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Zwölftes Kapitel.
Auf dem Kirchhofe

Fräulein Scholastika war aus der Frühmesse nach Hause gekommen und hatte ihrem Mucki, der übrigens seinen gestrigen Schrecken ganz wohl überstanden und ausgeschlafen hatte, sein Reinigungsbad verabreicht. Nur noch eine zarte, rötliche Färbung hatte sich heute dem Wasser mitgeteilt, die Hauptsache war schon gleich nach der ersten Anwendung der vom Bader verordneten Salbe gewichen.

Im zärtlichen Zwiegespräche mit ihrem Lieblinge, überhörte das alte Fräulein, daß leise an der Thür gepocht wurde, endlich gab Mucki Laut und knurrte ganz vernehmlich, so daß kein Zweifel war, es suche jemand Einlaß.

Auf den kräftigen Ruf »Herein« erschien Rita auf der Schwelle, während sich Mucki an ihr vorüber in's Freie hinausschob. Die Kleine sprach kein Wort, sie knixte nur und erwartete offenbar, daß man sie anrede.

»Du kommst!« schrie sie Fräulein Scholastika an und der Zorn färbte ihr Gesicht kirschrot. »Welche unverschämte Frechheit nach dem, was gestern vorgefallen ist –«

»Es ist keine Frechheit, Fräulein Scholastika!« erwiderte Rita mit sichtlicher Anstrengung ruhig zu bleiben. »Ich bin nur gekommen, weil mein Großvater es gewollt hat und ich soll Ihnen sagen, daß es mir leid ist, daß ich –«

»O du Heuchlerin,« unterbrach sie das Fräulein, »ist dir's denn auch wirklich leid?«

»Daß ich den Mucki in die Farbe getaucht habe,« fuhr die Kleine unbeirrt fort, »und ich bitte Fräulein Scholastika, daß Sie mir's verzeihen.«

Und nun sie diese eingelernte Aufgabe beendet hatte, knixte sie nochmals und wandte sich zum Fortgehen.

»So, und das soll nun gewiß die ganze Reue sein?« schrie sie die Alte an.

»Es reut mich ja aber gar nicht,« war die mutige Antwort.

»Auch das noch? Und warum bist du denn dann hierhergekommen, mir das zu sagen?«

»Weil's der Großvater wollte.«

»Hat er dir mit Schlägen gedroht?«

»O nein, aber ich bekam keinen Gutenachtkuß von ihm, und ohne den kann ich nicht schlafen und nie wieder froh werden.«

»Schöne Erziehung das für den Balg, den man von der Straße aufgelesen hat!« höhnte das Fräulein. »Einen Gutenachtkuß von dem alten Grenadier!«

Ritas kleine Gestalt bebte, die Hand schloß sich zur Faust, die Augen blitzten.

»Ich bin kein Balg und nicht von der Straße aufgelesen, Fräulein Scholastika, mein Vater ist ein Kaufmann gewesen und meine Mutter ist tot, das war die allerbravste Frau auf der ganzen Welt. Und wenn ich Ihren alten, fetten Mops küssen müßte, das wäre viel unappetitlicher, als ein Kuß vom Großvater! Der schmeckt mir tausendmal besser; so, und jetzt kann ich gehen.«

»Ja, du kannst gehen, aber nicht ohne erst noch diesen Zettel mitzunehmen, den giebst du dem Großvater, es ist die Rechnung vom Bader für die dem lieben Tiere verordnete Salbe – dann auch die für drei zerbrochene Blumentöpfe.«

»Die soll der Mucki zahlen!« versetzte Rita trotzig, »ich hab' sie nicht zerbrochen, er hat's gethan und – wenn er sein gestriges rotes Röcklein verkauft hätte, hätte er gewiß so viel dafür bekommen, daß er sie hätte zahlen können.«

Jetzt war schon wieder der Kobold obenauf und Scholastikas Zorn im Wachsen.

