Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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30.

Der erste Morgen.

Mit weniger Mannschaft und weniger Geräusch ist vielleicht noch keine Stadt der Welt im Sturm genommen worden, als Guajaquil im September 1860 durch Flores' Schaaren, denn es ist Thatsache, daß der größte Theil der Bewohner erst am andern Morgen beim Frühstück erfuhr, Franco habe die Stadt verlassen und Flores sie besetzt.

Das Gewehrfeuer und die Signale hatten wohl Viele gehört, aber nicht weiter darauf geachtet, denn Jeder glaubte, daß der eigentliche Angriff nur vom Norden her stattfinden könne, und da von dort aufgepflanzten Kanonen kein einziger Schuß fiel, so hielt man das, was man hörte, nur für eine gewöhnliche Plänkelei. Auch verloren nur wenige Menschen in diesem Kampf das Leben. Zwar wurden durch vereinzelte Schüsse einige verwundet und getödtet, aber es kam zu keinem eigentlichen Gefecht.

Die Quitener rückten, wie sie Verstärkung erhielten, langsam vor, und die Franco'schen Soldaten zogen sich, vergebens auf bestimmte Befehle wartend, vorsichtig zurück.

Viele von diesen flüchteten allerdings in bekannte Häuser, um sich dort für die Nacht zu verstecken und am nächsten Morgen als harmlose Arbeiter aufzutauchen, die mit der ganzen Sache nichts zu thun gehabt hätten. Nur von den Leuten des Amerikaners machte ein Theil – aus Angst, den Quitenern in die Hände zu fallen, den unglücklichen Versuch, durch Schwimmen eins der im Fluß ankernden Fahrzeuge zu erreichen.

Der Guajaquil hat aber eine furchtbare rasche und gefährliche Strömung, mit einer Masse von Wirbeln, die an manchen Stellen förmliche Trichter bilden. Und so ertranken viele von den Schwimmern, wenn auch einige von den Booten der Schiffe aufgefischt wurden.

Die armen Teufel hätten übrigens keine solche Furcht zu hegen brauchen, denn Flores dachte gar nicht daran, sie ihre erzwungene Treue gegen Franco entgelten zu lassen. Seine Soldaten hatten deshalb auch strengen Befehl, die Gefangenen zu schonen, und diese waren selber größtentheils von Herzen froh, aus einer Lage befreit zu werden, der sie meistens nur widerwillig sich unterzogen hatten. Wie deshalb das Gerücht durch die Reihen lief, Franco sei mit allen oberen Officieren geflohen, warfen die meisten ihre Waffen weg und ließen sich ruhig und widerstandslos in den Hof des Regierungsgebäudes führen, wo sie den übrigen Theil der Nacht unter Bewachung gehalten werden sollten.

Ein eigentlicher Zusammenstoß hatte nur am südlichen Theil der dritten Straße stattgefunden, wo ein junger Officier mit einigen hundert Mann einen ziemlich stürmischen Angriff auf die eindringenden Quitener gemacht zu haben schien, denn es lagen dort etwa elf oder zwölf Todte und einige schwer Verwundete – aber er war zu spät gekommen.

Flores' Truppen hatten bis dahin schon Zeit gehabt, genügende Kräfte in die Stadt zu werfen, um selbst einen stärkeren Anprall abzuhalten, und dieser wurde darum rasch und entschieden abgeschlagen, ohne die Sieger in ihrem Vordringen aufzuhalten. Als der Führer fiel, wandten sich die Soldaten zur Flucht und von da an fand kein Widerstand mehr statt.

Fortunato hatte hier die Quitener angeführt und die Angreifer zurückgeworfen. Weil er aber den Befehl erhalten hatte, diesen Punkt zwar zu behaupten, jedoch nicht weiter vorzurücken, bis sich die nachrückenden Truppen hinter ihm gesammelt hätten, so ließ er ein in der Nähe befindliches Schenklocal, dessen Wirth er von früher her kannte, öffnen, um die Verwundeten dort vorläufig unterzubringen und einen Arzt für sie herbei zu schaffen. Auch der Officier verrieth noch Leben und wurde ebenfalls hineingetragen.

