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Vierundvierzigstes Kapitel.

Handelt von Angenehmem und Unangenehmem in einer Familie, und zeigt, daß die Bösen, wenn sie auch einen Weg gehen, doch oftmals verschiedener Meinung sind.

An jenem so denkwürdigen Tage hatte sich Madame Schoppelmann schon um halb vier Uhr mit ihrer Tochter auf den Weg begeben, um ja zur rechten Zeit im Stillfried'schen Hause zu erscheinen. Sie hatte in ihrem Anzuge das Uebermögliche geleistet und sah ungemein stattlich aus; sie war auch in die Nähe des Hauses gekommen, ehe es noch drei Viertel geschlagen hatte, und spazierte nun mit Katharina in einer entlegenen Straße auf und ab, indem sie alles Ernstes behauptete, es müsse an den Kirchenuhren irgend etwas geschehen sein, denn nach dem richtigen Laufe der Zeit sollte es schon lange vier Uhr geschlagen haben. Endlich kam der ersehnte Moment herbei; der alte Jakob stand schon unter dem Thore, sie erwartend, und führte sie sogleich die Treppen hinauf zur Staatsräthin.

Diese hatte die Beiden ungemein freundlich empfangen und machte nach einigem Hin- und Herreden der hocherstaunten und sehr erfreuten Madame Schoppelmann einen Antrag, den diese eigentlich am allerwenigsten erwartet hatte.

»Ich fühle mich einsam und sehr allein,« hatte die alte Dame gesagt; »es ist hier in dem großen, öden Hause Niemand, mit dem ich mich unterhalten könnte; ich brauche Jemanden, der mit mir spricht, ein freundliches Wesen, das um mich ist, und deßhalb habe ich Sie bitten wollen, mir Ihre Katharine zur Gesellschafterin zu geben.«

Madame Schoppelmann wußte im ersten Augenblick nicht zu antworten, und sie schlug in großer Verlegenheit mehrere Male mit beiden Händen auf die schwarzseidene Schürze; denn sie konnte nicht gleich das Wort finden, womit dieser Antrag anzunehmen sei, ohne doch wie Jemand zu erscheinen, der geneigt ist, mit beiden Händen darnach zu greifen.

Katharina hatte es leicht durchschauert, als sie in dieses Zimmer trat. Sie erkannte augenblicklich die Züge des Sohnes im Gesichte der Mutter, und wenn sie auch einige Verehrung für die alte Dame fühlte, so konnte sie sich doch nicht enthalten, all des Unangenehmen zu gedenken, was hier in diesen vier Mauern zwischen Mutter und Sohn schon vorgefallen war.

»Wenn Sie, was mein Anerbieten anbelangt, Bedenkzeit verlangen, so habe ich nichts dagegen einzuwenden; doch würde ich bitten, mir baldigst eine Antwort zu sagen.«

Madame Schoppelmann fand es aber durchaus ungeeignet, eine so vornehme Dame auch nur einen Tag warten zu lassen, weßhalb sie sich veranlaßt sah, ihrer Tochter, ohne daß es die Staatsräthin bemerkte, einen aufmunternden Blick zuzuwerfen.

Katharina, deren Herz übervoll war, machte darauf eine kleine Verbeugung, einen Schritt gegen die Staatsräthin, welche ihr Gesicht dem Fenster zugewendet hatte. Als sie aber umschaute und in das bleiche schöne Gesicht des jungen Mädchens sah, welche sich ihr bittend nahte, mit einem unnennbar rührenden Ausdruck in den Zügen; als sie ferner bemerkte, wie sich Katharina erwartungsvoll und bittend vorbeugte, um von der Mutter ihres Geliebten ein freundliches, herzliches Wort zu erhalten, da füllten sich unwillkürlich die Augen der alten Dame mit Thränen; sie streckte ihre Hand aus, welche das junge Mädchen ergriff und innig küßte. Zugleich mit diesen Küssen fühlte die Staatsrätin heiße Tropfen auf ihrer Hand, und sie konnte nicht umhin, zu thun, was sie sich nicht vorgenommen, zu thun. Sie zog das junge Mädchen an sich und küßte sie auf die Stirn, während Katharina auf den Tritt vor dem Fenster unwillkürlich niedergekniet war, jenen mütterlichen Kuß empfangend mit einem Gefühl, dessen Wonne und Seligkeit über alle Beschreibung war.

