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Fertig war ich geworden also und eigentlich froh, bei Schulmeisters weg zu kommen; aber es ärgerte mich doch, daß die Leute nicht nötlicher thaten, daß ich fortgehe, daß sie mir nicht dringender anhielten, wiederzukommen im Herbst, ja, daß mir kein Bauer das Anerbieten machte, mich bei ihm zu behalten, bis die Schule wieder angehe. Es hätte mich gar sehr gefreut, den Spröden und Wichtigen spielen zu können. Ich fand, daß die Welt eine gar undankbare sei und besonders die Bauren in diesem Dorfe. So viel glaubte ich an ihnen gethan zu haben, und so kalt ließen sie mich ziehen. Aber, dachte ich mir zum Troste, sie werden es noch erfahren, wen sie an dir gehabt haben; so einen, wie du, bekommen sie keinen mehr; dann werden sie die Finger schlecken nach dir bis an den Ellbogen; aber dann können sie dir blasen oder pfeifen, was sie lieber wollen. Es nahm mich nur wunder nach allem dem Ruhme, den ich erhalten hatte, wie sie es werden machen können ohne mich, und wie es auch gehen werde, wenn ich fort sei. So parlierte ich bei mir selbsten, als ich mein Bündelchen zum Dorfe hinaus trug. Es war nicht größer geworden und die Hemder noch böser, als sie gewesen; aber doch waren sie gewaschen und ein Halstuch und ein Paar Schuhe hatte ich mir angeschafft aus den Trinkgeldern. Ein alter Bauer, dem ich außer dem Dorfe begegnete, meinte, nachdem er mich von oben bis unten scharf angesehen und wahrscheinlich die Neuigkeiten an mir bemerkt hatte, es werde mir doch leid thun, von ihnen weg zu kommen, denn ich hätte mich bei ihnen schon viel brycheret. Es ist wahrhaft lächerlich, wie sie fast allemal, wenn ein Beamteter oder sonst ein bei ihnen Angesessener fortzieht, alle Stücklein zählen, die er mit fort nimmt, sich dann brüsten und sagen: »Dä het ume das und das gha, wo-n-er cho isch, i bsinn mi guet dra, u jetz het er sövel und sövel. Dä het si afe brycheret by-n-is!« Den Alten ließ ich fortziehen, ohne ihm viel zu antworten. Aber ärgern that es mich verdammt, daß er meinte, wie viel ich ihnen zu verdanken hätte.
Ich trabte meinen Weg fort und vergaß meinen doppelten Ärger über dem Geklimper der zehn Kronen im Hosensack. So viel Geld beisammen hatte ich wohl schon von weitem gesehen, aber noch nie ganz nahe, geschweige denn im Hosensack gehabt. So viel im Sack, so wenig im Bündel am Rücken, so Schlechtes am Leibe: man denke, was einer da denkt, Eine ganz neue Bchleidig schwebte mir gar lockend vor Augen; nur wußte ich noch nicht recht, ob von Rübelituch, von Halblein oder von Guttuch; es gefiel mir alles wohl, besonders das Rübelituch, und besonders, wenn man dann noch ein rotes Gilet dazu hat; das sah ich an manchem Metzger und an andern berühmten Leuten. Aber Guttuch war für einen Schulmeister doch anständiger und Halblein das beste und komodeste; es süferet sich immer von selbst. Doch das ließ ich für einstweilen in hangenden Rechten und nahm mir den Kauf von einem Dutzend Hemder vor und von zwei Paar Strümpfen, leinene oder wenigstens halbleinene. Ohne Strümpfe auch am Sonntag zu sein, schien mir nicht mehr anständig für mich, und ich fürchtete, die wollenen, die ich den ganzen Winter durch ununterbrochen getragen hatte, möchten im Sommer mich anfangen zu beißen. O, wie freute ich mich über diese Herrlichkeiten alle und über die Möglichkeit, künftig die Hemder immer den rechten Weg tragen zu können. Ich war ein Weberbueb und ein Schulmeister; aber meine zehn Kronen mit meinen Projekten vergleichen und überschlagen, was ein jedes koste und wie viel alles zusammen – das vermochte ich nicht. Ich wußte nicht, was die Elle irgend eines Tuches koste, so viele ich auch gewoben hatte, und wußte noch viel weniger, wie viel Ellen irgend ein Stück brauche. Das wird mancher Landesvater, der alles kennt, nur das Land nicht, in dem er wohnt, nicht glauben, daß dieses möglich gewesen sei.
So wanderte ich sinnend und wohlgemut wieder dem alten Schulmeister zu, damit er mir zu etwas verhelfe oder rate, was ich vorzunehmen hätte. Ich selbst hatte gar nicht darüber nachgedacht, sondern es als ausgemacht betrachtet, daß ich mich nicht darum zu bekümmern habe, sondern daß das des Alten Sache sei.
