Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Jeremias Gotthelf

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Neunzehntes Kapitel

Etwas vom Wesen und Treiben der Liebe, und wie es sich bei mir gestaltet

Die Liebe ist das eigentliche Götterwort auf Erden; sie ists die besänftigend zum Kinde trittet, wenn es schreiend die Erde begrüßt, die seine Schmerzen sühnt, seinen Geist belebend anhaucht. Die Liebe wächst im kindlichen Herzen auf; sie fließt in Blick und Worten aus dem befreundeten Geiste entgegen; sie offenbart auf jede Weise das Sehnen, Zeichen der Liebe von ihm zu empfangen. Es zieht die Liebe zum Menschen hin, aber eben so sehr möchte sie auch den Menschen anziehen an sich; es ist die Liebe ein Angezogenwerden, aber auch ein Streben anzuziehen, an sich zu fesseln. Ein doppeltes ist sie also: ein Gefesseltwerden, ein Hingeben, ein Fesseln anderer, ein Gefangennehmen der Geliebten in der Liebe reiche Bande. Des Kindes Herz ist der Liebe voll; sie stießt nicht bloß den. Eltern entgegen, sondern auch den sie umgebenden Kindern, und da bereits wird der Knabe zum Mädchen gezogen und das Mädchen sucht den Knaben an sich zu ziehen mit allen Zeichen seiner Liebe. Freilich sind diese Zeichen verschieden, je nach Alter und Stand, und anders bei Knaben, anders bei Mädchen; aber der Beobachter sieht sie beim Bettlermädchen, das barfuß läuft, und beim Grafenkind, das vierspännig fährt. Aber wie beim Mädchen das Sehnen wächst, die innere heißere Liebesglut, desto unsichtbarer werden in der reinen Mädchennatur, die weder durch Spekulationen spekulativ gemacht, noch durch Begehrlichkeiten vergiftet worden, diese Zeichen; desto mehr hüllt das, was man ächte Weiblichkeit nennt, der Duft der Jungfrau, zart wie der Staub auf Schmetterlingsflügeln, die Liebe, die anziehen will und angezogen wird, das Sehnen, sein Herz zu geben, ein anderes zu gewinnen, in zarten Schleier ein. Dieser ist gar reich und rein gewoben aus holder Schüchternheit und süßem Blangen, und, einmal zerrissen, flickt keine Kunst ihn wieder. Da sieht man nur am Leuchten des klaren Auges, hört nur am weichen Ton der reinen Stimme die Bewegung des Herzens, und sieht auf dessen Grund funkeln den Demant der Liebe. So umhüllt wirkt aber der Liebe Kraft am meisten und bindet am gewaltigsten. O wer kennt nicht das Blümchen Wunderhold, das so selten sich findet, und wie das Veilchen nicht in der Felder Mitte, nicht auf den Kronen der Hügel! Im Herzen dieses Blümchens ist ein wunderbarer Einklang zwischen Anziehen und Angezogenwerden, zwischen Nehmen und Geben, zwischen Kraft und Schwäche; beide entfalten sich Hand in Hand. Während des Mädchens Lieblichkeit den Jungen näher und näher zieht, entfaltet sich weiter und weiter in des Mädchens Herzen der Liebe reich duftender Kelch, und wie es den Jungen fester und fester kettet, fühlt es sich immer unauflöslicher an ihn gebunden mit demantnen Fesseln. So werden die Herzen eins in treuer Liebe, und diese treue Liebe wird nicht zertrümmert durch des Schicksals Schläge, verwittert nicht in des Lebens Sorgen, vergiftet sich nicht gegenseitig, blüht rosig fort unter weißen Haaren, und nur die Körper vermag der Tod zu scheiden, und dann vereinigen zu ewiger Liebe die Seelen sich.

Es gibt aber auch Herzen, wo die Liebe sich nicht umhüllt, wo man die Kraft, die anziehen möchte, ungescheut spielen läßt. Die Dame, die mit Augen und Händen spielt, mit Fächer und Schnupftuch, mit feinen Redensarten und besonderem Augenaufschlag, nennt man eine Kokette. Die Magd aber, welche an einem Markte sagt: »Jetzt will ich no einisch ufe-n-u no einisch abe, u we's nüt git, su wott i hei«, und die am Ende im Drang ihres Herzens einen beim Kuttenfecken nimmt und ihm dr Tusiggottswille anhält, mit ihr heim zu kommen – die nennt man ein anläßig Mensch.

Man sieht Mädchen, aus denen, ihnen unbewußt, eine gewaltige Kraft des Anziehens sprüht, die viele Herzen fast unwiderstehlich an sich reißen, die aber gegen das Ungezogenwerden sich auf das Mächtigste stemmen und wenn sie dem innern Trieb nicht widerstehen können, ihn umhüllen mit siebenfachem Schleier, und den Gegenstand, der sie anzieht, den Geliebten, unbarmherzig mißhandeln. Spröde nennt man diese. Man mißkennt diese Mädchen, die fast den wilden Füllen gleichen, die bald lustig sich nähern, bald wild mit allen Vieren ausschlagen. Es sind die kräftigsten Naturen, die hochbegabtesten, aber selten die glücklichsten. Der schüchtern liebende, vielleicht geliebte Jäger wird an sich selbst verzweifelnd abgeschreckt; der kühle erfahrne Jäger fängt sie ein, um sie zum Ziehen und Schleppen zu dressieren, zum Karren im Ehejoch, oder aber der wildeste der Jäger, und in dessen wilder Hand gehen sie zu Grunde. Manche entrinnen der wilden Jagd, ohne gefangen zu werden; dann sehen sie sich einsam in einsamer Gegend – wohl ihnen, wenn nicht die Reue, die Mattigkeit, das Sehnen nach verschmähter Liebe sie in den Boden drückt, wenn der Hochsinn, der sie früher gegen die Jäger schützte, in der Einsamkeit ihr Begleiter bleibt und ein höheres Leben beginnt, aber nicht eines, das mit einem geistlichen Bräutigam tändelt aus Mangel eines leiblichen.

