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Diesmal erinnerte ich mich daran, was mir mein früherer Pfarrer gesagt hatte, daß eine Schule keine Bettlerkutte sei, an der es gleichgültig sei, wo einer zu pletzen anfange, hinten oder vornen. Der vorige Schulmeister war gestorben, und wenn er auch da gewesen wäre, so hätte er doch kaum mich so unbefangen berichten können über die Schule und die übrigen Verhältnisse, wie ein unparteiischer Drittmann. Von den Leuten im Dorfe sah ich niemand dafür an, mich ins Klare setzen zu können. Sie bekümmerten sich so durchaus nicht um mich und die Schule, daß es mich fast mühen wollte trotz aller meiner Ergebung. Ich wußte daher nichts besseres als zum Pfarrer zu gehen, der mir am Examen ein freundlicher Mann geschienen hatte, der sich der Schulen annahm.
An einem Abend machte ich mich auf zu ihm. Es war ungefähr eine halbe Stunde weit. Auf dem Moose erhob sich weißlich der Nebel, in den Bäumen spielte ein leiser Wind und löste die sterbenden Blätter; sie flatterten trübselig nieder von ihrem lustigen Baume in ihr düsteres Grab.
Auf einzelnen Birnbäumen spielte lüftig das Eichhörnchen und dachte kaum an die kümmerlichen kommenden Tage, wo es erbärmlich frieren und mühselig an harzichten Tannzapfen gnagen müsse. Darum freute es sich während der Tage der Freude; war es doch genug, wenn es trauerte während der traurigen Tage, Es kannte den Kummer nicht, die Plage des Menschen, der so viel wissen will als Gott, der Gott nicht traut. Und aus dem Holze trat der Ammann mit noch einem, die Art im Arm; sie hatten Holz verzeigt. Als der Ammann hörte, daß ich zum Pfarrer wolle, sagte er: »Du kannst gehen, wenn du willst; aber wenn du so ein D... Predikante-Chychi gibst, so einer, der alles kläfelet, wie der vorige war, so sieh zu, wie es dir geht, du wirst es erfahren. Wir geben den Lohn und der Pfarrer hat uns nicht e D... k zu befehlen. Natürlich versprach ich mich, und sagte, wie Wilhelm Tell dem Geßler, das sei Schulmeisterbrauch, und er solle es nicht zürnen; ich werde nichts klafelen und nichts mir angeben lassen, was ihnen nicht anständig sei. »Gang ume«, sagte er, »aber tue was d' machst.« Er ging seiner Wege, ich sah ihm verdutzt nach und ein Eichhörnchen sprang vor ihm über den Weg. Was doch für ein Unterschied ist zwischen einem Ammann und einem Eichhörnchen!
In freundlichen Bäumen lag das freundliche Pfarrhaus, und freundlich grüßte mich der Pfarrer über die Gartenwand, wo er eben graue Ankenbiren abnahm, alle Säcke voll hatte und auf seinen Bübel wartete, der mit einem vollen Körbchen hineingegangen war und mit dem leeren nicht wieder kommen wollte, so daß der Papa einmal über das andere sagte: wo bleibt doch mein Bub? Aber der Papa konnte lange warten; denn als man den Schaden umsah, saß der Bübel auf einem Zwetschenbaum und hatte den Herrn Papa rein vergessen.
Nachdem der Pfarrer seine Säcke geleert hatte, führte er mich in seine Stube, wo es etwas unordentlich aussah und erst einige Stühle abgeräumt werden mußten, wenn wir uns setzen wollten. Er war ein Mann in seinen besten Jahren, noch nicht vierzig, mit sprechenden Zügen, lebhaft in allen seinen Bewegungen, und immer ungeduldig, bis er zum Worte kam; und wenn er es einmal ergriffen hatte, so konnte ein anderer zusehen, wie er auch zu einem kommen wolle. Er konnte also viel besser reden als anhören. Das ist ein Fehler, den gar viele Leute haben, aber es ist ein einflußreicher Fehler. Er macht, daß man nichts vernimmt, was die andern wollen und denken, die anderen aber kundig werden all unserer Vorhaben und Gedanken gewöhnlich zur Unzeit.