»Wage es noch zu leugnen, Dorfhexe!« zankte sie und schob das Kind zur Thür hinaus. »Du giebst deinem Großvater diesen Zettel und bringst mir das Geld, und wenn du dich nochmal unterstehst, dich an meinem Hunde zu vergreifen, dann gnade dir Gott!«

Noch eine energische Bewegung mit der Hand und Rita stand auf der Straße, die Thüre klinkte ein; Mucki versuchte mit einem schwerfälligen Sprunge, der einer alten Balletttänzerin Ehre gemacht hätte, den Rock des Kindes zu erschnappen, Rita aber gab ihm einen Fußtritt, daß er winselnd hinter den Gartenzaun kroch, schlug die Zunge nach der Richtung heraus, in der sich Fräulein Scholastika eben befinden mochte und lief dann lachend ihres Weges. Den Zettel zerriß sie in tausend Fetzen und gab diese dem Spiel des Windes preis. Es war heute Schulvakanz, Rita konnte daher über ihre freie Zeit verfügen, das heißt sie gestattete sich diese Freiheit ohne spezielle Anfrage bei der Großmutter, die sie allerdings, wenn sie nach Hause gekommen, zum Stricken genötigt hätte. Und der Strickstrumpf! Nein, das war schon eines der allergräßlichsten Dinge, die es für unser lustiges Mägdlein in Gottes Welt gab!

»Möchte nur wissen, wer das Stricken erfunden hat!« hatte sie schon dutzendmale geseufzt, wenn sie die fünf klappernden Stahlnadeln zur Hand nahm und mit ihnen still sitzen mußte.

Um den Preis, nicht stricken zu müssen, hätte sie sich mit größter Freude für ihr Lebtag verpflichtet barfuß zu laufen, und war wirklich ganz erfinderisch im Ersinnen von allerlei Ausreden und Beschönigungen, womit sie dem Stricken auskommen konnte. Am schlimmsten wurde die Geschichte jedesmal, wenn Flunkerl in der Nähe war und Rita ihr den Strickknäul zur Aufbewahrung überließ. Flugs ging's damit durch die ganze Stube, und was nur immer möglich war, wurde abgewickelt, so daß bald Kind und Katze inmitten einer so heillosen Verwirrung standen, daß die Großmutter ihre liebe Not hatte, sie wieder zu befreien, wenn sie nicht den Strang Wolle opfern und wie ein großer Alexander den gordischen Knoten mit Einem Hiebe durchhauen wollte. Der Hauptgewinn aber war der, daß lange Zeit darüber verging und – Zeit gewonnen, alles gewonnen – hieß es bei Rita, sie mußte dann zur Schule oder diesen oder jenen Geschäftsgang machen oder den Tisch decken – so wurde das Strickzeug bis auf weiteres aufgehoben.

Heute nun war sie mit sich selbst ganz ausnehmend zufrieden gewesen, sie hatte sich dem Großvater zulieb heldenhaft überwunden und Fräulein Scholastika um Verzeihung gebeten, dafür durfte sie sich schon noch einen kleinen Umweg über den Kirchhof erlauben.

Es war das eine Eigentümlichkeit ihres Charakters und mochte bei der ausgelassenen, übermütigen Stimmung, in der sie sich mit kleinen Ausnahmen fast immer befand, beinahe wunderlich erscheinen, daß sie gerade diesen Ort so gerne aufsuchte. Mächtig zog ihr Herz sie hin zu den stillen Schläfern unter den mit Blumen überwachsenen Hügeln, obschon sie keinen Einzigen aus ihnen näher gekannt hatte. Seitdem sie lesen konnte, entzifferte sie mit Vorliebe die Schriften der Monumente und Grabsteine und las die Namen der Toten und das Jahr ihres Hinscheidens und wie alt sie geworden waren. Da war ihr schon oft die Sehnsucht gekommen, das Grab ihrer lieben, herzensguten Mutter auch hier zu haben.

