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Vierzigstes Kapitel.
Von seiner großen Einsamkeit

An meinen alten Ankerplatz innerhalb der Felsen von Kitterland zurückgekehrt, war ich fest überzeugt, daß Gottes Allmächtige Majestät gegen mich war, und daß ich weder in diesem, noch in jenem Leben etwas zu erwarten habe. Ich glaube aber, die äußerste Verzweiflung gab mir etwas blinden Mut ein, und mein guter Geist schien mir zuzuflüstern: »Worüber hast du zu klagen? Du hast Gesundheit, Nahrung und Freiheit und keinen Arbeitsvogt über dir. Laß den Morgen dich zufrieden aufstehen und den Abend dich dankbar niederlegen sehen. Und quäle dich nicht um die Zukunft, damit du, wenn deine Zeit einmal kommt, nicht angstvollen Angesichts sterben magst.« Und dann verlachte ich mein altes Verlangen nach Menschengemeinschaft und fragte mich, weshalb ich mich verlassen fühlen sollte, da ich doch denselben Planet mit allen anderen Menschen bewohne, und derselbe Mond und dieselben Sterne, die auf die übrige Welt herabsähen, auch meinen Schlaf bewachten. Auf solche Weise tröstete ich mein zerrissenes Herz und brachte es zum Schweigen, und dabei wußte ich nur zu genau, daß ich einem Menschen gliche, der Frieden ruft, wo kein Frieden ist, und daß meine ganze leere Sophisterei über Mond und Sterne keinen Blutstropfen armer, menschlicher Nachbarlichkeit enthielt.

Nichtsdestoweniger ging ich täglich meiner ländlichen Beschäftigung auf der schwarzen Koppe, wo ich mein Korn und meine Kartoffeln gepflanzt hatte, nach. Im Verlauf der Zeit erntete ich mein Getreide, indem ich die Gerste und den Roggen mit meiner Sichel schnitt und für meine Kartoffeln eine Grube in den Erdboden grub. Von beiden war es nur wenig, für meine geringen Bedürfnisse indes ausreichend, bis mehr wachsen würde.

Als meine Arbeit beendet war und keine weiteren Aufgaben meiner am Lande harrten, hatte der Herbst sich in den Winter verwandelt, denn auf unsrer kleinen Manxinsel halten die Kälte und der Nebel früh ihren Einzug, und wenn ich dann ohne weitere Beschäftigung, als die mir selbstgesuchte, und mit keinem anderen Gefährten, als meinem kleinen Veg-veen allein in meinem Lugger saß, brach alle meine Sophisterei, mit der ich mich so lange getröstet hatte, jämmerlich zusammen. Die Nächte waren lang und dunkel, und die Sonne schien tagelang nur selten. Wenige Schiffe nur fuhren östlich oder westlich an der Mündung des Sundes vorüber, und kein Boot hatte, seitdem ich dort Anker geworfen, sein Wasser gekreuzt, das kalt, düster und finster, und nicht mehr die Stirne des Kalbfelsens wiederspiegelnd, mein Boot umgab. Wie eines Toten Angesicht, das weder Lachen noch Weinen bewegt, lag es unter dem sonnenlosen Himmel da. Ein schrecklicher Widerwille gegen die See, wie ihn das einsamste Land nie in einem christlichen Menschen erweckte, erfaßte mich dann. Während ich einsam auf Deck meines kleinen, schwankenden Fahrzeuges saß und die See gegen seine Planken schlagen und die Seehühner auf Kitterland schnattern und vielleicht ein wildes Füllen mit dem Winde um die Wette über den Kalbabhang jagen hörte, schreckte mich der Gedanke, daß so weit, wie das Auge sehen oder das Ohr hören konnte, nichts anderes als die Hand Gottes mich umgäbe. Alles war damals dunkel in mir, und oft stellte ich mir die Frage, ob je ein Mensch allein mit Gott sein und fortleben könne.

