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Bildquelle: Projekt Gutenberg-DE

Justus Möser.

Justus Mösers sämmtliche Werke, 10. Theil mit der Biographie von Fr. Nicolai. Patriotische Phantasieen von Justus Möser. Erster Theil (Berlin 1842) mit der Einleitung von B. R. Abeken »zur Charakteristik Mösers«. Berliner Monatsschrift 1794, Mai (Dr. Kleukers Nachricht von Mösers Tode). Göthe in Wahrheit[*] und Dichtung, 3. Bd.


Mösers Familie stammt aus der Kurmark; der Großvater, zu Hamburg geboren, ward 1683 Prediger in Osnabrück und wirkte daselbst ebenso kräftig als gewandt in seinen Verhältnissen zu Magistrat, Bürgerschaft und Katholiken; der Vater, Direktor der osnabrück'schen Justizkanzlei, war ein ernster, geschickter und thätiger Geschäftsmann, allgemein geachtet. Die Mutter, mehr reizbaren Temperaments und mit vorherrschender Phantasie begabt, gehörte zu den guten westfälischen Hausfrauen, welche ein wohleingerichtetes Hauswesen für den Hauptzweck ihres Lebens halten; sie unterließ aber auch nicht, indem sie ihre beiden Söhne in guter häuslicher Zucht erzog, selbige früh zur französischen Sprache anzuhalten, die sie sehr liebte. Durch die Lektüre französischer Schriften erwarb sich Justus früh eine gewisse Bildung des Geschmacks, die ihn fern hielt von der pedantischen Form damaliger Gelehrsamkeit; die Romane von Marivaux, voll treffender Menschenkenntniß und biegsamer Philosophie des Lebens, mögen nicht geringen Einfluß geübt haben auf die Entwickelung des Sinnes für feinere Weltbildung, die nicht aus Büchern, sondern im Umgange mit den Menschen gewonnen wird. Es mochte bei Möser dasselbe Verhältniß der Eltern Statt finden, was Göthe in dem bekannten Verschen ausgesprochen:

Vom Vater hab' ich die Natur
Des Lebens ernstes Führen;
Vom Mütterchen die Frohnatur
Und Lust zu fabuliren.

Ein biographisches Fragment, worin Möser mit der ihm eigenen Laune einige Züge aus seiner Knabenzeit mittheilt, indem er einen Andern von sich reden läßt, lautet also:

»Wenn ich meinen Möser zu bitten pflegte, daß er mir einige Umstände seines Lebens, um sie zu seinem Andenken aufzuschreiben, mittheilen möchte: so verwies er auf seines Vaters, des um sein Vaterland wohlverdienten Kanzleidirektors und Konsistorialpräsidenten, Johann Zacharias Möser, große Bibel, worin derselbe eigenhändig beurkundet hätte: daß ihm den 14. Dezember 1720 ein Söhnlein geboren, welches in der Taufe den Namen Justus empfangen habe; und wenn ich ihn um die Art seiner Erziehung befragte, antwortete er insgemein, daß er sie so gut und nicht besser als Andere seines Gleichen empfangen hätte. Sein Fleiß verdiente keinen besondern Ruhm; er hätte Vieles geschwinder als Andere gelernt, und das Wenige, was er gewußt, glücklicher gebraucht als Andere; übrigens glaube er, daß seine beiden Freunde von der ersten Kindheit an, der nachherige helmstädtische Professor Lodtmann und der Superintendent Bertling, weit mehreren Fleiß angewendet hätten. Er wäre der Liebling seiner Mutter und ihr guter Junge in der Haushaltung gewesen, der in der Obstlese lieber auf einem Baume, als hinter einem Buche gesessen hätte. Das Merkwürdigste, was ihm in seinen jüngeren Jahren begegnet wäre, bestände darin, daß er, als er kaum das 15. Jahr erreicht gehabt, aus seines Vaters Geldschranke eine Kleinigkeit Sein Vater hatte ein Haus in Iburg; dahin ging er, um sich einige Wäsche zu holen, denn er war Willens, nach Amsterdam und von da nach Ostindien zu gehen. Die Magd im Hause merkte etwas, gab Nachricht, und so kam die Mutter ihn abzuholen, ging auch gleich mit ihm in die Kirche, damit Niemand die wahren Umstände merken sollte. entwandt und, als sein Informater solches gemerkt, und seinem Vater hinterbracht, die Flucht genommen hätte, da er sich dann zum Thor hinausgemacht und in Gesellschaft einiger preußischer Ausreißer, worauf er von ungefähr gestoßen wäre, die Stadt Münster erreicht hätte. Hier wäre er, weil er kein Geld bei sich gehabt, einen ganzen Tag die Gassen auf- und niedergegangen. Hundertmal hätte er sich gegen eine Thür gewandt und ein Almosen bitten wollen; allein, wenn er den Mund aufgethan, wäre ihm die Stimme vergangen, bis ihn endlich der Hunger überwältigt und gezwungen hätte, eine Bitte zu wagen; worauf ihm ein Mann sechs Pfennige gegeben hätte. Es war ein Domherr. Möser hatte noch einen Tressenhut auf; an dem mochte der Domherr merken, daß es nicht ein gemeiner Knabe war und sagte ihm daher ernstlich, er möchte wieder nach Hause gehen. Damit wäre er in voller Freude zum Bäcker und mit dem Brode zum Thore, wo er hineingekommen, hinausgelaufen, wo er sich, ohne zu wissen was er thun wollen, auf einen Stein niedergesetzt und sein Brod verzehrt hätte.« – So weit ging seine Erzählung von seinen Schuljahren; dem ich jedoch nach dem Berichte von Andern hinzusetzen muß, daß er zwar flüchtig, schalkhaft und wild, jedoch Alles mit guter Art und bei einem Jeden beliebt gewesen, auch nach der Schule und von seinen Lehrern als ein feuriger Kopf und besonders als ein trefflicher Redner bewundert worden, der Stoff genug zu finden gewußt, um eine Deklamation von zwei Stunden zu halten. Hierin hätte er Alle von seinem Alter übertroffen. In seinem zwölften Jahre hätte er und vorgedachte seine beiden Freunde mit Andern eine gelehrte Gesellschaft errichtet, worin sie sich einer eigenen von ihnen erfundenen Sprache bedient. Sie hätten zu dieser Sprache ihre besondere Grammatik gemacht; Bertling hätte das Wörterbuch geschrieben, er aber die gelehrte Zeitung in dieser Sprache und die Kalender verfertigt und das Siegel der Gesellschaft gestochen. Sie hätten sich zusammen so dieser Thorheit überlassen, daß die Lehrer sie mit allen Schlägen nicht davon zurückbringen können.

