Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Jeremias Gotthelf

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Fünftes Kapitel.

Wie ich aus einem Erbprinzen ein Schulprinz werde.

Mein Engel, den ich fand, hatte auch keine Fecken, sondern eine Schnupfnase und Augen, die tropften wie ein Schleiferkübel. Es war unser alte Schulmeister, der mich in Burgdorf gefunden, sich meiner liebreich angenommen und mir beim Vater z'Best geredet hatte, als er mich in der ersten Hitze schlagen wollte. Das hatte ihm mein ganzes Herz gewonnen, ich hing an ihm mit wahrer Ehrfurcht und Zärtlichkeit, er mochte sein wie er wollte. Jeder Mensch macht auf den andern einen Eindruck, der gewöhnlich erzeugt wird durch die äußere Gestalt und die Gesichtszüge. Dieser Eindruck ist oft ein sehr wichtiger, denn der Seele Spiegel ist das Gesicht, und mancher hat es bereut, daß er den ersten Eindruck über den Worten eines Menschen vergessen, weil er sich dadurch bittere Täuschungen erspart hätte. Zuweilen aber wird dieser Eindruck auch erzeugt durch die Lage oder die Handlung, in welcher wir einen Menschen zum erstenmal erblicken, und dieser Eindruck ist noch bleibender als der erste. Ein Kind, das zum ersten Male in die Schule kömmt und es sieht den Schulmeister im Zorn, sieht ihn rauh und auffahrend, wird Jahre lang die Furcht vor ihm festhalten und selten es bis zur Liebe bringen. Ja man wird es mit Schlägen in die Schule treiben müssen, was das Übel nur ärger macht.

So hatte ich es mit meinem Schulmeister; was andere an ihm sahen, sah ich nicht, und wenn andere ihn neckten, so that ich ihm, was ich ihm an den Augen absehen konnte. Er war häßlich und durch Unreinlichkeit fast eckelhaft; er liebte neben dem Schnupf auch den Schnaps, und den trank er manchmal vor, manchmal während der Schule. Sein Lohn war gering, und um sich mehr Geld zu verschaffen, trieb er das Küferhandwerk und hatte im Winter den Zügstuhl in der Schulstube. Er galt für einen bsunderbar e Gschichte, denn er konnte den Bauern das Heu messen und sogar Brieflein und Zeugnisse schreiben für sie. Sein Schulhalten war aber nicht weit her. Des Morgens mußte man zuerst lernen, was man aufsagen wollte, sowohl auswendig, als die Leser ihre paar Zeilen im Fragenbuch, und die Buchstabierer ihre Buchstaben. Dann fing das Aufsagen an, und wenn dieses nicht bis mittags dauerte, so las man noch ein wenig. Des Nachmittags fing man mit Lesen an, später konnten einige manchmal etwas schreiben oder rechnen; die meisten und besonders die Leser und Buchstabierer, kamen nicht von ihren Büchern weg. Aber auch dieses Schulhalten war ihm beschwerlich und er that es selbst so wenig als möglich. Entweder war er duselig in seinem Kopf von Branntenwein, oder er hatte Kübeli zu binden und Reifen zu schnefeln. Er hatte daher immer einen oder zwei Adjutanten, denen er sein Scepter, die Rute, anvertraute. Gewöhnlich waren es die Reichsten, denen er damit die Gelegenheit gab sich einzuüben, künftig die Untergebenen tyrannisieren und quälen zu können nach Noten. Ordnung war keine in der Schule, aber Prügel vollauf von dem Alten und von den Jungen. Die Achtung fehlte, und wer dem Schulmeister am meisten Streiche spielen, ihn am besten ausspotten konnte, der hielt sich für den Größten und wurde auch von den andern dafür gehalten. Man that ihm alles Wüste, z. B. gefrornen Roßmist, in seine weiten Kuttentäschen, leerte ihm seine Schnupfdrucke aus und füllte sie mit Staub aus Weidenbäumen, schlug ihm Nägel in die Äste, die er aushauen wollte. Doch der Jubel ging erst recht an, wenn er des Nachmittags einschlief, was nicht selten geschah.

Sobald man sah, daß der Schlaf über ihn komme, verstummte der gewöhnliche Lärm, und mäuschenstill ward's ringsum. Glaubte man ihn ordentlich eingeschlafen, so ließ einer zur Probe ein Buch fallen oder schlug mit dem Lineal auf den Tisch. Selten erwachte er. Dann wurde Kriegsrat gehalten, was anzufangen sei, und nie war man über etwas Lustiges verlegen. Man band ihn mit Stricken an die Ofenbeine an, strich ihm Tinte ins Gesicht, machte ihm einen Schnauz, verstopfte ihm die Nasenlöcher mit Papier, klebte ihn an den Haaren mit Pech am Ofen an u.s.w. War die Sache ausgeführt, so machte man sich in aller Stille aus dem Staube bis an eines, das an irgend einem Fenster den Austrag der Sache ansehen mußte; denn das Lustigste war dann doch, zu wissen, wie es abgelaufen. Wenn die Frau (eigne Kinder hatten sie keine) die Kinder fortgehen hörte und der Mann nicht kam, suchte sie ihn endlich und weckte ihn unsanft auf, betitelte ihn auf allerlei Weise und befreite ihn nicht auf die gelindeste Art. Das alles dann erzählen zu hören, war die größte Burgerlust für die Schüler. Der Schulmeister fragte nie nach den Missethätern, aber am folgenden Morgen handhabte er die Rute mit besonderem Nachdruck, und die, denen er den Streich zutraute, erhielten ihre Heiligen mit und ohne Anlaß. Aber man war derselben so gewohnt, daß man sich aus ihnen nicht viel machte, obschon er bis zu sechs Dutzend sogenannte Tötzelni aufzählte.