Auch Madame Schoppelmann fühlte sich von diesem Anblicke mächtig angeregt. Sie zog ein rothkarirtes Schnupftuch aus der Tasche, und ehe sie es noch an die Augen brachte, plätscherte unter verschiedenen sehr lauten Tönen ein heftiger Thränenstrom daraus hernieder.

Jetzt ist Alles gut, dachte die dicke Frau; und da sie in ihrem ganzen Leben nicht gewohnt war, Thränen zu vergießen, ohne sich dabei traurigen oder freudigen Betrachtungen zu überlassen, so schaute sie auch hier durch den Schleier ihrer Thränen hindurch die schönen großen Zimmer an und die prächtigen Möbel, dachte auch an das große Haus und Keller und Küche, und wenn sie sich dabei vorstellte, daß ihre Katharina hier einmal als Gebieterin wandeln würde, so konnte sie ihre Thränen unmöglich so schnell versiegen lassen und weinte, daß es – um uns eines gewöhnlichen Ausdrucks zu bedienen – einen Stein hätte erbarmen können.

»Laß es gut sein, mein Kind,« hatte die Staatsräthin darauf zu Katharina gesagt und hatte sie abermals auf die Stirn geküßt und dann sanft emporgehoben.

Die dicke Gemüsehändlerin redete darauf Einiges von Gottes Fügung, von unermeßlichem Glück, und versprach schließlich, ihre Tochter solle morgen früh, wenn es die Staatsräthin denn durchaus nicht anders haben wolle, sie, die arme Mutter, verlassen und in das große schöne Haus ziehen.

Das war denn auch am andern Morgen wirklich geschehen und die Nachricht von diesem Ereignis hatte in der Nähe des Schoppelmann'schen Hauses Freude, Bestürzung und Trauer hervorgebracht. Freude bei all den Leuten – und es waren ihrer sehr viele, – die Katharinen gern hatten und durch diesen Vorfall eine neue glückliche Zukunft für das schöne Mädchen angebahnt sahen; Trauer dagegen bei Jungfer Clementine Strebeling, die sich so einsam und verlassen sah, und endlich Bestürzung bei den Gebrüdern Schoppelmann, welche sich diesen Vorfall gar nicht erklären konnten und von demselben nicht mit Unrecht eine unangenehme Rückwirkung für sich fürchteten.

Sie beschlossen, einen Kriegsrath bei Madame Schilder zu veranstalten, und saßen zu dem Zweck in der trüben Hinterstube des kleinen Weinhauses, ihnen gegenüber die schmierige Wirthin, welche einige Papiere vor sich ausgebreitet hatte.

»Ehe wir die neue Sache besprechen,« sagte Madame Schilder, indem sie ihr Kinn in die Hand stützte, »wollen wir die andere gehörig abmachen und in's Reine bringen. – Die Sache mit der alten Jungfer ist über alle Erwartung gut abgelaufen und ich möchte nur wissen, welcher Liebesteufel sie in ihren alten Tagen noch regiert.«

Frau Schilder sah bei diesen Worten auf die Seite, und das benutzten die beiden Brüder, um sich einen Blick des Einverständnisses zuzuwerfen. Dieser Blick dauerte nicht eine halbe Sekunde, aber er war vielsagend.

»Wenn so eine alte Scheuer einmal anfängt zu brennen, da hilft kein Löschen,« sprach Konrad, der Jäger, mit gleichmüthigem Tone.

»Also die Sache wird sich machen,« warf der Fuhrmann leicht hin.

»Sie hat sich bereits gemacht,« sagte die Schilder, welche durch den großen Gewinn verblendet, ihre gewöhnliche Vorsicht vergaß. »Das heißt, sie wird sich machen,« fügte sie nach einer Pause, sich jetzt auf einmal erinnernd, hinzu. »Das sind freilich vor der Hand nur Papiere –«

»Die man aber leicht umsetzen kann,« meinte der Jäger.