Wir sehen in dieser kleinen biographischen Skizze bereits die lebhafte strebsame Natur des angehenden Jünglings, der übrigens mit jedem Jahre sicherer auf der Bahn seiner Bildung fortschritt. Das Haus des Vaters, der als Vorstand eines bedeutenden Gerichtshofs mit den verschiedensten Personen und Verhältnissen des Landes in Berührung kam, war vorzüglich geeignet, den Sohn schon früh auf ernste, vaterländische Interessen hinzuweisen. Aber schon die Gegend und das Ländchen an sich forderte dazu auf. In dem Hochstift Osnabrück, diesem kleinen geistlichen Staate, waren alle Gegensätze und Eigenthümlichkeiten deutschen Lebens so zu sagen auf Einen Punkt zusammengedrängt, und berührten sich dieser Nähe willen um so schroffer. Die protestantische Ritterschaft stand in gespanntem Verhältniß zu dem katholischen Domkapitel und dem katholischen Bischof, die weltliche und geistliche Aristokratie trat wiederum schroff gegen den vielfach bedrückten Bauernstand auf; das weltliche Regiment war theils in geistlichen Händen, das Haus Hannover im Begriff, die unbeschränkte Gewalt an sich zu bringen trotz Kaiser und Reich, und dabei doch in die Nothwendigkeit versetzt, die alten Gerechtsame und echt germanischen Sitten dieses Westfalens zu schonen: das gab so viel Reibungen, die nothwendig den Blick für das historische Recht schärfen mußten. Und an historischen Erinnerungen, die bis zu Karl dem Großen reichten, war ja Westfalen so reich! Ungeheure Steine, in Massen kreisförmig aneinander gereiht oder quer übereinander gethürmt, Opferstätten und Gräber der alten Sachsen, die Burg Wittekinds, noch durch ihre Gräben angedeutet – und das Siegesfeld des großen Karl; nahe bei Osnabrück das alte Kloster Iburg, an Bischof Benno, den Freund des unglücklichen Kaiser Heinrich erinnernd; – eine anmuthige Gegend, von einem Flüßchen durchschlängelt, kein reiches Kornland zwar, doch fruchtbar mit angenehmer Abwechslung von Wald, Wiese und Haide; der Landmann nach altgermanischer Weise inmitten seines Grundstücks wohnend, das den Eichenkamp zur Grenze hat, und noch die alte niederdeutsche Sprache redend; ein Volk, das zäh an alten Ueberlieferungen hängt und auf seine Sitte stolz ist; – die Stadt Osnabrück, in deren Einwohnern ein durch Wohlstand und Gemeingeist genährter Charakter sich erhalten hat, der Dom, Karls des Großen Stiftung, die Domschule, von demselben Kaiser gegründet, ansehnliche Kirchen und Klöster aus ältester Zeit, das Rathhaus, in welchem der Friede geschlossen ward, der den für Deutschland so verhängnißvollen dreißigjährigen Krieg beendete: dies Alles mußte mächtig auf das Gemüth des jungen Möser einwirken und seinen historischen Sinn, seine Richtung auf das Positive entwickeln und fördern. Dazu kam, daß die Abhängigkeit von dem in England regierenden braunschweig-lüneburger Hause auch den Blick früh auf England lenkte, zum Studium der englischen Sprache veranlaßte und somit auch zur Berührung mit englischem Geiste führte.

Um die Rechtswissenschaft zu studiren, bezog Möser in den Jahren 1740-1742 die Universitäten Jena und Göttingen. Sein auf das Leben selber gestellter Sinn konnte mit bloßer Gelehrsamkeit nicht befriedigt werden, zumal in ihrer damaligen höchst pedantischen Form, welche auf einheimische gegenwärtige Verhältnisse gar keine Rücksicht nahm, und in ihrem ebenso erstarrten Geiste, dem in den Formeln der Schule das Leben erstarrte und die Wirklichkeit abhanden kam. Möser war stets tolerant gegen verschiedene Lehrmeinungen; aber er konnte sich nicht des Lächelns enthalten über den Wahn Derer, welche glaubten, mit Theorien das Leben regieren zu können.

Als er von der Universität zurückkehrte, ließ er sich unter die Zahl der Advokaten aufnehmen; aus den Advokaten wurden damals alle Beamten und Richter gewählt, und bei der Verfassung der Gerichte und der Unwissenheit der höheren Stände war ein guter Advokat ein Mann von der höchsten Bedeutung. Bald machte sich der junge Mann durch sein Talent wie durch seine Redlichkeit bemerklich. Er allein wagte es, gegen den damaligen Statthalter, einen stolzen herrschsüchtigen Geistlichen, das Wort zu nehmen, und so oft sich die Gelegenheit bot, das Recht der Unterdrückten dem Domprobst gegenüber vor Gericht zu vertheidigen. Die Ritterschaft erwählte ihn zu ihrem Syndikus, die ganze Bürgerschaft setzte ihr unbedingtes Vertrauen auf Möser, und es war kein erheblicher Rechtsstreit, an welchem er nicht als Rath und Helfer sich betheiligen mußte. Darum ward ihm (schon 1747) die Stelle des advocatus patriae übertragen, in welcher Eigenschaft er alle Rechtsfragen zu behandeln hatte, welche das ganze Land betrafen.