Manchen Bedaurungswürdigen brennt die Liebe heiß im Herzen, aber ihnen fehlt die Kraft des Anziehens. Sie gäben ihre Herzen so gerne hin; aber niemand will sie ihnen abnehmen und das seínige geben dafür. Da brennt ein tiefer Schmerz im Herzen. Kinder spielten einst in dunkler Stube, da brach auf einmal ein dunkles kleines Mädchen, vergessen auf einem Bette sitzend, während Buben mit andern Mädchen in der Stube sich herumtrieben, jammernd in die Worte aus: »Ach, es het mi niemer lieb!« Das war ein Schrei des tiefsten Leids aus einem Herzen, das so gerne lieben möchte und niemand findet, der seine Liebe abnehmen will. Wo ein solches Leid in thorrechtem Herzen sich findet, thut es sich in Thorheit kund. Wo man ein wunderlich geschmücktes Haupt sieht, bunte Farben um den verblühten Leib, ein alterend Gesicht, ein jugendlich Thun, wo du feines und grobes Selbstlob hörst und über andere bitter grollende Urteile; ein verächtlich Lächeln siehst über jede wohlthuende Mädchengestalt; ein seltsam Schönreden hörst, wo man nicht unterscheiden kann, was hinten und vornen ist; – da lache nicht, da ist ein tiefes Weh im Herzen, das Herzen gewinnen möchte auf unnatürliche Weise, da ihm abgeht die natürliche Kraft dazu.

Aber wenn du ein träumend, sinnend Mädchen siehst, das schweigt, wenn andere reden, dem in allgemeiner Freude um den Mund ein trüber Zug spielt; das tief die Augen niederschlägt, wenn der Liebe holde Zeichen zwischen andern gewechselt werden; das vergessen da sitzt, mit wenig Worten aber freundlichen Blicken ein freundliches Entgegenkommen lohnet: da fühle Mitleid, da ist ein Mädchen mit tiefem Leid im Herzen. Es schreit nicht mehr laut in die Gespielen hinein: »Ach, niemer het mi lieb!« Aber es weint oft in stiller Nacht, daß es einen Stein erbarmen möchte, und klagt seinem Gott sein Leid. Es weiß wohl, die Welt würde spotten über seine Thränen; aber es weiß, daß sein Gott, der sein Herz geschaffen hat, solche Thränen nicht verlacht; darum verbirgt es sie auch nicht dem Vater, der die einsamen Herzen kennt. Und der Vater wird diese Thränen vergelten, wenn dieses Herz milde bleibt und unerschütterlich in seinem stillen Vertrauen zu seinem Gott.

So wie im Mädchen die Liebe sich verschleiert, so trittet sie im Knaben immer mehr hervor; er muß die seine zeigen als der Stärkere, damit das Mädchen Vertrauen fasse und später seine Schwäche nie sich vorwerfen höre. Aber auch in manchem wilden Knaben ringt die Unbändigkeit gegen seine Schwäche, und daß er der Liebe Unterthan sei, will er lange nicht gestehen, will spröde thun gegen sie, bis sie ihn ihre Allgewalt lehrt. Meist regt im Knaben erst eine allgemeine Liebe sich; das Herz ist voll derselben, und jedes Mädchen, das in die Nähe desselben kömmt, entlockt Zeichen demselben, wie jeder Finger Funken aus der Elektrisiermaschine. Nun kömmt es aus das Mädchen an, ob es fester fesselt.

Wie verschieden ist nicht die Fähigkeit im Knabenherzen, Zeichen der Liebe zu geben, wie die damoiseaux oder Weibervögel aller Art so verschieden flattern um die Kelche der Liebe! Wie verschieden ist wohl jener, der, in Rosenduft schwebend, in den flüssigsten Schwüren seine Liebe zehntausendfach auszudrücken vermag jedem weiblichen Rock, von demjenigen, der seine Schuhe, an denen der Mist nur oberflächlich abgewischt ist, unter seines Mädchens Bett stellt, eine ganze Nacht bei ihm stillschweigend im Bette liegt und erst bei aufsteigendem Morgen endlich die Worte hervorkämpft: »Soll di byße, soll di chlemme? Wenn cha-n-i ume cho?«

Gewöhnlich ziehen die Mädchen den lustigen Schein der gutmütigen Plumpheit vor.

Man könnte die Welt mit all ihren Knaben- und Mädchenherzen fast denken wie eine Matte voll Paradiesblümchen, knospend und aufgehend in aller Holdseligkeit, über ihnen munter zwitscherend und pickend die Paradiesvögelein, alle in ihrer bunten Mannigfaltigkeit, und über sie alle ausgegossen ein Meer von Leben und Lust, blühend und duftend, girrend und schnäbelnd.

Aber leider ist die Welt kein Paradies, und in der Welt sind nicht nur Herzen, sondern noch viel anderer Grümpel; und in den Herzen ist nicht nur der Drang nach Herzen, sondern auch viel Herzensgelüsten eben nach dem andern Grümpel, der wieder seine besondere Anziehungskraft besitzt für das wunderliche Menschengeschlecht. Drum ziehen nicht nur die Herzen das Geschlecht zum Geschlecht, sondern da ziehen auch Geld und Sinne, Trägheit und Leichtsinn; es ziehen Hochmut und Hoffahrt, Eitelkeit und Begehrlichkeit, Behaglichkeit und der Drang es zu machen wie die andern; es ziehen Mütter und Tanten, Nachbarsweiber und Kaffeeweiber – ja eine Unzahl von Kräfte ziehen zum Menschen den Menschen.

