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Der Bischof war, um sich seinen Hut und Mantel zu holen, in die Halle gegangen, als er sich von Angesicht zu Angesicht dem Deemster, der gerade das Haus betreten hatte, gegenüber sah. Beim Anblick seines Bruders machte er einen schwachen Versuch, seinen verwirrten Geist zu sammeln.
»Ah, du bist es, Thorkell? Endlich bist du also gekommen! Ich hatte es schon ganz aufgegeben. Ich gehe heute abend jedoch aus. Willst du nicht in die Bibliothek hereinkommen? Vielleicht hast du aber etwas anderes vor?«
Es war ein wehmütiger Anblick. Der scharfe Verstand des starken Mannes war sichtlich erschüttert. Der Deemster stellte Hut und Stock nieder und blickte, statt aller Antwort auf seines Bruders unzusammenhängende Fragen, demselben mit einem kalten, stummen Blick ins Gesicht. Dann ging er, immer noch schweigend, in die Bibliothek, wohin der Bischof, eine muntere Melodie vor sich hinsummend und mit einem trübseligen, leichtfertigen, verlorenen Lächeln auf den Lippen, ihm schwachen, unsicheren Schrittes folgte.
»Gilcrist,« sagte der Deemster gebieterisch, die Türe hinter ihnen schließend, »laß uns allen Schein abwerfen und wie Männer miteinander reden. Wir haben ein schweres Stück Arbeit vor uns, soviel kann ich dir sagen.«
Nach sichtbarer Willensanstrengung schien der Bischof wieder Herrschaft über seine Sinne zu erlangen, und seine jammervolle Schwäche bekundenden Züge erbleichten und verhärteten sich im nächsten Moment.
»Was ist es, Thorkell?« fragte er in einem entschiedeneren Ton.
Darauf fragte der Deemster nachdrücklich: »Was gedenkst du mit dem Mörder meines Sohnes zu tun?«
»Was ich mit ihm zu tun gedenke? Ich? Du fragst mich, was ich zu tun gedenke?« sagte der Bischof in heiserem Flüstern.
»Ja, ich frage dich, was du zu tun gedenkst,« sagte der Deemster strenge. »Gilcrist, laß uns einander nichts vormachen. Ich brauche dich nicht erst darüber zu belehren, welche richterliche Gewalt der Bischof als geistiges Oberhaupt dieser Insel über alle Verbrecher in Händen hält. Mehr als einmal hast du mich, wo es dir gerade paßte und dazu nicht allzu höflich, an diese deine Gewalt erinnert. Sie ist heute dieselbe, wie sie es gestern war, und deshalb frage ich dich noch einmal, was du mit dem Mörder meines Sohnes zu tun gedenkst?«
Dem Bischof schien für den Moment der Atem zu versagen, und dann sagte er leise und mit gebrochener Stimme:
»Du fragst mich, was ich mit dem Mörder unseres Ewan – seinem Mörder, sagst du – zu tun gedenke?«
Mit kalter, fester Stimme wiederholte der Deemster noch einmal: »Seinem Mörder,« und dazu machte er eine steife Verbeugung.
Den Bischof schien die Verwirrung zu überwältigen. »Ist das nicht zuviel gesagt, Thorkell?« sagte er, und während er seine zitternden, gefalteten Hände auseinander löste, überflog dasselbe trübselige Lächeln wie vorher sein Gesicht.
»Höre zu, und antworte mir dann, ob ich Recht habe oder nicht,« sagte der Deemster in starrem Gleichmut. »Um drei Uhr gestern nachmittag verließ mich mein Sohn mit der ausgesprochenen Absicht, deinen Sohn zu suchen. Aus welchem Grunde? Warte. Um halb vier Uhr fragte er in dem von beiden gemeinschaftlich bewohnten Hause nach deinem Sohn. Er erhielt den Bescheid, derselbe befände sich im Dorfe. Vor vier Uhr fragte er an dem täglichen, stündlichen Aufenthaltsort deines Sohnes, in der Dorfschenke, nach demselben. Es wurde ihm mitgeteilt, daß dein Sohn der Bucht, dem vielbenutzten Ankerplatz des Fischerbootes Ben-my-Chree, an dem er seine Zeit und dein Geld vergeudet hat, zugegangen wäre. Als die Turmuhr vier schlug, ist Ewan im schnellen Schritt der Bucht zuschreitend und darauf nicht wieder gesehen worden.«
»Mein Bruder, mein Bruder, welch ein Beweis liegt in alledem?« sagte der Bischof mit einer widersprechenden Geberde.
