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Achtunddreißigstes Kapitel.
Von seiner Lebensweise

Diese Begegnung mit dem armen Hasen, wie unwichtig sie jetzt auch erscheinen mag, machte damals einen so tiefen Eindruck auf mich, daß sie meine ganzen Lebensgewohnheiten und meine ganze Lebensweise änderte. Denn obgleich der Glaube, daß ich eine gänzlich verlorene Seele sei, noch immer in mir fortlebte, legte ich doch meine Flinte beiseite und verschloß mein Schrot und Pulver in eine Schublade unter meinem Verschlag und kehrte mich einer neuen Lebensweise zu. Das erste, was ich tat, war, daß ich meine Vorräte zählte. Dabei stellte sich denn heraus, daß ich an Roggen und Mehl von jedem eine englische Metze, ebensoviel an Gerste und zwei Metzen feines Gerstenmehl, eine Metze Hafer und zwei Quart Hafermehl, zwei Säcke Kartoffeln, außerdem noch Zwiebeln und ein wenig grobes Salz hatte. In den Behältern unter den Luken fand ich verschiedene nützliche Gerätschaften – einen Spaten, eine Zinke, ein Heckenmesser, verschiedene Hanftaue und Stricke, und unter den übrigen Sachen lagen die vier zu der Ben-my-Chree gehörigen Heringsnetze, ein Makrelennetz und einige große Lotleinen. Es waren noch andere, mir aus dem Gedächtnis entschwundene und deshalb nicht zu nennende Dinge vorhanden, die ganz für die Bedürfnisse eines einzelnen Menschen ausreichten.

Und dieser Umstand hat mir oft Kopfzerbrechen gemacht. Weshalb, wenn ich unwiderruflich ausgestoßen sein sollte, war ich, der ich meinen Lebensunterhalt mir leicht selbst hätte verschaffen können, so vorsorglich mit allem versehen worden? Nach dem Vorfall mit dem Hasen jedoch erkannte ich Gottes Hand darin, die es nicht zulassen wollte, daß ich aus Not und, wenn es galt, den Hunger zu stillen, von dem Zustand eines christlichen Menschen zum Tier herabsinken sollte.

Und ebenso hielt ich es für einen Weg Gottes mit dem schuldigen Sünder, daß mein augenblicklich ausreichender Lebensunterhalt nach Jahresfrist beendet, und ich genötigt sein würde, von meiner Hände Arbeit zu leben. So erhob ich mich denn etwa einen Monat nach meiner Abgeschiedenheit eines Morgens früh und machte mich daran, ein Stück des Brachlandes – auf dem alles brach lag – umzugraben, zwei Ruten oder mehr im Umfang, ein wenig nördlich von der Schwarzen Koppe und südlich von dem daneben liegenden Steinzirkel. Den ganzen Tag schaffte ich ohne eine Essenspause, und als die Dunkelheit eintrat, war das Brachland umgegraben. Am nächsten Morgen säte ich meinen Samen, einen halben Sack Kartoffeln, von dem ich diejenigen, die viele Keime hatten, in vier Teile schnitt, und eine halbe Metze Hafer und Gerste. Die andere Hälfte behielt ich vorsorglich zurück, im Falle der Boden sich unfruchtbar, oder das Wetter sich ungünstig, oder die Jahreszeit für dergleichen Saaten sich zu weit vorgeschritten erweisen solle.

Und an dem Tage des Umgrabens, dem ersten, an dem ich Männerarbeit verrichtete, empfand ich ebenfalls zum ersten Male das menschliche Verlangen nach der Gemeinschaft anderer Menschen. Die Sonne hatte den ganzen Vormittag sehr heiß herabgeschienen, und ihre glühenden Strahlen hatten mir den für meine Arbeit bis zur Taille entblößten Rücken verbrannt. Dies brachte meine Gedanken auf die Jahreszeit, und ich sann darüber nach, in welchem Monat wir uns befänden, und was in der Welt vorgehen, und wie lange ich schon hier gewesen sein möchte. Als ich beim Anbruch des Abends nach meinem Boot zurückkehrte, war, soviel ich mich erinnere, die Luft über dem Sunde grabesstill, und nur die Möwen schnatterten auf Kitterland und die Seeraben am Rande des Wassers. Und ich saß auf Deck, bis die Sonne in das Meer hinabsank und der rote Himmel sich verdunkelte und die Sterne hervorkamen und der Mond zu scheinen begann. Dann ging ich hinab und verzehrte mein Gerstenbrot und dachte darüber nach, was es hieße, allein zu sein.

