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Achtundfünfzigstes Kapitel.

Enthüllt Reisevorbereitungen anderer Art und zeigt Jungfer Clementine als Opfer unglücklicher Liebe.

Im Hause der Staatsräthin wurden ähnliche Anstalten, wenn auch ganz anderer Art, gemacht. Martin, der Kutscher, befand sich in einer unsäglichen Aufregung. Erst gestern hatte ihn seine Herrin vor sich kommen lassen und ihm den Befehl gegeben, ihr Reisecoupé in gehörigen Stand zu setzen, damit es am anderen Morgen in aller Frühe mit Postpferden bespannt werden könne. Nun müssen wir aber der Ordnungsliebe des Kutschers das beste Zeugniß geben und zugestehen, daß sich der Wagen im solidesten Zustande befand. Doch wie die alten Diener sind: verletzt, daß man ihn nicht früher von dieser Reise in Kenntniß gesetzt, schwor er hoch und theuer, schon vor vierzehn Tagen hätte man sollen das Coupé zum Sattler schicken; er garantire nicht für eine Station, und wenn seine Herrschaft alsdann mitten auf der Straße liegen bleibe, so sei seine Kutscherehre dahin, und er müsse sich ein Leides anthun.

Der alte Jakob hatte dazu gelächelt und ihm gesagt: »macht nur nicht so viele Geschichten! Seid vernünftig, Martin! Das ist nun einmal so schnell gekommen mit dieser Reise; Niemand hat's eher gewußt als Ihr, ja nicht einmal die Staatsräthin; das könnt Ihr mir glauben.«

Diese Versicherung tröstete denn auch einigermaßen den alten Kutscher; bald darauf hörte man die Remisenthüre öffnen und das langsame Rollen eines Wagens im Hofe. Martin warf den Ueberzug herunter, untersuchte Achsen, Federn, Riemenwerk, Laternen, und als er nach einer guten Stunde hiemit zu Stande gekommen war, versicherte er mit freudestrahlendem Gesichte, ihn solle der Teufel holen, aber er habe sich geirrt: das Coupé müsse auf der Landstraße Parade machen.

Martha, die Köchin, hatte sich seit der Hochzeit der Nanette noch nicht ganz wieder erholt. Sie war gewissermaßen schwermüthig geworden, lachte selten oder gar nicht, und wenn sie allein war, sang sie allerlei schreckliche und ergreifende Lieder, als:

Heinrich schlief bei seiner Neuvermählten,

oder

Noch einmal, Robert, eh' wir scheiden,
Komm an Elisens klopfend Herz.

Namentlich das letztere liebte sie besonders, und Martin, dem diese musikalische Produktionen, die man auch außer der Küche deutlich hören konnte, höchst langweilig vorkamen, hatte versichert, wenn das nicht aufhöre, so gehe er aus seinem Stalle gar nicht mehr heraus.

Die plötzliche Reise der Staatsräthin hatte nun auch nicht zur Erheiterung der Köchin beigetragen, und dem erhaltenen Befehle gemäß packte sie mit wahrer Wehmuth allerlei Geflügel in ein kleines Reisenecessaire.

Die Staatsräthin war die Einzige, die sich, wenigstens im Aeußeren, wie immer völlig gleich blieb. Sie saß in ihrer Fensternische auf dem kleinen Fauteuil und hatte, wie es schien, Papiere durchgesehen, hie und da ein Schreiben zerrissen, andere aber in ein Kästchen niedergelegt. In dieser Beschäftigung hielt sie öfters inne, legte die Hände in den Schooß und blickte nachdenkend zum Fenster hinaus. Doch waren ihre Züge heiterer als sonst, ihr Auge blickte lebhaft umher, wenn sie aus solch tiefen Gedanken zu ihrer Beschäftigung zurück kehrte. Zuweilen faltete sie auch ihre Hände, blickte wie dankend in die Höhe, und dann flog auch wohl etwas wie ein leichtes Frösteln über ihren Körper, so daß sie den Kopf schüttelte und hastig aufstand, um ein paar Gänge durch das Zimmer zu machen. Als sie sich darauf ihrem Platze wieder näherte, hob sie eine Visitenkarte vom Boden auf, die sie vorhin herabgeworfen. Sie las den Namen auf derselben: »Doktor Wellen,« und versank darüber in Träumereien, wobei sich aber ihr Gesicht zusehends erheiterte.