»Aber wie ist denn eigentlich die Geschichte gegangen?« fragte der Fuhrmann.

»Nun, wie wird sie gegangen sein? – Ich habe ihr also den lamentablen Brief vorgelesen und ihr gesagt, daß den Herrn Johannes Müller nur eine Bürgschaft von zweitausend vierhundert Gulden zu retten im Stande sei. – Dies ist viel! gab mir die Strebeling zur Antwort, und ich denke schon, sie wird's abschlagen. Aber nein! nachdem sie einige Augenblicke mit sich überlegt, macht sie mir, wie ich anfänglich gedacht, wirklich den Vorschlag, ich solle die Bürgschaft leisten, und sie wolle mir dafür die vollgültigsten Papiere geben. – Jetzt paßt auf, wie ich in eurem Interesse gehandelt.«

»Daraufhin ich begierig,« sagte der Fuhrmann und strich sich das Kinn, und als in diesem Augenblicke die Wirthin ihre Papiere in die Höhe hielt, schielte er mit dem einen Auge zu seinem Bruder hinüber, der diesen Blick auf gleiche Weise beantwortete.

»Ich habe ihr also gesagt,« fuhr Frau Schilder fort, »daß wenn Papiere auch noch so gut seien, man, um zweitausend vierhundert Gulden zu decken, wenigstens Papiere im Werthe von dreitausend brauche.«

»Das war nicht so dumm,« meinte lächelnd der Fuhrmann.

»Und die hat sie gegeben!« fuhr triumphirend die Frau fort. »Hier sind sie; gute, vollgültige Obligationen, drei Stück, jede zu tausend Gulden; und was noch mehr ist, das ist auch die Schrift der Strebeling, worin sie erklärt, sie sei mir diese dreitausend Gulden schuldig gewesen und habe mich mit Obligationen bezahlt. Somit sind wir für alle Fälle gedeckt.«

»Das sind wir,« sagte ruhig der Fuhrmann und that einen langen Zug aus seinem Glase.

»Für alle Fälle,« setzte der Jäger bei und klopfte mit dem Brodmesser auf den Tisch.

»Wie ist's aber jetzt mit der Theilung?« fragte der Fuhrmann lächelnd.

»Theilung?« entgegnete die Frau eifrig und legte ihre magere gelbe Hand auf die Papiere. »Theilung?« wiederholte sie ängstlich. »Das ist ja doch alles bei uns vorher genau ausgemacht worden; was braucht ihr da noch zu fragen? Ich die Hälfte und ihr die Hälfte, so ist's billig.«

»Nun, billig ist's gerade nicht,« sagte der Fuhrmann mit einem sonderbaren Lächeln; »aber wir haben uns von Euch einmal über das Ohr hauen lassen. Sei's darum.«

»Die Schilder ist eine gute Frau,« sprach freundlich der Jäger; »und wenn wir von unserem Theil nichts mehr haben und sie freundlich bitten, leiht sie uns schon etwas von dem ihrigen.«

»Nicht so viel,« versetzte die Frau und hielt den Nagel ihres Daumens an den des Zeigefingers: »nicht Nagelsgroß.« Und bei diesen Worten blitzten ihre grauen Augen recht unheimlich. »Glaubt ihr, ich habe mein Gewissen wegen euch erschwert? – Und was nützt euch auch das Geld? Ihr jagt es durch die Gurgel oder verjubelt es sonstwo. Zehrt ihr mir nur euer Erbtheil im Voraus auf; die alte Schoppelmann hat für euch gespart; ich aber bin eine arme Wittfrau ohne Verwandte und Bekannte, und wenn die ganze Welt ausstirbt, erbe ich doch rechtmäßiger Weise keinen Pfennig.«

»Nun, nun, nicht so hitzig!« sagte der Fuhrmann; »es war ja nur unser Spaß.«

»Man weiß aber nie,« entgegnete die Frau, »wo bei euch der Spaß aufhört und der Ernst anfängt. Namentlich im Punkte des Geldleihens verwechselt ihr Beides beständig mit einander.«