Fortunato war eingetreten, um selber mit dem Wirth zu sprechen und ihm die Versicherung zu geben, daß er Mühe und Auslagen vergütet bekommen sollte, als man den jungen, stark blutenden Officier in das untere Zimmer schaffte. Das matte Licht der einzigen dort befindlichen Lampe fiel aber kaum auf seine Züge, als Fortunato erschreckt ausrief:

»Villegas, mein armer Villegas! Oh, dieser schändliche Bürgerkrig, der Brüder gegen Brüder treibt!«

Der Verwundete öffnete die Augen, und ein mattes Lächeln glitt über sein todtenbleiches Antlitz; dann schloß er sie wieder, denn er war ohnmächtig geworden, und sank in die Arme der Umstehenden.

Aber Fortunato konnte nicht bei ihm bleiben. Die Pflicht rief ihn wieder hinaus zu den Seinen, und nachdem er den verwundeten Freund dem Wirth noch auf die Seele gebunden und ihm reichliche Bezahlung für dessen Pflege versprochen hatte, sprang er wieder auf die Straße, denn eben ertönten auf's Neue die Signale zum Vorrücken, und wie im Parademarsch zogen die Soldaten die vollkommen menschenleere Straße entlang.

Der Capitain des peruanischen Dampfers hatte wirklich recht gesehen, denn in Doctor Ruibarbo's Hause war der Tanz zwar für kurze Zeit gestört, aber keineswegs durch diese Katastrophe beendet worden.

Der Doctor selber befand sich allerdings in peinlicher Angst, denn er zweifelte keinen Augenblick daran, daß Franco den festen Willen habe, die Stadt zu beschießen, und bat seine »junge Frau« dringend, die Gesellschaft zu entlassen und die Lichter auszulöschen, um den Kanonen des Peruaners nicht ein deutliches, kaum zu verfehlendes Ziel zu geben. Die jetzige Señora Ruibarbo aber wies diese Zumuthung mit Entrüstung zurück.

Franco sollte ihr Haus beschießen! schon der Gedanke war Sünde. Zwar hatte der Präsident selbst vergessen, von ihr Abschied zu nehmen, aber sein theures Leben stand ja auf dem Spiel, und das mußte er für die Nation erhalten; aber nie würde er eine Kugel in das Haus geschleudert haben, das, wie er wußte, sie einschloß.

Celita selber unterstützte ihren Wunsch, den Ball fortzusetzen, wenn auch aus einem andern Grunde. Bei ihr war es Trotz. Sie wollte dem vertriebenen Mulatten zeigen, daß sie seine Drohung nicht fürchte, und weil das Musikcorps fortgegangen war, setzte sie sich selber an das Instrument und spielte, bis sie die Gäste in Bewegung brachte.

Aber es war doch nur eine gekünstelte, erzwungene, ja beinahe verzweifelte Fröhlichkeit, mit der sich die Zurückgebliebenen über die Gefahr hinwegzusetzen suchten – es lag kein rechter Trieb darin, keine wahre Lust, und Celita hatte sich zu viel zugetraut.

Sie war müde und abgespannt, und der Kopf that ihr weh vom vielen Nachdenken über den raschen Wechsel ihres eigenen Geschicks, und wenn auch die Zuneigung, die sie dem Mulatten geheuchelt hatte, nur das sorgsam gepflegte Werk ihrer Mutter gewesen war, ja wenn sie im Herzen vielleicht frohlockte, der lästigen Fessel los und ledig zu sein, so brach damit doch ein stattliches Luftschloß zusammen, das sie aus den Trümmern der Republik aufgebaut und als dessen Herrin sie sich schon betrachtet hatte.

Die Straßen waren indessen so ruhig geworden, als ob der Friede in dieser Nacht durch nichts gestört gewesen wäre, und die einzelnen Gäste drängte es, ihre Familien aufzusuchen und zu beruhigen. Einer nach dem andern verließ leise den Saal – das junge Ehepaar hatte sich schon zurückgezogen, und bald darauf verlöschten auch die Lichter – die Nacht verlangte ihr Recht.

