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Neuntes Kapitel.
Fräulein Scholastika

Indes war Rita langsam dahin geschlendert, dem Häuschen ihrer Großeltern zu. Da dasselbe außerhalb des Ortes lag, so mußte sie das Dorf in seiner ganzen Länge durchschneiden. Es war Feierabend, die Leute saßen in ihren Häusern, bei stiller Arbeit oder beim frühen Nachtmahle. Sie durfte sich auf eine Rüge gefaßt machen, denn Großmutter Notburga bereitete die Mahlzeiten gern zu früher Stunde, und der Großvater liebte die Pünktlichkeit über alles. Kam sie zu spät, und saß er bereits am Tische, während Rita sich noch draußen umhertrieb, so gab es meist einen tüchtigen Verweis. Heute aber war ihr sogar diese voraussichtliche Strafe gleichgiltig. Sie konnte die Schande noch immer nicht überwinden, vor dem Schloßherrn beschimpft worden zu sein, gerade vor ihm, dem stolzen, finsteren Manne, den sie gefürchtet hatte, seit sie ihn zum ersten Male gesehen, und der heute so ganz anders zu ihr gewesen war, als sie erwarten konnte, so freundlich, so leutselig! Das kam gewiß daher, weil er hörte, sie sei die Enkelin des alten Klaus! Ja der Großvater! Vor dem thaten sie alle den Hut ab, die ihm begegneten, und schauten verstohlen nach dem Bande in seinem Knopfloch hin. Und ein Teil dieser Ehrung des alten Invaliden trug sich auch auf sie über. Wie gut hatte sie es doch bei den zwei alten Leuten, und wie hübsch lebte sich's mit ihnen zusammen!

Unwillkürlich mußte sie das so überdenken – warum aber hatte ihr der liebe Gott beide Eltern auf einmal genommen? Die Mutter war doch so sanft und gut gewesen, o ja, dessen entsann Rita sich ganz wohl, und auch sie mußte damals immer gut und artig sein. So ungestüm wie jetzt, hatte sie bei Vater und Mutter zu Hause nicht toben dürfen.

Dafür war aber auch der Großvater ein Soldat, und hatte seinen Wildfang gar gerne.

O, sie wußte das!

Wären nur die anderen Leute nicht gewesen, und das lange Stillsitzen in der Schule und die bösen Kinder, die sich immer freuten, wenn Rita eins wegbekam! Sie reizten und neckten sie immer, das konnte sie nicht leiden, deshalb that sie ihnen auch wieder alles an, was sie konnte. –

Da kam sie eben an einem kleinen Häuschen vorüber. Ein wohlgepflegtes Gärtlein lief links um dasselbe, von einem lebendigen Buchszaun eingefaßt. Die Vorderwand des Hauses bis hinauf unter das Dachfenster war mit wildem Wein bewachsen, und seine dunkelroten Blätter glühten jetzt im Scheine der niedergehenden Sonne wie Blut auf der weißen Fläche. Vor dem Fenster neben der Hausthüre war ein Brett, auf welchem blühende Nelken und Geranien, süßduftende gelbe Violen oder Goldlack, dann Rosmarin und andere Blumen, wie sie das Landvolk liebt, in herrlichster Blüte prangten. Hinter den blank geputzten Scheiben aber hingen blendendweiße Vorhänge. Das schmucke Haus gehörte einem alten Fräulein und war vor etwa sechszehn Jahren durch Erbschaft an sie gekommen. Der Bruder ihrer seligen Mutter, der bis in's hohe Alter hier gelebt hatte, hatte es ihr als seiner nächsten Anverwandten nach seinem Tode vermacht, und seitdem war es nicht wieder zu kennen in seiner tadellosen Sauberkeit und Ordnung von außen und innen, während es unter seinem früheren Eigentümer, einem menschen- und putzscheuen Junggesellen, nachgerade aufs äußerste herabgekommen war. – Scholastika hatte gleich, nachdem sie Hausbesitzerin in Hohenfeldt geworden war, ihr kleines Zigarrengeschäft in der Stadt verkauft, war hierhergezogen und vor allem bemüht, den Augiasstall zu säubern, den ihr seliger Herr Ohm hinterlassen hatte.

Und als das von oben bis unten gescheuerte und gemalte, mit neuen Dielen und Fenstern versehene Haus wohnbar schien und auch das Gärtlein entsprechend angepflanzt war, feierte sie hier ihren Einzug.

Fräulein Scholastika war eine von denen, die eine außergewöhnliche Stellung einzunehmen belieben. Sie hielt sich, obgleich sie sehr gern hie und da mit dieser und jener Nachbarin plauderte – dennoch alle Neugierigen und Zudringlichen vom Halse, schickte jeden Bettler von ihrer Thüre fort, und liebte eigentlich nur sich selbst und – ihren Mucki. Dieser Mucki war ein Mops. Sie hatte ihn als ganz junges Tierchen nach Hohenfeldt mitgebracht, die Landluft aber und die ausgezeichnete Pflege, die er genoß, nebst allen großen und kleinen, guten und besten Brocken und Bröcklein, schlugen ihm prächtig an. Der kleine Muckerl war bald ein großer, fetter, alter Mucki geworden, mehr dick als lang, der bei schönem Wetter von früh bis spät vor dem Hause lag und meist schnarchte. Ein wenig nur zwinkerte er mit dem linken Auge nach den Vorübergehenden und fuhr alsogleich keifend auf, wenn sich jemand die Freiheit herausnahm, der Schwelle des Hauses zu nahen. In solcher Verfassung war Mucki kein angenehmer Kumpan, und hatte schon manchen verwegenen Jungen bei der Hose gepackt und einen Zwickel herauszureißen versucht.

