Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Jeremias Gotthelf

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Zweiunddreißigstes Kapitel

Wie ein Schulmeister wohlfeil zügelt

Ich hoffte, recht frühe an Ort und Stelle zu kommen und noch bei Tagheitere einhausen zu können. So hatten meine Begleiter aber nicht gerechnet. Sie waren einmal vom Hause weg und begehrten nicht nach Hause, bis sie direkt ins Bett konnten. Sie führten einen Schulmeister, der für den Zug nichts zu bezahlen brauchte, von dem sie also billig erwarten zu können meinten, daß er an ihnen zu vergelten suche, was man großmütig für ihn thue.

Der Knecht konnte mit seinen 20 Kronen sich nicht oft den Durst so recht mit Wein löschen, und mancher Baurensohn, dessen Vater geizig oder schuldig ist, der zu Sackgeld etwa ein Schaf halten kann und mit der größten Not dem Alten zuweilen 5 oder 10 Btz. abbettelt für einen Märit, der verschmäht einen Schluck nicht, der nichts kostet, und sollten es auch zwei sein, verschmäht auch ein Trinkgeld nicht, und je größer es ist, desto lieber nimmt er es. Und auch der verschmäht es nicht, der wohl ganze Handvoll Neuthaler im Sack hat, damit munter klingelt und mit Mühe einige verlorne Stücke Münz daraus hervorsucht. Man sollte glauben, der nun habe Geld zum Fressen. Ohä! Sein Vater, und bei manchem Ehemann die Frau, finden es anständig, daß Sohn oder Mann Geld im Sack habe; es ist ihnen um des Hauses Ehre. Sie zählen ihm daher ein Dutzend Brabänter oder Fünfunddreißgler vor, und die kann er in Sack nehmen und schütteln darin; aber am Abend muß er, die ordentlich wieder einliefern, und wehe ihm, wenn er einen hätte wechseln lassen. Die wenigen Batzen Münze, die er fast nicht finden kann, die darf er brauchen, die sind eigentlich sein und mehr nicht.

Als sie ankamen, hatte ich ihnen Kaffee und Käs gegeben, durch den Morgen einen Schnaps, beim Abfahren Wein und wieder Brot und Käse, und glaubte nun mit einer kleinen Einkehr es machen zu können. Aber wir waren noch nicht zwei Stunden gefahren, so sagte der Sohn: er hätte Mut zu einem Teller Suppe; wenn er des Mittags nicht etwas Warmes habe, so werde es ihm allerdinge kötzerig. Ich wäre gerne noch eine Stunde weiter gefahren in die Mitte; aber auf einen solchen Grund hin durfte ich das Einkehren nicht länger aufschieben als bis zum nächsten Wirtshause.

