Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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29.

Franco's Flucht.

Indessen hatte sich ein panischer Schrecken des Franco'schen Militärs bemächtigt; denn da Niemand da war, der die Masse durch ruhig gegebene und bestimmte Befehle zusammengehalten hätte, und die einzelnen Trupps, als sie endlich wieder von einigen Officieren angeführt wurden, die Gegner von Minute zu Minute wachsen sahen und die quitenischen Signale jetzt fast von allen Seiten ertönten, so drängten sich die Meisten auf das Regierungsgebäude zurück und riefen nach dem General.

Doch wo war Franco?

Seinen Burschen hatte er, sowie er die Straße erreichte und seine schlimmste Furcht bestätigt fand, noch einmal nach Hause geschickt, um das Letzte von seinen Habseligkeiten abzuholen und ihn dann unten bei dem Boote zu erwarten. Er fühlte, daß er verrathen und verlassen war und nun, seit er die Macht verloren, auch auf die früheren, sehr zweideutigen Freunde nicht mehr rechnen konnte.

Nur ein Herz in Guajaquil schlug noch für ihn und würde sich so wenig von dem einfachen Franco wie von dem Dictator der Republik abwenden – nur ein Paar süße Lippen waren es, die ihm vor kaum einer Stunde das holde Geständniß ihrer Liebe abgelegt hatten, und die Reize dieser zärtlichen Freundin ließen ihn für den Augenblick selbst die Gefahr verachten, der er sich aussetzte, wenn er seinen Todfeinden in die Hände fiele.

Celita – sie durfte er nicht zurücklassen zwischen den Verräthern – sie selber hatte ihr Geschick an das seine gekettet, und diesen Preis wollte er wenigstens aus Ecuador entführen, bis er im Stande wäre, zurückzukehren und Rache, furchtbare Rache an dem Lande zu nehmen.

Mit raschen Schlitten eilte er nach dem Ballsaal zurück und fand das Haus noch offen; doch seine davor aufgestellten Wachen hatten ihren Posten im Stich gelassen. Noch waren sogar die Gäste bei einander, mit Ausnahme derer, welche ihre »Pflicht« abgerufen hatte, oder die sich fürchteten, bei längerem Verweilen in Flores' Hände zu fallen, und der Doctor Ruibarbo, der sich den Boden unter den Füßen schwinden sah und sich nach Rettung umschaute, hatte eben den Agenten auf's Aeußerste in Erstaunen gesetzt, als er ihn plötzlich an einem Knopf zum Fenster zog und triumphirend sagte:

»Nun, Mariano, hatte ich nicht Recht? – war es nicht für uns das einzige Mittel, den kleinen, gelben Tyrannen unschädlich zu machen, indem wir ihm das Geld verweigerten, seine Soldaten zu bezahlen?«

»Aber, bester Doctor,« stammelte der lange Agent, der noch keineswegs mit sich im Reinen war, ob »Se. Excellenz« unschädlich wäre, und, wenn dem so wäre, ob er solche Ursache habe, darüber zu frohlocken. »Bester Doctor, ich begreife nicht – Sie wollen doch nicht sagen, daß wir –«

»Ihm das Geld hätten geben sollen? Gott bewahre!« rief der Doctor triumphirend aus, »denn er würde damit nur neue Ketten für die Republik geschmiedet haben, und wir sind ein freies Volk und wollen es bleiben.«

Dem Agenten dämmerte eine Ahnung auf von dem, was der Doctor eigentlich meinte, wenn seine viel schwerfälligeren geistigen Fähigkeiten auch nicht mit einer solchen Elasticität von einem Extrem zum andern überspringen konnten.

»Das sind wir in der That – gewiß – das sind wir,« stammelte er, »aber, lieber Doctor, Sie nehmen mir das – wir – wir wissen ja noch gar nicht recht, was da draußen vorgeht, und ehe wir nicht die vollständige Gewißheit haben, daß Se. Excellenz – doch, beim Himmel, da ist er!«

Der Doctor erschrak selber etwas. Die Thür war aufgegangen, und Franco, ohne seinen Generalshut, erhitzt, hellgelb vor Wuth, mit stieren Blicken, stand auf der Schwelle, sah sich dann im Zimmer um und schritt in das Gemach, wo er Celita vorher verlassen hatte.

Er fand sie auch jetzt noch dort, und zwar mit ihrer Mutter, die schon früher ein paar flüchtige, aber inhaltschwere Worte mit dem Doctor gewechselt hatte. Sie durchschaute diesen vollkommen, aber sie vertraute auch seinem Scharfsinn, und Alles, was er ihr gesagt hatte, wurde durch Franco's jetzige Erscheinung bestätigt.

