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29.

(Den Unwillen eines redlichen und getreuen Vaters suchte durch diese Vorstellung bei dem Abschiede aus seinem Vaterlande zu besänftigen ein gehorsamer Sohn.)

Quid feci? Quid commerui aut peccavi, pater?

Und wie lange soll ich noch, dich, mein Vater, selbst zu sprechen,
Mit vergeblichem Bemühn Hoffnung, Glück und Kräfte schwächen?
Macht mein Schmerz dein Blut nicht rege, o so rühre dich dieß Blatt,
Das nunmehr die letzte Stärke kindlicher Empfindung hat!
Fünfmal hab' ich schon versucht, nur dein Antlitz zu gewinnen;
Fünfmal hast du mich verschmäht. O was sind dann dieß vor Sinnen!
Denke nach, wie scharf es beiße! Denke doch, wie nah' es geh,
Daß ein Sohn durch seinen Vater zwischen Furcht und Unruh steh!
Hab' ich dich nicht überall treu gerühmt und froh gepriesen?
Hat sich ein verstockter Sinn gegen deine Zucht gewiesen?
Hab' ich nicht mit Lust studieret, dich nur einmal zu erfreun
Und mit wohl gerathnen Früchten deines Kummers Trost zu sein?
Such' ich auf der Erden mehr als ein still- und weises Leben?
Wollt' ich nicht sogar mein Blut vor des Nächsten Wohlsein geben?
Steckt mir Bosheit in der Seele, brennt mir Rachgier in der Brust,
Oder hat mein freches Spotten an des Feindes Schaden Lust?
Ja, verführt die Heuchelei mein entschuldigtes Gewissen,
Dich allhier um neue Gunst bloß aus Eigennutz zu küssen,
O, so werden meine Glieder mit der Hiobsqual geplagt,
Und mein Fuß mit Kains Schrecken in der Welt herum gejagt!
Adams Erbschuld nehm' ich aus; Mängel sind uns angeboren,
Und ich habe tausendmal mich auch außer mir verloren.
Schlüge Gott mit Blitz und Keilen gleich auf solchen Fehltritt zu,
O, wie wenig würden Greise, und wo blieben ich und du?
Daß du mich gezeugt, genährt, unterrichtet und geführet,
Ist ein Lorber, der dein Haupt auch noch auf der Bahre zieret;
Ich erkenn' es in der Stille, obgleich ängstlich und betrübt,
Weil mir weder Zeit noch Glücke Mittel zur Vergeltung giebt.
Wenn der Morgenröthe Glanz an dem blauen Himmel blickte,
Und der frühe Gartenbau dir so Herz als Aug' entzückte,
Machte mir dein muntres Scherzen Federn und Papier bequem,
Und dein rüstiges Exempel Kiel und Bücher angenehm.
O wie mancher Abendstern sah mich unter deinen Lehren!
Damals lernt' ich als ein Kind Rom und Griechenland verehren,
Wenn mein Ohr an deinem Munde mit erhitzter Sehnsucht hing,
Und der Nachdruck beider Sprachen lustig ins Gedächtniß ging.
Alles konnt' ich nach und nach, so zu reden, spielend fassen,
Was die Knaben sonst bewegt, daß sie Buch und Feder hassen,
Weil der Schulfuchs Lust und Liebe mit der Ruthe niederschlägt
Und durch so viel tolle Regeln auf die strengste Folter legt.
Um nur hinter den Bestand meiner Neigung recht zu kommen,
Hast du mir oft selbst das Buch als zur Strafe weggenommen.
Diese wohlgemeinte Klugheit mehrte sonderlich in mir
(Kinder thun verbotne Sachen) Fleiß und Eifer und Begier.
Laß doch nun nicht erst den Neid dich in mir so arg verlachen,
Laß dir doch nicht so viel Müh durch sein Maul zu Schanden machen!
Trau doch deinem Fleisch und Blute, gönne mir Geduld und Ohr:
Bin ich ja mit Recht verklaget, warum läßt man mich nicht vor?
Was ich dann und wann versehn, ist die Hitze junger Jahre;
Denn wo wird wohl einer alt, der nicht oft den Fall erfahre.