Dieser saß gerade auf seinem Zügstuhl im Schopf und plätzete einen alten Züber, als ich zu ihm kam. Er freute sich, mich zu sehen, fragte allerlei und endlich auch, ich werde abgenommen haben dert äne und wieder zu meinen Alten wollen, daß ich die Kleider bei mir habe. Wie aber der Alte erschrak, als er hörte, daß ich daran nur nicht von ferne gedacht und um kein Geld in der Welt mehr zu ihnen dürfe, nachdem sie mich auf diese Weise bhüetet hätten, sondern daß ich akurat zu ihm käme, damit er mir an einem andern Ort z'weg helfe, und unterdessen bei ihm zu bleiben! Daraus könne per forscht nichts werden, sagte er. Er hätte sich schon manchmal vorgenommen, sich um niemand zu bekümmern, als um ihn selber; man habe immer Verdruß davon, wenn man einem helfen wolle. Gerade von mir hätte er ds Tüfels Verdruß gehabt. Meine Alten hätten es natürlich bemerkt, daß wir etwas mit einander hätten, da ich so dumm gethan, daß er habe in den Webkeller kommen müssen. Auf weitere Nachfragen hätten sie vernommen, daß er mit mir fort gewesen sei und wahrscheinlich den Platz gesucht hätte. Nun sei meine Mutter zu ihm gekommen und hätte gethan wie ein Untier, ihm alle Schande gesagt, Seelenverkäufer, Kinderschelm, kurz alles, was sich erdenken läßt und zuletzt sich ds Tüfels verflucht, sie wollen es ihm reisen; sie schickten ihm ihren Buben keine Stunde mehr in die Schule; er müß erfahren, was er gemacht habe. Und in der That sei er den ganzen Winter nicht mehr gekommen, worüber er aber froh sei; denn er sei der Ungereimtest in der ganzen Gemeinde. Das habe er ausgestanden meinethalb und genug daran. Es wüßte kein Mensch, wie es ihm ginge, wenn er mich bei sich hätte. Ich bat ihn dr tusig Gottswille, mich nicht zu verstoßen; zu den Alten gehe ich um kein Geld der Welt. Nachdem sie mich halb tot geschlagen, müßte ich mein Geldlein dargeben und hätte dann hinten und vornen gleich viel. Ich ließ nicht nach mit Bitten und Betteln, bis er mir eine Nacht zugestund, und unterdessen könnten wir Kriegsrat halten. Er mußte gar lachen über die Schulmeisterin und drohte seiner Alten, wie er sie übers Knie nehmen wollte, wenn sie es ihm so machte. Der gute Alte merkte nicht, daß auch er gepantoffelt wurde, nur auf andere Weise. Wir wurden rätig, ich solle den Sommer über um Arbeit aus; Schule sei doch nirgend. Bis im Herbst zeige sich dann schon etwas, meinte der Alte; söttig Vögel, wie ich, seien rar und die fänden immer ein Kräzli.
Ach, es behagte mir die Arbeit nicht recht und der Sommer schlich gar unglaublich langsam vorbei. Wann ich entrinnen konnte, so lief ich zu meinem geistigen, selbstgewählten Vogt, um zu erfahren, ob er noch nichts aufgetrieben habe, und wo ich ein Wochenblatt erhaschen konnte, da studierte ich gar eifrig die Ausschreibungen, und wo ich einen alten Schulmeister wußte, da fragte ich gar emsig nach, ob er nicht etwa kränkle und ob man glaube, er werde es noch lange machen. O, was hatte ich endlich für eine Freude, als ich in einem versalbeten Wochenblatt in einem Wirtshause eine Schule ausgeschrieben fand, die meine Wünsche mehr als übertraf! Ich konnte die Beine nicht mehr stille halten, bis ich dem Alten mein Glück verkündet. Ich dachte gar nicht von weitem daran, daß sie mir fehlen könne. Ganz atemlos langte ich bei demselben an und rief schon vor der Thür: »I ha eini, i ha eini!« »Was hesch, du Sturm?« sagte der Schulmeister, indem er schnell eine Flasche in die Ecke des Schaftes stellte und sich den Mund wischte. »E Schuel ha-n-i, e Schuel!« »Wo hesch se de?« »Da i der Täsche han se!« »Das mueß e chlini sy, we sie dert Plazg het«, meinte er trocken, nahm die Brille und setzte sie schrittlings über die braun und rote Nase, nahm das Wochenblatt und hielt es mit langausgestreckten Armen so weit weg vom Leibe als er konnte. Er las lange, nahm dann die Brille, wischte sie ab, las wieder, sagte endlich, darauf könne er sich gar nicht verstehen; ob denn der schon wieder gestorben sei, das sei doch so-n-e tolle Mann gewesen. Wie er das Wochenblatt so herumtrüllete in den Fingern, um es wieder zusammenzulegen, fiel ihm die Jahrzahl in die Brille und die sagte ihm, daß dasselbe ein zweijähriges sei. Da schlug er eine tüchtige Lache auf, daß es ihn und die ganze Stube erschüttelte. Lange konnte er mir auf meine verblüffte Frage nicht Antwort geben, und erst nach langem vernahm ich ganz kaput, daß ich ein dolders Lappi sei und ein junger Löhl. Aber so halten es die Jungen alle; wenn sie schon geschickt seien, so seien sie doch gewöhnlich dümmer als dHopeni, und wenn die Alten nicht wären, so wüßte niemand, wie es ging.