Der Pfarrer sagte: es sei brav von mir, daß ich zu ihm komme, und nicht meine, keinen Rat nötig zu haben, wie es heutzutage so viele gebe, »Schulmeister«, sagte er, »ich habe im Brauch, einen jeden Schulmeister, der neu in die Gemeinde kommt, mit den Leuten und ihrem Charakter bekannt zu machen, so gut ich kann; das erspart viel Zeit und viel Verdruß. Freilich hat mir das schon manchen Verdruß zugezogen.
»Es gibt zwei Schlüssel zum Menschenherzen, die es vor allen andern aufthun, Liebe und Zorn. Wenn einem Schulmeister Liebe erwiesen wird und Ehre, man ihm aufstellt, ihn rühmt, daß ihm der Kopf schwindelt, daß er lauter gute Leute um sich sieht, – wer will es ihm übel nehmen, wenn ihm das Herz voll wird und aufspringt und er sagt: ich hätte nicht geglaubt, daß es solche Leute hier gebe; der Pfarrer hat mir etwas ganz anderes gesagt; ich kann nicht sagen, wie es mir Kummer gemacht hat u. Und wenn man einen andern böse macht und verfolgt, so bricht der Zorn ihm den Mund auch auf und er schreit: »»Ich habe es schon lange gewußt, daß es so kommen werde; der Pfarrer hat es mir von Anfang an gesagt, wie es mir gehen werde, und was ihr für Leute seiet; man kennt euch weit und breit.««
»Von diesen Herzensergießungen hat dann natürlich der Pfarrer den Schmutz auf dem Ärmel.
»Und doch thue ich es immer wieder und hoffe, Schulmeister, ihr werdet von meiner Rede keinen Mißbrauch machen.« Nachdem die üblichen Versicherungen gegeben worden, machte er mir folgende Mitteilungen.
»Mit den Gytiwyleren bin ich am Hag und weiß gar nichtsmehr mit ihnen anzufangen. Als ich sie zuerst sah, freute ich mich der Hoffnung, da den rechten Boden für alle möglichen Verbesserungen zu finden. Der Boden vortrefflich, die Eigentümer reich, wenig Lasten, und dazu sahen sie so stattlich und verständig aus, daß ich lauter Kleinjoggs in ihnen erblickte. Ich kam mit einer Hütte voll Verbesserungen im Kopf, und dachte, am klügsten sei es, mit dem anzufangen, was dem Landmann am nächsten liegt. Ich machte mich traulich an meine Gytiwyler, beklagte sie wegen ihrer zerstreuten Äcker, wegen ihres Mooses, sprach ihnen von Mergel, Teichen, neuem Pflügen u. Ich bot ihnen meine Dienste an zu Vermessungen ihrer Äcker, damit sie zusammen tauschen, jeder sein sämtlich Land in ein Stück bringen könne. Das würde so komode Höfe geben; darauf könnten sie dann ihre Häuser bauen, auf alle Fälle viel leichter arbeiten. Sie hörten mir mit weiten Augen zu, ich meinte, gar andächtiglich, aber sagten nichts. Als sie immer nicht anfangen wollten, trotzdem daß ich sie immer buchtete, und ich immer ungeduldiger in sie drang, sagte mir endlich einer: »»Loset, Herr Pfarrer, mit dem löt is rüihig; darus git's nüt, u die Lüt, wo felligs i dBüecher schrybe, sy nit geng halb so witzig, as me glaubt, u wüsse selber mengisch nüt vo dem, wo si schrybe.««