Eines Tages aber begab es sich, daß ich auf meinem Heimweg von der schwarzen Koppe, von wo ich mir Kartoffeln geholt hatte, gegen Abend einen Umweg über den Steinzirkel oberhalb des Wasserfalls machte und auf dem nördlichsten Punkt desselben, halbwegs nach Cregneesch, auf einen Anblick stieß, der mir den Atem benahm. Es war eine an einen zerklüfteten Abhang, aus dem in früheren Zeiten Steine gehauen waren, gebaute Hütte. Die Wände waren aus Torf; das Dach war aus Ginster und Latten und hatte ein Loch statt einen Schornstein. Fenster hatte es nicht, und die Türe war durch ein zerbrochenes, mit Stroh durchflochtenes Gittertor halb geschlossen.

Erbärmlich anzuschauen, blickte die Hütte verlassen auf das wilde Moorland hinaus, sie war aber ein Werk von Menschenhand, und ich, der ich so lange nur allein Gottes Hand um mich und über mir gefühlt hatte, wurde von einer menschenfreundlichen Empfindung berührt. Da ich keine Stimmen drinnen hörte, schlich ich mich heran und blickte in die Hütte hinein. In einer Ecke stand ein Strohlager und ihm gegenüber ein, in der Mitte als Behälter für ein Feuer ausgehöhlter Sandstein. Eine zerbrochene Tonpfeife lag neben diesem primitiven Herd, und den Fußboden bildete trockner, hartgetretener Gebirgstorf. Zwei Säcke, ein Kessel, ein Tiegel und ein Haufen Kartoffelschalen waren die einzigen anderen, in ihr sich befindenden Gegenstände, und so arm ich selber auch war, brachte mir der Anblick dieser menschlichen Wohnung die Tränen in die Augen. Ich erinnere mich, daß es, als ich mich zum Fortgehen umwandte, zu regnen begann, und das Klatschen der auf das Dach herabfallenden Tropfen die Hütte in meinen Augen und Ohren menschenwürdiger zu machen schien.

Auf meinem Rückwege nach dem Boot näherte ich mich Cregneesch an dem Tage mehr, als ich sonst bei Tageslicht zu tun pflegte, und obgleich die Dämmerung sich schon von den Bergen herniedersenkte, konnte ich doch von der Kuppe in die Straßen hinabschauen, und es fiel mir ein, von einer lärmenden Menge umgebener, anscheinend blödsinniger Mann in die Augen, der dort in Rock und Kniehosen, aber ohne Hemd oder Weste und mit einem Strick um die Taille geschnürt, auf der ungepflasterten Straße vor den Häusern tanzte und sang.

Nachdem ich einmal auf die Hütte gestoßen war, kehrten meine Gedanken immer wieder zu ihr zurück, und nach ungefähr drei Tagen lenkte ich ihr von neuem meine Schritte zu. Mich ihr von der Rückseite nähernd, erblickte ich verschiedene aus Stroh und Zweigen roh zusammengestellte Bienenstöcke. Veg-veen war bei mir, er begleitete mich jetzt überall hin, und im Umsehen war er in die Hütte hineingesprungen, um ebenso schnell mit dreien seines eigenen Geschlechtes hinter sich wieder herauszukommen. Ehe ich mich zum Weitergehen umwenden konnte, folgte den Hunden ein Mann aus der Hütte, in dem ich denselben blödsinnigen Menschen erkannte, den ich in den Straßen von Cregneesch hatte tanzen sehen. Seine Unterlippe hing lang herab, und seine Augen waren ausdruckslos, wie die eines Kaninchens; durch den fehlenden Boden seines Hutes schien sein Haar hindurch, und ich bemerkte, daß seine Brust, anstatt mit einem Hemd bekleidet, mit Ruß schwarz gefärbt war. Ich wollte meines Weges gehen, er redete mich jedoch an und sagte, ich brauche mich nicht vor ihm zu fürchten, es sei durchaus nicht wahr, daß er, wie übelredende Leute behaupteten, vom Teufel besessen sei. Ich antwortete ihm nicht, blieb aber stehen und hörte mit abgewandtem Angesicht dem unsinnigen Geschwätz des Alten zu.