Doch nun ging es nicht lange mehr, bis ich Bescheid erhielt, mich eines Morgens früh bei ihm einzufinden – gsuntiget. Da der Bericht nicht mehr enthielt, so mochte ich den Tag kaum erwarten, um das weitere zu vernehmen. Ich putzte die halbe Nacht meinen Leib und lange vor der bestimmten Zeit klopfte ich das noch träumende Ehepaar auf. Es sollte an ein Examen und auf eine Schule losgehen. Es sei zwar nicht die beste, erzählte mir der Alte, allein für einen Jungen, der keine Frau habe, lange gut genug. So einer brauche nicht viel, werde viel eingeladen, um ihm das Kochen zu ersparen, und er erhalte sonst noch viel, so bald er nur nicht sich einfallen lasse, z'Kost zu gehen. Es sei ihm ds Tüfels Sache, daß die Weiber gegen einen Ledigen viel barmherziger seien, als gegen einen Verheirateten, der doch die Barmherzigkeit viel nötiger hatte. Das sei aber nun einmal die Hauptsache, daß ich einen Platz erhielte; hätte ich einmal einen, so könnte ich weit leichter einen bessern erhalten. Das sei gerade so wie bei den Diensten, die den ersten Platz zu erhalten immer die meiste Mühe hätten und doch mit einem schlechten vorlieb nehmen müßten, von diesem weg aber leicht und gut weiter kommen, und so sei es auch bei der Regierig. Wenn man nur einmal das Nasenzöpfli hinein drücken könne in das Regiment, so habe man gewonnen Spiel, zwänge bald den ganzen Leib hinein und könne bis z'obrist kommen. Ja, bringe es einer auch nur dahin, bei einer Hengstenzeichnung die Hengste aufzuschreiben, so könne er fast sicher sein, später Landvogt zu werden, auch wenn er der dümmste Kerli sei. Unter diesen Reden hatte er sich angezogen, von der Frau das beste Halstuch sich umbinden lassen. Die Frau wußte nicht, wo wehren. Sie sollte z'Morge machen und des Mannes Kammerdienerin sein, sollte Kaffee mahlen und dem Mann Hosen und Strümpfe hervorgeben; denn er wußte nicht, wo sie waren. Sie war aber kein Lämmlein, auch kein Täubchen; es sammelten sich Wetterwolken in den Runzeln ihrer Stirne, und einzelne Windstöße, welche Thüren zuschmetterten, und ein andaurendes Knurren, fernen Donnerwolken ähnlich, kündeten das aufsteigende Gewitter an. Ich kannte das und that alles mögliche, um durch jegliche Hülfsleistung sie zu versöhnen, während der Mann, was mir wunderlich genug vorkam, es gar nicht zu bemerken schien, was sonst der Fall nicht war.
