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Schon dreimal hatten Frühling und Herbst, Sommer und Winter über dem Grabe Seraphinens gewechselt, sie selbst, die unten schlummerte, lebte unvergessen fort im Herzen ihrer Familie, und alle gedachten noch in gleicher Innigkeit des sanften engelhaften Kindes, dessen Frömmigkeit sie so oft erbaut, dessen frühreife Einfälle so oft ihre Verwunderung erregt hatten. –
Im äußeren hatte sich in Hohenfeldt nichts geändert. Schloß und Ortschaft waren dieselben geblieben, nur einige der ältesten Kirchengänger hatten ihren Betstuhl den jungen Nachfolgern überlassen und sich draußen im Freien nächst der Kirche schlafen gelegt; unter der Schuljugend waren etliche helle Flachsköpfe mehr zu bemerken, der Nachwuchs einer jüngeren Generation, die an Stelle der Abgehenden einrückten. Sonst war alles beim Alten. Abgesehen davon, daß Hedwig gar nicht selbständig handeln konnte, so lange sie minderjährig war, hatte sie auch schon gleich anfangs dringend gebeten, ihr Onkel möge nach wie vor alles anordnen und lenken, und so geschah es auch. – Man sah aber jetzt in den Zügen des Grafen häufig einen Ausdruck von Zufriedenheit, den man früher vergebens dort gesucht hatte. An Gräfin Mechtild war das Wort ihres sterbenden Kindes wahrgeworden; sie war nicht verlassen und allein zurückgeblieben und hatte in Hedwig eine liebe Tochter, einen süßen Ersatz gefunden, eine Stütze und Tröstung für ihr Alter.
Der Invalide Klaus hatte anfänglich gegen den Umzug nach dem Schlosse feierlich protestiert; er war in seinem Elternhause geboren, hatte Jugend und Alter dort verlebt und mochte sich nur schwer entschließen, es zu verlassen. Auch seiner Schwester Notburga erging es nicht viel besser, doch besaß sie eine Portion weiblicher Eitelkeit, und schmeichelte es ihr nicht wenig, daß die Leute sie die Frau Großmutter der Gräfin Hedwig nannten. Sie war jetzt, ohne eben aufgeputzt zu sein, doch ungleich besser angezogen als ehedem, hatte ein eigenes Mädchen, das ihre Arbeit that, und schaffte selbst nur, was sie freute und unterhielt. So hatte ihre Enkelin es angeordnet, und bei jeder Gelegenheit erklärte Frau Notburga stolz, die Gräfin trägt uns auf den Händen, sie hat ein dankbares, edles Herz; ich hab' ja immer gesagt, »das Mädel ist nicht wie die andern.« Und nun gefiel sie sich recht gut in den schönen luftigen Zimmern des Schlosses, die sie bewohnte, und die Dienerschaft, sowie alle übrigen Miteinwohner begegneten den alten Leuten mit ausgesuchter Höflichkeit.
Dem alten Klaus hatte Hedwig den Vorschlag gemacht, sie wollte ihm sein Elternhaus abkaufen und es der Gemeinde für die Armen schenken; er sollte die Hausordnung daselbst leiten und die Aufzunehmenden vorschlagen. Diese neue Würde behagte ihm recht gut und er ging bei der Aufnahme der Leute mit seiner gewohnten Gewissenhaftigkeit zu Werke. – Die plötzliche große Veränderung, die mit Rita vorgegangen war, hatte anfangs natürlich stürmische Wogen geworfen; das totgeglaubte Kind war also nicht verbrannt, sondern gestohlen worden, und der Verbrecher war der Sohn eines gräflichen Beamten gewesen, der zahllose Wohlthaten in der Familie genossen hatte. In der ersten Zeit war man der Gräfin Hedwig scheu und verlegen ausgewichen, nachdem sie aber mit jedermann ohne Ausnahme in ihrer herzlichen Weise plauderte und verkehrte, ward sie schnell in alle Himmel gehoben und Hohenfeldt beglückwünschte sich zu seiner neuen Gebieterin.