Während Möser zum Richteramt sich durchaus nicht hingezogen fühlte, da es ihm schwer ward, einer Partei entschieden Recht, einer andern entschieden Unrecht zu geben, war er mit Leib und Seele Advokat, der am liebsten das Recht auf beiden Seiten ausglich. Nicht daß er es hätte mit zwei feindlichen Parteien zugleich halten wollen; aber sein scharfer Verstand, seine Allseitigkeit und sein zarter Rechtssinn ließen ihn das Rechte auf jeder Seite unparteiisch abwägen, und dieser Gerechtigkeit willen ward er auch von katholischer Seite mit allem Vertrauen anerkannt. Auch in Mösers Schriften kehrt dieser Zug des Abwägens der Gründe auf der einen und der andern Seite immer wieder, und selbiger war eng verbunden mit seinem Grundsatz der Anerkennung dessen, was thatsächlich bestand.

Der siebenjährige Krieg brachte das Hochstift Münster in eine kritische Lage. Im Sommer 1757 rückte eine französische Armee in's Land und forderte in »freundschaftlicher« Stellung die größten Lieferungen; dann, als die Franzosen (zufolge der Konvention von Kloster Seven) den alliirten Truppen Platz machten, legten diese wiederum »als Freunde« Kontributionen aller Art den Bewohnern auf. Möser als Landesadvokat übernahm die Vermittelung zwischen Militär und Bürgerschaft, und seiner weisen und redlichen Thätigkeit gelang es, dem hartbedrängten Vaterlande bei der Erhebung der Steuern große Summen zu ersparen. Sein guter Humor kam seiner Gewandtheit zu Hülfe. Als er zwei Tage vor dem Geburtstage des Oberfeldherrn, Herzogs Ferdinand von Braunschweig, im Hauptquartiere zu Marburg ankam, schrieb er in wenig Stunden ein feines Kompliment an den großen Feldherrn und schickte es noch am selben Tage in die Druckerei. Es erschien noch zu rechter Zeit unter dem Titel »das Schreiben Joseph Patridgen, Generalentrepreneurs der Winterlustbarkeiten bei der hohen alliirten Armee« und fand die beste Aufnahme.

Am Ende des siebenjährigen Krieges ward Möser im Auftrag der Stände nach London geschickt, um mit den englischen Kommissarien wegen der Lieferungen an die von England besoldete alliirte Armee zu liquidiren und deren Bezahlung zu betreiben. Die Geschäfte nöthigten ihn, acht Monate in London zu verweilen, und diesen Aufenthalt benutzte der stets bildungslustige Mann nach Kräften, die politischen und gesellschaftlichen Einrichtungen und Eigenthümlichkeiten der Engländer gründlich kennen zu lernen. Er verkehrte in ungezwungenster Weise mit Personen aus den höchsten wie aus den niedersten Ständen, mit Staatsmännern, Gelehrten und Künstlern. Des berühmten Schauspielers Hogarth und des Komikers Schütter geschieht in den patriotischen Phantasieen Erwähnung. In Gesellschaft des letzteren verkleidete er sich als Bettler, stieg mit demselben in einen Keller hinab, um eine Anschauung vom high life below stairs Das hohe Leben in den »Kellerzimmern« (treppunter). zu erhalten. »Die Magd, welche uns empfing,« erzählt Möser, »setzte geschwind die Leiter an, worauf wir hinunterstiegen, und zog solche sogleich wieder herauf, damit wir ohne Bezahlung nicht entlaufen möchten. Im Keller fanden wir zehn saubere Tische, woran Messer und Gabeln in langen Ketten hingen. Man setzte uns eine gute Rindfleischsuppe, etwa vier Loth Rindfleisch mit Senf, einen Erbsenpudding mit etwa sechs Loth Speck, zwei Stück gutes Brod und zwei Gläser Bier vor; und vor der Mahlzeit forderte die Wäscherin unser Hemd, um es während derselben zu waschen und zu trocknen, alles für 2½ Pence oder 16 Pfennige unserer Münze, mit Einschluß der Wäsche.« »Das Glück der Bettler« in den Patr. Phantas. Theil I. Nr. 10.

Als der Bischof und Churfürst Clemens August 1761 gestorben war, mußte, einer Bestimmung im westfälischen Frieden gemäß, ein protestantischer Prinz aus dem Hause Braunschweig-Lüneburg der Nachfolger werden. Erst 1763 kam dieser sehr streitige Punkt zur Entscheidung, da die Wahl auf den neugebornen Herzog Friedrich von York fiel, und Möser, der fortan alle Regierungssachen den Geheimen Räthen vorzutragen hatte, wurde damit (wenn auch nicht dem Namen, wohl aber der That nach) der erste Rathgeber des Regenten. Diese Stellung war freilich höchst schwierig, denn es galt zugleich dem Landesherrn, den der König von England vertrat, und den Ständen zu dienen, also oft ganz entgegengesetzte Interessen zu berücksichtigen, und dabei auch das Wohl des Volkes, das in Möser den aufrichtigsten Fürsprecher hatte, nie zu verkürzen. Der seiner Stellung gewachsene Mann besiegte aber alle Schwierigkeiten –