»Es seien die Felder verschieden, wollte er mir erklären; das eine trüge dies lieber, ein anderes etwas anderes; auf dem einen sei Wasser, auf dem anderen keines. Was für Kosten das Tauschen bringen würde und vollends das Bauen! Und wenn man nicht bauen wolle, wer wollte dann alle seine nähern Stücke Land weggeben und an den Enden eines Feldes all sein Land zusammenbringen? Da würde man ja weit mehr Zeit verlaufen als jetzt. Das müßt ihm ein lustig Grasen und Bohnengwinnen und Kabisbschütte geben. Und wenn einer auch bauen wollte, was sollte er machen, wenn er kein Wasser habe, kein Kleeland, keine Bäume? »»Da löt ume lugg, Herr Pfarrer!«« sagte er. Aber das ärgerte mich, daß sie nicht glauben wollten, was doch so deutlich geschrieben stand; daß sie nicht versuchen wollten, was doch so leicht schien. Ich fing nun selbst an zu bauren, ließ fahren, düngen, Teiche graben, Mergel suchen u. und demonstrierte den Menschen des langen und breiten vor, wie großen Gewinn das gebe. Sie sahen mir zu, rührten sich nicht, lächelten auf den Stockzähnen, und am Ende mußte ich das Bauren aufgeben, wenn ich nicht einen Lump abgeben wollte. Ein einziges guckten sie mir ab: sie ließen nach und nach größere Bschüttlöcher machen und leerten sie immer fleißiger.
»Ich dachte, man müsse die Leute aufklären, um sie weiser und besser zu machen und alle ihre Zustände vernünftiger einzurichten. Ich brachte viel gemeinnütziges in meinen Predigten an, ich bot allerlei Bücher aus; aber damit kam ich ungelegen. Die einen nahmen sie ab, aber gaben sie ungelesen zurück, und andere sagten: »»Herr Pfarrer, üserein het nit Zyt z'lese; we me dr ganz Tag am Wetter isch, su schläferet's eim am Abe, u für a-me-ne Sundt hei mr dBible u mengisch no ds Wucheblatt, wo me luege cha, was am letzte Zyste dr Cherne u dr Rogge gulte hei.««
»Da war auch nicht der fernste Trieb zu erwecken, daß einer mehr zu wissen begehrte als er wußte, oder als der andere. Sie hielten auf einander mit unbändigem Eifer, wer am meisten Land, am meisten War, am meisten Garben, den schönsten Zug und den größten Misthaufen hätte; aber für alles andere hatten sie keinen Sinn und lachten mich natürlich aus, ließen mich aber machen, da mein Treiben sie mehr lächerte als belästigte. In die Predigt kommen sie fleißig am Sonntag und sitzen stattlich da; allein ich habe noch nie gemerkt, daß eine Predigt sie angerührt hätte, außer wenn sie glauben, ich stichle auf sie. Wie sie pünktlich den Zehnten zahlen, so machen sie dem lieben Gott des Sonntags auch fleißig ihre Visite, damit er den Regen nicht spare und die Sonne nicht, jedes zu seiner Zeit.