Mit einem langen, langen Stecken, den er einen halben Schuh unter dem obern Ende gefaßt hielt und ihn hoch aufhob und weithin setzte, marschierte der Alte immer einen oder zwei Schritte voran, stattlich und stolz. Er war fast wie eine thorrechte Mutter, die einer aufgeputzten Tochter voranbeinelet einem Märit oder einer Kilbi zu, und deren Augen jeden fragen, ob ihr Meitschi nicht das tollste sei weit und breit, und deren Herz in feuriger Erwartung schlägt über den Schryß, den das Meitschi haben werde, und in neugieriger Angst, welcher Baurensohn sich am Ende das Glück erprügeln werde, mit ihm heimzugehen. Er wolle ihnen heute zeigen, sagte er, daß er nicht der Leidischt sei, wenn ihn schon da die Neuen und Jungen so verachteten. Wenn ich schon keine apartige Schule besucht hätte, wie man sie, seit die Franzosen gekommen seien, eingeführt und in welchen man nichts lerne als Hochmut und Weltliches, so wolle er doch wetten, ich thue sie alle durch, und das hätte ich ihm alleine zu verdanken und nicht so einer solchen Nomadenschule oder wie man die Dinger heiße. Und wenn ich etwas nicht recht wisse, so solle ich nur ihn ansehen; er wolle mir winken, oder, wenn er könne, sich hinter mich setzen, da könne er es mir einflismen. Überhaupt solle ich gar nicht Angst haben und mich auf ihn verlassen. Der Pfarrer sei sein bester Freund; sie seien wie zwei Finger an einer Hand; er sei einmal neben ihm gestanden, als derselbe Tabak gekauft habe in der kleinen Apotheke. Auch der Schulkommissär kenne ihn besonders; derselbe hätte zu Langenthal beim Kreuz einmal abspannen lassen, während er just vor dem Hause gestanden und habe ihm gar freundlich einen guten Abend gewünscht. Es sei zwar erst Morgen gewesen, aber so ein Herr wisse selten, welche Zeit es sei. Wenn er ihnen etwas sage, so sei es so gut, als wäre es gedruckt. Die kennten ihre Leute und wüßten, wem sie glauben sollten. Das Examen sei nur eine neue, dumme Mode; es komme doch am meisten auf die Empfelig an und daß man den Herren gefalle. Im Gehen unterwies er mich ferner in der Manier, wie man gefallen müsse und machte mir die Bücklinge vor. Unglücklicherweise stund ich das erste Mal gerade hinter ihm und erhielt den gewaltig beschlagenen Schuhabsatz, der hintenausschlug, so weit das Bein reichen mochte, tüchtig an das Schienbein. Da machte ich mich ein paar Schritte vor, um die Lektionen ungeschlagen von der Seite ansehen zu können.
Auch die Titulaturen sagte er mir vor und ließ sie mich wiederholen, bis sie mir geläufig waren. Es ist mir noch als ob es gestern gewesen wäre, wie schwer es mir ward, Wohlehrwürdiger Herr Schulkommissär zu sagen, und wie der Alte lachte, als ich immer wieder sagte: Wohlehrwürdiger Herr Schulmilitär! Der Name Kommissar war mir bis dahin ein ganz fremder und so was Unbekanntes spricht eine Baurenzunge nur mit Widerstreben aus, wahrscheinlich aus Instinkt, weil sie fühlt, daß ihr das Fremde nicht heilsam sei.
Unter solchem Unterrichte kamen wir ungsinnet an Ort und Stelle. Etwas spät waren wir; darum trafen wir die Herren nicht mehr im Pfarrhause an. In der Schulstube befanden sich dieselben nebst mehreren Bewerbern. Mir ward beklommen zu Mute, nicht so meinem Begleiter. Der schritt an seinem langen Stocke vorwärts, begrüßte mit Bücklingen und Titulaturen gar schön die Herren und reichte ihnen die Hand, wie alten Bekannten. Dann winkte er auch mir vorwärts und mit gewichtiger Gönnermiene sagte er: da heig er 'ne eine, a dem werde si Freud ha; er heig ne so gschickt gmacht, fast wie-n-er selber syg. Und mir winkte er zu, daß ich mich auch bücken und grüßen solle und dringender und immer dringender. Aber wohl brachte ich es endlich zu Bücklingen, doch nicht zu den Titulaturen; ich wußte durchaus nicht mehr, sollte ich Wohlehrwürdiger Herr Schulmilitär, oder Herr Schulkommissär sagen.