Klug und thätig und fest, bekannt mit Allem, nach oben
Und nach unten gewandt, war er Minister und blieb's –

und als er sein fünfzigjähriges Jubiläum feierte, die osnabrückische Ritterschaft ihren Dank auf wahrhaft großartige Weise ihrem Syndikus abstattete, konnte Möser an Nicolai das schöne Wort schreiben: »Ich kann mit Wahrheit sagen, daß mich in den fünfzig Jahren Vieles erfreut, Wenig betrübt, und Nichts gekränkt hat, ungeachtet ich in besonderen Verhältnissen stehe, indem ich Herren und Ständen zugleich diene, für diese die Beschwerden und für jene die darauf zu ertheilenden Resolutionen gebe, et sic vice versa« Von der Klugheit, die er anwenden mußte, ist in der Vorrede zum dritten Theil der patriotischen Phantasieen die Rede, wo es heißt: »Oft nahm ich denjenigen, die sich in ihre eigenen Gründe verliebt hatten, und sich bloß diesen zu Gefallen einer neuen Einrichtung widersetzten, die Worte aus dem Munde und trug ihre Meinung noch besser vor, als sie solche vorgetragen haben würden; wo sie sich denn entweder mit der ihnen erzeigten Aufmerksamkeit beruhigten, oder etwas von der Liebe zu ihren Meinungen verloren, deren Eigenthum ihnen auf diese Weise zweifelhaft gemacht worden war.« Wenn auch dieses zunächst für die Abhandlungen in den öffentlichen Blättern gesagt ist, die von Möser herrührten, so hat er doch damit eine bedeutende Seite seines Wirkens angedeutet. Denn er verfuhr ganz so in den ständischen Verhandlungen; wenn etwa einige Mitglieder der Ritterschaft allzuhitzig nur ihrem Vorurtheil oder Privatnutzen das Wort redeten, hörte der Syndikus ihnen gelassen zu, faßte dann aber sein Gutachten oder seinen Beschluß so ab, daß er, ausdrücklich diese oder jene Meinung mit einflechtend, doch in Wahrheit etwas Besseres und Vernünftigeres vortrug. So ward viel unnützes Wortgefecht vermieden, wobei nur die Leidenschaften aufgeregt werden.

Auch mit der Geistlichkeit wußte sich Möser gut zu vertragen; wenn er auch mit der starren Dogmatik der damaligen Gottesgelehrten sich nicht in Uebereinstimmung fühlte, so gewann er doch auch der dogmatischen Seite der Religion den Gesichtspunkt ab, von welchem er das Positive der geoffenbarten Religion in seiner großen Wichtigkeit für das sittliche Leben der Menschheit erkannte. Er sprach das tiefsinnige Wort: »Die Religion ist eine Politik, aber die Politik Gottes in seinem Reiche unter den Menschen.« Darum drang er aber auch darauf, daß sie nicht bei der abstrakten Lehre stehen bleiben, sondern in Sitte und Gewohnheit des Volkes eindringen, durch das Selbstgefühl des Bürgers gestützt werden sollte, – darum hielt er so viel auf die Anregung der Ehre als moralisches Hülfsmittel. Als echter Staatsmann hatte er die sittliche Bildung des Volkes stets im Hintergrunde, und die Hebung der materiellen Mittel betrachtete er nur als Mittel zum Zweck.

C. Stüve in seiner Geschichte der Stadt Osnabrück sagt von ihm: »Seit 1764 war Justus Möser das eigentliche Haupt der Verwaltung, und sein klarer Geist wußte die Bedürfnisse und die Mittel so hervorzuheben, daß auch die Stadt Osnabrück, auf die er unmittelbar wirkte, die Frucht nicht entbehrte. Er wußte die Streitsucht der Behörden zu unterdrücken; der Prozeß über den Zuchthausbau wurde verglichen. Dann erweckte er den Sinn für Beförderung des Gewerbfleißes, eines größeren Handels; die grundlos verdorbenen Wege wurden hergestellt, das gemeinschaftliche Hausiren beschränkt, und den Handwerkern Mittel zur Vervollkommnung geboten. Vor Allem erstreckte sich seine Sorge auf das Land; hier den Ackerbau zu befördern, die Leinwandweberei zu heben, durch zweckmäßige Gesetze den Rechtszustand zu sichern und gute Gewohnheiten zu schützen, das waren seine Lieblingssorgen. Und wenn auch manches erfolglos versucht ist – wer kann es verkennen, wie viel hier bewirkt worden!«

Um den Schulunterricht erwarb sich Möser große Verdienste dadurch, daß er den evangelischen Bewohnern katholischer Kirchspiele die Erlaubniß erwirkte, Schulen haben zu dürfen, und zugleich dafür die nöthigen Mittel herbeizuschaffen suchte. Von einer hochgeschrobenen Bildung durch das Wissen war er kein Freund, ihm galt vorzüglich der praktische, gesunde Menschenverstand und das den Menschen in die Schule nehmende Leben selber.