Aber welche Veränderung zeigte am nächsten Morgen die Stadt, als die Bewohner staunend aus ihren Häusern kamen und kaum das Werk von wenigen Stunden begreifen konnten!

Verschwunden waren die peruanischen Dampfer, verschwunden die alten Flaggen von Ecuador; denn die quitenische Regierung hatte sich – wenigstens mit der Flagge – der alten Union der columbischen Republik wieder angeschlossen, welche die Staaten Venezuela, Neu-Granada und Ecuador umfaßte und eine gemeinschaftliche Flagge: gelb, blau und roth in horizontalen Streifen, führte. Verschwunden waren die Franco'schen Uniformen, wenn auch die quitenischen Soldaten genau so malerisch und abgerissen, so wild und sonnenverbrannt und undisciplinirt aussahen, wie die früheren Truppen, und genau dieselbe Leidenschaft für Lanzen, an Stelle der Gewehre, zu haben schienen.

Besonders war vor dem Regierungsgebäude ein wunderlich gemischter Trupp Lanciers aufgestellt, die, barfuß, mit gestreiften, carrierten, braunen, weißen oder schwarzen Hosen – alle gleich schmutzig – kleine Fähnchen an ihren Lanzen führten, auf denen ein weißer Todtenkopf schrecklich anzuschauen war.

Es schien ein Art Leibgarde zu sein, und sie unterschied sich nur dadurch auffallend von einer ähnlichen Garde Franco's, daß fast gar keine Neger oder Mulatten darunter waren. Ueberall aber zogen noch Patrouillen durch die Stadt, und zwar mit Musik, um die verschiedenen Schenklocale nach versteckten Soldaten zu visitiren. Es geschah diesen aber weiter nichts, als daß man ihnen ihre Waffen abnahm – wenn sie dieselben nicht schon früher weggeworfen hatten – und sie in ihre Heimath schickte, wozu eine Anzahl von der Regierung gemietheter Balsas verwandt wurden. Die armen Teufel waren froh, so gut wegzukommen.

Aber auch die zahlreichen politischen Gefangenen hatte man vor Tagesanbruch befreit, und Fortunato selber Ferreira und de Castro jubelnd aus ihrer Haft geholt. Unter den anderen war auch Zegado, der gleich darauf mit Ibarra eine geheime und angelegentliche Unterredung hielt, welche keinen Geringeren als den Doctor Ruibarbo betraf, denn Beide bezweifelten keinen Augenblick, daß er allein sie damals verrathen habe. Zu beweisen war es freilich nicht mehr, aber sie beschlossen, wenigstens ihren Verdacht Flores mitzutheilen – vielleicht tauchten dann noch andere Sachen auf, die ein Licht auf des Doctors bisherige Thätigkeit werfen konnten.

Flores bezog, bis die Regierungsgebäude nach dem Wirrwarr der letzten wilden Wirthschaft geordnet wären, ein Privatlogis, und war schon als einer der Ersten an diesem Morgen durch die Straßen der Stadt geritten, um die verschiedenen Posten zu inspiciren und selber darauf zu sehen, daß Ordnung gehalten würde. Wo er sich aber blicken ließ, wurde er enthusiastisch von den Bewohnern begrüßt, die ihm überall entgegen jubelten.

Und wahrlich mit Recht; denn hatte er nicht mit einem kühnen Streich dem ganzen verheerenden Bürgerkrieg ein Ende gemacht? Was die Stellenjäger »fürchteten«, daß er selbst sich der Regierung bemächtigen und das Franco'sche Regiment fortsetzen werde, das glaubte der einfache Ecuadorianer nicht. Kannten sie doch den Mann von früher her; wußten sie doch, daß sein Ehrgeiz in dem Glück des Vaterlandes lag, und die Zukunft bewies, daß ihr Vertrauen gerechtfertigt war.