O, warum bestraft die Länge meine Menschlichkeit so scharf?
Welcher Richter ist so grausam, daß man gar nicht bitten darf?
Muß man doch wohl oft aus Noth wider Willen was beschließen,
Was wir ohne starken Zwang oftmals unterwegens ließen.
Schwachheit lauft gar gern mit unter, und der Mangel nebst der Schmach,
Die man unverdient erduldet, zieht viel schlimme Folgen nach.
Beßrung, Buße, Fleiß und Ernst weiß viel Scharten auszuwetzen,
Die mich bei den Redlichen ohne Grund in Argwohn setzen.
Läßt man doch verdorrten Bäumen zum Erholen etwas Zeit;
Gilt ein Mensch nicht mehr als Bäume, noch ein Kind als fremder Neid?
Und was sind es denn auch nun vor so grob' und schwere Sünden,
Die so mühsam und so spät Ablaß und Errettung finden?
Sagt, was sind sie? Meistens Lügen, junge Thorheit, viel Verdacht
Und, mit einem Worte, Mücken, die man zu Kamelen macht.
Sieht man etwan darum schel, daß mein aufgeräumt Gemüthe
Andern wie sich selbst getraut und nach angeborner Güte
Sich zum öftern bloß gegeben? Freunde! schaut, es ist geschehn;
Dieses Laster, (ists ein Laster?) sollt ihr nicht mehr von mir sehn.
Die so groß und altklug thun, und viel von Erfahrung sprechen,
Wollen durch den Poltergeist meinen Sinn zur Unzeit brechen;
Aber allzuscharf macht schartig, und Affecten bei der Zucht
Reizen feurige Gemüther und erhalten schlechte Frucht.
Einmal ist und bleibt mein Zweck, bloß der Wahrheit nach zu streben,
Und, so viel nur an mir ist, als ein nützlich Glied zu leben.
Drum verehrt mein Geist die Lehrer, die in unsern Tagen blühn
Und das Licht der rechten Weisheit endlich aus dem Nebel ziehn.
Daß mich Haß und Pöbel schilt, als vertieft' ich mich in Grillen,
Die den Beutel und den Kopf mit gelehrtem Winde füllen,
Das verzeih' ich seiner Einfalt, die im Aberglauben steckt
Und die Wissenschaft verachtet, weil sie ihren Kern nicht schmeckt.
Daß Verleumder böser Art auch mein Christenthum vernichten,
Mag der Herr, der alles sieht, doch nur mit Erbarmung, richten!
Mich befestigt bei den Stürmen die gewisse Zuversicht,
Daß die Liebe des Erlösers ganz was anders von mir spricht.
Dieß gesteh' ich ohne Furcht, daß ich manch verwirrt Geschwätze,
Das in Glaubenssachen schwärmt, vor geringe Possen schätze;
Ich gesteh' auch, daß michs ärgert, wenn Alazon Alazon, der Marktschreier, Aufschneider. schreit und kracht,
Und sein Jahrgang Jahrgang, die Arbeit eines Jahres. oft mehr Ketzer als bekehrte Sünder macht.
Wär' es mir nicht selbst geschehn, wollt' ich hier kein Wort verlieren;
Aber, da er mich verdammt, hab' ich Recht, es anzuführen,
Weil er aus dem Leichenreime, der von Gottes Liebe singt,
Eine Gift Gift, auch als Femininum. der Pietisten, und, ich weiß nicht was, erzwingt erzwingen, durch gezwungene Deutung herausbringen..
Und wie so? Man höre nur, wie genau sein Vorwurf schließe:
Weil ich damals mich erklärt, daß den Tod nichts mehr versüße
Als die Liebe vor den Heiland, die das letzte Schrecken schwächt,
Soll ich dieß geleugnet haben: Nur der Glaube macht gerecht.
Sagt mir, wo die Folge steckt? Nirgends als im blinden Dünkel;
Ist das nicht ein schöner Schluß von dem Prügel auf den Winkel!
Wenn ich ohngefähr nun spräche: Unser Nachbar baut ein Haus,
Schlöß' ich denn darum den Meister und den Werkgesellen aus?
