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Zwanzigstes Kapitel.
Rita wird freudig überrascht

Gräfin Mechtilde hatte im Einvernehmen mit dem Ortspfarrer beschlossen, die erste Kommunion ihrer Tochter noch in diesem Sommer zu begehen, und das schöne Fest Maria Himmelfahrt hiezu bestimmt. Seraphinens Befinden gab im Augenblick zu keiner schweren Sorge Anlaß, so wollte man die gute Gelegenheit benützen und schon in den nächsten Tagen den eigentlichen Vorbereitungsunterricht beginnen. Hermanns Urlaub war ebenfalls zu Ende gegangen, er hatte mit seiner Mutter das Schloß verlassen und wollte im Spätherbste wiederkommen, jetzt aber herrschte absolute Ruhe im Hause, und das gerade hatte die Gräfin sowohl, als ihr Kind gewünscht. Die Handlung, die sie erwarteten, erschien beiden so groß, so hochwichtig, daß eine gewisse Sammlung ohne jede Zerstreuung und Abhaltung von außen nur erwünscht sein konnte.

In der Schule wollte der Kaplan im Vereine mit dem Pfarrherrn sein Möglichstes leisten, um die Kinder recht würdig vorzubereiten, ebenso bot man auch in der gräflichen Familie zu gleichem Zwecke sein Bestes auf.

Das Wetter hatte sich endlich einmal vom beständigen Regnen gesättigt; zwar trotzte es noch etliche Tage nach, wie ein Kind, dem die Thränen, die es im Eigensinne vergossen, noch auf den Wangen stehen, während es bereits wieder versucht, freundlich zu scherzen, aber allmählich klärte sich das düstere Grau, das schon seit mehr als 14 Tagen in unerschütterlicher Beharrlichkeit gleich einem dichten Vorhange das Blau des Firmaments verdeckt und die Sonne ferne gehalten hatte, auf, und brach diese wieder gewaltsam durch, wärmend und leuchtend, und die ganze Natur lachte ihrem Kusse entgegen.

Seraphine hatte in all dieser Zeit ihr Zimmer nicht mehr verlassen. Feuchte, kühle Luft wirkte nicht günstig auf ihr Leiden ein, und mußte sie gerade davor sorgsam gehütet werden.

Während dieser Zeit hatte sie auch keine geheimnisvolle Blumenspende mehr empfangen, hatte nichts mehr von Rita gehört noch gesehen. Und doch mußte sie oft an sie denken. Auch ihre Dankesschuld lag ihr fast schwer auf dem Herzen. Die gute Kleine hatte damals ihren »Darling« vom Baume herabgeholt, nicht ohne Gefahr vielleicht, sie hatte auch wirklich dabei eine Wunde davon getragen, die das erboste Tier ihr zugefügt, und hatte kein Dankeswort, keine, nicht die allergeringste Anerkennung hiefür bekommen. Das war nicht edel, und ihr zartes Gefühl verstand es recht wohl, daß hier auf Seite der Empfangenden gefehlt worden sei, wie das nur gar zu oft im Leben geschieht. Wenn uns von den weit unter uns Stehenden ein Gefallen erwiesen wird, finden wir es oft kaum der Mühe wert, ihnen zu danken. Scheint es doch beinahe, als müßten jene sich geehrt fühlen, wenn sie etwas für uns thun dürften! Es ist das ein großes moralisches Unrecht; denn unsere armen Mitmenschen stehen in vieler Hinsicht mit der ganz gleichen Berechtigung neben uns, wie die reichen und vornehmeren, und wir haben ihnen für jeden geleisteten Dienst ebenso warm und aufrichtig zu danken, wie jenen unseresgleichen; sie sind es gewöhnt, sich uns dienstbar zu erweisen, wir aber haben kein Recht, diese Dienste von ihnen zu fordern; wie wohl wird ihnen deshalb unser Dank thun, den sie nicht erwartet haben, und wie voll wird er sie entschädigen für so manche andere Entbehrung und Demütigung, die ihre Stellung ohnehin mit sich bringt.

