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Friedrich Perthes Leben. Nach dessen mündlichen und schriftlichen Mittheilungen ausgezeichnet von Clemens Theodor Perthes. 3 Bde. Gotha, F. A. Perthes.
Groß in seinem Berufe als Buchhändler, ein wahrhaftes Ideal eines Buchhändlers, aber auch groß als Patriot, als Mensch und als Christ, war er den Besten seiner Zeit vertraut, von Allen hochgeehrt. Ausgestattet mit einem weichen Gefühl, lebhafter Phantasie, überhaupt mit vorherrschender Gemüthsanlage verband er mit dieser Richtung zugleich das entschlossenste, durchgreifendste Handeln, und in seiner sittlichen Gediegenheit und seinem edlen Patriotismus überragte er so Viele, deren Namen vor der Welt berühmter geworden sind, als der seinige.
Perthes hatte einen schweren Standpunkt in seiner Jugend.« Sein Geburtsjahr (1772) fiel in die Zeit der großen Hungersnoth; sein Vater, Sekretär an der fürstlichen Rentkammer zu Rudolstadt, starb früh, und die Mutter mit ihrem kleinen Sohne mußte bei den Verwandten ein Obdach suchen. Doch immerhin war es ein Glück, daß der Oheim mütterlicher Seits, Friedrich Heubel, den siebenjährigen Friedrich zu sich nahm. Dieser Mann war eine ebenso feste als biedere Natur, nicht minder seine unverheirathete Schwester, mit welcher er in Rudolstadt Haus hielt. Beide versahen gewissenhaft Elternstelle bei dem Knaben und pflanzten die Liebe zum Rechtthun in sein empfängliches Herz. Auch den ersten Unterricht erhielt Perthes von seinem Oheim, aber hierin wollte es weniger glücken, und trotzdem, daß er auch in mehrere adelige Familien gehen durfte, um von der Unterweisung der Hauslehrer Nutzen zu ziehen, blieb der Knabe auffallend zurück, so daß, als man ihn in seinem zwölften Jahre auf das rudolstädter Gymnasium that, er durchaus nicht im Stande war, mit seinen Altersgenossen Schritt zu halten. Sein Gedächtniß war schwach und verworren, sein Sprachtalent gering, das Rechnen wollte gar nicht gehen. Und doch war der Lerntrieb groß, und wenn der Knabe ein Buch aus der fürstlichen Bibliothek geliehen bekam, war er überglücklich. Die Weltgeschichte und Entdeckungsreisen waren seine Lieblingslektüre, da sie seiner regen Einbildungskraft willkommene Nahrung boten. Und daß der praktische Verstand nicht ohne Anregung blieb, dafür sorgte ein anderer Verwandter der Mutter, Johann David Heubel, der als Oberstlieutenant und Landbaumeister auf Schloß Schwarzburg wohnte und öfters den Friedrich zu sich kommen ließ. Hier, in der wunderschönen Berg- und Waldnatur, konnte dann der lebendige Knabe mit seinem Gönner die Forsten durchwandern, in den Vogelhütten weilen und dem Rauschen der tief durch das Thal sich windenden Schwarza lauschen. Dabei lernte er, angeregt durch den kenntnißreichen, für alle Verhältnisse des Lebens mit einem scharfen Blick begabten »Oberstlieutenant« Vieles, was er in der Schule nimmer gelernt haben würde.
Unterdessen war das vierzehnte Jahr zurückgelegt, und nach der Konfirmation entstand nun die Frage, was der Friedrich werden sollte. An's Studiren war nicht zu denken, zum Kaufmann, d. h. Krämer, hatte der Knabe keine Lust, wohl aber zum Buchhändler, denn er setzte voraus, daß ein solcher Bücher genug zum Lesen bekomme. Der jüngste Bruder des verstorbenen Vaters, Justus Perthes, war ein ziemlich wohlhabender Buchhändler in Gotha, und so stimmten auch die Verwandten für dieses Geschäft. Der Buchdruckereibesitzer Schirack in Rudolstadt nahm den Knaben mit sich zur leipziger Messe (wo aus allen Gegenden Deutschlands die Buchhändler zusammenkamen), um für ihn einen geeigneten Lehrherrn zu suchen. Zuerst stellte er ihn Herrn Ruprecht aus Göttingen vor, einem schon bejahrten Mann, der ihn freundlich anredete und sich amo von ihm konjugiren ließ, dann aber, als dies nicht ging, ihn nicht nehmen wollte. Nun wurde er zu Herrn Siegert aus Liegnitz gebracht, aber der lange hagere Mann und sein feuerfarbener bis zur Ferse hinabreichender Oberrock setzte den Knaben so in Furcht, daß er kein Wort hervorzubringen vermochte; er sei zu blöde zum Buchhandel, hieß es. Endlich zeigte sich Adam Friedrich Böhme, welcher in Leipzig selbst eine Handlung hatte und die rudolstädter Bibliothek mit Büchern versorgte, geneigt, ihn zu nehmen. Aber der Junge – sprach er – muß noch ein Jahr wieder nach Haus; jetzt ist er für die Arbeit noch zu klein und schwach. Indessen wurde der Lehrbrief ausgefertigt.
Perthes reiste wieder heim, und nach Jahresfrist, Sonntags den 9. September 1787, trat der fünfzehnjährige Knabe auf unbedecktem Postwagen die Reise in die Fremde an. »Abends in Saalfeld bin ich sehr traurig gewesen,« schrieb er seinem Oheim, »aber ich habe auch da viele gute Leute gesehen.« Im Regen und scharfer Kälte fuhr er über Neustadt, Gera, Zeitz, und langte am Dienstag, den 11. September, im Hause seines Lehrherrn an. Mein Himmel, Junge, rief ihm dieser entgegen, du bist ja noch eben so klein wie voriges Jahr; nun wir wollen es miteinander versuchen! Die Frau seines Lehrherrn und die Kinder, sechs Töchter und ein kleiner Sohn, nahmen ihn freundlich auf, nicht minder der Lehrling, der schon vier Jahre im Hause war. Am Morgen nach der Ankunft waren die ersten Worte: Friedrich, du mußt dir die Haare vorn zu einer Bürste, hinten zu einem Zopfe wachsen lassen und dir ein paar hölzerne Locken anschaffen. Deinen runden Matrosenhut legst du fort, für dich schickt sich ein dreieckiger. Allgemeine Sitte war dieser nicht mehr, aber Böhme wollte an seinen Lehrlingen die neuen Moden nicht dulden. Ohne meine Erlaubniß – hieß es weiter – gehst du weder Morgens noch Abends aus dem Hause. Jeden Sonntag begleitest du mich in die Kirche.
Verwöhnt wurden die beiden Lehrlinge nicht. In der Nikolaistraße war die Wohnung ihres Lehrherrn; dort hatten sie vier Treppen hoch eine Kammer inne, die mit zwei Betten, zwei Stühlen, einem Tische und zwei Koffern so ausgefüllt war, daß man nur drei Schritte in derselben machen konnte. Ein einziges kleines Fenster oben an der Decke ging auf Dächer hinaus; ein kleines Windöfchen stand in der Ecke, zu dessen Heizung an jedem Abend des Winters drei Stückchen Holz gegeben wurden. Morgens sechs Uhr erhielt jeder der Knaben eine Tasse Thee und jeden Sonntag im voraus für die kommende Woche sieben Stücke Zucker und sieben Dreier zu Brod. »Was mir am schwersten ankommt,« schrieb Perthes seinem schwarzburger Oheim, »ist, daß ich früh nur eine Dreiersemmel habe; davon werde ich knapp satt. Nachmittags von 1 bis 8 bekommen wir keinen Bissen; da heißt es hungern, doch ich denke, es soll sich geben.« Mittags und Abends aßen sie mit der Familie, reichlich und gut, aber schrecklich war für sie, wenn fetter Braten mit Kürbisbrei aufgetragen ward und doch Alles genossen werden mußte, was auf den Teller gegeben ward: Das »Er«, mit welchem sie von den Kindern und selbst von den Dienstmädchen und Markthelfern angeredet wurden, kränkte Perthes tief, aber freudig schrieb er: »mir wird auch nicht das Mindeste zugemuthet, was meiner Ehre nachtheilig sein könnte; andere Lehrburschen müssen z. B. dem Herrn die Schnallen putzen, den Tisch decken, den Kaffee in's Gewölbe bringen, von alle dem bin ich befreit.«
Der Lehrherr war sehr streng, zuweilen jähzornig, aber doch dabei gutmüthig. Perthes mußte den ganzen Tag auf den Beinen sein, und im Anfang hatte er große Noth, sich die Titel der Bücher zu merken, die er aus andern Handlungen bringen sollte. Weil er so freundlich und bescheiden war, erwarb er sich die Gunst aller leipziger Prinzipale und erhielt die Erlaubniß, während die verlangten Bücher gesucht wurden, in die geheizte Schreibstube eintreten zu dürfen. Böhme ließ nie Heizen in seinem Gewölbe, und so geschah es, daß der minder abgehärtete Lehrling im ersten Winter die Füße erfror und neun lange Wochen im Bett auf seinem Dachkämmerchen zubringen mußte. Da ward die zweite Tochter des Lehrherrn, Friederike, sein freundlicher Engel. Ein liebliches Kind von zwölf Jahren war sie doch unermüdlich in der Pflege des kranken Jünglings; sie saß Stunden lang mit ihrem Strickzeug an seinem Bette, erzählte, tröstete, las vor – immer mit gleicher Freundlichkeit. Sie half auf diese Weise treulich mit, daß Perthes seine Sehnsucht nach dem schönen Rudolstadt und dem Leben in Schwarzburgs Wäldern überwand.
