Johann Wolfgang Goethe
West-östlicher Divan
Johann Wolfgang Goethe

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Tefkir Nameh: Buch der Betrachtungen

        Höre den Rat, den die Leier tönt!
Doch er nutzet nur, wenn du fähig bist.
Das glücklichste Wort, es wird verhöhnt,
Wenn der Hörer ein Schiefohr ist.

»Was tönt denn die Leier?« Sie tönet laut:
Die schönste, das ist nicht die beste Braut;
Doch wenn wir dich unter uns zählen sollen,
So mußt du das Schönste, das Beste wollen.

Fünf Dinge

        Fünf Dinge bringen fünfe nicht hervor,
Du, dieser Lehre öffne du dein Ohr:
Der stolzen Brust wird Freundschaft nicht entsprossen;
Unhöflich sind der Niedrigkeit Genossen;
Ein Bösewicht gelangt zu keiner Größe;
Der Neidische erbarmt sich nicht der Blöße;
Der Lügner hofft vergeblich Treu und Glauben –
Das halte fest und niemand laß dir's rauben!

Fünf andere

        Was verkürzt mir die Zeit?
Tätigkeit!
Was macht sie unerträglich lang?
Müßiggang!
Was bringt in Schulden?
Harren und Dulden!
Was macht Gewinnen?
Nicht lange besinnen!
Was bringt zu Ehren?
Sich wehren!

Lieblich ist des Mädchens Blick

        Lieblich ist des Mädchens Blick, der winket;
Trinkers Blick ist lieblich, eh er trinket,
Gruß des Herren, der befehlen konnte,
Sonnenschein im Herbst, der sich besonnte.
Lieblicher als alles dieses habe
Stets vor Augen, wie sich kleiner Gabe
Dürftge Hand so hübsch entgegendränget,
Zierlich dankbar, was du reichst, empfänget.
Welch ein Blick! ein Gruß! ein sprechend Streben!
Schau es recht und du wirst immer geben.

Und was im Pend-Nameh steht

    Und was im Pend-Nameh steht,
Ist dir aus der Brust geschrieben:
Jeden, dem du selber gibst,
Wirst du wie dich selber lieben.

Reiche froh den Pfennig hin,
Häufe nicht ein Goldvermächtnis,
Eile freudig vorzuziehn
Gegenwart vor dem Gedächtnis.

Reitest du bei einem Schmied vorbei

        Reitest du bei einem Schmied vorbei,
Weißt du nicht, wann er dein Pferd beschlägt;
Siehst du eine Hütte im Felde frei,
Weißt nicht, ob sie dir ein Liebchen hegt;
Einem Jüngling begegnest du, schön und kühn,
Er überwindet dich künftig oder du ihn.
Am sichersten kannst du vom Rebstock sagen,
Er werde für dich was Gutes tragen.
So bist du denn der Welt empfohlen,
Das übrige will ich nicht wiederholen.

Den Gruß des Unbekannten ehre ja!

        Den Gruß des Unbekannten ehre ja!
Er sei dir wert als alten Freundes Gruß.
Nach wenig Worten sagt ihr Lebewohl!
Zum Osten du, er westwärts, Pfad an Pfad –
Kreuzt euer Weg nach vielen Jahren drauf
Sich unerwartet, ruft ihr freudig aus:
»Er ist es! ja, da war's!« als hätte nicht
So manche Tagefahrt zu Land und See,
So manche Sonnenkehr sich drein gelegt.
Nun tauschet War um Ware, teilt Gewinn!
Ein alt Vertrauen wirke neuen Bund –
Der erste Gruß ist viele tausend wert,
Drum grüße freundlich jeden, der begrüßt!