Um das Ehrgefühl in allen Ständen zu wecken, betrachtete er es als die erste Aufgabe des Staatsmannes, das Rechtsgefühl rege zu erhalten. »Der Staat – sagt er – worin der König ein Löwe und alle übrigen Einwohner Ameisen sind, wird niemals einige Neigung für mich haben; nur der, worin man aus der Hütte zum Thron auf sanften Stufen gelangt, und wo nächst dem Könige noch Männer sind, die Rechte haben

Seinen hohen Begriff von der Ehre den Leuten überall deutlich zu machen und einzuprägen, dabei Jedem seinen Stand, seinen beschränkten Kreis so lieb zu machen, daß er sich innerhalb der Schranken doch frei fühlte, war eine Hauptabsicht bei Abfassung der trefflichen Aufsätze, die nach einander im osnabrücker Intelligenzblatt erschienen, und unter dem Namen »Patriotische Phantasieen« so berühmt geworden sind. Die vier ersten Nummern enthielten eine Abhandlung von dem Verfall des osnabrückischen Linnenhandels und den Mitteln, solchem wieder aufzuhelfen; die fünfte » von der nothwendigen Anlage eines spanischen Wollmarktes«; die sechste Nummer brachte die » Spinnstube«. Möser benutzte seine reiche Geschäftskenntniß, seine Welterfahrung, seine Belesenheit, seinen Witz und seine Laune, um seine Mitbürger, indem er ihre besonderen Lebensverhältnisse in's Auge faßte, auf eine ihnen zugängliche und angenehme Weise zu bilden, indem er ihren Gesichtskreis erhellte und ihr Urtheil schärfte, sie für das Gute und Bessere desto williger und empfänglicher zu machen. »Da mich mein Beruf,« so äußerte er sich einmal, »in die glückliche Verbindung gesetzt hat, daß ich jeden guten Vorschlag zur Wirklichkeit bringen kann, so habe ich es auch gewissermaßen nöthig erachtet, die Gemüther zu den Landesordnungen vorzubereiten, die ich nach meinen Grundsätzen entwerfe und zur Ausübung bringe.« Wie Möser überhaupt gerade dadurch als deutscher Mann so groß ist und auf den deutschen Geist seiner Nation so entschieden gewirkt hat, daß er so ganz in das Leben und Weben seines Vaterlandes sich vertiefte, mit kräftigen Wurzeln aus osnabrückischem Boden Nahrung ziehend den germanischen Geist zur Blüthe brachte: so mußten auch jene patriotischen Aufsätze in weiteren Kreisen das deutsche Volksgemüth kräftig anregen, obwohl sie es meist nur mit speciell osnabrückischen Verhältnissen zu thun hatten. Wie lebhaft sich der junge Göthe von Mösers Schriften angesprochen fühlte, wie er, auch von Haus aus eine echt konservative Natur, zu dem älteren Geistesverwandten mit wahrhafter Ehrfurcht emporblickte und ihm in seiner Weise nachzueifern sich bemühte: das hat er uns in »Wahrheit und Dichtung« erzählt und dort in der gelungenen Charakteristik der patriotischen Phantasieen dem Genius Mösers ein unvergängliches Denkmal gesetzt.

»Seine Vorschläge,« sagt Göthe u. A. von Möser, »sein Rath, nichts ist aus der Luft gegriffen und doch so oft nicht ausführbar; deswegen er auch die Sammlung Patriotische Phantasieen genannt, obgleich Alles darin sich an das Wirkliche und Mögliche hält. – Da nun aber alles Oeffentliche auf dem Familienwesen ruht, so wendet er auch dahin vorzüglich seinen Blick. Als Gegenstände seiner ernsten und scherzhaften Betrachtungen finden wir die Veränderung der Sitten und Gewohnheiten, der Kleidung, der Diät, des häuslichen Lebens, der Erziehung. Man müßte eben Alles, was in der bürgerlichen und sittlichen Welt vorgeht, rubriciren, wenn man die Gegenstände erschöpfen wollte, die er behandelt. Und diese Behandlung ist bewunderungswürdig. Ein vollkommener Geschäftsmann spricht zum Volke in Wochenblättern, um dasjenige, was eine einsichtige und wohlwollende Regierung sich vornimmt oder ausführt, einem Jeden von der rechten Seite faßlich zu machen; keineswegs aber lehrhaft, sondern in den mannigfaltigsten Formen, die man poetisch nennen könnte, und die gewiß in dem besten Sinne für rhetorisch gelten müssen. Immer ist er über seinen Gegenstand erhaben und weiß uns eine heitere Ansicht des Ernstesten zu geben; bald hinter dieser, bald hinter jener Maske versteckt, bald in eigener Person sprechend, immer vollständig und erschöpfend, dabei immer froh, mehr oder weniger ironisch, durchaus tüchtig, rechtschaffen, wohlmeinend, ja manchmal derb und heftig; und dieses alles so abgemessen, daß man zugleich den Geist, den Verstand, die Leichtigkeit, Gewandtheit, den Geschmack und Charakter des Schriftstellers bewundern muß. In Absicht auf Wahl gemeinnütziger Gegenstände, auf tiefe Einsicht, freie Uebersicht, glückliche Behandlung, so gründlichen und frohen Humor wußte ich ihm Niemand als Franklin zu vergleichen.«

Wer mit den osnabrückischen Verhältnissen nicht vertraut ist, möchte freilich Manches in den Patriotischen Phantasieen finden, was ihm offenbar den Rückschritt zu predigen scheint. So z. B. vertheidigt Möser die Leibeigenschaft, er setzt auseinander, wie sie sich ganz natürlich hätte bilden müssen und zum Wohl der Hörigen entstanden, von diesen selbst gesucht worden sei. Eine plötzliche Aufhebung eines uralten Verhältnisses herbeizuführen, konnte Mösern um so weniger in den Sinn kommen, als sein praktischer Blick erkannte, wie eine solche Umwälzung gleich schädlich für die Rittergutsbesitzer und unmöglich für die Leibeigenen gewesen wäre. Darum kam es ihm darauf an, die menschliche Seite des Verhältnisses in's rechte Licht zu stellen, auf das hinzuweisen, wodurch die Herren die Lage ihrer Untergebenen verbessern und mildern könnten, und so durch Anbahnung einer milderen Gesinnung die Lösung des Hörigkeitsverhältnisses vorzubereiten. In einem Briefe an Nicolai hat sich Möser hierüber ausgesprochen: »Ich möchte nicht gern in dem Verdacht sein, daß ich das pro und contra über viele Gegenstände hie und da mit bloßem Muthwillen behauptet hätte. Sehr wichtige Lokalgründe haben mich dazu genöthigt, und ich würde gewiß dem Leibeigenthum einen offenbaren Krieg angekündigt haben, wenn nicht das hiesige Ministerium und die ganze Landschaft aus lauter Gutsherren bestände, deren Liebe und Vertrauen ich nicht verscherzen kann, ohne allen guten Anstalten zu schaden. Und Gott sei Dank, ich habe mir mit meinem Vortrage nie einen Feind gemacht, und Manches durchgesetzt, was Andern unmöglich schien.«

