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Der Fuhrmann zäpfelte, als man ihm das Bett aufgeladen hatte, samt dem Trögli (worin Kacheli und Kelle und Kleider sämtlich eingepackt waren), und eine Pfanne und eine Kaffeekanne, und nun gar nichts mehr kommen wollte. Er hatte dem Landfrieden nicht getraut, geglaubt: ich wolle nur zwei Rosse, um mir Kosten zu ersparen, und daher drei vorgespannt. Mit einem Roß, meinte er, hätte man das sauft geführt; es zöge es einer ja vo Hand. Ich schämte mich; aber er schämte sich auch, wenn die Begegnenden ihn fragten: »Masch gfahre?« Er gab ihnen trutzigen Bescheid, wurde aber auch zusehens kühler gegen mich, und als wir endlich bei eingebrochener Nacht anlangten, da lud er mich nur ganz kühl ein, zu ihnen zu kommen und mit ihnen zu essen. Ein anderer Bauer, der abpacken half, that es dringlicher, so daß ich ihm Hoffnung ließ, vielleicht am Morgen zu kommen; diesen Abend wolle ich einhausen und mich früh schlafen legen.
Als sie mit ihrer Laterne fort und mir noch mein Licht anzünden wollten, fand sich unter meinem Hausrat gar nichts vor, das man als Licht hätte brauchen können. Die Schulmeisterin hatte entweder nicht daran gedacht, oder, was wahrscheinlicher ist, nicht mehr Geld aufwenden wollen. Es ließ mir daher einer seine Laterne da und mich alleine in meinem Hause.
In meinem Hause – die Worte haben einen ganz eigenen Klang, besonders für den, der lange in fremden gewohnt und nicht gewohnt war, etwas für das seine anzusehen.
Ich kann mein Gefühl nicht beschreiben, mit welchem ich, die Laterne in der Hand, im ganzen Hause herumstieg und bei allen Ecken dachte: in dem und mit dem kannst du machen, was du willst. Es kam mir vor, als gebiete ich über ein halbe Welt, und viel fester als sonst trat ich auf und freute mich gar sehr, wenn es im ganzen Hause tönte, ohne daß jemand mich schalt: »Peter, was thuesch so wüesch!«
Das Haus war nicht alt, und seine neuen Gebrechen: Wände, die nicht mehr in den Fugen waren, Fenster, die nicht schlossen, einfache Dielen sah ich nicht; nur den Platz sah ich. Die zwei Stuben, die mein waren, – mein, der ich bisher nur in Gaden geschlafen – und die Küche, auch zwei Ställchen und einen Estrich groß zum Tanzen – das sah ich und legte mich mit dem stolzen Gefühl zu Bette, in meinem Hause und in einer Stube zu schlafen.
Am Morgen erwachte ich, geweckt durch die Sonne, die mir in die Augen funkelte. Denn es versteht sich: Umhänge hatte ich weder am Bett, noch an den Fenstern. Munter sprang ich auf, und stand bald angezogen mitten in meinem Hause. Aber da stand ich eben, und wußte nicht was anfangen. Der Sonne sah ich an, daß es spät sei, und ehrliche Leute wahrscheinlich schon z'Morge geessen haben. Auch wollte mein Gedächtnis mir durchaus nicht sagen, in welchem Hause der Bauer, der mich eingeladen hatte, wohne; und um ihm nachzufragen, hätte ich seinen Namen kennen sollen, den ich aber ebenso wenig wußte wie sein Haus. Er hatte, weil ich einmal mit ihm gesprochen, einmal bei ihm gewesen, vorausgesetzt, ihn und sein Haus müsse ich nun kennen ewiglich. Er wußte nicht, daß gar mancher Bauer und gar manches Baurenhaus einander gleichen wie ein Ei dem andern.