Ich war schon früher zu ihm in die Schule gegangen, ohne daß ich mich über ihn besonders zu beklagen gehabt hätte. Durch mein vieles Lernen zu Hause war ich meinen Altersgenossen zuvorgekommen, konnte immer ohne Fehler aufsagen, und an den Streichen, welche die ältern verübten, war ich zu jung, teil zu nehmen. Seit er mich aber erlöst hatte aus meinem Jammer und seit ich keine Tristig mehr hatte zu Hause, war die Schule mein liebster Aufenthalt und der Schulmeister mir der liebste Mensch unter der Sonne. Ich that alles Mögliche, um ihm zu gefallen, und dadurch gewann ich seine Zuneigung, vielleicht auch dadurch, daß er mir eine Wohlthat hatte erzeigen können. Der Mensch thut so selten etwas Gutes, daß er sich ordentlich zu dem hingezogen fühlt, der ihm Gelegenheit dazu gegeben hat, etwas Löbliches zu vollbringen, und seinem Gewissen Stoff, ihn auch einmal zu rühmen.

Freilich waren die Mittel, welche ich ergriff, um mich ihm wohlgefällig zu machen, nicht die saubersten. Ich sah, daß andere Kinder ihm zuweilen Geschenke brachten, Milch, Brot, Speck, Metzgeten u. s. w. Daß die es einige Tage besonders gut bei ihm hatten, kam bei mir nicht sowohl in Betracht, als daß ich sah, wie sehr es ihn freute und wie seine Frau nicht aufhören konnte zu danken und dem Müetti und dem Ätti alles Gute zu wünschen. Ich forderte daher einmal, als wir backten, ganz unbefangen ein Brot, um es dem Schulmeister zu bringen. Wohl da kam ich schön an! Der Vater meinte: »Ihr fresset no nit gnue Brot, daß mr no angere gä seu. I mah verdiene, wi-n i will, es bschützt nüt. We d'no einisch öppis seyst, su schlah-n-i dr dr Gring ab.« Die Mutter aber belferte: »Ja dem wett i o öppis bringe! Suf är weniger Brönz! U sn Frau isch so schmäderfräßig, sie schätzte üses Brot nüt; es war ihr z'weni wyßes, sie gab's ume dr Geiß.«

So war ich abgefertigt, aber nicht zufrieden. Nun konnte ich freilich nicht thun, was jener Güterknabe, der gerne unterwiesen sein wollte, und, um den Pfarrer dazu zu bewegen, ihm ein Geschenk zu bringen trachtete, und es recht gut machen wollte, damit es ja bschüßi; der daher seinem Meister zwei Hammen auf einmal stahl, aber auch die Sache so ausbrachte. Denn hätte er dem Pfarrer nur eine Hamme auf einmal gebracht, so wäre es diesem nicht aufgefallen, allein zwei auf einmal, das war er nicht gewohnt und fragte nach, und die Sünde kam aus. Nein, zwei Hammen konnte ich aus unserm Kämi nicht nehmen, die Mutter sah zu scharf alle Tage hinauf, die vier zu zählen, die im Winter oben hingen. Aber ich stahl Eier, und da es diese selten gab im Winter, so stahl ich sie im Sommer in Vorrat und verbarg sie ins Heu, stahl Äpfel, dürres Zeug, und wollte einmal sogar der Kuh eine Halbe Milch ausziehen. Die aber verstund keinen Spaß, sondern schlug den ungewohnten Melker gar tüchtig in den Mist, daß er Mund und Nase voll bekam.

Das zweite, was ich versuchte, um die Gunst des Schulmeisters zu erlangen, war, daß ich ihm nach und nach zu verrätschen anfing, was die andern thaten. Es war nicht bloße eigennützige Absicht dabei, sondern wahrhaftig großenteils Liebe zu dem Manne, und Ärger, daß man ihm so mitspielte. Weil der Mann mich liebte, um meiner Anhänglichkeit willen mich allenthalben vorzog und rühmte, so suchte ich auch so viel möglich bei ihm zu sein.

Fleißiger Schulbesuch gehörte sonst nicht zu den Tugenden unseres Hauses. Erstlich halten die Eltern kein Schulgewissen, es fiel ihnen Wochen lang nicht ein, daß es Schule sei und die Kinder geschickt werden sollten. Sie hatten ferner keine andere Vorstellung von dem Nutzen einer Schule für gewöhnliche Leute, die nicht etwas appartigs werden sollten, als daß man darin lesen lerne, um unterwiesen zu werden und weil es einem überhaupt kummlich sei, lesen zu können. Und da die ältern von uns lesen konnten, so hielten sie dafür, die Schule trage für diese also wenig mehr ab. Endlich hatten sie auch den gewöhnlichen republikanischen Trotz: »Es heig ihnen niemer nüt z'bifehle, me chönn 'ne i dSchueh blase, sie heige dWehli, dChing i dSchuel z'schicke oder nit. Sie gebit ne z'esse u a dSchueh zahl 'ne o niemere nüt.« Meine Schwestern hatten endlich noch erlanget, daß sie auf einem appartigen Plätzli Flachs pflanzen und denselben spinnen durften für sich, wenn sie im Tage für die Eltern anderhalb Tausend gesponnen hatten. Sie fragten daher der Schule wenig nach und zogen sich davon, soviel sie konnten.