Nachdem er glücklich genesen, arbeitete er mit neuem Eifer; dabei hielt er sich fern von allen liederlichen Buchhändlerburschen, die ihn des Sonntags mit in die Wirthshäuser der Umgegend nehmen wollten. Das rege Geschäftsleben in Leipzig, besonders aber die Messe, brachte ihm manche Freude, und als vollends der Onkel Perthes aus Gotha ankam, und den Neffen zu mancherlei Sehenswürdigkeiten führte, da jubelte der Friedrich.
Sein älterer Kamerad hieß Rabenhorst, und dieser wirkte im Ganzen höchst wohlthätig auf den unerfahrenen Knaben ein. Er zeigte ihm, wie er sich gegen die Frau seines Lehrherrn benehmen sollte, die leider dem Trunke ergeben war, und machte ihn aufmerksam auf mancherlei Handlungskenntnisse, die er ohne fremde Beihülfe sich erwerben könnte. Vor Allem gab er ihm, freilich ohne es zu wollen, Uebung im Umgang mit Andern. »Sie werden denken, lieber Oheim« – schrieb Perthes, »der muß sich recht gut mit seinem Kameraden vertragen, weil er ihn so lobt, aber glauben Sie das nicht, denn Rabenhorst hat alle die Tugenden nicht, die zu einem guten Umgang gehören; er hat einen großen Stolz und die äußerste Halsstarrigkeit in Behauptung seiner Meinungen, ein aufbrausendes Wesen, und ist so empfindlich und mißtrauisch, daß ich ihn wohl zehn Mal in einer Stunde in Hitze bringe, ohne zu wissen, womit. Wie oft muß ich da meine Meinung, von der ich ganz gewiß weiß, daß sie richtig sei, aufgeben; und wenn ich es nun thue und glaube, ich hätte Alles recht gut gemacht, so ruft er wieder: »Wie können Sie zu Allem ja sagen; Sie glauben wohl, ich lasse mich dadurch betrügen, ich werde mir das aber verbitten.« Ich weiß wohl, lieber Oheim, Sie werden denken, das ist dem Jungen sehr nützlich, und Sie haben recht – denn ich war, weil ich ganz allein erzogen bin, der unleidlichste Mensch in Gesellschaft junger Leute, aber nun habe ich gelernt, wie man mit Andern umgehen muß, und Jedermann wundert sich, daß ich so gut mit Rabenhorst auskomme; es ist freilich wahr, er hat eine unglückliche Temperamentsbeschaffenheit, aber mich hat er lieb und da ist Alles gut.«
Schon im ersten Jahre nach Rabenhorsts Abgang hatte sich Perthes tüchtig eingearbeitet und das Vertrauen seines Lehrherrn in dem Maaße gewonnen, daß ihm dieser während einer mehrwöchentlichen Abwesenheit das Geschäft anvertraute. Doch das Handwerk genügte dem strebsamen Jüngling keinesweges; er wollte eine wissenschaftliche Bildung gewinnen, um die eingehenden Manuskripte, welche der Verlagshandlung angeboten wurden, selber beurtheilen und die Forderungen der Zeit verstehen zu lernen. Dazu konnte ihn freilich der Lehrherr nicht führen und so half er sich mit eigenem Fleiß, indem er Abends spät und Morgens früh englische und französische Grammatik, Geschichte und Philosophie studirte. Durch Kant war damals überall das Interesse für philosophische Studien angeregt; aber auch die Dichterheroen Schiller und Göthe hatten neuen Schwung in die Geister gebracht, und außerdem gährten die Freiheits-Ideen, welche die französische Revolution angeregt hatte. Mit sieben älteren Freunden, sämmtlich aus Schwaben gebürtig, verlebte Perthes manche Stunde der Begeisterung.
Dem Vertrage nach lief die Lehrzeit um Michaelis 1793 zu Ende, aber der mit Böhme befreundete Buchhändler Hoffmann aus Hamburg, welcher auf Perthes aufmerksam geworden war und ihn als Gehülfen in sein Geschäft zu nehmen wünschte, hatte dessen Lehrherrn ersucht, ihn schon Ostern 1793 zu entlassen. Böhme willigte ein; bei einem feierlichen Mittagessen trat er an Perthes heran, hieß ihn aufstehen, gab ihm einen leichten Backenstreich, überreichte ihm einen Degen, nannte ihn Sie und die Lehrzeit für den Buchhandel war geendigt, aber die für das Leben noch nicht.
Die Fahrt nach Hamburg bot neue erfrischende Eindrücke, das Leben in der großen Handelsstadt selber regte den thatenlustigen Geist des jungen Mannes mächtig an. Die Familie Hoffmann machte durch Bildung und Herzensgüte, durch strenge Ordnung und Rechtlichkeit einen sehr wohlthuenden Eindruck auf ihn. An Arbeit fehlte es aber auch nicht und nur sehr wenige Freistunden blieben für ihn selber übrig. Vor neun Uhr Abends können wir niemals aufhören – schrieb er, und müssen doch noch jede Woche eine halbe Nacht aufsitzen und alle vierzehn Tage einen halben Sonntag zu Hülfe nehmen. Das ist das Gewöhnliche; wenn aber eine Messe naht, dann ist die Arbeit kaum zu bezwingen. – Doch hatte Perthes schon in Leipzig gelernt, die wenigen Stunden der Woche, welche die Geschäftsthätigkeit ihm übrig ließ, für seine Ausbildung und Erholung auszubeuten, und so fand er auch in Hamburg Zeit für Mancherlei. Für seine innere Fortbildung wurden namentlich drei neue Freunde wichtig, die ihm ihr Herz öffneten; Speckter, ein Gelehrter und Anhänger der kantischen Philosophie, Runge, Kaufmann, ein höchst geistreicher Mann, und Hülsenbeck, der mit beiden wetteiferte. Als Perthes diese drei engverbundenen Freunde zuerst kennen lernte, wurden jene sogleich angezogen. »Perthes ist ein Mensch,« schrieb Speckter damals, »der mich durch seinen zarten Sinn und durch sein ernstes Ringen nach Veredlung sehr an sich zieht,« und Runge erzählte später: »Fast beständig mußte ich ihn ansehen, und das Wohlgefallen an seiner äußeren Erscheinung übertrug ich auf den inneren Menschen.« Auch mit den ausgezeichneten Familien von Reimarus, Sieveking und Busch kam der junge Mann in nähere Berührung, und das ganze mannigfaltige Leben des neuen Elements genoß er in vollen Zügen.
