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Als Franz von der Arbeit im Bildersaale abgerufen worden war, standen die beiden Frauen vor dem Ölgemälde der seligen Gräfin Helene, und die Beschließerin wollte sich die günstige Gelegenheit nicht entgehen lassen, einmal näheres über die Familienverhältnisse der Grafen Hohenfeldt zu erfahren. Sie war erst als zweite Frau des Kastellans hierhergekommen und bei den Herrschaften noch gar nicht vorgestellt, hatte aber längst schon in Erfahrung gebracht, daß Frau Walburg, die Wittwe des ehemaligen Schloßinspektors, sozusagen ein Faktotum in der Familie, eine Vertrauensperson im eigentlichsten Sinne des Wortes, und in alle Geheimnisse der Familie gründlich eingeweiht sei, und daß man alles, was man zu wissen begehrt, durch sie genau und eingehend erfahren könne. Frau Walburg war keine Klatsche, wußte gegen alle Fremden sehr wohl reinen Mund zu halten über alle Vorkommnisse auf dem Schlosse, wirklich teilnehmende Menschen jedoch machte sie gerne zu Mitwissern ihrer Angelegenheiten. So hatte sie der neuen Beschließerin schon bald nach ihrem Dienstantritte ihr Vertrauen geschenkt, weil sie sie als eine stille Frau kennen lernte und auch jetzt wieder bemerkte sie, daß sich die Gute die Thränen aus den Augen wischte, als sie von Gräfin Helene sprach, also keineswegs kühl oder gleichgültig ihrem Bilde gegenüber stand.
Frau Walburg hatte das Stammschloß nur selten und seit sie den Inspektor geheiratet, gar nicht mehr verlassen, doch mußte sie in der ersten Zeit die gräflichen Damen manchmal auf Reisen begleiten, und war fortwährend im regen Kontakte mit der ganzen Familie geblieben.
Jetzt fuhr sie nochmals mit dem feinen Federbesen über den Rahmen des teueren Bildes und sprach mit zuckenden Lippen: »Dies hier ist mir doch das Liebste von allen im Saale, wie ja auch sie mir die Liebste war von allen, die jemals den Namen Hohenfeldt geführt hatten.«
»Ich kann mirs denken,« erwiderte die Beschließerin, »es geht wahrhaftig ein Zauber von diesen Augen aus, daß man sie nicht wieder vergessen kann, wenn man nur einmal recht und tief in sie hineingeblickt hat. Aber sprechen Sie doch, um Himmelswillen, war denn Gräfin Helene wirklich so sehr unglücklich, wie Sie schon öfters und auch vorhin wieder angedeutet haben?« –
»Leider ist es so, meine Liebe. Ein seltenes Maß von Anmut und Geist, von Liebenswürdigkeit und Seelenadel hat Gott diesem herrlichen Wesen verliehen, dagegen aber auch eine seltene Fülle von Leid und Wehe.
Ich bin siebzehn Jahre alt gewesen und nur zwei Monate jünger als die Gräfin Helene, als ich zu ihrer Kammerfrau und für ihren ausschließenden Dienst berufen wurde. Schön wie ein Engel, und ebenso liebreich und gütig, wußte sie schon in der allernächsten Zeit mein Herz zu gewinnen und ich wäre für sie durch Wasser und Feuer gegangen. Ach, von all den schweren Schicksalen aber, die ihr beschieden waren, vermochte ich auch nicht das geringste abzuwenden, sondern mußte zusehen, wie sich ihr Leben in Gram verzehrte. Sie war, als sie hierherkam, so lustig gewesen, konnte so sonnenhell lachen, daß man sie oft mit einem Silberglöcklein verglich, und alle, die sie hörten, mitlachen mußten, ob sie nun wollten oder nicht.
Der gräfliche Gemahl aber, Gott habe ihn selig, war ein überaus heftiger Herr. Ich sah ihn zuweilen um ganz kleiner Dinge willen in Zorn geraten, der sein ohnehin dunkles Gesicht noch mehr verfinsterte, wie eine Wetterwolke, und mein Liebling erbleichte dann wie eine Lilie. Das erstemal wollte ich ihr zu Hilfe eilen, denn ich glaubte, sie werde mir in die Arme sinken, sie lächelte aber mit ihrem sanftesten Lächeln und winkte ab. Ich sah deutlich, wie die zarte Gestalt zitterte, während Graf Hugo drohend nach mir schaute und etwas von schwachen Weibern und Kindereien murmelte.