Haben sie von deinen Fehlen

        Haben sie von deinen Fehlen
Immer viel erzählt
Und für wahr sie zu erzählen,
Vielfach sich gequält.
Hätten sie von deinem Guten
Freundlich dir erzählt,
Mit verständig treuen Winken,
Wie man Beßres wählt:
O gewiß! das Allerbeste
Blieb mir nicht verhehlt,
Das fürwahr nur wenig Gäste
In der Klause zählt.
Nun als Schüler mich, zu kommen
Endlich auserwählt,
Lehret mich der Buße Frommen,
Wenn der Mensch gefehlt.

Märkte reizen dich zum Kauf

        Märkte reizen dich zum Kauf;
Doch das Wissen blähet auf.
Wer im Stillen um sich schaut,
Lernet, wie die Lieb erbaut.
Bist du Tag und Nacht beflissen,
Viel zu hören, viel zu wissen,
Horch an einer andern Türe,
Wie zu wissen sich gebühre.
Soll das Rechte zu dir ein,
Fühl in Gott was Rechts zu sein:
Wer von reiner Lieb entbrannt,
Wird vom lieben Gott erkannt.

Wie ich so ehrlich war

        Wie ich so ehrlich war,
Hab ich gefehlt,
Und habe Jahre lang
Mich durchgequält.
Ich galt und galt auch nicht.
Was sollt es heißen?
Nun wollt ich Schelm sein,
Tät mich befleißen;
Das wollt mir garnicht ein,
Mußt mich zerreißen.
Da dacht ich: Ehrlich sein
Ist doch das Beste;
War es nur kümmerlich,
So steht es feste.

Frage nicht, durch welche Pforte

        Frage nicht, durch welche Pforte
Du in Gottes Stadt gekommen,
Sondern bleib am stillen Orte,
Wo du einmal Platz genommen.

Schaue dann umher nach Weisen
Und nach Mächtgen, die befehlen;
Jene werden unterweisen,
Diese Tat und Kräfte stählen.

Wenn du nützlich und gelassen
So dem Staate treu geblieben,
Wisse! niemand wird dich hassen,
Und dich werden viele lieben.

Und der Fürst erkennt die Treue,
Sie erhält die Tat lebendig;
Dann bewährt sich auch das Neue
Nächst dem Alten erst beständig.

Woher ich kam?

        Woher ich kam? Es ist noch eine Frage;
Mein Weg hierher, der ist mir kaum bewußt,
Heut nun und hier am himmelfrohen Tage
Begegnen sich, wie Freunde, Schmerz und Lust.
O süßes Glück, wenn beide sich vereinen!
Einsam, wer möchte lachen, möchte weinen?

Es geht eins nach dem andern hin

        Es geht eins nach dem andern hin,
Und auch wohl vor dem andern;
Drum laßt uns rasch und brav und kühn
Die Lebenswege wandern.
Es hält dich auf, mit Seitenblick
Der Blumen viel zu lesen;
Doch hält nichts grimmiger zurück,
Als wenn du falsch gewesen.

Behandelt die Frauen mit Nachsicht

        Behandelt die Frauen mit Nachsicht!
Aus krummer Rippe ward sie erschaffen;
Gott konnte sie nicht ganz grade machen.
Willst du sie biegen, sie bricht;
Läßt du sie ruhig, sie wird noch krümmer:
Du guter Adam, was ist denn schlimmer? –
Behandelt die Frauen mit Nachsicht:
Es ist nicht gut, daß euch eine Rippe bricht.

Das Leben ist ein schlechter Spaß

        Das Leben ist ein schlechter Spaß:
Dem fehlt's an Dies, dem fehlt's an Das,
Der will nicht wenig, der zu viel,
Und Kann und Glück kommt auch ins Spiel.
Und hat sich's Unglück drein gelegt,
Jeder, wie er nicht wollte, trägt.
Bis endlich Erben mit Behagen
Herrn Kannicht-Willnicht weiter tragen.

Das Leben ist ein Gänsespiel

        Das Leben ist ein Gänsespiel:
Je mehr man vorwärts gehet,
Je früher kommt man an das Ziel,
Wo niemand gerne stehet.

