Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Jeremias Gotthelf

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Dreizehntes Kapitel

Wie ich Schulmeister lerne auf die alte Mode

Das ging mir im Kopf herum und einst an einem Sonntag nach der Predigt klagte ich mein Leid dem Schulmeister zu Hinterhäg, der damals für ein gar grausam Gschickte galt. Ich sagte ihm, wie ich gerne Schulmeister würde, aber wie da neue Moden aufkämen, von denen ich nichts wüßte, niemand wüßte, der mir sie zeigen könne, und zweifle, ob es mir möglich sei, sie zu begreifen. Da sagte er mir, ich komme ihm eben recht; es hätten ihn schon zwei gefraget, ob er sie nicht Schulmeister lehren wolle; er hätte Lust und Zeit dazu und wollte es so gut oder besser machen als die, welche Schulmeister-Schulen hätten, und sollten es seinethalben Pfarrer sein, die doch nie wüßten, was ein Schulmeister alles wissen müsse. Aber er sei nicht bekannt in Bern und die andern werden es ihm nicht gönnen und ihm z'böst reden. Er hätte daher Lust, nur etwa mit vieren anzufangen und nicht zu sagen, daß er eine eigentliche Schule halten, sondern nur, daß er etwelche vorbereiten wolle, damit sie mit desto größerm Nutzen die Normalschulen besuchen könnten. Dafür möchte er aber die Erlaubnis vom Kirchenrat haben. Es sei ihm erstlich wegen der Gratifikation; denn wir würden ihn doch nicht gehörig bezahlen können, indem wir wahrscheinlich bösdings die Kost aufzubringen vermöchten. Zweitens zweifle er nicht, wenn er uns den Herren vorstellen könnte zum Examen, so müßten sie finden, er sei so geschickt als einer, und würden ihm dann anhalten, eine eigentliche Schule zu halten. Das gefiel mir; aber ich fragte ihn doch, ob er denn wirklich das Konstruieren und das Figural auch kennte? »Hab nit Chummer, Käser,« sagte er, »da förchte-n-s kene-n-im ganze Kanton, u we's c Professer war.« Das war mir nun angeholfen und ich mochte gar nicht erwarten, bis ich die Lehrzeit antreten konnte, um das Hexenwerk zu erlernen. Ich lief in der Woche wenigstens einmal ins Dorf hinunter, zu vernehmen, welche Antwort er erhalten und wie bald er die Lehr anfangen wolle.

Endlich traf ich ihn, mit erschrecklich ertaubetem Gesicht und die Thüren schmetterend, daß man es im halben Dorfe hörte. Ich glaubte, seine Frau hätte ihn etwa ertäubet, und wollte wieder gehen. Allein er hielt mich auf und sagte mir: heute habe er eine lustige Antwort erhalten und nicht geglaubt, daß man eine sellige Regierig habe; sein Lebtag werde er nichts mehr auf ihr halten. Er habe durch jemand, der einen guten Freund im Kirchenrat habe, schreiben lassen an diesen Freund, um zu vernehmen, wie man sein schönes Anerbieten aufnehmen würde.

Dieser sei nun soeben bei ihm gewesen und hatte ihm einen Brief abgelesen, in welchem gar wütend aufbegehrt worden über seinen Antrag. Was man sich doch auf dem Lande nicht alles einbilde, heiße es darin. Kaum habe man dem Lande die Wohlthat angedeihen lassen und Normalschulen erlaubt, welche der Regierung jährlich wenigstens 1000 bis 1500 L. kosteten – die Geschenke an die Zöglinge nicht einmal gerechnet – so sei man schon damit nicht zufrieden. Es scheine, diese Normalschulen, die doch drei Monate, manchmal auch fünf dauern und vollkommen hinlänglich seien zur Bildung eines Schulmeisters, wie ihn das wahre Wohl des Landes erfordere, wolle man zu Uniuersitäten machen und jetzt noch Gymnasien einrichten. Mit solchen Flausen solle man nicht mehr kommen, es mache nur böses Blut.

Ein Mitglied, das freilich gar dumm aussehe, aber doch gar ein kluger und vorsichtiger Herr sei und das Land aus dem Fundament kenne, habe bündig dargethan, die einreißende Aufklärung sei der größte Schaden für das Land; sie verzehre allen Glauben, allen Gehorsam und allen Respekt. Den Eltern wollen die Kinder nicht mehr gehorchen und kein Landuogt sei mehr sicher, daß ihm nicht einer maule in der Audienzstube oder gar seinen Ausspruch an den Justizrat ziehe, der auch nicht immer wisse, was er mache. Die Regierung hätte schon zu viel gethan, und wenn er dabei gewesen wäre, so hätte er nicht einmal zu den Normalschulen gestimmt. Das Land sei lange glücklich gewesen ohne sie, und man werde sehen, wie sie die Schulmeister hochmütig und diese dann die Unterthanen übermütig machen würden. So ungefähr lautete der Brief und die Rede des dumm scheinenden, aber klug sein sollenden Herrn.

Nun war ich wieder am Berge und wußte nicht, was anfangen. Da sagte mir der abgefertigte Schulmeister noch in seinem Zorn, ich hätte es gehört, er könne mir nichts helfen; er wolle mit der Sache nichts mehr zu thun haben. Seinethalben könne ich jetzt zu einem Normallehrer gehen und sehen, was ich da lerne. Was er mir im Ärger gesagt, schlug im Ernst bei mir ein. Etwas mußte geschehen, wenn ich Schulmeister werden wollte, und auf meinen Alten konnte ich mich nicht verlassen.