Und wo lebt der Herenmeister, der jedesmal aus diesem Gewirre von Kräften die Kraft ausfindig zu machen wüßte, welche den Menschen zum Menschen gezogen, ob die Herzen oder etwas anderes? Ja, weiß es doch manchmal der Mensch selbst nicht, was ihn eigentlich zu seiner Hälfte geführt und an sie gebunden hat. Mancher weiß es, aber er sagt es nicht; denn während öffentlich und ungescheut die Welt die Sache treibt, will sie das Wort nicht, duldet das Geständnis nicht, daß nicht das Herz, sondern etwas anderes den Bund gemacht. Wehe aber, wo zwei Herzen sich fügen, das eine vom Herzen selbst gezogen, warm und liebend, das andere von irgend einer Zugabe, kalt und klug! Da wird am Hochzeittage wohl gelacht und ein künstlicher Himmel voll Freuden wölbt sich über die Leutchen. Aber dieser Himmel ist eben nur ein künstlicher; kein Frühling der Liebe, ewig jung, ewig neu, blüht in diesem Himmel, wohl aber legt sich allmählich starrer, kalter Winter über das unglückliche Herz. Vergebens versucht das arme Herz mit heißen Thronen ihn zu schmelzen, wieder zu Eis werden die Thränen, wie heiß sie auch sein mögen, und diese zu Eis gewordenen Thränen legen sich fort und fort über das arme Herz, bis es kalt wird wie des Todes Hand.

Lustig fast ist's, wenn der Mensch selbst zweispältig ist, das Herz ihn rechts zieht und irgend ein Gelüsten links, und man ihn dann willwankig zwischen beiden stehen sieht wie ein Esel zwischen zwei Heuhaufen. Traurig ist's, wenn die Herzen gar nicht mehr ziehen und doch die Menschen sich zusammenthun, z. B. wie jener alte Mann, der auf die Frage, warum er noch heirate, antwortete, es sei ihm wegen dem Mist; oder jene im Lande herumziehende Krämerin, die bei der Heirat im Vertrauen bekannte, sie hätte jemand haben müssen, der ihr den Karren ziehe.

Nun ist die Welt voll Klagen über Treulosigkeit, Verräterei, Flüchtigkeit u. s. w. Mädchen, hast du aber untersucht, ob die Zeichen der Liebe eigentlich dir galten oder dem ganzen Geschlecht, ob du sie absichtlich hervorgelockt oder ob sie dir unwillkürlich entgegen sprühten? Wo der Batzen zieht, die Leibeslust oder die Eitelkeit, da ist ebenfalls treue Liebe nicht. Drei Batzen mehr brechen einen Bund, gesättigte Sinnenlust scheidet, und Eitelkeit läßt sich locken mit schönen Worten nach allen Winkeln hin, wie Speck die Mäuse lockt in alle Fallen. Wo nicht die Herzen sich einen, da erwarte man nichts als höchstens ein kühles Halten des gegebenen Worts; und wo man nicht das Herz begehrte, sondern eigentlich nur die Hand und etwas anderes damit, da klage man nicht, wenn man diese Hand auch noch am Altar wieder an sich zieht. Mädchen, die ihr vor Gericht solche verfolgt, die euch sitzen ließen mit eures Leibes Frucht, tragt ihr etwas anderes als die Strafe, daß ihr durch diese Frucht einen Mann erzwingen wolltet; die Strafe, daß ihr locktet, reiztet, daß euch an dem Herzen nichts, an allem andern alles gelegen war? Ja, in wunderbarer Verblendung fordern Menschen Liebe, sie selbst haben keine; fordern Treue, leisten keine. Liebe und Treue bestehen aber nur zwischen Herzen und Herzen, nicht zwischen Geld und Geld, nicht zwischen Wollust und Wollust, nicht zwischen Hochmut und Hochmut, am allerwenigsten zwischen Eitelkeit und Eitelkeit.

Diesem Zug der Geschlechter zu einander wird auf alle mögliche Weise Vorschub geleistet; auch weiß sich das gezogene Völklein selbst recht gut Gelegenheiten zur Annäherung zu verschaffen, ordentliche und außerordentliche.

In höhern Ständen sind die Gelegenheiten feierlicher ab- und zugemessen, und die Sitte und der Mütter Augen wachen, daß die Gelegenheit nicht Diebe mache und das Lustspiel sittsam mit einer Heirat sich ende; daß das Geld zum Gelde passe, zur Familie die Familie; aber Wachen und Sitte hindern Seitensprünge nicht, glückliche oder unglückliche.

In andern Klassen ist größere Freiheit, mehr Gelegenheit, Gelegenheit, daß es einem dunkel werden möchte vor den Augen. Und besonders in unserm Ländchen ist herrlich dafür gesorgt, daß ja keine Kluft sei zwischen Knab und Mädchen, daß jede hemmende Zwischenwand eingerissen sei, daß Sitte und Mütter nicht zusehen können, daß sie sich zusammenthun mögen nach Herzenslust. Wenn die dunkle Nacht heraufdämmert und es stille wird im Hause, dann macht sich der Knabe auf und pocht an seines Mädchens Fensterlein. Unten im Hause schlafen Mutter und Vater, schlafen Meister und Meisterfrau; aber das Mädchen wacht und öffnet, wenn es nicht schon jemand drinnen hat, und in der dunklen Kammer stört die beiden niemand mehr, nicht Vater, nicht Mutter, nicht die Welt, selten Gott, öfters die Vorsicht und die Rücksicht. Nicht umsonst heißen wir ein freies Land, wo so frei es zugeht; aber lieber auch gäbe man die Freiheit des Landes hin, als der Mädchen und Knaben Freiheit. Darum stören diese Freiheit selten Väter und Muttcr; lieber weinen sie sich die Augen aus dem Kopf über die Schande des Hauses; darum stören sie auch die Gemeinden nicht; lieber geben sie den letzten Kreuzer weg zur Erhaltung unehelicher Kinder, welche ihnen die Mütter auf dem Halse lassen; darum stört sie auch der Staat nicht; er will lieber alle Jahre zweimal langweilig sich beraten und klagen über einreißende Armut, und Gesetze ersinnen, die niemand etwas abtragen als dem Buchdrucker und die niemand hält, weil sie niemand handhabt.

Aus dem Kiltgang hat sich eine Klasse herausgearbeitet; hoffentlich reicht sie auch andern dazu die Hände. Bei andern ist der Kiltgang wirklich ehrbar und sittsam, so unglaublich es lauten mag, und es waltet eine Enthaltsamkeit, von der sich Stadtherrchen keinen Begriff machen können.