Der Oheim in Gotha hatte seinem braven Neffen den Eintritt in die Handlung zugesagt, aber Perthes war so heimisch in Hamburg geworden, daß er, obwohl erst 22 Jahre alt, darauf dachte, sich hier ein eigenes Geschäft zu gründen. In einem seiner leipziger Freunde, Namens Nessig, hoffte er einen tüchtigen Teilnehmer zu finden, und darum suchte er diesen schon jetzt nach Hamburg zu ziehen, und es gelang ihm, Hoffmann zu bestimmen, auch den Freund als Gehülfen in die Handlung zu nehmen. Perthes gedachte eine Sortimentshandlung im größten Maaßstabe zu gründen, d. h. eine Auswahl von Büchern aller Wissenschaften auf dem Lager zu haben, und zwar das anerkannt Beste und Nützlichste, um der Verbreitung wahrhafter Bildung zu dienen. Das gemeine Handwerk so vieler Buchhändler und Autoren, die für Geld Alles feil haben, sei es sittlich oder unsittlich in seinem Zweck, war ihm zuwider. Er sah vielmehr in einem wohl organisirten Buchhandel einen Haupthebel der sittlichen und nationalen Bildung des deutschen Volks.
Es bedurfte aber eines nicht geringen Anlagekapitals, und der arme Perthes hatte keinen Thaler im Vermögen. Doch seine Freunde boten bereitwilligst ihm die nöthigen Summen an, und schon im Jahr 1796 konnte er sein Geschäft beginnen, für welches er ein schönes geräumiges Lokal in einer belebten Gegend der Stadt gemiethet hatte. Er war der erste Buchhändler, welcher eine Auswahl der vorzüglichsten älteren und neueren Bücher aus allen Fächern eingebunden und wissenschaftlich geordnet aufstellte, so daß sein Buchladen dem Literaturfreunde das Bild einer kleinen, aber sehr auserlesenen Bibliothek gewährte, in welcher durch das Auslegen der neuesten Schriften zugleich das Mittel dargeboten war, sich schnell und leicht über den gegenwärtigen Stand der Literatur, ihrer Bewegungen und Kämpfe eine Uebersicht zu verschaffen.
Wenige Wochen, nachdem Perthes sein Geschäft eröffnet hatte, trat im Juli 1796 ein schlanker hoher Mann mit feiner Gesichtsbildung, leicht gebräunter Farbe und sinnendem, herrlich blauem Auge in den Buchladen. Dem Anschein nach ein Funfziger, hatte er in allen seinen Bewegungen eine leichte und kräftige Jugendlichkeit; Kleidung, Ausdrucksweise und Haltung, Alles schien gewählt und doch natürlich. Dieser Mann war Friedrich Heinrich Jakobi, der, aus Düsseldorf geflüchtet, sich damals in Holstein und Hamburg aufhielt. Die Anmuth seiner Erscheinung rief in Perthes sogleich zutrauensvollste Hingabe hervor. Kaum hatte er die nöthigsten geschäftlichen Antworten gegeben, so sprach er auch schon dem bewunderten Verfasser des Woldemar die Verehrung und Liebe, welche er für ihn empfand, mit großer Wärme aus, und ließ den freundlich Zuhörenden einen Blick in das eigene heftige Streben und unsichere Schwanken thun. Jakobi hatte seine Freude an dem lebhaften jungen Manne; schon nach wenigen Tagen kam er wieder und hielt sich von nun an oft und lange in dem Buchladen auf, bald die neu angekommenen deutschen, englischen und französischen Schriften durchblätternd, bald sich mit deren Eigenthümer unterhaltend. Dann lud er ihn auch nach Wandsbeck ein, wo die Familie Jakobi's das Schloß bewohnte. Da lernte denn Perthes auch den wackern Claudius, den berühmten »Wandsbecker Boten« kennen, und ward auch in dessen Familie eingeführt. Caroline, die älteste Tochter, war das geistige Ebenbild ihres Vaters, voll tiefer christlicher Frömmigkeit, gepaart mit einem klaren Verstande und einer seltenen Ruhe des Charakters.
Zur Weihnachtsfeier war Perthes von Jakobi auf das wandsbecker Schloß geladen, und traf unter andern Gästen daselbst auch Claudius und dessen ganze Familie. Der Zufall führte ihn, bevor der Festsaal geöffnet ward, mit Caroline allein in ein Nebenzimmer zusammen; kein Wort hatte er zu sagen, aber ihm war so unaussprechlich stille und wohl in seinem Herzen, wie er es noch nie gewesen war. Die Weihnachtsfreude begann, aber Perthes sah nur den Ausdruck stiller Freude, die in Carolinens Zügen sich ausprägte. Diesem Mädchen schien nach seiner Meinung das Beste zu gehören, was der Abend darbot, und dennoch glaubte er zu bemerken, daß das Geschenk der jüngeren Schwester schöner sei, als das ihrige; aber hoch oben an dem Weihnachtsbaum hing ein Apfel, so schön, so kunstreich vergoldet wie kein anderer, – den holte er plötzlich mit halsbrechender Kunst herab und dunkel erröthend gab er ihn zu nicht geringer Verwunderung der Anwesenden dem ahnenden Mädchen. Nun hatte sie doch eine Weihnachtsgabe, wie kein Anderer sie haben konnte. Von diesem Abende an erging es Perthes und Carolinen, wie es Allen ergeht, die des Lebens Leid und Lust gemeinsam als Mann und Frau erfahren sollen. Zwar meinte Klopstock, als er von Claudius' silberner Hochzeitsfeier am 15. März 1797 mit Perthes nach Hamburg zurückfuhr: die Liebe, die wir Andern euch Beiden lange schon ansahen, kennt Ihr jungen Leute selbst noch nicht; – aber Perthes kannte wohl die Liebe, die in ihm keimte und wuchs, obwohl er noch nicht gewagt hatte, sie auszusprechen. Jakobi und dessen Schwestern eröffnete er zuerst sein Herz und bat sie, nachzuforschen, ob er wohl Hoffnung hegen dürfe. »Gottlob, mein lieber Perthes,« schrieb ihm Helene Jakobi am 27. April, »Sie sind doch recht verliebt, und da mein Muth so groß ist, als der Ihrige klein, so sehe ich einer großen Seligkeit für Sie entgegen.« Bald darauf wendete sich Perthes an Caroline selbst; am 2. August 1797 ward die Hochzeit gefeiert.
Diese Ehe war eine höchst glückliche und gesegnete Verbindung zweier frommer Menschen, die, so verschieden auch ihre Charaktere angelegt waren, in festem Gottvertrauen und unveränderlicher Liebe übereinstimmten. Das Haus seiner Schwiegereltern zog nun Perthes immer fester an sich, auch in Klopstocks Hause war er oft und gern. In Holstein eröffnete sich ein bedeutender Freundeskreis: Graf Cajus Reventlow und dessen Schwester Julie, Gräfin Auguste Stolberg, Gemahlin des Grafen Bernstorf, zogen Perthes und dessen Frau in ihr Vertrauen und ihre Liebe; im katholischen Münsterlande waren es die Gebrüder Droste, die Fürstin Galitzin und andere bedeutende Persönlichkeiten, zu denen Perthes in das innigste Verhältniß kam. Die verschiedenen Verhältnisse und die bedeutenden Menschen, unter denen er sich bewegte, mußten wohl einen großen Einfluß auf ihn gewinnen und ihn zu einem neuen Menschen heranbilden. »Ich weiß es – schrieb er einst dem schwarzburger Oheim – Sie denken oft an Ihren Fritz – aber der Fritz, an den Sie denken, bin ich nicht mehr. Sie kennen nur den kleinen Fritz; mich müssen Sie erst wieder kennen lernen. – Wo soll ich anfangen und aufhören, um Ihnen zu sagen, wer und was ich bin?«
Eine nicht geringe Freude für den guten Sohn war es, daß er nun die Mutter in sein Haus aufnehmen konnte. Das Geschäft konnte schon eine Familie ehrenvoll ernähren; doch kam Perthes nicht selten in große Geldverlegenheit, da er immer baare Summen zur Verfügung haben mußte. Seine große Gewandtheit half ihm indeß durch alle Schwierigkeiten. In seinem Freunde Nessig hatte er aber nicht die Unterstützung gefunden, die er wünschte; darum löste er das Verhältniß und verband sich später mit Johann Heinrich Besser, der, mit seltenen Gaben des Geistes und Herzens ausgerüstet und auch mit solider Geschäftskenntniß versehen, kräftig mitarbeitete an dem Aufschwung der Handlung, und der zuverlässigste Genosse ihm blieb in Freud und Leid.