O, das ist eine strenge Sache, wenn einer es gewohnt ist, daß andere für ihn denken, für ihn laufen, für ihn handeln, und die Not es nun an ihn bringt, daß er selbst denken, selbst laufen, selbst handeln muß! Schüchternheit und Trägheit liegen wie Blei in den Gliedern und eine große Menge bringt sich nicht vom Platze, weil sie verblüfft kein Bein zu machen weiß und niemand anders für sie sich auf die Beine macht. Von dem Beinemachen hängt doch heutzutag noch alles ab, fast wie ehedem. Sagt man doch von einem Menschen, der von Pöstlein zu Pöstlein sich schwingt und den Kopf immer höher streckt, er mache eine schöne Carriere, d. h. er und seine Leute brauchten ihre Beine im Galopp; denn Carriere bedeutet galoppieren, oder, wie wir sagen, in den Längen reiten.

O, es gibt der glücklichen Leute, für die schon von der Wiege an die Beine in den Längen gehen, vielleicht um eine reiche Heirat aus oder um ein schönes Amt. Und wenn sie aufwachsen, diese Leute – wie dann der Tanten, Schwestern, Basen, Vettern Beine gehen und ihre Zungen dazu! Und wie sie ein Wesen machen von dem Glücklichen und wie sie reden von ihm und seinen Talenten, seinem Fleiß, und wie er sich widme für dieses Amt und für jenes Fach! Und wie dann allgemein das Gerücht sich verbreitet, welche wichtige bestimmte Vorbereitungen der Fleißige treffe, und wie dann allgemein der Glaube sich festsetzt, das Vaterland oder das Mädchen könne keine glücklichere Acquisition machen! Und wie das Vaterland und das Mädchen leider nicht warten mögen, um das Verdienst zu belohnen! Und wie oft es beiden geht wie dem armen Teufel, der von den Juden ein Roß gekauft, bethört durch ihr Geschwätz! Einen Staatsgaul meint er zu haben, frei und frank zu allen Sprüngen fertig. Nun findet der Gaul sich, nachdem der Juden Geschnatter aufgehört, blästig und untersätzig, mähnig und stettig, schwach auf allen vier Beinen, faul am ganzen Leibe, und im Stalle endlich zeigt er sich bald als stiller Kolder, bald als Krüpfendrücker, und wenn man ihn untersuchte, so wäre er vielleicht gar hauptmürdig.

Auf diese Weise ist man schon Schultheiß geworden, nicht nur Professor. So hat nicht nur manches schöne und reiche Mädchen einen schönen und reichen Mann erhalten, sondern schon manches arme und häßliche ist unter eine stattliche Haube gekommen als Ausbund in der Tugend oder im Kochen und Waschen und hatte doch noch niemanden einen Fehler vergeben oder verschwiegen, wußte nicht, ob man zu einer Mehlsuppe Anken oder Schmutz nehme und welche Seife besser sei, blaue oder weiße.

Heutzutage hat man es auch hierin viel komoder als ehedem. So wie man durch Dampf- und andere Maschinen viele Arbeit leichter, schneller machen, weiter verbreiten, viele Arbeiter ersparen kann, so hat man auch bei dem Beinemachen die Sache vereinfacht. Tanten, Schwestern, Vettern braucht man nicht mehr so notwendig; hat man sie, so läßt man sie laufen; aber man kann es machen ohne sie.

Man hat nämlich eine General-Base erfunden, die gar lange Beine und einen weiten Mund hat, und wer die auf seine Seite bringt, daß sie sich für ihn auf die Beine macht von Haus zu Haus, der macht in Karriere seine Carriere. Diese Hauptbase ist nämlich die Presse und ihre vielen Töchtern sind die Zeitungen. O, was sind alle alten und jungen Basen, nenne man sie Klatsch- oder Schnapsbasen, in der ganzen Welt gegen diese Hauptbase und ihre Töchterlein!

Die wissen zu sagen, was niemand sonst weiß; die wissen zu rühmen, wo niemand es sonst thäte; die können schelten und spotten, wo sonst jeder ehrliche Mensch sich schämen würde. O, wer diese Base und einige kleine Bäschen bestochen hat durch Frechheit oder Karisieren, der kann sicher sein, daß er es weit bringt, und wenn auch kein guter Faden an ihm wäre, und er eine noch weit elendere Kreatur wäre als jener koldrige, krüpfendrückende Gaul! Doch ich will nichts weiter sagen; ich könnte sonst in einen Ast sägen, und mancher edle, hochherzige Vater landsfreund, der auf einem Zeitungsbesen (die Hexen brauchten ehedem nur gewöhnliche Besen; aber sie konnten eben hexen) hoch in die Lüfte zu den Sternen empor und dann in ein schönes Amt geritten ist, wo er jetzt steht, und wie! könnte sonst meinen, ich rede Anzügliches, und mich bei der Base oder gar bei dem Richter verklagen. Und die Base will ich nicht böse machen, eben weil sie die Hauptbase ist und nicht nur erhöhen, sondern auch erniedrigen kann. O, das hat mancher brave Mann erfahren, der von ihr im Kote herumgezogen worden ist, bis er aussah wie ein Sauniggel und bis die Leute sagten: »Da isch doch e wüeste, da cheu mr nimme bruche.« Ja, die Base ist eine gar wichtige Staatsperson geworden und übt große Macht. Sie leistete anfangs große Dienste und that gar fromm und züchtig; man glaubte ihr daher aufs Wort. Das machte sie aber übermütig; sie ließ die Hörnlein hervor und wurde halt eben eine Frau Base, und seitdem sinkt ihr Kredit und sie wird nach und nach dnrch ihre Töchterlein, wenn sie sie nicht besser dressiert, nicht mehr ausrichten als andere Basen.