Etwas muß ich doch noch hier bei Gelegenheit erwägen:
Mancher meint, ich sollte mich auf die Brotkunst besser legen
Und beredet dich, mein Vater, viel Verachtung sei daher,
Weil ich nicht mit rechtem Eifer Meditrinen dienstbar wär.
Glaube, da du mich so früh zu der edlen Kunst erzogen,
Da ich auch nicht ohne Frucht deine Warnung eingesogen,
Da ich sie von dir schon kenne, da ich ihren Vorzug weiß,
Geb' ich ihr vor andern Künsten Neigung, Herze, Kranz und Preis.
So viel überseh' ich auch, daß wir, etwas recht zu wissen
Und von Grund aus zu verstehn, keine Sprünge machen müssen:
Laß mich also kürzlich merken, was des Arztes Pflichten sein,
Denn der Umfang seines Amtes schließt fürwahr nicht wenig ein.
Mit dem Doctor kaum zwei Jahr flüchtig durch den Sennert Daniel Sennert, Professor der Medicin zu Wittenberg, gest. 1637, Verfasser zahlreicher Lehrbücher. laufen,
Hunde würgen, Feuer sehn, Pillen drechseln, Kräuter raufen,
Auf Gerathewohl verschreiben, andre neben sich verschmähn
Und sich bei dem Sterbebette in der Staatsperruque blähn,
Ist so thöricht als gemein, thut auch selten große Wunder.
Bücher, Tiegel, Glas und Ring sind zusammen nichts als Plunder,
Wenn man die Gesundheitsregeln nicht vorher in Kopf gebracht,
Noch auch durch vernünftig Schließen die Erfahrung brauchbar macht.
Will man nun den Stümpern gleich nicht an jeder Klippe scheitern,
So bemüh' man sich zuerst, Sinnen und Verstand zu läutern;
Man erforsche die Gesetze, die der Bauherr schöner Welt
Ehmals zwischen Geist und Körper ewiglich und fest gestellt.
Dieß erfordert etwas mehr, als in alten Schwarten wühlen
Und mit Knochen, Stein und Kraut, oder heißem Erze spielen.
Wer die Wissenschaft der Größe und der Kräfte nicht versteht,
Kann den Leib unmöglich kennen, der wie Wasseruhren geht.
Was vor Klugheit, was vor Müh fließet nicht aus diesen Gründen,
Eh wir jedes Körpers Art, den wir vor uns haben, finden,
Eh man Neigung und Gewohnheit, Krankheit, Sitz und Ursach trifft!
Unzeit, Ekel, Ort und Menge macht auch Mithridat zu Gift.
In wie weit ich nun gedacht, dieser Vorschrift nach zu leben,
Davon mag die Zeit einmal ein gerechtes Urtheil geben.
Bin ich nun bei mir versichert, daß ich nach Vernunft gethan,
Hör' ich andrer stolzes Bellen mit gelaßner Demuth an.
Was die Poesie betrifft, muß ich frei heraus bekennen:
Ich empfand schon als ein Kind ihren Trieb im Herzen brennen.
Da mich nun die blinde Neigung ihr schon damals zugeführt,
Schenk' ich ihr auch noch die Liebe, die anjetzt Vernunft regiert.
Will man sie nur obenhin nach gemeiner Art betrachten,
Hat man freilich den Parnaß vor ein Grillennest zu achten.
Hochzeitreime, Todtenflüche und ein buntes Quodlibet,
Nebst erfrornen Buhlerflammen heißen zwar galant und nett,
Doch ein solcher Reimenspruch, den die Namen erst verbrämen,
Den auch Klingsor, Frauenlob Klingsor, Frauenlob, als Meistersänger aufgeführt in Spangenberg's Buch von der Musica, das Günther wohl aus E. Hannemann's Anmerkungen zu Opitz' Prosodie kannte. und Hans Sachsens Kunst beschämen,
Schickt sich wohl dahin am besten, wo man Schöps Schöps, Art Bier. und Kovent schenkt,
Oder auf den Musentrödel, wo Theranders Therander: es ist wohl Joh. Sommer, der Verfasser von Schauspielen und Erzählungen gemeint. Leier henkt henkt, hängt..