In den Stürmen, welche die französische Revolution und Kaiser Napoleon über Deutschland brachten, gerieth auch der kleine Freistaat Hamburg in die bedenklichsten Krisen; da galt es fest zu stehen und nicht die Besonnenheit zu verlieren. Und Perthes stand fest und suchte auch Andere zu ermuthigen. Die meisten Briefe aus dieser Zeit sind zwar verloren gegangen und die seit der Schlacht von Jena geschriebenen verrathen den Druck, welchen die Späherkunst der Franzosen dem schriftlichen Verkehr auflegte, aber dennoch läßt sich aus dem Erhaltenen die politische Richtung erkennen, welche Perthes verfolgte. Mit bitterem Unwillen und tiefem Schmerz sah er die stumpfe Gleichgültigkeit, in welcher Männer, die den Stolz unseres Volkes ausmachten, sich nach dem lüneviller Frieden und dem regensburger Hauptschluß abschlossen gegen das grenzenlose Leiden Deutschlands und gegen den frevelnden Uebermuth der Peiniger. Mit Grimm wurde er erfüllt, als um diese Zeit Göthe's Eugenie erschien. Scham, glühende Scham über die Zerreißung unsers Vaterlandes, schrieb er 1804 an Jakobi, sollte und müßte uns're Herzen foltern; aber was thun uns're Edelsten? Statt sich zu waffnen durch Nährung der Scham und sich Kraft, Muth und Zorn zu sammeln, entfliehen sie ihrem eigenen Gefühl und machen Kunststücke. So wenig aber Rettung für einen Sünder zu hoffen ist, der, um die Reue nicht zu fühlen, Karten spielt, so wenig wird unser Volk, wenn uns're Besten sich so betäuben, dem Schicksal entgehen, ein verlaufenes, über die Erde zerstreutes Gesindel ohne Vaterland zu werden. – Eine neue Hoffnung der Rettung tauchte auf, als im Sommer 1805 die Gerüchte von einer Vereinigung Englands, Rußlands und Oesterreichs sich verbreiteten. Mit Entsetzen sah Perthes, wie die politischen Wortführer Deutschlands sich auf Napoleons Seite gegen England stellten und das Volk durch die am meisten gelesenen Zeitschriften bearbeiteten. Aus Schlechtigkeit, Dummheit und Angst oder für's Geld redeten unsere Journalisten dem Tyrannen das Wort, und in einem Briefe an den berühmten Historiker Johann Müller, der auch sich von der großen Nation und dem Zwingherrn blenden ließ, heißt es: »Ihr Brief hat mich betrübt. Wenn solche Männer an unsern Zeiten verzagen – was dann? Ich bin nicht so hoffnungslos, und gerade in der letzten Zeit wächst mein Muth; freilich bin ich jung, von der Geschichte nicht unterrichtet! Sie schließen folgerecht von dem Alten auf das Neue und geben darum auf. Aber wurde nicht jedes Volk, ehe Einheit in ihm entstand, stets erst bereitet zum Empfang des Führers, des Retters, des Messias?« Perthes hoffte auf einen deutschen Helden, aber das deutsche Volk war noch nicht reif für einen solchen.
In Hamburg wurde gleich nach dem Einrücken der Franzosen aller Verkehr mit England bei Todesstrafe verboten, alles englische Eigenthum für verfallen erklärt, der Kontinent allen britischen Schiffen gesperrt. Der Rückschlag auf den Handel Hamburgs war betäubend, ein Handlungshaus nach dem andern stellte seine Zahlungen ein, und Perthes verlor Alles, was er in zehn sorgenvollen Jahren errungen hatte. Den Muth ließ er sich aber nicht nehmen, und er begann unverdrossen von vorn. Unter den größten Schwierigkeiten ging er an die Verwirklichung einer höchst praktischen Idee. »Die deutschen Journale – schrieb er an Jakobi – sind mit wenigen Ausnahmen in schlechten Händen und meist nur des Gewinnes wegen unternommen. Das ist zu allen Zeiten traurig, zu unsern Zeiten aber schrecklich. Es kommt jetzt, da es nöthig ist, zur rechten Zeit augenblicklich zu sprechen, viel darauf an, daß deutsche Männer wissen, wo sie für den Augenblick etwas zu Tage fördern können. Eine in kurzen Zeiträumen erscheinende Zeitschrift, welche lebendige Verbindung aller deutschgesinnten Männer enthält, ist dringendstes Bedürfniß. Meinen guten Willen zu solch einem Unternehmen kenne ich, meine Stellung ist günstig; ich kenne die Edelsten der Nation theils persönlich, theils durch mancherlei Berührungspunkte, und kann mir deren Beihülfe versprechen; mein Buchladen reicht in der gedrückten Zeit Hülfsmittel für die Redaktion dar, wie kein anderer es vermag. Aber, werden Sie vielleicht sagen, was hilft Euch Euer guter Wille; dürft Ihr auch? Darauf antworte ich mit Jean Paul: mit keinem Zwange entschuldigt die Furcht ihr Schweigen. Wir können auch unter Napoleons Herrschaft Vieles sagen, wenn wir nur die rechte Weise lernen. Aber auch das Gute, was wir von den Franzosen lernen, wollen wir nicht verschweigen, und es ist echt deutsche Sinnesart, das Gute überall zu erkennen. Vaterländisches Museum soll die neue Zeitschrift heißen.« Seit dem Frühjahr 1810 trat diese wichtige Zeitschrift in's Leben und brachte Beiträge von Jean Paul, Fr. Leopold Stolberg, Claudius, Fouqué, Fr. Schlegel, Görres, Arndt und manchen andern patriotisch gesinnten Männern. Die Aufnahme übertraf alle Erwartung und das vaterländische Museum war einer von den Funken, die ein neues Feuer im deutschen Herzen entzündeten.
Als die große französische Armee in Rußland ein so schmähliches Ende genommen hatte, ward es auch der französischen Besatzung in Hamburg angst, zumal da die Bürger rüstig begannen, sich in den Waffen zu üben. Perthes war unermüdlich thätig, den Eifer in der Bürgerwehr rege zu erhalten, alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen; die Franzosen zogen ab, ein Kosakenkorps unter Tettenborn besetzte die Stadt zum großen Jubel der Einwohner. Aber Perthes erkannte mit manchen Andern, daß jener Kosakenoffizier nicht der Mann sei, die Stadt zu schützen; desto eifriger betrieb er die Errichtung der hanseatischen Legion und der Bürgergarde. Leider fehlte es auch hier am nöthigen Zusammenwirken und an besonnener Leitung. Da kam wiederum Perthes dem Bürgerobersten von Heß zu Hülfe; er ließ sich zum Major bei dem Stabe und zum Adjutanten des Herrn von Heß ernennen, gesellte sich ein paar junge rüstige Leute als Gehülfen zu, warf sich in Uniform und erschien nun jeden Morgen auf dem Uebungsplatze, wo er mit der größten Mühe und Thätigkeit die umherirrenden Haufen vereinigte und zur Ausdauer antrieb. Dabei sammelte er bei den Vermöglicheren Liebesgaben zur Ausrüstung armer Bürger, und wo es fehlte oder etwas in's Stocken gerieth, war Perthes jederzeit zur Stelle, um zu helfen. Seine große Beredtsamkeit und Leutseligkeit machte ihn vorzugsweise geschickt, alle Zwiste zu lösen und die Gemüther zu gewinnen.