An diesem Morgen gab es übrigens viel für ihn zu thun, denn das Staatsschiff trieb ohne Steuer durch ein bewegtes Meer. Mit Franco hatten auch die meisten seiner Beamten das Weite gesucht, weil sie nicht gern über verschiedene Dinge Rechenschaft ablegen mochten, und Bustillos besonders schien es für gerathen zu halten, noch vor seinem Herrn und Meister den Schutz des peruanischen Dampfers zu suchen, mit dem er jetzt auf den blauen Wogen schaukelte.

Flores setzte sogleich Andere an ihre Stelle, und Ibarra bekam vor der Hand Bustillos Posten, den er schon früher einmal, vor Ausbruch der Revolution, bekleidet hatte und mit dessen Functionen er genau bekannt war.

Gefangene gab es aber nur sehr wenige in Guajaquil, denn die gemeinen Verbrecher hatte Franco immer, anstatt sie einzusperren, zu Soldaten gemacht, und die jetzt gefangenen Officiere, wenn sie nicht in Flores' Heer eintreten wollten, wurden ohne Weiteres auf ihr Ehrenwort entlassen.

Nur einige eingefangene Spione hatte Flores mitgebracht, und unter diesen bekam Señor Malveca eine besondere Zelle, um am nächsten Morgen vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden.

Malveca aber, eng befreundet und verwandt mit Doctor Ruibarbo, hatte Mittel gefunden, diesen wissen zu lassen, unter welchen Umständen er gefangen gehalten wurde, und der Doctor, da den Wachen überhaupt kein Befehl gegeben war, die in Haft Gehaltenen von jedem Verkehr abzusperren, seinen unglücklichen Neffen am ersten Morgen in aller Frühe besucht.

Es war etwa elf Uhr, als er sich bei General Flores, der eben einer Conferenz präsidirt hatte, melden ließ, worauf er auch bald angenommen wurde; er fand den General allein in seinem Zimmer.

General Flores war ein großer, schlanker Mann mit regelmäßigen, edlen Gesichtszügen und vollkommen europäischem Typus. Er ging heute, wie er von seinem Ritt zurückgekehrt war, einfach in Civil gekleidet und stand, als der Doctor das Zimmer betrat, an einem großen, mit einer Masse von Papieren überstreuten Tisch.

»Excellenz,« begann der Doctor, sowie er in die Thür trat, mit seinem gewinnendsten Lächeln, indem er auf den General zuging und ihm die Hand entgegen streckte, »Sie glauben nicht, wie glücklich ich mich fühle, Sie vor so vielen Anderen endlich in Guajaquil zu begrüßen und Ihnen im Namen der Stadt und der Bürgerschaft den innigsten Dank für unsere Befreiung zu Füßen zu legen. Sie sind der Retter Ecuadors, und auf seinen Händen sollte Sie das Volk durch das ganze Land bis in die Hauptstadt tragen.«

»Sie sind sehr freundlich, lieber Doctor,« entgegnete der General, ohne aber die gebotene Hand zu ergreifen, indem er that, als hätte er die Bewegung gar nicht bemerkt. »Vor allen Dingen erlauben Sie mir aber, Ihnen zu bemerken, daß ich noch immer General Flores bin, also nicht auf den Titel eines Präsidenten Anspruch machen kann.«

»General,« rief der Doctor, in einiger Verlegenheit, da er nicht gleich wußte, was er mit der ausgestreckten Hand anfangen sollte – »Ihre Bescheidenheit –«

»Ich entschuldige Sie vollkommen,« fuhr Flores mit einem leichten, kaum bemerkbaren Lächeln fort, »denn der Titel ›Excellenz‹ wird Ihnen in der letzten Zeit, in der steten Gesellschaft jener hohen Person, die ihn zu führen für gut fand, und die jetzt leider auf Reisen gegangen ist, wohl so geläufig geworden sein, daß Sie sich schwer davon trennen können – aber ich muß dennoch darauf verzichten.«

»General,« stotterte der Doctor bestürzt, »ich – ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich nur einige Male gezwungen –«

»Bitte, lassen wir das, lieber Doctor, ich bin, wie Sie wohl denken können, außerordentlich beschäftigt heute Morgen, und möchte Sie ersuchen, zur Sache zu kommen. Welcher Ursache verdanke ich das Vergnügen Ihres Besuches? Womit kann ich Ihnen dienen?«