Dichter, sind sie, was sie sind, müssen feuerreiche Gaben,
Witz, Verstand, Gelehrsamkeit, Tugend und Erfahrung haben
Und die Menschen, derer Augen die entblößte Wahrheit fliehn,
Durch die Weisheit in den Bildern nur mit Lust zum Guten ziehn.
Was Homer und Maro schreibt, was auch Fenelon gesungen,
Ist ein Muster, dessen Werk die Vergänglichkeit bezwungen.
Dieß versteht kein Phöbus-Peitscher, der nur an den Schalen klaubt
Und der Schönheit durch Erklären allen Geist und Nachdruck raubt.
Doch damit vorjetzt genug! Du, mein Vater, magst nun schätzen,
Ob und was und auch wie viel meinen Musen auszusetzen.
Scheint dir auch die Art und Weise meines Lebens wunderlich,
Ach, dem ist bald abgeholfen; und womit? Versöhne dich!
Denke, was der Unmuth thu, wenn uns Freund' und Feinde kränken,
Wenn sie uns den nahen Weg zu der Gönner Herz verschränken,
Wenn man krank und in der Fremde bei Verfolgung und Verdruß
Wegen andrer Groll und Zwietracht alles Unrecht leiden muß,
Wenn uns innerliche Reu, äußerlicher Mangel dränget,
Wenn sich Anverwandter Haß unter unsre Feinde menget,
Wenn der Schmerz getreuer Aeltern in der Güter Asche sitzt,
Wenn ein Bruder vom Gemüthe ohne Schuld sein Blut verspritzt,
Wenn die Buße nichts erhält, wenn die besten Stützen weichen,
Wenn ein unverhoffter Freund nach viel seltnen Gnadenzeichen
Unser Glück im Lieben gründet, und gleichwohl des Vaters Geist
Uns aus Eifer dahin bringt, daß man untreu scheint und heißt,
Da verliert sich die Geduld, da vergißt man sich und alles,
Läßt es durch einander gehn, strauchelt oft aus Furcht des Falles.
Man getraut sich nichts zu wagen, man verfällt von Zeit zu Zeit
Und gewöhnt sich ganz gelassen zu der Niederträchtigkeit.
O wie oft hat Fleisch und Blut durch ein ungeduldig Schmollen,
Weil kein Retter kommen will, der Verzweiflung rufen wollen!
Doch ein Strahl vom hohem Lichte und die kämpfende Vernunft
Stärkten mich im größten Wetter mit des Trostes Wiederkunft.
Strafe nehm' ich willig an; man erinnre nur bescheiden
Und so redlich als geheim. Dieß Volk kann ich nur nicht leiden,
Das uns fast auf alle Mienen eine Sittenpredigt hält
Und alsdann am ärgsten denket, wenn es sich am frömmsten stellt.
Jene sind es, die da stracks Donner, Blitz und Höll' erwecken,
Die so ein verirrtes Schaf mit dem gröbsten Keile schrecken;
Jene sind es, die den Mädchen, die nur einen Blick versehn,
Alle Schlüssel zu dem Himmel ohne den Beruf verdrehn;
Jene sind es, die sich selbst vor gerecht und heilig halten,
Mit Verachtung andrer stehn, die befleckten Hände falten,
Mit den kläglichsten Geberden aller Augen an sich ziehn,
Mit Gebeten Wucher treiben und nur Schein, nicht Sünde fliehn.
Gott, du kennst und zeichnest sie, untersuchest Herz und Werke;
Stummer Hochmuth, Geiz und Neid ist der ganzen Andacht Stärke;
Kommt es zu der Nächstenliebe, zum Vergessen, zum Verzeihn,
Oder soll man Schwache tragen, wird kein Christ zu Hause sein.
Zorn, Lust, Haß und Eigensinn soll aus keiner Zucht erscheinen,
Und die Ruthe, so da schlägt, muß der Kinder Bestes meinen;
Wo hingegen Straf' und Schärfe das Verbrechen übersteigt,
Wird das edelste Gemüthe mehr gebrochen als gebeugt.
Wilder Frevel ist es werth, daß ihn Draht und Geißel schwäche,
Und die Bosheit braucht Gewalt, daß man ihr den Starrkopf breche;
Aber Irrthum, Fall und Schwachheit, fällt ein Mensch auch noch so oft,
Fordert billig nichts als Liebe, die auch stets das Beste hofft.