Ich wußte nicht was machen. Je hungriger ich wurde, desto verlegener wurde ich auch. Vor dem Hause mochte ich mich nicht zeigen, aus Furcht, es möchte mir jemand meinen Hunger und meine Verlegenheit ansehen. Ich trat in die Küche, in der Hoffnung, da vielleicht einen unerwarteten Fund zu thun; aber da war es so leer wie in einer Kirche; auch nicht ein Spähnchen Holz war zu sehen, auch ums Haus herum nicht, zu welchem Fenster ich auch, so verblümt als möglich, damit mich ja niemand sehe, hinausguggen mochte. Ich visitierte alle meine Habe, ob sich vielleicht da unverhofft etwas fände; alle meine Kacheli, zwei an der Zahl, meine Häfeli, d. h. eins, wurden oben und unten besehen, meine Pfanne ringsum, aber da war nirgends eine verschlossene Kaffeebohne oder ein vergessener Tropfen Milch. Was will aber einer essen, wenn auf der lieben Himmelswelt nichts da ist, ich frage?
Nun, ich verlor den Mut nicht. Ich dachte: Die Leute meinten, du schliefest lange, und werden dir schon bringen, was du nötig hast, und die Kinder und die Weiber werden eins nach dem andern kommen mit Milch und Anken und Brot, kurz mit allem was sie haben. Ich machte die Pfanne zurecht und wischte die Kacheli mit meinem Kuttensecken aus, stellte alles schön zurecht und hätte Feuer angemacht, wenn ich Holz gehabt hätte und Feuerzeug. Da ich dieses nun nicht konnte, so stellte ich mich zwei Schritte hinter das Fenster und sah nach den Leuten, die Milch, Anken, Brot u. bringen sollten scharenweise. Es kamen Leute die Straße nieder, aber sie riefen nicht: Schumeister! sie klopften nicht an der Thüre – sie gingen vorbei.
In den Häusern ringsum droschen sie, und wenn ein Mensch an die Straße, vor des Hauses Dach trat, so dachte ich: der wird kommen; allein auch der kam nicht. Niemand kam; kein Menschenkind kümmerte sich um den Schulmeister, und hatte ich doch gedacht, das ganze Dorf werde heute die Arbeit sein lassen und mit mir sich beschäftigen; hatte großen Kummer gehabt, wie all das Essen und Trinken versorgen, war darum lieber daheim geblieben und wollte mir die Liebeszeichen bringen lassen, um das Überflüssige sparen zu können auf den morndrigen Tag. Aber niemand kam, auch kein Mensch! Es verrann Stunde um Stunde. Die Sonne stund oben am Himmelsbogen; das Dreschen hörte auf; gewiß aß man in allen Häusern, – und der Schulmeister stund zwei Schritte hinter dem Fenster, war hungrig, durstig, müde vom Stehen, müde vom Luegen; aber das war, als ob es niemand etwas anginge. Endlich setzte ich mich auf den kalten Ofentritt und dachte, was da zu machen sei. Brachte mir niemand etwas, so mußte eingekauft werden, und was alles? Ach, als ich anfing nachzudenken, so hörte es gar nicht auf, was mir noch mangelte. Lebensmittel aller Art: Brot, Kaffee, Milch, Erdäpfel (die hatte ich gehofft überspringen zu können), Salz, Mehl, etwas schmutziges u.; dann hatte ich keinen Lichtstock, keine Stabelle, keinen Tisch (das, hatte ich geglaubt, werde im Schulhaus sein), keine Kaffeemühle, doch hoffte ich das Pulver geröstet und gemahlen kaufen zu können, wie auch reichere Leute thun. Kurz ich sah, daß ich noch gar vieles nicht hatte, nicht einmal einen Wasserzüber, und in der Pfanne tonnte ich das Wasser doch nicht wohl beim Brunnen holen. Endlich brach ich mit dem Denken ab, und griff in meinen Hosensack und zog mein Beutelchen hervor, das mein Vermögen barg. Ich zählte dreimal, aber ich brachte nicht mehr heraus als dreiundzwanzig Batzen. Ich dividierte nicht in die einzelnen Bedürfnisse, sondern war zufrieden, wenigstens genug für den ersten Hunger und Durst zu finden. Ich stellte mich etwas näher