Die Eltern hätten daher auch mich nicht fleißig gesandt, wenn ich nicht gerne gegangen wäre; sie hätten mich viele viele Tage um das Haus können schlingeln sehen im Nichtsthun, ohne mich in die Schule zu schicken. Ich bin überzeugt, an wenigstens einem guten Drittel von Schulversäumnissen ist, besonders bei den Knaben, nicht die Arbeit sondern eben die Gleichgültigkeit der Eltern schuld, die gar nicht an die Schule denken, oder, wenn sie das Geringste zu machen, nur ein Körbchen mit Erdäpfeln zu waschen haben, alsobald sagen: Du kannst heute nicht in die Schule, es müssen Erdäpfel gewaschen sein, – nicht denken, daß dieses bei gutem Willen füglich vor oder nach der Schule gemacht werden könnte, oder füglich von jemand, der zu Hause bleibt und dabei nichts versäumen würde.

Alle Morgen und alle Mittag war ich bereit zum Gehen. Da glaubten die Eltern Einhalt thun zu müssen, teils weil sie glaubten, ich könnte das Spulen versäumen, teils sagten sie: »Was würden die Leute dazu sagen, wenn sie einen so großen Buben alle Tage zur Schule sendeten? Sie könnten ja denken, sie wüßten ihn nichts zu brauchen oder hätten ihm nichts zu arbeiten.« Und die Schwestern, so wenig sie zu gehen begehrten, redeten auch darein und sagten: Wenn ich immer gehen könnte, so wollten sie auch gehen, sie hätten so viel Recht als ich. Das half aber alles nichts; ich zwängte es die meisten Male durch. Denn ein Kind, das hartnäckig ist, kann auf dem Lande ungeheuer viel zwängen, sobald es sich auf das Zwängen legt, weil man wohl Schläge, aber den nachhaltenden Ernst nicht kennt. Freilich mußte ich zwischendurch spulen über Hals und Kopf, früh und spät; freilich bürdete man mir noch immer mehr zu machen auf zwischendurch, Futter rüsten, holzen u.s.w. Aber ich gab nicht lugg, machte so viel ich immer mochte; und wenn das nicht genug war, so brauchte ich am Ende auch das Maul, drohte mit Fortlaufen, sagte, der Götti wolle mich u.s.w. Da setzte es wohl Ohrfeigen, aber es half doch etwas; denn entbehrt hätte man mich ungerne. Es wäre dadurch eine Lücke in dem Hauswesen und in der Arbeit entstanden, die niemand gerne ausfüllen mochte.

Ich lernte in und außer der Schule gar gewaltig, und hatte eine Vorrichtung ersonnen, um dem Spulen unbeschadet es thun zu können. Es ist merkwürdig, daß auf dem Lande so wenige Haushaltungen auf den natürlichen Einfall kommen, daß die Kinder und namentlich die Mädchen lernen und arbeiten können mit einander. Freilich bedarf es dabei gespannter Aufmerksamkeit; aber eben die Aufmerksamkeit spannen zu lernen, wäre auch eine gar nötige Sache, welche so wenige verstehen. Besonders für eine Sache wäre es recht gut. Der Mensch denkt fast immer etwas, und ganz unwillkürlich kommen und gehen die Gedanken, und bei keinen Arbeiten kann man kommöder sinnen als bei den Mädchenarbeiten, spinnen, lismen, nähen und bei vielen andern mehr. Da kommen dann den erwachsenden Mädchen die Gedanken von selbst ungezogen und setzen sich wie Mehltau in ihren Seelen fest und vergiften Keuschheit und Schamhaftigteit. Sicher ist so manches Mädchen, ohne daß jemand bei ihm war, durch seine eigenen Gedanken, die sich während der Arbeit entspannen und dann sich fortsetzten, wenn das Licht ausgelöscht war, verführt worden. Darum wäre es von großer Wichtigkeit, wenn man während der Arbeit die Gedanken mit etwas Gutem beschäftigen könnte, so daß die bösen keinen Platz fänden. Das wäre so gar nicht schwer, wenn man nur wollte. Aber man legt so gar wenig Gewicht auf seine Gedanken, und bedenkt nicht, daß Jesus sagt: Aus dem Herzen heraus, von den Gedanken her, kommt alles Arge. Man ist gewöhnlich auch so wenig Meister seiner Gedanken, daß man den einen nicht befehlen kann zu kommen, den andern nicht zu gehen. Man hat es mit ihnen wie mit den Einquartierungen; sie kommen und gehen nach Belieben; und sie gehen heißen fällt niemand ein, weil man wähnt, es hülfe nichts, sie blieben doch. So lange aber einer nicht Herr seiner Gedanken wird, daß er sie kann auf- und abmarschieren lassen nach Gefallen, so lange ist er nicht Herr in seinem Hause. Er ist ein Sklave und weiß weder für heute noch morgen, was seine Gedanken aus ihm machen werden.