Fräulein Scholastika knixte schon von weitem, wenn die junge Dame an ihrer Wohnung vorüber ging, und wenn sie sich erst zum dicken, alten Muki niederbeugte und sagte: »Gelt, Mukerle, wir zwei kennen einander schon lange,« da grinste seine Nährmutter von einem Ohre zum andern, und schnappte zusammen wie ein Taschenmesser. Auch die Geisterseherin bekam stets einen freundlichen Gruß von Hedwig, sowie die drei Klatschbasen, bei deren Anblick Hedwig aber nur mühsam ihren Ernst bewahrte, weil sie der vielen Raupen und Käfer, Baumwanzen und Blattläuse dachte, womit sie jene so sehr erschreckt hatte. Das Liserl war in ein Klosterinstitut gebracht worden und sollte auf Hedwigs Kosten zur Lehrerin gebildet werden. Berthas schöner Traum, bei Ankunft der Herrschaft auf Hohenfeldt, daß sie vielleicht Arbeit und Beschäftigung für ihre fleißigen Hände dort finden möchte, hatte sich voll erfüllt. Sie kam jetzt oft auf das Schloß, sie war es auch, die Seraphine in ihr letztes Bettchen gerichtet, die ihr den Kranz von weißen Rosen und den duftigen Schleier auf die langen offenen Haare gelegt, und ihr das Brautkleid angezogen hatte, mit dem sie hintreten sollte vor ihren göttlichen Bräutigam. So zart war sie bei diesem traurigen Amte verfahren, so reichlich waren ihre Thränen geflossen als sie diese lieblichste Menschenblume in den Sarg legte, daß sie sich das Herz der Gräfin sowohl als auch das der treuen Kathrine im Sturme eroberte, und seitdem immer wieder kommen mußte, bald da, bald dort ihre Geschicklichkeit zu bethätigen.
Beim Lackierer Franz war Hedwig eines Tages in Begleitung ihres Onkels erschienen. »Weißt du noch Franz?« frug sie, »daß ich dir öfters die Zeitungen brachte, die meiner Großmutter zum Dütenkleben dienten, und daß wir einmal eine wunderhübsche Künstlergeschichte fanden von einem Maurerjungen, der ein großer Bildhauer wurde und »Canova« hieß; ich sagte damals, wenn ich könnte, ließe ich dich auch zu einem tüchtigen Künstler ausbilden, und nun ist mein Scherz wunderbar wahr geworden. Der liebe Gott hat mir viele zeitliche Güter geschenkt, und ich will sie gerne zum Wohle andrer verwenden. Ich habe mit meinem Vormunde gesprochen, du sollst zuerst eine tüchtige Vorbildungsschule in der Hauptstadt besuchen, und wenn du dort die nötige Reife erlangt hast, deine weitere Ausbildung in Rom erlangen. Mein Rentamtmann ist angewiesen, dich mit den nötigen Mitteln zu versehen.« Franz war bei dieser Eröffnung, die seine kühnsten Wünsche der Erfüllung entgegen führte, zuerst blaß, dann rot geworden; er wollte seiner jungen Wohlthäterin zu Füßen stürzen, wollte ihr Kleid mit seinen Küssen bedecken, aber sie wehrte lächelnd ab. Es war ganz merkwürdig, welch' ein Anstand, welche Hoheit dieses noch so junge Mädchen auszeichnete, und wie sie die Huldigungen, die man ihr entgegenbrachte, als etwas Selbstverständliches entgegennahm, ohne deshalb eitel oder stolz zu sein. Allen, denen sie früher ausgewichen war, zeigte sie jetzt freundlichste Herablassung: »Rüste dich nun bald zur Abreise, lieber Franz,« sagte sie, »und mache dem guten Onkel Ehre. Später wird er dir auch nach Italien Empfehlungsbriefe mitgeben.« Der überglückliche Jüngling sowohl, als seine Eltern waren tiefgerührt von so vieler Güte und ergingen sich in den wärmsten Dankesausbrüchen.