Während der Nacht fiel mir zum ersten Male meine Uhr wieder ein, der ich seit dem Tage meines Versinkens in den Kreuzader-Schacht, wo sie von Wasser erfüllt stehen geblieben war, keinen Blick geschenkt hatte. Sie hatte mit Kette und Petschaft seitdem in meiner Tasche gesteckt, nun aber holte ich sie hervor und zog sie, nachdem ich sie mit dem Fett des Hasen gereinigt hatte, auf. Lange Monate legte ich großen Wert auf sie, trug sie auf meinen Wanderungen in der Tasche mit mir herum und hing sie, wenn ich des Abends nach meinem Boot zurückkehrte, an einen zur linken Seite der Ofenröhre meiner Kajüte befindlichen Nagel, und wenn ich sie dann in der Stille der Nacht ticken hörte, erschien sie mir die beste Gesellschaft. Auf das sorgsamste zog ich sie beim Sonnenuntergang stets auf; sollte sie aber doch zufällig während der Nacht einmal stehen geblieben sein, und ich sie, wenn ich in meinem Verschlag erwachte, nicht hören, war es mir, als ob der Puls meiner kleinen Welt still stehe, und eine große Leere eingetreten sei.

Trotz alledem jedoch empfand ich meine Einsamkeit eher mehr als weniger, und obgleich es mich nicht mehr nach meinem alten Leben, mit der Flinte das Moor abzustreifen, gelüstete, fühlte ich doch, daß die Geschäftigkeit jenes Daseins mich vor allzu vielem Nachgrübeln über meinen verlassenen Zustand bewahrt hatte. Als dann jedoch meine Kartoffeln sich über dem Boden zu zeigen begannen, und ich sie behäuft hatte, erinnerte ich mich, daß es Zeit für den Heringsfang sein müsse und beschloß, während der Nächte auf die See hinauszugehen und zu sehen, ob ich etwas fangen könne. In der festen Überzeugung, daß es mir nicht schwer fallen würde, das Boot allein zu handhaben, holte ich die Netze aus ihrem Behälter hinter der Kojenlade hervor und trug sie zum Flicken und Auspflücken ans Land. Ich hatte sie auf den Kieseln am Strande ausgebreitet und war mit Messer und Bindfaden eifrig beschäftigt, die von den Hundshaien gerissenen Löcher zusammenzuziehen, als ich plötzlich hinter mir das laute Bellen eines Hundes vernahm. Noch ganz deutlich erinnere ich mich, wie ich bei diesem Laut zu zittern begann, war er doch der einer menschlichen Stimme am nächsten kommende Ton, der seit all den einsamen Tagen mein Ohr berührte, und wie furchtsam, als ob ein Mensch mich angeredet hätte, ich über meine Schulter hinüberblickte. Was sich mir zeigte, war ein elender Bastard von einem Hunde, klein, mit zottigen Ohren, einer spitzen Schnauze und einem spärlichen, trotz seines herausfordernden Bellens trübselig herabhängenden Schwanze. Bis dahin hatte ich seit meiner Verbannung weder gelacht noch geweint, und ich glaubte fast, die Fähigkeit für beides verloren zu haben, der Anblick dieses armseligen Geschöpfes jedoch entlockte mir ein Lachen, so sehr erinnerte es mich an gewisse tapfere Prahlhänse meiner Bekanntschaft, die mit lautem Geschrei zu einem Ringkampf anzutreten pflegten, aber schon beim ersten Blick zitternd davonliefen. Beim Klang meiner Stimme wedelte der Hund mit dem Schwanz, kroch scheu mit zur Erde geneigter Schnauze an mich heran und leckte meine ihm entgegengestreckte Hand. Den ganzen Tag über blieb er neben mir sitzen, sah mir bei meiner Arbeit zu oder blickte mir ernsthaft ins Gesicht, und ich gab ihm einen Bissen meines Haferkuchens, den er gierig, als ob er halb verhungert sei, verschlang. Und als gegen Abend mein Werk vollbracht war, und ich mich erhob, und in der Erwartung, daß er nun seines Weges gehen und sich nicht wieder blicken lassen würde, meinen kleinen Kahn bestieg, sprang er mir in das Boot nach und machte es sich, als wir den Lugger erreicht hatten, in einer Ecke unter dem Spind bequem, als ob es nun beschlossene Sache bei ihm sei, mein Heim in Zukunft mit mir zu teilen.