zum Fenster, um das Krämerhaus zu entdecken; aber da sahen mir alle Häuser akurat gleich aus, und nach diesem Hause fragen durfte ich nicht; ich fürchtete, die Leute möchten glauben, ich wolle sie beschämt und ihnen den Verstand machen, daß sie mir etwas geben sollten. So geriet ich aber immer tiefer ins Elend, und je länger ich wartete, desto weniger durfte ich mich zeigen, durfte nicht einmal an ein gewisses Örtchen gehen, das außerhalb der Hausthüre war, und Stunde um Stunde war wieder verronnen und die Sonne schlich dem blauen Umhang zu. Ich hatte mich aufs Bett geworfen und war ratlos. Da – horch, da kömmt man, da klopft man, da mit beiden Füßen vor die Thüre, und draußen stand der Bauer, der mich eingeladen hatte, und Berge fielen mir vom Herzen. Er sagte, sie hätten Feierabend gemacht und wollten z'Nacht nehmen, und da habe er noch schehen wollen, ob ich noch lebe, daß man mich den ganzen Tag nicht gesehen, und ob ich kommen wolle und mit ha, da ich sie am Morgen nichts geschätzt.
Man kann denken, daß ich zusagte und auch zugriff. Ich wurde ausgefrägelt, was ich den ganzen Tag gemacht hätte und bei wem ich gewesen wäre. Bei niemand, sagte ich, und über die erstere Frage mürmte ich etwas. Da die Frau aber sah, daß ich noch blutjung und nicht der Schlauste sei, so wußte sie es heraus zu kriegen, daß ich den ganzen Tag nichts gegessen und mich nicht vor das Haus gewagt habe. So eine Frau fragt verdammt gerne, weiß aber trefflich zu unterscheiden, wen sie fragen darf und fragen kann ober nicht, und weiß allfällig ihre Fragen so einzukleiden, daß man sie gar nicht merkt. Gar manche würde einen zehnmal bessern Diplomat abgeben, als zehn von eilfen unserer Diplomaten. Man bemitleidete mich; aber man lachte doch nicht wenig, und ich will wetten, von diesem Tage an stund das Urteil über mich fest im Dorfe. Man wird in jedem Hause gesagt haben: ich könne ein guter Schulmeister sein, man heyg nüt drwider, aber a grusam e-n-arme u-n-e schüche u für e Husbruch e-n-eifalte.
Am folgenden Tag, auf die erschollene Nachricht hin, wie der Schulmeister e-n-arme syg, aus Gwunder das zu sehen, und weil die einen andern nicht zurückbleiben wollten, erhielt ich gar viel Präsente: äßigs Züg und Husrat, sogar Besen und einen Kübel. Nun war ich wieder in großer Verlegenheit. Ich konnte die Leute nicht sitzen heißen, wenigstens nicht alle, wenn mehrere waren. Dann sahen die Leute mit gar großen Augen in der Stube herum und blickten einander, und weil sie gehört hatten, ich sei e-n-eifalte, so glaubten sie, ich merke es nicht. Aber ich war mir meiner Armut bewußt; der Mangel drang sich mir auf; darum merkte ich das Blicken wohl, und ward um so verlegener. Man ist erst dann merkig, wenn man die Sache wohl kennt, welche mit Blick oder Wort angedeutet wird. Darum sind oft die stolzesten und vornehmsten Leute am wenigsten merkig, weil sie sich gar nicht träumen lassen, daß sie Fehler hätten und daß Untergebene diese Fehler merkten. Es muß aber ein Kluger sein, der das Blicken anwendet; er muß wissen vor wem und wem er blickt; denn wird ein solcher Blick ertappt und verstanden vom Unrechten, so hat man seine Karten, d. h. sich selbst verraten. Ich muß gestehen, daß ich später, als ich mich besser kannte und darum auch besser die Menschen, aus solchen Blicken, die andere meinetwegen wechselten, sehr oft ihre wahre Gesinnung gegen mich erriet, und vorbeugen und nachher vor ihnen mich in acht nehmen konnte. O es ist viel wert, einem recht scharf in die Augen sehen zu können, wie es auch beim Fechten die Hauptsache ist; und was ist das Leben am Ende als ein allseitg Fechten?
