutsnachbarn eben den neuesten Hofklatsch über Sie zugetragen. Die Herren vom Hofdienst, die Ihnen aufwarten, haben aus dem Witzblatt in wonnigem Behagen eben eine möglichst gepfefferte Anspielung auf Ihre letzte Soldatenrede geschluckt. Und die Richter, die einen Beleidiger der Majestät ins Gefängnis schickten, schlürfen grinsend beim Frühstück den neuesten Kaiserwitz ein, der gestern in einer Gesellschaft hoch betitelter Männer von Mund zu Mund ging. Daß solche erbärmliche Heuchelei dem deutschen Boden entkeimen konnte, dünkt Sie undenkbar. Tun Sie den Männern nicht Unrecht, von denen ich sprach! Sie sind Ihnen treu, lieben die Institutionen, deren Vertreter Sie sind, und wären glücklich, wenn sie nie ein unfreundliches kritisierendes Wort über den Monarchen hören müßten. Aber sie hören es überall; denn wo heute zwei Monarchisten, die einander der Denunziantenschmach nicht für fähig halten, beisammen sitzen, da wird dieses Thema berührt; muß es berührt werden, weil fast jeder öffentliche Vorgang, jedes politische, wissenschaftliche oder künstlerische Ereignis den Betrachter schnell auf Sie und Ihre Stellung zur Sache zurückführt. Wenn alle Leute, die bei solchem Anlaß gegen die strenge Auslegung des Strafgesetzes verstoßen, der Majestätsbeleidigung angeklagt würden, säße bald die ganze Elite des deutschen Volkes hinter Kerkermauern und die Welt würde beklommen dann erkennen, daß Treitschke recht hatte, als er zu sagen pflegte, jeder ehrliche Royalist sündige heutzutage mindestens einmal in jedem Monat gegen den Majestätsparagraphen. Die Mehrheit des Volkes fürchtet, daß die Freiheit Ihres Auges durch eine Binde gehemmt ist, die schlaue Höflingskunst der Liebediener fältelte und schlang, und daß, wenn diese Binde nicht sehr bald entfernt wird, die Möglichkeit harmonischen Zusammenwirkens von Kaiser und Volk rascher und völliger vernichtet werden muß, als Sie in der königlichen Einsamkeit des Hofgetriebes heute noch zu ahnen vermögen.

Das ist meine Wahrheit, ist die Wahrheit, die tausend ernste, ihrem Kaiser treu ergebene Männer täglich ausstöhnen. Fragen Sie Ihre Minister, und wenn die nicht klipp und klar antworten, Ihre greisen, in den Ruhestand verabschiedeten Offiziere. Die werden nicht lügen, werden im Angesicht des Todes nicht die unmännische Sünde auf sich laden, die der alte General Pape vor ein paar Jahren Hochverrat in Reihe und Glied genannt haben soll. Fragen Sie den Fürsten Bismarck, Herrn Bronsart von Schellendorff, Aug in Auge sogar den Freiherrn von Stumm, ob die Stimmung nicht genau so ist, wie ich sie hier geschildert habe, ob nicht die Grundmauern des monarchischen Sinnes sacht schon zu wanken beginnen und nur die Heuchelei noch, der oft verhöhnte Cant, das Dekorum wahrt. Fragen Sie Ihre gekrönten Vettern, die Bundesfürsten, wie es in ihren Staaten aussieht und welche Gefühle während der letzten Jahre in den zur Reichsgründung opferfroh vereinten Dynastien erwachsen sind. Wer Ihnen die Dinge anders darstellt, lügt in seinen Hals oder hat nie Gelegenheit gehabt, die Verhältnisse in der Nähe zu sehen. Und wenn Sie über Einzelheiten wahrhaftig unterrichtet sein wollen: lassen Sie sich von dem Rektor der Alma Mater erzählen, wie von den Berliner akademischen Lehrern Ihr Wort beurteilt worden ist, Schule, Universität und Theater hätten »Werkzeuge des Monarchen« zu sein. Rufen Sie die bewährtesten Vertreter der exakten Wissenschaften und des Heeres herbei und fordern Sie von Ihnen hüllenlose, ungeschminkte Wahrheit. Versammeln Sie die vorragendsten Künstler um Ihren Thron und lassen sie, als wären sie unter sich und unbelauscht, über die Wirkung Ihres Einflusses auf die deutsche Kunstgestaltung sprechen. Wenn sich aus alledem dann ergibt, daß ich das reine Bild der Wahrheit wissentlich entstellt, ihre Züge bübisch verzerrt habe, dann wird es Zeit sein, den ungeduldigen Bütteln zu winken … Aber mir bangt (leider?) nicht vor dem Nahen solcher Fährlichkeit.

… Zwei Männer, denen Genie und Erfahrung das tiefste Dunkel monarchischen Wesens erhellte, haben über die heute wohl wichtigste Königspflicht gute, einander ergänzende Worte gefunden. Bonaparte sagte: »Un roi n'est pas dans la nature; il n'est que dans la civilisation. II n'en est pas de nu; il ne saurait être qu' habillé.« Und Bismarck fügte, ohne vielleicht Napoleons Wort zu kennen, die besser pointierte Lehre hinzu, ein moderner Monarch solle sich so selten wie möglich ohne ministerielle Bekleidungsstücke zeigen. Tut er's dennoch, dann darf er sich über die Wirkung solchen Wagemutes nicht wundern, dann muß er auf seine Rede auch die Gegenrede dulden, muß der nackt Einherschreitende gestatten, daß hier und da ein Knabe ihm zuruft: Herr König, Ihr seid ja nackt! Solcher Ruf mag manchem schüchternen Gemüt skandalös scheinen; der Rufer darf sich aber mit Augustinus trösten, der meinte, wenn eine Wahrheit skandalös sei, müsse man, um sie hören zu können, den Skandal eben mit in den Kauf nehmen. Längst entschwand die Zeit, da Karl der Zehnte Berryers Bedenken lächelnd mit dem Wort abwehren konnte: »Ich bedarf keiner Erfahrung. Sie halten mein Beginnen für tollkühn; aber Gott steht mir täglich durch Mitteilungen bei, über deren Ursprung ich mich nicht täuschen kann.«

Daß Wahrheit, von keiner Schranke, keiner spanischen Wand, keiner Lakaienkunst gehemmt, Ihr Ohr erreiche, wünscht aufrichtig und in Ergebenheit

M. H.


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