Sucht' ich mich auch noch so wohl unter Leuten aufzuführen,
Muß ich dennoch überall Glauben, Müh' und Freund verlieren,
Wenn man hört, daß selbst der Vater, den ein gut Gerüchte schmückt,
Mich, sein Kind, nicht hören wolle. Sieh, mein Vater, was mich drückt!
Dadurch fällt mein zeitlich Wohl und das Heil des ganzen Lebens;
Alles, was ich denk' und thu, wird durch deinen Zorn vergebens.
Sage mir, wem soll mein Herze auf der Welt wohl weiter traun?
Bin ich meiner Aeltern Greuel, muß auch Fremden vor mir graun.
Stünd' es mir auch zehnmal frei, einen Vater zu erwählen,
Würd' ich dich doch in der That alle zehnmal nicht verfehlen;
Würdest du mir auch im Kittel vom Verhängniß vorgestellt,
Käm' ich doch aus deinen Lenden mit Vergnügung auf die Welt.
Daraus stelle dir nun vor, welche Nacht mich nächtlich presse,
Wenn ich deinen harten Sinn und des Kummers Angst ermesse,
Der dir jetzo meinetwegen Herz und Mark und Bein zerfrißt,
Weil mein Bild mit falschen Farben dir so schlimm geschildert ist.
Wenn du ja nicht anders willst, will ich mich gern schuldig nennen:
Dir zu Liebe will ich mehr, als ich selber weiß, bekennen.
Aber gehe doch zurücke, und erinnre dich der Zeit,
Da ich als ein Kind voll Hoffnung dein und vieler Aug' erfreut.
Mein Gehorsam, wie du weißt, hat dir zwanzig Jahr gefallen;
Was ich dann und wann verbrach, das geschieht von mir und allen:
Furcht, Gesellschaft, Uebereilung und des grünen Alters Glut
Machen, daß man unterweilen wider besser Wissen thut.
Bin ich doch gestraft genug, daß der Zorn von höhern Schlüssen
Unter so viel Ungemach meiner Jugend Blüt' entrissen,
Daß mir so viel Gram und Wachen Kraft und Leben abgekürzt,
Und der Lästrer bittres Schäumen jeden Bissen Brot verwürzt.
Stieß mir oft ein Glücke vor, konnt' ich solches doch nicht fassen,
Weil die Noth kaum einen Tag mein Gemüthe freigelassen,
Und der äußerliche Mangel, den ein schlechtes Kleid bewies,
Bei der Mode Wind zu machen, mich beschämt entweichen hieß.
Was ich in das sechste Jahr überstanden und gelitten,
Wie ich oft mit Wind und Schnee, Hunger, Hitz und Frost gestritten,
Das wird der am besten wissen, dessen reiche Vaterhand
Mir noch immer einen Segen unvermuthet zugewandt.
Alles Schadens ungeacht't, den dadurch mein Leib bekommen,
Hab' ich, ohne Ruhm gesagt, an Erfahrung zugenommen.
So viel Kreuze, so viel Schulen, die mich wahrlich mehr gelehrt,
Als man im Pedantenstaube von den Maulgelehrten hört.
Darum dank' ich vor den Haß, den mir Freund und Feind erzeiget;
Denn er hat den Muth gestählt, und der Jugend Stolz gebeuget.
Doch ihr Väter, du im Himmel und auch du in dieser Welt,
Schont doch endlich, weil mein Alter noch in etwas Kraft behält!
Jetzo bet' ich Tag vor Tag bei so überhäufter Plage:
Nimm mich doch, mein Gott, nicht weg in der Hälfte meiner Tage!
Führe mich durch Kreuz zur Weisheit; gieb mir aber auch dabei,
Daß ich klug, getreu, geduldig und der Welt noch nützlich sei.
Welchen meine Stachelschrift ohne Grund zu nah getreten,
Denen sei es öffentlich und von Herzen abgebeten;
Scherz und Feuer und Exempel bringen oft den freien Kiel
Durch den Ehrgeiz, zu gefallen, auf ein kühnes Dichterspiel.