Wie ein drohendes Ungewitter rückte der französische Marschall Davoust vor die geängstete Stadt, die von Tettenborn im Stich gelassen war; ein längerer Widerstand war unmöglich, und zu Ende Mai 1813 nahmen die Feinde abermals von Hamburg Besitz. Perthes mußte fliehen; seine Handlung in Hamburg wurde versiegelt, sein Haus geplündert, sein Vermögen mit Beschlag belegt. Nebst vielen andern seiner Mitbürger wandte sich Perthes nach Mecklenburg und von hier aus erwirkte er von England Unterstützungsgelder für die Hanseaten, und damit die drei Städte Lübeck, Bremen und Hamburg bei den kriegführenden Mächten auch vertreten wurden, bildete er mit fünf andern geachteten Bürgern jener Reichsstädte ein »hanseatisches Direktorium«, an das sich fortan alle Ausgewanderten wenden konnten. In der von Perthes verfaßten Proklamation hieß es: »Die Hansa darf nicht untergehen; können die Bürger nicht innerhalb der Städte fortleben, so müssen sie außerhalb derselben bis zur Wiedereroberung der freien Heimath ein neues Hamburg, ein neues Bremen, ein neues Lübeck bilden.«
Vor Allem kam es darauf an, die hart mitgenommene hanseatische Legion aufrecht zu erhalten, und dazu half England, indem es sie in seinen Sold nahm und unter den Befehl des Oberst von Witzleben stellte. Dieser und viele andere Oberbefehlshaber nahmen gern die Vermittelung von Perthes in Anspruch und vertraueten ihm unbedingt, besonders wenn es darauf ankam, neue Hülfsmittel herbeizuschaffen, schwierige Verwickelungen zu lösen oder die jungen Truppen mit hingebender Begeisterung zu erfüllen. Die jungen Leute der Legion hingen aber auch mit Leib und Seele an Perthes und hatten ihre Freude an dem kleinen, zartgebauten Manne, der sich keiner Beschwerde entzog und von Frau und Kind sich getrennt hatte, obwohl diese in großer Roth waren. Der Graf Reventlow hatte der Familie eine Gartenwohnung auf einem seiner Güter eingeräumt; dort, in einem mit vielen Fenstern ohne Läden versehenen Saale auf ebener Erde hauste Caroline mit ihren sieben Kindern, oft an dem Nothwendigsten Mangel leidend. Aber das sah sie mit dem wackeren Perthes ein, daß in solchen Zeiten alles Ungemach muthig ertragen werden müsse.
Die Schlacht bei Leipzig hatte Napoleons Macht gebrochen, Deutschland seine Freiheit errungen; nun kam es Perthes und seinen Kollegen darauf an, auch die Freiheit der Hansestädte zu wahren, und sie reisten deshalb in das Hauptquartier der Monarchen, wo sie freundliche Zusicherungen empfingen. Freudig konnte Perthes und Sieveking auf dem Rathsweinkeller zu Bremen den dort zusammengekommenen Senatoren Bericht über ihre Reise abstatten. Der Kronprinz von Schweden (Bernadotte), der Anführer der Nordarmee, hatte Bremen verlassen, am 29. November sein Hauptquartier in Boitzenburg genommen, und nachdem er Davoust und die französischen Truppen auf Hamburg beschränkt hatte, sich zum Angriff gegen die Dänen gewandt. Er nahm am 5. Dezember Lübeck, drängte die Dänen über den Kanal zurück, und behauptete in dem am 15. Dezember geschlossenen Waffenstillstände ganz Holstein und das südliche Schleswig. Nun eilte Perthes nach Kiel, wohin seine Familie sich gewandt hatte und wo ihm noch ein Söhnchen geboren worden war. Doch wenige Tage nach seiner Ankunft erhielt er schon wieder durch den Generalstab des Kronprinzen von Schweden Befehl, in Gemeinschaft mit zwei von Lübeck und Bremen ernannten Männern die Verwaltung der bedeutenden Summen zu übernehmen, welche der Kronprinz zur Unterstützung der aus Hamburg Vertriebenen bewilligt hatte. Perthes verließ daher am 1. Januar 1814 seine Familie, und begab sich, um den Hülfsbedürftigen nahe zu sein, nach dem zwei Stunden unterhalb Hamburg an der Elbe gelegenen Flecken Flottbeck. Hier trat ihm die Lage Hamburgs in ihrer ganzen Erschrecklichkeit vor Augen.
Während der übrige Theil Deutschlands längst von den Franzosen befreit war, hatte sich Davoust in Hamburg gehalten, obwohl er auf das engste Gebiet der Stadt beschränkt wurde. Unermeßliche Gelderpressungen, Beraubung der Bank und Bedrückungen der Bürger hatten den Anfang gemacht; dann waren seit der Weihnachtswoche alle Vorstädte und Vordörfer und alle die herrlichen Landhäuser an der Alster niedergebrannt, und an 20,000 Menschen aus der Stadt gestoßen worden, zuerst die Jungen und Starken als gefährlich, dann die Alten und Schwachen als überflüssig; die Kinder aus dem Waisenhause, die Gebrechlichen aus den Hospitälern, die Verbrecher aus den Zuchthäusern wurden vor die Thore gebracht und ihrem Schicksal überlassen, und am Nachmittage des 30. Dezember befahl Davoust, das mit 800 Kranken und Wahnsinnigen gefüllte Krankenhaus zu leeren; am Mittag des andern Tages wurde es in Brand gesteckt.
Perthes arbeitete Tag und Nacht, um, so viel in seinen Mitteln stand, zu helfen. Auf den durch tiefen Schneefall unwegsam gewordenen Straßen mußte er seinem Körper auch dann noch maßlose Anstrengungen zumuthen, als er durch einen unglücklichen Sturz aus dem Wagen sich den Fuß gebrochen hatte. In der Gegend wüthete das Nervenfieber, den Keim nahm Perthes mit nach Kiel, wo er am 19. Februar anlangte. Kaum hatte er seine Familie begrüßt, so warf ihn ein heftiger Ausbruch der Krankheit aus das Krankenlager, und neun Wochen lang, mußte der thätige Mann in Geduld ausharren.
Unterdessen hatten die Alliirten Napoleon in Frankreich selber verfolgt und Paris genommen; so war die Hoffnung da, daß Davoust bald von selber Hamburg räumen mußte. Perthes verließ im April. 1814 Kiel, und zog mit seiner ganzen Familie nach Blankenese, einem Fischerdorfe vor Hamburg. Hier weilte er sechs Wochen lang in fröhlicher Hoffnung. Da wehte plötzlich in Harburg und vom Michaelisthurm in Hamburg die weiße Fahne, und nun strömten von allen Seilen die Vertriebenen wieder der Stadt zu. »Wir wohnten – schrieb Caroline an ihre Schwester – nahe an der Elbe und konnten Alle, die von Bremen und aus dem Hannöverschen zurückkehrten, ankommen sehen. Einmal wurde uns ein ganzer Wagen voll kleiner Kinder zugeschickt, deren Eltern im Krankenhause zu Bremen gestorben waren. Große Schaaren von armen Ausgehungerten zogen mit vielen Kindern und weniger Habe bepackt an unsern Fenstern vorbei, und wunderbar groß und rührend war die Liebe zu Haus und Herd ersichtlich, obgleich die Meisten nur Roth und Elend zu erwarten hatten. Sowie die armen Leute an's Land stiegen, brachen sie schweigend Zweige von den Bäumen, und Alt und Jung, bis auf die kleinsten Kinder herunter, bekamen einen Busch in die Hand und dankten Gott unter Freudenruf und Trauerthränen für die Erlösung von dem großen und allgemeinen Nebel.
Es war am 31. Mai, als Perthes Stadt und Wohnung wieder betrat, die er ein Jahr zuvor verlassen hatte. Nun sollte eine friedliche zwar, aber nicht minder schwierige Thätigkeit beginnen; es galt, ein zerrüttetes Geschäft wieder empor zu bringen. Schon die Wohnbarmachung des Hauses hatte ihre Schwierigkeiten. Die schönen freundlichen Räume zu ebener Erde hatten Monate hindurch französischen Soldaten als Wachtstuben gedient; mitten in dem größten Zimmer stand ein mächtiger Ofen; zum Fenster hinein waren mächtige Baumstämme geschoben, deren Ende dem Feuer im Ofen zur Nahrung diente; alles ablösbare Holzwerk im ganzen Hause war heruntergerissen und verbrannt; Rauch und Qualm hatten ihren Weg durch die Fenster suchen müssen. Die oberen Stockwerke hatte zuletzt der General Loison bewohnt, aber auch hier hatten die Soldaten in einer solchen Weise gehaust, daß das ganze Haus einem großen Schmutzhaufen glich. Alles Bewegliche war geraubt oder zertrümmert. Die große Büchersammlung hatte Davoust versteigern lassen wollen; doch es war nicht dazu gekommen, und ein treuer Diener der Handlung hatte so viel als möglich gerettet, namentlich die Hauptbücher.