Es ist edel gedacht, aber auch vollkommen billig, wenn wir uns angewöhnen, dem Armen zweimal zu danken, oder wärmer als den anderen Nebenmenschen, wir verpflichten ihn uns damit dauernd.

So dachte auch Seraphine. Wohl und Weh kann kaum ein anderes so ganz genau und präzis beurteilen, wie der Kranke, und er muß sich mit starkem Mute waffnen, wenn er nicht selbst überempfindlich werden will. Es drückte sie, daß sie Rita in all der Zeit nicht gesehen, noch gesprochen, daß sie nicht zu ihr geschickt und sich hatte erkundigen lassen, ob ihre Hand noch schmerze, oder ob sie bereits geheilt sei. Jetzt wollte sie nimmer zögern, jetzt mußte es geschehen! Sie teilte ihre Ansicht der Gräfin mit. »Gut denn, mein Kind, wir wollen den alten Klaus nach dem Schlosse bestellen, ihm anstatt seiner Enkelin danken und zugleich wegen des Religionsunterrichtes mit ihm sprechen.«

»Könnten wir nicht vorfahren, liebe Mama!«

»Nein mein Herz, das ganze Dorf wüßte in der nächsten Stunde von unserem Besuche, und ich möchte so etwas vermeiden. Man ist eben doch überall gegen Rita eingenommen und wird sie einmal einen großen Tugendakt üben müssen, um sich wieder die öffentliche Gunst zurückzukaufen.«

Noch an diesen Nachmittag erschien der alte Invalide Klaus auf dem Schlosse. Er trug die goldene Medaille im Knopfloche und seinen militärischen Überrock aufs sorgfältigste gebürstet. Seine ganze Haltung war tadellos, wie die eines alten, wohlerfahrenen Kriegsmannes.

Die Gräfin trat ihm freundlich entgegen und bot ihm ihre Hand zum Gruße, worauf sich der alte Veteran mit äußerster Behutsamkeit über dieselbe beugte und sie so sachte und leise küßte, daß seine Lippen kaum die zarte, durchsichtige Haut berührten.

»Euer Gnaden haben befohlen?«

»Setzen Sie sich, mein Lieber, das Stehen wird Ihnen schwer.«

»Nicht doch, Euer Gnaden, ich habe mich an meinen hölzernen Unterthanen gewöhnt.«

»Ich bitte Sie, setzen Sie sich hierher,« und die Gräfin deutete auf einen Stuhl neben dem Sopha, auf dem sie selbst an Seraphinens Seite sich niedergelassen hatte; und nachdem Klaus ihrem Wunsche willfahren, begann sie:

.

»Wir sind Ihnen oder vielmehr Ihrer Enkelin noch den Dank schuldig geblieben, daß sie den entflogenen Papagei meiner Tochter wieder herabgeholt hat vom Baume; täglich hofften wir auf besseres Wetter und die Möglichkeit, Ihrer Rita dann zu begegnen, aber die Zeit blieb regnerisch und dadurch unser Vorsatz unausgeführt.«

»Rita ist leider eine so wilde Kletterkatze, daß ihr wohl nur selten ein Baum wirkliche Schwierigkeiten bieten dürfte, wenn sie sich vorgenommen hat, ihn zu erklimmen.«

Er sagte das mit einem Anfluge von Heiterkeit, obschon er sich bemühte, seinem Gesichte den Ausdruck des Bedauerns zu geben.

»So viel ich gehört habe, hat sie aber das Tier gebissen, als es seine eingebüßte Freiheit nochmals zu erlangen suchte. War die Wunde sehr schmerzhaft?«

»Anfangs hinderte sie Rita wohl an dem Gebrauche ihrer Hand, aber das dauerte nur einige Tage, seitdem ist wieder alles heil und gut.«

»Gott sei Dank!« fiel Seraphine ein, »ich hatte mich wirklich ernstlich um Rita geängstigt.«

Mit sichtlicher Verwunderung blieb das Auge des alten Soldaten eine kurze Sekunde auf dem feinen, leidenden Gesichte der jungen Gräfin haften, es mochte ihm wohl der Gedanke durch den Kopf fahren, welch' ein prächtiges Mädel doch seine Rita war, im Vergleiche mit dieser ätherischen Erscheinung, von Gesundheit strotzend, Mutwille und Übermut in jedem Zuge ihres hübschen Gesichtchens, und im Stillen dankte er Gott dafür, und bedauerte dieses vornehme Kind von ganzer Seele.