Andre, die mir hier und dar nur vom Hörensagen fluchen,
Werden so vernünftig sein und es besser untersuchen,
Eh sie einen Mensch verdammen, welcher das, was er begehrt,
Nämlich Mitleid, Wunsch und Liebe, jedem, der sie braucht, gewährt;
Ihr hingegen, die ihr euch in verborgnen Lastern wälzet,
Ruhm in fremder Schande sucht und aus Unrecht Silber schmelzet,
Die ihr Arglist, Geiz und Feindschaft so abscheulich schön versteckt
Und die Angeln eurer Bosheit stets mit Blumen überdeckt,
Mögt die Unart eurer Brust noch so fein und künstlich schmücken
Und mich, der ich liegen muß, noch so klug und sinnreich drücken,
Nur, damit nicht eure Schande, käm' ich etwan in die Höh,
Aus den mir bekannten Winkeln einmal auf den Schauplatz geh.
Thut es! Aber wißt zugleich, daß die Billigkeit der Rache,
Die sich niemals spotten läßt, schon die Striegel schärfer mache,
Die euch einmal zum Gelächter den verlarvten Kopf zerreißt,
Ob mich gleich die Zeit noch warten und die Klugheit schweigen heißt.
Trotzt nur auf mein Ungemach, seid ihr doch noch nicht hinüber!
Hat euch gleich dem Ansehn nach Stern und Glücke fast noch lieber
Als den samischen Tyrannen, der den Ring umsonst verschmiß,
So verseht euch doch noch endlich seines Bades ganz gewiß!
Du, bescheidnes Vaterherz, zwinge dich, noch dieß zu hören:
Nicht, weil du mein Vater bist, nein, der Wahrheit bloß zu Ehren
Thu' ich hier ein frei Bekenntniß, daß das Kleinod deiner Treu
Und der längst erkannten Liebe auf der Welt mein Glücke sei.
Ja, ich setze dieß noch zu: Wüßt' ich dir durch holdes Schmeicheln
Auch das reichste Vatertheil hier im Leben abzuheucheln,
Wäre deine zarte Regung gegen mich auch noch so groß,
Gäbst du sie mir zum Verschwenden in gemünzter Menge bloß,
Wär' es alles doch zu schwach, meinen Mund dahin zu bringen,
Dir ein unverdientes Lob eigennützig abzusingen.
Wie ich mich und andre strafe, also stäch' ich dir den Schwär,
Wenn dein Herz, wie manches Vaters, voller Tück' und Bosheit wär'.
Aber so getrau' ich mir, ohne Selbstbetrug zu glauben,
Daß, wofern mir Zeit und Kunst auf dem Pindus Platz erlauben,
Einst die Wahrheit deines Ruhmes (mach' ihn durch Versöhnung voll!)
Unter allen meinen Liedern noch am schönsten klingen soll.
Sonder Hochmuth sag' ich noch: Was ich ja noch auf der Erde
An Verdienst, Gefährlichkeit Gefährlichkeit, Fügung des Schicksals. und am Glück erhalten werde,
Das verdank' ich deinem Segen und der Sorgfalt im Erziehn,
Die mir zu dergleichen Früchten vollen Samen dargeliehn.
Deiner Aeltern Dürftigkeit lehrte dich beizeiten darben:
Was sie ehrlich, obgleich schwer und mit Sparsamkeit erwarben,
Warf dir bei so viel Geschwistern wenig zum Studieren ab,
Dem gleichwohl dein Wohlverhalten nicht geringes Wachsthum gab.
Was vor Kummer hatte nicht, dich, mein Vater, stets gebunden,
Bis du unverhofft den Sitz in der armen Stadt gefunden,
Die dich nun bei dreißig Jahren in der Stille mäßig nährt
Und dir bei so schweren Zeiten, was du nöthig brauchst, beschert.
Hätten Ehrsucht, Geiz und List die Begierden eingenommen,
Vor wie vielen wärest du da und dort ans Brett gekommen!
Hättest du mit krummen Ränken nach des Nachbars Gut geschnappt,
Hättest du wohl auch, wie mancher, Naboths Weinberg leicht ertappt.