Nach den üblichen Einschreibungen der sieben Bewerber begann das Examen. Lesen that ich gar laut und schön; die Vokale und Endsilben besonders sprach ich aus ungefähr wie wenn eine ganze Note darüber gewesen wäre. Es gefiel ihnen auch ganz besonders wohl; es lächerete sie die ganze Zeit. Das Katechisieren aus dem Fragenbuch ging recht gut. Nun wurde die Kinderbibel genommen und jeder sollte eine Geschichte erklären. Der Alte hatte mir gesagt, ich solle machen, daß ich der Öberst zu sitzen komme, das sei immer eine gute Vorbedeutung; fast immer erhalte derselbe die Schule und die Herren luegten auch darauf. Ich hatte es erzwängt und mußte es büßen. Ich war also der erste und sollte die vierzigste Geschichte im Alten Testament erklären. Ich begann mit der Frage: »Wer sind Adam und Eva gewesen?« Mein Schulmeister hatte mich gelehrt, die seien bei allen Dingen das Hauptfundament und wenn man da anfange, so komme man am weitesten und am besten fort. Aber der Schulkommissär fiel mir bald in die Rede, was ich, beiläufig gesagt, sehr unanständig finde; denn an einem Examen soll es ja einer eben machen, wie er kann. Er fiel mir also in die Rede und sagte, ich solle bei der Sache bleiben. Wenn wir allemal bei Adam und Eva anfangen wollen (ich hatte beim Katechisieren auch da angefangen), so müßten wir den lieben Gott um einen Josua bitten, der die Sonne stille stehen heiße. Da über den sein sollenden Witz alle lachten und mir so der Faden abgeschnitten war, so saß ich verblüfft da und wußte gar nichts mehr zu sagen. Nun, sagte der Schulkommissär, konstruiere doch, das ist bei der Erklärung immer die Hauptsache, und wenn man einen Satz recht konstruiert hat, so hat man ihn auch begriffen. Da faß ich und sah mit offenem Munde den Schulkommissär an wie ein Schaf; denn ich wußte gar nicht, was konstruieren sei. Das Wort hatte ich noch nie gehört. »Na, so konstruier doch und lueg i's Buech, a mi'r Nase sind keine Buchstaben«, erhielt ich die ungeduldige Mahnung. Da fiel mir ein, konstruieren werde welsch sein, und die Herren, wo recht herrschelig reden wollten, werden dem Buchstabieren konstruieren sagen, und munter fing ich zu buchstabieren an. »Versteift de nit dütsch?« »Wohl, wohlehrwürdiger Herr Schulkumpan!« »Nu de, so konstruier!« Ich buchstabierte. »I ha gfragt, ob dütsch verstandisch?« »Ja, wohlehrwürdiger Herr Schulmilitär, aber nit welsch!« sagte ich mit weinerlicher Stimme. Da tönte rings um mich ein schallend Lachen auf meine Kosten und alle betrachteten mich fortwährend als den Narren des Tages. Nun hatte ich eine verspielte Sache und alles verband sich, mich lächerlich zu machen.
Beim Aufsatz wußte ich gar nicht, was anfangen; denn mein Lebtag hatte mir niemand gesagt, daß man das Schreiben zum Aufsetzen brauche und daß das die Sache eines Schulmeisters sei; daß einer Worte aus dem Kopfe aufsetzen sollte, war mir noch in keiner Schule vorgekommen, geschweige daß es mir zugemutet worden. Ich blickte daher rechts, ich blickte links; aber der Linke blickte auch links und blickte rechts und der Rechte that ebenso, und leer blieben die Tafeln links und rechts. Ein einziger war, der geschickter sein wollte als die anderen; allein keiner hielt ihm viel darauf. Glücklicherweise gingen nun die Herren weg und aßen zu Mittag und wir sollten unterdessen arbeiten. Sie glaubten wahrscheinlich, mit leerem Magen würden wir emsiger in der Arbeit sein und derselbe in umgekehrtem Verhältnis zum Kopfe stehen. Die Thoren! Ein Schulmeister ist denn doch kein Jagdhund, der am hungrigsten am besten jagt, sondern sein Kopf steht bis auf einen gewissen Punkt in akurat geradem Verhältnis zu dem Magen.
Sobald die Herren fort waren, traten die Zuschauer vor und halfen ein, so gut sie konnten, brummten dazwischen aber gar mächtig, daß man einem Schulmeister so etwas zumute – das sei doch allbets nicht so gewesen. Als einige Zeilen fertig waren, kamen die Herren wieder, überlasen flüchtig unsere Arbeit; aber man sah wohl, daß sie eben keinen großen Wert darauf setzten. Das Rechnen wurde mit einem Heustock abgethan und zu dem Singen geschritten. Wir mußten jeder das ut re mi singen, und so laut wir es thuu mochten, trat doch der Schulkommissär mit der Hand hinter dem rechten Ohr zu jedem heran und hielt sein Ohr an dessen Mund und erhielt manchen tüchtigen Brüll in dasselbe. Warum er dieses Manöver vornahm, weiß ich nicht. Wahrscheinlich hatte er gar kein Musikgehör, oder ein schlechtes, und bildete sich nun ein, es gehe mit diesem Gehör wie mit dem allgemeinen Gehör: je näher man das Ohr zu dem Ursprung des Tones bringe, desto besser könne man den Ton fassen und unterscheiden. Ach, mein guter Schulkommissär, und wenn Ihr ein Ohr vor die Stimmritze und das andere mitten in die Lunge hättet postieren können und hinter jedes Ohr eine Eurer großen mächtigen Hände: über den Wert, die Nichtigkeit und Unrichtigkeit der Töne würdet Ihr nicht klüger geworden sein. Und dennoch machte er bei diesem allem eine sehr wichtige Miene und fast Augen, wie die Hühner, wenn sie das Pfiffi haben. Und mit einer noch wichtigeren Miene fragte er mich nach gehaltenem Umgang, ob ich ihm sagen könne, was für ein Unterschied sei zwischen Choral- und Figuralgesang. Ja, da stund ich wieder am Berge; hatte ich davon doch mein Lebtag nichts gehört. Das war wieder welsch,, mit dem ich nichts machen konnte. Aber ich war nun schon etwas klüger geworden und besann mich auf eine in den Unterweisungen oft gebrauchte Ausflucht: ich wüßt es wohl, aber ich könnte es nicht sagen. Das half und der Herr fragte mich nun so, daß ich nur Ja und Nein zu sagen brauchte, so daß ich recht gut bestund, obgleich ich weder Gyr noch Gax davon verstund. Aber die Schule erhielt ich doch nicht, sondern den guten Rat, und zwar wohlfeil, nämlich umsonst, kein Schulmeisterexamen mehr zu machen, ehe ich wüßte, welcher Unterschied zwischen konstruieren und buchstabieren sei.