Dieser aber, ohne die Señora Buscada auch nur zu beachten, schritt auf Celita zu, und ihre Hand ergreifend, sagte er leidenschaftlich:

»Señorita, der Augenblick, wo Sie mir das bestätigen können, was Sie mir vorhin sagten, ist rascher gekommen, als ich vermuthete. Durch Verrätherei hat Flores die Stadt genommen, und um mich für die Republik zu retten, muß ich mich vor der Hand in den Schutz des peruanischen Dampfers begeben. Aber nicht allein will ich von Guajaquil gehen, um mir nachher nicht Vorwürfe machen zu müssen, ein Herz verlassen zu haben, das an mir hing, das mir treu blieb, wo Tausende mich verriethen. Kommen Sie, Celita, folgen Sie mir – die Zeit drängt – Ihre Sachen kann Ihre Mutter uns nachschicken – jeder Augenblick bedroht mein Leben, das ich auf das Spiel setzte, um noch einmal hierher zu eilen, und glauben Sie mir –«

»Excellenz,« sagte die junge Dame, aber keineswegs mit der Wärme, die er erwartet haben mochte, »ich bedaure aufrichtig Ihr Mißgeschick – aber Sie werden einsehen, daß ich, als junges Mädchen – mögen die Gefühle meines Herzens sein, welche sie wollen, nicht die Schicklichkeit so weit außer Augen setzen kann, um Ihnen bei Nacht und Nebel in die Welt zu folgen.«

»Celita!«

»Bitte, Excellenz,« mischte sich jetzt auch die alte Dame in das Gespräch, »nehmen Sie mir das nicht übel, das ist doch eine etwas zu starke Zumuthung für meine Tochter –«

»Und haben Sie nicht selber Ihre Einwilligung zu unserer Verlobung gegeben?« – rief Franco gereizt – »wollen Sie das jetzt leugnen?«

»Als Mutter muß ich für mein Kind sorgen,« erwiderte die alte Dame vollkommen kaltblütig. »Damals waren Sie Präsident – oder schienen es wenigstens zu sein; jetzt hat sich das Blatt gewendet, und wenn der einfache Señor Franco um meine Tochter werben will, dann muß er am hellen Tage kommen, damit man sich die Sache ruhig überlegen kann, und darüber ließe sich dann später reden. Jetzt ist es Schlafenszeit.«

»Celita!« rief der kleine Mulatte, durch den Widerstand nur noch mehr gereizt – »und stimmen Sie Ihrer Mutter bei? Sagen Sie nein – sagen Sie, daß Sie mir folgen wollen, und ein glänzendes Loos soll Ihrer warten, Niemand soll Sie hier zurückhalten dürfen, denn noch habe ich die Macht, und meine Leute sollen Sie gegen jeden Zwang schützen.«

»Bitte, lassen Sie mich los, Excellenz,« sagte Celita kalt, indem sie ihren Arm von ihm frei machte. – »Ich stimme ganz mit meiner Mutter überein.«

»Wirklich?« fragte Franco mit einem boshaften, tückischen Lächeln – »also Sie stimmen mit Ihrer Mutter überein? – und Sie auch vielleicht, Doctor?« fügte er hinzu, als er, den Kopf wendend, diesen in der offenen Thür erblickte.

»Excellenz,« stammelte der Doctor in peinlichster Verlegenheit – »ich maße mir kein Urtheil an. Herzensangelegenheiten sind eine eigene Sache, in die sich kein Dritter mischen kann.«

»Herzensangelegenheiten? so glauben Sie also wirklich, daß hier von Herzensangelegenheiten die Rede wäre? – Aber wissen Sie nicht, mein verehrter Herr Doctor, welche Macht ich noch in Händen habe, selbst wenn ich an Bord des peruanischen Dampfers meine Zuflucht vor verrätherischen Schuften suchen muß? – Wissen Sie auch, daß die ganze Stadt Guajaquil in meinen Händen liegt, und können Sie sich vielleicht denken, welche kleine Annehmlichkeit ich ihr noch vom Fluß aus in der nächsten Stunde bereiten werde?«

»Excellenz!« rief der Doctor bestürzt. »Sie denken doch sicher nicht daran, Ihre treuesten Anhänger für das zu bestrafen, was schändlicher Verrath an Ihnen gesündigt hat?«

»Denke ich nicht daran?« lachte Franco; »aber meine Zeit ist gemessen. Noch einmal, Celita, wollen Sie mir folgen, oder soll ich die Stadt in einen Trümmerhaufen schießen lassen?«

Ein grelles, gellendes Trompetersignal schallte von der Straße herauf – Franco kannte es nur zu gut, es waren die quitenischen Hörner – und wild verlangend blickte er nach Celita hinüber. Aber es blieb ihm keine Zeit mehr, einen vielleicht verzweifelten Plan auszuführen und sie gewaltsam zu entführen. Die Mutter war zwischen ihn und die Tochter gesprungen, und mit den Zähnen knirschend warf er noch einmal den Blick im Zimmer umher und floh dann, ohne ein Abschiedswort, in raschen Sätzen die Treppe hinunter.