Ich hatte auf den Sonntag die Kinderlehre zu studieren, und erfuhr nun zum ersten Mal, wie es einem zu Mute ist, wenn man auf eine bestimmte Stunde, die nicht zurückgeschoben werden kann, fertig sein soll mit dem Studium, von Anfang in der Angst, man möge nicht fertig werden, und dann beständig unterbrochen, an der Zeit verkürzt zu werden. O wie kömmt es einem da warm den Rücken auf und kraus vor die Stirne mnd im Munde schwellen die Worte auf, daß sie gar nicht mehr hinausmögen! Und wenn der Besuch auch fort ist, so kann man doch noch lange nichts machen, die Gedanken nicht sammeln, und je ängstlicher man wird, ob man wohl fertig werden möge, desto weniger kömmt man fort. Wer am meisten pressiert, lastet, der macht gewöhnlich am langsamsten. Besonders wenn einer zum erstenmale auftreten soll vor den Menschen als Redner, so durchkreuzen seinen Kopf die verschiedenartigsten Gedanken und Vorstellungen. Bangigkeit und Hoffnung kämpfen in der Seele; bald sieht man sich ausgelacht, bald hört man sich gerühmt, und mit großer Mühe muß man diesen ungebetenen Gästen Ruhe gebieten.
Eingang und Anwendung hatte ich ordentlich auswendig gelernt, und ich fürchtete nicht, daß das mir fehle, besonders da ich das Papier mit mir nehmen wollte. Aber ich fürchtete das Katechisieren, und repetierte immer wieder den Müsli, und Prägte mir es tief ein, was mir mein Alter gesagt hatte, man müsse auf dromsigs Antworten gar nicht achten, sondern darüber wegfahren, sonst komme man neben den Weg, in den Haag. Und dann hatte ich wieder Angst, alles styf nach einander zu machen, wie es sich gehört, den Hut zuerst vor das Gesicht zu halten, dann zu singen, beten, Eingang, katechisieren, Anwendung; dann wieder beten, singen und wieder beten. Am meisten Angst machte mir das Hineintreten in die Stube und die wenigen Schritte bis zum Känzeli. O, dachte ich hundert Mal des Tages, wenn du nur einmal da oben bist, so wird es schon gehen.
Am Sonntag verschlief ich mich nicht. Früh am Morgen und während der Predigt probierte ich manch liebes Mal das Hineingehen, das auf dem Känzeli stehen, und versuchte die Hände zu verwerfen. Je näher die Stunde kam, desto mehr klopfte mir das Herz, so daß ich kaum schnupen konnte; desto mehr hatte ich noch zu thun, und mußte doch immer am Fenster stehen, um zu sehen, wie zahlreich die Leute kämen. Sehr viel Mühe machte mir mein Halstuch, ein sehr schönes schwarzes, mit rot und blauem Rande. Ich hatte keinen Spiegel, vor dem ich es umbinden konnte; ich mußte es nur vor den Fensterscheiben thun; aber jede Fensterscheibe zeigte es mir anders; und wenn ich meinte, einen recht schönen Letsch gemacht zu haben, bei dem man das Bord ganz sah, so sagte mir eine andere Scheibe das Gegenteil. Ich schwitzte ob dieser Arbeit, und wäre vielleicht heute noch an der Arbeit, wenn nicht einer heraufgekommen wäre mit dem Berichte: ich solle doch kommen und anfangen; ich könnte sonst nicht mehr hinein; die Leute hätten schon Bänke und Stühle hineingetragen. Bum bom, wie pochte es auf der linken Seite, wie rot ward ich bis an die Ohren, als ich die Stube so voll sah! Es stimmerte mir vor den Augen und ich stürchelte mehr als ich ging zu meinem Platz. Als ich den Psalmen verlesen wollte, war es mir, als ob eine eiserne Faust den Hals mir zusammen schnüre; wie tief unten