»Höre weiter. Die Bucht unter der Orrisdale-Spitze ist den Fischern als Kinnbackenbucht bekannt. Muß ich dir erst sagen, woher der Name stammt? Weil es nur einen Ausweg aus ihr gibt. Mein Sohn ist an der Bucht gewesen, hat sie aber nie lebend wieder verlassen.«
»Wie weißt du das, Thorkell?«
»Wie? Auf diese Weise. Fast unmittelbar darauf, als mein Sohn mich verlassen hatte, folgte ihm Jarvis Kerrisch, um ihn einzuholen und wieder zurückzubringen. Da Jarvis der Weg unbekannt war, hatte er sich zurechtzufragen, schließlich kam er Ewan jedoch auf die Spur und folgte ihm auf dem von ihm eingeschlagenen Pfade und erreichte die Bucht bald, nachdem die Kirchenuhr fünf geschlagen hatte. Wenn also mein Sohn denselben Weg, den er gegangen, wieder zurückgekommen wäre, hätte ihm Jarvis Kerrisch begegnen müssen.«
»Geduld, Thorkell, hab' Geduld,« sagte der Bischof. »Wenn Ewan Dan an der Kinnbackenbucht getroffen hätte, wie kam es dann, daß der junge Jarvis Kerrisch sie nicht beide dort fand?«
»Wie es kam?« wiederholte der Deemster, »weil der eine tot war, und der andere sich versteckt hielt.«
Der Bischof stand diesen Moment gerade an seinem Tisch, und eine seiner Hände berührte einen darauf liegenden Gegenstand. Ein Ausruf, halb wie ein Seufzer, halb wie ein Schrei des Entsetzens, entfuhr seinen Lippen. Der Deemster hatte keine Erklärung für denselben, er rechnete ihn jedoch seiner eignen Überführungsgewandtheit zu. Von Kopf bis zu Füßen schaudernd, blickte der Bischof auf den Gegenstand unter seiner Hand herab. Es war der Militärgürtel. Er hatte ihn, nachdem die Männer ihn ihm gebracht, dort liegen lassen, wo er seinen Fingern entsunken war. Neben ihm lagen halb unter Papieren und Büchern versteckt, die beiden kleinen Dolche.
Dann durchfuhr eine unwürdige, verschlagene Idee des frommen Mannes Sinn, und er schaute mit einem erheuchelt bittenden anstatt mit einem fragenden Blick in seines Bruders Gesicht. Des Deemsters Antlitz trug einen gebieterischen Ausdruck, doch seine Augen verrieten, daß sie die Gegenstände nicht entdeckt hatten.
»Du machst mich schaudern, Thorkell,« sagte der Bischof und schob während des Sprechens heimlich den Gürtel und die Dolche unter einen Packen loser Papiere, um sie so versteckt in seinen offenstehenden Schrank hineinzuwerfen.
Der Betrug war ihm gelungen; sogar der hohle Klang seiner Stimme hatte keinen Verdacht beim Deemster erregt, er mußte sich jedoch mit einer beschämten und bedrückten Miene niedersetzen. Seine Manneswürde hatte ihn verlassen, und von Scham überwältigt, hörte er auf, für sie zu kämpfen.
»Ich sagte, die Kinnbackenbucht habe nur einen Ausweg, sie hat aber zwei,« fuhr der Deemster fort.
»Ah!«
»Der andere Ausweg führt auf die See hinaus. Diesen Weg nahm mein Sohn, er nahm ihn aber als ein Toter, und als er ans Land gespült wurde, war er wie für ein Seebegräbnis eingewickelt – von unwissenden Pfuschern jedoch, die nie vorher eine Leiche in die See gesenkt hatten – in ein Segeltuch der Ben-my-Chree.«
Der Bischof stöhnte laut und mußte sich die Stirne trocknen.