So kam ich ganz gewaltig vorwärts. Die Fragen waren im Hui auswendig gelernt, Psalmen eine Menge ebenfalls. Davon verstund ich freilich nichts, aber aufsagen konnte ich, daß man mit keinem Hammerlein dazwischen schlagen konnte. So weit hatte ich es in der Kunst aufzusagen gebracht, daß ich bei vielen Fragen nie Atem schöpfte, und selten mehr als einmal. Freilich mußte ich dann gar tief aufatmen, wenn ich fertig war. Aber das gefiel den Leuten gar wohl, und wer am wenigsten zu atmen brauchte, den hielten sie für den Geschicktesten. Am Ende des Winters gehörte ich unter die Geschicktern, und der Schulmeister, dem ich gar lieb war, hätte mich gerne auf eine vordere Bank gethan. Er durfte es nicht, weil gerade ob mir des Weibels Bueb saß. Hätte er mich über den springen lassen, so würde es einen Lärm abgesetzt haben furchtbarlich, daß des Webers Bueb über ds Weibels Bueb hinauf gesetzt worden sei im Examenrodel und einen halben Batzen mehr Examengeld bekommen solle. Aber meine Fortschritte waren erst bei Anfang der Schulen im folgenden Winter recht auffallend. Vor allem ging es an ein Repetieren, und bis repetiert war, war von Schreiben und Rechnen keine Rede. Dieses Repetieren dauerte wenigstens bis zum Neujahr; bei vielen, die erst nach dem Dreschen kamen, bis nach Fastnacht. Und andere brachten es nicht mehr so weit, als sie im vergangenen Winter gewesen waren. Den ganzen Sommer hatten nämlich die meisten Kinder gar kein Buch angesehen; mit den Strümpfen im Frühjahr hatten sie es weggelegt, und erst mit den Strümpfen oder oft noch nach denselben nahmen sie es wieder vor. So war bei vielen alles rein vergessen. Buchstabierer mußten Buchstaben wieder kennen lernen. Wer die Fragen im letzten Winter zum ersten Mal auswendig gelernt, hatte alle vergessen. Das Lesen ging durchaus schlecht, und viele, die es gekonnt, mußten wieder zu buchstabieren anfangen. Daher wurden in der Schule so geringe oder gar keine Fortschritte gemacht. Weil ich nun den ganzen Sommer durch gelernt hatte beim Spuhlen und für mich immer aufsagte, wo ich ging und stund, so war ich im Herbst allen vor, mit dem Repetieren im Nu zu Ende, und konnte bald mehr auswendig als alle anderen.

Das gefiel dem Schulmeister gar wohl. »Peterli«, sagte er, »du gisch e rechte Bickel ab. Es isch schad, daß du ume e's Webers Bueb bisch, u daß dr alles, du masch lere was d'wilt, nüt nützt und dr nit viel abtreit«. Ich hielt bei ihm um zwei Dinge an. Vor allem wünschte ich, die andern bhören zu können, oder mit andern Worten, sein Stellvertreter zu werden. »Peterli«, sagte er, »es ist mr leid; du chasch wohl bhöre, aber eis chasch no nit: du chasch no nit z'hingerfür lese, u bis das chasch, cha di nit bruche drzue; dr anger Winter cha 's de scho gä«. Wer nämlich sein Stellvertreter sein wollte, der mußte mehr auswendig können als die andern, so daß er zum Abhören derselben kein Buch brauchte. So that es der Schulmeister, so, meinte man, müsse es auch dessen Stellvertreter können. Zweitens mußte er die Buchstaben verkehrt kennen und so lesen können. Der Schulmeister stund vor den Büchern der Lernenden, sah in der Kinder verkehrte Bücher und mußte sie so verstehen. So that der Schulmeister, und daß es sein Stellvertreter auch könne, war seine zweite notwendige Eigenschaft. – Drittens mußte er, wie schon gesagt, vornehm sein, und es gehörte zu den denkwürdigen Seltenheiten, wenn einer der Untergebenen die Rute, d. h. als Scepter erhielt. Und dieses Letztere war wahrscheinlich eigentlich der Grund, warum der gute Mann mir das Amt nicht anvertrauen konnte. Im andern Winter ging dann des Statthalters Bueb in die Unterweisung, und kein vornehmes Söhnchen war vorhanden, das alt genug dazu war.

Das andere, warum ich ihn bat, war, daß ich auch schreiben und rechnen lernen dürfte. »Peterli«, sagte er, »das treit dr glatt nüt ab; du wirsch nie Gülti z'rechne ha, u-n-e Gemeinsvater wirsch o nie. Die müeße öppe Gschribnigs chönn e aber je minger je besser, u we's die Manne gsächte, daß i di das lehrti, su würde si mi balge u säge, das bruchti si nüt; wer Tüfel wett Vorgsetzte sy, wenn e jedere Hudel öppis lerti und schrybe u rechne chönnti; u we eine nüt heig und z'viel chönni, su gäb das dr Wüestischt und so eine heig geng ume z'räsoniere. Drum, Peterli gib lugg, es treit dr nüt ab«. Aber Peterli het nit lugg gäh, sondern chärete fort und fort, bis er endlich das Versprechen erhielt, daß im andern Winter, wenn er sich gut stelle und das z'Hingerfürlese gut lerne, er auch solle in die Geheimnisse der Schreib- und Rechenkunst eingeweiht werden.

