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»Ave Maria,« rief der Doctor, als landesübliche Anrede bei dem Betreten jeder fremden Wohnung, wie er nur den Kopf so hoch hatte, daß er über die Schwelle sehen konnte, und lächelte dabei auf seine liebenswürdigste Weise.
»Purisima!« lautete die monotone Antwort des Insassen, Señor Nunez, der schon bei dem ersten Gewitterschlag seinen halb geflochtenen Panamahut, wegen Mangels eines Kastens, in einen von Weiden geflochtenen Korb geschoben hatte. »Caramba, Doctor Ruibarbo,« setzte er aber auch im nächsten Augenblick hinzu, als er das dicke, lächelnde Gesicht des Mannes über den ersten Leitersprossen entdeckte. – »Sie kommen ja, als ob Sie gerade vom Himmel mit herunter geregnet wären.«
»Hier herein oder herauf geregnet sind wir jedenfalls,« schmunzelte der Doctor. »Aber wie geht es, Freund Nunez? Wie sind die Zeiten? – Was macht meine liebwertheste Frau Gevatterin – und – alle Wetter, da ist ja mein Pathchen – ei, ist der kleine Schlingel groß geworden – dem Vater wie aus den Augen geschnitten.«
Nunez schmunzelte, denn so plump das Compliment auch sein mochte, – da der kleine fette Bursche nur ein gutes dickes und rundes Gesicht hatte und noch gar keinem Menschen auf der Welt ähnlich sah, wie eben alle kleinen Kinder, – that es ihm doch wohl. – Aber seine so freundlichen Züge nahmen rasch einen finstern Ausdruck an, als er dicht hinter dem jetzt auf die Diele tretenden Doctor die gerade nicht gern gesehene Uniform des Usurpators entdeckte.
Ob es der Doctor bemerkt hatte, denn seine kleinen blinzelnden Augen zuckten überall umher, – kurz er drehte sich rasch nach dem ihm Folgenden um, und die Hand gegen ihn öffnend, sagte er zur Einführung:
»Ein Freund von mir, lieber Nunez, Hauptmann Fortunato von den Tiradores, der mit mir Ihre Gastlichkeit in Anspruch nimmt, um dieser Miniatur-Sündfluth aus dem Wege zu gehen. Uebrigens,« setzte er lächelnd hinzu, »sind diese Herren jetzt hier überall zu Hause, denn Seine Excellenz unser tapferer General Franco, hat Besitz von dem Land ergriffen und ist eben im Begriff, einen kleinen Spaziergang nach Quito zu machen, um sich dort oben im Stuhl des Präsidenten auszuruhen.«
»So?« – sagte Nunez trocken – »na, da wünsch' ich ihm viel Vergnügen und – daß er sich unterwegs nicht weh thut – aber bitte, wollen sich die Herren nicht setzen? Das ist ein Heidenwetter und wird wohl ein oder zwei Stunden anhalten.«
»Schöne Aussichten,« lachte der Doctor, der einen raschen und forschenden Blick auf seinen militärischen Begleiter warf, wie der die etwas herausfordernden Worte aufgenommen hätte. Fortunato aber schien sie gar nicht gehört zu haben oder wenigstens nicht zu beachten, denn in dem Augenblick tauchte auch der Kopf der Señora Nunez in der kleinen Seitenluke auf – das wahre Modell einer eingeborenen Frau, mit edel geschnittenen Gesichtszügen, vollen üppigen Formen und dem großen sprechenden Auge, das eigentlich allen Südländerinnen eigen und besonders in Südamerika so häufig ist.
»Ha, die Señora,« rief aber auch der Doctor, der sie ebenfalls bemerkt hatte, indem er sich in Bequemlichkeit auf den Rand des in der Ecke befestigten Bettgestells setzte und die darüber hängende Guitarre vom Nagel nahm.