Zerknirscht saß ich im Wirtshause an dem Imbiß, den uns die Gemeinde als Entschädnis für die ausgestandenen Drangsale geben ließ; aufbegehrisch saß neben mir mein Lehrmeister. So ein Examen, räsonierte er, hätte er sein Lebtag nicht gehört; es müsse alles auf die neue Mode sein und wenn es die verflucht dümmste Sache wäre. Er frage doch, was das mit dem Konstruiere für eine Dummheit sei und was es abtrage; mit dem könne man doch weder selig werden, noch gebe es einem z'fresse, und beides seien doch die Hauptsachen! Er hätte aber geglaubt, solche Herren würden doch witziger sein als so; aber so gehe es, wenn man den Menschen fremde Namen anhänge; sie würden gerne z'Narren darob. Ehedem habe man nichts von Kommissärs gewußt, aber auch nichts von Konstruieren. Da seien die Franzosen ins Land gekommen und mit ihnen die Kommissärs; die hätten Dreizingge aufgehabt und lange Säbel nachgeschleppt und hätten alle Leute kujoniert, aber von konstruieren hätten sie doch nichts gesagt. Er könne gar nicht begreifen, warum die Regierung jetzt, wo die Franzosen fort seien, nachdem sie, und besonders die Kommissärs, uns so viel gestohlen, auch Kommissärs erzwängen wolle, und noch sogar in den Schulen, um die Leute nicht nur zu kujonieren, sondern sogar noch zu konstruieren. Er glaube aber nicht, daß das der Regierung Wille sei, und wenn sie wüßte, was die Kommissärs einführen, sie würde ihnen das Handwerk wohl legen. Es seien doch noch brave Herren in Bern, die nicht wollten, daß man die Leute (das Wort Volk war noch nicht in Sprachgebrauch gekommen) so verführe und auf die neue Mode dressiere. Er hülf eine Vorstellung eingeben; wenn einer sie aufsetze, so wolle er sie unterschreiben. Allein dazu hatte niemand Lust, obgleich alle die, welche nicht zur Stelle vorgeschlagen waren, einstimmten. Ich sagte nichts dazu, sondern war ganz mutlos. Ich war im Glauben an meine Geschicklichkeit gestört worden gröblich und glaubte es unmöglich, so neue, unbekannte Sachen in Kopf zu bringen. Ich erklärte auf dem Heimwege kleinlaut, es würde wohl das beste sein, wenn ich das Schulmeisterwerden aufgebe; ich werde doch keiner so wie die Herren jetzt seien. Aber davon wollte mein erbitterter und illuminierter Begleiter nichts hören. Er wolle mich zum Schulmeister machen, schwur er, und wenn alle Kommissärs dagegen wären; er fürchte sie alle nicht und wenn sie auch alle Dreizingge auf hätten wie der Zytglocke und Säbel am Nest wie der Goliath.
Er hielt auch richtig Wort. Kaum vierzehn Tage waren vergangen, so kam er wieder daher mit seinem langen Stecken, seinem wichtigen Gesicht, seiner Schnupfnase mitten drin, und über derselben, wie zwei Sterne über einer schwarzen Wetterwolke, seine ehrlichen Augen. Er brachte mir die Nachricht, daß er für mich Platz als Schulmeister gefunden habe, freilich ohne Schule. Aber das habe gar nichts zu bedeuten; ich sei noch bas so, und z'esse heig i besser, als mancher Landvogt, der eine geizige Frau habe, die einem halb Dutzend heiratslustiger Töchtern die Ehesteuer z'weg machen wolle auf dem Amte.