»Wie gesagt, es war unser Spaß,« antwortete der Fuhrmann mit grobem Tone und drückte die Faust auf den Tisch; »Ihr seid aber ein ekelhaftes Weibsbild und könnt nicht einmal von Euren Verbündeten einen Scherz leiden.«

»Ja, von Euren Verbündeten,« lachte der Jäger; »das könnt Ihr denn doch nicht läugnen, wir sind fest verbunden und vereint, wie es in dem Handwerksburschen seinem Lied heißt. Und mir ist so wohl dabei, daß ich Euch zu Lieb' überall mit hin ginge; sei es auch sogar in die geschlossene Gesellschaft.«

»Ihr habt einen schlechten Humor,« sagte die Frau mit gezwungenem Lächeln, indem sie ihr Papier vom Tische wegnahm, »Aber führt mir keine so garstigen Reden, oder wenigstens so lange nicht, bis die Sache vollkommen in Ordnung ist.«

»Das heißt, bis wir getheilt haben,« bemerkte wichtig der Fuhrmann.

»Und wann wird das vor sich gehen?« meinte der Jäger.

»Wann wird es vor sich gehen!« sagte ärgerlich die Frau; »ich muß doch wahrhaftig zuerst diese Papiere in Geld umsetzen, dann kann ich euch auszahlen.«

»Thut mir nur nicht so;« versetzte der Fuhrmann, und blinzelte seinem Bruder verstohlener Weise zu, und als er von den rastlosen Augen der Frau Schilder bei diesem Blicke ertappt wurde, kratzte er sich an der Nase, als sei ihm dort eine Fliege herum gelaufen. »Thut mir nur nicht so!« wiederholte er; »Ihr werdet das da wechseln lassen, um uns die paar lumpigen Gulden zu bezahlen? Ihr habt zehn Mal mehr in Baarem in Eurer Kiste verwahrt.«

Da fuhr die Frau erschrocken in die Höhe, und als sie es trotzdem versuchte, ihr Gesicht zu einem Lächeln zu zwingen, so entstand durch diese verschiedenen Gefühle, welche sich auf demselben abspiegelten, eine so abscheuliche Fratze, daß sogar der Fuhrmann, dem sonst nicht so leicht etwas den Gleichmuth benahm, verlegen lachte und dazu seinen Bruder unter dem Tische mit dem Fuße anstieß.

»Wozu die ewigen Neckereien?« sagte der Jäger, indem er diesen Druck mit dem Fuße kräftig erwiderte. »Laß die Frau Schilder gehen, sie wird's schon recht machen. Und dann, wie lange kann es dauern, bis sie die Papiere umgesetzt hat? – Zwei, drei Tagen, dann ruft sie uns herüber, und bei einer Flasche guten Vierunddreißiger wird getheilt. Nicht wahr, Frau?«

»Allerdings, allerdings!« entgegnete die Wirthin, welche in tiefes Nachsinnen versunken war und offenbar nicht wußte, was Konrad eben gesprochen. Sie hatte zwischen ihren zitternden Fingern ihr Haubenband gefaßt, und zerknitterte es Zoll um Zoll.

»Nicht wahr,« fragte der Jäger, »einen guten Trunk bekommen wir extra?«

»Einen guten Trunk? Versteht sich, versteht sich.«

»Nun also, das wäre abgemacht,« sprach Konrad, indem er aufstand. »Gehen wir.«

»Aber die andere Geschichte,« sagte der Fuhrmann, indem er den Bruder wieder auf den Stuhl zurückzog; »wir wollen ja mit der Frau da über diesen Punkt sprechen. – Habt ihr Lust, uns anzuhören?« wandte er sich an die Wirthin.

Diese mußte über etwas Unangenehmes nachgedacht haben, in ihren Gedanken aber am Ende zu einem freundlichen Resultate gekommen sein; dann indem sie jetzt aus ihren Träumereien emporfuhr, erhellten sich ihre Mienen zusehends, und ihr Gesicht wurde so freundlich und angenehm wie nur immer möglich.