Dort wurde den Pferden der Rest Heu vorgeworfen, und wir gingen und bestellten Suppe und eine Halbe. Ich rechnete auf circa 8 Btz. Kosten; denn so ein Schulmeister, der gerne aus den Schulden möchte, rechnet seine Üerti nach, ehe er sie verzehrt hat; macht es mancher Bauer auch so; fragen reiche Engländer ja, ehe sie etwas anrühren, was es koste? Als die Wirtin die Suppe brachte, sagte sie: wir werden noch etwas anderes auch wollen; sie hätte ein schönes Bitzli Fleisch und noch einen Schlemperlig von einer Sau. Da antwortete ihr niemand etwas. Ich mochte nicht und dachte nicht daran, daß die andern hungrig sein sollten; aber absagen durfte ich doch auch nicht. Die Wirtin hatte solche Fälle aber schon erlebt und sagte: sie wolle einmal bringen; wir könnten dann immer nehmen oder es sein lassen, wie wir wollten. Als die Dinge einmal da waren, konnte ich nicht anders als sagen: »Nät doch, we dr meut.« Der Knecht sagte: solches Fleisch sehe man nicht alle Tage; er wolle einmal ein Stücklein probieren; es werde nicht alles machen. »Dem guten Beispiel folgte der Andere nach, und als ich sah, daß doch geessen sein müsse, und es gleichviel koste, nehme ich oder nehme ich nicht, so fand ich auch noch ein Plätzchen im Magen. Das Essen machte durstig. Die erste Halbe verschwand im Umsehen; die Wirtin füllte sie, ohne zu fragen, wieder zu. Und wie diese bei der ersten war, nahm sie die Flasche wieder, sagend: »I gibe-n-ech no eini.« Und als wir Fleisch u. geessen hatten, fragte sie: ob wir noch etwas Dessert wollten? Da sagte doch der Knecht: ne, der Gattig bigehr er nüt. Statt der 8 Btz. hatte ich nun für das Essen 15 Btz., für den Wein 12 zu bezahlen, und als wir fortfahren wollten, sagte der Stallknecht: er hätte auch gerne noch etwas. In Verlegenheit, was man gebe, da ich mein Lebtag keinem Stallknecht noch ein Trinkgeld gegeben, fragte ich ihn sebst. Da sagte er mir, vom Roß einen Batzen sei das Wenigste; viele geben mehr. Natürlich hörte ich nur den ersten Teil seiner Antwort und hatte also dreißig Batzen ausgegeben. Nun wurden sie recht gspräch und erzählten mir viel von ihrem verstorbenen Schulmeister, was das für ein bsunderbar Gschichte gewesen wäre. Schreiben habe er gekonnt e-n-angere na furt, man hätte ihm vorgeben mögen, was man gewollt; es sei ihm alles gewesen wie ein Vater unser. Und Leichenreden hätte der halten können, weit und breit keiner so. Er habe gebetet so eifrig, daß man fry habe schwitzen müßen, und Amen hätte er immer zweimal gesagt. Aber er sei daneben gar ein Aufbegehrische gewesen; er habe sich gar nichts wolle sagen lassen und habe dazu doch das Maul in alles gehängt und über die Gmeindsmanne räsoniert und gesagt: sie bschytze dGmeind, was ihn doch nichts angegangen wäre. Auch gar ein uverschante sei er gewesen; alle Buechstabe, wo er einem geschrieben, hätte man ihm zahlen sollen, und doch sei es ihm so ring gange und heig, ihm nüt z'thue gäh, und dennoch seien seine Kinder einem immer vor der Thüre gewesen, und hätten bald dieses gewollt, bald jenes. Es sei für die ganze Gemeinde ein Glück gewesen, daß er die Auszehrung bekommen und gestorben sei. Da habe man gesehen, wie schlecht er ghuset heyg; es hätte es niemand geglaubt, daß er so arm sei, und hätte doch so viel zu verdienen gehabt, und hätte noch viel mehr zu thun gehabt, wenn er nicht so uverschant mit dem Heuschen gewesen wäre. Da habe man aber wieder gesehen, daß so ein Pfarrer und dann bsunderbar ihre keinen Verstand habe. Habe der nicht lange sich gewehrt, in des Schulmeisters Gemeinde zu schreiben, und gemeint, die Gemeinde solle etwas für die Familie thun; einige Bauren sollten Kinder zu sich nehmen; die Frau könnte sich und das Jüngste mit Nähen schon durchbringen. Da habe da Sturm geglaubt, sie sollten Kindere z'fresse geben und sie bekleiden, die nicht einmal da daheim seien, sondern in einer andern Gemeinde! Wohl, dem hatten sie die Meinig gesagt, daß er froh gewesen sei, zu schweigen und zu schreiben.

Unter diesen Gesprächen waren wir über zwei Stunden vorwärts gekommen, als der Knecht zu klagen ansing, wie das Fleisch doch so räß müsse gewesen sein; er habe einen Durst, daß er es kaum erleiden möge, er könne kaum mehr speuen. Auch den Rossen wollten sie es ansehen, daß sie durstig seien: sie hatten am früheren Orte nicht recht saufen wollen. Nachdem man mich so mit den Holzschuhen getrappet und mit dem Holzschlägel mir gewinkt hatte, sah ich wohl, daß die zweite Einkehr nicht zu vermeiden sei, und machte gute Miene zum bösen Spiel, während ich mit großer innerer Betrübnis mein Geldsäckeli in der Hand wog, das gar leicht und dünn war. Beim nächsten Wirtshause angelangt, zeigten die Rosse Menschenverstand und schienen von selbst stille zu stehen. Meine Begleiter fanden daher, sie sollten doch billig auch etwas haben, während wir hineingingen; man könne sie doch nicht wohl so z'leerem da stehen lassen. Ein paar Batzen für Brot würden mich nicht reuen; man könne dann umso strenger fahren.