Das that mir furchtbar weh, für die, die ich so sehr liebte. Ich hatte zwar gehört, daß zwischen Mann und Frau gar oftmals ein kleines Mißverständnis vorkomme, und daß so etwas im Grunde die gegenseitige Zuneigung keineswegs schädige, so beruhigte ich mich, und hoffte das Beste. – – –
Die junge Ehe war einige Jahre kinderlos geblieben, und ich glaube, daß dieser so sehr ersehnte Wunsch so lange versagt blieb, warf zumeist seinen düstern Schatten in das häusliche Glück.
Hätte Gräfin Helene noch ihre Eltern besessen, so wäre vielleicht vieles besser gewesen, denn der größte Segen einer jung vermählten Tochter ist doch immer der Rat und der Beistand einer guten und verständigen Mutter, und in ihr Herz allein dürfte jene alle geheimen Enttäuschungen und kleine Mißhelligkeiten ergießen, die zuweilen gar leicht zu Tage treten, wenn zwei Menschen, die sich früher kaum gekannt haben, sich plötzlich in dem denkbar innigsten und heiligsten Verhältnisse zusammenfinden müssen. Das ist zuweilen sehr schwer und nur eine zarte Mutterhand dürfte hier eingreifen, um die kleinen Empfindeleien zu beschwichtigen und Aufregung und Unruhe zu beseitigen. Meiner armen, jungen Dame fehlte leider dieser mütterliche Beistand, sie war ja schon im Alter von zehn Jahren verwaist und hatte ihre ganze Kindheit teils in vornehmen Pensionaten, teils im Hause ihres Vormundes verlebt, wo man sich ihrer seltenen Talente freute und sie gerne dem Manne hingab, der ihre Hand begehrte.
War sie denn nicht wie wenige angethan, glücklich zu machen und es selbst zu werden?
Bereits war die junge Dame fünf Jahre lang vermählt gewesen, als sie eines Tages wieder hierher kam, um dauernden Aufenthalt im Schlosse zu nehmen; damals brachte sie einen schönen, kräftigen Buben mit, mit dem der liebe Gott ihre Ehe endlich gesegnet hatte und es wäre in der That schwer zu entscheiden gewesen, wer von den beiden Eltern hierüber mehr beglückt war. Die Gräfin war durch den neuen Reiz, den die Mutterwürde ihren Zügen verlieh, noch ungleich schöner als ehedem; ihre kindlichen Züge schienen wie verklärt und zu jener Zeit ist auch dieses Bild hier gemalt worden. Sie saß eines Tages im Garten und hielt den kleinen Rudolf auf ihrem Schoße. Das Kind spielte mit einem Kranze aus blauen Kornblumen – es waren die Lieblingsblumen der Gräfin Helene –; den Kranz hatte ihr kurz vorher eine teure Freundin zum Geschenk gemacht. Jauchzend tastete das Kind mit seinen zarten Fingerchen nach dem Blütengewinde und versuchte es auf den Scheitel seiner Mutter niederzulegen.