Katharina hatte in demselben Stockwerke ihre Zimmer, und da die Thüre zu einem derselben heute Morgen nur angelehnt war, so können wir uns schon erlauben, einen Blick hinein zu werfen.

Es war Besuch bei ihr, aber für uns kein fremder: Madame Schoppelmann saß behaglich in der Ecke eines kleinen Sopha's, und Jungfer Clementine Strebeling kniete auf dem Boden vor einem großen Korbe, der voll Wäsche und Kleidungsstücke war. Das ganze Zimmer, inclusive Möbel, schien gewissermaßen in Aufregung begriffen: Schränke und Thüren standen weit offen, Kommodeschubladen waren aufgezogen und in der Ecke stand ein großer Wagenkoffer mit aufgeschlagenem Deckel, der nur darauf wartete, vollgepackt zu werden.

Aber die drei Frauenzimmer schienen mit diesem Geschäfte nicht in's Reine kommen zu können; ja, es war ihnen augenscheinlich unmöglich, dazu einen Anfang zu machen. Keine arbeitete der Andern in die Hände, und was Katharina hieher trug, das brachte Clementine dorthin; dazwischen hatte Madame Schoppelmann jeden Augenblick etwas außerordentlich Wichtiges zu berichten und zu erzählen, und dazu mußten nothwendiger Weise die beiden Mädchen Alles stehen und liegen lassen, an das Sopha treten und ihr aufmerksam in die Augen sehen; sonst war es der alten, dicken Frau absolut unmöglich, eine Geschichte mit gehöriger Wirkung zu Ende zu bringen.

Wir müssen hiebei gestehen, daß im Aeußeren dieser würdigen Frau eine kleine Aenderung eingetreten war, aber eine Aenderung zu ihrem Vortheil. Sie hatte, trotzdem daß es ein Wochentag war, ihren Sonntagsstaat an und bewegte sich darin mit einer Ungenirtheit, aus der wir zu entnehmen berechtigt sind, als kleide sich die Gemüsehändlerin, seit sie sich in Ruhestand versetzt, immer so sorgfältig, was denn auch wirklich der Fall war.

Clementine Strebeling war, wie sie immer gewesen: etwas still, etwas melancholisch, zu Thränen geneigt, stets im Begriff, über die ganze Welt zu seufzen. Doch können wir die Versicherung abgeben, daß sie sich über das Glück ihrer Freundin aufrichtig freute, und daß sich ihr Auge merklich erheiterte, wenn sie sah, wie Katharina so selig und still zufrieden zu sein schien.

Selig und still zufrieden, ja, so war das schöne junge Mädchen. Das Bewußtsein ihres Glücks strahlte aus ihren Augen, die sanft geöffneten lächelnden Lippen schienen nur Worte des Glücks, der Liebe sprechen zu können. Verschwunden war die blasse Farbe ihrer Wangen; das Mädchen war frischer und kräftiger aufgeblüht als je, dieselbe liebliche Erscheinung, wie sie zuerst vor unser Auge getreten ist, und doch wieder ganz anders. Sie trat mit einem Gefühle der Sicherheit, des Selbstbewußtseins auf, das ihr damals gefehlt, und dabei zeigte sich hier die Heiterkeit ihres Charakters in seiner ganzen Frische und Liebenswürdigkeit. Sie war so köstlich neckisch und muthwillig, sie ließ sich hier in ihrem leichtgeschürzten Morgenüberrock so zwanglos gehen, daß es eine wahre Freude war. Wir wissen nicht, was ihr in den letzten Tagen Angenehmes begegnet sein mochte; doch war etwas dergleichen vorgefallen, und wir thun vielleicht dem Doktor Wellen kein allzu großes Unrecht, wenn wir glauben, daß er, als er die Staatsräthin besuchte, auch dem jungen Mädchen einen vergnügten Tag wünschte und verschaffte.

Bald nahm sich Katharina ernstlich zusammen, um mit Hülfe ihrer Freundin die Kleidungsstücke nach dem Koffer hinzutragen; dann warf sie einen ganzen Arm voll derselben wieder leicht auf einen Stuhl, sprang flüchtig und gewandt über einen der am Boden stehenden Körbe hinweg und umarmte die Mutter, die in solchen Augenblicken Alles anwenden mußte, um ihre Haubenbänder vor dem Zerdrücktwerden zu hüten.