Je weniger aber jemand zu verlieren hat, um so wüster und zügelloser wird er und gestaltet sich unter den ärmern Klassen zu einer Hauptquelle der Armut, zu einem wahren Krebsschaden für das Land.

Neben diesen täglichen gewöhnlichen Gelegenheiten, den Weibervogel zu spielen, gibt es noch eine Menge besonderer, wo es lustig zugeht bei Spiel und Tanz, und mit Geigen und Pauken, mit Wein und Brönz das junge Volk angelockt wird, sich würdig vorzubereiten und zuzuputzen öffentlich zum nächtlichen einsamen Besuch. Da sind öffentliche Anstalten zum allgemeinen Gebrauch, vor allem die Märkte, die alle Fingerslang bald hie, bald dort abgehalten werden, und die Musterungen. Dann hat die gnädige Regierung, damit das Volk recht lustig sein könne, noch sechs Sonntage zu Tanzsonntagen gemacht, an denen das ganze Land tanzen sollte zum Zeichen seines Glückes unter solch gnädiger Obhut. Und mit diesen Sonntagen wurde es nicht einmal so genau genommen. Ferner waren an diese Beschränkung auf sechs Sonntage die Bewirtschaften nicht gebunden, wurden die Schnittersonntage nicht darein gerechnet, die Alt- und Neujahrsnächte nicht, und von dem Aufhören um acht Uhr, wo war da die Rede? Nun macht man es noch gnädiger: man vermehrt die Wirtshäuser ums doppelte; man sendet den Wirten die Tanzbewilligungen umsonst ins Haus, und wie genau man sich dabei an das Gesetz bindet, und ob man die Ansufeten zu den gewöhnlichen oder außergewöhnlichen Sonntagen rechnet, das weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß unsere Beamtete liebe Leute sind, die dem Volk die Freude gönnen.

Neben diesen ordentlichen und öffentlichen Gelegenheiten zum Hofieren gibt es aber noch eine Menge außerordentliche Privatanlässe, gleichsam mehr geschlossene Gesellschaften, wo etwas Apartiges getrieben wird.

Zuerst kommen die Niedersinget, die nach und nach abgehen, sowie die großen Hochzeitfahrten und -mähler. Die Leute halten so lange vorher bei all den Gelegenheiten hohe Zeit genossen, daß ihnen für den Schluß derselben die eigentliche Hochzeit, das Geld fehlt. Dann die eigentlichen Kiltet auf hohen Eggen, in abgelegenen Weiden, verfallenen Scheuerlein, wo es zugeht fast wie auf dem Blocksberge, wüst und hexenmäßig. Freilich den Teufel begehren sie dazu nicht, wie sehr man es ihm zur Freude treibt, und doch kömmt er. Einst loderte in dunklem Tannenwalde auf hoher Egg ein prasselnd Feuer, feierlich rauschte der Wind durch die Gipfel der Tannen, tobend tanzte und wälzte sich eine Menge um das Feuer her in abscheulichen Gebärden; still flimmerten die Sterne am dunkeln Himmel, wild brüllten die wilden Gestalten unzüchtige Reden und Lieder. Es schlug aus tiefem Bergesthale hell und klar die Glocke im kleinen Kirchlein Mitternacht; um das Feuer lagerte sich das wüste Volk Arm in Arm, um Essen und Trinken her, den ermatteten Leib zu stärken. Da rief einer mit dem Liebchen auf dem Schoß, nachdem der zwölfte Schlag feierlich verklungen: Jetz, Tüfel, chumm, we ds Herz hesch!« Da fing es auf der großen Schermtanne über ihnen an sich zu regen und zu schnauben. Eine fürchterliche Stimme scholl herunter: »Ja, i chume!« Es rauschte durch die Tannäste nieder; Feuer und Funken sprühten ringsum; ein schrecklich Gelächter, wie aus tausend Kehlen, drang markerschütternd in die Nacht. Da erfaßte Todesangst die wilden Gestalten; die Frechheit ward zur Feigheit; die Liebchen flogen aus den Armen, von den Knieen, und die ganze Bande, wie vor dem wilden Jäger das Wild, stürzte durch Gebüsch und Tannen den Berg hinunter in Weh- und Angstgeschrei und verstob wie ein wüster Spuk in den Abgrund der Finsternis. Da rutschte ein schwarzer Mann lustig und wohlgemut über die langen Äste herunter, schön neben das Feuer hin, mit einer großen Pfanne in der Hand, aus welcher er glühende Kohlen gesäet hatte. Dort schaute er sich behaglich um unter dem reichen hinterlassenen Vorrat, setzte sich mitten unter ihn hin und führte sich nun ganz behaglich zu Gemüte den Wein und die Hammen und den Braten und trug am Ende noch eine schwere Bürde nach Hause. Während der arme Tannenschneiter sich wohl sein ließ und ins Fäustchen lachte, ward eine gräßliche Geschichte erzählt vom erschienenen Teufel, und die Erschreckten konnten lange ihren Beinen das Zittern nicht abgewöhnen und mancher wurde anders als er gewesen war und ging an keinen Kilt mehr; denn viele Menschen lassen sich weit lieber vom Teufel bekehren als von Gott.