Auf das hin studierte ich mit unermüdlichem Eifer in umgekehrten Büchern, bis ich es zu ordentlicher Fertigkeit im Lesen brachte. Mein Vater sah dem Ding mit Verwunderung zu. Daß so ein Weberlein sich gerne rühmt und eben nicht viel Stoff zum rühmen hat, so rühmte er sich meiner nicht wenig, obgleich er mir deswegen nicht holder ward. Er habe einen Buben, pflegte er zu sagen, der könne lesen bed Weg in allen Büchern, man möge ihm vorlegen welche man wolle; eine Halbe vom Bessern wolle er wetten, er mög dr Pfarrer weit. Gewöhnlich pflegte er dann noch hinzuzusetzen: ob er aber ein Narr wird oder öppis angers, das weiß ich selbst noch nicht.

Im nächsten Winter übergab mir der Alte, mit einigem Widerstreben freilich, die Rute; es machte aber auch nicht geringes Aufsehen, daß ds Webers Bueb in der Schule z'bifehle habe. Es chömm afe lustig, hieß es im Dorfe, wenn me sellige Lüte dGringe gai ga groß mache, u so am-e-ne Schuldebürlis Bueb meh ästimieri, als dBuresöhn, so syg's afe nimme drby z'si. Eine Mutter, deren Mädchen ich mit der Rute getroffen, kam geradezu in die Schule, sagte dem Schulmeister wüst, und wollte an mir Gegenrecht üben. Glücklicherweise war es nur eine Taunersfrau, die halt nicht wollte ihre Kinder von ihresgleichen züchtigen lassen. Von den Vornehmern hätte sie es geschehen lassen. Weil also die Frau auch nicht viel zu bedeuten hatte, so wurde sie bündig zur Thür ausgewiesen. Der Schulmeister war aber doch in Verlegenheit, und würde mich wohl abgesetzt haben, wenn er sich bei meinem Regiment nicht so wohl befunden hätte. Früher hatten alle Kinder gegen ihn Partei gemacht, ja die Lehrmeister waren als die Ältesten oder Vornehmsten gewöhnlich die Rädelsführer aller Streiche gegen ihn gewesen. Jetzt stund ich auf seiner Seite, und konnte kraft meines Amtes vieles abwenden. Darum konnte er sich nicht entschließen, mich zu entlassen; aber er schärfte mir die größte Vorsicht ein, und bezeichnete mir die, welche ich schlagen dürfe, ohne daß es etwas mache. Die andern sollte ich ihm überlassen. Unter denen, die am meisten kriegten, waren meine Schwestern. O wie that das mir so wohl, wenn ich ihnen in der Schule eintreiben konnte, was ich zu Hause von ihnen abthun mußte; o wie wohl that mir überhaupt das Regieren! Wenn ich so mit der Rute in der Hand die Stube auf- und abspazierte; wenn ich mit angestrengter Stimme rufen konnte: »Lerit;« oder einem das Buch in der Hand zurückstoßen und sagen konnte: »Du chast aber nüt, lehr's besser« – o da glaubte ich nicht, daß irgend auf der Erde jemand mehr zu bedeuten hätte als ich.

Freilich ging dieses alles mir nicht ungestraft hin. Sobald die Schule aus war und die Herde auf der Gasse, so war ich wie vogelfrei, und jedes suchte sich an mir zu rächen, und zu Hause vergaßen meine Schwestern auch nicht, was sie in der Schule von mir erhalten hatten. Ich war keiner der stärksten und verstund anfangs gar nicht, mich zu wehren. Ich glaubte, sie sollten auch außer der Schule vor mir Respekt haben, und drohte mit Verklagen, statt wieder zu schlagen. Allein da der Respekt nicht kommen wollte, so lehrte die Not mich besser zu verteidigen und die andern Kinder so viel möglich zu meiden. Das machte mir die Schule und den Schulmeister immer lieber, weil ich in derselben und bei demselben am sichersten und wöhlsten war.

Die Erfüllung des zweiten Versprechens hielt aber noch viel härter als die des ersten. Schreiben und Rechnen wollte ich jetzt auch lernen, aber mein Schulmeister wollte lange nicht daran. Er dürfe es uf sy Seel nicht veranworten bei den Vorgesetzten, sagte er. So lang das Schulhaus stehe, sei es nicht erhört gewesen, daß e sellige, wie ich, schreiben oder gar rechnen gelernt. Die Bauren würden sagen, wenn er selligi Kinder alles lernen wolle, wo ihre Kinder, so sollen die ihm auch die Würste und die Küchli bringen, wo ihre Kinder ihm sonst gebracht hätten. Wenn sie nicht mehr lernten als die andern, so wüßten sie gar nicht, warum sie ihm noch apparti bringen sollten; sie müßten ohnehin den Schullohn fast allein zahlen. Einen so großen Schaden vermöge er bei seinem kleinen Lohn nicht zu ertragen und seine Frau würde auch ein Wörtlein dazu sagen wollen. Aber ich ließ nicht nach, und unter andern Gründen brachte ich ihm vor, daß ich doch den andern auch das müsse zeigen können, wenn er schlafe oder küfere; und daß wenn ich ihnen es nicht zeigen könne, sie nur wüst thäten und etwas uwatligs anfingen. Er meinte, je weniger sie schrieben und rechneten, um so lieber sei es ihm. Daß sie während demselben am uwalligsten seien, wisse er wohl und habe es schon manchmal erfahren. Darum auch wolle er mir etwas davon zeigen, aber ich müsse ihm versprechen, keinen Examenzettel machen zu wollen, es mache dann minder. Vorgesetzte kämen keine in die Schule und auf Kindergschwätz achte man sich doch nicht so viel. Und wenn der Pfarrer komme, so könne ich die Schrift geschwind unter den Bank thun.