»Sie nennen mich Bienen-Billy,« sagte er, »weil ich sie fange und aufziehe – seht,« und damit wies er auf die Bienenstöcke. Dann erzählte er mir von seinen drei Hunden, nannte mir ihre Namen und sagte, er schlafe mit allen dreien in einem Sack zusammen. Auch von der kürzlich eingetretenen Kälte sprach er und zeigte mir den Ruß auf seiner Brust, der ihn warm halten solle. Ebenso erzählte er mir, daß er jede Woche einmal einen Rundgang über alle Bauernhöfe mache, und den Leuten vorsänge und tanze, und daß sie ihm Hafermehl und Eier dafür gäben. Noch viel mehr redete er mir vor, da aber der Sinn – wenn es überhaupt Sinn hatte – mir entfallen ist, übergehe ich es. Daß der Weltuntergang nahe zur Hand sei, wußte er mit Bestimmtheit, weil er sähe, daß, wenn Menschen Geld und vielen Tand besäßen, es nichts ausmache, ob alles andere ihnen fehle. Dies und vieles andere erzählte er mir in der weitschweifigsten Weise, und ich stand, ohne eine Silbe zu antworten oder ohne ihm ins Gesicht zu blicken, dabei. Zum Schluß begann er kläglich: »Ich weiß, ich habe nie viel Verstand besessen,« und dann konnte ich es nicht länger ertragen, sondern ging schweren Herzens davon. »O, Gott!« rief ich in der folgenden Nacht in meiner Verzweiflung, »ich bin ein unwissender Tor und weder mit der Gabe menschlicher Liebe noch der menschlichen Verständnisses gesegnet. Ich bin schuldig vor dir, und niemand kümmert sich um meine Seele. Vor diesem Schicksal jedoch errette mich. O, Allmächtiger Schöpfer, rette mich; rette mich vor dieser mir drohenden Erniedrigung, damit wenn der Tod, der große Lebensabrechner einmal kommt, ich dankbar den Tribut ihm zahlen kann.«

Nach diesem Zusammentreffen mit dem blödsinnigen Manne machte der Überdruß, den ich innerlich gegen mein Heim auf der See gefühlt hatte, sich mehr als je zuvor bemerkbar, und ich beschloß, mein Boot zu verlassen und mir eine Hütte auf dem Lande in Absehweite menschlicher Wohnungen zu bauen. So wanderte ich die Felsen von den Mull-Bergen bis zu der Noggin-Spitze ab und fand schließlich die gesuchte Stätte. Nahe dem Platze, den ich kürzlich urbar gemacht und auf dem ich Korn und Kartoffeln gezogen hatte, standen vier dachlose Wände. Sie hatten ihrer Zeit ein Haus gebildet, dasselbe hatte jedoch den als »Fällen« bekannten Erdspalten zu nahe gestanden und sich bei einer Bodenverschiebung gesenkt, und dies hatte die armen Seelen, die es bewohnten, so erschreckt, daß sie es verlassen und in Ruinen hatten fallen lassen. Diese Geschichte hörte ich viele Jahre später, zu damaliger Zeit jedoch kam niemand der Stelle nahe. Außer den vier nackten Mauern und einer sie teilenden Wand war nichts übriggeblieben. Wo der Fußboden gewesen war, wuchs nun Gras, und in der Bettecke und auf dem Herde waren Heidelbeeren gereift und verfault. Die Türschwelle und die Fensterbank fehlten. Draußen zeigte ein runder Flecken langen Grases, wo der Brunnen gewesen war, und nahe der Stelle der früheren Eingangspforte wuchs noch der Holunderbaum, und obgleich die guten Leute, die dort gewohnt hatten, lange das Grab deckte, lebten doch die Merkmale ihres Glaubens und Aberglaubens noch lange nach ihnen fort.