Man sagt, die Gänse wären dumm,
O, glaubt mir nicht den Leuten:
Denn eine sieht einmal sich 'rum,
Mich rückwärts zu bedeuten.

Ganz anders ist's in dieser Welt,
Wo alles vorwärts drücket:
Wenn einer stolpert oder fällt,
Keine Seele rückwärts blicket.

Die Jahre nahmen dir

                      »Die Jahre nahmen dir, du sagst, so vieles:
Die eigentliche Lust des Sinnespieles;
Erinnerung des allerliebsten Tandes
Von gestern, weit- und breiten Landes
Durchschweifen frommt nicht mehr; selbst nicht von oben
Der Ehren anerkannte Zier, das Loben,
Erfreulich sonst. Aus eignem Tun Behagen
Quillt nicht mehr auf, dir fehlt ein dreistes Wagen!
Nun wüßt ich nicht, was dir Besondres bliebe!«
Mir bleibt genug! Es bleibt Idee und Liebe!

Vor den Wissenden sich stellen

        Vor den Wissenden sich stellen,
Sicher ist's in allen Fällen!
Wenn du lange dich gequälet,
Weiß er gleich, wo dir es fehlet.
Auch auf Beifall darfst du hoffen;
Denn er weiß, wo du's getroffen.

Freigebiger wird betrogen

        Freigebiger wird betrogen,
Geizhafter ausgesogen
Verständiger irrgeleitet,
Vernünftiger leer geweitet,
Der Harte wird umgangen,
Der Gimpel wird gefangen.
Beherrsche diese Lüge,
Betrogener, betrüge!

Wer befehlen kann, wird loben

        Wer befehlen kann, wird loben,
Und er wird auch wieder schelten,
Und das muß dir, treuer Diener,
Eines wie das andre gelten.

Denn er lobt wohl das Geringe,
Schilt auch, wo er sollte loben:
Aber bleibst du guter Dinge,
Wird er dich zuletzt erproben.

Und so haltet's auch, ihr Hohen,
Gegen Gott wie der Geringe:
Tut und leidet, wie sich's findet,
Bleibt nur immer guter Dinge!

An Schah Sedschan und seinesgleichen

        Durch allen Schall und Klang
Der Transoxanen
Erkühnt sich unser Sang
Auf deine Bahnen!
Uns ist für garnichts bang,
In dir lebendig,
Dein Leben daure lang,
Dein Reich beständig!

Höchste Gunst

        Ungezähmt, so wie ich war,
Hab ich einen Herrn gefunden
Und, gezähmt nach manchem Jahr,
Eine Herrin auch gefunden.
Da sie Prüfung nicht gespart,
Haben sie mich treu gefunden
Und mit Sorgfalt mich bewahrt
Als den Schatz, den sie gefunden.
Niemand diente zweien Herrn,
Der dabei sein Glück gefunden:
Herr und Herrin sehn es gern,
Daß sie beide mich gefunden,
Und mir leuchtet Glück und Stern,
Da ich beide sie gefunden.

Ferdusi spricht

        O Welt! wie schamlos und boshaft du bist!
Du nährst und erzieltest und tötest zugleich.

Nur wer von Allah begünstigt ist,
Der nährt sich, erzieht sich, lebendig und reich.

Was heißt denn Reichtum?

        Was heißt denn Reichtum? – Eine wärmende Sonne,
Genießt sie der Bettler, wie wir sie genießen!
Es möge doch keinen der Reichen verdrießen
Des Bettlers im Eigensinn selige Wonne!

Dschelal-eddin Rumi spricht

        Verweilst du in der Welt, sie flieht als Traum,
Du reisest, ein Geschick bestimmt den Raum;
Nicht Hitze, Kälte nicht vermagst du festzuhalten,
Und was dir blüht, sogleich wird es veralten.

Suleika spricht

        Der Spiegel sagt mir: ich bin schön
Ihr sagt: zu altern, sei auch mein Geschick.
Vor Gott muß alles ewig stehn;
In mir liebt ihn für diesen Augenblick!

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