»Was soll ich denn hören?« sagte sie. »Sprecht nur zu, und wo euch mein Rath helfen kann, sollt ihr ihn umsonst haben.«

»Es ist dies die Geschichte mit der Katharine,« sprach der Fuhrmann. »Was uns das Mädchen für Kummer macht, es ist nicht an den Himmel zu malen! Ihr habt doch schon gehört, daß sie bei Stillfried's ist?«

Die Frau nickte mit dem Kopfe.

»Was soll das bedeuten?« fuhr eifrig der Fuhrmann fort. »Weßhalb ist sie da? was soll sie dort?«

»Es ist nicht gut für uns,« sagte ebenfalls kopfschüttelnd der Jäger.

Frau Schilder zuckte mit den Achseln und meinte: »angenehm ist es freilich nicht; aber daran läßt sich nichts ändern. Ihr werdet sehen, das läuft auf eine Heirath hinaus, und da die Sachen so stehen, so könnt ihr nichts Gescheidteres thun, als eine gute Miene zum bösen Spiel machen. Wenn die Katharine heirathet, wird ihr an den paar Batzen von eurer Mutter nicht viel gelegen sein, und wenn ihr euch ordentlich gegen sie betragt, so kann euch das gewiß nicht entgehen.«

»Und wenn der Kerl sie heirathet?« fuhr der Fuhrmann auf.

»So dankt Gott,« sagte die Frau, »daß ihr in eine vornehme Familie kommt, die euch aufhelfen kann.«

»So ist es nicht gemeint,« entgegnete der Fuhrmann kopfschüttelnd. »Abrechnung muß ich mit ihm halten; seinen Schädel muß ich ihm einschlagen, und wenn ich es vor dem Altar in der Kirche thun müßte.«

»Und was habt ihr davon?« meinte die Frau. »Man nimmt euch fest und steckt euch zwanzig Jahre ein.«

»Was liegt mir daran! wenn ich einmal Rache geschworen, das halte ich, und wenn ich zehnmal darüber zu Grunde ginge. Seht, Frau Schilder, es gibt Manchen, dem ich Eine hinauf setzen könnte, Manchen und Manche; aber die Wuth, die ich auf jenen Kerl habe, da ist alles Andere Kinderspielerei dagegen.«

Der gute Fuhrmann hatte offenbar den Wein zu schnell getrunken, denn seine Augen hatten sich einigermaßen geröthet, sein Mund schäumte, und bei den letzten Worten schlug er auf den Tisch, daß er krachte. Dabei knirschte er mit den Zähnen und schaute so angelegentlich auf die Frau Schilder hin, und mit einem so unfreundschaftlichen Blicke, daß man hätte glauben sollen, Herr Eugen Stillfried sitze ihm leibhaftig gegenüber.

Der besonnenere Jäger, welcher fürchtete, Fritz möge in seinem aufgeregten Zustande mehr sprechen, als gerade nothwendig, stand auf und sagte: »nun ja, du hast Recht; aber laß es jetzt gut sein und komm mit nach Hause. Die Alte wird uns schon lange vermißt haben.«

Anfänglich wollte der Fuhrmann hievon nichts hören, sondern er stemmte die Arme auf den Tisch, sah die Frau Schilder frech und herausfordernd an, biß die Zähne auf einander, daß sie laut krachten, und rief: »ja Frau, hin muß er sein, und noch Mancher und Manche!«

Konrad zuckte ärgerlich mit den Achseln, und endlich faßte er den Bruder am Kragen und zog ihn vom Stuhle in die Höhe und mit sich fort.

Die Wirthin gab ihnen das Geleite bis an die Hausthüre; dort blieb sie stehen und schaute den Beiden nach, wie sie über die Gasse dahin gingen, nach dem Fenster zu mit dem mobilen Gitter, und dort hineinstiegen. So lange die Brüder noch sichtbar waren, behielt Frau Schilder auf ihrem Gesichte ein freundlich sein sollendes grinsendes Lächeln bei; doch als sie nun verschwunden waren und die Frau sich in dem Hausflur herumdrehte, fielen ihre Mundwinkel schlaff herab, ihre Augen verloren alle Lebhaftigkeit, und sie sah ängstlich und forschend vor sich hin.