Nach Ablauf eines Jahres begab sich der talentvolle Franz mit einem Reifezeugnis und allem Nötigen versehen nach dem Lande seiner Sehnsucht; bald schrieb er hochbegeisterte Briefe aus dem sonnigen Süden mit den schwarzäugigen Frauen und den schmutzstarrenden, malerischen Gassenjungen. Alles was er sah, erfaßte er mit dem Blicke des echten Künstlers und wurde nicht müde sein Glück zu schildern, das ihm bei seinen Studien und Arbeiten die Seele ganz erfüllte. Einer der hervorragendsten Bildhauer hatte ihn als Schüler in sein Atelier aufgenommen und nun weihte er sich mit ganzer Hingebung der bildenden Kunst, die ihm schon seit seinen Knabenjahren als höchstes Lebensziel vorgeschwebt war. Nach Ablauf von drei Jahren wurde er bereits mit größeren Aufträgen betraut und erhielt einen solchen auch von seiner jungen Gönnerin, nämlich ein würdiges Grabdenkmal für Seraphine herzustellen; es sollte statt des bisherigen einfachen Kreuzes den Hügel zieren und in weißem Marmor ausgeführt werden. Der junge Künstler that sein Bestes, diesem ehrenvollen Auftrage gerecht zu werden. Das Grabmal war Hedwigs Liebesgabe für die unvergeßliche Freundin, der sie so vieles dankte und gleichzeitig eine Erinnerung an ihre geliebten Eltern, die ja auch beide in derselben Gruft ruhten, und denen damit gleichfalls ein Tribut kindlicher Anhänglichkeit und Liebe gezollt wurde.
Hermann kam nach wie vor alljährlich nach Hohenfeldt; sein Charakter hatte sich des früheren Flattergeistes entledigt und trotz seiner großen Jugend eine ernste, männlichere Richtung angenommen. Er war von jeher eine selbständige Natur gewesen, als Knabe arg verwöhnt und eitel gemacht durch unüberlegte Lobsprüche, hatte sich doch das Edle in ihm glücklich durchgerungen und nicht wenig hatte dazu der Umgang mit Seraphine sowohl als mit ihrer urwüchsigen, freimütigen Freundin beigetragen. Obschon er die kleine Dorfhexe anfangs von der stolzen Höhe seiner aristokratischen Anschauung herab nur verächtlich behandelte, und ihren Stolz lächerlich fand, obwohl er später, ohne sich's einzugestehen, auf ihre bedeutenden Eigenschaften eifersüchtig war und sie ärgerlich von sich wies, es war doch endlich die Zeit gekommen, wo er sie anerkennen und bewundern mußte. Dann war ihre unvermutete Erhebung gefolgt; sie hatte aber alles so natürlich aufgenommen, daß kein Bedenken in ihm aufkam, den freundlichen Ton des Verwandten gegen sie anzuschlagen.
Und nun war er wieder ihr Gast gewesen, sie hatten manche schöne Stunde mitsammen zugebracht, Onkel und Tante liebten es, die jungen Leute um sich zu sehen, über ihre harmlosen Kindereien zu lachen, an ihrer Unterhaltung teilzunehmen. Hermann begleitete den Onkel fleißig auf die Jagd, zeigte aber auch lebhaftes Interesse an der Landwirtschaft und erbat sich Aufklärung und Belehrung bei dem Verwalter dieser großartigen Musterökonomie. »Ich glaube Hermann will selbst ein Landwirt werden?« sagte eines Tages Graf Emanuel zu dem jungen Offizier, der sich eben beim Abladen eines großen Heufuders persönlich beteiligt hatte und ihm mit hochgeröteten, erhitzten Gesichte entgegentrat.