»Da ich mit den Alten nichts mehr anzufangen wußte, so beschloß ich, mich mit aller Zeit und Kraft auf die Bildung der Jugend zu werfen, und von da aus zu helfen. Zum Glück war der verstorbene Schulmeister gerade gekommen, ein feuriger, thätiger Mann, lernbegierig und ohne Blatt vor dem Munde. Der ging in meine Pläne nicht nur ein, sondern ihnen voran. Zum Unglück fanden wir aber zu ihrer Ausführung manches nötig. Das Schulhaus war so elend und klein, daß es durchaus neu gebaut werden sollte. Uns fehlten Lesebücher, Wandtafeln, und an den Kinder war's auch, noch dieses oder jenes Lehrmittel anzuschaffen. Auch fand ich den Lohn des Lehrers zu gering bei der großen Arbeit, die er, hatte, die sich immer noch vermehrte. Für dieses alles mußte man die Gemeinde ansprechen; aber ich hatte keinen Zweifel daran, daß es nicht gehe. War doch die Gemeinde reich, hatte lange keine Extra-Auslagen gehabt, war alles so nötig und geschah alles für ihre Kinder, daß ja kein vernünftiger Mensch etwas dawider haben konnte. Aber potz tausend, wie guselten mir da in ein Wespennest! Im Anfang lachten uns die Leute nur aus und glaubten, es sei nicht Ernst; als wir aber nicht nachließen, da schlug das Feuer auf. Da mußte man Reden hören, die ich nicht wieder sagen mag, und jeder Kreuzer wurde abgeschlagen. Sie hatten zu essen und zu werchen, hieß es; ihre Kinder sollten keine Herren werden. Was trüge das den Kindern ab, wenn die Alten verlumpen, um die Kinder etwas lernen zu lassen? Das sagten die gleichen Leute, die im Stande waren 60 bis 100 Kronen an eine einzige Kleidung einer Tochter zu wenden, wenn es galt sich zu zeigen. Man habe noch nie gesehen, daß einer aparti guet ghuset habe und deswegen mehr vorgestellt, wenn er schon geschickt geworden sei; man solle nur die Schulmeister ansehen, was das für Hungerleider seien.
»Sie werden auch gerne etwas, stellen gerne großes vor, halten es für eine Ehre, im Chor zu sitzen und den Mantel zu tragen; aber zu dieser Ehre kömmt man nicht durch Geschicklichkeit, sondern durch den Reichtum. Wer das meiste Land und den größten Misthaufen hat, dem wird die größte Ehre angethan, er mag nun daneben können, was er will; ja er kann Amtsrichter werden, ohne Geschriebenes lesen zu können.
»Da sie also alles möglich werden konnten und reich obendrein, da ihre Söhne reiche Weiber erhielten, ihre Töchter reiche Männer, und nie gefragt wurde: kannst du lesen oder schreiben, sondern: wie viel 1000 Pfund vermagst, wie viel Land hast, wie viel bist schuldig, oder wie viel hast Usgleues? wie groß mußte ihnen also die Unvernunft vorkommen, Auslagen von ihnen zu verlangen, die nichts abtrugen?
»Bei dieser Gelegenheit wurde über die Gemeindsverwaltung so manches gesprochen, und die Verhältnisse der Mächtigern zu den sogenannten Untergebenen schienen so seltsamer Art zu sein, daß weder der Schulmeister noch ich uns enthalten konnten, Worte darüber fallen, merken zu lassen: wenn man besser verwalten würde, so wüßte man schon Geld zu finden, ohne daß es den einzelnen beschwerlich fiele.
»Nun ging erst das Feuer recht auf. Die kleinern rührten sich; aber sie brachten nichts ab, als daß der ganze Haß auf den Schulmeister fiel und auf mich. Der Schulmeister litt am meisten darunter, Schweigen konnte er nicht, nicht ruhig annehmen, was ihm gesagt und gethan wurde. Der Groll wurde alle Tage neu, verzehrte seine besten Säfte, machte ihn auch reizbar in der Schule, und je reizbarer er wurde, desto mehr wurde er von den Eltern der Kinder verfolgt, bis endlich eine Auszehrung sich bildete, die seinem Leiden ein Ende machte.
»Mich traf freilich die Verfolgung weniger; allein ich mag nun vorbringen was ich will, so richte ich nichts aus, sondern ich erhalte immer die gleiche Antwort: Mr thüe's nit. Ich gebe zwar nicht ab; bei jeder Gelegenheit suche ich sie zur Gemeinnützigkeit zu gewöhnen, und wenn sie doch nichts für ihre Schule thun wollen, so sammle ich bei außerordentlichen Gelegenheiten Steuern; aber mir scheint, sie werden allemal unwilliger und geben allemal weniger.