Und es war in der That die höchste Zeit für ihn, denn nach der Flucht seiner Soldaten, die den südlichen Theil der Stadt vollkommen den andrängenden Quitenern preisgegeben hatten, rückten diese, mehr und mehr Verstärkungen an sich ziehend, und ohne nur einen Schuß abzufeuern, in den Straßen vor.

Die gegen die Schanzen tiraillirenden Truppen konnten aber ebenfalls vollkommen ungestraft weiter vordringen und fanden endlich, daß der Feind sogar diese feste Stellung ohne den geringsten Widerstand geräumt habe. So nun, während Boten zurückliefen, um die Meldung zu machen, ergossen sie sich auch von dieser Seite in die völlig vertheidigungslose Stadt.

Gerade in diesem Moment verließ Franco, Haß, Rache und Ingrimm im Herzen, das Haus des Doctors Ruibarbo; aber alle die Gefühle verschwanden in dem Augenblick, wo er die Straße betrat, vor der Sorge für seine eigene Sicherheit, denn eine grenzenlose Verwirrung schien am Ufer zu herrschen, und eiskalt überlief es ihn, wenn er sich die Möglichkeit dachte, daß sein Boot den Anlegeplatz verlassen haben könnte.

Einen scheuen Blick warf er nach rechts und links über den menschengefüllten Weg; aber jede Verzögerung war verderblich. Nur seine großen goldenen Epaulettes, auf die er bis jetzt nicht wenig stolz gewesen, riß er sich rasch von den Achseln und nahm sie unter den Arm – er konnte sich selbst in diesem Augenblick nicht dazu entschließen, sie fortzuwerfen – und floh dann raschen Laufes schräg über die breite Uferstrecke der Stelle zu, wo er sein Boot vermuthete.

Aber so rasch er auch floh, so hatten ihn doch Einige erkannt, und zwar Bewohner Guajaquils, von denen ein Theil, mit den Waffen in der Hand, auf die Straße geeilt war, um mit zu helfen, den »Mulatten« fortzujagen.

»Dort läuft Franco!« schrie plötzlich eine Stimme. »Das ist der Schuft, der unser Land verrathen und an den Peruaner verschachert hat. Das ist der Hund! Schlagt ihn todt! schlagt ihn todt!« und hinter ihm her stürmte die Menge. – Schon hatte er den obern Uferrand erreicht, von dem ein schräg gepflasterter Damm ziemlich steil zum Wasser hinablief. Unten lag das Boot und die Leute standen darin, ihre Ruder in der Hand und jeden Augenblick bereit, vom Ufer abzustoßen.

»Das Boot heran!« rief er, den Arm emporstreckend, als ein junger Bursche von kaum fünfzehn Jahren mit einer Lanze auf ihn zusprang und schrie:

»Das ist die Canaille, die meinen Bruder hat erschießen lassen,« und dabei holte er mit der Waffe aus und führte einen Stoß nach dem Mulatten, der vielleicht verderblich geworden, wäre nicht in dem entscheidenden Moment eine andere, eben so jugendliche Gestalt dazwischen gesprungen.

Es war Juan, der, Franco's kleinen Koffer in der linken, die zusammengerollte Hängematte in der rechten Hand, die letztere in Todesangst gegen die Lanze werfend, schrie:

»Pero, muchacho!«

Franco bog sich zugleich erschreckt zurück, der Stoß war aber mit solcher Wuth geführt worden, daß er dem General noch die Kleider an der rechten Seite aufriß und die Hüfte streifte. Er wartete indeß keinen zweiten ab, sondern flog mehr als er lief den steilen Damm hinunter und warf sich in das Boot.

»Fort! fort! es gilt Euer Leben!«

Juan behielt kaum noch Zeit, die Hängematte wieder aufzugreifen und ihm zu folgen, als die Leute schon mit voller Kraft vom Ufer abstießen und das schwankende Boot in den Fluß hinausschoben.