»Ich finde große Freude daran, lieber Onkel.«
»Das ist brav, mein Junge. Was man selbst gethan hat, kann man anderen ungleich leichter befehlen.«
»Man wird auch milder im Urteile,« meinte Tante Mechtild, die sich den beiden Herren genähert und Hermanns Antwort gehört hatte, »wenn man selbst die Mühe kennt, unter welcher die anderen für uns arbeiten, würdest du nicht das Landleben vorziehen und um seinetwillen auf den blauen Rock verzichten?«
»Ich werde hiezu keine Gelegenheit haben, liebe Tante,« gab der junge Mann etwas zögernd zurück, »du weißt ja, daß ich alles, was ich geworden bin, deiner Güte verdanke, daß meine Armut aber mich wohl nie in die glückliche Lage bringen wird, ein Gut mein Eigen zu nennen. Es ist auch eine Ehre, den Rock meines Königs zu tragen, und ich will mich bestreben ein braver Soldat und seiner wert zu sein.«
»Hermann ist eben eigensinnig,« ließ sich die Stimme der Frau Majorin vernehmen, die auf einer Bank sitzend, schon geraume Zeit der ländlichen Arbeit ihres Sohnes zugesehen und jetzt ihr Buch beiseite gelegt hatte, um sich an dem Gespräche zu beteiligen, »es dürfte ihm nicht allzu schwer werden, solch ein Glück zu erlangen, vorausgesetzt, daß er sich verstehen möchte, noch etwas dazu in Kauf zu nehmen.«
»Mama, wie kannst du aber nur so sprechen!« rief Hermann mit flehender Stimme, schamrot über ihre Äußerung.
Graf Emanuel strich sich lächelnd den Bart. »Die Frau Cousine ist eine praktische Dame,« sagte er spöttisch, »sie meint, zu einem schönen Gute ließe sich ja ein liebes, junges Weib als Dreingabe wohl ertragen? Oder nicht?«
»Natürlich, man muß nur nicht so blöde sein.«
»Nun wohl, Junge, sei ein gehorsamer Sohn und überlege die mütterliche Mahnung,« scherzte Emanuel.
Hermann war bis in's Innerste verwundet; es schmerzte ihn tief, daß man ihm eine so wenig zarte Gesinnung zu unterschieben wagte, und daß seine eigene Mutter es war, die so etwas veranlaßt hatte. Arg verstimmt zog er sich zurück, seine Mutter folgte ihm in's Haus.
»Hermann, du warst vorhin lächerlich,« schalt sie, als sie ihn, den Kopf in die Hand gestützt, betrübt vor sich hin schauen sah. »Glaubst du, Hedwig wird so zimperlich sein, deine Hand auszuschlagen, wenn du sie ihr anbietest?«
»Ich weiß es nicht, aber ich werde es niemals thun.«
»Nun, und warum denn nicht? Ich glaubte doch zu bemerken, daß du sie hochschätzest, ich habe mich bereits an den Gedanken gewöhnt, sie als Tochter aufzunehmen; gegen die Gräfin von Hohenfeldt ist ja auch in der That nichts einzuwenden, und nun, da ich dich als künftigen Schloßherrn begrüßen möchte, spielst du plötzlich den Spröden und ziehst dich zurück?«
»Liebe Mama, nach dem, wie du dich vorhin beim Onkel benahmst, muß Hedwig notwendig denken, mir sei nur ihr Geld, nicht sie selbst, lieb. Ach wäre sie doch noch die arme, kleine Rita! Ich würde so viel leichter um sie werben, als Hedwig um ihre Meinung befragen.«
»Lächerlich, soll etwa ich für dich reden?«
»Um Gott nicht, Mama, das würde alles unmöglich machen. Vorerst kann ich an eine solche Frage überhaupt nicht denken,« mit diesen Worten verließ er das Zimmer, um in der Einsamkeit des Parkes seinen Gefühlen und Gedanken nachzuhängen.
»Der arme Junge hat vorhin schwer unter der Bemerkung seiner Mutter gelitten,« hatte Gräfin Mechtild zu ihrem Gatten gesagt, nachdem jene beiden fort waren.