»Rita besucht die Schule?« frug jetzt die Gräfin.

»Euer Gnaden zu dienen, sie lernt leicht und gut, leider nicht gerne.«

»Ich habe davon gehört und möchte Ihnen da einen Vorschlag machen, mein Lieber! Unsere Tochter soll in wenigen Wochen die erste heilige Kommunion empfangen und erhält den hierzu vorbereitenden Unterricht von unserm Herrn Pfarrer selbst. Es wäre aber gewiß angenehm und vielleicht auch sonst wie von Nutzen, wenn die beiden Kinder zusammen lernen wollten und Sie ihre Rita an diesen Religionsstunden Anteil nehmen ließen. Sie könnte jeden Tag auf eine Stunde hierher auf das Schloß kommen und würde jedenfalls so gut als möglich unterrichtet.

So viel ich weiß, hat sie bisher noch nicht kommuniziert und könnte daher diese schöne Feier zugleich mit Seraphine begehen. Sind Sie damit zufrieden?«

Klaus war anfangs wie versteinert. Er war eine ehrliche gerade Natur, die sich ohne Umschweife und Schmeichelei gab, hatte aber doch einen gewaltigen Respekt vor allen vornehmen Leuten, und wollte es gleich gar nicht fassen, daß man ihm und seiner Enkelin eine solche Ehre und Auszeichnung vermeinen könnte.

Nach kurzem Besinnen jedoch erfaßte er mit praktischem Verständnisse die großen, unbezahlbaren Vorteile dieses Vorschlages, und sagte mit vor Bewegung zitternder Stimme: »Euer Gnaden sind allzugütig, ich weiß nicht, wie ich genug für so viele Gnade und Güte danken soll. Rita wird sich hoffentlich derselben wert zeigen.«

»So hätten wir uns verstanden, nicht wahr? Ich erwarte Ihre Enkelin morgen vormittags 10 Uhr.«

Damit ward Klaus verabschiedet und empfahl sich. Wie betäubt trat er den Heimweg an. Wie würde seine Notburga staunen, seine brave, alte Schwester! Die würde ja fast verrückt werden vor Freude und Glück! Ihr Enkelkind, ihre arme, kleine Rita, auf das Schloß befohlen, und das Tag für Tag! Nein, er konnte selbst nicht daran glauben, und doch mußte es so sein. Was würde man erst im Dorfe drunten sagen? Der Umstand, daß Rita mit der jungen Gräfin verkehren soll, war ja schon genügend, um den allergrößten Alarm zu verursachen. Rita, die Hexe, der Unband, und die engelsgute Komtesse! Wie sollten denn diese zwei sich zusammenfinden? Schon meinte er Fräulein Scholastika und ihre Gesinnungsgenossen heimlich zu hören: »Eine komische Laune der vornehmen Leute, ein Einfall des kranken Kindes; werden bald genug haben daran, dann wird Fräulein Unart wieder auf- und davongejagt werden.« – Unter solchen Gedanken und Vorstellungen hatte der Veteran rascher, als er geglaubt, den Weg zurückgelegt und trat in's Haus. Selbstverständlich rief seine Neuigkeit bei seiner Schwester die allergrößte Freude hervor, nur konnte sie sich der Furcht nicht erwehren, Rita würde am Ende gar keine Lust haben, dem Rufe zu entsprechen, sondern sich trotzig und eigenwillig hinzugehen weigern. Sofort wurde sie herbeigerufen. Sie hatte Heu im Haare hängen, als ob sie sich eben erst auf dem Heuboden umhergebalgt hätte.