Und mit welchem guten Willen legten sich die Burschen jetzt in die Ruder, um das kleine Fahrzeug rasch vorwärts zu bringen, denn sie trauten ihrer Fracht gar nicht und fürchteten jeden Augenblick, daß ihnen ein Bleigruß vom Lande nachgeschickt würde; aber Niemand dachte daran.

Ob die Leute gerade keine geladenen Gewehre bei der Hand hatten, oder ob es ihnen genügte, den frechen Usurpator los zu sein und unschädlich gemacht zu haben, genug, kein Schuß fiel; doch hohnlachend und fluchend standen die Männer am Strande und folgten mit ihren Blicken dem Boot, das einen Menschen trug, der schon unsagbares Leid über das Land gebracht hatte und dessen Niederlage und Flucht den furchtbaren, verheerenden Bürgerkrieg doch endlich unterbrach.

Hinten im Heck des kleinen Bootes, während sein treuer Juan scheu zu seinen Füßen kauerte, stand indessen der verjagte Präsident des Reiches – der heer- und machtlose General Franco, wie er sich von jetzt an nannte, und starrte mit finster zusammengezogenen Brauen nach der blinkenden Laternenreihe hinüber. Hätte er in diesem Augenblick den unterirdischen Mächten gebieten können, nicht fünf Minuten länger würde das verrätherische Guajaquil zum Sternenhimmel hinaufgeschaut haben.

Aber noch blieb ihm ein anderes Mittel, sich zu rächen, und seine kleinen, zusammengekniffenen Augen funkelten, als er sich im Geist ausmalte, wie die Kugeln des peruanischen Dampfers ihr Ziel suchen und die Stadt in eine feurige Lohe verwandeln würden, die so frech gewesen war, das Joch abzuschütteln, das seine Hand ihr aufgelegt hatte. Kaum konnte er die Zeit erwarten, bis sein Fuß das Deck des schützenden Dampfers betrat, und kaum berührte der Bug des Bootes die niedergelassene Fallreepstreppe, als er in wilder Hast an Bord kletterte und mit seinen Blicken das Deck überflog, um den Capitain zu finden.

Dieser, der Doctor Ruibarbo's Haus schon gleich nach dem Diner verlassen hatte, um einen Auftrag Franco's auszuführen, und dann nicht wieder an Land zurückgekehrt war, weil seine dort stationirten Leute ihm Meldung brachten, daß irgend etwas in Guajaquil im Werke sei und sie vielleicht eine unruhige Nacht erwarten dürften, kam, als er den General hinaufklettern sah, ihm entgegen und sagte freundlich:

»Excellenz, ich freue mich aufrichtig, Sie noch bei mir an Bord begrüßen zu können. Sie zögerten so lange, daß ich schon das Schlimmste fürchtete.«

»Commodore« sagte Franco mit vor innerer Erregung ganz heiserer Stimme, »Sie wissen am besten, daß ein Führer seinen Posten nur im letzten Augenblick, und wenn er sieht, daß keine weitere Rettung mehr möglich ist – verlassen darf. – Das habe ich gethan, aber nur erst, als schändlicher, niederträchtiger Verrath Gesetz und Ordnung gewaltsam über den Haufen warf. Aber Gott sei Dank, noch haben wir die Macht, jenes Gesindel, das wir an seiner ruchlosen That nicht verhindern konnten, wenigstens zu züchtigen, und ich ersuche Sie jetzt im Namen des Präsidenten Castilla, Ihres Vorgesetzten und meines Freundes, die verrätherische Stadt ohne Weiteres in Brand zu schießen. Als erstes Ziel bitte ich Sie dabei, mir zu Gefallen, jenes hellerleuchtete Haus zu wählen, in welchem die Verräther in diesem Augenblick versammelt sind, und dann werfen Sie Brandraketen und Granaten in die Stadt, bis kein einziges Haus mehr stehen bleibt, das einem der verdammten Rebellen Schutz gegen Sonne oder Regen bieten könnte.«

»Excellenz,« entgegnete der Seemann verbindlich – »ich stelle Ihnen mein ganzes Schiff zur Disposition, so weit es die Bequemlichkeit Ihrer selbst oder die Richtung Ihrer Reise betrifft, aber diesem Befehl darf ich nicht gehorchen.«

»Castilla selber hat mir die Vollmacht gegeben,« rief Franco rasch, »die Stadt bombardiren zu lassen.«

»Erst heute Morgen, Excellenz, habe ich von meiner Regierung, und zwar vom Präsidenten Castilla selber unterzeichnet, ganz bestimmte Ordre erhalten, bei der gar kein Mißverständniß möglich ist, und diese lautet, hier noch vor der Hand zu Ihrem Schutze liegen zu bleiben, mich aber bei einem Angriff auf die Stadt vollkommen neutral zu verhalten und keinen Schuß abzufeuern, bis ich nicht selber angegriffen würde oder sonst weitere Befehle von Lima direct erhielte.«