Nachdem ich alles für den Fischfang vorbereitet hatte, ging ich an einem Abend unter Segel. Meiner Berechnung nach mußte es gegen den Herbst zu sein, denn die Blätter des Holunders fingen an, wie eine vertrocknete Hand zusammenzuschrumpfen, und die Beeren der Stechpalme begannen sich zu röten. Nachdem die Sterne herausgekommen waren, der Mond jedoch sich noch versteckt hielt, legte ich meinen Lugger auf den Wind und fand durchaus keine Schwierigkeit darin, ihn allein zu handhaben. Während des Einziehens vom Segel band ich das Steuer fest, und da ich außergewöhnliche Muskelkraft besaß, war es mir ein Leichtes, meinen Hauptmast zu setzen.

Diese erste und manche folgende Nacht tat ich reichen Fang, und über der meinen Korken und meinen Bändseln zu schenkenden Aufmerksamkeit war mein leeres Gemüt meistens mit anderen Gedanken als über meinen trostlosen Zustand beschäftigt. Eines jedoch beunruhigte mich zu Anfang, nämlich, daß ich viel mehr Fische fing, als ich je verbrauchen konnte. Meinen Fischfang aufzugeben konnte ich mich nicht entschließen, weil ich überzeugt war, daß ich damit in meine frühere Lebensweise zurückfallen würde. Deshalb schien es mir das sicherste, eine nützliche Verwendung für die Fische mir zu ersinnen, so daß ich, ohne meiner sorgsam überwachten, männlichen Ehre nahezutreten, meiner augenblicklichen Beschäftigung ferner folgen durfte.

So salzte ich denn einige Hundert Heringe mit grobem Salz, das ich in einer mit Kieseln gefüllten Pfanne dem Seewasser entzog, sorgfältig ein. Die übrigen, nahm ich mir vor, armen Leuten, die von den Fischen Gebrauch machen konnten, zukommen zu lassen. Wie ich dies in meiner Lage jedoch bewerkstelligen könne, kostete mich viel bitteres Nachdenken, und ich kam mir wie der verfluchteste unter allen Menschen vor. Schließlich fiel mir ein Ausweg ein, den einzuschlagen ich mich sofort ans Werk machte. Noch ehe die Nacht ganz verstrichen war, verließ ich mein Heringsgebiet und lief vor Morgengrauen in den Sund ein, den ich wie den ganzen Wasserstand jener Gegend bald wie meine eigene Tasche kannte. Dann, ehe die Sonne hinter den roten Felsklippen aufstieg, und der östliche Himmel sich rosa zu tupfen begann, überschritt ich das Moor und wandte mich mit einem Korb voll Heringen auf der Schulter Cregneesch zu, wo die Leute arm und nicht stolz sind, und zwischen den Hütten hindurchschleichend, legte ich meine Fische auf den freien Platz vor der kleinen Kapelle und trat eiligst den Rückweg an, damit sich nicht plötzlich eine Türe oder ein Fenster öffnen und ein Gesicht herausschauen möchte. Dreimal gelang es mir, ehe ich bemerkte, daß es Neugierige gäbe, die zu erforschen versuchten, woher die Fische kämen, und darauf nahm ich mich noch mehr in acht, ungesehen in das Dorf zu gelangen, denn ich wußte nur zu genau, daß, sobald irgend ein Auge mich erspähen und entdecken würde, wer ich sei, niemand, sogar der Ärmste der Armen in Zukunft meine Heringe mehr anrühren würde, und somit meine Fischerei ihr Ende erreichen müsse. Gar manches Mal noch betrat ich Cregneesch, ohne von irgend einem Menschen gesehen zu werden, und noch jetzt weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll, wenn ich, im Rückblick auf diese Tage, mich wie einen menschlichen Fuchs beim ersten Tagesgrauen in das Dorf hinein- und zwischen die Hütten der schlafenden Menschen hindurchschleichen sehe.


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