»Rita, komm 'mal her!« befahl der Großvater, »wie siehst du wieder aus? Hast du im Heu gelegen?«

»Gelegen nicht, Großvater, aber durchgeschlupft sind wir, der Flunkerl und ich; wir haben Mausjagd gehalten, haben sie auch richtig erwischt, eine wenigst. – –«

Und wie sie so lachend erzählte, vertieften sich die Grübchen in Wangen und Kinn, und gaben dem Schelmenkinde einen gar lieblichen Reiz.

»Laß das jetzt und horch, was ich dir sage!«

»Ich höre schon, Großvater.«

»Du sollst zum nächsten Marienfeste zur heiligen Kommunion gehen. Weißt du das? Dann darfst du aber keine solche Dummheiten mehr machen, wie bisher.«

»Ist Mausfangen auch eine Sünde, Großvater?«

Er mußte sich zwingen, ernst zu bleiben, heut' war wieder der Übermut in hellen Flammen. »Ich war soeben auf dem Schlosse bei der gnädigen Herrschaft.«

Jetzt horchte Rita auf. »Hast du die junge Komtesse gesehen, Großvater? Ist sie nicht krank?«

»Nein, aber recht sehr bleich; du sollst zu ihr kommen.« – Er konnte nicht weiter reden, seine Enkelin war erst dunkelrot geworden, dann schien's, als träte alles Blut zurück zum Herzen – »ich« – wiederholte sie mit zitternder Stimme, »ich soll – ich darf – auf das Schloß?« –

»Ja, so ist's. Die Frau Gräfin hat die große Gnade, und will dich an dem Religionsunterrichte teilnehmen lassen, den ihre Tochter zur Vorbereitung für ihre erste Kommunion erhalten soll. Täglich eine Stunde – die junge Komtesse kam mir sogar hocherfreut vor, daß ihr beide zusammen lernen würdet, und läßt dir sagen, sie erwartet dich morgen um 10 Uhr bei sich. Was sagst du nun? He?« –

Rita war buchstäblich starr vor Überraschung und Freude. Ihre hochfliegendsten Träume sollten wahr werden? Die Thore des Schlosses sollten sich ihr aufthun, und sie der jungen Gräfin und der edlen Dame nahe führen, die sie mit aller Liebe verehrte, deren ihre junge Seele nur fähig war? War's möglich? – Die beiden alten Leute beobachteten erstaunt den Kampf, der im Innern ihres Lieblings vorging. Was würde geschehen? Würde sich Rita entschließen, an dem Unterrichte teilzunehmen – würde sie nichts davon wissen mögen? –

Rita selbst ließ kein Wort über ihre Lippen, obschon es ihr in allen Muskeln zuckte, sie blieb stumm, mit einem Male aber umfing sie den Hals des alten Kriegers, lehnte ihr Köpfchen an seine breite Brust und begann so heftig, so herzbrechend zu schluchzen, daß Klaus sowohl als Notburga verwundert einander anschauten.

»Kind, was ist's mit dir, um Gotteswillen?« frug der Alte fast erschrocken über den unerwarteten Vorgang.

»Großvater! Sei nicht böse! Ich kann nicht anders – das Glück – die Freude – es hat mich überwältigt – ich muß weinen!« Und neuerdings flossen ihre Thränen.

Endlich schien's genug – Rita trocknete sich mit energischer Handbewegung die Augen, sah hell und freudig in der Stube umher, und stürzte, als sie Flunkerl bemerkte, die ihr nachgeschlichen war, auf sie los, packte sie, warf sie jauchzend in die Höhe und fing sie wieder auf, wie einen Ball, und jubelte dazu immer und immer wieder: »Flunkerl, Flunkerl, morgen gehn wir auf's Schloß!« –

Klaus aber deutete lächelnd nach dem ausgelassenen Kinde und sprach leise zu seiner Schwester: »Hab' ich's nicht immer gesagt, in der kleinen Hexe steckt mehr Gemüt, als man denken sollte?«


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