»Meine Theure, wie geht's – was treiben Sie hier in diesem abgelegenen Winkel der Erde? Immer noch so blühend und frisch wie eine junge Rose!«
»Guten Tag, Señores,« sagte die junge Frau, sowie sie den oberen Theil der Leiter erreicht hatte, indem sie sich mit natürlicher Grazie gegen die beiden Fremden verneigte. Dann aber ging sie auf den Pathen ihres Kindes zu – denn die Gevatterschaft wird in Südamerika viel ernster aufgefaßt als bei uns und wie ein Grad von naher Verwandtschaft betrachtet, – reichte dem Doctor herzlich die Hand und sagte: »Das ist brav von Euch, Señor, daß Ihr Euch auch einmal wieder nach dem kleinen Burschen umseht. Ich glaubte schon, Ihr hättet ihn ganz vergessen.«
»Werde ich meinen Leibpathen vergessen,« schmunzelte der Doctor, indem er die Hand der Frau herzhaft schüttelte und dann ein paar Accorde auf der Guitarre griff, um sie zu stimmen. »Hab' ihm sogar etwas mitgebracht – und ehe ich's vergesse, geb' ich's lieber gleich ab. Da, Señor,« setzte er hinzu, indem er in die Tasche griff und einen spanischen Thaler, einen Pesos fuerte herausnahm und gegen den zu ihm hinkriechenden Kleinen aufhob, »das ist für Dich, und die Mutter mag Dir's aufheben, denn wenn Du es hier zum Spielen bekommst, fällt es Dir durch die Ritzen in den Gemüseladen, und so früh brauchst Du noch kein Geld in das Geschäft zu stecken.«
»Danke, Señor,« sagte die Frau, indem sie den ihr hingereichten Thaler lächelnd nahm – »er soll ihm richtig aufgehoben werden. Was das aber für ein Glück war, daß Sie das Haus noch gerade vor dem Guß erreicht haben! – Gedulden Sie sich nur einen Augenblick – Sie sind doch ein wenig naß geworden – ich mache Ihnen gleich eine Tasse Chocolade.«
»Bitte, Señora – keine Umstände –«
»Ach was, werde mir doch nicht nachsagen lassen, daß ich den Pathen meines eigenen Kindes ohne einen Imbiß habe von meiner Schwelle gehen lassen! Die Schande dürften Sie mir gar nicht anthun – werde im Augenblick fertig sein.« Damit wirthschaftete sie rüstig an dem kleinen Herd herum, während der Doctor, sein rechtes Bein über das linke schlagend, gerade die Guitarre in Stand gesetzt hatte und jetzt eins jener kleinen ecuadorianischen Lieder präludirte, die mit einem ganz eigenen Rhythmus schwermüthig, aber melodisch klingen.
»Und wo ist Jacinta?« warf er dabei hin – »ich habe sie noch gar nicht gesehen. Wir sind hier so hübsch beisammen und sollten eine kleine Marimba arrangiren.«
»Jacinta?« frug Fortunato, der an das junge Mädchen von gestern dachte.
»Ah, die Pflegetochter vom Haus,« sagte der Doctor, »ein allerliebster kleiner Schatz.«
»Das arme Ding,« antwortete die Frau, emsig dabei bemüht, das Feuer wieder anzublasen, »sitzt unten im Laden, – ihr ist heute nicht wie Tanzen zu Muthe.«
»Ist sie krank?«
»Krank? – nun ja – Herzweh ist auch eine Krankheit und manchmal schlimmer wie ein böses Fieber, denn es heilt sich eigentlich nie wieder ordentlich aus.«
»Ah bah,« sagte der Doctor, »junge Mädchen glauben immer, das Herz müsse ihnen brechen, wenn ihr Schatz einmal mit einer Andern schön thut,« und das Lied jetzt intonirend, sang er mit einer sehr angenehm klingenden halblauten Stimme:
»Amor y constancia deben detener
Los aficionados, para merecer -«
»Ach, 's ist mehr als das,« seufzte die Frau mit einem recht aus tiefster Brust heraufgeholten Athemzug, indem sie das Wasser aus einer Calabasse in den kleinen eisernen Kocher goß und diesen in die Kohlen rückte – »aber wir wollen uns den Tag nicht mit trüben Gedanken verderben. – Spielen Sie 'was Lustiges, Doctor.«
»Aha, da kommt auch schon Besuch,« lachte dieser, als bei den Klängen des Instruments ein paar dunkle Gesichter über der Leiter auftauchten und mit freundlichem Grinsen den Spielenden begrüßten. Es waren Nachbarn oder Bekannte – wen kümmerte es? Oben im Hause wurde Musik gemacht, und wer Lust hatte, ging hin, um daran Theil zu nehmen – das verstand sich von selbst. Eine Einladung war unter keinen Umständen nöthig.