Mein Platz sei in der Gemeinde Hinterhäg, wo man seit Jahren wegen den Schulen bald branze, bald prozediere, bald tuble. In der Gemeinde sei nur ein Schulhaus, welches nicht die halben Kinder fasse und wohin einige mehr als eine Stunde weit hätten. Daß neue Schulhäuser gebaut werden müssen, sehe man gar wohl ein, allein jeder Bauer wolle das Schulhaus vor seine Hausthüre, und wenn des Nachbars Kinder an einen auserwählten Platz zehn Schritte näher hätten, so hintertreibe er auf jegliche Weise den Bau. Dann wolle wieder jeder Teil der Gemeinde zuerst sein Schulhaus haben; daher würden sie nie einig, wo anfangen, und wenn dieses auch einmal bestimmt worden, so wüßten die Übergangenen eine andere Erkanntnis an der nächsten Gemeinde durchzudrücken. Mit dieser Gemeinde käre die Regierung wie eine alte Großmutter, bitte bald, befehle bald und lasse sie am Ende doch machen, was sie wolle. Man sehe wohl, daß da kein rechter Ernst dahinter sei und daß 'ne graglych sei, ob Schulen wären oder nicht, wenn sie nur regieren könnten. Und hinter der Gemeinde sei noch einer, er wolle ihn nicht nennen, der nicht genug Bücklinge vor den Landvögten machen könne und so tief, daß sein H..... höher stehe als der Kopf; der zäpfle die Landvögte nur aus, wenn sie an der Sache trieben, und reise mit spöttischen Mienen und Worten seine Bauern auf wie ein recht abgefeimter alter Schlaukopf. Aber wenn es ds Militär ansehen würde, da würden sie schon befehlen können. In dieser Gemeinde wohne ein reicher Bauer, der auch gar weit zur Schule hätte. Der nehme nun alle Winter einen auf die Stör für sechs oder acht Wochen, weil er sich verredt habe, seine Kinder nicht mehr ins alte Schulhaus zu schicken. Manches Jahr durch habe er einen alten abgedankten Schulmeister gehabt; – der sei nun gestorben. In der Verlegenheit um einen andern hätte er, Schulmeister, ihn zufällig einmal an einem Donstag angetroffen und ihm versprochen, für einen zu sorgen und das für einen guten. Als Lohn habe er mir alle Tage zwei Batzen ausbedungen. Als Schulmeister brauche man mich erst nach Weihnacht, wenn das Dreschen vorbei sei. Doch könne ich um den gleichen Lohn alsobald anstehen; man habe mir allweg zu thun, entweder zu weben oder zu dreschen. Das Ding war mir nicht ganz recht; ich hätte weit lieber eine Schule gehabt, allein das verdammte Konstruieren nahm mir allen Mut, ein Examen zu machen.
Der Alte erklärte mir aber noch, daß er von nun an nichts mehr mit mir zu thun haben wolle. Meine Eltern paßten immer darauf, daß ich zurückkäme, wie der verlorene Sohn im Evanvangelium. Aufnehmen würden sie mich gar gerne, doch nicht mit Singen und Reigen, sondern mit Fluchen und Prügeln, in der Hoffnung, daß ich, weil mich niemand mehr wolle, froh sein werde, auf jegliche Art und Weise bei ihnen zu bleiben. Leider hätten sie wieder vernommen, daß er mit mir an einem Examen gewesen und mir Platz suche; da hätte ihm gestern mein Vater alle Schande gesagt und, er glaube, geprügelt, wenn nicht noch ein anderer Mann dabei gewesen wäre. Nun esse er keine Suppe gerne, aber Prügelsuppe doch am allerwenigsten.
Es ging nicht lange, so wanderte ich zum zweiten Mal mit meinem Bündelchen, das etwas schwerer geworden war, meinem Posten zu, noch lange vorher, ehe die Schulzeit beginnen sollte. Dort nahm man mich freundlich auf, erklärte mir aber gleich, daß sie denn gar nicht begehrten, daß ihre Kinder zu geschickt würden; sie sollten keine Agenten oder Wirte werden; sie hätten ihnen sonst z'werchen und z'essen. Wenn sie beten lernten und gut lesen und die Fragen samt Psalmen und Historinen, was es geben möge, so seien sie zufrieden. Mit Schreiben und Rechnen solle ich die Kinder nicht plagen; sie hielten aparti nicht viel darauf; die Kinder vergäßen es nur. Wenn man es einst brauchen müsse, so hätte man bald das nötigste gelernt, und wenn auch das nicht, so mache es immer jemand für einen, wenn man Geld habe. Das ganze Jahr zu lernen, trage nichts ab; das Nützest sei, man mache eine rechte Stör hintereinander, etwa sechs Wochen oder was, und dann von Morgen früh bis Abend spät und die übrige Zeit werche man dann auch recht. So komme man beid Weg weiter, als wenn man immer an allem baggle.