Die Worte waren verbindlich, aber es lag eine so kalte, formelle Höflichkeit in dem Ton derselben, daß der Doctor, dem es nicht an Menschenkenntniß fehlte, rasch wußte, wie Flores, für jetzt wenigstens, gegen ihn gesinnt war. Das durfte ihn freilich nicht überraschen, denn seine bisherige Verbindung mit Franco konnte kein Geheimniß geblieben sein; aber es machte ihm auch keine zu große Sorge, weil ein wirklicher Beweis gegen ihn nirgends vorlag. Er hatte Franco nur mit Worten oder so zweideutigen Handlungen gedient, daß er keinen Moment daran zweifelte, in ganz kurzer Zeit wieder eben so befreundet mit der siegenden Partei zu sein, wie er es mit der unterlegenen gewesen. Es war nur eine Sache der Zeit, weiter nichts, und je unbefangener er sich zeigte, je gewissenfreier, desto mehr mußte er auch die Ueberzeugung bei Anderen erwecken, daß er eben nicht schuldig sein könne.

Außerdem zwangen ihn aber noch wichtige verwandtschaftliche Rücksichten, jede Empfindlichkeit über einen eben nicht freundschaftlichen Empfang fallen zu lassen. Er brauchte Flores, und dieser hatte dafür die volle Freiheit, ihn zu behandeln, wie er gerade für gut fand. Mit dem liebenswürdigen Lächeln, das ihm schon zur andern Natur geworden, antwortete er deshalb, die halbe Abweisung in der Frage des Generals vollständig ignorirend:

»Es betrifft meinen Neffen, General Flores, den jungen Malveca, der auf einen unwürdigen Verdacht hin gefangen gehalten wird und doch nur durch eine Verkettung unglücklicher Zufälligkeiten das Schicksal gehabt hat, Ihr Vertrauen, was ihm als sein Leben gilt, zu verlieren.«

»In der That? und wodurch sind Sie mit den Verhältnissen so genau bekannt geworden, wenn ich fragen darf?«

»Ich habe ihn heute Morgen gesprochen,« lautete die ruhige Antwort, »und da ich meinen Neffen von Kindesbeinen auf kenne und weiß, daß er unfähig ist eine Lüge zu sagen, so möchte ich Sie freundlich ersuchen, General, die Sache, noch ehe sie öffentlich gemacht wird und einen Makel auf sein ganzes künftiges Leben wirft, vorher selber zu prüfen, und ich stehe dafür, daß ich Ihnen genügende Zeugen von der Unschuld des jungen Mannes stelle.«

»Sie sprechen ziemlich zuversichtlich, Doctor.«

»Weil ich die Gewißheit habe, General.«

»Sie wissen dann auch, daß ein Blatt Papier in unsere Hände fiel – ein verrätherischer Brief, der die Handschrift Ihres Neffen trug –«

»Darf ich diesen Brief sehen?«

»Gott weiß, wo er hingerathen ist,« sprach Flores ärgerlich; »ich steckte ihn zu mir, aber, beim Himmel, die letzten Tage nahmen meine Aufmerksamkeit viel zu sehr in Anspruch, um auf einen solchen Wisch zu achten. Es ist aber auch ganz unwesentlich, ob sich jener Brief, den ich schon eine halbe Stunde vergebens gesucht habe, wieder vorfindet oder nicht. Einer meiner Officiere kannte seine Handschrift; außerdem aber lieferte seine gleich darauf folgende Flucht aus Guaranda den stärksten und untrüglichsten Beweis gegen ihn. Lassen wir das also, Doctor; die Sache geht ihren rechtlichen Weg, wobei Ihr Neffe jeden erlaubten und möglichen Schutz genießen soll, und ich kann dem Rechtsgange nicht vorgreifen – habe auch, aufrichtig gestanden, nicht die mindeste Lust dazu.«

Der Doctor zuckte die Achseln und meinte:

»Wenn einer Ihrer Officiere ihn angeklagt hat, General, dann freilich muß ich gestehen, daß das ein böses Licht auf meinen Neffen wirft. Ich halte sie alle für ehrenwerthe wackere Leute, und nur einer, der es aber schwerlich gewesen ist, der Zufall müßte denn sein Spiel wunderlich getrieben haben, hätte ein Interesse, meinen Neffen zu beseitigen, und hat allerdings auch schon früher, von seiner Familie redlich dabei unterstützt, sein Möglichstes dazu gethan.«

»Und der heißt?«

»Es ist der junge Espinoza,« erwiderte mit der unschuldigsten Miene der Doctor, »aber so viel ich weiß, war derselbe gerade in jener Zeit bei Franco in Bodegas.«

»In der That,« sagte Flores nachdenkend, »und glauben Sie wirklich, daß bei Espinoza persönlicher Groll –«

»Ich will doch nicht hoffen, daß er es wieder war, der meinen Neffen eines Verbrechens geziehen hat?« rief der Doctor rasch und wie erschrocken.

»Lassen wir das,« entgegnete Flores ausweichend – »der aufgefundene Brief bleibt immer Nebensache, denn das offenbare Dienstvergehen, das er sich hat zu Schulden kommen lassen, seine Desertion zu Franco, wird den Hauptpunkt der Anklage bilden, und ich fürchte fast, er kann sich darüber nicht rechtfertigen.«

»General,« bemerkte der Doctor, »wie der Zufall oft ein Verbrechen an den Tag bringt, so hilft er auch manchmal dem Unschuldigen. Zufälliger Weise war ein früherer Diener von mir unter den Truppen des Usurpators, der diese Nacht mit gefangen und heute Morgen entlassen wurde, wonach er mich augenblicklich aufsuchte, um wieder bei mir in Dienst zu treten. Von diesem erfuhr ich, daß er mit unter den vorgeschobenen Posten gewesen war, die Franco ausgeschickt hatte, Ihre Stellung zu recognosciren, und daß sie den jungen Officier – meinen Neffen nämlich – langsam hätten heranreiten sehen und sich dann auf der Höhe, wo er hielt, um das Terrain zu überschauen, in den Hinterhalt gelegt hätten. Sie sprangen dort auf ihn zu, schlugen ihn vom Pferd herunter und brachten ihn gebunden in Franco's Lager, und ich dächte, schon die brutale Art und Weise, mit welcher der Mulatte meinen Neffen behandelt hat, sollte Ihnen beweisen, daß dieser Ihrem Feinde keinen Dienst erwiesen haben konnte.«

Flores sah den Doctor scharf an. Er selber hatte die feste Ueberzeugung, daß Malveca schuldig sei, und jetzt trat ihm der Mann, dem er nicht ohne Grund mißtraute, mit dem zuversichtlichen und ewig lächelnden Gesicht entgegen und behauptete nicht allein die Unschuld des Gefangenen, sondern erbot sich auch, während er die Anklage Espinoza's verdächtigte, genügende Zeugen für den Deserteur zu stellen. Wie konnte Ruibarbo wissen, daß Espinoza als Zeuge gegen seinen Neffen aufgetreten sei? Malveca war nicht dabei gewesen; aber Flores hatte von der Schlauheit und Durchtriebenheit des Doctors schon früher genügende Beweise gehabt, um sich hier, nur auf dessen Wort hin, irre leiten zu lassen, und sagte deshalb nach einem kurzen Nachsinnen:

»Gut, Señor, – verschaffen Sie sich jedes mögliche Licht in dieser Sache – mir liegt selber daran, keinen Unschuldigen zu verdammen. – Stellen Sie uns Ihre Zeugen, aber verlangen Sie nicht, daß ich von dem gewöhnlichen Verfahren abweiche, Ihnen oder Ihrem Neffen zu Liebe. Das Verhör findet um neun Uhr im Saale des Regierungsgebäudes öffentlich statt, und kann sich Malveca reinigen, so wird sich Niemand mehr darüber freuen, wie ich selber, denn ich würde einen Verräther nicht allein unter meinen Truppen, sondern sogar unter meinen Officieren gehabt haben. Kann er es aber nicht, dann gebe ich Ihnen mein Wort, daß ihn auch nichts vor seiner Strafe schützt.«