Es versteht sich, daß ich diese Bedingungen einging. Voll Jubel kam ich heim, kündete an, daß ich künftig rechnen und schreiben könne in der Schule, daß ich dafür Federn, Tinte, Papier, Tafel und Griffel nötig hätte, also 1 Kreuzer für Federn, 1 Kreuzer für Tinte, 1 Batzen für das Tintenhaus, &frac12; Batzen für Papier, 2 Batzen für die Tafel; den Griffel hoffe ich dazu einmärten zu können, Summa Summarum also 4 Batzen. Ein Jude hätte »Wai, Wai« geschrien über das Zorngeschrei, das mich bei diesem Antrage aus allen Ecken empfing. Es ergoß sich aus des Vaters, der Mutter, der Schwestern Mäuler, es ergoß sich über den Schulmeister, was der für ein Kolder sei, was für einen Narrengring er habe, daß er mich etwas lernen wolle, das ich mein Lebtag nicht brauchen werde, denn ich habe ja weder Heimet noch Gülti; daß er dem Vater zumute, so viel Geld auszugeben. Man finde das Geld nicht auf der Gasse, und wenn man Geld hätte, so hätte man es für ganz andere Sachen zu gebrauchen als für selligs Narrenwerk. Lehre er das alles doch die, wo es begehrten, die Bauernsöhne. Wenn die dem Teufel zu wollten, so hätten sie nichts dagegen. Rechnen und schreiben mache nur schlechte Leute und mache, daß kein Glauben mehr sei in der Welt. Aber auch ich erhielt meinen Teil. Sie schlaye mr jetz bald die verfluechte Büecher um e Gring, bis kein ganzer Fetzen mehr daran sei. Der Schulmeister solle mir z'fresse gäh, wenn er mich doch das Gchafel lehren wolle. Aber man wolle mit dem Pfarrer reden. Er sei zwar auch nicht einer von den Rechten, aber e selligs Donnerwerk werde er doch nicht zugeben können; wie könnte er es vor der Obrigkeit verantworten? Und wenn ich noch einist die Gosche aufthue für sellig Sachen, so schlage man mir den Holzschlegel hinein. – So lautete der langen Predigt erbaulich kurzer Schluß.

So hatte ich meine Abfertigung ungefähr gleich, als wo ich dem Schulmeister Geschenke bringen wollte; aber wie ich mich damals nicht abschrecken ließ, so auch jetzt nicht. Die 4 Batzen mußte ich haben, und wie ich zu Geschenken kam, dachte ich auch zu Gelde zu kommen. Schon lange hatte ich gemerkt, daß Mutter und Schwester mauseten; ich kannte auch die Krämerin, welcher sie die Sachen brachten und bei ihr eintauschten, was sie nötig hatten. So faßte ich heimlich auch ein Klöbli Ryste und hoffte damit mehr als das nötigste zu erhalten. Allein die Frau verstand ihren Pfiff gar zu wohl und gab für gestohlene Sachen Erwachsenen kaum die Hälfte, Kindern nicht einen Drittel des Wertes. O so eine Krämerin ist eine wahre Pest und mich nimmt wunder, daß Männer ihr das Handwerk nicht legen und sie auf irgend eine Weise recht zu Schanden machen. So eine Krämerin tauscht von den Weibern Korn ein gegen Wein oder Sammetschnüre, von Kindern Psalmenbücher gegen Lebkuchen, von Dienstboten Chuder, Garn u. gegen Zimmetwasser und Gorseeblätze. Und von allen Bettlerkindern weiß sie sich den Zuzug zu verschaffen und läschlet ihnen die erbettelten Kreuzer ab. O so eine Krämerin, die den Hausdiebstahl nährt und die Schleckerei und die Hoffart mit ihrem Händeli, die müßte mir einst auch handeln müssen und zwar in alle Ewigkeit, und zwar mußte sie mir um Schwefel handeln und Feuer dagegen eintauschen, und immer mehr Schwefel und immer mehr Feuer müßte vor ihr und hinter ihr sein, bis sie keines mehr unterscheiden könnte, Feuer und Schwefel, bis ein jedes ihrer Haare eine brennende Schwefelzüpfe und jedes ihrer Worte zu einem feurigen Lebkuchen würde. Und so müßte es an jedem ewigen Morgen neu anfangen und am Abend müßte sie mir sein wie ein ausgebrannter Kohlhaufen und das so lange, bis auch ihrer die ewige Liebe sich erbarmen müßte ob ihrem Wehgeschrei.