So lautete meine Instruktion. Damit ich am Morgen desto früher bei der Hand sei, wenn einmal der Tanz angehe, so wurde mir mein Nachtquartier beim Melker angewiesen, der des lieben Viehs wegen der erste auf den Beinen sein mußte im Hause. Unterdessen mußte ich mitarbeiten, was eben bei der Hand lag. Ich war ein guter Mutz und eben kein übler Bursche, aber nicht abgerieben, nicht schlau, sondern unbehülflich, schüchtern, fast verschämt, kurz, ich war just so, wie man einen am liebsten für einen Gauch hält, besonders die Mädchen. Für die sind so verschämte, unbehülfliche und dabei rotbäckige Bursche ein wahrer Schleck und ein jedes reibt sich an ihnen, um sie abzureiben. So hatten sie ihr Spiel mit mir in der Stube und im Tenn, und die Meisterleute hielten sich manchmal fast den Bauch vor Lachen. Es war dort Sitte, daß auch die Jungfrauen dreschen mußten, wenn nicht alle Männer bei der Hand waren; und wenn das Mannevolk alles zu Hause war, so strichen sie doch, so viel es sich thun ließ, ums Tenn herum. Nach dem Mittagessen wurde gewöhnlich ds Narrenwerk getrieben, ungefähr wie in der Ernte und im Heuet auf dem Felde, d. h. man tröhlte einander im Stroh herum und da fiel manches vor, was ich jetzt nicht weitläufig beschreiben will. Da nun ging der Hauptspuk mit mir an. Man reisete mich hinter die Mädchen, und wenn ich nicht durfte, so kamen sie hinter mich, und mehr als einmal war ich dem Ersticken nahe, weil sie mich auf dem Boden unter sich hielten und kitzelten. Wenn ich Meister wurde, so machte ich auch, was ich konnte, oder was mir die Knechte angaben, und was dann geschah, blieb gewöhnlich das Gespräch den ganzen Nachmittag über. Bald rühmten sie mich, bald führten sie mich aus, und da sie schnell merkten, daß das Rühmen gar wohl bei mir bschoß, so wußten sie es so anzuwenden, daß ich bei meiner natürlichen Gutmütigkeit und Willfährigkeit aller Handlanger wurde. Des Abends trug ich ihnen Holz und Wasser hinein; bei dieser Arbeit begegnete mir einmal ein Spaß. Es war am Tage vor der Fleglete, daß ich viel Holz hineintragen mußte und eine neue Byge angriff. In derselben fand ich zwei Schuhsohlen, welche der Schuhmacher, den wir eben auf der Stör hatten, von des Meisters Leder abgeschnitten und dort versteckt hatte, um sie am Samstag mit nach Hause zu nehmen. Ich brachte sie samt den Scheitern in die Küche. Nun wurde lange Rat gehalten, was man damit anfangen, wie man den Schuhmacher am besten beschämt machen könnte. Endlich hatte die schlauste der Mägde, ein kleines rundes Ding mit schlauen schwarzen Augen, den Einfall, man solle ihm dieselben den Tag darauf kücheln und sie ihm geben zum heimtragen. Gesagt, gethan. Als man fertig war, küchelte man die Stücke Sohlleder gar schön, band sie ihm ein und gab sie ihm mit. Fast konnte man es nicht vor Lachen, als er so schön dankte. Aber wie wurde erst gelacht, als man vernahm, derselbe sei mit seinen geküchelten Schuhsohlen zu einem Meitschi gegangen, hätte sie ihm gekramet, und beide hätten fast die Zahne ausgekaut, ehe sie den Spaß gemerkt!
Nach der Flegelte ging das Lehren an und wurde allerdings unerchant getrieben, daß es mir zuweilen fast gschmuechtete. Das ging mit dem Lehrer wie mit einem Trank, von dem man, wenn man ihn einmal hat, keinen Tropfen zu Schanden gehen lassen will, und sollte man darob selbst zu Schanden gehen. Sobald der Melker aufstund, mußte ich auch, und zuerst mit dem Güterbub lehren, der nicht den ganzen Tag über dabei sein konnte. Und des Nachts nach dem Rüsten mußte ich noch oft hören: »Se, Schumeister, du chönntischt dr Bueb no ne chlei bhöre.« O, wie kurzweilig der Bueb und ich manchmal des Morgens um fünf Uhr einander gegenüber saßen und gähnten, daß die Mundwinkel fast zerrissen, und wie ich dann dem Bueben sagte: »Dankeygisch, daß de mi nit gschlückt hesch,« und wie er mir antwortete: »Dankeygisch, daß d'nit yche gschloffe bisch.« O, wie das lange ging, bis die Meister-Jungfere auf wollte und das Feuer in der Küche zu spretzeln anfing! Nein, das waren nicht kurzweilige Morgen und die erleideten mir mein Amt gar sehr, so wohl es mir sonst gewesen wäre.