ich den Nthem auch suchen mochte, ich fand immer nur einen Fingerhut voll. Kaum konnte ich das Gsatz verlesen, mit langen Pausen; als ich aber präludieren sollte und 1a mi re ut singen wollte, da quakte ich bald wie ein Frosch, pipste bald wie ein Spatz, und mußte den Waidlig ins Wasser stoßen, ehe ich das Ruder ergriffen hatte. Aber der Psalm ging gut; es waren Leute da, die ihn meistern konnten. Ich fand den Athem wieder und konnte mit meiner starken volltönenden Stimme die Zügel ergreifen und wurde Meister des Gesangs; das hob mich in Sattel und gab mir den Mut wieder. Man glaubt überhaupt gar nicht, was der Gesang für eine besänftigende, kräftigende Macht übt auf das Menschenherz, besonders wenn man sich ihm mit der eigenen Stimme hinzugeben vermag. Schon manches Leid, schon manchen Groll habe ich versenkt ins Meer der Töne.
Von da an ging es gut; ich brauchte das Papier nicht, und beim Katechisieren hielt ich auf Rücken, mußte aber das alles allein machen, bekam zwar keine dromsigs Antworten, sondern gar keine. Die Kinder sahen mir steif ins Gesicht und lächelten einander zu und stießen einander an mit den Ellbogen. So machte ich, daß ich fort kam, und wenn ich gefragt hatte, so sagte ich auch die Antwort mit der angehängten Frage: nicht wahr?
Kurz, die Kinderlehre lief recht gut ab; ich blieb nicht stecken und machte nichts verkehrt, und wie ich im Anfang zu wenig Atem hatte, so hatte ich jetzt beide Backen voll und konnte mich aufblasen, so dick ich wollte. Es blieben einige Männer da und rühmten mich. Sie hätten nicht geglaubt, daß ich so kinderlehren könnte. Für so-n-e Junge sei das viel gemacht; es könne es mancher Alte nicht so. Im Anfang hätten sie geglaubt, es fehle mir; das sei aber nichts anders, es ginge ihnen auch so. Ihr früherer Schulmeister hätte es auch noch könne: nur im Katechisieren sei er nicht fort gekommen, er sei in Gottes Namen geng am gleichen Orte gewesen und hätte sich bei einem Worte können verweilen, daß man fast sch.... g hätte werden mögen darob.
O, wie mir dieses Lob so wohl that nach der ausgestandenen Angst! Merkwürdig ist's, daß der Satan nie besser Gelegenheit findet, in uns zu fahren, seine Thüre nie weiter offen findet, als wenn wir gerühmt werden. Ich warf mich in die Brust, erzählte, wie ich nicht Zeit gehabt hätte zum Lernen, wie ich nur diesen Morgen etwas hätte nachsinnen können; wie es ein andermal besser gehen sollte und wie ich im Kinderlehre keinen fürchte, und vergleich Zeug mehr. Ein gewisser Instinkt, über den selten jemand sich aussprechen kann, verurteilt beim Redner alle lange mühselige Vorbereitung und noch viel mehr die Schwäche, wenn der Redner diese Vorbereitung so wenig sich zu eigen machen kann, daß er sie vor dem Publikum zeigen und ablesen muß, was ja jeder andere auch könnte. Die Rede soll nach dem dunkeln Gefühl eines jeden ein unmittelbares Produkt des Geistes sein, ein Zeugnis innern Lebens und Kraft, ein Zeugnis innern Reichtums und Fülle, an die man jeden Augenblick sich wenden kann um Nahrung, eine Offenbarung Gottes, die nie versiegt; soll ein lebendiger Quell sein und nicht ein Sod, wo man mühselig ziehen muß, ehe es Wasser gibt, oder gar ein trockner Behälter, in den man aus allen Brunnen und Bächen das Wasser keuchend und schwitzend zusammenschleppen muß. Dieses