»So, Schulmeister, bin ich am Hag mit diesen trocknen, kalten, unbeweglichen Menschen, und weiß gar nicht mehr, wo sie packen. Es thut mir leid, daß es so ist, daß ich euch nicht besser unterstützen kann; aber sobald ich ein Wort für euch reden würde, so wäre die ganze Gemeinde gegen euch. Ich wollte euch das ganze Verhältnis vor Augen legen, damit ihr mich nicht mißdeutet und in gutem Eifer die alte Geschichte wieder aufwärmet. Ich weiß euch keinen besseren Rat, als in aller Stille eure Pflicht zu thun, euch so wenig bemerklich zu machen als möglich, mit eurem geringen Lohn auskommen zu suchen und niemand lästig zu fallen. Kann irgend etwas sie euch gewinnen, so ist es, wenn ihr huset und arbeitet; vor einem guten Husmann haben sie hundertmal mehr Respekt als vor einem guten Schulmeister. Die Schule ist wie die meisten andern Schulen beschaffen. Auswendiglernen ist die Hauptsache; doch hat es der vorige Schulmeister durchgesetzt, daß nicht nur die Reichsten rechnen und schreiben dürfen, sondern wer will. Den letzten Examenrodel habt ihr hier, der wird das nähere ausweisen.
»In der Schule wurde eine scharfe Zucht gehalten. In der letzten Zeit war sie nur zu scharf, durch den beständig gereizten Zustand des Lehrers. Wenn ihr nun mehr Liebe der Strenge beimischt und mit Freundlichkeit zu wirken versucht, ehe ihr die Rute braucht, so werdet ihr mit den Kindern schon zurecht kommen. Nur hütet euch ja, den Kindern etwas über die Eltern zu sagen oder Pflegeltern. Bringen die Kinder auch Schläge heim, so werden die wenigsten sich beklagen; sie sind ihnen nicht ungewohnt. Aber wenn sie ein Wort auflesen können, das auf die Alten gestochen ist, so werden sie es hinterbringen samt den Schlägen, weil sie gleich glauben, der Schulmeister habe sie eigentlich der Alten und nicht ihretwillen gezüchtigt. Dann ist das Wetter los.
»Seht, Schulmeister,« schloß der Pfarrer, »daß ich es wahrhaft gut mit euch meine; sonst hätte ich euch das alles nicht gesagt. Meinet ihr es auch gut, so wollen wir zusammenhalten; denn wir arbeiten an einem Werke. Es freut mich allemal, wenn ein Schulmeister kommt aus Ernst zu der Sache. Aber freilich manchen fertige ich kurz ab, wenn er bei mir nur allerlei vernehmen will, um es weiter zu sagen, oder mir vorwärts den Hof macht, um dann mit seinen Bauren über mich zu lachen; oder nur allerlei klagen, aber keinen Rat hören will; oder zu mir kömmt, um dann seine eigenen Dummheiten damit entschuldigen zu können: er sei beim Pfarrer gewesen und der wolle es so, er habe es ihm angegeben.«
Ich dankte dem Pfarrer, ward auch offen gegen ihn und wir schieden als gute Freunde. Das mir enthüllte Verhältnis füllte meinen Kopf.