»Verlangst du noch weitere Beweise?« fragte der Deemster mit erbarmungsloser Stimme. »Sie stehen dir zu Diensten. Wo war die Ben-my-Chree die ganze letzte Nacht? Sie war auf offner See. Gestern war heiliger Abend, ein Abend, an dem die Leute gewohnt sind, hundert alte Manxgebräuche zu verrichten. Wo waren die Fischer und der Eigentümer des Bootes? Sie waren nicht in ihren Häusern. Heute war Weihnachtstag. Wo waren die Männer? Ihre Frauen und Kinder erwarteten sie vergebens, das Weihnachtsmahl mit ihnen zu halten. Sie blieben aus, und niemand wußte, wo sie waren. Kann es überführendere Beweise geben? Sprich und sage sie mir! Stehe nicht händeringend da; sei ein Mann und sieh mir ins Gesicht.«
»Erbarmen, Thorkell, hab Erbarmen!« murmelte der Bischof gänzlich gebrochen. Der Deemster aber fuhr fort, auf ihn einzupeitschen, wie etwa ein roher Mensch ein kurzatmiges Pferd peitschen mag.
»Als dann heute abend die Ben-my-Chree in den Hafen einlief, welch ein Betragen legten die Männer und der Besitzer des Bootes an den Tag? Gingen sie der Arbeit, die ein durch Wind und Flut verlängerter Aufenthalt auf See bedingt, etwa nach? Traten sie dem Verdacht gleich furchtlosen Männern offnen Blickes entgegen? Nein. Sie machten sich aus dem Staube. Sie entflohen etwaigen Fragen. Diesen Augenblick sind ihre Verfolger ihnen auf den Fersen.«
Der Bischof bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
»Und deshalb frage ich dich noch einmal,« fuhr der Deemster fort, »was du mit dem Mörder meines Sohnes zu tun gedenkst?«
»O, Dan, Dan, mein Sohn, mein Sohn!« schluchzte der Bischof, einen Moment sich gänzlich dem Kummer überlassend.
»Ah, also siehst du es ein! Du selbst nennst deinen Sohn und weißt, daß er schuldig ist.«
Der Bischof erhob blitzenden Auges das Haupt.
»Ich weiß nichts von meines Sohnes Schuld,« sagte er in einem Ton, der den Deemster verstummen ließ. Gleich darauf jedoch, nachdem er seine Selbstbeherrschung wieder gewonnen hatte, fuhr dieser mit vertraulicher Stimme fort: »Dein Gewissen sagt dir, daß er schuldig ist.«
Des Bischofs Mut war gebrochen.
»Was verlangst du von mir, Thorkell? Was soll ich tun?«
»Deinen Sohn bei dem Bezirksgerichtshof des Mordes anklagen.«
»Mann, Mann, willst du mich bis zum Staube erniedrigen?« sagte der Bischof. »Willst du mich zur Verzweiflung treiben? Ist es dir nicht genug, daß der Kummer mich zur Erde gebeugt hat, mußt du vor allen übrigen Menschen mich der Schande preisgeben? Bedenke doch – mein Sohn ist das einzige, was mir in der Welt verblieben ist, das einzige, und muß ich ihn deshalb, weil ich sowohl die erste gerichtliche, wie geistliche Würde auf dieser Insel in Händen halte, ergreifen und zum Tode verurteilen lassen?«
Und darauf nahm seine bisher schwache Stimme einen drohenden Ton an.
»Was bezweckst du überhaupt durch diese grausame Tortur? Wenn mein Sohn schuldig wäre, glaubst du etwa, sein Verbrechen würde ungestraft bleiben, selbst wenn die Hand seines Vaters sich nicht gegen ihn erhöbe? Zu welchem Zwecke bist du etwa hier auf dieser kleinen Insel? Du bist dazu da, die Übeltäter zu bestrafen. Deine Sache ist es, ihn, wenn er schuldig ist, zu bestrafen. Aber nein, das würde für dich zu barmherzig gehandelt sein. Barmherzigkeit wirst du weder ihm noch mir angedeihen lassen. Und um ein an sich schon zu entsetzliches Verbrechen noch dreimal beschämender zu machen, willst du einen Vater als Richter seines Sohnes sehen. Mann, Mann, kennst du kein Mitleid, keine Barmherzigkeit? Bedenke dich. Mein Sohn ist mein eignes Selbst, das Leben meines Lebens. Kann ich meine rechte Hand abhauen und doch noch im Besitz aller meiner Gliedmaßen bleiben? Bedenke dich Thorkell, Thorkell, mein Bruder, bedenke dich! Ich bin ein Vater ebenso wie du einer bist. Könntest du deinen eignen Sohn zum Tode verurteilen?«
Die tiefe Stimme war wieder zu schluchzendem Bitten herabgesunken.