Perthes, im Verein mit seinem braven Besser, machte sich wieder frisch an's Werk; seinen Gläubigern schickte er ein Rundschreiben, worin er sich eine Frist von drei Jahren erbat, um alle seine Verpflichtungen lösen zu können, und man bewilligte ihm überall gern so viel Kredit, als er verlangte. Bald war die Handlung wieder zur Blüthe gebracht, aber es lag Perthes nicht daran, Schätze zu sammeln, sondern seine großartigen Ideen in's Leben zu rufen. Besonders schmerzlich empfand er die Zersplitterung Deutschlands in allerlei Staaten und Staatlein, wovon jeder seinen Nachbar als »Ausland« betrachtete, und wenn er auch erkannte, daß die Gegensätze zwischen Nord und Süd, Protestantisch und Katholisch nicht verwischt werden könnten, so lebte er doch der Ueberzeugung, daß die Liebe zum großen deutschen Vaterlande nicht darunter leiden dürfe und daß jeder deutsche Patriot zum Wohl des Ganzen wirken müsse. Namentlich sollte das deutsche Schriftenthum von seinen beengenden Fesseln befreit werden. Süddeutschland sollte von der Literatur Norddeutschlands berührt werden, aber auch Norddeutschland das Gute in den Geisteserzeugnissen Baierns, Oesterreichs, Würtembergs würdigen und nicht vornehm übersehen. Zu diesem Zwecke mußten die einzelnen Buchhandlungen in ein näheres Verhältniß zu einander treten, aber auch die Regierungen sich bereitwillig der Sache annehmen und die Schlagbäume fallen lassen, die bis dahin auch geistig die deutschen Länder von einander absonderten. Zum Schutz des Eigenthums war vor Allem nöthig, daß der Nachdruck verboten wurde. So lange aber z. B. Sachsen sich Hessen gegenüber als Ausland betrachtete, konnte ein leipziger Buchhändler oder Buchdrucker ungestraft ein Werk, das in Darmstadt erschienen war, nachdrucken. Der darmstädter Buchhändler hatte aber dem Verfasser des Buches seinen Ehrensold bezahlt, hatte vielleicht Bilder und Karten desselben Werkes mit großen Kosten herstellen lassen. Dies Alles brauchte der leipziger Buchhändler nicht zu bezahlen, konnte darum seine Ausgabe billiger liefern, ruinirte damit aber die rechtmäßigen Eigenthümer. Nun kam es daraus an, einen Zustand herbeizuführen, wo jedes deutsche Werk auch für ganz Deutschland die gleiche Geltung hatte, und wo es für die Verbreitung der Schrift gleichgültig war, ob sie in Königsberg oder Stuttgart, in Wien oder Köln erschienen war.
Um seinerseits so viel als möglich zu diesem nationalen Aufschwung des Buchhandels beizutragen, unternahm Perthes eine längere Reise an den Rhein, nach Süddeutschland bis Wien, und tauschte mit den bedeutendsten Staatsmännern und Gelehrten seine Gedanken aus. Auf der Rückreise besuchte er sein heimathliches liebes Thüringen, das er schon früher mit seiner Familie heimgesucht hatte. Jetzt begleitete ihn bloß sein ältester Sohn Matthias. Als er in die Nähe von Schwarzburg kam, hatten die starken Regengüsse die Brücke, welche in der Mitte zwischen dem Dorfe Schwarza und dem Städtchen Blankenburg über den Waldbach ging, hinweggerissen. Perthes, noch wohlbekannt mit allen Fußwegen, ließ den Postillon nach der entfernteren steinernen Brücke fahren und wanderte mit seinem Sohne der Papiermühle zu, wo ein hoher Steg, wie er wußte, über das Wasser führte; aber auch dieser war fortgeschwommen und an seiner Statt hatte man ein paar Baumstämme von einem Ufer zum andern gelegt. Ein in der Nähe stehender Mann fragte warnend, ob die Reisenden auf dem schmalen Holze hinübergehen wollten. Diese aber gingen unbedenklich, zumal da sie in den Alpen viel gefährlichere Wege gemacht hatten. In reißender Schnelle schoß unter ihnen die Schwarza hin; nur zwei Schritte noch waren sie vom jenseitigen Ufer, als der voranschreitende Sohn ausrief: halte mich, ich falle! Perthes ergriff den fallenden Knaben fest am Mantelkragen und wurde zugleich mit ihm in's Wasser hinabgezogen. Er kam zum Stehen, ward aber wieder umgerissen; das Wasser wälzte den Knaben über ihn, dann ihn über den Knaben; noch einmal tauchte Perthes mit Kopf und Schulter auf, rief laut: Halt dich besonnen! und sank aufs Neue in die Tiefe. Wie ein Blitz traten Frau und Kinder vor seine Seele, dann wurde er bewußtlos und das Wasser trieb beide in unaufhaltsamer Eile den Rädern einer zweihundert Schritt abwärts liegenden Sägemühle zu. Unmittelbar vor dieser ward Perthes stark und fest am Arme ergriffen und langsam durch das Wasser an's Ufer gezogen. Mit seiner rechten Hand hatte er im Todeskampfe den Sohn krampfhaft umschlossen gehalten, und führte nun, selbst bewußtlos, auch diesen dem Ufer zu. Jener Mann, der ihnen warnend zugerufen hatte, war der Papiermüller Stahl gewesen; er eilte, als er die Fremden fallen sah, über den gefährlichen Balken und längs des Ufers hin bis zur Sägemühle, wo ihm eine Untiefe bekannt war, die weit hinein in die Schwarza reichte; bis Zur Hälfte im Wasser stehend wartete er hier, griff zu und glaubte nur einen Menschen vom sicheren Tode zu retten und rettete zwei. In der warmen Trockenstube der nahen Papiermühle erholten sich die Geretteten schnell unter der Behandlung eines zufällig aus Rudolstadt anwesenden Wundarztes und eilten Schwarzburg zu, wo sie, vom schnellen Lauf erwärmt, gegen Abend anlangten. Nahe war der Tod vorübergegangen, aber nicht einmal eine Erkältung hatte seine Nähe zurückgelassen. Zwei Tage ruhte Perthes in den Erinnerungen seiner Jugend von der Unruhe der letzten Monate aus, wie ein Kind von dem alten Oberstlieutenant, dem alten Oheim Stallmeister und der alten Tante Caroline gehegt und gepflegt; dann eilte er nach kurzem Aufenthalt in Gotha über Göttingen und Hannover nach Hamburg, wo er Anfangs Oktober eintraf. Zu seinem großen Trost fand er die Gattin wohler, als er nach den letzten Briefen vermuthen konnte, aber es war nur ein Sonnenblick. Nach jener Flucht aus Hamburg hatte sich die edle Frau fast immer leidend befunden und ihre frühere Rüstigkeit nicht wieder gewinnen können. Ihr starker Geist hielt zwar den schwachen Leib aufrecht, aber das Nervenleiden nahm doch stetig zu. Bis zum Jahre 1821 erhielt ihr der Herr das Leben; am 28. August machte ein Nervenschlag dem frommen Leben so plötzlich ein Ende, daß kein Druck der Hand, kein Wort, kein Blick der Liebe den Umstehenden als Abschiedsgruß zu Theil ward.
»Nun stehe ich da mit meinen armen Kindern,« schrieb Perthes am folgenden Tage an seinen Schwiegersohn in Gotha, »und öde und leer ist es, und wir suchen die Fülle der Liebe, welche so überschwenglich uns zu Theil geworden ist, und doch – können wir, nur damit ich meine Caroline und Ihr eure Mutter wieder habt, wünschen, daß dieser freie fromme Geist in den Kerker dieses Körpers zurückkehre? Meine armen Kinder, meine armen kleinen Kinder! Ihr älteren habt den Geist der Mutter erfahren, aber dieser Geist, diese Liebe, wird den jüngern nun niemals nahe treten. Gott helfe ihnen und mir!«
Doppelt schwer fühlte Perthes nach dem Tode seiner Gattin das nie ruhende Getriebe des Geschäftslebens, und für die Kinder ohne Mutter war ein einfacherer Haushalt und ein stilleres Leben fast nothwendig. Seit Jahren schon hatte er die Uebertragung der hamburger Handlung auf Besser, und die Verlegung des eigenen Wohnsitzes nach Gotha vorbereitet. Dort in der Mitte Deutschlands wollte er ein Verlagsgeschäft gründen und künftig ausschließlich diesem weniger aufregenden und unruhigen Berufe leben. Nun beschleunigte er diesen Entschluß, obwohl es ihm schwer ward, vom Schauplatze einer so langen und gesegneten Thätigkeit zu scheiden.