Ich wußte nicht, an wen mich wenden, um Nachricht einzuziehen, wo Normalschulen abgehalten wurden und welche die beste sei. Ich saß bei meinem Bauer wie aus Dornen, half Haberäcker hacken, bis ich Blattern bekam wie Haselnüsse. Endlich half mir das liebe Wochenblatt aus der Not und diesmal ein diesjähriges. Dort war eine solche Schule angekündigt und der Termin zum Einschreiben bestimmt. Ich versäumte ihn nicht. Der Lehrer, bereits ein ältlicher Mann, empfing mich etwas vornehm und machte mich bekannt mit Büchern, die ich mitbringen müsse, und mit der Notwendigkeit, ein Kostort zu suchen, was ich um 19 oder 20 Batzen per Woche wohl finden werde.

Beim Heimgehen ward mir das Herz schwer, indem ich mein Vermögen und die bevorstehenden Ausgaben überschlug. Die letztern schienen mir wenigstens auf 12–15 Kronen sich zu belaufen, während ich den ganzen Winter durch kaum so viel verdient. Und ach, wie sahen meine Hemdchen aus! Ich durfte sie kaum mehr zu waschen geben. Wie übel war ich mit Werktagskleidern bestellt! Des Morgens mußte ich alle Künste anwenden, um mit den Füßen nicht bei den Knieen in den Hosen herauszufahren, statt am gehörigen Ort. Nun sah ich keine Möglichkeit, etwas anzuschaffen, wenn ich das Konstruieren lernen wollte, und schämte mich doch, so verhudelt in die Lehr zu gehen. Doch eben weil ich einmal diesen Weg zu gehen angefangen hatte, ging ich ihn fort. Es wäre mir zu viel zugemutet gewesen, einen andern Entschluß zu fassen und mich für etwas anderes auf die Beine zu machen, wie groß auch mein Kummer war und wie wenig ich mir etwas auszudenken vermochte, um meine Verlegenheit zu erleichtern. Es gibt wie unter den Zeitwörtern so auch unter den Menschen zweierlei Formen, eine thätige und eine leidende, eine sich selbst bestimmende und eine sich bestimmen lassende. Die leidende war mein Teil geworden. Mein Bauer sah mich ungern gehen. Ich glaube, ich war ihnen lieb geworden, obgleich sie viel über mich lachten. Er hieß mich wieder kommen, aber von dem neuen Damp solle ich ihm nichts an seine Kinder bringen; ich war gschichte gnueg gsy u hätt nit brucht mys Löhnli so liederli ga z'vrthue. Er gab mir ein Trinkgeld und, was mich am meisten freute, seine Frau brachte mir ein neues Hemde, wie für die Ewigkeit gemacht, halb knöpfig, halb rystig. Sie hatte es über und über gestärkt, daß es stund am Boden und ich Mühe hatte, es in die Hosen zu bringen. Und hoch war der Kragen und gestärket, daß er mir das erste Mal Plätzen abmachte an den Ohren. Wie meinte ich mich da!

Wir waren bei zwanzig in der Lehre, angestellte Schulmeister und solche, die es werden wollten. Mehrere gingen des Abends heim; wir anderen waren hie und dort verkostgeltet. In den ersten Tagen hatte ich einem Kameraden meine Not geklagt und dieser mir den Rat gegeben, ich solle meinem Kostmeister anbieten, für ihn zu weben in der Zwischenzeit und, wenn es nötig sei, noch nach Beendigung der Lehrzeit. Dieser war es sehr wohl zufrieden und somit war ich meinen ökonomischen Sorgen enthoben.

Unsere Pensen waren: Lesen, Schönschreiben, sogenannte Sprachlehre verbunden mit Konstruieren, Themaschreiben, Rechnen, Katechisieren und Singen.

Von Schönlesen wußte mau nichts; bloß wurde aufmerksam gemacht, daß man bei Sprachzeichen den Ton mehr oder weniger müsse fallen lassen. Das Richtiglesen war die Hauptsache; denn mancher konnte es nicht und brachte es bis zum Examen nicht dahin. Die Sprachlehre wurde diktiert, und wer nicht nachkam, schrieb aus dem Buche nach oder aus den Heften anderer, wenn er Geschriebenes lesen konnte. Ich weiß nicht mehr recht, was sie enthielt; denn die Hefte las ich nie mehr nach und ich kann jetzt auch sie nicht mehr nachsehen; denn ich habe sie verloren. So viel ich mich erinnere, kam darin von den Sprachzeichen, wie sie heißen, vor, und die Namen aller Wörter wurden angegeben; wenn ich nicht irre, waren sie eingeteilt in vierundzwanzig Klassen. Dann von den Redefällen und den verschiedenen Zeiten. Weiter weiß ich nichts mehr, und ich glaube nicht, daß sie mehr enthielt.