»Du bist eine glückselige Kreatur!« sagte Madame Schoppelmann. »Das Reisen ist überhaupt was Angenehmes, namentlich wenn man es unter so glücklichen Verhältnissen wie die deinigen thun kann. Das ist schon was ganz Anderes. – Du lieber Gott! wenn ich noch an die damalige Zeit denke, wo ich deinen Vater, den seligen Schoppelmann, geheirathet und wo wir zu unserem Vetter reisten, vier Stunden von der Residenz, in einem damals sehr schönen Wagen! Es waren zwei Schimmel davor gespannt, und der Kutscher sagte: wahrhaftig, jetzt soll's einmal recht drauf los gehen! Und als ich ihn fragte, wie lange wir zu fahren hätten, da rechnete er an den Fingern und entgegnete: bis nach Bolzheim sind es zwei Stunden – die werde ich wohl in drei ein halb zwingen; dann ist es nach Oberbolzheim wieder ebenso weit – die fahr' ich in zwei ein halb Stunden. Und das that er auch, und es war für die damalige Zeit gar nicht schlecht; – sechs Stunden nach Oberbolzheim, das fährt man jetzt in zwei, und wenn die Eisenbahn fertig ist, in einer halben Stunde, das ist wahrhaftig graulich. Ja, das war damals eine Tagreise, und der Kutscher mit den Schimmeln fuhr die Woche zweimal hin und her.«

»Geht unser Weg auch über jenen Ort?« fragte Katharina, und als die Mutter das verneinte, fuhr das junge Mädchen lachend fort: »nun, das ist Schade, sonst hätte ich die beiden Schimmel von Euch gegrüßt, wenn sie mir zufällig begegnet wären.«

Jetzt machte aber Clementine alles Ernstes Anstalt, den Wagenkoffer zu verpacken, und als Katharina endlich von ihrem unruhigen Wesen abließ und tüchtig mithalf, war dieses Geschäft in kurzer Zeit beendigt. Nur hatten die beiden Mädchen so viel hinein gedrückt, daß es ihnen unmöglich wurde, den Deckel zu schließen, weßhalb Katharina hinauseilen wollte, um Jakob oder Martin zur Hülfe herbeizurufen. Doch ließ es sich Clementine nicht nehmen, diesen Gang zu besorgen, und flog mit einer erstaunenswerthen Leichtigkeit neben ihrer Freundin zur Thüre hinaus. Katharina blieb stehen und schaute ihr nach, wie sie so dienstfertig die Treppe hinab flog. Dann trat sie in's Zimmer zurück, wandte sich gegen ihre Mutter, und ihre eben noch so lachenden Züge waren ernst und nachdenkend geworden.

»Die arme Clementine!« sagte sie; »es ist doch schrecklich, wie man es ihr gemacht, und ich kann Euch wahrhaftig nicht begreifen, Mutter, wie Ihr die Sache so habt können gehen lassen. Nein, das hätte mir untersucht und der Schuldige gestraft werden müssen. So ist es recht in der Welt.«

»Es geht aber leider nicht immer in dieser Welt, wie's recht ist,« versetzte Madame Schoppelmann. »Glaube mir, ich habe die Sache hin und her überlegt; die Strebeling hat auch Dummheiten genug gemacht. So muß man sich nicht an den Ersten Besten hinhängen.«

»Aber Ihr kennt sie ja,« entgegnete Katharina betrübt. »Es ist ein Unglück, wenn man ein solches Gemüth hat. Aber sie hat geglaubt, da thue sie was Großes und Schönes, wenn sie Jemanden, der sich in Noth befindet, so reichlich und aufopfernd unterstütze, Jemanden, von dem sie sich eingebildet, er liebe sie, und sie liebe ihn auch. Ach, Mutter was thut man nicht, wenn man liebt!«

»Das will ich dir zugeben,« sagte Madame Schoppelmann, »Aber von dem hat die Strebeling keine Idee gehabt. Mir ist ein solches Betragen unerklärlich. Nun, sie ist dieses Mal noch glücklich davon gekommen.«

»Sie erhielt ihr Geld, wieder?« fragte Katharina.