»Commodore,« rief Franco fast außer sich, »ich mache Sie für alle Folgen verantwortlich, wenn Sie sich jetzt weigern, die Rebellen zu züchtigen, wo wir es noch in der Gewalt haben. Wenn dadurch mein alter Freund Castilla seine Ansprüche verliert, so seien Sie versichert, daß er –«

»Es thut mir leid, Excellenz,« unterbrach ihn achselzuckend der Peruaner, »Ihren Wünschen hier nicht entsprechen zu können. Die Verantwortlichkeit dafür, dem Präsidenten Castilla gegenüber, trage ich natürlich ganz allein. Aber wollen Sie sich nicht in die Kajüte hinunter bemühen? Sie werden dort eine große Anzahl Ihrer Freunde treffen. Excellenz befehlen doch, nach Callao gebracht zu werden, nicht wahr?«

Franco biß sich auf die Lippen. Seine ganze Macht war mit Einem Schlag gebrochen und er selbst nichts als ein gewöhnlicher Passagier auf dem Dampfer. Ein letzter Blick noch fiel nach Guajaquil hinüber und suchte unwillkürlich das Haus, welches am meisten seinen Haß und Ingrimm erweckte. Dann wandte er sich ab und sagte zu dem Capitain:

»Lassen Sie mir meine Kajüte anweisen, Señor, und so rasch Sie können, Ihre Kessel heizen. Jede Stunde, die ich noch länger hier weile, verzögert meine Rückkehr. Ich muß nach Lima, um mit Castilla selber zu sprechen.«

»Ihre Wünsche sollen augenblicklich befolgt werden, Excellenz. Hier, Pedro, führe den Herrn in den für ihn bestimmten Salon. Du stehst mir dafür, daß es Seiner Excellenz an nichts fehle. Wie ich die übrigen Herren alle bequem unterbringen werde, weiß ich freilich noch nicht, aber sie müssen sich für die kurze Zeit, so gut es eben gehen will, einrichten.«

Franco schwieg. Was lag ihm an seiner Bequemlichkeit, wo ihn Höllenqualen von tausend zertretenen Hoffnungen und Plänen, von unbefriedigter Rache, von Haß und Eifersucht folterten. Mit raschen Schritten folgte er dem Kajütenwärter nach der für ihn bestimmten Kajüte, in welcher er schon seine beiden vorausgeschickten Koffer fand. Dann befahl er seinem Juan, ihn unter keiner Bedingung zu stören, riegelte die Thür hinter sich zu und warf sich, eine Welt voll Haß und Ingrimm im Herzen, auf sein schmales Lager.

Eine Stunde später waren die Kessel geheizt. Vor etwa einer halben Stunde war der andere Dampfer nach Payta abgefahren, und jetzt fing auch hier die Maschine an zu arbeiten, der Anker hob sich, und das Schiff schwankte in den Strom hinaus und glitt still und geräuschlos über die glatte Fläche.

Auf dem Verdeck aber stand der Capitain und schaute staunend nach Guajaquil hinüber, das so ruhig dalag, als ob es nie einen Bürgerkrieg in seinen Mauern gehabt hätte.

War das eine, vor kaum einer Stunde vom Feind genommene Stadt? Kein Schuß, kein Geschrei ward gehört; kein Haus sandte die rothe Lohe in die Nacht hinein. Einzelne Fenster glänzten noch hell erleuchtet, ja in dem einen – er ließ sich rasch sein Nachtglas bringen, weil er seinem Auge nicht trauen wollte – in Ruibarbo's Hause wurde sogar noch getanzt, denn deutlich konnte er die an den Fenstern vorbeiwirbelnden Paare bemerken.

Kopfschüttelnd schob er sein Glas wieder zusammen. Die Leute hatten entweder von dem Umsturz der bisherigen Regierung noch gar nichts erfahren oder – tanzten von einer in die andere hinüber, und selbst der an Revolutionen gewöhnte Peruaner fand das außerordentlich.

Aber immer undeutlicher wurde das Bild, je mehr der Dampfer sich von der Stadt entfernte. Schon bildeten die Uferlaternen mit ihren glänzenden Punkten nur einen schmalen hellen Streifen – jetzt verschwanden sie ganz. Das Schiff, das Franco aus Ecuador trug, hatte die nächste Biegung des Stromes umfahren und eilte jetzt keuchend der Mündung des Guajaquil entgegen.



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