An die Kilt reihen sich die Springet an, an denen des Abends auf öffentlichen Plätzen gesprungen, getanzt und getrunken wird, wenn man etwas hat. Sie sind ehrbarer als die erstern. Das sind Freuden der besseren Jahreszeit, das z'Berggehen nicht mitgerechnet. Die Verfassungsfeier fängt allgemach auch an hieher zu gehören, und, wenn es so fort geht, so wird sie an manchen Orten einem Kilt mehr als ähnlich sehen. Dann kommen im Winter die Abendsitze, ganz simple, und andere, denen man Schnitzet, Spinnet sagt, alle dem jungen Volk zu Lieb und Ehre. Nun frage ich, lebt dasselbe auf dem Lande nicht wie die Vögel im Hirse und verdient wahrhaftig nicht das Mitleiden der dummen Städter, die in gutmütiger Einfalt glauben, demselben von Staat aus alle möglichen Gelegenheiten geben zu müssen, um zusammenzukommen und sich lustig zu machen, weil es den armen Leuten nicht in Sinn käme, sich selbst zu helfen, oder weil sie nicht Zeit dazu fänden? Ich meinerseits hätte nichts dagegen, wenn die gleichen einfalten Stadtleute dann per Kopf und für jede Gelegenheit 4 L. auszahlen ließen; dann bliebe doch wenigstens manches Bäuerlein bei Hofe und mancher andere käme nicht auf die Gemeinde. Die Familienfeste, wie Taufen, Fasnacht, Flegleten, Sichelten, Metzgeten, Neujahreten u. s. w., wo es wahrhaftig auch lustig hergeht, übergehe ich. Ja, meine Leute in der Stadt, man weiß auf dem Lande auch zu leben, hat auch seine Soirées und Societäten, Dîners und Soupers, so gut als ihr. Aber von diesen kehrt man dann nicht verlächnet vor Hunger und Dnrst heim, wird, wenn man das Geleit nach Hause gibt, nicht mit einem kalten Bonsoir Monsieur verabschiedet. Nein, gewöhnlich hat man in Magen und Kopf, was beide ertragen mögen, und findet noch obendrein freundliche Herberge und warme in der kalten Winternacht.

Das ist also der gesellschaftliche Boden auf dem Lande; er ist gar lustig.

Dieser Boden lag vor mir, auf ihn zog es mich; denn auch in meiner Brust war der Trieb, den man wohl verbergen, verleugnen mag, der aber doch in allen wohnt, die aus Fleisch und Bein geschaffen sind.

Er hatte sich schon früh bei mir geregt, freilich mir unbewußt, andern unbemerkt. Ich fühlte schon als Schulbube ein eigenes Gramseln, ein Warmwerden unter dem Gilet, wenn ich mit Mädchen lief. Es geschieht wohl, daß schon in der Kindheit besondere Zuneigungen sich machen, bei frühreifen Gemütern, oder bei denen, denen man die Nase darauf stößt. Ich wurde aber nicht an milder Sonne auferzogen, sondern Schattseite, wurde daher spät reif, und um meine Nase bekümmerte sich niemand, bis man sie groß genug fand, mich daran herumzuführen. Wenn schon eines Tags ein Mädchen mir recht warm machte, so hatte des andern Tages ein ander Mädchen die gleiche Kraft über mich. Aber mir wohnte auch eine tüchtige Portion Plumpheit an, so daß ich meine Aufmerksamkeit ihm nicht anders zeigen konnte, als durch einige ungelenke Sprünge, oder ebenso ungelenke Neckereien.

Nun war ich Schulmeister, bewohnte ein ganzes Haus, und öde war's mir in demselben und daher auch öde im Herzen, so öde, daß ganze Dutzend Mädchen darin Platz hatten, gerade wie in der Kinderlehrstube.

Man merkte mir bald an, daß ich gerne von Mädchen hörte, gerne Mädchen sah, daß ich mich ihnen bemerklich zu machen suche und nach der Kinderlehre auch nicht davon laufe, wenn die Mädchen drehten, die Stube zu verlassen; daß ich gar gerne noch ein Lied drüberein sang, um ihnen einen Vorwand zum Bleiben zu geben. Die Leute sagten bald: »Üse Schumeister gseht d'Meitscheni o gern«. In diesen wenigen Worten liegt ein dreifacher tiefer Sinn. Sprach man sie gegen mich aus, so klangen sie wie ein Lob, daß ich auch ihrer Gattig sein wolle und nichts apartes; wie eine Aufmunterung, dem inwohnenden Trieb zu folgen. Wurden sie aber zu andern und von jüngern Leuten ausgesprochen, so war Schadenfreude darin, daß ich um nichts besser sei als sie, daß der Schulmeister in keinen Teilen berechtigt sei, ihnen Vorwürfe zu machen.

So unschuldig die Worte »d'Meitscheni gern gseh« klingen, so verbindet man damit so viele Handlungen und nimmt als Quelle des »gern gseh« die gemeine Sinnlichkeit an, und hält diesen Trieb für stärker als die Selbstüberwindung bei dem, welcher es zeigt, daß er die Meitschene gerne sehe, daß diese Schadenfreude verzeihlich war. Redeten ältere Leute unter sich davon, so war es ein strenger Tadel. Ältere Leute vergessen ohnehin, was sie gewesen und gethan und sind unduldsam gegen die jüngern, besonders aber gegen einen Schulmeister, und besonders wenn dann die jüngeren Leute auf Vorwürfe der Alten über Ausschweifungen etc. antworten: sie seien nicht alleine gewesen, der Schulmeister sei auch drby gsi, und der werde wohl wissen, was ins Mäß möge. Den alten Leuten soll der Schulmeister kein Alter haben, d. h. er soll nicht alt, nicht matt in der Schule sein, nicht jung, nicht lüftig außer der Schule. Ein dunkles Gefühl sagt ihnen, daß sie am Schulmeister ein Vorbild haben sollten für ihre Söhne, eine Hülfe gegen deren Leichtsinn, deren Unbändigkeit. Darum wenn sie sprachen: »Üse Schumeister gseht d'Meitscheni o gern«, so lag eine Masse schweren Tadels in diesen Worten.