Das Konstruieren war die Hauptsache; man übte es in der Kinderbibel. Der Lehrer machte aufmerksam, daß von einem Punkt zum andern wenigstens ein Zeitwort sei, d. h. ein Wort, welches angebe, in welcher Zeit etwas geschehen sei. Manchmal seien auch mehrere; aber man sehe es dem immer an, welches das Hauptzeitwort sei. Dieses Wort nun müsse man vor allem andern suchen. Er ließ einen Satz lesen, oder, wie er sagte, bis zu einem Punkt. Dann fragte er nach dem Zeitworte. Oft erriet die ganze Reihe Schüler alle Wortklassen durch, ehe sie das Rechte trafen. Hatte man dieses einmal, so wurde weiter gefragt: wer? wessen? wem? wen? was? von wem? wann? wie? wo? und wie die W alle heißen. Wenn man alle Wörter abgefragt hatte, so war man mit dem Satz fertig. Gewöhnlich wurde noch auf die Hauptwörter aufmerksam gemacht, die man an den großen Anfangsbuchstaben kennen lernte; um die andern Wörterklassen bekümmerte man sich weniger. Der Sinn der Worte, der Inhalt des Gelesenen :c. wurde nie erklärt. So geschah es z. B., daß bei dem Vorexamen der Schulkommissär naseweis fragte, was das Wort Palästina bedeute. Schnell flüsterte unser Lehrer dem Gefragten zu: »Eine Stadt im jüdischen Lande.« Er wußte also wohl, warum er sich nicht tiefer ins Erklären einließ. Beim Themaschreiben ging es wieder recht langsam zu; denn im Auffassen der Worte waren wir ungeübt, und noch viel mehr im Auswendigbuchstabieren derselben, und ebensosehr im Auffinden der nötigen Buchstaben, so daß wir selten Zeit hatten, an die Wörterklassen noch obendrein zu denken. Das Denken an die Satzzeichen ersparte man uns, indem sie angegeben wurden. War man endlich fertig, so gab der Lehrer einem sein Buch; dieser buchstabierte vor und wir sollten korrigieren, wobei selten einer nachkam, und gewöhnlich die Hälfte der Fehler stehen blieb. Auch wechselte man dabei untereinander die Tafeln, in dem schönen Glauben, daß man die Fehler des Nächsten besser sehen werde als die eigenen; aber das half nicht viel, weil der Buchstabierende manches Wort buchstabierte, während der Korrigierende in seiner Unbehülflichkeit einen einzigen Buchstaben machte. Und einen Buchstaben machen und zugleich auf den andern hören, das gehörte mir damals unter das Hexenwerk, das einem ehrlichen Christenmenschen nicht zuzumuten sei.

Bei dem Rechnen aber wurde wirklich Hexenwerk getrieben. Denn wir machten fast alle möglichen Rechnungsarten durch: die vier Species in ganzen und gebrochenen Zahlen, Heustockrechnung, Regula de tri, Gesellschaftsrechnung, Zinsrechnung; sogar die Quadratwurzel zogen wir aus und fast wären wir sogar bis zur Kettenregel gekommen. Das ging wunderschnell zu. Es hieß: »Passet auf, das macht man so und so,« und an der Tafel wurde es vorgemacht. Dann mußten ein oder mehrere Beispiele an der Tafel von Schülern durchgerechnet werden, und wer ein gutes Gedächtnis hatte, der machte Strich für Strich nach, wie er es vor einigen Minuten gesehen hatte. Dann hieß es: »Es geht; schreibt jetzt das oder diese Beispiele in Eure Schrift ab, damit Ihr es nicht wieder vergesset.« Und es geschah also. Wahrscheinlich kannte der Lehrer das Lied: »Mit seinen Heften ausstaffieret, heißt er ein grundgelehrter Mann.« An das Zahlensystem dachte niemand; das setzte man voraus; man nahm an, es sei uns des Nachts über in die Köpfe gefallen wie den Kindern Israel in der Wüste das Manna.

Auf das Katechisieren wurde besonders viel verwandt. Hing es doch mit den Kinderlehren zusammen, der Herzensangst der angehenden Schulmeister, der Seelenlust der ältern. Natürlich lag hier einzig und allein das Fragenbuch zu Grunde, über dessen Abfassung, Form, Veranlassung uns gar nichts gesagt wurde. Wir wußten nicht, wer da fraget und wer antwortet. Von den christlichen Lehrsätzen, auf welchen die Antworten ruhen, sagte man uns gar nichts, sagte uns nichts von der Trennung und dem Unterschied der katholischen und reformierten Kirche, wodurch einzig eine Menge Fragen begreiflich werden. Also eigentlichen Stoff gab man uns nicht zur Hand; eine eigentliche Grundlage legte man nicht. Die Hauptsache war die, daß der Lehrer fragen konnte, was er zu fragen wußte, mit dem Fragen nie stockte. Ob auf die Frage eine vernünftige Antwort natürlich folgen könne, ob auf die letzte Antwort die nächste Frage passe, und ob jede zum Ziele führe, darauf kam es wieder nicht an. Man fragte so, daß man Ja oder Nein bestimmt erwarten konnte; man half sich mit Müslins Erklärungen zum Heidelberger durch, der das Fragen und auf das Fragen das Antworten auch recht bequem macht. So wußte mancher nicht, ob die erhaltene Antwort die rechte sei. Die Erklärung der Worte und Begriffe bestund nur darin, daß man die Hauptwörter mit dem Zeitwort umschrieb, und wo kein Zeitwort aus dem Hauptwort zu machen war, da nahm man einen Gump über das Wort, z. B. Natur, Reich ec. Z. B.: Was isch Trost? Wenn man einen tröstet. Ja, wenn er betrübt ist und man ihn dann tröstet. Was ist Leben? Wenn einer lebt, wenn einer hier auf der Welt ist und lebt. Dann mußten wir auch Anwendungen machen, zu welchen Bücher uns halfen, und machten gar oft solche, die wir selbst nicht begriffen. Begriffen wir doch auch die Fragen nicht.