Das Haus lag düster vor ihr da mit der dunkeln Treppe, die in den ersten Stock führte, mit der finsteren, schmierigen Hinterstube; und alles das war so öde und unheimlich, erschien so traurig und verlassen, von dem gleichen Gefühle durchzogen, wie das Herz der schwarzgekleideten Frau, der Gebieterin und einzigen Bewohnerin dieses trostlosen Hauses. Sie wußte selbst nicht, woher es kam, aber es schauderte sie, so allein zu sein; sie hätte sich um Alles in der Welt ein paar lustige Gäste gewünscht, die lärmend und jubilirend die Stille aus dem Hause verjagt hätten. Aber von Gästen war Niemand da, und was allein den dunkeln Gang und das Hinterzimmer bevölkerte, das waren unheimliche Gedanken, die gespensterartig ihrer Brust entstiegen und wie verkörpert um sie her schwebten.

Die Frau mußte sich an dem Treppengeländer halten, denn es wurde ihr ganz dunkel vor den Augen. Sie hatte schreckliche Gesichte, und es war ihr, als zögen müßige neugierige Schatten aus der Hinterstube auf den Gang heraus und Treppe auf und Treppe ab und drängten sich um sie herum und betrachteten sie, die sich krampfhaft am Geländer der Treppe hielt, als sei sie selbst für ein Gespenst ein schrecklicher Anblick.

»Das macht das Blut,« sagte die Frau und faßte mit der Hand an ihre kalte Stirn; »das Blut, das so wild durch meinen Kopf rast. Ich weiß nicht, wenn ich nur den Gedanken los wäre! – Ich weiß nicht, was das ist,« fuhr sie nach einer längeren Pause fort und holte tief und mühsam Athem; »liegt mir doch das ganze Haus wie Blei auf der Brust. Wenn ich nur heute Abend schon fort könnte! – – Aber morgen früh, da soll es nicht fehlen, da werden die beiden Hallunken kommen und hier ein leeres Nest finden, und werden nach der Frau Schilder und ihrem Gelde sehen, während ich mit demselben schon über alle Berge bin. – – Hahahaha!« lachte sie krampfhaft hinaus, und dann blickte sie erschreckt um sich, als lache auch Jemand anders dicht neben ihr.

»Ich mag nicht in das Zimmer gehen, und die Treppen hinauf auch nicht,« sprach sie nach einer Weile zu sich selber; »es ist doch ein verwünschtes trauriges Haus! wie werde ich froh sein, wenn ich diese elenden Gassen einmal hinter mir habe, und auch die Stadt, und hinaus komme in's Freie, wo die Sonne scheint und wo die grünen Bäume wachsen! Ach, Bäume und Sonne! Ich habe das schon lange nicht mehr recht gesehen! Ich mochte nur heute Abend noch einen Spaziergang machen; aber ich traue denen da drüben nicht. Da liegen sie auf der Lauer wie zwei wilde Thiere, und wenn sie mich das Haus verlassen sehen, – behüt' mich der Himmel! sie wären im Stande und brächen bei mir ein und nähmen mir Alles, Alles, Alles!« –

Während sich die Frau Schilder so in Gedanken mit den Gebrüdern Schoppelmann beschäftigte, hatten diese nicht sobald ihr Zimmer erreicht und sich auf ihrem gewöhnlichen Ruheplatze, dem Bette, niedergelassen, als sie zugleich begannen, sich ebenfalls in Gedanken mit der Wirthin drüben zu beschäftigen.

»Du bist aber ein rechtes Vieh,« sagte der Jäger und stieß seinen Bruder freundschaftlich in die Rippen; »meinst du denn, Die da drüben traue uns überhaupt viel Gutes zu? Du hast wohl nöthig, ihr mit deinen dummen Redensarten: Mancher und Manche – Mucken in den Kopf zu setzen!«

»Ich war gereizt,« entgegnete der Fuhrmann; »das Blut stieg mir in den Kopf.«

»Weil du immer so schnell in dich hineinsäufst. Wenn du aber wirklich betrunken bist, so will ich kein Wort zu dir sprechen und dich ausschlafen lassen. – Nun, verstehst du mich recht?«

»O, was das anbetrifft,« sagte lachend der Fuhrmann, »ich kann dich versichern, daß ich ganz nüchtern bin; so ein Paar erbärmliche Flaschen Wein werden mir doch nichts thun! Aber der Aerger steigt mir zuweilen in den Kopf, und ich weiß wohl, daß ich dann dummes Zeug schwatze.«

»Also bist du im Stande, mich anzuhören und zu begreifen?« fragte der Jäger.