Wer die Sitten aus dem Lande nicht ganz genau kennt, nicht die Zurückhaltung und das kalte und steife Wesen, die Einsilbigkeit vor den Leuten; wer mit dieser Unkenntnis noch natürliche Lebhaftigkeit verbindet, der wird sich dieses Urteil schuldlos zuziehen und ein schwer Gericht. Und wenn er in einer Stellung darnach ist, so kann er sicher sein, daß an das harte ungerechte Urteil eine Menge Lügen sich knüpfen werden, welche die Bosheit ersinnet und alle gerne glauben; die einen in der Meinung, wenn einer schlechter werde, so würden sie um so besser, die andern urteilend nach den eigenen Gelüsten in ihrer eigenen Brust. Aber von dem allem merkte ich damals gar nichts; Jung und Alt waren einig vor mir im Lobe, wie sie Freude an mir hätten, weil ich mich ihrer nicht verschäme. Und als einst ein alter Mann, der noch einen langen weißen Bart trug, mir sagte: »Es würde mir das astah, wen-i meh daheim wäri und minger narrochtig thäte, brave Leute hatten mir nichts darauf,« und ich diesen Vorwurf klagend mitteilte und jammerte, man könne es den Leuten nie breiche, den einen sei man zu geistlich, den andern zu weltlich, da sagten mir alle: ich solle mich seiner gar nicht achten, er sei sein Lebtag ein wunderlicher gewesen und hätte nie gewollt was andere Leute; wenn ich es ihm breiche wett, so würde ich es verschütte bei den andern. Es war, als ob das ganze Dorf miteinander im Bündnis stünde, mich zum Besten zu halten und mich in eine Art Rausch, in eine Betäubung zu bringen, in welcher durchaus keine gesunde Beurteilung mehr möglich ist. Es ist aber auch eine infame Sache, daß man fast alle, welche ein Amt antreten, und namentlich Schulmeister und Pfarrer, in diese Betäubung zu bringen sucht. Daher bei den Pfarrern und Schulmeistern verkehrte Beurteilung der Leute, ein verkehrtes Betragen, der dumme Glaube: jetzt habe man die rechten Leute gefunden, mit denen etwas zu machen sei. Daher die überspannten Erwartungen vom Erfolg seines Wirkens; daher dann, wenn der Rausch verflogen ist, der gegenseitige Ekel und die gegenseitige Anfeindung und das erboste Wandern von einem Ort zum andern; daher am Ende das unmutige Leben, das an manchen Pflug die Hand gelegt, aber nach den ersten mißlungenen Versuchen auf einen andern Acker geflohen ist.

Es möchte vielleicht manch junges Büschbi über mich lachen und sich nicht von weitem beifallen lassen, daß es ihm gehen könnte wie mir. Gerade solche Burschen aber sind für diesen Rausch wie gemacht, und derselbe macht gerade die gescheuesten den dümmsten gleich. Dabei ist das Fremdsem dieses Angestellten in dem ihn umgebenden Kreis das gefährlichste; denn selten hat er Verwandte, alte Bekannte da. Wie gegen ein fremdes Huhn in einem Hühnerhof alle andern Hühner, so verbündet sich gegen ihn stillschweigend die ganze Einwohnerschaft, paßt ihm auf und sucht ihn zu täuschen und zu verrücken.

So nahm man mich, wie durch eine Art Instinkt getrieben, in die Kluppe, und weil man mich von Anfang an für einen etwas einfalten hielt, so gewährte es ihnen eine wahrhafte Burgerlust, ihr Spiel mit mir zu treiben. Die alten luden mich ein, zogen mich mit diesem, mit jenem Mädchen auf, sagten: e sellige wi ih chönu yche wo-n-er well; sit ds Schuelhus stang, syge nie so viel Meitscheni z'Chingelehr cho. Sie machten mir den Mund wässern nach einer Frau, wie ich Platz für sie hätte, und eine reiche und eine hübsche mir nicht fehlen könne, und wie ein paar tausend Pfund einem Schulmeister gar wohl kämen. Sie würden dann Land empfangen, zwei Kühe halten und die Milch verkaufen, das trag gar viel ab; so redeten sie, und ich brachte dann manche müßige Stunde mit Rechnungen hin, wie viel ich jährlich aus der Milch lösen, wie viel an den Kühen gewinnen und aus den Kälbern erziehen könne, und fand dann immer: das möge viel erlyde.

Die jungen Bursche machten sich noch mehr an mich. Sie versammelten sich manchen Abend bei mir, oder einer holte mich ab zu ihren Zusammenkünften, erzählten mir ihre Heldenthaten und machten mir den Mund wässern nach diesem oder jenem reichen Meitschi. Sie nahmen mich mit auf ihre nächtlichen Fahrten; eine Menge Kiltsprüche mußte ich auswendig lernen und sie unter den Fenstern halten. Sie behaupteten, ihr Halten stehe mir viel besser an als das Kinderlehren. Dann waren auch Birnbäume ec. zu plündern oder sonst Streiche zu verüben. Nicht selten mußte ich hinauf, den Baum zu schütteln, und fand dann, wenn ich herab kam, alles aufgelesen, oder, wenn ich am besten daran war, so schrieen sie unten: »Der Bauer kömmt!« und liefen davon, daß ich dann in meiner Seelenangst nicht wußte, sollte ich oben bleiben oder herabspringen. Ähnliches trieben sie mit mir auf den Lauben und den Scheiterbygen, machten falschen Lärm, oder stellten sich, wenn ich im Gaden bereits war, als Feinde, die mich ausnehmen wollten u. s. w. Eine Galgenfreude hatten sie an meiner Seelenangst; denn ein Schulmeister auf einem Birnbaum oder in einem Gadenfenster ist eben nicht in der angenehmsten Lage, wenn er fürchtet, ergriffen zu werden. Noch größere Freude aber hatten sie an meiner Einfalt, die ihnen dann richtig erzählte, sobald ich wieder bei ihnen war, wie es mir ergangen und welche Gefahren ich ausgestanden, an meiner Einfalt, die den getriebenen Spuk nicht merkte. Sie rühmten mich dann, und versprachen: ein ander mal müsse es anders gehen, und stellten einen neuen Streifzug an, auf welchem es mir felten besser erging.