Ich weiß nicht, ob es allen Menschen geht wie mir. Wenn meine Einbildungskraft einmal Funken gefaßt hat, so lodert sie auf und spiegelt nun, ich kann nicht sagen Gedanken, sondern nur Bilder mir vor, über deren Anschauen ich weder sehe noch höre. So zeigte sie jetzt mir die Gytiwyler, ihre Kinder, die Schule, meine Bedrängnis, aber auch mein festes, stilles Betragen. Und wie die jüdischen Propheten von der Schilderung des moralischen und des darauf folgenden körperlichen Elendes sich am Ende aufschwangen zu den messianischen Zeiten voll Glück und Herrlichkeit, so träumte auch ich von gebesserten Menschen, einem neuen Schulhause, Wandtafeln in allen Ecken und einem stattlichen Schulmeister, der neben dem Ammann auf der Bank vor dem Hause Tabak rauchte, von dem das Päcklein nicht bloß 3, sondern 6 Xr. koste. Solche Träume sind aber einem Wandelnden nicht günstig, wenn er im Herbstnebel einen nur einmal gemachten Weg geht. Ein Brücklein, auf dessen unebenen Brettern ich stolperte, brachte mich zur Besinnung. Ich erinnerte mich, über keine solche Brücke gegangen zu sein. Es dünkte mich, ich müsse schon lange gegangen sein und doch sah ich keine Anzeichen eines Dorfes; die Gegend, so weit der Nebel sie sehen ließ, war mir unbekannt, Sterne waren keine am Himmel, wie man zu sagen pflegt nach der Übung des Menschen, das Dasein dessen, was er nicht sieht, in Abrede zu stellen. Da ist's aber böse, sich zurechtzufinden, wenn man nicht weiß, wo man ist und nicht um sich sieht; das erfahren viele Menschen und namentlich Politiker unserer Zeit. Die mahnen mich, beiläufig gesagt, gar oft an solche, die Blindekuh spielen und denen man Wespern beizt ringsum. Die doopen nun mit ihren ungeschickten Händen hier in eine Wespern, dort in eine, und wenn sie gestochen werden, schlagen sie mit der Faust darein und doopen in eine andere, bis sie alle aufgestöbert haben und die Wespen von allen Wespern wütend über den ungeschickten Doopi herfahren. Der führt nun auch wütend herum; aber was hilft ihm Wut und Größe gegen aufgestöberte Wespen?
Ich wußte auf meinem Brückli gerade so viel, wo Gytiwyl lag, als jener Schulmeister auf einer Karte von Europa, wo die Schweiz sei, der daher sagte: der Kanton Bern sei gerade hinger dra. Es ist eine bedeutende Verlegenheit für einen Menschen, wenn er nicht nur zwei Wege vor sich hat, sondern vier Weltgegenden und in jeder Gegend der gesuchte Ort sein kann und nicht sein kann.
Da ich kein Weib zu Hause hatte, so ertrug ich mein Verirren viel gemütlicher als mancher Mann, den seine Frau beißt oder kratzt, wenn er eine Viertelstunde länger ausbleibt, als sie in ihrem Kopfe hat. Aber etwas graulich war mir doch in dem dunkeln Nebel, in dem die Erde lag wie in einem Sack und ich mitten zwischen beiden.
Kein Mensch war zu sehen und zu hören; die schälten zu Hause behaglich Rüben oder Äpfel, oder schnarchten auf den Öfen. Da hörte ich auf einmal einen Ton durch die Nacht und erschrak, daß ich zitterte. Es klang mir wie Pfeifen, anhaltend und verstohlen. Räuber, hatte ich gehört, pfeifen sich, wenn sie Reisende überfallen wollen; in eine solche Bande glaubte ich geraten zu sein, die nun Anstalten treffe, mich zu überfallen, in ihre Höhle zu schleppen, auszuplündern oder gar zu töten. Ich stund wie Loths Weib, doch nicht unbeweglich, sondern bebend, und lauschte der Töne durch den Nebel. Die waren nun eigentlich gar nicht, wie ich mir gedacht hatte, daß Räuber pfeifen, daß einem die Ohren gellen, sondern gar lieblich und weich stahlen sie sich bis zu mir hin durch die Nacht. Nach und nach kam ich zur Besinnung, dachte mir, ich hätte von Räuberen in der Gegend doch gar nichts gehört, und wenn welche waren, so würden sie wenig bei mir finden, als allfällig die Tubakpfeife und die Kleider. Aber ich hatte auch gehört, daß rechte Räuber so mit armen Teufeln sich nicht abgeben, die ohnehin genug geplagt seien, sondern nur mit reichen und vornehmen Herren. Sie sind also eigentlich die Vorläufer des Teufels, der es auch gerade so machen soll. Und wenn es auch schlechte Räuber waren, so niederträchtig arme Leute zu plagen, so glaubte ich ihnen bis dahin unbemerkt geblieben zu sein, weil sie sonst nicht auf diese Weise pfeifen würden; denn weil ich mich nie mit Vogelfang abgab, so wußte ich nicht, daß man auch Lockvögel habe und zwar mit und ohne Locken. Ich dachte mir ohne Gefahr näher schleichen, seien es Räuber, weglaufen, seien es aber ehrliche Leute, den Weg vernehmen zu können.