Ganz besonderes Gewicht wurde darauf gelegt, daß man eine Sache durch Gleichnisse erörtere. Wo mein Lehrer diesen Grundsatz aufgefischt, weiß ich nicht. Aber auf Beispielen hielt er viel; mochten sie übrigens passen wie eine Faust auf das Auge, das war gleichgültig, wenn es nur ein Gleichnis war.

Das war an sich ganz recht, daß man die toten Begriffe übertragen sollte auf die lebendigen Verhältnisse und das Dunkle klar machen durch Anschauungen. Allein das wurde eigentlich gar nicht begriffen und so dem Kind Anschauungen und Verhältnisse vorgeführt, von denen es noch viel weniger begreifen konnte und sollte, als von den Begriffen und Worten selbst, z. B. über das siebente Gebot. Überhaupt ward hauptsächlich darauf gesehen, daß einer an einer Frage seine gehörige Zeit zu verbrauchen wüßte, ohne eben merklich zu stocken. Das ist allerdings eine große Kunst, die in der großen Welt besonders geübt und geschätzt wird, eine halbe Stunde über eine Sache zu schwatzen, ohne etwas davon zu verstehen. Diese Kunst hat schon viel Geld, viel Ehre erworben und viel Sand in die Augen gestreut. Und diese Kunst uns Lehrlingen, die wir ein so steifes schweizerisches Mundwerk hatten und so gar keinen Schwung in der Einbildungskraft und so gar keinen Wortvorrat, beizubringen, war eine noch viel größere Kunst. Ich glaube, man hätte uns fast ringer die Sache selbst beigebracht, unsere Seelen mit dem Stoff bereichert, als ohne Stoff uns darüber schwatzen gelehrt. Aber so haben es die Menschen; sie zäumen lieber das Roß beim Schwanz als beim Kopf, und treiben lieber das Verkehrteste mit großer Anstrengung und ohne Nutzen, als das Natürliche verständig. Es nimmt mich nur wunder, wie viele Menschen einsten zur Strafe ihres hiesigen Treibens in der Unterwelt Wasser in ein durchlöchertes Faß schöpfen und den Mühlstein den Berg keuchend hinaufwälzen müssen, um denselben droben entgleiten und ins Thal rollen zu schen, und so Tag um Tag, für und für in der langen, langen Ewigkeit.

Es ist doch gewiß ein gräßlich Ding, ein solch Abrichten, gerade wie man Gügger abrichtet, zu pfeifen, was sie auch nicht begreifen. Und das ist das Schauervollste, daß man im neunzehnten Jahrhundert solches treiben konnte und nicht wußte, was man that, wie man sich damit an der Menschheit und somit auch an Gott versündigte. Vielleicht wußten die wohl, was sie thaten, welche mit solchen Normalschulen nur den Schein retten wollten, die Sache selbst aber nicht wollten. Nun dann möge der liebe Gott ihren armen Seelen gnädig sein! Am schauervollsten aber ist die Schamlosigkeit oder die bodenlose Dummheit, mit welcher sich diese Menschen dieses Treibens rühmen, behauptend, bei der künstlich erhaltenen Dummheit sei das Land glücklich und fromm gewesen, und durch Aufklärung, durch Weckung und Bildung der Geisteskräfte werde es unglücklich und gottlos. Glauben denn eigentlich solche Menschen auch an Gott, glauben die auch an Jesum Christum, der ein Licht der Welt war und kam, die Menschen zu erleuchten? Glauben solche Menschen an beide? – die öffentlich sich aussprechen, nur mit andern Worten: die Bestimmung des Menschen sei die der Sau, daß es ihm wohl sei und behaglich im D..ck; die nach obrigkeitlichem Maß und Gewicht dieser Sau nur so viel Verstand zukommen lassen wollen, daß sie einsehe, sie müßte sich mästen, um von Zeit zu Zeit das überflüssige Fett sich abzapfen zu lassen. Glauben denn die auch an Gott, welche die Geister der Menschen binden mit den Fesseln des Aberglaubens, der Finsternis, der Vorurteile, um der Leiber ungestörter sich bemächtigen zu können?

Hatten wir uns sturm katechisiert, so ging es ans Singen, vom Psalmensingen bis zum Figuralgesang, in welchem zu üben wir den Gellert hatten.

Da lernten wir die verschiedenen Kreuze kennen und die Noten teilen in halbe, Viertel- und Achtelnoten, lernten die Taktschläge, den Seitenschlag, den Brustschlag und wie die Schläge alle heißen; lernten singen, daß die Fenster klirrten und die Muheime auf dem alten Ofen herumsprangen wie wild. Damit beschlossen mir gewöhnlich unsere Lehrstunden.