»Vollkommen!« antwortete lächelnd der Fuhrmann; »weiß sogar schon, was du sagen willst.«

»Die da drüben – die Schilder – hat was vor, Sie will uns betrügen.«

»Und uns wahrscheinlich mit dem Gelde davon gehen.«

»So wollen wir ihr zuvor kommen.«

»Das ist ganz meine Meinung.«

»Aber was geschehen soll, muß gleich geschehen!«

»Heute Abend?«

Der Jäger nickte statt aller Antwort mit dem Kopfe; dann blickte er aber nach dem Nebenzimmer und sagte: »Bst!« wobei er die rechte Hand aufhob und nach der Thüre zeigte.

»Es ist die Katze,« meinte der Fuhrmann, der vollkommen und ganz nüchtern schien.

»Laßt uns einmal rechnen,« meinte der Jäger: »da hat sie bei sechshundert Gulden von früher, dann die letzte Geschichte mit dreitausend macht dreitausend sechshundert. Alles das ist Geld von der Strebeling; aber gib nur Acht, sonst finden wir auch noch ein paar Kreuzer.«

»Finden?« sagte der Fuhrmann. »Du willst also heimlicher Weise danach suchen?«

»Ja, meinst du andere?« fragte der Jäger.

»Natürlich,« antwortete der Fuhrmann; »nur keine halbe Geschichte; entweder Alles oder gar nichts. Glaube mir nur, der alte Drache da drüben hat das Seinige so versteckt, daß es schwer hält, etwas zu finden. Nein, nein, wir gehen ihr geradezu auf den Leib.«

»Ist das dein Ernst?« fragte zweifelnd der Jäger.

»Vollkommen. Wir machen eine Zwangsanleihe bei ihr.«

»Und wenn sie sich weigert?«

»So schlag' ich sie todt,« sagte der Fuhrmann bestimmt, »oder drohe ihr wenigstens damit.«

Der Jäger kratzte sich am Kopfe und sprach nach einer Pause: »Höre, Fritz! die Geschichte will besonders überlegt sein. Die Schilder ist ein Satan; noch schlimmer! denn der Teufel gibt eher eine arme Seele heraus, als die einen Kreuzer von ihrem Gelde. – Willst du also wirklich Gewalt brauchen, wenn sie sich weigert?«

»Wir müssen wohl!« entgegnete düster der Fuhrmann; »du so gut wie ich. Haben wir nicht in den letzten Tagen zwei Briefe bekommen von dem verfluchten Juden, der mit einer Klage droht, wenn wir ihn dieses Mal nicht bezahlen? Glaube mir, der hält sein Wort; und was dann? – dann werden wir also eingeklagt, worüber sich unsere Alte freut, und da wir nicht zahlen können, läßt man uns einstecken, und dann hilft uns kein Mensch. Madame Schoppelmann würde sich darüber freuen, wenn ihre Söhne ein halbes Dutzend Jahre brummen müßten.«

»Ja, ja, es ist freilich nicht anders zu machen,« sagte der Jäger nach einer längeren Pause. »Aber wir sollten der Schilder doch eher gütlich zureden, bevor wir Gewalt brauchten.«

»Da hast du Recht,« entgegnete der Fuhrmann, »und das ist auch meine Ansicht, die uns aber nichts nützen wird.«

»Nun ja, man versucht's.«

»Und wenn das, wie ich bestimmt weiß, nichts hilft, so sieht man zu, wie man mit ihr fertig wird.«

»Abgemacht!« sagte leise der Jäger und winkte abermals seinem Bruder, still zu schweigen; denn im Nebenzimmer hörte man wieder ein Geräusch, das aber dieses Mal nicht von der Katze herkommen konnte, denn es war ein schwerer Fußtritt, und zugleich ließ sich ein lautes Räuspern hören.


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