»J–a–a–a!« entgegnete die Mutter in gedehntem Tone. »Sie hat's wieder erhalten; aber wenn sie noch einmal so Streiche macht, da kann ihr Niemand weiter helfen. – Ich habe sie mit mir nehmen wollen, aber sie zieht es vor, in der Stadt zu bleiben, ja sogar in unserem ehemaligen Hause, und die Klingler hat ihr mit Vergnügen die Stube auch ferner gelassen. Mir ist es unerklärlich.«

»Und von dem gewissen Müller,« sagte Katharina, »hat man nie etwas vernommen? Man hat wohl nicht nach ihm forschen können, da in den Briefen kein Aufenthaltsort angegeben war?«

»Ich glaube nicht, daß er überhaupt existirt hat,« antwortete unmuthig Madame Schoppelmann, und dabei zupfte sie heftig an ihren Haubenbändern. Sprechen wir nicht mehr davon; es ist das eine garstige verdrießliche Geschichte.«

Solche Benennungen verdiente dieser Vorfall von Seiten der Gemüsehändlerin auch vollkommen; denn sie hatte die Sache mit ihrem Advokaten überlegt, und dieser hatte ihr gesagt: hören Sie mich genau an, Madame Schoppelmann. Das Geld, welches man bei der verstorbenen Schilder gefunden, und das ohne allen Zweifel der Jungfer Clementine Strebeling gehört, kann von Niemand als von den etwaigen Erben der Verstorbenen reklamirt werden; für die Strebeling ist es verloren, es sei denn, daß diese eine Untersuchung anhängig macht gegen die Schilder und ihre Helfershelfer wegen mittels Betruges verübter Erpressung, und daß man hierauf so glücklich ist, diese Helfershelfer auf die eine oder die andere Art zu entdecken. Hat man sie festgenommen, und sie sind dieses Betruges geständig, so ist es vielleicht möglich – ich sage: möglich – wieder zu dem Gelde zu gelangen, vielleicht auch wahrscheinlich; aber dann müßte die Strebeling augenblicklich als Klägerin auftreten.«

Diese Helfershelfer verfolgen hatte nun die in dieser Richtung wirklich unglückliche Mutter aus uns bekannten Gründen nicht gewollt, und obgleich der Polizeikommissär Wunsch auch auf's Heftigste in die Strebeling drang, die zu dieser Untersuchung nöthigen Dokumente, die Briefe des Herrn Müller, beizuschaffen, so war doch dieses schüchterne Wesen nicht dazu zu bewegen; im Gegentheil schnitt sie alle Verhandlungen, im Widerspruche mit ihrer gemachten Angabe, mit der einzigen Erklärung ab, die Schilder sei rechtmäßiger Weise in den Besitz des bei derselben gefundenen Geldes gekommen; sie habe es derselben als eine Schuld zurückbezahlt.

Nach allen diesen Vorgängen hatte es aber die Gemüsehändlerin für ihre heilige Pflicht gehalten, der Jungfer Strebeling das Geld zurück zu erstatten. Doch war es sehr schwer, diesen Vorsatz auszuführen. Clementine wollte nun einmal das Opfer ihrer unglücklichen Liebe sein, und sie, die den Herrn Müller für vollkommen unschuldig hielt, was er denn auch in der That war, glaubte noch sehr wenig für diesen vortrefflichen jungen Mann zu thun, wenn sie still für ihn duldete und litt. Es bedurfte auch der ganzen Energie der dicken Frau, sowie einiger List und vieler Ueberredung, um der alten Jungfer begreiflich zu machen, daß das Gericht, welches dergleichen langwierige Untersuchungen herzlich scheue, es für gut befunden habe, ihr die Gelder ohne weiteres wieder zuzustellen. Genug, Clementine hatte, wenn auch mit traurigem Herzen, ihr Kapital zurück genommen; sie wäre ebenso lieb in Armuth geblieben mit dem süßen Bewußtsein, sich für ihre erste Liebe ruinirt zu haben.