Fassen mir nun das Ganze ins Auge, so sieht man zuerst, wie weniges uns beigebracht wurde, und betrachtet man dann das wenige, wie man es uns beibrachte, so steht einem der Verstand stille. Daß wir es in diesem zu einiger Fertigkeit brächten, war die Hauptsache; ob es beim Kinde von Nutzen sei, und wie und in welcher Stufenfolge man es ihm beibrächte, darum bekümmerte sich niemand. Überhaupt von der Natur des Kindes war nie die Rede, also ebenso wenig von der Entwicklung seiner Geisteskräfte. Daß die Schule ein doppeltes solle: vor allem aus die inwohnenden Kräfte entbinden durch den den Kindern vorgeführten Stoff, dann freilich auch diesen Stoff ihnen zu eigen geben und Fertigkeit in seiner Anwendung, davon war keine Rede.

Da in dem Stoff, den wir zu uns nahmen, hundert Dinge waren, die wir selbst nicht begriffen, an deren Erklärung man gar nicht dachte, entweder weil der Lehrer sie nicht erklären konnte, oder weil er voraussetzte, wir wüßten es schon, so lernten wir auch die große Kunst nicht, bei den Kindern nichts vorauszusetzen, sondern alles Gegebene und Vorkommende klar zu machen. Und dieses leidige Voraussetzen von unbekannten Dingern als bekannt in den Kinderköpfchen und –Herzen hemmt jeden geregelten Unterricht, jede ordentliche Erziehung, und pflanzt ein gedankenloses Hinnehmen und ein gedankenloses Aussprechen von Worten, an deren Sinn man nie denkt. Dieses Voraussetzen ist ein Krebsschaden in unsern Schulen. Es ist freilich eine schwere Sache, sich selbst zu vergessen und so in ein Kindsköpfchen hinein sich zu denken, da sich umzuschauen, was alles darin und nicht darin sei. Aber wer es versteht, das Kinderherz sich offen zu erhalten, sieht auch in den Kopf hinein und erkennt, was der bedarf, und zu seiner Ausfüllung arbeitet er dann stetig vorsichtig, wie die Biene in ihrem Korbe, die mit bewunderungswürdiger Kunst erst die Waben anzuheften, dann die Zellen aufzubauen und dann endlich mit Honig sie anzufüllen versteht.

Wenn ich beim Zurückdenken an diese Sachen wild werde, verzeiht es mir, liebe Leute. Ich will Euch jetzt auf die andere Seite des Bildes blicken lassen; vielleicht werde ich dann wieder weich, oder auch wieder wild; denn ich habe eine gar wundersame Natur; ich weiß nie, ob ich über eine Sache wild oder weich werde.

Rührsam war sicher der Anblick der Lehrlinge und ihr Treiben. Alle hatten tief gefühlt, daß ihr Wissen Stückwerk sei, so viel sie sich auch auf dieses Stückwerk einbildeten, hatten gefühlt, daß es ihrer Bestimmung nicht genüge. Alle waren wahrhaft hungrig und durstig, lechzeten ordentlich nach Vervollständigung dieses Stückwerkes. Aber alle waren durchaus ohne Bildung, ohne Hülfsmittel; sie wußten, was sie wußten; aber von dem, was sie nicht wußten, was es sei und wie viel es sei, hatten sie keinen Begriff, also ebenso wenig von dem, was sie eigentlich bedurften außer einigen Namen, wie z. B. Konstruieren. Vor allem Wissen lag für sie ein undurchdringlicher Vorhang, wie für alle Menschen vor der Zukunft. Alle hatten mit tausend Schwierigkeiten zu kämpfen, um diese Normalschulen zu besuchen. Einige mußten ihren Familien den notwendigen Sommerverdienst entziehen, mußten ihre Sonntagskleider, die für einen Schulmeister manches Jahr halten müssen, abnutzen; sahen einem Winter entgegen, wo geschmalbartet werden mußte; sahen allemal, wenn sie heim kamen, der Frau saures Gesicht und hörten saure Klagen über Kinder und Nachbarsleute; sahen voraus, dieses saure Gesicht den ganzen Winter über sehen zu müssen, wenn der Schmutz in der Küche fehlte und fast das Salz auf dem Tisch. Aber sie kamen doch. Andere hatten ähnlichen Stand mit Vätern und Müttern, die das Geld für so etwas Neumodisches zu lernen nicht hergeben wollten; mußten von allen Geschwistern sich angrännen lassen, wenn sie das wöchentliche Kostgeld, mühselig erbettelt, endlich forttrugen. Andere brachten den sauren Verdienst von Jahren dar, alle aufgesparten Kreuzer seit ihrer Geburt, versagten sich das Notwendigste, um nur auszukommen, oder mußten, wie auch ich, jede Zwischenstunde, die zu ermüßigen war, zur Arbeit benutzen, mußten, an Leib und Seele ermüdet, ein Werkholz in die Finger nehmen, wenn auch die ermatteten Augen alle Augenblicke zufallen wollten.

Alle diese sammelten sich des Morgens, wie die Spatzen auf einem Weizenfelde, auf den harten hölzernen Bänken und horchten mit der gespanntesten Aufmerksamkeit auf die vorgetragene Weisheit. Sie schrieben mit einer Ängstlichkeit, als wenn sie Evangelien zu schreiben hätten, und auch das vergessene Komma ließ sie nicht ruhen, bis sie es ergänzt. Alles wollte man behalten und es konnte einen recht unglücklich machen, wenn man am Abend nicht alle Worte des Lehrers wieder hersagen konnte, wie die Fragen im Heidelberger. Denn das Auswendigbehalten hielt man natürlich für die Hauptsache; war es doch auch die Hauptsache in den Schulen. Man begnügte sich aber nicht nur mit den Lehrstunden, sondern auch in den Mittags- und Abendstunden schrieb man und trieb man, was zur Sache gehörte; kaum ließ man sich Zeit zum Essen. So wollte mir z. B. das Konstruieren nicht recht in Kopf. Wo ich stund, ging und arbeitete, hatte ich das Konstruieren im Kopf und repetierte das am Tage Vorgekommene. Ich konnte die meisten Geschichten auswendig; daher konnte ich mich allenthalben damit beschäftigen.