Die Mädchen machten es nicht besser, sie waren mit den Burschen im Bunde. Sie stellten sich gar freundlich, sahen zurück, wenn ich sie antraf, sahen besonders unter der Thüre zurück, wenn sie aus der Schulstube gingen, und ein solches Zurücksehen hat für den, der darauf merkt, eine ganz besondere Bedeutung. Sogar reichere ließen sich herab, mit mir anzubinden, ließen mich ein, um einige Stunden mit mir Spaß zu treiben, wohlwissend, daß ich am Ende verjagt werden werde. Eine aber unter diesen schien es aufrichtiger zu meinen, nahm mich sogar in der Woche auf, ließ sich von mir zu Gast halten, ging mit mir heim, und ich zweifelte gar nicht daran, daß ich mit ihr eine richtige Sache habe. Ich war ganz oben auf, und berechnete fleißiger noch den Abtrag von zwei Kühen; nur war ich zweifelhaft, ob es nicht besser wäre, Land zu kaufen, als nur zu pachten.

Die Neigung zum Geschlecht verwandelte sich nun in eine Neigung zu einer besonderen Person. Wahrscheinlich waren es die Kühe und einige andere kleine Zufälligkeiten, die mich zu Hofbure Stüdin zogen; aber das merkte ich nicht; ich war so verliebt als irgend einer, und that so dumm als einer. Ich lief des Tages, es weiß kein Mensch wie oft, beim Haus vorbei, und wenn auch nur der Hund im Schopf war, so redete ich mit ihm, in der Hoffnung, Stüdi komme heraus, oder strecke etwa die Nase durchs Läufterli. Wenn ich es beim Brunnen sah, oder bei der Schyterbyge, so ward es mir heiß überall. Dann wußte es mir mit seinen saftigen blauen Augen so anzüglich untere zu guggen, daß es mir den ganzen Tag wohl that und mir den Schlaf nahm. Ganze Stunden konnte ich am Fenster stehen, wenn ich glaubte, es könne vorbei kommen. Und wenn ich einen andern mit ihm reden sah, so stach es mich am ganzen Leibe wie mit Nadeln, und prügeln, wenigstens stüpfen von weitem, hätt' ich jeden mögen, der es that.

An öffentlichen Orten hatte ich daher meine liebe Not; denn ich mußte gar oft andere mit ihm tanzen, mit ihm heimgehen sehen. Die Leute hatten ihr Spiel mit mir. Bald rühmten sie mir Stüdin und erzählten: wie es auch mich rühme, und wie dessen Mutter gesagt habe: ich sei gar e freyne u-n-e manierliche. Handkehrum erzählten sie, wie der und der bei Stüdin gelegen und erst tags fortgegangen sei; das werd wohl eine gemachte Sache sein, und Stüdi führe mich aus und sage: es wolle keinen, der nur vier plätzete Hemder habe und kein Paar gute Strümpf. Stüdis Eltern zogen mich auch oft mit Mädchen auf, sagten: ich müsse bald eine Frau nehmen und eine reiche, und hießen mich, wenn ich dort war, dringlich wieder kommen: so daß ich glaubte, die Sache sei ihnen recht und mich manchmal fast verschnäpfte, dem Bauer Schwiegerätti zu fagen. Auf Stüdin konnte ich mich nicht recht verstehen. Bald that es, als schätze es mich gar nichts, ließ mich vor seinem Fenster stehen, ohne mux zu machen, so daß ich z'leerem heim mußte, oder wies mich puckt ab, wenn ich von einem Ort her mit ihm heim wollte, oder schickte mich noch vor dem Hause fort, wenn ich es begleitet hatte, und wollte mir gar nichts sagen, wo es den nächsten Sonntag aus wolle. Andere male konnte es sich nicht genug zueche lah, nahm mir ab, wenn ich ihm eine Halbe kramte, gab mir selbst Anlaß, daß ich ein Bstellts bei ihm machen konnte, und redete auf alle Weise so, daß ich nicht daran dachte, das Meitschi und die Kühe könnten mir fehlen. Von heiraten hatte ich nicht mit ihm gesprochen. Man fällt auch auf dem Lande nicht so mit der Thür ins Haus, sondern macht in der Regel erst ordentlich den Hof, zieht die Laufgräben, schießt Bresche, ehe man stürmt.

Endlich fing ich doch an, so darum herum zu reden, und sagte Stüdin einmal, als es so recht gutmeinig schien: es werde auch eine Bäuerin geben wollen? Da wollte es doch ein dolderschießige Narr sein, antwortete es, wenn es es machen könne, daß es es rüthiger habe. So eine Bäurin sei für nichts gut, als für zuerst aufzustehen, für Kinder z'ha und Säu z'mästen. Wenn sie einen Schoppen trinken wolle, so müsse sie das Geld erst stehlen; und wenn sie einen halben Tag von Haus weg wolle, so müsse sie sich eine ganze Woche dafür wüst sagen lassen. Solche Reden machten mir Mut. Ich zweifelte keinen Augenblick an ihrer Aufrichtigkeit und glaubte, sie seien recht absichtlich gesprochen, um mir den Verstand zu machen. Ich wußte nicht, daß es Mädchen-Art ist, das am meisten zu verleugnen, wornach das Herz am meisten strebt; das am meisten zu schmähen, was man am meisten liebt. Ich habe seither Mädchen jede Gelegenheit vom Zaune reißen sehen, um nicht nur ihre Liebhaber, sondern ihre Geliebten, bald darauf ihre Männer, herunterzumachen, daß kein guter Fetzen an ihnen blieb.

Es ist den Leuten schon manchmal fast gschmuecht worden, wenn sie hörten: Eisin hat mit Joggin verkünden lassen, und Eisin hatte Joggin noch vor wenig Tagen vor ihnen ausgeführt und sich verschworen, es wolle lieber gar keinen als den, und sie hatten Eisin geholfen und recht gegeben. Das ist ein wunderlich Ding in der weiblichen Natur, ein solches Schimpfen über das, was man liebt. Ganz leicht zu erklären ist es nicht. Es mag die Lust sein, von dem Gegenstand seiner Liebe zu reden; sich zu verraten schämt man sich aber, darum schimpft man über ihn, das ist auch geredet. Es mag das Teufelchen des Mißtrauens sein, das Böses vernehmen möchte, so wehe es dem Herzen auch thut, so wenig es nützt; denn es hindert doch selten die Heirat, sondern es pflanzt nur Mißtrauen in die Ehe. Es mag vielleicht auch der letzte verzweifelte Kampf eines starken Mädchenherzens gegen seine Schwäche sein, in welchem Augenblick der Sieger, dem man bald darauf in die Arme fällt, wie ein Feind erscheint.