Deine Kunst thut in der Still' mit Geringem größre Curen,
Als ein Prahler öffentlich, der mit theuren Goldtincturen
Und berühmten Polychresten Polychrest, Universalmittel. Gruft und Beutel täglich füllt
Und bei denen, die bald glauben, mehr als Paracelsus gilt.
Aber ach, was hast du viel von der Ehrlichkeit im Heilen?
Pflegt man sonst zur Perlenmilch ganze Schnuren mitzutheilen,
Bringen deine schwarzen Tropfen, ob sie noch so kräftig sind,
Dir wie andern gelbe Raben? Nein! Was fehlt? Du machst nicht Wind.
Mache Wind und schwöre drauf; schneide, weil das Fieber währet;
Gieb den Bademüttern Recht, tröste, bis die Seel' entfähret:
Koche fremde Tränk' und Säfte, kostets auch die letzte Ruh,
Röchelt schon der Tod im Munde, setz' ihm nur mit Julep zu.
Säume, daß sich die Gefahr nur so spät als möglich lege;
Ist sie aber noch nicht da, gut, so bringe sie zuwege;
Schreib den Bezoar von Eiern vor ein Wunderpulver an
Und versprich der jungen Frauen ehstens einen bessern Mann.
Diese goldne Practica baut auch Pfuschern Haus und Wagen,
Diese macht, daß Jung und Alt nach dem großen Doctor fragen,
Welcher in dem nassen Zeichen Lung' und Leber schwimmen sieht,
Und mit seinem Bracatabra Bracatabra, wie Abracadabra, Zauberformel. Würmer aus den Nieren zieht.
Nein, dein allzu ehrlich Herz flucht auf solche Klugheitsstreiche
Und begehrt nur, daß sein Brot ohne Schulden täglich reiche.
Hast du doch wohl eh den Armen, die dein Fleiß umsonst geheilt,
Nicht mit Pharisäerhänden Brot und Wasser mitgetheilt.
Friede, Demuth, Nüchternheit sind dir angeborne Gaben;
Wenn der Magen und der Soff manchen in die Federn graben,
Stehst du schon bei deinen Bäumen mit gesund- und starker Lust,
Bis du dann die Patienten auch noch früh besuchen must.
Und da sinkt dein wüster Kopf niemals bei dem Krankenbette,
Wie ich weiß, daß Calidor noch bis heut zu laufen hätte,
Wenn er nicht mit trunknen Händen vor den Puls, das Kinn berührt,
Noch des Apothekers Unschuld mit berauschter Schrift verführt.
Dein Verstand, dein Christenthum und dein unverletzt Gewissen
Werden dich zwar ohne mich in dem Jammer trösten müssen;
Dennoch kann dir mein Erinnern auch wohl etwas Trost verleihn;
Fällt doch oft den größten Weisen in der Angst nicht alles ein.
Da du stets und überall recht geglaubt und wohl gehandelt
Und, so viel ein Mensch vermag, dem Gesetze nachgewandelt,
Kann der Vorwitz nicht begreifen, welcher Grund des Höchsten Macht,
Der doch stets die Seinen schützet, wider dich in Zorn gebracht.
Vor so viel getreuen Fleiß, den du allzeit angewendet,
Da du oft den besten Schlaf auf so vieler Ruh verschwendet,
Ist dein Vortheil ziemlich mager und der Arbeit selten gleich.
Unterdessen schien der Schickung dieß dein Armuth noch zu reich.
Den durch ein und dreißig Jahr schlecht genug erworbnen Segen
Mußte kaum ein halber Tag plötzlich in die Asche legen,
Da doch wohl kein Scherf mit Unrecht Kalk und Stein zusammenhielt,
Welche die geschwinde Flamme fast bis auf den Grund durchwühlt.
Hebe dein betrübtes Haupt und ermuntre das Gesichte
Und vertiefe dich nur nicht in die heimlichen Gerichte,
Die der Rath der heil'gen Wächter täglich zu bewundern giebt,
Sondern laß es dir gefallen, weil Gott auch in Schlägen liebt.
Das Verhängniß ist ja nichts als der Schluß vom höchsten Wesen,
Der die Fälle wirklich macht, die die Weisheit schon erlesen,
Als sie unter allen Dingen durch den ewigen Verstand
Diesen Weltbau, den wir schauen, überhaupt vor gut befand.