So heißt es z. B. in der zweiten Geschichte des N. T.: Um jene Zeit befahl der Kaiser Augustus, daß alle Einwohner Palästinas aufgeschrieben würden. Nun suchte ich das Zeitwort, fand es aber gewöhnlich lange nicht. Ich versuchte mit würden, mit jene, mit aufgeschrieben; aber alles ging nicht. Endlich probierte ich mit befahl. Es befahl! Wer befahl? Der befahl! Wer der befahl? Der Kaiser Augustus befahl! Was befahl er? Um jene Zeit. Ja, das war nicht recht; ich sann lange und fand endlich, daß ich fragen müsse, um alle Worte ordentlich zu bekommen: Wann befahl der Kaiser Augustus? Um jene Zeit befahl der Kaiser Augustus. Und was befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit? Daß, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit. Was daß befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit? Daß (nun langes Besinnen und Irriges) würden. Was daß würden, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit? Daß aufgeschrieben würden, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit. Daß wer (das was setzte mich lange in Verwirrung) aufgeschrieben würden, befahl um jene Zeit der Kaiser Augustus? Daß alle Einwohner Palästinas aufgeschrieben würden, befahl der Kaiser Augustus um jene Zeit. O, wenn ich einen solchen Satz glücklich zu Ende gebracht hatte, wie glücklich war ich dann; und wohl zehnmal repetierte ich ihn, um ihn ja nicht wieder zu vergessen.

Doch selten kam ich so glücklich und leicht durch. Dann mußte mich ein anderer abhören, mir einhelfen, dem ich den gleichen Dienst bei Gelegenheit wieder that. Ebenso repetierte ich anderes, namentlich die verschiedenen Taktarten, die Schläge aller Arten, und verwarf für mich die Hände, ärger als der Pfarrer auf der Kanzel. Auch die Zauberformeln des Rechnens, das Multiplicieren der Zähler mit den Nennern, der Zähler mit einander und wieder der Nenner: das Teufelswerk konnte ich nie recht behalten. Ich glich einer wandelnden Brummelsuppe; man hörte mich schon von weitem surren und meine Kostleute beklagten sich, das gehe auch im Traume fort, so daß des Nachts sie meinten das Spulrad zu hören.

Nebenbei sorgte man noch vorsichtig für die Zukunft, für Kinderlehren und Leichenpredigten, auf die man hinsah mit schauerlicher Wonne, wie die Weiber auf eine Kindbetti. Es besuchte uns oft einer, der gab sich aus für gar einen Gelehrten, und im Reden fürchte er niemand und keinen Pfarrer, und es hätte ihn schon manchmal dünkt, es seien viel schlechtere Sachen gedruckt, als was er aufsetze. Er setze zwar nie für sich auf, sagte er, sondern für gute Freunde, die ihn darum bitten. Wir betrachteten den Mann mit gar großem Respekt, der es fast bis zum Drucken gebracht, und baten auch von ihm Aufgesetztes, um es abzuschreiben. Er brachte uns gar willig und erzählte uns bei jeder Rede gar schön ihre Empfängnis, ihre Geburt und ihre Wirkung. Einmal verlor er ein ganzes Säckli voll; wie er das machte, weiß ich nicht, man wurde nie recht klug daraus. Das hätte jeder von uns so gerne gefunden, aber, ich glaube, keiner den papierenen Schatz zurückgegeben. Glücklicherweise fand ihn keiner von uns, sondern ein anderer, der nichts damit zu machen wußte. Unser Gelehrte hatte das aber sehr ungerne.

Obgleich schon anfangs wir die Sache so ernst betrieben, so war doch das noch gar nichts gegen unseren Eifer, als es gegen das Ende der Schule und gegen das Examen ging; da wußten wir wirklich nicht mehr recht, gingen wir auf den Köpfen oder auf den Füßen. Man glaube aber gar nicht, daß dieser Eifer nur erzeugt wurde durch das Examenfieber. Allerdings klopfte uns das Herz, wenn wir daran dachten, daß wir nach Bern vor die Herren des Kirchenrates müßten, die wir uns vorstellten wie kleine Hergötter oder wenigstens wie Erzengel. Damals wußte man noch nicht, daß Erzväter eigentlich Erziehungsväter bedeuteten, wie Erz.-Departement Erziehungs-Departement; sonst hätten wir sie uns wie Erzväter vorgestellt, wie Aberham, Isaak und Jakob. Nein, sondern es war die Angst, wir möchten um einige Bissen Wissen verkürzt werden oder einige erhaltene Bissen wieder vergessen. Die Felder des Wissens blieben uns wie zuvor hinter dem dicken Umhang und aus dem hervor reichte uns der Lehrer Brocken um Brocken. Wie viel noch dahinter sei, wußten wir nicht. O, wie wir uns über jeden erhaltenen freuten, weil er uns ein ganz neuer und eben ein Brocken war, und wie wir uns meinten, wenn wir ihn zu uns gesteckt hatten! Und um so mehr meinten wir uns, weil wir glaubten, wir hätten bald alles im Leibe, was brauchbares hinter dem Umhang sei. Das war es, was uns den Trieb und die Ausdauer gab, welche die meisten von uns beseelten. Freilich waren auch einige darunter, die träger Seele und faulen Leibes waren, die bald schliefen, bald schrieben, wenn sie hören sollten, und gafften, wenn sie schreiben sollten. Wir schämten uns ordentlich ihrer und besonders der Erzväter oder vielmehr Erzengeln wegen, weil wir fürchteten, wenn sie zufällig hinter einen solchen gerieten anfänglich beim Examen, so möchten sie ein böses Vorurteil gegen alle kriegen. Denn wenn solchen Herren einmal eine Mucke hinter die Ohren geflogen ist, so bringt man sie höchstens mit vielem Wadeln wieder weg.

