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Nun hatte ich meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen.
Durch großen Fleiß und Sparsamkeit ward ich in Stand gesetzt, meine laufenden Schulden alle zu bezahlen, sogar das Bett fast ganz. Aber die Orgel, mein Freund und Tröster, konnte ich nicht bezahlen und doch nicht von ihr lassen. Ich mußte nun mit den Leuten mich abzufinden suchen, daß sie mich ziehen ließen, ohne Beschlag auf meine Sachen zu legen. Die Krämerin war nun eine ganz andere als damals, wo sie mir das Bett aufgeschwatzt hatte. Grob war sie auch jetzt nicht; sie bedauerte nur die bösen Zeiten und die vielen Verluste, die sie machen müßten, so daß sie nicht vermöchten auf das Geld zu warten, und nicht Ursache hätten, den Leuten viel zu trauen. Wenn man einmal aus einander sei, so wisse man nicht, was es geben könne. Es sei daher besser, man mache früher mit einander fertig. Nach vielen Umständen und vielen Bedenklichkeiten ließ sie sich dazu verstehen, daß ich es mit Weben abverdienen könnte. Sie sah, daß ich nicht der Mensch dazu sei, mit einem Bündel Garn mich davon zu machen. Ich lieferte auch das Tuch zur gehörigen Zeit und am gehörigen Orte ab; allein den Weberlohn, der mir noch herausgehörte, sah ich nie.
Mit der Orgel ging es mir schlimmer. Der Schuldner begehrte die Orgel nicht zurück; denn das Orgelfieber war vorüber und niemand hätte sie ihm abgekauft. Er wußte auch, daß man mit einer Orgel einem im Kanton Bern nicht wohl entrinnen kann; aber er sah, wie gerne ich sie behielt. Darum stellte er sich gar geldnötig, gar mißtreu, hatte Käufer dafür die Menge, sie selbst zu behalten Lust etc., und brachte mich so richtig dahin, wo er wollte, daß ich ihm nämlich Stündigungsgeld zahlen mußte. Das Stündigungsgeld ist nicht allen bekannt, obgleich mancher dadurch reich, mancher arm geworden. Es ist ein Opfer, das man bringt neben Kapital und Zins, damit man einem eben mit Kapital oder Zins noch länger warte. Manche wissen ihr Geld so zu verteilen und die Termine so zu stellen, daß sie ihre Opfer zwei- bis dreimal im Jahr schröpfen können. Auch wird unendlich viel Geld so gezogen, ohne daß der Gläubiger es weiß. Der seckelt es ein, der dem Gläubiger zu seinem Gelde verhelfen soll; der halt den Gläubiger mit allerlei Reden hin, während er dem Schuldner tüchtig zu Ader läßt. Man kann sich leicht denken, wie wohl solche Aderlässe dem thun, der ohnehin zu wenig Geld hat, seine Schuldigkeiten abzutragen, und ob sie die Zahlung befördern. Allein sie sind ein komodes Mittel, um zu zwei- und dreifachem Zins zu kommen, ohne als Wucherer angeklagt werden zu können; ein komodes Mittel, Sporteln zu vermehren und zu Geld zum Hudeln zu kommen. So ließ mir mein Käufer die Orgel auch, nachdem ich Hab und Gut verschrieben, Zins ausgesetzt und Stündigungsgeld bezahlt hatte. Wer mir aber noch schuldig war, der hatte alle mögliche Ausflüchte, und wenn ich meine Gläubiger an Schuldner weisen wollte, so hatten auch die Gläubiger Ausflüchte und wollten nicht an die Schuldner kommen.
Als ich glaubte, die Zeit rücke heran, wo in Gytiwyl der Mist geführt sein werde, dachte ich in meiner Einfalt: es sei doch dumm, 6 Stunden weit zu laufen, um ein Fuhrwerk zu bestellen und dann 6 Stunden wieder zurück; das werde am besten mit einem Brief abzumachen sein. Ich schrieb einen, bestellte drei Rosse, bestimmte den Tag, und glaubte alles vortrefflich gemacht zu haben; ja ich hatte eine ordentliche Freude an mir selbst über den unerwarteten Einfall, daß man 6 Stunden weit etwas mit einem Brief so gut verrichten könne, als mit eigener Person. Der Tag kam, aber keine Gytiwyler, und die ganze Woche zeigte sich niemand. Ich lief hinauf nach Gytiwyl, und sah dort am frühen Morgen bei einem der ersten Häuser den Gerichtsäß mit einem Pferd an der Hand am Brunnen stehen und tränken. So in der Hast und ohne es böse zu meinen, frug ich ihn: ob sie den Brief nicht erhalten, und warum niemand daraufhin gekommen sei? Der Gerichtsäß antwortete: sie ließen sich nicht so mit einem Briefe befehlen; das wäre eine komode Sache, wenn da ein jeder nur zu befehlen brauche. Wenn ich etwas von ihnen wolle, so thue es mir's sauft, sie dafür z'ha und selbsten zu kommen; das sei anständig. Ein Schulmeister müsse nicht meinen, daß er Meister sein wolle im Dorfe; sie seien auch noch da daheim. Damit führte er sein Pferd, das die nasse Nase schon lange an seinem Ärmel abgerieben hatte, in den Stall und ließ mich draußen stehen.