Die Uebersiedelung fand im Jahre 1822 Statt. Welch ein Gegensatz – dies stille Gotha mit kaum 12,000 Einwohnern und die große, mächtige Hansestadt mit ihren 100,000 Einwohnern und großartigsten Verhältnissen einer Wellhandelsstadt! Die gute alte Zeit schien noch in Gotha eine Zufluchtsstätte gefunden zu haben; Abends kamen die Kuhheerden von der Trift heim, und Nachts rief der Nachtwächter sein: Gebt Acht auf Feuer und Licht, damit kein Schaden geschicht, lobet Gott den Herrn! Die Männer kamen Abends mit der langen Pfeife zu einem Glase Dünnbier und die Frauen besuchten sich an Winternachmittagen mit dem Spinnrocken. Tag für Tag wandt sich in blauem, mit glänzenden Knöpfen besetztem Rocke ein kleiner Mann auf einem kleinen Pferde, dessen Zaumwerk mit Muscheln reich verziert war, durch das Gewirr der haushohen Frachtwagen hindurch, welche auf der Fahrt von Frankfurt nach Leipzig in Gotha zu übernachten pflegten. Es war der weimar'sche Geleitsreiter, der Schrecken der Fuhrleute, welcher die Sünder unter ihnen aufsuchte, die das Geleite noch nicht bezahlt hatten. Diese Abgabe wurde früher für die Begleitung geharnischter Reiter erhoben, jenes Geleit hatte aber längst aufgehört, doch die Zahlung nicht.
Trotz mancher altväterischen Sitte und Einfachheit des Lebens fehlte es indeß keineswegs an geistiger Anregung. Das Gymnasium zählte Männer wie Döring und Schulze, Ukert und Kries, Rost und Wüstemann unter seinen Lehrern (ihre Lehr- und Schulbücher sind noch zum Theil geschätzt und gebraucht).
Die Bibliothek hatte Friedrich Jacobs, die Sternwarte von Lindenau und Encke für Gotha gewonnen; Bretschneider war Generalsuperintendent; Stieler hatte bereits seine geographischen Arbeiten begonnen, und so war ein Kreis sehr gelehrter und gebildeter Männer vorhanden.
Nachdem der thätige Perthes die Sortiments-Buchhandlung in Hamburg zu so großer Blüthe gebracht hatte, gründete er nun in dem freundlichen, stillen Gotha ein Verlagsgeschäft, das gleichfalls schnell genug emporwuchs, denn die Erfahrungen des Sortiments (Kleinverkaufs), die große dabei erworbene Welt- und Menschenkenntniß kamen dem nun fünfzigjährigen Manne zu Statten. Daß er nur Werke verlegen wollte, welche dem kirchlichen und nationalen Interesse der deutschen Nation gesunde Nahrung zu bieten vermochten, verstand sich ohnehin. So gewann er denn eine Reihe achtbarer Gelehrten für seinen Plan einer europäischen Staatengeschichte, welche die Forschungen der Männer vom Fach allen Gebildeten zugänglich machen sollten, und brachte die Ausführung des großen Werkes glücklich zu Stande. Er selber studirte fleißig die Geschichtswerke der Meister, um die Lücken seiner Schulbildung auszufüllen. Dabei war er mit Dichtern, Künstlern, Gelehrten und Staatsmännern in fortdauernder Korrespondenz, und fand dennoch Zeit zu seiner Lieblingserholung, dem Fußreisen.
Im März 1825 vermählte sich Perthes mit Charlotte Becker, der Schwester seines Schwiegersohnes, die nach dem Tode ihres ersten Mannes mit vier Kindern in das Haus ihrer Mutter nach Gotha zurückgekehrt war. Perthes hatte die schwergeprüfte Frau achten und lieben gelernt und diese seine zweite Ehe gereichte ihm zum großen Segen. Es wurden ihm noch vier Kinder geboren, aber der rüstige Mann war allen Freuden und Leiden, Erziehungs- und Haushaltungssorgen gewachsen, und das Gefühl des Dankes für das ihm zu Theil gewordene Glück verließ ihn bis zu seinem Tode nicht. Gott hat Großes – sagte er einmal – auch in meinem späteren Leben an mir gethan, um in mir die Liebe lebendig zu erhalten, und wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.
In demselben Jahre 1825 war der große Verein deutscher Buchhändler unter dem Namen des »Börsenvereines« zu Leipzig zu Stande gekommen. Wie schon oben angedeutet, faßte Perthes den Buchhandel als eine einzige deutsche Anstalt, und betrachtete sämmtliche Buchhändler in allen deutschen Staaten als Angehörige einer einzigen großen Verbindung. Während der Ostermesse 1823 hatte er durch Wort und Schrift seine Berufsgenossen aufgefordert, Leipzig als Mittelpunkt des deutschen Buchhandels festzuhalten, und schon im folgenden Jahre hatten sich gegen 200 Buchhändler zusammengefunden, deren Verein von Jahr zu Jahr wuchs und über ganz Deutschland sich verzweigte. Vor Allem suchte Perthes die Ehre dieser für das geistig-sittliche Leben der Nation so wichtigen Körperschaft fest zu gründen. Als 1827 ein schmutziges Werk von einem deutschen Buchhändler verlegt und verbreitet worden war, trat er in einer von 200 Mitgliedern des Vereins besuchten Versammlung mit den Worten auf: »Die Ehre des deutschen Buchhandels ist durch diesen Unflath beschmutzt, der Verleger dieses Werkes ein gefährlicher Mensch und jede Buchhandlung würdigt sich herab, die ein solches Werk verbreitet. Darum möge der deutsche Börsenverein im Namen des deutschen Buchhandels ein Zeugniß ablegen und der Börsenvorstand die zur Stelle befindlichen Exemplare der Schmutzschrift öffentlich zerreißen lassen. Und in ähnlichen Fällen möge das Gleiche geschehen, bannt die Ehre des deutschen Buchhandels aufrecht erhalten werde.« Der angeschuldigte Verleger war selbst zugegen. Einen Augenblick schwiegen die Anwesenden still, betroffen über das Gefühl der eigenem moralischen Macht, dann stimmten Alle bei und am folgenden Tage vernichtete der Börsenvorstand wirklich in förmlicher und feierlicher Weise die vorhandenen Exemplare der schmutzigen Schrift. Der betreffende Verleger verklagte zwar Perthes, aber das Gericht sprach diesen frei.
