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Der tiefe Schnee blieb lange auf den Bergen liegen, um schließlich in aller Stille, wie ein im Schlafe zur ewigen Ruhe eingehender Mensch, dahinzuschwinden. Der Frühling kam und der Sommer und abermals der Winter, und alles, was sich während dieser Zeit ereignete, zu verzeichnen, würde mich ermüden, denn ich fühle, während ich diese Zeilen niederschreibe, wie schwach mein Lebenspuls ist; auch gehöre ich nicht zu den Menschen, denen die Wortmalerei zu Gebote steht. Mein Lebensweg hatte sich geklärt und geebnet, und früh und spät war ich bei meiner einfachen Beschäftigung zu finden, damit die körperliche Anstrengung mein verbittertes Gemüt im Zaume halte.
Mit meinem Fischerboot war auch meine Flinte, die ich vorsätzlich darin zurückgelassen hatte, untergegangen, und als das Wrack des Luggers von der Flut an den Strand gespült wurde, war sie nicht mehr darin. Daran erkannte ich einen Fingerzeig Gottes, daß ich nicht mehr jagen sollte. Trotzdem aber ging ich noch eine Zeitlang in meinem kleinen Kahn, der auf dem Strande gelegen hatte und von dem Sturm verschont geblieben war, auf die See hinaus, um mit der Angel zu fischen. Bald jedoch durchfuhr mich der Gedanke, daß, wenn es unrecht sei, einen Hasen zu schießen, es ebenfalls nichts Edles sein könne, einen Kabeljau zu fangen. Ich wußte sehr wohl, daß dergleichen Ideen ein Anflug von Wahnsinn zugrunde läge, und daß zu töten und zu essen eines der Lebensgesetze der Menschen und sogar eine Verordnung Gottes sei. Für einen Menschen in meinen Verhältnissen jedoch, der vom Lande der Lebenden abgeschnitten, sein großes Verbrechen des Blutvergießens verbüßt, kommt es mir wie eine sehr harmlose Art von Wahnsinn vor, die mich davor zurückschrecken ließ, mutwillig oder um des Hungers willen, mich an einem Leben zu vergreifen. Die Furcht zu töten quälte mich entsetzlich und artete zu einer so fixen Idee aus, daß geistig gesunde Menschen mich verlacht haben würden. So erweckte mich zum Beispiel viele Nächte nacheinander das Nagen einer Maus. Eines Morgens erhob ich mich vor Tagesgrauen und erschlug das arme, kleine, sich mir zeigende Geschöpf mit einer Eisenstange, um dann von den entsetzlichsten Gewissensbissen gepeinigt zu werden, nicht aus Mitleid für die Maus (die Menschheit bemitleidete ich schon lange nicht mehr), sondern des plötzlich in mir aufsteigenden Gedankens wegen, daß der aus ihrem harmlosen kleinen Körper vertriebene Lebensgeist nun als unsichtbarer Gefährte mich umschwebe. Obgleich ich die große Haltlosigkeit derartiger Ideen wohl erkenne, scheint es mir doch, daß ich als ein Mensch, der nur zwischen menschlicher Schwäche und tierischer Kraft zu wählen hatte, meinem innerlichen Wesen und Gemüt am wenigsten dadurch schadete, daß ich in kindischer Nachgiebigkeit der milderen Seite mich hingab.
Und es ist in Wahrheit eine köstliche Erfahrung, zu beobachten, wie die Geschöpfe der Erde und der Luft menschliche Güte mit Vertrauen erwidern, ob sie nun wie bei meinem heiligengleichen Vater der Liebe für sie, oder wie bei mir der Eigenliebe entspringt. Die Seevögel flogen in meine Türe herein und pickten die Brocken zu meinen Füßen; die wilde Ente des Moores erhob sich nicht von ihrem Nest, wenn ich kaum einen Schritt von ihr entfernt, vorüber schritt; ein feister Hase hatte sich einen Gang unter meinem Hause gegraben und kam in der Dämmerstunde daraus hervor, um die Kartoffelschalen, die ich vor die Türe warf, aufzuknabbern, und wäre es nicht um Millish-veg-veen und seine Hinterlist gewesen, hätte ich mit den Kaninchen der schwarzen Koppe wie mit jungen Katzen spielen können.