Gefühl ist allenthalben, aber am stärksten bei dem Ungebildeten, der den Inhalt der Rede nicht zu prüfen vermag, sondern sie glauben soll. Zu diesem Glauben will er aber eben ein Zeugnis, und dieses Zeugnis ist ihm, daß sie aus dem Geiste lebendig geflossen sei. Darum auch machen bei ihm die Reden der herumziehenden Sektierer so vielen Eindruck, weil er ihre Reden nicht prüft, sondern bei ihnen das Unmittelbare derselben erkennt und bewundert. Darum auch geben viele Redner sich die größte Mühe, alle Vorbereitung sorgfältig zu verhehlen und daran thun sie recht. Aber unrecht thun sie, wenn sie Windbeuteln mit Dingen, die nicht sind, und sich rühmen, da wo sie keinen Ruhm verdienen. Noch größerer Frevel aber treiben die, die wirklich aller Vorbereitung sich entheben, weil sie glauben, eine halbe Stunde hintereinander Worte machen zu können, ohne zu stocken. Worte machen heißt nicht Reden halten; es ist nur ein Spiel des Blasebalges, wo kein Feuer dabei ist. Wo einer frei reden will, da muß ein reicher Schatz im Inwendigen sein, von dem man nehmen kann. Und auch wo dieser Schatz vorhanden ist, muß der Verstand sich Zeit nehmen, zu prüfen, was und wie viel von diesem Schatze jeder Stunde gehöre. Und je reicher der Schatz, desto nötiger diese Prüfung; sonst kömmt ein Krausimausi heraus, aus dem kein Verständiger klug wird, das vielleicht den nicht Prüfenden hinreißt, so lange er es hört, ihm aber weder eine klare Überzeugung noch ein wohlverstandenes Gefühl erzeugt.
Nachdem der Ruhm erschöpft war, stach es mich doch, zu vernehmen, warum die Kinder gelacht hätten, ob ich etwa etwas Lächerliches an mir habe. Nein, sagten sie, das nicht; aber ich hätte so fremd geredet und das hatte die Kinder gelächeret; aber ich werde schon reden lernen, wie es der Brauch sei. Das konnte ich nicht begreifen; sprach ich doch die rechte Sprache. Ich fragte daher nach Beispielen. Ich hätte ni gesagt, statt wie sie nei; ja, statt jo; Krisi, statt Kiersi; Bümeli, statt Bäumeli u. s. w.
Das sollte ich mir abgewöhnen, meinten sie; kein Mensch rede hier so und es düech se, es syg gar wüest u trag nüt ab, so apparti und wunderlig z'rede. Diese Leute meinten, gerade so wie sie redeten, sei es recht, und ihre Sprache sei die, welche der liebe Gott verstehe und welche man im Himmel rede. Meinte doch einmal einer, der in einer welschen Predigt gewesen war und den Eifer und die heftigen Geberden des Predigers gesehen hatte: dä mög si gmüihje so lang er well, dr lieb Gott verstangne doch nüt; emel är mbcht ke Welsch sy; da helf kes Bete nüt i're selige Sprach, wo eim niemer verstang.
So haben es die Leute, welche selten aus ihrem Dörfchen kommen, ja selten aus ihrer Haushaltung, und selten hören, wie es anderwärts zugeht. Es bildet sich bei ihnen eine Selbstgefälligkeit und eine Verachtung gegen alle, die nicht gerade so sind und alles so machen wie sie, die jede Belehrung, jeden Fortschritt hemmt. Es bildet sich das Lächeln auf den Stockzähnen gegen jeden, der, ein anderer als sie, sie über etwas belehren will. Das Lächeln will nichts anderes sagen als: Was witt doch du! Bisch ja ume-n-e Löhl! Eine Hausfrau dieses Schlages ließe sich eher hängen, als daß sie glauben würde, es könne jemand anders eine vernünftige Mehlsuppe machen oder eine vernünftige Sau mästen, als gerade sie.