Einen geeigneteren Platz als diese verlassenen vier Pfähle hätte ich schwerlich finden können. Sie standen an einem verrufenen Ort, und niemand würde sich ihnen nahen. Es war nahe an Cregneesch heran, und von der sich hinter ihnen erhebenden Höhe konnte ich auf die Heimstätten der Menschen hinabblicken. Ich sah in Wahrheit auf die See hinaus, und die steilen Klippen, an denen die Flut sich mit angstvollem Stöhnen brach, fielen in einer entsetzlichen Tiefe zu dem schmalen Streifen Kieselstrandes hinab. Trotz der großen Nähe der See jedoch und dem Geschrei der Seevögel, die auf dem großen, sich wie ein Riesenfinger in Kabelweite emporstreckenden Felskegel allabendlich Versammlung hielten, war diese Stelle für mich doch innerhalb des Pulsschlages menschlichen Lebens.

So machte ich mich also ans Werk und deckte das Haus mit Treibholz und Torf und Ginster und weißte die Wände von innen und außen mit Kalk aus der Tubdale-Klippe vom Kalb-Bergrücken. Eine Türe wußte ich ebenfalls mir zu verschaffen, und über das Fenster hing ich, da es mir an Glas fehlte, ein Stück durchsichtiger Haut. Nachdem alles fertig war, trug ich, was mir von meinen Sachen aus dem Boot notwendig erschien, in das Haus – Mehl und Fleisch und Salz, meine Gerätschaften sowohl wie mein Bett und meine übrigen Kleidungsstücke, deren es indes nicht viele waren.

Ich hatte mich, da mir meine Arbeit Freude machte, nicht mit derselben übereilt, schließlich jedoch war sie beendet, und der Tag, an dem ich die letzte Hand anlegte, war gegen Ende des ersten Jahres meiner Verbannung. Ich wußte es an den langen Nächten und hatte versucht, den kürzesten Tag mit Hilfe meiner Uhr zu berechnen, um meine verlorene Zeitrechnung wiederzugewinnen. Während der ersten in meinem neuen Heim verbrachten Nacht kam von Osten her ein heftiger Wind und Regensturm. Vier Stunden lang wütete der Orkan, und wieder und wieder schleuderte der Sturm kreischende Seemöwen gegen die Wände des Hauses, das mich barg, und in dem ich vor dem ersten Feuer saß, das ich auf meinem eigenen Herd angezündet hatte. Gegen Mitternacht machte der Orkan plötzlich einer Totenstille Platz, und als ich hinausblickte, sah ich den Mond klar hinter einer schweren Wolke jenseits der See hervorkommen. In meiner Besorgnis über das Schicksal meines Bootes, das mir, trotzdem ich es verlassen hatte, doch sehr am Herzen lag, und das ich gelegentlich auch wieder zu benutzen gedachte, machte ich mich auf den Weg, zum Sund hinabzugehen. Von der Bergkoppe konnte ich die Klippen von Kitterland und die ganze Länge der Doonbucht ganz deutlich übersehen. Dort aber, wo mein Boot geankert hatte, war von der westlichen Fistard-Spitze bis zur östlichen Halbwegs-Klippe kein Boot oder irgend ein Zeichen eines solchen zu erblicken. Am nächsten Morgen setzte ich bei einer hellen Wintersonne die Nachforschungen nach meinem Lugger fort, und um Mittag wurde derselbe entmastet, ohne Spiere oder Segel, mit einem Leck unter seiner Wasserlinie als vollständiges Wrack von der steigenden Flut an den Strand der Doonbucht gespült. Ich machte einen vergeblichen Versuch, ihn über Hochwassermarke heraufzuziehen und ging dann meines Weges.

Dieser Verlust, denn als solchen betrachtete ich es, bedrückte mich anfänglich sehr, und mit bitterem Neid nur konnte ich an meine kürzliche Vergangenheit zurückdenken. Meine Zukunft schien mir nun, da ich mich für immer, was mir auch zustoßen mochte, an diese Insel gefesselt glaubte, viel trauriger. Nachdem ich es mir jedoch recht überlegt hatte, erfüllte eine große Dankbarkeit mein Herz: erstlich, weil ich in dem am Tage meiner Übersiedelung erfolgten Schiffbruch meines Bootes eine höhere Hand zu erkennen glaubte; und zweitens, weil ich unrettbar in dem Sturm umgekommen sein müßte, wenn ich die eine Nacht länger noch auf der See geblieben wäre. Meine Furcht vor dem Tode war so groß, daß, ihm entronnen zu sein, mir eine größere Segnung erschien, als die Erlösung von der Insel es je sein konnte.