»Ich verlange nur Gerechtigkeit, General,« lächelte Ruibarbo, »und ich bin überzeugt, daß Sie diese mir und meinem Neffen angedeihen lassen.«

»Gewiß, Señor,« erwiderte Flores und warf einen forschenden Blick auf den Doctor. Die Züge Ruibarbo's waren jedoch kein Spiegel seiner Seele. In seinem Innern mochte es kochen und gähren, aber keine Blase stieg empor, um die glatte, glänzende Oberfläche zu trüben, und wie eine gemalte Landschaft – ewig und unveränderlich im Sonnenlicht – so trug sein Antlitz den nie wechselnden Stempel innern Behagens und äußerer Zuversicht.

Aber er hatte noch nicht alle Proben überstanden, denn noch eine Ueberraschung stand ihm bevor. Flores kannte ihn zu genau, um sich so leicht von ihm täuschen zu lassen, und fuhr nach einer kleinen Pause fort:

»Gerechtigkeit soll Ihnen werden, denn mit Gottes Hülfe hat die Willkürherrschaft in Ecuador ein Ende genommen. Uebrigens habe ich da drinnen noch ein paar Freunde von Ihnen, Doctor, die mir ebenfalls ganz merkwürdige Dinge mitgetheilt haben. Es wird Ihnen gewiß interessant sein, sie zu sprechen, und vielleicht sind Sie im Stande, sie dann über Manches aufzuklären« – und zugleich die Thür des Nebenzimmers öffnend, rief er hinein: »Dürfte ich die Herren vielleicht bitten, für einen Augenblick einzutreten.«

Zegado – noch bleich von der Haft in einem schwülen, ungesunden Loch – stand auf der Schwelle, und hinter ihm Ibarra. Der Doctor hatte aber kaum den Ersteren erkannt, als er mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu eilte, seine Hand – ob Zegado wollte oder nicht – ergriff, sie auf das Herzlichste schüttelte und rief:

»Zegado – Don Basilio! wie glücklich mich das macht, Sie, lieber, alter Herzensfreund, endlich wieder frei zu sehen. Der verdammte kleine Mulatte hat viel auf seinem Gewissen, aber daß er einen solchen Ehrenmann einkerkern konnte, ist doch wahrlich von allen Schlechtigkeiten, die er verübt hat, die größte.«

»Sie sind ein wunderbarer Mann, Ruibarbo,« sagte da mit lächelnder Miene Ibarra, der jetzt ebenfalls in das Zimmer getreten war.

»Wunderbar, bester Ibarra?«

»Alles hat sich in Guajaquil verändert; Alles ist überhaupt wandelbar auf der Welt – nur Sie nicht.«

»Das ist das größte Compliment, das Sie mir sagen können, bester Freund.«

»Und wenn morgen Castilla hier einrückte,« fuhr Zegado fort, »und die peruanische Flagge in Ecuador aufpflanzte, so dürfte er sich Ihrer unwandelbaren Theilnahme eben so gewiß versichert halten.«

»Aber, Don Basilio, auch nicht einmal im Scherz sollten Sie einem alten Freund einen so ungerechten Vorwurf machen,« erwiderte der Doctor mit seinem mildesten Lächeln. »Doch ich darf es Ihnen nicht übel nehmen, denn die nichtswürdige Behandlung, die Sie erleiden mußten, hat Sie gereizt und unbillig gemacht. Wüßten Sie, wie ich für Sie gekämpft, was ich Ihretwegen ertragen habe, ja welcher Gefahr ich mich selber dabei aussetzte, als ich dem kleinen Tyrannen vorwarf, daß er der ganzen Nation in's Gesicht schlage, indem er Sie gefangen halte, Sie würden anders urtheilen.«

»Wirklich, Doctor?«

»Bedarf es da noch einer Versicherung? – Aber Ihre Haft hätte auch keinen Tag länger gedauert, wenn nur Ibarra zu finden gewesen wäre; denn so weit hatte ich den Mulatten schon überzeugt, daß er Ihnen Unrecht thue, aber Ibarra's Zeugniß, auf das ich mich berief, fehlte und konnte nicht beigebracht werden. Wo in aller Welt können Sie nur die ganze Zeit gesteckt haben, bester Freund? Wie eine Stecknadel sind Sie gesucht worden, aber immer vergeblich.«