Wie Möser mit seinen Patriotischen Phantasieen einer echt deutschen volksthümlichen Literatur die Bahn brechen half, so machte er durch seine osnabrückische Geschichte nicht minder als Geschichtforscher und Geschichtschreiber des deutschen Volks Epoche; denn vor ihm hatte die alte deutsche Geschichte fast nur in der Geschichte der Könige und ihrer Kriege bestanden, und was Cäsar und Tacitus vom Volksleben der alten Deutschen mittheilten, hatte manches Mißverständniß erfahren, weil man die natürliche Beschaffenheit des Landes und die eigentliche Verfassung seiner Einwohner außer Acht ließ. Nun zeigte Möser zuerst an einer einzelnen deutschen Provinz, wie man die deutsche Geschichte dem Volksleben näher bringen und aufschließen müsse, das Neue am Alten und das Alte am Neuen zu messen habe. Möser war es, der nach langer geistiger Erschlaffung als einer der Ersten deutsches Leben, deutschen Sinn und deutsche Kunst so rein auffaßte und würdigte, wie Keiner vor ihm und Wenige nach ihm, der zuerst zeigte, daß das deutsche Volk eine Geschichte habe, und nicht bloß das Reich und die Fürsten? Vgl. das Schreiben des osnabrücker Magistrats in der Broschüre »das Denkmal Mösers in Osnabrück.«

Wenn man die ausgebreitete Geschäftsthätigkeit Mösers erwägt, die allein schon ihren ganzen Mann erforderte, so erstaunt man billig über diese fruchtbare Schriftstellerthätigkeit und noch mehr über die Allseitigkeit der letzteren. Schon im Jahre 1761 hatte Möser zu Hamburg eine kleine Schrift erscheinen lassen unter dem Titel: Harlequin oder Verteidigung des Grotesk-Komischen, worin er mit ebenso großer Laune als Menschenkenntniß die lustige Person in Schutz nahm, die ein verkehrter Gottsched'scher Geschmack gänzlich von der deutschen Schaubühne verbannen wollte und überzeugend darthat, daß das Possenspiel noch keineswegs veraltet sei und daß auch für den Weisen der Frohsinn und das Lachen nicht unziemlich sei.

Als Voltaire in seiner leichtfertigen Weise Luthers Reformationswerk angriff, verfaßte Möser (französisch) sein »Sendschreiben über den Charakter Dr. M. Luthers« an Voltaire. Durch den Brief Friedrichs des Großen an seinen Minister Herzberg, worin sich der König geringschätzig über deutsche Sprache und Literatur äußerte und dadurch mit Recht den Unwillen jedes patriotischen Deutschen erregte: sah sich Möser veranlaßt, sein »Schreiben über die deutsche Sprache und Literatur« erscheinen zu lassen, das zu den kürzesten und besten Schriften gehört, welche bei dieser Gelegenheit herauskamen.

So wirkte der deutsche Mann nach allen Seiten hin groß und würdig in die Nähe und in die Ferne, dem leider nur zu tief gewurzelten deutschen Philisterthum den Krieg erklärend. Auf seine Ungezwungenheit, Allseitigkeit, tiefe Kenntniß des menschlichen Herzens wirkte ohne Zweifel höchst günstig sein freundschaftlicher Umgang mit vorzüglichen Frauen. Seine Gattin selber war ausgezeichnet durch Geist und Willenskraft, die sie auch auf den, übrigens von ihr grenzenlos verehrten Gatten übte. Zu Mösers vertrautesten Freunden gehörte der Domherr von Bar, dessen Epitres diverses (3 Bde.) auf jeder Seite den scharfblickenden Menschenkenner und wohlwollenden Menschenfreund verrathen. Derselbe hatte eine Tochter, die zu den Zierden ihres Geschlechts gehörte und in deren Umgang Möser die genußreichsten Stunden verlebte.