»Ja, du bist ein Vater,« sagte der Deemster ungerührt, »aber du bist ebensowohl ein Priester und ein Richter. Dein Sohn ist eines Verbrechens schuldig –«
»Wer sagt, daß er schuldig ist?«
»Du selbst hast es vor einem Augenblick gesagt.«
»Habe ich das? Was sagte ich? Sie hatten keine Ursache, sich zu streiten, Dan und Ewan. Sie liebten sich gegenseitig. Ich kann mich aber nicht besinnen. Mein Kopf schmerzt mich. Ich fürchte, mein Geist hat unter diesen entsetzlichen Vorgängen gelitten.«
Der Bischof preßte, wie in körperlichem Schmerz, mit beiden Händen seinen Kopf, der Deemster jedoch verriet kein Mitleid.
»Es ist nun an der Zeit, daß du den Vater vor dem geistlichen Richter zurücktreten lassen solltest. Das ist deine Pflicht gegen Gott und gegen die Kirche. Wirf deine selbstsüchtigen Interessen von dir und zeige dich als den Mann, zu dem aller Augen aufschauen. Der Bischof hat eine heilige Aufgabe zu erfüllen. Tue es! Du hast schon vordem Übertreter des Wortes Gottes und der kirchlichen Verordnungen bestraft. Laß die Leute nicht sagen, daß das Haus des Bischofs von den Gesetzen Gottes und der Kirche ausgeschlossen sei.«
»Erbarmen, Erbarmen, hab Erbarmen!« stöhnte der Bischof.
»Halte dein eignes Haus in Zucht, oder mit welchem Recht kannst du je wieder in den Häusern deiner Gemeinde Einsprache erheben? Jetzt ist die Zeit da, wo du nach der stets von dir gepredigten, harten Doktrin handeln kannst. Schicke ihn an den Galgen, ja, an den Galgen –«
Der Bischof rief, beide Hände erhebend: »Höre mich, höre mich! Was würde es dir nützen, meines Sohnes Leben als Ersatz für dasjenige deines Sohnes dahingegeben zu sehen? Du hast Ewan nie geliebt. Ja, der Himmel ist mein Zeuge, du hast ihn niemals geliebt, während mir mit einem Schlage zwei Söhne entrissen würden. Bist du ein Christ, daß dich derartig nach Blut verlangt? Nicht Gerechtigkeit ist es, was du forderst, sondern Rache. Die Rache jedoch ist des Herrn.«
»Ist er etwa nicht schuldig?« fragte der Deemster. »Und ist es etwa nicht deine und meine Pflicht, die Schuldigen zu strafen?«
Der Bischof aber fuhr schnell und atemlos in schwacher, gebrochener Stimme fort:
»Und wenn du trotz alledem dich irren solltest, wenn alles das, was du mir vorerzählt hast, nur ein verhängnisvoller Zufall, den mein Sohn aufzuklären nicht imstande wäre, sein sollte, wenn ich ihn festnehmen, vor Gericht und wie du sagst an den Galgen schleppen ließe, und eines Tages das Dunkel sich aufklären, und die Wahrheit sich enthüllen würde, und ich mir vor dem Richterstuhle meines Gottes sagen müßte: »Ich habe meinem Sohne das Leben genommen?« Was dann? Bruder, Bruder, ist dein Herz gänzlich verhärtet, daß dir dieser Gedanke kein Mitleid erweckt?«
Der Bischof war auf die Knie gesunken.
»Ich sehe, du bist ein Feigling,« sagte der Deemster verächtlich. »Und das also ist das Ergebnis deiner Religion! Ich sage dir ja, die Augen der Leute dieser Insel sind auf dich gerichtet. Wenn du den rechten Weg einschlägst, bist du ihrer ganzen Verehrung sicher; wenn du den falschen wählst, wird es dir zum größten Unglück, das dich je betroffen hat, werden.«
Der Bischof rief: »Erbarmen, Erbarmen! um Christi willen Erbarmen!« und dabei blickte er sich, als ob er aus dem Raume entfliehen wolle, rings um.