Jeden folgenden Tag und gewöhnlich bei Morgenanbruch erstieg ich die hinter meinem Hause gelegene Höhe und blieb dort, auf Cregneesch hinab- und nach dem weißen Rauch ausschauend, der wie eine niedrige Wolke über der Stelle hing, wo Port Erin sich befand, eine Weile stehen. Hierauf fühlte ich mich stets durch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit erfrischt und ging zufrieden meiner Arbeit nach. An einem bitterkalten Morgen jedoch, ich glaube, es war im Dezember, zeigte sich mir ein mein Herz fast erstarrender Anblick; ausgestreckt auf dem kahlen Moorlande, lag unter dem düsteren Himmel und auf der windgeschützten Seite eines dicken, gelbbetupften Ginsterbusches der blödsinnige Mann, Bienen-Billy, kalt und tot. Seine bloße Brust trug unter dem Ruß, mit dem er sie in seiner Einfältigkeit geschwärzt hatte, eine blaue Farbe, als ob er verhungert sei, und sein zusammengeschrumpftes Gesicht sprach von Mangel und Qual. Und nun, da er ausgestreckt im Tode dalag, sah ich, daß er ein Mensch meiner eigenen Gestalt gewesen sein mußte. Seine Hütte, die weiter als mein eigenes Haus von der Stelle, wo ich ihn fand, entfernt war, enthielt weder einen Bissen zu essen, noch einen Tropfen zu trinken, und seine Hunde schienen ihn in seiner Armut verlassen zu haben, denn sie waren verschwunden. Die Luft war seit einigen Minuten, während ich seine Hütte aufgesucht hatte, merklich milder geworden, und als ich überlegend, was ich mit der armen Leiche anfangen sollte, zu derselben zurückkehrte, begann der Schnee in dicken Flocken zu fallen. »Der Schnee wird sie bedecken,« dachte ich, »er wird sie begraben,« und noch einen Blick über meine Schulter zurückwerfend, ging ich mit einer großen Sorgenlast auf dem Herzen nach Hause.

Den ganzen Tag und die beiden folgenden Tage hörte es nicht auf zu schneien, so daß die Wände meines Hauses bis zur Fensterhöhe im Schnee vergraben waren, und ich, um zu meinem Giebel, wo ich mein Holz aufgestapelt hielt, zu gelangen, mir einen Weg durch den Schnee schaufeln mußte. Über eine Woche saß ich, an meinem gewohnten Ausgang gehindert, allein in dem großen Schweigen und versuchte meine Gedanken von der einen furchtbaren, mich jetzt verfolgenden Idee abzulenken. In der Erinnerung an jene langen Stunden und an die armseligen Beschäftigungen, die ich mir für sie ersann – auf allen vieren mit Millish-veg-veen spielend am Boden herumkriechen, laut lachen und sein schrilles Bellen ebenso erwidern – könnte ich fast weinen, wenn ich an das tragische, mein Herz damals so schwer bedrückende Erlebnis denke. Die Tage meiner Einkerkerung fielen gerade um Weihnachten, denn eines Abends, gegen Mitternacht, hörte ich die Kirchenglocken zum Oiel Verree läuten.

Als der Schnee zu schmelzen begann, bemerkte ich, daß der Hund unausgesetzt unter der Türe durchschnupperte und trotz meines Rufens immer wieder an dieselbe Stelle zurückkehrte. Ich will nicht niederschreiben, welch ein grausiger Gedanke mir, der ich die Natur eines Hundes kannte und wußte, wie nahe meiner Türe die Leiche des blödsinnigen Mannes lag, durch den Sinn fuhr; nur so viel will ich sagen, daß bei dem Gedanken an die Zeit, wo dem über mich verhängten Fluch gemäß, auch meine unbeerdigten Gebeine auf dem bloßen Boden des Moores liegen würden, mich ein bis dahin unbekanntes Entsetzen erfaßte.