Und richtig, dort lag es! Und entzückend sah es aus, um so mehr, als gerade jetzt die untergehende Sonne ihr goldenes Licht um die schimmernden Haare der schönen Frau wob; dazu der jubelnde Knabe, das Ebenbild seiner reizenden Mutter, diese selbst ohne Ahnung ihrer wunderbaren Schönheit. – – Der Graf, der eben dazu kam, mochte es auch empfunden haben, und sofort erwachte in ihm der Gedanke, seine Gemahlin in diesem Feldblumenschmucke verewigen zu lassen. Es wurde von einem berühmten Künstler gemalt und kam auf diese Weise in unsere Gallerie. Rudolf machte eben die ersten Versuche, selbständig zu marschieren und seine Wünsche und Bedürfnisse in Worten auszudrücken – als er ein Brüderchen bekam, das den Namen Emanuel erhielt. Es ist unser jetziger, gnädiger Herr. Stolz war Graf Hugo auf seine prächtigen Buben, das muß wahr sein, und nicht minder stolz auf seine herrliche, engelhafte Gemahlin, aber nur selten sprach er ein gutes, anerkennendes Wort zu ihr. Sie war pflichttreu und aufopfernd als Mutter gleich der einfachsten Frau aus dem Volke, und oft sagte sie zu mir, wenn ich ihr meine Bewunderung hierüber äußerte: ›Soll ich mich denn selbst des Süßesten und Köstlichsten berauben, was ein Herz fühlen kann, der Zärtlichkeit meiner Kinder? Soll ich sie Fremden überlassen und diesen auch den Herzensanteil meiner zwei lieben Buben, der immer demjenigen zufällt, der ihnen Pflege und Liebe giebt? O nein, es sind meine geliebten Söhne, ich will sie um mich haben, so viel ich kann, damit sie sich recht an mich gewöhnen, und, glücklicher als ich, den Wert einer Mutter kennen und schätzen lernen.‹ Merkwürdig war's, gerade das, was als Segen des Hauses so heiß erfleht und so freudig begrüßt worden war, wurde jetzt zum Zankapfel dieses vornehmen Haushaltes, und ich, die so nahe dabei stand, weiß am besten, daß die Schuld ausschließlich den einen Teil traf, den Grafen nämlich: er war schon immer ein verschlossener, finsterer Charakter gewesen, wurde es aber mit jedem Jahre mehr und entzog sich dem Umgange seiner Gemahlin mit jedem weiteren Jahre auffälliger. Nachdem sie alles versucht hatte, seine Liebe und sein Vertrauen zu gewinnen, nachdem sie all ihren Frohsinn und ihre Unterhaltungsgabe aufbot, sich ihm angenehm zu machen und nichts, gar nichts erreichte, als höchstens eine heftige Zurückweisung, da wurde sie still und bleich, und oftmals, wenn sie einen der Knaben auf den Armen hielt und mit ihm spielte, sah ich Thränen auf das Lockenköpfchen des Kindes niederrieseln und hörte, wie sie tief aufseufzte. Sie lebte ausschließend ihren Kindern, wachte Tag und Nacht bei ihnen, wenn sie krank lagen, mied Gesellschaften und Gastereien, und verließ das Schloß nur, um nach der Kirche zu gehen. Ich habe sie oft dahin begleitet; dort fand das arme gequälte Herz doch wieder Trost und Erleichterung bei Dem, der allein zu trösten weiß, und jede Menschenseele klar durchschaut. Der Graf hatte nichts gegen ihre Zurückgezogenheit einzuwenden, denn dahin, wohin er ging, konnte sie ihm doch nicht folgen. Er war oft mehrere Tage vom Hause abwesend, und kam meist noch erregter und trotziger nach Hause. Und merkwürdig, so sehr Gräfin Helene ihre beiden Knaben liebte, so sehr sie sich bemühte, ihnen den gleichen Anteil an Zärtlichkeit und Hingebung zu weihen – war es doch nur Rudolf, der dieser mütterlichen Liebe vollkommen entsprach, der sie mit Kosenamen überschüttete und später sogar als ihr kleiner ritterlicher Beschützer auftrat, voll Aufmerksamkeit für seine schöne Mutter, voll Schonung für ihre Gesundheit, voll glühender Verehrung für sie, als der wärmste Verteidiger all ihrer Ansichten und Behauptungen. Mit der Feinfühligkeit eines frühreifen heißgeliebten Kindes hatte Rudolf nur zu bald Einblick in das traurige Verhältnis zwischen Vater und Mutter genommen. Oft wenn man ihn zu Füßen der Gräfin spielend wähnte, hatte er sie still beobachtet, dann mit einem Male sein Spielzeug verlassen, sich an sie herangeschlichen, seine Arme um ihren Hals gelegt und gefragt: »Mütterchen, bist du traurig? Weinst du? Wer hat dir was zu leid gethan?« und nur die bestimmteste Versicherung ihres Wohlbefindens konnte ihn wieder einigermaßen beruhigen. Später, als er größer wurde, sagte er manchmal zu mir: ›Wally, wenn der Mani nicht mein Bruder wäre, würde ich ihn mit der Reitpeitsche züchtigen!‹ –