So ist es sicher selten einer Baurentochter ernst, wenn sie sagt, sie wolle keine Bäurin werden, es sei denn, ihre Mutter habe es gar böse, oder sie sei etwas fauler oder zarter Art. Freilich Wirtinnen oder Müllerinnen werden sie eben so lieb. Sie haben das gleiche bedeutende Regiment zu führen, und dazu an dem einen Ort ungesorget weißes Brod und Wyßbry, an dem andern gelben Wein und gelben Braten. So nahm ich für bar Geld, was vielleicht nur Spaß oder ich weiß nicht was war. Denn aus Stüdis Betragen werde ich noch heutzutage nicht klug, und kann fast gar nicht glauben, daß es mich bloß zum Narren gehalten und nicht auch etwas für mich gefühlt habe. Manchmal mußte ich doch bestimmt glauben, ich sei ihm wirklich lieb. Allein wahrscheinlich war sein Herz zwischen zwei Heubündeln, zwischen mir und einem Baurenhof, so wie eigentlich das meine auch zwischen ihm und zwei Kühen war. Weil aber Stüdi und die Kühe zusammen gehörten, ich und der Baurenhof leider nicht, so blieb ich Stüdin treu, Stüdi aber dem Baurenhof. So ward es falsch an mir; aber was konnte es dafür, daß ich und der Baurenhof nicht zusammen gehörten?

Ich rückte in meiner guten Hoffnung immer weiter mit der Sprache heraus. Ich erzählte, wie eine Frau es gut haben würde bei mir, wie sie weder so früh aufstehen noch so hart arbeiten müsse, was ich ihr alles anschaffen, mit ihr hie aus und dort aus gehen wolle etc., und fragte dann Stüdin, ob ihm das nicht gefiele. Kurz, ich brachte es so weit, daß ich vom Verkünden sprach, und je mehr Stüdi es auf die lange Bank schob, sagend, das pressiere ihm nicht, es habe noch einen ledigen Leib und wolle ihn noch einstweilen behalten u. s. w., desto mehr hielt ich an und that nötlich. Während ich einst mit Anhalten am besten daran war, hörte ich etwas hinten im Gaden, wo aus der Wohnstube oder dem Stübli ein viereckicht Loch über dem Ofen einem Menschen das Hinaufkommeu leicht macht, und ehe ich mich versah, stund der Bauer mit einer Laterne vor dem Bette und sagte, er müeß doch einisch o cho luege, wer de Stüdin so plagi.

Da machte er den Umhang auseinander und zündete mit der Laterne übers Bett und sagte endlich: »Bisch ume du's, Schumeister? I hätt nit glubt, daß d' sövli e Narr wärisch, u dra däychtisch, Stüdin z'übercho. Jetz stang uf u mach, daß d' furt chunsch, u chumm mr nimme ume, susch will i de öpper angers hinger di reise, daß d' s de ungerwäge lasch.«

Wie ein begossener Hund stund ich auf, sprach kein Wort und Stüdi auch nicht, und schlich zur Thüre hinaus. Der Bauer war so höflich, mir zu zündten, was ich ihm aber gerne geschenkt hätte. Als ich unten an der Treppe war, sagte er mir noch: »Ghörsch, daß d's letsch Mal da gst sygisch, susch git's de Lärme u du chunsch usufer druo; dr Brunntrog isch nit wyt u dMischgülle no näher.« Ohne mich umzusehen, strich ich mich nach Hause. Erst dort kam ich zu mir selbst, und es tam mir in den Sinn, was ich dem Bauer eigentlich hätte sagen sollen, ihm versichern sollen, ich komme in ehrlichen Absichten und ich sei doch ein Schulmeister und eine Frau müsse es gut bei mir haben. Bald wäre ich wieder umgekehrt, um ihm dieses noch zu sagen; dann dachte ich wieder, Stüdi werde es ihm schon sagen und vielleicht werde er schon am Morgen zu mir kommen, um mir zu sagen, es sei denn nicht so böse gemeint gewesen; wenn ich es aufrichtig meine, so könne ich Stüdin haben.

So schlief ich recht getröstet ein, nur noch fürchtend, das Kommen des Bauren zu verschlafen. Das weckte mich früh; aber er kam nicht. Ich stund wieder zwei Schritte hinter dem Fenster und sah die Gasse auf; aber da war niemand, der kam. Am Mittag war niemand da, am Abend niemand. Da hielt ich es endlich nicht länger aus und schlich am Hause vorbei, ohne jemand zu sehen. Ich wiederholte es bei zunehmender Dämmerung, immer entschlossener, ins Haus zu treten und meine gute Absicht zu erklären. Endlich, als ich darauf und dran war, den Entschluß auszuführen, kam der Bauer aus dem Futtergang, wo er mich wahrscheinlich beobachtet hatte, und sagte mir, ich solle nicht Gspäß machen und nicht ds Herrgetts sein, ihm mehr übers Dachtrauf zu kommen; er heyg mi lang gnue lah dr Narr mache, i chönn sauft z'friede sy. Ich wollte meine Rede anfangen fangen, obgleich sie auf diesen Gingang nicht recht paßte; allein er ließ mich nicht machen, sondern sagte, er mög des Gftürms nüt, u we-n-i nit gah well, so reis er dr Schnauz hinger mi. Unglücklicherweise sagte ich noch: »Ich möchte mit Stüdin no neuis rede«; da fuhr der Schnauz unterm Dach hervor und ich dem Schulhause zu, und hinter mir her scholl das Bellen des Schnauzes, das Gelächter des Bauren. Nicht lange darauf ließ Stüdi verkünden und ward eine Bäurin.


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