Ich könnte diese ganzen Seiten mit Herzählung aller Notbehelfe ausfüllen, die ich mir aus Mangel an alledem, dessen sogar ein einzelner Mensch für seine Bequemlichkeit und Behaglichkeit bedarf, ersann. So kostete es mich viel Kopfzerbrechen, einen Ersatz für meinen Zunder, der größtenteils mit meinem Boot untergegangen war, zu erfinden, und ebenso Leder für die Sohlen meiner Stiefel, als sie bis an den Rand abgetragen waren.
Und doch befand ich mich in keiner schlimmeren Lage als viele andere ihre Entbehrungen schildernde Männer, und noch nicht einmal in einer so schlimmen, da ich wenigstens in meinem Kampf um das Dasein für den Anfang versorgt gewesen war. Während des ersten Jahres meines elenden Zustandes gewannen meine Sinne nicht nur ihr gewohntes Auffassungsvermögen zurück, sondern sie verschärften sich sogar. Oft schien mein Körper ohne Hilfe meines Geistes zu handeln, und, mit meinen Gedanken ganz anderweitig beschäftigt, fand ich, ohne auch nur über einen Stein zu stolpern, in stockfinsterer Nacht meinen Weg über das unbetretene Moor nach Hause zurück. Bei Nordwind oder bei großer Windstille konnte ich die Glocken von der auf dem Castletowner Marktplatz stehenden Kirche hören, und daran wußte ich, welch ein Tag in der Woche es war. Niemand kam meiner Wohnung nahe, wenn jedoch je ein Mensch eine achtel Meile von ihr entfernt vorüberging, schien ich seine Fußtritte auf dem Rasen zu fühlen.
Und nun, während ich die Feder halte, sträubt sich meine Hand und versagt mir der Mut, alle mich zu jener Zeit überkommenden, seltsamen Launen niederzuschreiben. So lächerlich und doch so tragisch erscheinen sie mir, wie sie, eine nach der anderen, aus dem Grabtuch der Erinnerung wieder auferstehen, daß meine nicht länger krankhafte Einbildung vor ihnen, als vor armseligen Nichtigkeiten, die kein anderer als ein in der Verbannung lebender Mensch natürlich finden kann, zurückschreckt. Wenn aber die Augen, für die ich dies schreibe, je diese Zeilen lesen sollten, so wird die hinter ihnen verborgene zarte Seele nicht über meine Verirrungen lachen, und Tränen verlange ich nicht. Nur mag als Entschuldigung für dieselben wiederholt werden, daß ich zu der Zeit in beständiger Furcht lebte, der Wahnsinn und mit ihm die tierischen Instinkte könnten sich meiner bemächtigen und den menschlichen Geist in mir ertöten.
Ich kann es nicht beschreiben, wie angelegen ich es mir sein ließ, in meiner Einsamkeit wie ein unter seinen Mitmenschen lebender Mensch mich zu benehmen. Bis auf die geringsten Einzelheiten versuchte ich, mir die Gewohnheiten anderer Männer zu bewahren. Wie immer ein anderer Christenmensch sich gebärden würde, so gebärdete ich mich (obgleich ich allein war und weiter kein Auge mich sehen konnte) mit feierlicher, ernster Gewissenhaftigkeit. So zum Beispiel wusch ich mich vor dem Essen nicht nur, sondern kleidete mich vollständig um, zog meine Wasserstiefel oder die Sandalen, in denen ich gearbeitet hatte, aus, und meine mit silbernen Schnallen versehenen Schuhe an. Meine Matrosenjacke vertauschte ich gegen einen langen, blauen Rock und war höchst sorgfältig, daß mein Vorhemd fleckenlos sein sollte. Auf diese Weise kleidete ich mich auch am Abend für die kurze Zwischenpause zwischen Arbeit und Nachtruhe um. Daß meine Wangen frei von allem Haarwuchs blieben und mein Haupthaar nie überlang wachsen sollte, war meine beständige Sorge, damit nicht der Spiegel mir eines Tages offenbaren möge, daß mein Gesicht sich von dem anderer Männer unterscheide. Es widersteht mir jedoch, alle die törichten kleinen Formalitäten und albernen Zeremonien, die ich beim Ausgehen wie bei der Heimkehr, beim Niedersetzen und Aufstehen beobachtete, niederzuschreiben. Unsäglich komisch und lächerlich würden einige derselben mir jetzt erscheinen, wäre es nicht um der ihnen zugrunde liegenden traurigen Bedeutung willen. Und bei der Erinnerung, wie sehr ich es an allen diesen Lebensförmlichkeiten früher, wo sie am meisten am Platze gewesen wären, hatte fehlen lassen, könnte ich fast lachen, wenn ich mir denke, wie peinlich ich sie zu der Zeit, als ich ganz allein war und kein Auge auf mir ruhte, übte; wie ich mich gebärdete und mich kleidete, oder in welch einer trübseligen Art ich mich in meiner Einsamkeit wie ein Mann zu benehmen strebte.