Der Deemster hatte aber noch einige schärfere Peitschenhiebe in Bereitschaft.
»Und mehr noch, viel mehr noch,« fuhr er fort. »Für deine Kirche ist dies ebenfalls eine große Prüfung, und wenn du jetzt dich deiner Pflicht nicht gewachsen erweisest, werden die Leute aufrührerisch werden und sie ganz abtun.«
Darauf schien eine große Kraftwoge den Bischof zu durchfluten, und er erhob sich.
»Stille, Sir!« rief er, und dem Deemster sank der Mut vor dem Feuer und der Heftigkeit seiner Stimme und seiner Gebärde.
Die Woge war jedoch nur eine momentane gewesen, denn sein Glaube war ebenso abgestorben wie seine Seele, und nur der galvanische Antrieb eines zertretenen Wurmes war ihm geblieben. Und mit seinem Glauben hatte seine Manneswürde Schiffbruch erlitten, und er setzte sich nieder und schluchzte wie ein Kind. Nach einigen Minuten ging der Deemster ohne ein weiteres Wort davon. Es war eine entsetzliche Unterredung gewesen, und sie ließ ihr Merkmal, wie den Brand eines glühenden Eisens, auf den Herzen beider Brüder bis ans Ende zurück.
Die Nacht war dunkel, aber nicht kalt, und die Wege waren durchweicht und schlüpfrig. Der Deemster legte die Bischofs-Hof von Ballamona trennende Entfernung mit einem so befriedigten Gefühl, wie er es seit langer Zeit nicht gekannt hatte, zurück. »Er hatte ganz recht, als er behauptete, ich hätte Ewan nie geliebt,« sagte er sich, »aber wessen Schuld war es als Ewans? Auf jedem Schritt stellte er sich mir entgegen, und wenn er sich an den Bischof und seinen verkommenen Sohn hielt, so geschah es zu seinem eignen Verderben. Und dabei hatte er seine guten Seiten ebensowohl wie seine Mutter. Geduldig und nachgiebig, arme Frau, tot und dahin. Auch etwas von meinem alten Vater, der schlichten Seele. Und doch wieder feurig und eigenwillig zu Zeiten. Ich kann es mir gar nicht erklären, wie sich alles so zugetragen hat.«
Und dann, während er den finstern Weg entlang schritt, wandten sich alle seine Gedanken Dan zu.
»Er muß sterben,« dachte er befriedigt und mit geheimer Freude. »Nach dem Gesetz des Bischofs, wie nach dem des Deemsters gibt es nur die eine Strafe, den Tod, für ihn. Und das also wäre das Ende! Er sollte mir ebenfalls eines Tages den Fuß in den Nacken setzen. Darauf läuft alle Großsprecherei und Prophezeiung also hinaus. Und wenn er nur einmal erst tot sein wird, ist mein Schicksal gesichert. Leere Rede, wer spricht heutzutage noch von Schicksal? Leeres Gerede und Geschwätz!«
Als der Deemster in Ballamona anlangte, fand er den Untersuchungsrichter Quäl den Raufbold in der Vorhalle seiner wartend. Jarvis Kerrisch saß auf dem Lehnstuhl und entledigte sich mit Hilfe des Stiefelknechtes seiner schmutzigen Stiefel.
»Wie, was? Was bedeutet dies?« fragte der Deemster.
»Sie sind uns bis jetzt entschlüpft,« sagte der Untersuchungsrichter demütig.
»Was, Euch entschlüpft in diesem kleinen Rattenloch von einer Insel?«
»Sechs Meilen haben wir sie verfolgt, Sir. Sie haben sich aber in die Berge geschlagen, den Sherragh Vane bei Sulby hinauf, und unter Snaefell und Beinn-y-Phott entlang, das ist der von ihnen eingeschlagene Weg, Sir. Und es war rabenschwarz dort oben, und wir mußten es bis morgen aufgeben. Wir werden sie aber schon fangen, darüber könnt Ihr Euch beruhigen, Sir.«
»Hat irgend jemand sie gesehen? Ist er bei ihnen?«
»Der alte Moore, der Müller von Sulby, sah sie, als sie, so schnell ihre Füße sie tragen konnten, bei der Mühle vorbeirannten. Er sagt aber, der Hauptmann sei nicht mit dabei gewesen.«
»Was? Dann habt Ihr, während er sich aus dem Staube macht, Euren Atem an die Fischer verschwendet?«
Jarvis Kerrisch erhob, während er sich die Morgenschuhe anzog, sein Gesicht.