»Es ist schade um den Jungen; er ist viel feinfühliger und nobler als sie.«
»O gewiß, und sie wird ihm jede vielleicht beabsichtigte Erklärung unmöglich machen.«
»Glaubst du denn, daß er so etwas im Sinne hat, Mechtild?«
»Ja, ich bin's fast gewiß. Seh' ich doch, wie sehr er Hedi verehrt und wie sie errötet, wenn er sich ihr nähert; wie ihr Auge glänzt, wenn sie zu ihm aufschaut – Manuel, es sind drei Jahre, seitdem der liebe Gott unser letztes Kind zu sich genommen hat, soll denn der ganze Stamm der Hohenfeldt zu Grunde gehen? Wenn sich die beiden jungen Seelen in reiner, herzlicher Liebe finden, wird es leicht sein, daß Hermann durch die Verbindung mit Hedwig seinem Namen den der Hohenfeldt beifügt, dann könnte noch einmal ein neues edles Geschlecht erblühen. Ich weiß, es war auch Seraphinens Wunsch, sie sprach davon in ihren allerletzten Tagen.«
»So walte Gott! Ich will mich freuen, wenn du recht bekommst.«
Als beide nach dem Schlosse zurückgingen, trat ihnen Hedwig entgegen; sie war zur schönen Jungfrau aufgeblüht, das sprechende Abbild ihrer verstorbenen Großmutter. Unter den glücklichen Verhältnissen, die sie umgaben, hatte sie sich herrlich entwickelt, wie die Rose sich dem Kusse der Sonne erschließt. Sie trug den Futterkorb für die Schwäne am Arme. »Ich will zum Weiher sehen,« sprach sie, und lief leichten Schrittes an ihnen vorüber. Als sie zur Stelle kam, fand sie Hermann; er erbleichte bei ihrem Anblicke und wollte sich rasch entfernen.
»Fliehst du mich?« Sie sprach so freundlich sanft, es mußte ihr ernst sein mit der Frage.
»Liegt dir daran, daß ich bleibe, Hedwig?«
»Warum willst du fort? That ich dir was zu leide? Weißt du noch, es war am Tage, ehe unsere Seraphine starb, da sagtest du, wir sollten treue Kameraden sein fürs ganze Leben?«
»O Hedwig, ob ich es weiß! Und was thatest du?«
»Ei nun, ich schlug ein, ich legte meine Hand in die deine zum treuen Bunde, wie du es gewollt.«
»Ich habe nicht den Mut, dasselbe nochmals zu erbitten.«
»Und warum nicht?«
»Du stehst so reich, so vornehm über mir, ich bin ein armer Junge, der nichts hat, als seinen redlichen Willen, und – seine Ehre?«
»Denkst du so gering von mir, Hermann, daß ich auf den Reichtum, der mir zufällig in den Schoß fiel, so großen Wert lege?«
»So denkst du dir die Möglichkeit – so dürfte ich dich bitten.«
»Um was?«
»Ich bitte dich, Hedwig, schenk mir diese eine Gunst, sprich offen, willst du mein Kamerad sein für's ganze Leben? Wende nicht das Köpfchen weg, Hedwig, was ist's, that ich dir wehe? Du weinst?«
Sie bedeckte das Gesicht mit beiden Händen ... »Seraphine,« schluchzte sie, »wie lebhaft muß ich jetzt ihrer denken!«
»Was soll's mit ihr?«
Sie trocknete die Thränen und sah ihn lächelnd an. »Ja, du darfst es wissen: Es war kurz vor ihrem Tode, da sprach sie mir von dir, ›sei gut zu ihm,‹ sagte sie, ›wenn er einmal etwas von dir erbitten möchte.‹«
»Der liebe Engel! Du hast ihr's doch versprochen?« und ein ganzer Himmel voll Seligkeit brach aus seinen Augen.