Wenn ich mich aber auch versucht fühlen sollte, darüber zu lachen, wie ich, der ich gezwungenerweise das Leben eines Tieres lebte, einsam wie ein Wolf und ohne irgend einen männlichen Beruf in der Welt auszufüllen, mich bemühte, meine Manneswürde aufrecht zu halten, so erregt die Erinnerung an eine andere mich ebenfalls überkommende Art von Hirngespinst keine Lachlust in mir. Es war die Überzeugung, daß Ewan, Mona und mein Vater mich besuchten. Wahnsinn möchte ich es nennen, nie aber schlug mein Puls gleichmäßiger oder schien mein Kopf klarer, als wenn ich ihrer Anwesenheit mir bewußt war. Oft, wenn ich den langen Tag damit verbracht hatte, Kalkstein am Strande zu graben oder zu suchen und im Zwielicht nach meinem Hause zurückkehrte, erblickte ich vielleicht plötzlich, während ich den Türdrücker hob, und meine Gedanken noch vollständig mit meiner Arbeit beschäftigt waren, alle drei in meiner Küche beieinander sitzend, und ihre Augen bei meinem Eintritt auf mich richtend. Ich war vollkommen von der Wirklichkeit dessen, was ich hier berichte, überzeugt, aber doch schien ich mir immer bewußt zu sein, daß nicht meine körperlichen Augen es waren, die die Erscheinungen sahen. Offen genug waren sie freilich und vollkommen wach und fähig, alle mich umgebenden Gegenstände – meinen Stuhl, meinen Tisch, mein selbstgezimmertes Sofa und das rot auf dem Herde glühende Torffeuer in sich aufzunehmen. Neben dieser körperlichen Vision jedoch offenbarte sich mir eine geistige Vision, greifbarer als die eines Traumes, zarter und wandelbarer als die einer materiellen Wirklichkeit, in der ich ganz deutlich Ewan, Mona und meinen Vater ihre Augen auf mich richten sah. Es mag nichts anderes als ein Hirngespinst gewesen sein, ich könnte es aber vor Gottes lichtem Thron wiederholen, daß ich alles, was ich hier erzähle, gesehen habe, und nicht ein oder zwei, sondern viele Male.
Ebenso erinnere ich mich ganz deutlich, welch einen Einfluß diese Erscheinungen auf mich ausübten. Anfänglich sah ich sie mit Entsetzen, denn als sie sich mir zum ersten Male, während ich das Türschloß niederdrückte, zeigten, schreckte ich so vor ihnen zurück, daß ich kehrt machte und später nur zitternd mein Haus wieder betrat. Dann aber schien ihre Gegenwart mir Gesellschaft und Trost in meiner Verlassenheit zu gewähren. Öfter als einmal glaubte ich in jenen Tagen großer Einsamkeit wirklich unter den dreien gesessen, und vereint mit ihnen von all dem Guten und Schönen geträumt zu haben, das uns das Leben hätte gewähren können, wenn es nicht meiner eigenwilligen Wut und der grausamen Verkettung unserer Geschicke wegen gewesen wäre.