O wie würde sie dann täglich herkommen und es mit Blumen schmücken, anpflanzen und pflegen so hübsch sie konnte, und hätte sie dann etwas auf dem Herzen, hätte sie irgend eine Frage zu stellen, die sie nicht einmal dem Großvater mitzuteilen wagte, hier würde sie sie vorbringen, hier würde sie alles erzählen, alles sagen was sie freute und schmerzte, und das Mütterchen drunten im Grabe würde aufhorchen, vielleicht gar einmal Antwort geben oder wenigstens doch ein Zeichen! Schon das Bewußtsein »wir sind einander nahe, wir wissen von einander,« wäre schön und beseligend! Arme, kleine Rita, wie kommst du zu solchem Wunsche?

Es ist ja wohl eines der schönsten, herrlichsten Zeichen unsrer Zusammengehörigkeit in Christus und der Kirche, diese gemeinsame Ruhestätte der Toten, wie man sie besonders in den Friedhöfen auf dem Lande antrifft. Wie rührend sind die vielen Grabeshügel, die sich da in schöner, wohlbestellter Ordnung rings um das Kirchlein reihen und es ist fast, als ob sich die Entschlafenen hindrängten in die Nähe des Gotteshauses, gleich schlummernden Kindern, die sich recht nahe an die Mutter schmiegen. Und ist nicht dieses schöne Fortleben der Zurückgebliebenen mit den Verstorbenen der sicherste Bürge für die große Gemeinschaft der Heiligen und für das einstige Wiedersehen im Himmel? Das Landvolk giebt hierin das schönste Beispiel. In seiner einfachen Urwüchsigkeit lebt es mit seinen Toten fort, bleibt im steten Verkehr mit ihnen, besucht sie jeden Sonntag vor und nach der Einkehr in's Gotteshaus und pflegt und schmückt ihre Gräber bei allen Vorkommnissen in der Familie. Und wenn zwei liebende junge Menschen den Bund der Herzen schließen, wenn sie sich die Hand reichen im treuen Zueinanderstehen für gute und schlimme, gesunde und kranke Tage, dann gehen sie gewiß nicht in die Kirche, bevor sie nicht die Schritte noch einmal hingelenkt haben zum Grabe der Eltern oder Erzieher, um ihnen den letzten Tribut der Dankbarkeit zu zollen für alle empfangene Liebe und ihre Fürsprache und ihren Segen zu erbitten zu dem hochwichtigen Ereignisse der nächsten Stunden. – Selbst wenn ein Kind auf einem Grabe spielt – welch tiefergreifendes Bild, dies blühende junge Leben hier inmitten der Verwesung und des Todes! Schreckt es nicht fort mit rauhem Worte, so lange es nicht Unfug treibt, und die Ruhe der Toten stört – gönnt ihm den Spielplatz zwischen Kreuz und Hügeln und laßt sein harmlos munteres Lied den Frieden dieser Stätte durchdringen!


Als Rita so langsam zwischen den Gräbern hin- und widerging, bemerkte sie vor einem wohlgepflegten Hügel ein kleines, etwa sechsjähriges Mädchen. Es war eifrig bemüht, das Unkraut, das sich zwischen den eingepflanzten Blumen unbefugt breit machte, auszureißen und alle gelbgewordenen Blätter und welken Blümlein abzuzupfen und zu beseitigen. Im Eifer der Arbeit glühten des Kindes Wangen und der runde Strohhut hing ihm samt den dicken, hellblonden Haarflechten über den Rücken hinab. Den Grabhügel zierte ein einfaches Kreuz aus weißem Marmor mit dem Bilde des Erlösers in vergoldeter Bronze und darüber stand in deutlich leserlicher Schrift: »Christus ist mein Leben und Sterben mein Gewinn«, unten aber auf dem Sockel sah man die einfachen Worte: »Den geliebten Eltern von ihren dankbaren Töchtern Bertha und Elisabeth«.

.

Rita war voll Interesse herzugetreten, dieses schöne Denkmal kindlicher Verehrung näher zu betrachten. Sie hatte es bisher noch nicht bemerkt gehabt, so war es wohl erst seit kurzem aufgestellt worden.

Da wandte die Kleine den Kopf und schaute mit zwei freundlichen, lichtblauen Äuglein zu dem größeren Mädchen auf.