Obschon ich in dieser Nacht nicht viel schlief, so war mir doch recht wohl in meinem Bette. Ich träumte bei wachendem Leibe, und solche Träume halten wach, so gut als das Umgekehrte davon, der Kummer. Beide, so entgegengesetzt sie scheinen mögen, sind doch meist eins in ihrer Wirkung. Sie erschlaffen die Seele und nehmen ihr die Kraft, der Gegenwart mit Lust und Besonnenheit zu begegnen. Der Kummerhafte mag nicht; er denkt: Was hilft es mir, daß ich das habe oder das thue, wenn es so und so kömmt? Wie gut er es haben mag – die Angst vor dem Kommenden trübt ihm den Genuß und gießt ihm Wermut in alles. Der in der Zukunft großes Glück, große Ehre Träumende macht einen dreifachen Fehler. Die Gegenwart schätzt er nicht; denn sie gibt ihm nicht, was er von der Zukunft hofft. Er vergißt, daß die Zukunft das Fundament in der Gegenwart haben muß, und nimmt, eben weil er die Gegenwart zu gering achtet, nicht die Mühe, es zu legen. Er hofft auf die gebratenen Tauben, die ins Maul fliegen. Und wenn endlich die Zukunft eine andere ist als die geträumte, so findet sie an ihm nicht einen Mann, der sie zu bemeistern, zu ertragen vermag, sondern ein Kind, das stampft und heult, wenn ihm ein Spielzeug versagt ist. Wenn an die Stelle des Kummers die Nüchternheit treten würde, die sich auf alles gefaßt macht, und an die Stelle der hohlen Träume der Glaube an eine hohe göttliche Bestimmung jedes Menschen – die aber nicht in einem äußern Zustande, einem Genießen besteht, sondern über diesem in dem hergestellten Werte der Seelen – und wenn mit dieser Nüchternheit und diesem Glauben das Vertrauen und eine nie ruhende Thätigkeit, eine nie erschütterte Kraft sich gatten: dann träume man so viel und so lustig man will, dann sind allerdings solche Träume wie kühler Schatten dem, der in versengender Mittagshitze Stöcke gespalten hat.
Über das Schulhalten halte ich appartig nicht nachgedacht. Aus dem Vorhergehenden sieht man, daß ich z'sinne genug hatte, und dann hätte ich eigentlich nicht recht gewußt, was sinnen. Ich kannte das Schulhalten von Jugend auf gar wohl, und daß man auf menger Gattig Schule halten könne, wußte ich auch, d. h. ich wußte, ein Schulmeister könne fleißig oder faul, zornig oder gut sein, exakt oder nachlässig: aber daß man andere Dinge treiben oder die gewohnten Dinge nach einer andern Methode treiben könne, daß wußte ich nicht. Ich hatte freilich Konstruieren gelernt und Figuralmusik; aber niemand hatte mir gesagt, daß das in die Schule eingeführt werden müsse. Ich hatte geglaubt, das müsse einer wissen, wenn er Schulmeister sein wolle, so gut wie der Pfarrer hebräisch können sollte, ohne es jedoch die andern auch lehren zu müssen.