Im Frühjahr 1833 ward in der jährlichen Versammlung des Vereins der Bau einer Buchhändlerbörse in Leipzig als Centralpunkt des deutschen Buchhandels zur Sprache gebracht; Perthes war die Seele des Unternehmens. »Der Gedanke – schrieb er im November dieses Jahres – für unsere Zusammenkünfte ein angemessenes Gebäude und für unsere Korporation auch einen äußerlichen Mittelpunkt zu gewinnen, zog mich schon für sich allein sehr an, zugleich aber knüpft sich an diesen Plan die Aussicht zur Gründung guter neuer Anstalten anderer Art, so namentlich die Herstellung einer lange von mir beabsichtigten Lehranstalt für Buchhändlerlehrlinge und eines Museums für die Geschichte des gesammten Bücherwesens, der Druckerei, der Papiermacherkunst. Ich trat daher, als das Vorhaben auf dem Punkte stand, zurückgewiesen zu werden, lebhaft für dasselbe auf und begehrte die Niedersetzung eines Ausschusses zur weiteren Untersuchung und Betreibung der Angelegenheit. Mein Vorschlag ward allgemein angenommen und ich zur Strafe als Vorsitzender des Ausschusses gewählt. Nun liegt die Verantwortlichkeit zum großen Theil auf meinen Schultern, ich muß weitläufige Korrespondenz führen, Baupläne und Kostenanschläge betrachten, Berichte schreiben und mit dem sächsischen Ministerium verhandeln, welches übrigens sehr entgegenkommend verfährt und den Vortheil des Unternehmens für Sachsen vollkommen erkennt.« –
Bei der angestrengtesten Thätigkeit für das eigene Geschäft und die Hebung des deutschen Buchhandels ward das Interesse für die Politik und namentlich für die Angelegenheiten des deutschen Gesammt-Vaterlandes nie außer Acht gelassen. Die französische Revolution vom Juli 1830 hatte den Thron der fortschrittfeindlichen Bourbonen umgestürzt und den Bürgerkönig Ludwig Philipp emporgehoben. Perthes, obwohl er nicht so eifrig wie der Freiherr v. Stein, der in manchen Stücken ängstlich-konservativ geworden war, Partei für die Bourbonen nahm, konnte doch nicht mit Vertrauen auf die Dinge jenseits des Rheines blicken und meinte, das Ende vom Liede werde früher oder später ein Sultan sein. Darin hat er sich nicht geirrt. Aber er hatte auch keine Freude an dem konstitutionellen Aufschwung der mittleren und kleineren Staaten Deutschlands und setzte seine Hoffnung auf Preußen, obwohl dort für die Entwickelung der bürgerlichen Freiheit so wenig geschah als in Oesterreich, ja im Gegentheil allen Freiheitsbestrebungen ein Hemmschuh angelegt wurde. Paul Pfizer, der Verfasser des vom edelsten Nationalgefühl eingegebenen Briefwechsels zweier Deutschen, schrieb aus Würtemberg an Perthes (März 1832) über die Stimmung in Süddeutschland: »Jede Theilnahme für Preußen würde mir, wie die Sachen jetzt stehen, als ein Abfall von der Sache der Volksfreiheit ausgelegt werden, mich in den Augen meiner Landsleute brandmarken und mir alle Hoffnung, auf ihre Ansicht und Gesinnung einzuwirken, ganz zerstören. – Der Widerwille der Süddeutschen gegen eine ihnen verhaßte Regierung, deren Benehmen den Haß leider nur zu sehr rechtfertigt, steigt von Tag zu Tag, und mir verbietet mein eigenes politisches Gewissen, mich von meinen Landsleuten in dem Augenblicke zu trennen, in welchem man täglich mehr von der thörichten Vorliebe für die Franzosen zurückkommt und eine auf bürgerliche Freiheit gegründete Nationalfreiheit verlangt, während Preußen immer unverhohlener sich dem Absolutismus in die Arme wirft, immer inniger sich mit Rußland zu verbinden scheint und selbst die bescheidensten Erwartungen der Freiheitsfreunde täuscht. Die Zeit ist noch nicht gekommen, wo auch ein Süddeutscher mit Ehren auf jene Seite treten darf, ohne einen Verrath an den Seinigen zu begehen. Das deutsche Volk mit seinen Wünschen, seinen Erwartungen und Forderungen auf das jetzt undeutsche Preußen und auf die gegenwärtig in Berlin herrschende Partei zu vertrösten, hätte ich nicht den Muth.« Perthes täuschte sich nicht über die Gefahren Deutschlands und schrieb u. A. an seinen in Berlin studirenden Sohn: »Die Regierungen werden einzeln das Feuer nicht zu löschen vermögen, es wird von der Gesammtheit Deutschlands Hülfe kommen müssen. Da aber der Bundestag schwerlich fähig ist, entschlossen zu wollen und zu handeln, so werden Preußen und Oesterreich eingreifen müssen; strenges hartes Regiment wird nothwendig« – doch ganz prophetisch setzt er hinzu – » wird es aber nicht mit Weisheit geübt, so ist es Oel in das Feuer und alles Bestehende kann wanken.«
Ist es nicht, als seien diese Briefe 1866 geschrieben? Schneller, als man dachte, ist die Krisis hereingebrochen; aber auch glücklicher, als man dachte, gelöst.
Obwohl Perthes daheim von den bedeutendsten Männern aufgesucht wurde und durch Briefe mit den Weltverhältnissen stets in Verbindung blieb, so drängte es ihn doch, Manches mit eigenen Augen zu sehen, und er brachte 1831 und 1834 in Berlin, 1835 am Rhein, 1836 in Hamburg, 1840 in Wien längere Zeit zu und sah und hörte nun Manches, was er weder durch mündliche noch durch schriftliche Mittheilung erfahren haben würde. Häufig wanderte er auch in späteren Jahren mit diesem oder jenem seiner Söhne oder Schwiegersöhne durch die Berge und Thäler des Thüringer Waldes und gab sich, sobald er die Stadt hinter sich hatte, mit der Freude eines Jünglings, der zuerst in die Welt hinaussieht, den wechselnden Eindrücken hin, hatte seine Luft an den Anstrengungen und kleinen Unbequemlichkeiten, ward gehoben durch die herrlichen, bald lieblichen, bald großartigen Blicke, die das Gebirge gewährt, und erlebte auch manches Abenteuer mit diesem oder jenem Menschenwesen. In dem thüringischen Bergstädtchen Friedrichsroda hatte er sich eine liebliche Sommerwohnung eingerichtet, die er von 1837 bis 1843, seinem Todesjahre, regelmäßig bezog.
Bis an sein Ende blieben dem rüstigen Greise diese Kraft und Naturfrische. »Ich bin nun über siebenzig Jahre alt – schrieb er Ende 1842 an seine Schwägerin, Auguste Claudius, ich kann noch Stunden lang in Berg und Thal marschieren, kann täglich acht bis zehn Stunden geistesfrisch arbeiten ohne Beschwerden der Augen. Gott sei Dank dafür!« – Aber im folgenden Jahre überfiel ihn eine Leberkrankheit, die Eßlust schwand und die Kräfte sanken plötzlich. Wenn es der Zustand seines Befindens nur einigermaßen erlaubte, arbeitete der Kranke im Bett, empfing Verwandte und Freunde und sprach klar und fest, wie früher. Am 21. April, seinem Geburtstage, hatte er Morgens Kinder und Enkel um sich; ernst und wehmüthig war Allen zu Sinn, aber in solcher Ruhe und Freudigkeit lag er da in seiner mit Frühlingsblumen reich angefüllten Stube, daß auch in den Andern der Schmerz nicht laut werden durfte. »Sollte es Gottes Wille sein, sagte er, daß ich noch einige Zeit mit euch zu leben hätte, so thue ich es mit Freuden und gehe auch noch gern einmal nach meinem lieben Friedrichsroda; aber es wird wohl gewiß nicht geschehen. Ein reiches Leben liegt hinter mir; schwere Tage und Jahre habe ich gehabt und manchen harten Kampf durchgekämpft; aber immer ist Gott mir gnädig gewesen. Wenn ich todt bin, so klagt nicht; sehnen werdet ihr euch oft nach mir und dessen freue ich mich. Euch selbst brauche ich nicht zu sagen: »Habet Liebe untereinander,« aber erziehet eure Kinder so, daß sie nicht vergessen, einander nahe zu stehen und sich lieb zu behalten. Ich sterbe gern und ruhig, und bin bereit dazu; ich hab' mich Gott ergeben, dem liebsten Vater mein. Hier ist kein immer Leben, es muß geschieden sein; der Tod kann mir nicht schaden, er ist nur mein Gewinn; in Gottes Fried' und Gnaden fahr ich mit Freud' dahin.«
Der Tod sollte ihm aber nicht so leicht werden, es war ihm noch ein schmerzlicher Kampf beschieden. In freien Augenblicken las er am liebsten das Evangelium Johannis. In sein Tagebuch schrieb er noch bis zum 9. Mai; es schließt mit den kurzen Worten: sehr elend! Dann nahmen die Schmerzen zu und zuweilen schwand das Bewußtsein. Am 18. Mai konnte der Arzt ihm sagen, er werde nun bald überstanden haben, und Nachmittags sprach er noch mit vernehmlicher Stimme: »Gesegn' euch Gott, ihr Meinen, ihr Liebsten allzumal, um mich sollt ihr nicht weinen, ich weiß von keiner Qual. Den rechten Port noch heute nehmt fleißig wohl in Acht, in Gottes Fried' und Freude fahrt mir bald alle nach!« – Am Abend wurde die Seele der Banden des Leibes ledig, und am 22. Mai in der Frühe wurde die Leiche auf dem Kirchhofe zu Gotha in's Grab gelegt.