Langsam und leise tappte ich vorwärts und kam zu meinem großen Schrecken in ein Gebüsch, wie Räuber sich wählen sollen zum Aufenthalt. Aber die Töne wurden immer schöner und zarter und mir schien, das sei wohl eine rechte Flöte, von denen ich viel gehört, aber doch nie eine gehört hatte. Noch vorsichtiger schlich ich vorwärts, kam wieder aus dem schmalen Walde heraus und hörte nun ganz nahe vor mir die lustige Melodie des Liedes: Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd, sah aber gar nichts, kein Feuer, keine Menschen, nichts, gar nichts. Bald schien das Lied aus dem Boden, bald aus den Lüften zu kommen, oder die Stimme des Nebels zu sein, der wie eine schwarze Heeresmasse über Nacht auf der Erde lagerte, um bei hellem Tagesschein als luftige Wolken über Land und Meer zu reiten. Schon fing es wieder an mir zu gramseln am Rücken und der geheimnisvolle Schauer wehte mich an, der aus einer andern Welt herüber bläst, als ich anstieß und erschrocken einen niedlichen Gartenzaun vor mir sah. Wo ein Garten ist, da ist auch ein Haus. Das entdeckte ich endlich nach langem Hineinstarren in den Nebel dicht vor mir; denn es war nicht ein schwarzer großer Holz- und Strohhaufen, sondern ein weißes Rieghäuschen, das in Nacht und Nebel aussah wie der Geist eines Hauses.
Nun verschwanden Angst und Schrecken, und mir ward wieder wohl zu Mute. Da ich immer lustige Leute da gesehen hatte, wo man sang oder etwas aufmachte, so wollte ich mich auch lustig ankündigen und einmal wieder einen Witz machen. Ich stellte mich vor die Fensterladen und stimmte mit heller Stimme in das Lied ein: es schwieg die Flöte und ich auch; sie fing wieder an und ich auch. Sie schwieg wieder, ein Fensterlade wurde aufgestoßen, ein wilder schwarzer Kopf fuhr wild heraus und fragte zornig mit fremdem Anklang in der Stimme, was für ein Esel da Dummheiten treibe. »Packst du dich nicht auf der Stelle fort, so will ich dir deine Flausen vertreiben.« Man kann sich vorstellen wie mir ward, als ich ein wirklich Räuberhaupt einen Schuh weit vor mir sah und seinen zornigen Ausbruch hörte. Erst als er noch einmal mit seiner gewaltigen, festen Stimme sagte: »Packst di oder i chume!« fand ich die Sprache und vermochte zu stammeln: er solle mir verzeihn, ich sei verirret, fremd in der Gegend und habe nach dem Wege fragen wollen. Ich mußte ihm berichten, wer ich sei, wohin ich wolle, und so ließ er sich endlich, nachdem er manches Wort in fremden Sprachen ausgestoßen hatte, begütigen, schloß den Laden mit dem Versprechen, mir den Weg zeigen zu wollen. Bald trat er zur Thüre hinaus. Ich fing mich von neuem an vor ihm zu fürchten und dachte, er wolle mich nur von dem Hause wegführen, um mich im Walde zu ermorden. Es war eine hohe Gestalt, aber mager; nur Muskeln und Knochen bildeten seinen Leib. Sein Gesicht war dunkel, fast wie sein Haar, mager und knochicht wie sein Leib. Unter der großen Nase sträubte sich ein fürchterlicher Schnauz; die weißen Zähne konnte ich trotz der Finsternis erkennen. Auf seinem Kopf saß etwas wunderliches, ich wußte nicht was; eine kurze Jacke und weite Hosen bedeckten seinen Leib und in der Hand trug er einen Stock, mit dem man einen Ochsen hätte fällen können. Als er mein Zaudern und Zagen sah, lachte er und sagte: »Ja, fürchte dich nur, es hat sich noch mancher, ganz andere Kerl vor mir gefürchtet! Aber gell, Schulmeisterli, ein andermal lassest du dein dummes Singen vor fremden Häusern sein?