Freilich sah Gott auch vorher, was für Schmerzen, Last und Bürden,
Elend, Sünden, Wunsch und Flehn in die Reiche kommen würden,
Freilich sah er dieses alles, und erwog sogleich dabei,
Daß der Mangel in den Theilen zu dem Ganzen nöthig sei;
Und so hat er auch dein Kreuz vorgesehn und zugelassen
Nach der weisen Gütigkeit, die gewiß nicht alle fassen.
Durch dergleichen scharfe Proben, die er nur den Frommen gönnt,
Macht er daß die Liebesflamme nach dem Himmel stärker brennt.
Laß die Spötter immerhin deine Gottesfurcht verlachen,
Laß sie sich vollauf erfreun und in Sodom lustig machen:
Die Gefahr verfolgt ihr Schwelgen, Fall und Tod sind ihr Gewinn,
Und mit diesen Wollustknochen ist ihr ganzer Lohn dahin.
Naht sich doch das Ende schon, und dieß nehmen sie mit Schrecken.
Gott! Was wird dein großer Tag dort vor Unterscheid entdecken?
Gott! Was wird bei solchen Thoren, die so blind in Abgrund gehn,
Vor Verwundrung, Angst und Zagen und verlorne Reu' entstehn!
Des Gerechten Freudigkeit, den sie hier so grausam plagen,
Wird ihr höhnisch Angesicht wie der Blitz zur Erde schlagen,
Und die Seligkeit der Frommen nebst der Klarheit um ihr Haupt
Wird den Narren endlich zeigen, was sie nimmermehr geglaubt.
Freue dich der Herrlichkeit, die den auserwählten Seelen
Glanz und Unschuld wieder giebt, wenn sie in den Marterhöhlen
Die Geduld genug bewiesen und mit viel Gebet und Flehn
Hier aus Babels Sclavenhause dort nach Salem hingesehn.
Dorthin, treues Vaterherz, spart mein unverfälscht Gemüthe
Das verdiente Wiedergeld vor die Treue, vor die Güte,
Vor Ermahnung, Rath und Strafe, vor Geduld, vor manche Nacht,
Die ich auch der liebsten Mutter in der Kindheit lang gemacht.
Ach, mit was vor Zärtlichkeit, Ehrfurcht, Jauchzen und Verlangen
Will ich dort euch beiderseits vor des Lammes Stuhl empfangen,
Und im Chore vieler Tausend, die in weißen Kleidern stehn,
Als der Erstling eurer Liebe Gottes Lob an euch erhöhn!
Kümmre dich nun weiter nicht, wenn mich Haß und Neid verschwärzen,
Mein Gemüthe bleibet stark und behält die Ruh' im Herzen,
Weil es auf die Wissenschaften mehr als Stand und Reichthum hält,
Und ihm nichts als Gott und Wahrheit und des Nächsten Wohl gefällt.
Vater! Wilt du noch an mir deines Alters Stab zerbrechen?
Vater! Ach bedenk' es doch! Ach, was wird die Langmuth sprechen!
Vater! Denkt denn deine Liebe gar an keine Wiederkehr?
Ach, ich bitte deinetwegen, mach' uns nicht das Sterben schwer!
Laß den demuthsvollen Kuß die Versöhnung wieder bringen;
Denn darauf, ich weiß gewiß, wird mir alles wohl gelingen.
Ich verspreche dir die Freude, die der Aeltern Kreuz versüßt,
Wenn das Wachsthum guter Kinder ihres Nachruhms Spiegel ist.
Deinen Segen, dein Gebet schätz' ich über große Güter;
Dieser Beifall, dieser Ruhm, den die ehrlichsten Gemüther
Deiner Frömmigkeit ertheilen, ist ein Vorzug, der dich ehrt
Und auch mir, als deinem Sohne, durch das Erbgangsrecht gehört.
Es ist niemals mein Gebrauch, große Dinge zu begehren,
Noch des Himmels mildes Ohr mit viel Wünschen zu beschweren;
Weiß doch dieser selbst am besten, was die Nothdurft haben will:
Giebt er mir dein Herz bald wieder, schweig' ich gern zu allem still.


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