»Daß es der Doctor sich hat Mühe kosten lassen, mich aufzufinden, General, kann ich ihm selber bezeugen,« sprach Ibarra jetzt, »denn sogar die Polizei wurde aufgeboten, um mich eines Nachts im Hotel de France aufzuheben, wo Fortunato und ich ein Zimmer inne hatten. Nur Fortunato's Geistesgegenwart gelang es, den strohköpfigen Beamten zu täuschen.«

»Aber, bester Ibarra,« rief der Doctor, »Sie wollen doch nicht behaupten, daß ich –«

»Lassen wir das,« unterbrach ihn Flores, mit der Hand winkend, »unsere Zeit ist zu sehr in Anspruch genommen, um uns jetzt mit einem solchen kleinen Guerillakrieg zu befassen, und Sie, Doctor, werden ebenfalls beschäftigt genug sein, Ihre Zeugen herbei zu schaffen, denn ich bin fest entschlossen, den Deserteur morgen früh um neun Uhr vor Gericht zu stellen.«

»General Flores!« rief Ruibarbo, herzlich froh, einer ihm nichts weniger als angenehmen Unterredung enthoben zu sein. »Ich kann Ihnen nur im Namen meines Neffen dankbar sein, wenn Sie die Sache so rasch als möglich erledigen wollen, denn daß ich im Stande bin, seine Unschuld darzuthun, davon halte ich mich überzeugt. Also, Señores, hasta luego! ich habe die Ehre, mich Ihnen zu empfehlen.«

»Das ist der abgefeimteste Halunke,« meinte Ibarra, als der Doctor die Thür hinter sich zugezogen hatte, »der mir je vorgekommen ist, und ich bin neugierig, welche Ausflüchte er ersinnen wird, um seinem würdigen Neffen durchzuhelfen.«

»Aber er ist dem Staate nicht gefährlich,« entgegnete Flores, »denn er schwimmt mit der Macht, und es würde ihm nie einfallen, gegen irgend eine bestehende Regierung zu agiren.«

»Warum nicht, wenn er seinen Nutzen dabei zu finden glaubte,« warf Zegado ein, »denn sein Gewissen macht ihm keine Schwierigkeiten. Jedenfalls hat er unter Franco Schaden genug gethan.«

»Das weiß Gott,« bestätigte Ibarra. »Heute Morgen sprach ich zum Beispiel einen Landmann aus Derecha bei Bodegas, der mir erzählte, daß sich die dortigen Einwohner Franco's Eingriffen nie gutwillig gefügt haben würden, wenn Ruibarbo nicht mit seiner öligen Zunge die Sache vermittelt und so geholfen hätte, die armen Leute zu prellen.«

»Er hat noch Schlimmeres gethan,« fügte Zegado mit ernster Miene hinzu. »Ich bin jetzt einem Falle auf der Spur, wo er das Vermögen einer quitenischen Familie in der nichtswürdigsten Weise eben diesem nämlichen Neffen zugewandt und jene Unglücklichen dadurch fast an den Bettelstab gebracht hat.«

»Espinozas?« fragte Ibarra.

»Allerdings!«

»Espinoza? so?« sagte der General, aufmerksam werdend. »Ei, das ist interessant und erklärt Manches. Die Sache müssen Sie mir erzählen, Zegado. – Kommen Sie mit zum Frühstück, meine Herren, ich werde indessen den Major Fortunato beauftragen, auch für uns bis morgen früh alle etwa nöthigen Zeugen in Bereitschaft zu halten.«

Während dessen ging Doctor Ruibarbo in tiefem Nachdenken die Straße hinab. Er hatte seine Brieftasche in der Hand und nahm ein fein zusammengefaltetes Zettelchen heraus, dann steckte er die Brieftasche wieder ein und zerpflückte das kleine Papier, während er weiter schritt, in Atome.



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