« Ich folgte ihm gar wehmütig nach und versprach mich ebenso demütig. Ich hätte geglaubt, es seien kurzweilige Leute da drinnen und da hätte ich geglaubt, es würde sie erst verwundern und dann lächeren, wenn sie draußen auf einmal singen hörten, und dann würden sie mir um so eher zurecht helfen. Er schnauzte mich an, daß das dumme Spässe seien; aber wir Schulmeister und die Schneider hätten es gleich; wir meinten, wir seien witziger als andere Leute, wir müßten allenthalben den Narren treiben und die Hanswurste machen, und hätten dazu einen Hochmut, der ärger stinke als eben Böcke. Das sei ihm das widerlichste Volk, mit dem er sein Lebtag zu thun gehabt, die Flöhe ausgenommen; Läuse habe er nie gehabt. Ich versprach mich so gut ich konnte, immer fürchtend, er stiche mit solchen Worten Streit und Vorwand, nach Art unserer händelsüchtigen Bursche, mich halb oder ganz tot zu schlagen. Ich machte mich ganz klein, gab zu, daß es wohl auch hochmütige Schulmeister gebe, aber doch seien sicher nicht alle so. Ich sei ein arm Bürschchen, das schon viel erlebt und ausgestanden habe und ich wüßte wohl, daß ich mich damit zufrieden geben müsse, als Schulmeister meine Sache so gut zu machen als ich könne. Da lachte er laut auf und sagte, das werde aber just nicht viel sagen!
Das wurmte mich doch und ich antwortete: Für einen bsunderbar Gschichten wolle ich mich nicht ausgeben, aber so gut wie ein anderer wolle ich meine Sache doch machen. Ja, das glaube er, entgegnete der Schnauzbärtige, dem lieben Gott das Licht, den Bauren das Brot, den Kindern den Verstand werde ich stehlen können, so gut als die andern auch. Wenn es keine Schulmeister gäbe, so wären weniger hochmütige Hungerleider, und wenn keine Schulen wären, so würde es weniger verpfuschte Menschen geben. Er könne nicht begreifen, wie ein Mensch, der einen gesunden Blutstropfen im Leibe habe, Schulmeister werden möge. Aber wer sich auf nichts viel einbilden möchte und zum Arbeiten zu faul sei, der werde Schulmeister. »Nicht wahr, Schulmeisterli?« Ich wollte mich versprechen. Da fing er ein Verhör mit mir an, besser als mancher Untersuchungsrichter kann, scharf und streng, daß ich antworten mußte und das die Wahrheit, ich mochte wollen oder nicht. Auch überspringen durfte ich nichts; er hielt zu Boden, wie ein guter Ackersmann seinen Pflug. Als ich nun sagen mußte, was mich eigentlich zum Schulmeister gemacht, wie bös ich es daheim gehabt, wie man mich endlich verflucht und im Stich gelassen, wie ich nicht mehr das Herz habe heimzugehen, und niemand habe auf der Welt; da schwieg er auf einmal stille und schritt so wild fort mit seinen langen Beinen, daß ich ihm kaum nach konnte. Nach einer langen Weile, wo ich nicht wußte, was das geben sollte, sagte er: »Schulmeister, steh dort ist Gytiwyl. Wenn du noch mehr verirrest, so komm wieder; ich will dir wieder zurecht helfen; du bist ein armer Teufel wie ich. Gut Nacht!« Und verschwunden war er im Nebel.
Ende des ersten Teiles.