Die gediegene innere Persönlichkeit Mösers ward mächtig unterstützt durch sein Aeußeres. »Er war von mehr als gewöhnlicher Größe, so sehr, daß sich sein Vater nicht getraute, ihn vor dem Jahre 1740 außer Landes auf eine hohe Schule zu schicken, bis König Friedrich Wilhelm I. von Preußen gestorben war, welcher bekanntlich glaubte, auf alle Jünglinge, deren Körperlänge 5 Fuß 7 Zoll überstieg, ein göttliches Recht zu haben, sie seiner Grenadiergarde einzuverleiben. Er war stark von Gliedern, alle im äußersten Wohlverhältnisse. Sein Gang war fest, nicht schwankend, nicht stattlich, nicht übereilt. In seinem Angesicht war eine Übereinstimmung von Treuherzigkeit und Würde ohne Anmaßung, von Verstand, vereinigt mit Fülle und Feinheit der Empfindung, die sich nicht beschreiben läßt, aber Jedem Zutrauen zu diesem Gesicht einflößte. So schildert ihn Nicolai, dem er einst selber schrieb, daß er 6 Fuß 9 Zoll rheinl. Maaß halte. Frau Johanna Schopenhauer, welche im Jahre 1787 in Pyrmont mit Möser zusammentraf, erzählt in ihren »Wanderbildern«: »Die Natur hatte ihn mit ihren edelsten Gaben verschwenderisch beglückt, und Kränkung, Kummer und Sorge waren seinem für Andrer Wohl unermüdlich thätigen Leben immer fern geblieben. Er stand, als ich ihn kennen lernte, schon in seinem 67sten Jahre, und hatte noch nie erfahren, was Schmerz und Krankheit sei. Das vollkommenste Ebenmaaß seiner ungewöhnlich hohen, vom Alter ungebeugten Gestalt, seine sichere und kräftige Art sich zu bewegen, der zugleich heitere und würdige Ausdruck seines edlen Gesichts zog alle Herzen zu inniger Verehrung gegen ihn hin, und zeichnete unter Hunderten ihn aus. So war er im Aeußern, das mit seinem Geiste wie mit seinem Gemüthe in vollkommenster Harmonie stand, wie unsere Welt sie selten aufzuweisen vermag. Was sein besonderes Wohlwollen auf mich gerichtet, weiß ich nicht; es war wohl nur die Gunst des Augenblicks, aber er gab gern und viel und täglich sich mit mir ab. Wie stolz war ich, wenn die Leute uns beiden nachsahen, indem wir die Allee auf- und abspazierten! Seine sehr hohe und meine sehr kleine Gestalt mögen sonderbar genug mit einander kontrastirt haben; auch führte er mich gewöhnlich, wie ein kleines Kind, an der Hand, weil es mir zu unbequem war, meinen Arm bis zu dem seinigen zu erheben. God bless the tall gentleman! hatten die londoner Blumen- und Gemüseverkäuferinnen ihm nachgerufen, wenn er über den Covent-garden-market ging.«

Die freie gutmüthige Ironie, mit welcher Möser die Gegenstände des gewöhnlichen Lebens behandelt, seine Art, sich in Alles zu schicken und jedem Dinge die beste Seite abzugewinnen, machten ihn zum überall gern gesehenen Mittelpunkte der Gesellschaft. Er wußte in der höchsten wie in der niedrigsten Gesellschaft ein frohes Behagen um sich zu verbreiten; wenn er den Landmann in seiner von ihm so trefflich geschilderten Wohnung Vgl. die Beschreibung eines osnabrückischen Bauernhauses, die auch in der osnabrückischen Geschichte einen Platz gefunden hat. besuchte und sich in dem alten hölzernen Lehnstuhl am niedrigen Herd niederließ, kam er alsbald mit dem Hauswirth in ein so vertrautes Gespräch, als hätte er stets mit dem Volke gelebt und dessen Bedürfnisse und Wünsche an sich selber erfahren. »Es gereicht uns (heißt es in den Patr. Ph. 4, Nr. 5) nicht zur Ehre, wenn wir mit dem niedrigsten Stande nicht umgehen können, ohne unsere Würde zu verlieren. Es giebt Herren, welche in einer Dorfschenke am Feuer mit vernünftigen Landleuten, die das Ihrige nicht aus der Encyklopädie, sondern aus Erfahrung wissen, und aus eigenem Verstande wie aus offenem Herzen reden, allezeit größer sein werden als orientalische Prinzen, die, um nicht klein zu scheinen, sich einschließen müssen.«

Einst, da Möser bei einem jüngeren Verwandten zu Mittag speiste und dieser einen Landmann, der mit einem Anliegen kam, abwies, »weil er jetzt keine Zeit habe,« sagte Möser ernst: Du bist verpflichtet, ihn zu hören, denn dem Bauer sind seine Stunden kostbar und er kann nicht seinen Weg zwei Mal machen, lediglich um den Städter in Genuß und Bequemlichkeit nicht zu stören. Mösers Dienerschaft konnte nicht genug die Milde und Freundlichkeit (die freilich auch zuweilen in Schwäche ausartete) ihres Herrn preisen. Ein junges Mädchen, dem Vater und Mutter gestorben war, fand Aufnahme in Mösers Hause. Diese erzählte noch gern als hochbejahrte Frau: sie sei am ersten Mittag über Tisch, an dem sie mit dem Hausherrn und dessen Familie gespeist, eingeschlafen; denn sie habe die eben gestorbene Mutter während ihrer letzten Nächte verpflegt. Darüber hätten die Frauen am Tische gelacht und sie sei so aus dem Schlafe geweckt. Möser aber hätte ernstlich es ihnen verwiesen, sie selbst an seine Seite gerufen, sie mit liebevollen Worten beruhigt und ihr von seinem Wein zu trinken gegeben, da sie Stärkung bedürfe. Seit der Zeit habe sie immer Abends seinen Wein nebst Biskuit in sein Arbeitszimmer bringen müssen, und von letzterem habe er ihr jedes Mal etwas abgegeben.

Mösers höchst gastfreies Haus stand jederzeit den Freunden und Bekannten offen. Es war ein großes, würdig und wohnlich gebautes Haus, von Vorhof, einem mit Bäumen bepflanzten Grasplatz, Garten und Stallung umgeben. Ein anständig und bequem eingerichtetes Seitengebäude war zur Aufnahme von Gästen bestimmt, die ohne allen Zwang ganz ihrem Belieben nach gehen und kommen und nicht genug den freundlichen Hauswirth preisen konnten. Ueber der Thür des Gastflügels standen die bezeichnenden Worte: Pusilla domus, at quantulacunque amicis dies noctesque patet (Armselig ist das Haus zwar, aber es steht am Tage und in der Nacht den Freunden offen). Als nämlich beim Bau des großen Hauses mehrere kleinere weichen mußten, und eins der letzteren einen Stein mit jener Inschrift über seiner Hausthür hatte, bestand Möser darauf, den Stein zu erhalten und an seiner Gastwohnung anzubringen, obwohl der Name des früheren Besitzers noch darauf eingegraben war.