Ein Umstand fiel mir auf, der mir selbst jetzt noch, und zwar zu den Stunden, da meine Einbildungskraft am wenigsten erregt ist, wunderbar erscheint. Während der ganzen Zeit, daß ich im Boote lebte, und noch einige Zeit, nachdem ich in mein Haus übergesiedelt war, pflegten die drei von mir Genannten mir vereint zu erscheinen; nachdem ich jedoch meinen blödsinnigen Nachbar tot auf dem Moor gefunden, und die Unterhaltung der beiden Männer, die seine arme Leiche für die meine hielten, erlauscht hatte, hörten Mona und mein Vater auf, mir zu erscheinen, und ich pflegte nur Ewan seitdem noch zu sehen. Hierüber grübelte ich lange nach, und schließlich drängte sich mir die feste Überzeugung auf, daß meine Vermutung sich erfüllt und das irrtümliche Gerücht meines Todes Monas und meines Vaters Ohren erreicht habe. Und darauf saß ich dann allein mit Ewan, wenn er mich besuchte, und oft schienen wir die alten, treuen Genossen wieder zu sein, denn seine Augen drückten tiefes Mitleid aus, und ich meinerseits hörte auf, die wilde Leidenschaft, die uns körperlich getrennt hatte, zu verfluchen.
Diese meine Aufzeichnungen sind nicht für solche Menschen bestimmt, die kalt und gleichgültig auf sie herabschauen, sonst würde meine Hand sich geweigert haben, sie niederzuschreiben. Daß ich jedoch augenscheinlich alles das, was ich hier beschrieben, gesehen habe, ist ebenso wahr vor Gott, wie ich ein vom Lande der Lebenden abgeschnittener Mensch war.
Eine wesentlichere Folge indes zog die Entdeckung der Leiche auf dem Moore nach sich. Die Furcht vor der Stunde, da auch ich einmal sterben, und meine Leiche unbegraben auf dem nackten Boden ausgestreckt liegen würde, verfolgte mich so unausgesetzt, daß ich keine Ruhe fand, bis ich mir einen Plan ersonnen hatte, der meine letzten Stunden vor diesem quälenden Gedanken bewahren würde. Wie ich schon vorher gesagt habe, war mein Haus dicht hinter den sogenannten Fällen gelegen, einer Stelle, an der die See die Felsen dieses armseligen Küstenstriches mit Hunderten von Abflußrinnen durchbohrt hat. In eine dieser Rinnen hatte ich mich vermittelst eines um eine starke Schiffsplanke gewundenen Taues herabgelassen und dort unten eine tiefe Erdspalte, einen langen Steinblock und ein von Pilzen und Schimmel bedecktes Felsengrab gefunden, in das hinab kein Hund gelangen, in dem kein Raubvogel seine Flügel ausbreiten konnte. An diesen Ort, beschloß ich, wollte ich mich, wenn meine Lebenskraft zu schwinden begann, hinablassen. Nachdem ich einmal unten wäre, wollte ich den Strick herabziehen und dann, dem Ende nahe, in dieser selbst erwählten Grube, die mir als Sterbebett und Grabstätte zugleich dienen sollte, den Tod erwarten.
Ich war jedoch noch ein kräftiger Mann, und so hart mein Los auch sein mochte, schreckte ich doch vor dem Gedanken an den Tod zurück und tat alles, was in meiner Kraft stand, die Erinnerung an ihn zum Schweigen zu bringen. Nicht einen Tag ließ ich vergehen, ohne die Anhöhe zu ersteigen und auf die im Tale liegenden Wohnstätten der Menschen hinabzublicken. Leben, Leben, Leben war jetzt der ununterbrochene Schrei meines Herzens, und es schien mir eine köstliche Sache am Leben zu sein, auch wenn ich eigentlich nicht wirklich lebte, sondern nur existierte.
Ob mich von dem Tage an, wo ich die Unterhaltung der beiden an meinem Hause vorübergehenden Männer anhörte, das ganze Jahr hindurch oder länger ein Mensch zu Gesicht bekam, kann ich nicht sagen. Ich vermied aufs sorgfältigste sogar die von den Schäfern benutzten Wege, und nie schien irgend ein menschlicher Fuß von der Schwarzen Koppe bis zum Strand des Sundes auch nur auf eine achtel Meile dieser verlassenen Stätte sich zu nähern. Es begab sich aber an einem Tage gegen den Winter hin, zu Anfang des zweiten Jahres meiner Verbannung, als ich in Gedanken verloren den Weg nach Port-le-Mary entlang wandernd dem Dorfe mich mehr als ich beabsichtigte, genähert hatte, daß ich mich plötzlich vier oder fünf angetrunkenen Burschen gegenüber sah, die im Ginster Froschhüpfen spielten. Es schienen englische Matrosen zu sein, und sie gehörten vielleicht zu der Brigg, die mir vor einigen Tagen, als sie leewärts des Carrickfelsens in der Poolwasch ankerte, in die Augen gefallen war. Bei ihrem Anblick wollte ich schnell umkehren, sie erhoben jedoch ein solches Geschrei und ergingen sich in einer solchen Flut von Schimpfreden und Flüchen, daß ich trotz meines Vorsatzes mich nicht zur Umkehr entschließen konnte, sondern augenblicklich mein Gesicht ihnen zuwendete.