Damals schon that ich einen tiefen Blick in die Kluft, welche beide Brüder von einander trennte. Wie in ihrem Innern, waren sie auch äußerlich ganz von einander verschieden, sie vertraten so zu sagen Vater und Mutter in erstaunlicher Ähnlichkeit. Rudolf hatte das lockige Haar, die freie Stirne, die schönen offenen Augen, die weiche schmiegsame Gestalt seiner schönen Mutter geerbt, auch im Umgange war er leutselig gegen alle, überaus großmütig gegen die Armen, freundlich mit Kindern und Schwachen, – jedermann liebte ihn, seine Untergebenen schauten voll Bewunderung zu ihm auf, dabei vergaß er nicht ein einziges Mal, daß edles Blut in seinen Adern floß und daß er sich selbst und dem hohen Geschlechte, dem er angehörte, Achtung schulde; nie hab ich ihn schwach oder unfein gesehen, er verabscheute jede Gemeinheit, jede Unwahrheit und jede Knauserei. Wahrhaft nobel, edel, bedeutend, – das waren Grundsätze, denen er huldigte. Für Not und Armut hatte er stets eine offene, hilfsbereite Hand. Nicht so sein Bruder. Dieser war als Knabe dunkelhaarig, von gelber, matter Gesichtsfarbe; die Augen hatten einen listigen, lauernden Ausdruck. Sein ganzes Wesen neigte zu Knauserei und Geiz, und wenngleich er sich überaus freundlich und leutselig zu benehmen wußte, machte es ihm doch ein wirkliches Vergnügen, wenn Graf Hugo, sein Vater, die Bettler mit Hunden von der Thüre weisen ließ. Schon im frühen Knabenalter traten bei Emanuel Leidenschaften zu tage, die das Herz seiner edlen Mutter erschreckten – er konnte heute diesen oder jenen durch sein hochfahriges Wesen vernichten, während er morgen mit irgend einem zweifelhaften Subjekte Bruderschaft trank. Emanuel war der ausgesprochene Liebling seines Vaters, während Rudolf sich immer enger an die Mutter anschloß. – Wenn aber die Brüder trotz aller Verschiedenheit der Charaktere und Ansichten dennoch in gutem Einvernehmen miteinander verkehrten und keine Gehässigkeit nach außen zur Schau trugen, so war es sicher das Verdienst Rudolfs, der um der leidenden Mutter und um des Friedens willen im Umgange mit Emanuel Geduld und Nachgiebigkeit im höchsten Grade übte.
Immer feindseliger gestaltete sich das Verhältnis zwischen Graf und Gräfin; mein seliger Mann, der durch den Rentmeister genauen Einblick in die innere Verwaltung bekommen hatte, wußte durch denselben, was längst schon ein öffentliches Geheimnis war, daß Graf Hugo ein Trinker und Spieler sei, und bereits in diesen gefährlichen Liebhabereien so weit gegangen war, daß der alte, herrschaftliche Besitz mit Hypotheken derart belastet war, daß kaum mehr an ein Schlichten dieser Verwirrnisse gedacht werden konnte. In Rudolf sah er den natürlichen rechtmäßigen Erben all seiner Besitztümer und knirschte oft in heimlicher Wut mit den Zähnen, wenn er bedachte, daß ihm dereinst die Schuld seines Vaters aufgedeckt werden müsse. Wie er ihn jetzt schon kannte, würde er das Möglichste thun, um den alten Namen wieder frei zu machen von jeder Makel, und lieber sich selbst Entbehrungen auferlegen, als irgend jemanden durch seine Schuld unter der Verschwendung des Vaters leiden lassen – – – mit Emanuel hätte er sich ungleich leichter gethan, er war der Sohn seines Herzens, er war eingeweiht in all seine Verirrungen und Mißgeschicke, und er tobte und schimpfte mit dem Vater weidlich auf den tückischen Zufall, der ihn und nicht Rudolf zum Zweitgebornen gemacht hatte. Das große Vermögen der Gräfin Helene war laut einer längst getroffenen Verfügung ihrer Eltern zu Gericht deponiert worden, und auch nach ihrer Vermählung als ihr ausschließendes persönliches Eigentum, für jeden Dritten unantastbar versichert worden. Nach ihrem Tode sollte es auf ihre Kinder, eventuell ihre nächsten Erben übergehen.