»Gefällt dir unser Monument?«

»Ja, sehr gut,« erwiderte Rita, »und es sind wohl deine Eltern da unten?«

»Meine liebe Mutter!« sagte die Kleine zärtlich, »den Vater habe ich nie gekannt, eigentlich die Mutter auch nicht, aber Bertha erzählt mir so viel von ihr, daß ich sie gar gut kenne.«

»Wer ist Bertha?«

»Meine Schwester, ich heiße sie Berthamaman, denn sie ist schon groß und klug und ich bin noch ein so kleines, ungeschicktes Ding.«

»Und wer ist Elisabeth?«

Jetzt lachte die Kleine hell auf. »Elisabeth – das bin ja ich, ich heiße Elisabeth, aber man nennt mich Lischen so lange ich noch so klein bin; Bertha hat so lange gespart und kein Bier getrunken und keinen Zucker in ihren Kaffee gethan, bis sie endlich das schöne Kreuz hier kaufen konnte.

Heute hat sie fortgehen müssen über Land und kommt erst abends wieder, da befahl sie mir, ich solle hierher gehen und das Grab besorgen und die Blumen gießen; sieh nur, welch eine große Kanne ich mitgebracht habe! Ich habe meine kleine zu Hause gelassen und die andere genommen, die hält viel mehr Wasser, jetzt habe ich ausgejätet und jetzt gieße ich –«

Mit diesen Worten stand die niedliche Plauderin auf, ergriff die leere Gießkanne, lief damit nach dem Kirchhofsbrunnen und schöpfte ein. Aber o weh! sie hatte nicht überlegt, daß sie wohl im stande wäre die leere Gießkanne zu tragen, nicht aber die volle. Sie keuchte unter der schweren Last und kam doch nicht vorwärts ohne das Wasser auszuschütten.

Rita sprang ihr zu Hilfe. »Komm, gieb sie mir,« sagte sie gutmütig und nahm Lischen die Kanne ab.

»Ich danke dir,« erwiderte das Kind hocherfreut über die willkommene Hilfe, »aber ich möchte doch gar gerne selbst gießen.«

»Nun sieh, dann thun wir's zusammen; halt' du hier, ich fasse drüben an, so kommen wir auch hin und her.«

Es ging in der That recht gut und geschickt und bald waren die Blümlein sattsam getränkt.

»Darf ich nicht deine Kanne nochmals füllen, Lischen, und diese armen Blumen hier auch ein wenig gießen? Sieh nur, sie hängen die Köpfe und haben gewiß recht Durst.«

Lischen nickte bereitwilligst zum Einverständnisse; dann frug sie plötzlich: »Können die Blumen sprechen?«

»Ich habe es noch niemals gehört,« antwortete Rita im wichtig belehrenden Tone, »aber die Großmutter hat mir erzählt, daß die Grabblumen ihre Wurzeln den Verstorbenen in's Herz senken, und dann hört man sie zuweilen seufzen, wenn man sie lieblos anpackt oder ihnen die Köpfe abreißt, – so, jetzt schau einmal, wie frisch und vergnügt sie wieder aussehen.

›Vergißmeinnicht sind Himmelsaugen,‹ sagte die Großmutter, ›die weinen oftmals morgens und abends, wenn die Kinder nicht für die lieben Verstorbenen beten.‹«

Aufmerksam horchte Lischen, was Rita erzählte, es gefiel ihr und sie wollte es gleich, wenn sie heimkam, ihrer Bertha wiedersagen.

»Hör', Lischen,« schlug jetzt ihre neue Bekannte vor, »ich laufe schnell hinaus nach der Wiese und hole Blumen, dann machen wir einen Kranz für deine Mutter; willst du nicht?«

»O ja, ja, gerne will ich!« Das Kind klatschte in die Händchen voll Vergnügen.