Ihr Quartier in dem Hause mochte Jungfer Strebeling um Alles in der Welt nicht verlassen. Da saß sie an dem Fenster und blickte hinüber nach dem musikalischen Hause, immer hoffend, daß doch noch an einem schönen Tage wieder einmal die Melodie herüber klinge von der Lotusblume,

Die sich ängstigt in der Sonne Pracht. – –

Während auf die vorhin beschriebene Art im Stillfried'schen Hause sowie bei Major von Brander zur bevorstehenden kleinen Reise gearbeitet wurde, saß der Justizrath Werner vor seinem Schreibtische, mit Papieren aller Art auf's Emsigste beschäftigt. Er trug Obligationen und andere Werthpapiere in ein Dokument ein, das er nachher mit seiner Unterschrift versah. Neben sich hatte er mehrere andere Papiere liegen; alle aber schienen auf das Ereigniß Bezug zu haben, das seine ganze Seele beschäftigte. Endlich hatte er jene Schriften genugsam durchgesehen und verglichen, und nachdem er sie zuletzt sorgfältig in ein Paket vereinigt, mit einer rothen Schnur umwunden und versiegelt hatte, schrieb er darauf: »Der Baronin von Steinbeck, geb. Stillfried.« Dieses Paketchen legte er vor sich auf den Tisch, und während er den Namen lange und aufmerksam betrachtete, ließ er den Kopf in die Hand sinken, und seinen Geist schienen Träume sehr angenehmer Art zu beschäftigen. Hatte er nicht erreicht, wonach er so lange gestrebt, sah er nicht das ersehnte Ziel dicht vor sich, fast vor ihm stehend, nicht mehr in der Ferne hin und her gaukelnd? – Ja, er hatte sich von der ganzen Welt losgerissen, selbst von ihr, die er seine Freundin nannte. Das Schicksal, die Verhältnisse hatten sie langsam, aber um so bestimmter getrennt. Kleine Schatten, die zuerst in ihr Leben spielten – sie schienen anfänglich von nur vorüberziehenden Wolken herzukommen – hatten sich in ihr Leben festgesetzt und breiteten sich immer mehr und mehr aus zwischen ihnen, und da jeder dieser Schatten floh und zurück wich, so wichen auch die Beiden von einander. Und nicht zu ihrem Unglück. Der Justizrath hatte das seit Jahren gefühlt; er zuckte die Achseln darüber, aber es war ihm nicht einmal unlieb. Er fühlte die Kraft und Macht in sich, jenes Verhältniß festzuhalten, bis er dem Ziele näher gerückt sei, das er sich vorgesteckt, bis er erreicht, wonach er mit aller Kraft der Seele strebte. Nicht, als ob er glaubte, sobald dieses Ziel nun wirklich erreicht sei, habe er das Spiel gewonnen, habe er sich das Herz jenes jungen Mädchens zugewendet, werde sie zu ihm aufblicken in kindlicher Verehrung. Nein, so kühn waren seine Hoffnungen nicht. Aber sie, die man – und das hatte er wohl berechnet – fremd in der Welt stehend erzogen hatte, sollte sich für ihn entscheiden, sollte ihm sein, wonach er so lange vergebens getrachtet, wie eine anhängliche, liebende Tochter.

Während er so nachdenklich in seinem Lehnstuhle saß und die Papiere vor sich betrachtete, flogen zuweilen finstere Schatten über sein Gesicht. Seine Augen blitzten unter den buschigen Brauen hervor, denn er dachte an ein anderes ähnliches Briefpaket, nach dessen Besitze er so lange getrachtet, und auch heute noch zuckten seine Finger in die leere Luft, wenn er sich so in den Gedanken daran vertiefte, als wollte er jenes schwarz gesiegelte Paket ergreifen und festhalten.

»Pah!« sprach er nach einer längeren Pause zu sich selber, indem er sich empor richtete und mit der Hand über die Stirne fuhr. »Hoffentlich wird es uns gelingen, die Baronin Steinbeck baldigst zu überzeugen, was sie von ihrem – Bruder zu halten hat.«

Darauf stand er auf, zog die Klingel, und der alte mürrische Bediente trat herein.

»Du besorgst meinen Wagen,« sagte der Justizrath, »auf morgen früh um sechs Uhr. Doch fährt der Postillon vorher auf den Königsplatz Nr. 16, um den Herrn von Steinbeck abzuholen.«

Nach diesen Worten verschloß er das Paket Papier sorgfältig in einen Schreibtisch und ging in das Nebenzimmer.

Der Bediente zog sich an die Thüre zurück; doch ehe er hinaus ging, schnappte er seiner üblen Gewohnheit nach einmal über die linke Schulter, als wolle er jemanden beißen, der hinter ihm drein schleiche.


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