»Ja, ich that's.«
»Nun, und jetzt?«
Sie reichte ihm die Hand. »In ihrem Andenken, Hermann, will ich für immer dir gehören, wenn du mich magst.«
Er zog sie an sein Herz und küßte sie auf die Stirne. Dann gingen sie zu Frau Mechtild. –
Sechs Jahre sind vorüber. Auf der Schloßterrasse zu Hohenfeldt sitzt Gräfin Mechtild an Hedwigs Seite. Diese ist eine stattliche, blühende Frau geworden, die Mutterwürde kleidet sie gut und verleiht ihren Zügen milden Ernst. Gleichwohl blitzt der alte Schelm aus ihren Augen und zuckt ihr um den Mund, wenn sie vergangener Zeit gedenkt. Baronin Julie ist für einige Wochen wieder nach der Stadt gegangen, sie kann die Genügsamkeit der beiden Damen nicht begreifen, das monotone Landleben langweilt sie und sie verlangt nach Abwechslung, Gräfin Mechtild aber und ihre Nichte sind glücklich in der Liebe, die sie zu einander tragen und im Glücke der Familie, das sie umgiebt.
Unweit von ihnen, die silberbeschlagene Pfeife im Munde, sitzt der alte Klaus im Schatten einer mächtigen Linde, daneben Großmutter Notburga. An beiden sind die Jahre fast spurlos vorbeigegangen, sie sind rüstig und frischen Geistes. Zu ihren Füßen spielen Hedwigs Kinder, ein Knabe von etwa vier Jahren und sein dreijähriges Schwesterchen. Der Knabe hat einen Soldatenhelm auf dem blonden Lockenköpfchen und einen Säbel in der Hand, »Großvater, kommandieren!« ruft er, und gutmütig thut der Alte seinen Willen: »Rechts um«, »Vorwärts marsch«, »Halt!« Leuchtenden Blickes marschiert der Kleine hin und wider, indes das Schwesterchen eine Puppe auf den Armen wiegt; »Baby muß schlafen, eija, popeia,« spricht sie mit feinem, singenden Stimmchen vor sich hin, wie sie es von Mama hört, wenn sie das kleinste Brüderchen in Schlaf singt. Plötzlich wirft der Knabe Helm und Säbel fort und läuft mit dem Rufe: »Papa, lieber Papa!« mit weit ausgebreiteten Ärmchen einem jungen Manne entgegen, der eben die Flinte von der Schulter nimmt und sie dem Diener reicht. Er bückt sich hinab zu dem reizenden Knaben, hebt ihn empor, küßt und herzt ihn. »Ist unser Mani brav gewesen?« Der Knabe nickt. »Großpapa Klaus hat mit mir exerziert,« plaudert er, und schon zappeln die kurzen Beinchen verlangend auf den Boden hinab. Sein Vater stellt das Kerlchen auf die Füße: »Vorwärts, kleiner Rekrut!«
Indes sind Hedwig und Mechtild grüßend zu ihm herangetreten. Er küßt die Hand der Gräfin, Hedwig aber reicht ihrem Gatten die Hand zum Kusse und sieht ihm liebevoll in's Auge.
»Warst du glücklich auf der Jagd, Hermann?«
Er erzählt von einem stattlichen Rehbock, den er geschossen hat, und bringt Grüße vom Onkel, der ihm auf dem Fuße folgen wird. – Er hat nur noch beim alten Anstreicher vorgesprochen und sich erzählen lassen von dem Franz und seiner neuesten Arbeit.
Plötzlich hält er inne und deutet mit der Hand nach der Wiese; dort steht sein kleines Gretchen, sie hat die dunklen Augen der Mutter und ihre goldschimmernden Haare. Jetzt wendet sie sich lachend zu ihrem Brüderchen, das ruhig aus der Erde sitzt, reißt ihm den Helm vom Kopfe und setzt ihn sich auf.
»Seht nur die Schelmin,« spricht Hermann mit väterlichem Stolze.
»Welch' reizendes Geschöpfchen,« erwidert Tante Mechtild gerührt.
Großvater Klaus aber ruft lachend herüber: »Seht nur einer das Blitzmädel, ist sie nicht just, wie dereinst unsere Dorfhexe?«
Lippert & Co (G. Pätz'sche Buchdr.), Naumburg a. S.