Darauf wurde ich denn gewahr, daß die Aufmerksamkeit der Männer nicht mir, sondern Millish-veg-veen, meinem Hunde, galt, auf den aller Augen gerichtet waren, und der sich mit eingekniffenem Schwanz und ausgesprochenem Entsetzen auf seinem verschmitzten kleinen Gesicht zwischen meine Füße verkroch. »Oho, dies ist der Hund, der unsern Affen totgebissen hat,« sagte der eine; ein anderer rief: »'s ist mein alter Köter, so gewiß!« und ein dritter rief lachend, er hätte schon über ein Jahr einen Prügel in Bereitschaft, und dann rief der erste wieder: »Ich werd's der Bestie aber einbläuen, Affen umzubringen.« Und darauf, ehe ich mir des Vorgangs voll bewußt wurde, hatte der eine der handfesten Großsprecher sich uns genähert und mit einem heftigen Stoß seiner schweren Seemannsstiefel dem Hunde einen Tritt versetzt. Der Hund bellte kläglich und wollte das Weite suchen, ein anderer jedoch stieß ihn mit einem Fußtritt zurück, und dann schlug ein dritter auf ihn ein, und nach welcher Richtung hin er auch zwischen ihnen durch zu entwischen versuchte, erhob einer von ihnen den Fuß und sandte ihn zurück. Ich wollte ihnen zurufen, das Tier zufrieden zu lassen, konnte jedoch keine einzige Silbe über meine Lippen bringen und stand wie gelähmt und keine Hand zur Rettung meines Hausgenossen und einzigen Lebensgefährten erhebend, da. Schließlich beugte sich einer der Männer unter lautem Lachen nieder, erfaßte den Hund beim Schopf und schwang ihn in der Luft herum. Und dann sah ich das arme Tier mir einen jämmerlichen Blick zuwerfen und hörte seinen bitteren Schrei; im nächsten Augenblick jedoch schon flog er zehn Fuß über unseren Köpfen in die Luft und fiel tot zu Boden.
Bei diesem Anblick hörte ich ein entsetzliches Stöhnen sich meinen Lippen entringen, und eine Feuerwolke schien vor meinen Augen niederzufahren. Als ich wieder zu mir kam, hielt ich den einen der Männer mit einem wütenden Griff um die Taille gepackt und schwang ihn hoch über meine Schultern.
Hätte der gütige Gott mir in dem Augenblick nicht meine volle Besinnung zurückgegeben, weiß ich nur zu gut, daß der sich so in meiner Gewalt befindende Mann im nächsten Moment kein Lebender mehr gewesen wäre. Dieselbe Minute jedoch fühlte ich die von mir früher erwähnte Geisterhand wieder auf meiner Schulter und hörte dieselbe Geisterstimme vor meinem Ohr. So ließ ich den Mann vorsichtig, so vorsichtig wie eine Mutter ihr Kind in die Wiege legen mag, zu Boden, hob mein armes, verstümmeltes Tier bei seinen Hinterbeinen auf und ging mit ihm meines Weges. Und die anderen Männer wichen entsetzt vor mir zurück, denn sie hatten erkannt, daß es ein Gottesgericht sei, daß ich, ein Mann von furchtbarer Körperkraft und heftiger Leidenschaft, in Einsamkeit durchs Leben gehen sollte.