Rita verließ sie; wie war dies kleine Ding so glücklich, daß es das Grab seiner Mutter so nahe bei sich hatte! Sie hätte es darum beneiden mögen, so wunderschön sei es, meinte sie; nun holte sie Blumen in Menge, ihre ganze Schürze voll – und so wunderschöne blaue Cyanen waren dabei, ihre besonderen Lieblinge. Davon machte sie gleich noch am Felde draußen einen Kranz für sich selbst und setzte ihn auf ihr Haar; das that sie mit Vorliebe so oft sie konnte; den Rest brachte sie Lischen. Auch sie bekam ein Kränzlein von weißen Gänseblümlein mit rosa Spitzen, das sah so allerliebst aus für das liebliche Kind, und die Mutter erhielt von allen bunten, weißen und gelben, roten und blauen Blümelein eine wunderschöne Zierde auf den Hügel.

Lischen war ganz außer sich vor Freude; mit einem Male lief ein größeres Mädchen und ein Junge, ihr Bruder etwa, an den zwei Kranzflechterinnen vorüber und rief mit lauter Stimme: »Lischen, mach' daß du fortkommst, wirf die Blumen weg, kennst du denn die nicht, die bei dir sitzt? Es ist ja die Dorfhexe, die schlimme Hexe! Lauf doch so schnell du kannst!«

Damit hatten die Kinder den Kirchhof verlassen, Lischen aber war aufgesprungen, so daß alle Blumen aus ihrem Schoße zu Boden fielen und stand erschrocken vor Rita. Ihr süßes Gesichtchen war blaß und zitternd frug sie:

»Ist das wahr, was die bösen Kinder da gesagt haben? Bist du – wirklich – die Dorfhexe?«

Es entstand eine peinliche Pause; Rita wußte in ihrer Verlegenheit nicht, was sie antworten sollte und doch – mußte sie nicht?

Dann sagte sie traurig: »Sie heißen mich so – weil – weil ich so bös bin!« und betrübt sank ihr Köpfchen auf die Brust herab.

Lischen aber hatte ihren ersten Schrecken bereits überwunden, in kindlicher Offenheit sah sie jetzt freundlich lächelnd zu Rita auf: »Mit mir warst du gut – du hast mir geholfen – du bist keine böse Hexe.«

Rita hätte laut aufjubeln mögen; dies Lob aus diesem Munde galt ihr mehr als alles. Mochten die andern Kinder denken was sie wollten, sie würde es ihnen schon wieder einmal heimzahlen – aber das Lischen, das hatte sie von dieser Stunde an lieb, dem ließ sie nichts geschehen, für das wäre ihr keine Mühe zu groß, kein Weg zu weit gewesen, hatte es ja doch gesagt:

»Mit mir warst du gut!«

Und sie küßte es auf die Stirne, sie wagte nicht, es auf den Mund zu thun, das konnte sie erschrecken, aber küssen mußte sie das liebe, herzige Ding.

Und noch Einer hatte dem allen zugehört und zugesehen.

Der Maler Franz, der irgendwo ein Gemälde an einem Grabsteine auffrischen mußte, hatte die beiden Kinder beobachtet, wie sie mitsammen gossen und die Gräber pflegten und dann die Kränze banden, er hatte auch die garstige Rede der Vorübereilenden vernommen und sich um Lischens willen daran geärgert. War Rita wirklich so bös wie er ja selbst es leider wußte, – eine gute Seite hatte er heute doch an ihr bemerkt: ihre zarte Gefälligkeit für die Kleine, die so bereitwillig half, wo sie konnte. Und er wollte hingehen zu den zwei Kindern, wollte seine kleine Freundin Lischen loben, daß sie so mutig war. Schon kam er näher, schon konnte er des Kindes warmes Händchen erfassen, da – was war's doch, was ihm urplötzlich Halt gebot?

Gegen das weiße Marmorkreuz gelehnt, stand Rita; nachlässig hingen beide Hände an ihr nieder, ihre Augen blickten weit aufgerissen in's Leere, sie waren mit Thränen gefüllt und die Mundwinkel zuckten schmerzlich weh. Die Sonne wob ihre leuchtenden Strahlen um ihr Haupt, so daß die Haare aussahen wie gesponnenes Gold, von dem sich entzückend schön und reizvoll der Kranz von blauen Kornblumen abhob – erbleichend wich Franz einen Schritt zurück, hier stand das Ideal seiner Träume, das lebendig gewordene Bild der Gräfin Helene im Gemäldesaale des Schlosses.


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