Ganz bedächtiglich füllte er seinen Futterkübel aus dem Futterkasten, netzte das Futter und schüttete es dann wohl gerührt in die Krippe, legte den Mist zurecht und trat aus der Thüre. Dort redete ich ihn wieder ganz demütiglich an: ich sei eben jetzt dafür da um für ein Fuhrwerk zu bitten, und wegen des Briefes sollte er nicht zürnen; ich hätte schier nicht Zeit gehabt und gedacht, ein Brief versäume nichts, hingegen ich einen oder fast zwei Tage. Er lüpfte die Hosen und sagte: er wolle ein Roß geben, ich solle nun zu denen und denen gehen, deren Häuser er mir zeigte; wenn die auch fahren wollten, so sei es ihm recht. Damit ging er ins Haus hinein, ohne mich mitgehen zu heißen. Im zweiten Hause ging es mir ähnlich. Als ich doppelte an der Hausthüre, sah jemand aus dem Läufterli, zog aber den Kopf schnell zurück. Wahrscheinlich kannte mich der Kopf und drinnen hob eine Beratung an, was ich wohl wolle und ob man mich solle hineinkommen heißen oder nicht. Da wird die Frau gesagt haben: »Gang du use, Hans, dStube isch no nüt gwüscht u mr hei nume gwärmts Chrut u böst Milch, u mi weiß no gar nit, was er für einen-isch, u drum bigehr i nüt, daß er dNase i alles iche heig. Und dr Ma wird gesagt haben: »Er wird wohl warte, i will emal z'erst näh bis i gnue ha.« Und da that die Frau das Läufterli wieder auf, um erstlich mich auch zu sehen und zweitens mir zu sagen: »Es chunnt grad neuer.« Und während Hans langsam mit der Gabel das Kraut und mit dem Löffel die Milch nahm und zuletzt noch ein Stücklein Brot als Dessert, mußte er der neugierigen Frau Bescheid geben, was das wohl sei, daß ich da zu ihnen komme.
Endlich kam er heraus, gab mir den gleichen Bescheid wie der frühere, und wies mich zu einem dritten. Dort kam eine große mächtige Frau eben mit zweien Säumelchtern von den Ställen zurück, wo sie ihre Morgenfreude genossen hatte an den lustigen Fasel- und den gschlachten Mastschweinen, die, wie die weiße Melchtere bezeugte, ebensoviel Nidle erhielten als Milch, auf alle Fälle bessere Milch, als die Leute selbst auf dem Tische hatten. Ich will wetten, die reichen Basler Herren haben nicht so gutes Weißes in ihrem Kaffee, als circa 4000 Bernerschwein von Martistag bis Fasnacht in ihrem Troge haben. Die Frau war aufgeweckt; wahrscheinlich hatte sie mit ihren zusammengeknüpften Strumpfbändern ihre Lieblinge gemessen und gefunden, daß sie im letzten Monat wieder fast um ein Viertel zugenommen.