Nachdem ich mich genügend beruhigt hatte, um das Geschehene zu überdenken, betrauerte ich den Verlust des einzigen Gefährten, der je meine Einsamkeit mit mir geteilt hatte, aufrichtig. Größer jedoch als mein Kummer um den Hund war meine Furcht vor mir selber, und der Gedanke, daß, als ich versuchte, den Männern Einhalt zu gebieten, die Sprache mir versagt hatte. Gewiß, die heftige Wut mochte meine Zunge gelähmt haben, ich konnte aber nicht verkennen, was dies Unvermögen mir offenbarte, nämlich, daß ich in Gefahr sei, die Fähigkeit des Sprechens zu verlieren. Diese Überzeugung verursachte mir große Qual, und ich erkannte, daß ich, der es sich diese ganzen zwölf Monate so angelegen hatte sein lassen, die untergeordneteren Vorrechte des Menschen sich zu erhalten, mir sein größtes, die Sprache, die den Menschen vom Tier unterscheidet, heimlich hatte entschlüpfen lassen. Mein Sprachvermögen mir zu bewahren, war nun mein nächstes Bestreben, und obgleich der mir innewohnende böse Geist mich zu verspotten und zu sagen schien: »Weshalb diese Anstrengung, dir die Sprache zu erhalten, um die du als ein für immer vom Verkehr mit anderen abgeschnittener Mensch nie benötigt sein wirst?« hielt ich doch an ihm fest.
Darauf fragte ich mich, wie ich außer durch große und häufige Übung meine Sprachfähigkeit mir bewahren, und wie ich, ohne einen Menschen – nicht einmal einen Hund mehr – zu haben, die Sprache üben könne. Unausgesetzte Selbstgespräche halten war eine Gewohnheit, vor der ich zurückschreckte, da sie leicht zum Wahnsinn ausartet. Oft genug hatte ich beobachtet, daß Menschen gestörten Geistes meistens zusammenhangslos vor sich hin murmeln. Schließlich kam ich zu der Überzeugung, daß es nur einen Ausweg für mich gäbe, nämlich den des Betens. Nachdem der Gedanke mir eingefallen war, erhob der böse Geist in mir noch einmal seine Stimme und fragte mich höhnisch, weshalb ich mich als ein von der Gnade Gottes Ausgeschlossener überhaupt an Gott wenden, und weshalb ich meine Zeit mit unangebrachtem Beten verschwenden wolle, da doch der himmlische Herrscher sich von mir gekehrt und mein als Sühnopfer für mein Verbrechen dargebotenes Leben verschmäht hätte. Nach langem inneren Kampf gewann die alte eigennützige Gesinnung jedoch den Sieg in mir, und ich kam zu dem Schluß, daß, wenn auch Gott meinen Bitten kein Ohr liehe, doch das Beten und Aufschauen dem seelischen Teil meiner Menschennatur nützlich sein möge – denn wann wohl hätte ein Tier je sich im Gebet erhoben?
Ich versuchte mich einiger der von meinem Vater gesprochenen guten Worte zu erinnern, und nach vielem vergeblichem Sinnen fielen mir einige vom Bischof Jeremy Taylor stammende Aussprüche wieder ein, und ich betete folgendermaßen:
»O, allergnädigster Gott, mit Zittern nahe ich mich, so verderbt und entehrt wie ich durch meine elende Sündenlast bin, deinem Angesicht; wenn ich nicht verderben will, muß ich jedoch zu dir flüchten. Ich bin Gott und der Welt nichts nütze und habe wie ein Toter keinen Anteil an dem Wechsel und den Vorgängen dieser Welt, sondern lebe nur, um meine Zeit tot zu schlagen und mich wie ein Wurm von den Früchten der Erde zu nähren. O, mein Gott, ich kann nun nichts daran ändern, daß ich elender Mensch zu einem so niedrigen Standpunkt herabgesunken und weder wert bin, mich dir zu nahen, noch wage, mich von dir zu wenden. Die Größe meines Verbrechens treibt mich zur Buße; und ich flehe dich aus meiner Erniedrigung an, dich meiner Sünde zu erbarmen, denn sie lastet schwer auf mir.«
Zweimal sprach ich dies Gebet täglich mit lauter Stimme, beim Aufgang und Niedergang der Sonne, auf der Spitze der Schwarzen Koppe auf den Rasen niederkniend. Und nachdem ich gebetet, sang ich, was ich von dem Psalme erinnern konnte, der da lautet:
»Es ist mir lieb, daß du mich gedemütigt hast, daß ich deine Rechte lerne.«
Mit meinem geistigen Auge sehe ich mich, den einsamen Mann, an jenem verlassenen Orte – unter mir die weit ausgebreitete See, deren dumpf an die Felsen schlagende Wellen als einziger Laut in der Luft über mir verklingen.