Im allgemeinen war er von sanfter phlegmatischer Gemütsart, watschelte langsam hinter Fräulein Scholastika einher, wenn sie einen Gang nach dem Kirchhofe oder um's Dorf machte, und trug zur Winterszeit mit großem Bewußtsein sein Mäntelchen, das ihm die zärtlich besorgte Herrin eigens gegen Kälte und Nässe angefertigt hatte. Es war ein gar drolliges Bild, die beiden mitsammen zu sehen; Fräulein Scholastikas lange, hagere Gestalt, mit dem weiten Munde, den großen vortretenden Augen und einem sehr ausgeprägten Riechorgan selbstbewußt einherstolzierend in auffallender städtischer Kleidung, die wohl keinen Anspruch erheben konnte, jemals modern gewesen zu sein, neben ihr Mucki, ihr Liebling, kurzbeinig und fett, mit kleinen Äuglein und jenem breiten Stumpfnäschen, das mehr oder weniger allen Möpsen eigen ist. – Man war übrigens die beiden so unzertrennlich gewöhnt, daß man sich das eine ohne das andere gar nicht denken konnte.

Heute lag Mucki innerhalb des Fensterrahmens auf einem weichen Kissen und schnupperte über die Blumen weg hinaus in's Freie. – Fräulein Scholastika mochte wohl im Innern des Hauses beschäftigt sein, als Rita des Weges kam.

In dem Gedanken, daß die Großeltern mit der Abendsuppe ihrer warten könnten, hatte sie jetzt ihre Schritte doch ein wenig beschleunigt. Als sie näher kam, hatte der Hund sie wohl bemerkt, sie waren nicht eben gute Freunde mitsammen, denn Rita hatte ihm schon einigemale aus einer frisch gehöhlten Hollunderspritze einen kalten Guß verabfolgt, auch war ihm zuweilen aus ihrer Hand eine alte Kartoffel oder im Winter ein festgefrorener Schneeballen auf den Pelz gefallen, und für derlei Liebesbezeigungen hatte Mucki ein sehr gutes Gedächtnis. Er knurrte daher, als er sie erblickte, und folgte ihr mit feindseligen Augen, hätte aber keinen weiteren Laut hören lassen, wenn nicht plötzlich ein dichter Regen kleiner Wurfgeschosse in Nußschalen, Mohnköpfchen und dergleichen bestehend, vom gegenüberliegenden Zaun her nach ihm geschleudert kam, und ihn dermaßen aus der Fassung brachte, daß er einen Sprung aus dem Fenster that, dabei den kürzesten Weg über das Blumenbrett nahm und einige Töpfe zu Fall brachte, so daß Scherbenklirren, Hundebellen und Gelächter hell durcheinander klang und Fräulein Scholastika herbeilockte, die denn auch in größter Eile und Aufregung gelaufen kam. Gerade die am reichsten blühenden Blumen lagen mit ausgerissenen Wurzeln auf dem Boden, daneben die Scherben der zerschlagenen Töpfe und die verschüttete Erde.

Rita hatte sich unwillkürlich nach einem Topfe mit wunderschönen hochroten Nelken gebückt, um ihn aufzuheben, als die Herrin des Häuschens wütend auf sie losfuhr:

»Unband du!« schrie sie heiser vor Wut »weißt du nimmer, an was du deinen Übermut auslassen mußt! Zuerst quälst du das arme Tier, dann verdirbst du mir meine Blumen! Aber warte nur!«

Und sie ergriff die Haare des Kindes, und riß so heftig daran, daß der rote Mohnblumenkranz vom Kopfe fiel. Dazwischen hinein schrie Rita in Schmerz und Zorn: »Ich hab's nicht gethan, Fräulein Scholastika, gewiß nicht, ich hab's nicht gethan!«

Aber alles Beteuern half nichts, die wirklichen Missethäter hatten sich längst schon aus dem Staube gemacht, umsomehr erfreut, daß man sie gar nicht bemerkt zu haben schien, und Mucki, der bereits wieder vor der Hausthüre saß, guckte so boshaft aus seinen kleinen Äuglein nach dem armen unschuldig bestraften Mädchen hinüber, daß der Zorn mehr und mehr in Ritas Herzen die Oberhand bekam.

»Du böses, garstiges Tier!« schrie sie, und ballte die Hände gegen den Mops, »dir verdank' ich all dieses, aber wart' nur, ich will dir's merken! Ich will's ganz gewiß!«

Klaps, brannte schon wieder eine tüchtige Maulschelle auf ihrer Wange.

.

»Lügen, die Leute ärgern, Tiere quälen, fremdes Eigentum verderben, all das kannst du, boshaftes Geschöpf, Dorfhexe du!« keuchte Fräulein Scholastika mit ihrer grellsten Stimme, und so sehr auch Rita wiederholte, daß sie nichts, aber auch gar nichts gethan habe, sie glaubte ihr nicht. Die umgestürzten Blumentöpfe lieferten nur allzusehr den Beweis für ihr Vergehen, und sie verlangte jetzt, Rita möge sie reuevoll um Verzeihung bitten.

»Ich thu's nicht,« gab diese entgegen, »ich hab' die Töpfe nicht zerbrochen, ich bin nicht schuld an dem Unfall.«

»So werd' ich zu deinen Großeltern kommen,« drohte die Alte, und schickte sich an in ihr Haus zurückzukehren, nicht ohne einen wütenden Blick auf die vermeintliche Sünderin zu werfen. Mucki folgte seiner Gebieterin auf dem Fuße nach. Rita aber lief so rasch sie es vermochte, heimwärts, um dem Großvater alles zu erzählen, was vorgefallen war.


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