Sobald der Schnee bis auf einen Fuß von der Erde geschmolzen war, verließ ich mein Haus, um den Platz aufzusuchen, auf dem mein toter Nachbar lag; ehe ich ihn jedoch erreicht hatte, sah ich zwei Männer des Weges von Port-le-Mary über den Bergkamm daherkommen, und da ich nicht von ihnen gesehen werden wollte, schlich ich mich zurück und versteckte mich, um aufzupassen, was sie tun würden, hinter die Rückwand meines Hauses. Da sah ich denn, wie sie, der Leiche des blödsinnigen Mannes sich nähernd, dieselbe bemerkten und einige Minuten im ernsten Gespräch über sie gebeugt stehen blieben, um dann ihren Weg weiter zu verfolgen. Sie kamen dicht an der Vorderseite meines Hauses vorüber und blickten, das vor dem Fenster hängende Fell zurückziehend, in dasselbe hinein. Fest an die Wand gedrückt und Veg-veen, damit er mich nicht verraten solle, bei der Kehle gepackt haltend, hörte ich einige Worte ihrer Unterhaltung mit an.

»Nun endlich also ist er tot, armer Kerl,« sagte der eine, »und ein Glück ist es dazu.«

Und der andere antwortete und sagte: »Lieber Himmel, sollte man's glauben! Kein lebender Mensch kann dem Tode entgehen. O, schrecklich, schrecklich!«

»Ich selbst war an jenem Tage auf Tynwald,« sagte der erste, »und ein Jahr wird er's aushalten,« sagte ich damals, und seht Ihr wohl, hier liegt er nun nach kaum mehr als der halben Zeit schon tot da.«

Und darauf sagten beide »Gott steh' uns bei!« und gingen ihres Weges.

Mir aber schwindelte es vor den Augen, und sauste es vor den Ohren. Ich schwankte in mein Haus hinein und setzte mich an den kalten Herd, denn in meinem Eifer, mich gleich nach dem Erwachen an meine Aufgabe zu machen, hatte ich kein Feuer angezündet. Ich rief mir die Worte der Männer ins Gedächtnis zurück und sprach sie laut und sehr langsam, eines nach dem andern, damit ich sie nicht mißverstehen möchte, vor mich hin, und darauf sagte ich zu mir selbst: »Dieser Irrtum wird sich überall verbreiten, bis die ganze Insel sagen wird: er, der Verstoßene, dessen Namen nicht unter den Menschen genannt werden darf, ist tot.« Tot? Und dann? Ich hatte einmal sagen hören, daß, wenn der Tod sich einem schlechten Menschen nahe, um ihn hinwegzunehmen, sein Zwillingsbruder, der Engel der Barmherzigkeit, sich über die auf Erden Zurückgebliebenen beuge und ihrem erweichten Herzen alle Lieblosigkeit und böse Nachrede entzöge.

Und es überfiel mich eine große Ehrfurcht bei diesem Gedanken, und der himmlische Tau eines wunderbaren Friedens senkte sich auf mich herab. Ihm folgte aber sofort ein anderer Gedanke, nämlich der, daß dieses falsche Gerücht ebenfalls meinen Vater – Gott erhalte ihn! – Und Mona – Die Gnade Gottes sei mit ihr! – erreichen und ihnen Schmerz verursachen würde. Und dann fuhr es mir durch den Sinn, daß wenn die Leute in ihrer Gegenwart sagen würden: »Der Bewußte ist kürzlich gestorben,« sie sich ein Herz fassen und antworten möchten: »Nein, er starb vor langer Zeit schon; es war nur sein Elend und Gottes Zorn, die kürzlich erst erstarben.«

Mit diesem Gedanken erhob ich mich und ging hinaus und warf einige Schaufeln Erde über die Leiche meines armen Nachbars, damit sein Angesicht vor dem Himmel verborgen sein möge.


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