Sie fragte resolut: »Was hesch welle?« Nachdem ich mein Begehr vorgebracht, sagte sie: »So bisch du dr neu Schumeister? Myne ist nicht daheim; aber er hat gesagt, er werd wohl fahren müssen.« Nun begann sie, immer ihre beiden Melchtern in beiden Händen, ein Examen über das wie und wann, wie keiner der Männer es sich früher die Mühe genommen hatte, und wie sie es auch kaum gethan hätte, wenn man noch am säen und nicht schon am Rüben heimmachen gewesen wäre, wo eine Bäurin schon ruhig eine halbe Stunde schwatzen kann. Nach einem langen Examen ständligen, und nachdem sie ausgemacht, daß ich einen zweispännigen Leiterwagen und ein einspännig Gstellwägeli nötig haben werde, fingen mir die Beine an sperrig zu werden, und mein Magen brummte ein ungeduldig Morgenlied. Ich frug endlich, wo wohl das Wirtshaus sei? Ich komme weit her und habe heute noch nichts warmes gehabt. »He, dafür brauchst du nicht ins Wirtshaus,« sagte sie, »we d' nit schmäderfräßig bisch u we d' eim ds Mul gönne masch, so hey mr de notti o neuis. Du chasch yche cho!« Damit überschritt sie die hohe Schwelle und ging durch den Seitengang in die Küche, wies mich in die Stube und sagte, sie werde bald nachkommen, sie wolle mir nur neuis wärme. Doch kam sie auf der Stelle nach und zog das Brot aus der Tischdrucke und sagte: »We d' hungrig bisch, so nimm afe; es isch nimme früsches, aber mr hei nit dr Zyt alli Tag z'bache.« Bald brachte sie mir warme Milch und gewärmte Erdäpfelbitzli, breitete das Tischtuch aus über den harthölzernen Tisch, in dessen Mitte eine Schiefertafel eingelassen war, welche das Hausbuch oder den Kalender vorstellte, legte Löffel und Gabel zurecht und sagte: »Chum nimm, du muesch's näh, wi mr's hei; du wirsch aber o nit geng öppis Bessers ha.« Während ich aß, mußte ich eine Unzahl von Fragen beantworten; denn die Bäurin wollte alles wissen. Wo ich daheim sei und wie es dort gehe, wie es auf der Schnabelweide zugehe, wie die Leute es dort hätten und wie sie seien, und warum ich nicht gwybet hätte, oder ob ich nicht wyben wolle? Man sehe doch neue keinen Schulmeister ohne Frau!
Wenn so eine Frau mit Fragen abkömmt, so wird sie nicht bald fertig. Sie liest weder Zeitung noch Bücher und ist doch gwundrig. Und doch hält sie sich nicht dafür, jedermann geradeaus zu fragen und ihre Neugierde zu verraten. Gegen wen sie mißtreu ist, und sie ist es in der Regel gegen alle, die mit ihr auf der gleichen Stufe oder über ihr stehen, den wird sie selten um etwas geradezu fragen, sondern hintenum es abzuläschlen suchen. So recht von Herzen fragen wird sie nur Untergebene, die es für eine Ehre halten, gefragt zu werden, und denen man kein weiter Urteil über die Fragen zutraut, eben weil es Untergebene sind, oder solche, denen man Wohlthaten erwiesen hat, und die durch Antworten eine Art von Bezahlung leisten müssen. Es ist hier fast wie in der Diplomatie und in der großen Welt überhaupt. Man hütet sich vor seinesgleichen, während man sich vor untern auf die lächerlichste Weise bloßgibt, verrät. Daher kömmt es, daß manche Frau für charmant giltet, während sie das Gespött bei allen Brunnen ist; daß über einen Landvogt ein ganzes Amt lachte und spottete, während er in seinen Kreisen für passabel gescheut galt. Daher kömmt es, daß man heutzutage über manche fast krank sich lachen muß, wenn sie mit majestätischer Naivität in vertraulichen Stunden denen, die zu ihren Füßen sitzen, ihre Blößen bewußtlos enthüllen.
Die gute Frau brachte mich aber in bedeutende Verlegenheiten, weil ich die Wahrheit nicht sagen wollte und lügen nicht recht konnte. Doch sie hatte so viel mit den Fragen zu thun und den erhaltenen Antworten nachzusinnen, daß sie meine Verlegenheiten nicht merkte; zudem hatte sie aus allem Gehörten auch einen Schluß zu ziehen und zwar den: man habe es doch nirgend so wie hier. Aber die Leute seien auch darnach; wenn sie wären wie hier und arbeiteten wie hier, so würde es auch besser gehen; aber im Luft komme die Sache nicht daher, und das sei dann wahr: so wie hier, werche man nirgends und verstehe es nirgends. Nachdem dieser Schluß ihrem Herzen wohl gethan, nahm sie sich auch meiner an, hieß mich wacker essen und übernahm die Besorgung meiner Angelegenheit bei ihrem Mann, und daß sie den und den Tag fahren müßten. Ich hätte noch weit heim und das umenandere sprenge trage nichts ab, meinte sie. Nachdem ich noch ein Gläsli Kirschenwasser zu mir genommen, entließ mich die Frau, die nun z'Imiß. kochen mußte.