Das war wohl die nächste Ursache seines feindseligen Benehmens gegen sie, besonders seitdem seine Geldverlegenheit wuchs. Und merkwürdig wollte Gräfin Helene von einer Abänderung dieser Verordnung nichts hören. So sanft und geschmeidig sie außerdem war – hier blieb sie fest und unfügsam; sie wußte wohl, daß solche Nachgiebigkeit nur zu noch größerem Verderben geführt haben würde.
Die beiden Söhne waren zehn und zwölf Jahre alt geworden, als dem gräflichen Paare noch ein Töchterchen geboren wurde, ein wahres Engelsgeschöpf voll zarter Anmut. Die junge Mutter war überglücklich in dem Besitze ihrer kleinen Angelina. Einmal sprach sie in den rührendsten Worten zu mir: »Gute Walburg, ich schäme mich meiner Thränen und meines Kleinmutes; hat mir auch der liebe Gott manchen Wunsch in betreff meines Gatten versagt, so hat er mich andernfalls doch so reich und glücklich gemacht durch meine herzigen Kinder, die blühenden kräftigen Söhne, die süße kleine Angelina. Darf ich da noch klagen, ohne undankbar zu sein?«
Eines Tages – das reizende Töchterchen stand im dritten Lebensjahre und fing bereits an, gar niedlich zu plaudern und sich der Kraft ihrer Glieder bewußt zu werden – hatte sie den Schoß der Mutter, die ihr ein Bilderbuch gezeigt, verlassen und lief durch das Zimmer, um ihre Puppe zu holen, als Graf Hugo hereinstürmte. Er war totenbleich und zitterte vor Wut an allen Gliedern, denn der Stallmeister hatte ihm soeben ein unglückliches Ereignis aus dem Marstalle gemeldet. Ohne das Kind, das ihm entgegenlief, eines Blickes zu würdigen, stieß er es beiseite, und, da sich die Kleine scherzend an sein Bein anzuklammern suchte und ihn also am Weiterschreiten hinderte, packte er die zarte Gestalt mit beiden Händen und warf sie zürnend zu Boden. Ein Schrei – dem ein zweiter der herzustürzenden Mutter folgte, und dann war alles lautlos stille. Angelina lag blaß wie ein geknicktes, weißes Röslein auf der Erde, an der Schläfe rieselte Blut hernieder und färbte das weiße Kaschmirkleidchen rot, die Augen aber starrten weit aufgerissen in's Leere.
Das arme Kind war gegen das Gesims des Kamins aufgefallen und hatte hier die Todeswunde davongetragen. Alle ärztliche Hilfe kam zu spät. Der Graf stürzte zu den Füßen seiner Gattin nieder, rang die Hände, raufte sich das Haar und flehte um ihre Verzeihung, dann wieder küßte er die kleine Leiche auf Helenens Schoße, er rieb die kalten Händchen und strich die blonden Löckchen über die Wunde herab, die längst schon zu bluten aufgehört hatte. Die Gräfin fand in ihrem namenlosen Schmerze kein Wort der Erwiderung. Sie war fast eben so bleich wie das tote Kind und saß gegen die Wand des Sofas zurückgelehnt, ihren hingeschiedenen Liebling im Arme wiegend, still und schweigsam.
Die beiden Brüder kamen auf die erschütternde Nachricht herbeigestürmt und betrachteten sichtlich erschrocken die kleine Leiche, als aber Emanuel fragte: ›Mutter, wie ist das so plötzlich gekommen?‹ erwiderte sie langsam mit zuckenden Lippen: ›Angelinchen ist gegen die Kaminecke gefallen und hat sich tötlich verletzt.‹ Das klang glaubwürdig. Rudolf hatte sie jedoch nicht eine Sekunde aus den Augen verloren, sein Blick glitt ruhig und zweifelnd zum Grafen hinüber, und dieser senkte ihn unwillkürlich vor der fragenden Unschuld seines Kindes. Ihr Liebling wußte alles, er hatte sie verstanden und ihr ganzes, großes, unermeßlich großes Weh; gleichwohl ehrte er ihr hochherziges Schweigen und liebte sie von jetzt an noch zehnmal mehr, als bisher; Gräfin Helene aber habe ich seit dieser Stunde nie wieder lachen sehen.«