Zu dem Durst kam nun auch der Hunger unerwartet, und man fand, ein Stücklein Käse ginge gut zum Brot und mache es äsiger. Es war noch nicht spät; die muntern Rosse hatten meine leichte Habe, verteilt auf die zwei Fuhrwerke, rasch fortgezogen. Natürlich hatten die Leute mir die schönsten Rosse gesandt mit dem schönsten Geschirr, damit man dort im Lande wisse, daß in Gytiwyl auch noch Bauren seien und nicht bloß Tauner. Man fand also, es sei nicht zu pressieren; man komme immer noch heim; man wolle noch ein wenig sy. Es kam noch dem einen in Sinn, er könne seinen Tabak sparen, und sagte: »Schumeister, gimmer vo dym, er schmückt gar wohl!« Und der andere sagte: »Su will i o grad stopfe.« Und so saß ich wie auf Dornen, und dachte endlich: wenn es doch alles versöffe sein müsse, so wolle ich auch noch helfen, und that also. Endlich erlöste mich der Stallknecht, Er that die Thüre auf und rief: er wisse mit den Nassen nichts mehr anzufangen; sie wollten nicht mehr stille sein. Nun konnte ich wieder 20 Batzen Üerti bezahlen, ohne Trinkgeld. Der Wein hatte meine Leute recht natürlich gemacht, und sie erzählten mir: die Schwytikofer hätten auch einen besonders braven Schulmeister. Als diese ihm vorigen Jahres gezügelt, hätte er allen genug z'saufen gezahlt und noch jedem Fuhrmann ein schönes Trinkgeld gegeben. Ich wußte nun, was ich zu thun hatte. Als ich nachrechnete, was mich das Zügeln gekostet hatte, so hätte ich fast Postrosse nehmen können dafür, und mußte am Ende mich noch schönstens bedanken. Es ging mir fast wie denen, die Fuehrig halten, d. h. wie denen, die bei Bauten von Waldbesitzern das Holz von Haus zu Haus sich erbitten. Diese bringen es, jedes Rafetannli mit drei Mann und dreien Rossen, und essen und trinken, daß man es mit einer Mäsbstryche oben ab machen könnte, wenn es nicht von selbst oben ab liefe. Und wenn der Bauende rechnet, so hat er grusfam anhalten, grusam danken, grusam z'essen und z'trinken geben müssen, und so lange sein Haus steht, werden die, welche ihm Holz gebracht, sagen, wenn sie beim Hause vorbeigehen: »Zu dem Haus habe ich auch eine Tanne brunge.« Und wenn die gestorben sind, so werden Kinder und Großkinder sagen: »A dem Hus isch o vo üsem Holz; dr Ätti oder dr Großätti het is mängisch vo der Fuehrig zellt, u wie dChüechleni so zäch u dr Wy so sure gst syg.«

Nein, liebe Leute, wollt ihr einem Schulmeister eine Wohlthat erweisen, die er anzunehmen nie zu stolz sein wird – denn sein Einkommen wird bei unsern Lebzeiten nie so groß werden, daß er überflüssiges hätte – so zügelt ihn; aber zügelt ihn so, daß es eine Ersparnis für ihn ist und nicht eine Schräpfete.

Spät genug kamen wir an, und bei Laternenschein mußte abgeladen werden. Große Mühe gab es, die Orgel in der Schulstube aufzustellen und sie zur Hausthüre hineinzubringen. Die Schulstube war kaum 7 Fuß hoch, und man wußte anfangs nicht, müsse man die Orgel abnehmen oder die Diele aufbrechen. Am Ende gab es sich. Nachdem man das übrige hoggis boggis über einander versorget hatte, lud der Baurensohn, der im Weine aufgeweicht war, mich für die erste Nacht zu ihnen ein. Ich machte mich zuerst etwas eigelich. Da ich aber erfahren hatte, daß man hier mit Anerbieten nicht schnitzig sei, wenn es einem nicht Ernst war, so ging ich endlich mit.

Am folgenden Morgen suchte ich mich einzuhaujen, konnte es aber nur mit Mühe. Wie gesagt, das Haus war klein und schlecht. Die Schulstube bot für 150 Kinder, die hinein sollten, kaum 3 Quadratfuß für ein Kind; die Hälfte Scheiben waren blind, der Ofen, ein ungeheures Tier, gespalten und mit Griffeln fast durchgewetzt. Als Behausung hatte ich nur eine Stube, und die war noch klein genug. Da kein Webkeller war, so mußte ich meinen Webstuhl darin aufschlagen, welcher neben dem Bett den Raum so ausfüllte, daß ich kaum wußte, wo mein übriges Mobiliar, welches in einem Schaft, einem Trögli, einem Tisch und dreien Stabellen bestund, aufstellen sollte. Der Stubenboden hatte Löcher, in welchen man einen Fuß verrenken konnte, und in der mit Lehm gepflasterten Küche waren die so zahlreich und tief, daß man da ordentliche Cisternen hätte anlegen können. Es wollte mir dieses alles schier übers Herz kommen. Ich hatte es früher nicht recht bemerkt, denn so ein lediger Mensch hat nur halben Verstand, und merkt solche Dinge erst, wenn man ihn mit der Nase darauf stößt. Doch der Gedanke: lieber Hier als dort! ließ darein mich schicken.


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