Wenn jemand mit klugem Kopf und warmem Herzen uns zugesehen hätte, so hätte sein Mund sich halbtot gelacht, während sein Herz geblutet in bitterem Schmerz; und aus seinen Augen wäre es stromsweise geflossen, aus dem einen Auge die Thränen des Lachens, aus dem andern die des Schmerzens, beide Thränenarten aber einander so ähnlich eben wie ein Tropf Wasser dem andern, beide wässericht, salzicht und bald verdunstet.

Was war wohl lächerlicher als das Wichtigthun unseres Lehrers und unser Wichtigthun, unser Gifer und unser Brüsten mit leeren Nüssen und weggeworfenen Schalen? Was lächerlicher, als wenn zwanzig Männer mit der höchsten Anstrengung einen Satz konstruieren stundenlang und nicht die halben Worte darin begreifen, und mit dem höchsten Ernst vor sich hinsagen: Nennfall, Besitzfall ec. Wer? wessen? ec., bis sie in der gehörigen Reihenfolge es sich eingeprägt, so aber, daß sie in der Anwendung nie zurecht kommen können? Und bei allem dem doch das Glück auf allen Gesichtern und ein bedeutendes Selbstgefühl in allen Gebärden! War es nicht fast, wie wenn junge Affen mit gestohlenen Glasperlen oder einer alten Matrosenjacke auf einem grünen Aste wichtig und possierlich thun und sich lieber das Leben nehmen lassen als die Jacke mit ihren Löchern, die sie dazu noch verkehrt angezogen? Das waren aber Männer, mit denen man Spaß trieb wie mit jungen Affen, welche die Jugend des Staates, Christenkinder, unterrichten, erziehen sollten. Es waren Männer, welchen ehedem der Religionsunterricht fast allein anvertraut war und die jetzt noch das Fundament zu legen haben; Männer, von denen die Bildung der Vorgesetzten abhing und das Wecken aller Klassen zum Denken und ihre Befähigung zum Gewerb. Es waren Männer, die einem der ehrwürdigsten und einflußreichsten Stände im Staatsverband angehörten, mit denen man auf diese Weise bewußt und unbewußt das Narrenwerk trieb. War das nun nicht zum Weinen? War es nicht zum Weinen, daß so viel Eifer, so viel Hingebung und sicher auch so manches schöne Talent auf so läppische Art und an so läppischen Dingen vergeudet, verzehrt wurde?

Auf diese Weise wurden Schullehrer gebildet. Ich will nicht sagen alle. Es mag Normalschulen gegeben haben, in denen auf geistreichere Weise hantiert wurde, obgleich in den Examen, welche ich mit Schülern derselben hier oder dort machte, fast kein Unterschied zu merken war. Sicher ist auch mancher Normallehrer gewesen, der wußte, was Palästina sei; aber ob er es auch erklärt, ob er es nicht als bereits bekannt vorausgesetzt hat, das ist eine andere Frage. Mancher dieser Lehrer hat sich sicher aus aufrichtigem Herzen die größte Mühe gegeben; aber hatte er denn auch wirklich den wahren Beruf zu diesem Unternehmen, die Kenntnisse und den pädagogischen Sinn und Takt? Auf alle Fälle verriet er darin nicht die gehörige Einsicht, daß er glaubte, in einigen Monaten einen Schulmeister bilden zu können. Braucht doch die allmächtige Natur neun Monate zur Bildung eines Kindes und ein mittelmäßig guter Schneidermeister drei Jahre zur Bildung eines mittelmäßig guten Schneidergesellen; und ein Kind und ein Schneidergeselle, und wenn es auch ein Altgeselle wäre, sind doch noch lange keine Schulmeister. Aber daraus sieht man, wie hoch der Lehrerstand bei Hoch und Niedrig galt, und wie groß der Schulverstand allenthalben war. So ging es damals mit der Bildung des Lehrerstandes zu. Wahrlich, die menschliche Natur muß noch viel Gutes an sich haben, daß sie durch die Sorglosigkeit und den Unverstand der Menschen nicht in Grund und Boden, hinein verteufelt ist! Das kömmt uns aber wohl. Denn wenn wir jetzt schon freilich bessere Schulmeister-Bildung und bessere Schulmeister haben, so sind andere da, die den Souverän, das Volk, verhunzen aus Leibeskräften mit unzeitiger Nachsicht und unzeitigen Schmeicheleien und bösen liederlichen Beispielen; – gerade wie schlechte Kammerdiener bei vornehmen Prinzen es machen, um ihnen lieb zu werden, viel bei ihnen zu gelten und ihnen die Augen zuzudrücken für schlechte Streiche oder behagliches Nichtsthun.


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