»Beunruhigt Euch nicht, Sir,« sagte er ruhig. »Wir werden ihn finden, und wenn er sich wie eine Kröte unter einen Stein verkrochen haben sollte.«
»Ausdauer, Ausdauer,« kicherte der Deemster in sich hinein und warf seinen Mantel ab. Dann wandte er sich von neuem an den Untersuchungsrichter.
»Habt Ihr das Untersuchungsgericht zusammenberufen?«
»Ja, Sir – sechs Männer aus der Parochie – im Rathaus von Ramsey – morgen früh acht Uhr.«
»Wir müssen alle sechs Schiffer verklagen; wißt Ihr ihre Namen? Jarvis wird sie Euch aufschreiben. Wir können nicht fünf gegen den sechsten Zeugnis ablegen lassen.«
Der Deemster verließ mit seinem schnellen, rastlosen Schritt die Halle und ging ins Eßzimmer, wo Mona gerade beim Tischdecken half. Ihr Antlitz war sehr bleich, ihre Augen von vielem Weinen rot, und sie ging, als ob der Jammer sie niederdrückte, mit müdem Schritt ab und zu. Der Deemster sah nichts von alledem.
»Mona,« sagte er, »du mußt morgen schon vor Tagesanbruch dich erheben.«
Sie erhob mit einem fragenden Blick das Gesicht.
»Wir werden um halb sieben frühstücken, um Schlag sieben Uhr fortfahren zu können.«
Mit einem verwunderten Ausdruck fragte sie mit leiser Stimme, wohin sie fahren wollten.
»Nach Ramsey, nach dem Untersuchungsgericht,« antwortete er ungerührt.
Mona fuhr mit ihrer linken Hand nach der Brust und atmete schnell.
»Weshalb muß ich denn mitgehen?« fragte sie schüchtern.
»Weil es in Fällen, wie im vorliegenden, wo das Hauptzeugnis auf Zufälligkeiten beruht, notwendig ist, ein Motiv zu begründen, ehe es möglich ist, eine Anklage zu erheben.«
»Nun, Vater?« Monas rote Augen erweiterten sich mit einem erschreckten Blick, und ihre langen Wimpern zuckten.
»Nun, Mädchen, du sollst das Motiv begründen.«
Der Deemster öffnete die Schnupftabaksdose auf dem Kaminsims.
»Ich soll das tun?«
Der Deemster blickte scharf unter seiner Brille auf. »Ja, du, Kind, du,« sagte er mit ruhiger Bestimmtheit und erhob die Prise Schnupftabak zur Nase.
Monas Brust begann auf und nieder zu wogen, und ihr ganzer zarter Körper zu beben.
»Vater,« sagte sie leise, »wollt Ihr damit sagen, daß ich Hauptzeugin gegen den Mann sein soll, der meinem Bruder das Leben nahm?«
»Nun, vielleicht, aber wir wollen sehen. Und nun zum Abendbrot und dann zu Bett, denn wir müssen früher wie die Lerche auf sein.«
Mona wollte gerade mit schweren Schritten aus dem Zimmer gehen, als der Deemster, der sich am Tisch niedergelassen hatte, seine Augen erhob und »Warte!« rief. »Wann hast du zum letztenmal dies Haus verlassen?«
»Gestern morgen, Sir. Ich war beim Pflugwettbewerb.«
»Hast du seit gestern abend fünf Uhr irgend welchen Besuch gehabt?«
»Besuch? – fünf – ich verstehe nicht –«
»Schon gut, Kind.«
Diesen Augenblick betrat Jarvis Kerrisch das Zimmer. Er war des Deemsters einziger Gefährte an jenem Abend beim Nachtessen. So endete dieser entsetzliche Weihnachtstag.