Diese Krämerin, welche aus langer Übung Gestohlenes gar gut von etwas anderm unterscheiden konnte, kannte meinen Kloben Nysten auch und wußte wohl, daß ich ihn nirgend anderswohin bringen durfte. Darum ließ sie sich kaum erbitten, eine Tafel, Griffel und eine schlechte Feder dafür zu geben. Und ich gab ihn hin darum, alsobald an neues Stehlen sinnend, um noch zu dem Nest zu kommen. Als ich des Abends in der Dunkelheit heim kam, hatte mir der Teufel bereits etwas gebeizt. An der Stange vor dem Hause hing das Nastuch des Vaters, das man ihm ausgewaschen und draußen vergessen hatte; das wandelte alsobald in meine Tasche. Am Morgen fand man es nicht und es erhob sich ein Höllenlärm. Der Vater prügelte die Schwester, die es gewaschen und vergessen hatte; die Mutter schimpfte auf die Schelmen und warf den Verdacht auf eine Nachbarsfrau, und wenn sie übrige 6 Xr. gehabt hätte, so wäre sie sicher zu einer Wahrsagerin gelaufen, um sich diesen Verdacht bestätigen zu lassen. Das geschah zwar nicht, aber die Mutter stichelte doch so lange, bis es Feindschaft gab und man sich von da an alles Leids anthat, was man konnte. Unterdessen hatte ich das Nastuch ganz gelassen in der Tasche, wanderte zur Krämerin und erhielt endlich mit Not den noch fehlenden Schreibbedarf.

Obgleich ich nun auf und mit gestohlenen Sachen schrieb und rechnete, so glückte es mir doch besser, als ich es verdiente. Ich machte recht muntere, wohlbeleibte Buchstaben, recht kenntlich für den Kenner, und konnte sagen, wie sie hießen, was nicht jeder konnte. Denn mancher machte jahrelang Buchstaben, er kannte ihre Namen nicht und der Schulmeister fand nicht nötig, sie ihm zu sagen. Ja, ich konnte nach und nach auch alte Gschriften buchstabieren und lesen. O, mit welcher Lust ich so hinter altem, gelbem Pergament saß und im halben Tag ein halbes Wort lernte!

Aber im Rechnen, da ging es noch viel besser und der Schulmeister sagte oft: »Du bisch ds Tüfels, Bueb, du chast mr bal alles nachemache, was i dir vormache.« Er pflegte denen, die rechnen wollten, zuerst eine Addition vorzuschreiben und dann sie mit ihnen zusammenzuzählen. Gab es über 10, so sagte er: »Da behaltet man eins«; stieg sie auf 20, so sagte er: »hier behaltet man zwei«, und so fort. Weiter ließ er sich nicht ein; nur daß man dann zuletzt nichts behalten dürfe, sondern alles hinsetzen müsse, sagte er noch. So ging es lange, bis man addieren konnte, aber noch länger, bis man durch das Abziehen war. Denn hier vernahm man nur, daß man, wenn man von einer Zahl nicht abziehen kann, bei der folgenden 10 entlehnen könne. Beim Multiplizieren happerte es. Freilich kam auch das Behalten vor; allein weil man das Einmaleins nicht konnte (das wurde vorausgesetzt, obgleich es keiner konnte) und dasselbe erst durch hundertfältige Übung mangelhaft auffaßte, so war es eine Seltenheit, wenn eine Rechnung richtig war. Noch schlimmer ging es beim Dividieren. Man wußte zwar wohl, daß man da vornen anfangen müsse und beim Multiplizieren hinten; aber selten kam einer vor dem Schulaustritt dahin, daß er sagen konnte: »4 in 2 geht nicht, 4 in 24 6 mal.« Und das alles ging darum so mühselig und langsam zu, weil auch nicht für das geringste ein Grund angegeben war, weil man nie wußte, warum man es so machen müsse und nicht anders. Und eben deswegen vergaß man alles alsobald wieder. Nicht nur mußte man alle Winter mit gleicher Mühe von vornen anfangen, nicht nur wußte man von Rechnen gar nichts mehr, sobald man aus der Schule war, sondern ob einer Species vergaß man die andere, und wenn man beim Multiplizieren war, so hatte man das Subtrahieren vergessen. Als einst der Herr Pfarrer an einem Schulexamen uns eine Addition aufgeben wollte, sagte der Schulmeister: »Verzeiht, Wohlehrwürdiger Herr Pfarrer, selligs hei mr gar lang nüt grechnet; sie cheu's chum meh, mr sy jetz bim Dividiere.« Darüber verwunderte sich kein Vorgesetzter; man fand das ganz natürlich, denn der Statthalter sagte: »Grad so isch's mr o geng gange, u we's mr lang nüt z'Hange chunt, so vergiß i's no jetz.«

Weil ich beharrlich immer aufpaßte und ein gutes Gedächtnis hatte, so konnte ich zum Erstaunen meines Alten ihm mit einer Fertigkeit folgen, die ihm noch nicht vorgekommen war. Daher sagte er mir einmal an einem Samstag Nachmittag (nachdem ich eine Division nachgemacht hatte, wo vorher der Alte gesagt hatte, er well sy Seel morn bis zur Chile auf dem Kopf gehen, we's eine chönn): ›Peterli, blyb morn nah der Chingelehr da, i will dr neuis säge.‹ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Es war um Fastnachtzeit; ich hatte mehrere Kinder gesehen, die etwas in den Nastüchern Eingebundenes in des Schulmeisters Stube trugen; ich hoffte daher auf einen tüchtigen Küchlischmaus zum Lohn meiner Stellvertreterei und freute mich gar sehr. Aber als ich in seine Stube kam, sah ich keine Küchli auf dem Tisch, sondern eine Tafel und der Schulmeister sprach also zu mir: ›Peterli, du bisch e bsungerbar e guete Bueb u hesch e Gring wie-n-e Heuschür; i wett, du wärisch myne, du müeßtisch e Schulmeister gäh. Aber notti will dr nenis zeige, i ha's no kem zeigt, die Großgringe bruche nit alles z'wüsse, si meine sust scho, di Welt syg alli ihn; es isch geng guet, we si dr Schulmeister o noh nötig hey.‹