Möser hatte das Unglück, daß sein einziger sehr hoffnungsvoller Sohn im zwanzigsten Jahre auf der Universität zu Göttingen starb. Doch ward ihm der herbe Verlust fast ersetzt durch die innige Liebe seiner Tochter, der Frau von Voigts, die namentlich nach dem Tode seiner Gattin (1781) alle Sorgfalt und Pflege anwandte, welche nur die zärtlichste Liebe gewähren kann, um sein Leben zu versüßen. Sie bewohnte zuletzt das Haus ihres Vaters und war dessen rechte Hand. Nächst ihr war der Enkel seines vertrauten Freundes, der Kanzleirath von Bar, ihm bis in den Tod mit unwandelbarer Ergebenheit zugethan. Diesen und die Kinder seiner geliebten Schwester betrachtete er wie seine eigenen Kinder, und verlebte in ihrer Mitte die heitersten Tage. Aber wie vielen Anderen war er ein Vater! Bei der Einweihung des ehernen Standbildes, das ihm die dankbare Stadt Osnabrück errichtete (am 12. September 1836), hielt auch der Oberappellationsrath Gruner eine Rede, worin er sagt: »Möser war der langjährige Freund meiner Eltern; er war mein zweiter Vater. Er nahm, als mein Vater den Seinigen durch einen zu frühen Tod entrissen worden war, der hülflosen Wittwe, der zahlreichen unmündigen Kinder Unter ihnen war auch Justus Gruner, der im Befreiungskriege sich auszeichnete. seines verblichenen Freundes auf das wärmste sich an; er verschaffte mir die Mittel zum Studiren; er nahm, nach der Rückkehr von der Akademie, mich liebevoll in sein Haus und in seine nähere Gesellschaft auf; er verschmähete es nicht, im Gespräch mich zu belehren und auch auf diese Weise noch für meine weitere Ausbildung zu sorgen. Ihm verdanke ich – ich bekenne es laut und öffentlich – meine ganze bürgerliche Existenz.«

Bei herannahendem Alter empfand Möser öfter eine Art von Krämpfen, die einige Tage anhielten; er schrieb sie einem kalten Bade zu, das er einst genommen hatte und war seitdem überzeugt, daß die kalten Waschungen durchaus nicht für Jedermann taugen. Darin mochte er Recht haben, aber in seinem Prinzip, daß die Natur von innen heraus arbeite, um das Gleichgewicht einer gestörten körperlichen Oekonomie wieder herzustellen, ging er offenbar zu weit. Er glaubte nämlich, Ruhe sei das einzige Erforderniß, um wieder gesund zu werden und so streckte er sich, wenn er unpäßlich war, horizontal auf dem Rücken liegend aus, und wartete geduldig oft mehrere Tage und schlaflose Nächte, bis ein Uebel beseitigt war, das vielleicht ein einfaches Arzneimittel in wenig Stunden gehoben hätte. Erst in seiner letzten kurzen Krankheit erkannte er seinen Irrthum; es stellte sich ein Schweiß ein, den er anfangs für eine wohlthätige Anstrengung der »von innen heraus arbeitenden« Natur hielt. Als er aber merkte, daß es Todesschweiß war, sagte er in Bezug auf seinen öfteren Streit, den er mit den Freunden über diese seine Hypothese geführt hatte, ganz ruhig: »Ich habe den Prozeß verloren!« Nachdem er noch einige nöthige Aufträge ertheilt und seiner vortrefflichen Tochter für alle Beweise ihrer Zärtlichkeit hatte danken lassen, äußerte er: »Ich bin nun müde und will schlafen.« Er entschlief zum sanften Todesschlummer.

Bei seiner Beerdigung zeigte sich auf rührende Weise, welche warme, liebevolle Verehrung der Hingeschiedene bei allen Ständen ohne Ausnahme genoß; von weit her waren die Landleute gekommen, um ihrem verehrten Sachwalter die letzte Huldigung darzubringen. In der Marienkirche zu Osnabrück deckt ein einfacher Stein seine Gruft, und schon bei seinen Lebzeiten hatte er sich die Grabschrift gewählt: » Patri – filia unica – cum marito suo posuit.« (Dem Vater legte den Denkstein die einzige Tochter mit ihrem Gatten.)

Er starb am 8. Januar 1794, nachdem er noch den Beginn der französischen Revolution, nicht aber den Umsturz der deutschen Verhältnisse erlebt hatte. Kein Freund von Titeln konnte er es schicklicher Weise doch nicht hindern, daß ihm 1783 der Titel »Geheimer Justizrath« zu Theil ward. Das Patent lautete:

»Wir Friedrich von Gottes Gnaden Königlicher Prinz von Großbritannien, Frankreich und Irland, Bischof zu Osnabrück, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg etc.

Urkunden und bekennen hiermit, daß Wir Uns bewogen gefunden haben, Unseren Rath und Referendarium bei Unserer Regierung in Osnabrück, Justus Möser, zu Bezeugung Unserer besonderen und vorzüglich gnädigen Zufriedenheit über die Uns und Unserem ganzen Lande geleisteten treuen und ersprießlichen Dienste zu Unserem Geheimen Justizrath und Geheimen Referendarium zu ernennen.

Thun das auch Kraft dieses also und dergestalt, daß Wir ihm zugleich den Rang Unseres Vizekanzlers dergestalt beilegen, daß beide solchen nach ihrem Dienstalter zu nehmen haben sollen. Urkundlich Unserer eigenhändigen Unterschrift und Insiegels.

Gegeben Hannover 16. August 1783.

Frederick.


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