Ich fing also an mit der Schule, wie es üblich war. Des Morgens, so wie die Kinder kamen, überhörte ich die größeren; dann las ich mit den Fragenbüchleren und buchstabierte mit den Namenbüchleren, und zum Schluß las ich auch mit den größern in der Kinderbibel. So ging es auch nachmittags wenigstens die ersten Wochen der Schulzeit. Aber wahr ist's: bsunderbar fleißig war ich. Schon zeitlich war ich in der Schule und wartete nicht erst, bis die Kinder Stühle und Bänke z'unteroben hatten. So wie sie ankamen, fing ich an zu bhören und das war keine kleine Mühe. Denn die Kinder lernten ganze Fuder auswendig: die Fragen, Gellert, Psalmen, Historinen und sogar ganze Kapitel aus dem Neuen Testament. Ganze Bänke wetteiferten mit einander, welches mehr aufsagen könne. So mußte ich ganze Fuder überhören und durfte keinen Augenblick müßig sein, wenn ich des Tags zwei oder gar vier Mal zu den Namenbüchleren wollte. Manchmal blieb ein Kind eine ganze Woche zu Hause und lernte auswendig und wollte dann auf einmal überhört sein, was fast halbe Tage wegnahm. Darum sagten aber dann die Leute: »Gell, Schumeister, mr bruche üfes Ching nit geng z'schicke; es lehrt daheim so viel as i dr Schuel.«
Die Leute rühmten mich, wie ich ein Fleißiger sei, und die Sach chömm guet, sie hätte's nit glaubt; weder wohl freine sei ich. Das hatte ich mir allerdings in den zwei letzten Wintern angewöhnt, um mich wert zu machen, und fuhr so fort in der Meinung, ich könne es mit der Liebe machen zuerst. Wenn dann die Kinder an mich gewöhnt seien, so könne ich immer noch mit dem Ernst anfangen, wenn es dann noch nötig sei. Die Kinder hatten mich nicht ungern; aber kein Kind, und besonders ein roh erzogenes Kind, wird aus purer lauterer Liebe gehorchen, wird nicht auf einmal seinen Willen unterordnen, den es sonst frei walten läßt. Die Liebe wirkt nur da Gehorsam, wo sie mit der Achtung begleitet ist, und diese Achtung muß errungen werden dadurch, daß daß Kind fühlt, ein höherer, kräftigerer, stätigerer Wille stehe dem seinen entgegen; dieser Wille lasse sich nicht blenden, nicht umgehen, nicht einschläfern, sondern er sei gleich fest und bestimmt am Morgen wie am Abend. Da wird das Kind sich beugen, und kann man Liebe erzeugen zur Achtung, so wird erst der Gehorsam ein freiwilliger, freudiger. Als ich später Ordnung schaffen wollte, weil nicht mehr dabei zu sein war, und Rute und Stecken brauchte, da würkte ich nichts mehr, als daß ich bei den Kindern das Gefühl erzeugte, es geschehe ihnen Unrecht, und ich hätte gar nicht das Recht, ihnen etwas zu thun; d. h. so wie in ihrem Gemüt, in ihrer Vorstellung meine Natur sich abgebildet hatte, so konnte ich nicht schlagen, nicht fitzen, sie aber konnten machen was sie wollten. Schlug ich aber oder fitzte, so schien ihnen das unnatürlich von mir und ungerecht; denn ich hätte es ja schon hundertmal thun können, wenn es in meiner Natur gelegen oder recht gewesen wäre. Es schien ihnen nur eine böse Laune zu sein oder ein besonderer Groll gegen das Geschlagene oder seine Leute. Denn das nahm man als bekannt an, daß der Schulmeister an den Kindern auslasse, was er gegen die Eltern habe. Und die Eltern kamen wohl und fragten mich, was ich gegen sie habe und was sie mir zuwider dienet hätten, daß ich heute ihr Kind geschlagen oder nebenaus gestellt. Wenn ich dann sagte: gar nichts, aber es habe gar nicht gehorchen wollen, so sagten sie: sie hätten geglaubt, es müßte etwas appartigs sein, weil andere vielmals das Gleiche gethan, ohne daß sie gestraft worden wären. So machte jede Strafe einen bösen Eindruck.
Darum vergesse man nicht die Wichtigkeit des ersten Eindruckes. Man zeige sich den Kindern ja nicht als ein Schaf, aber ebenso wenig als ein Tiger, sondern eben als ein Mann, der über den Kindern steht, sie liebt, aber geachtet sein will und Gehorsam fordert. Diese Lehre ist für Schulmeister gewiß sehr wichtig, allein sie wäre es noch für viel mehr Leute, und wer weiß, ob nicht auch für die Regierig?