Nun fing er an, mir zu erläutern, daß er noch keinem gezeigt, wie man die Zahlen setzen müsse, und noch keinem sei es in Sinn gekommen darnach zu fragen. Sie betrachteten das als etwas, das sich gar nicht lernen lasse. Darum kämen sie auch in keinen Rechnungen fort und müßten immer zu ihm kommen damit, indem sie immer das hinterst zu vorderst setzten. Mir nun, sagte der Alte, wolle er es zeigen. Es gebe doch vielleicht eine Zeit, wo ich es brauchen könne. ›Nun paß auf, Peterli,‹ sagte er. ›Wenn du Zahlen setzen willst, so mußt du immer z'vorderischt anfangen, gerad so wie man schreibt und wie man redet. Man sagt hundert und fünfzig, darum setze zuerst 1, das bedeutet hundert, und dann 50 nach, das bedeutet dann hundert und fünfzig. So sagt man auch tausend zehn hunderttausend zuerst und dann erst was nachkömmt. Aber paß geng gut auf und vergiß keine zu schreiben, die man sagt. Es ist besser du setzest eine zu viel als eine zu wenig. Und wenn dir jemand Zahlen aufmacht, daß du sie aussprechen sollst, so vergiß nicht, daß wenn 3 Zahlen sind, so bedeutet es, daß sie hundert machen, 4 machen tausend, 5 zehn- 6 hunderttausend. Mehr zu wissen, braucht kein Christ. Man sagt, es gab noch Millionen, aber vo dene ha-n-i no keni g'seh. Und noch eins, Peterli, vergiß nicht. Wenn dir einer mit hunderttausend anfangt, so mußt allweg 6 Zahlen schreiben, wenn er auch nicht 6 ausspricht. Du mußt dann Nullen zwischen ein thun, bis 6 hast, eine, zwei oder drei, je nachdem es sie mangelt; und du wirst bald merke, wo-n-es st am beste schickt.‹

Das war das große Geheimnis, an dem ich gar unbändig große Freude hatte und Zahlen schrieb und aussprach, bis ich fast sturm wurde. Auch brachte ich es zu einer gewissen Fertigkeit und Sicherheit die Nullen anzubringen.

Es möchte irgend jemand glauben, ich schreibe da etwas Ersinnetes ins Blaue hinein, um entweder die alte Zeit oder die alten Schulmeister zu verleumden; ich schreibe da etwas, das nie so gewesen. Nein, wertgeschätzte und allerliebste Leser (zu den Hochgeachteten rede ich nicht, die sind nicht zu brichten), ich lüge wahrhaftig nicht: so ist es vor dreißig bis vierzig Jahren nicht nur in einer, sondern in vielen Landschulen des Kantons Bern gewesen. Waren doch vor noch nicht acht Jahren Schulen in der Stadt Bern, in denen nur zwei Stunden Schreib- und Rechenunterricht in der Woche waren, und für hundertfünfzig Mädchen in einer Stube, wo nicht siebzig Platz hatten; wo schreiben und rechnen konnte, wer gerne wollte. Ich berufe mich z.B. auf einen grausam vornehmen Mann, der jetzt feine Kinder besser schulen lassen will, ob es nicht so gewesen. Der kann's erzählen, wie es ihm ergangen, als er die Fragen konnte, die Noten kannte, eine Menge Psalmen und Historenen auswendig wußte, und nun dem Schulmeister sagte, er möchte noch mehr lernen, er hätte wohl Zeit noch für Rechnen und Schreiben. Der kann's erzählen, wie er nicht zur Erfüllung seines Wunsches kam, sondern wie der Schulmeister, der rechnen und schreiben für die damalige Zeit recht ordentlich konnte, ihm sagte: »Los, Christi, was witt das lere, du bruchst das nüt; we d' de öppis z'schribe u z'rechne hest, su chum nume zu mir, i will dr's scho mache. We-n-e-n-iedere alles lere wett, es war grad ke Religion meh, dLüt glaube scho jetz je länger je minger.«

So hinterhielten nicht nur die Reicheren den Ärmern das Lernen, sondern auch die Reicheren konnten oft trotz dem besten Willen nicht dazu kommen, wenn der Schulmeister ein Pfiffikus und ein Politikus war. So wäscht eine Hand die andere. Die Bauren gaben dem Lehrer einen Hundelohn, bei dem er nicht leben, nicht sterben konnte; und die Lehrer halfen sich dadurch, daß sie die Bauren in der Unwissenheit ließen und dadurch zinsbar behielten in allen ihren Geschäften. So straft sich der Geiz und die unverständige Kargheit gewöhnlich. Die Bauren blieben unwissend und mußten diese Unwissenheit sehr oft mit schwerem Gelde büßen, aus welchem sie viele Schullöhne hätten bezahlen können. Aber merkwürdig bleibt es doch, daß dieses alles so geschehen konnte, und daß die Schulmeister lehren konnten, was und wie viel einer wollte; daß niemand da war, der dieser Willkür ein Ende machte. Diese Zeit ist bis auf den heutigen Tag noch nicht ganz vorüber, und das ist das merkwürdigste an der ganzen Geschichte.


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