Was die Leute hier wollten – wozu der Franco'sche Officier zu ihnen gekommen war? – es fiel Keinem ein, danach zu fragen. Eben so zwecklos, wie sie selber oft in irgend eine andere Wohnung gingen und dort Stunden lang sitzen blieben, eben so zwecklos war möglicher Weise auch der fremde Besuch. – Und wäre das wirklich nicht der Fall gewesen? Nun, dann sagte er es doch jedenfalls, ehe er fortging – oder vergaß es auch in der Zeit – wie oft fiel das vor – aber was that's? Man kam dann ein andermal wieder – morgen – über acht Tage, in vier Wochen – was wissen diese Menschen von Zeit und ihrem Werth. Wie die Eintagsfliegen leben sie, um zu leben, und – sind glücklich dabei.
Der Doctor, der selber das Leben von der heitersten Seite nahm und nichts so sehr haßte, als bei irgend einem trüben Bild zu verweilen, – Theilnahme an fremdem Leid kannte er überhaupt nicht – erfüllte den Wunsch der jungen Frau gern, und kaum hatte er aus den Saiten der Guitarre die monotonen, aber oft von lebendigen Variationen unterbrochenen Klänge der Marimba gelockt, als auch Leben in die Besucher kam, denn wie hätten sie einer solchen »Aufforderung zum Tanz« widerstehen können.
Draußen goß der Regen noch in wahren Sturzbächen nieder und verwandelte die breite Straße in eine weite Lache, in der die niederschlagenden Tropfen große, schmutzige Blasen bildeten; vom Dach nieder formte er einen ordentlichen dichten Schleier um das ganze Haus, aber daran kehrte sich die leichtherzige Schaar nicht, die den so gern gehörten Tönen mit der gespanntesten Aufmerksamkeit lauschte. Mochte es regnen wie es wollte! Zuckende Blitze wie rollende Donner entlockten ihnen vielleicht einmal ein unbewußtes und kurz ausgestoßenes: Ave Maria! oder ein lachendes Caramba! – weiter nichts. Hier war es trocken – Musik erfüllte die Luft, und hier fühlten sie sich in ihrem Element.
Auch die Frau hatte dem Reiz der Volksweise nicht widerstehen können. Ein Tanz wurde gespielt, und sie hätte schwereres Blut haben müssen, um da gleichgültig zuzuhören. Wie unwillkürlich nahm sie ein weißes Taschentuch aus der kleinen Lade, die an der Seitenwand an Bastseilen hing, um die Insecten daraus fern zu halten, rief die Leiter hinab: »Komm einen Augenblick herauf, Jacinta, und sieh nach der Chocolade, Schatz,« und trat dann mit einem herausfordernden: »Nun, wer ist's?« das geöffnete Taschentuch von der rechten Hand niederhängend, die linke in die Seite gestemmt, mit reizender Anmuth mitten in die Stube.
Aber sie brauchte nicht lange zu fragen – Tänzer gab es genug, und ehe ihm ein anderer zuvorkommen konnte, sprang Fortunato selber auf den Platz ihr gegenüber. – Eine kurze Weile hatte er nachdenkend gesessen, denn der Name Jacinta rief ihm die Scenen der Hinrichtung in's Gedächtniß zurück, doch der Moment riß ihn hin. Die junge, wunderhübsche Frau, zum Tanz bereit, die Musik verführerisch verlockend – er hätte kein Ecuadorianer sein müssen, wenn er der Marimba widerstehen konnte, und »Bravo, bravo!« rief der Doctor, als er also in die Arena sprang.
Einen Augenblick, es ist wahr, erschrak die Frau, denn sie hatte nicht erwartet, daß gerade der Officier ihre Aufforderung aufgreifen würde, und das Franco'sche Regiment war zu wenig beliebt im Lande, um seinen »Stützen« eine Gunst zu gewähren. Aber es war zu spät; zu stark lockte die Musik und wenige Secunden später neigte sie sich gegen ihren Tänzer, und die geheimnißvollen, aber äußerst zierlichen und gefälligen Windungen der Marimba, die außerordentliche Aehnlichkeit mit der chilenischen Sambacueca zeigt, begannen.
Der Herr wie die Dame halten ein Tuch in der Hand, das sie bald gegen einander schwenken, bald kokett herüber und hinüber neigen. Es ist dabei – wie bei allen spanischen Nationaltänzen – keine Spur von jenem ungraziösen Beinwerfen und besonders Bein heben, wie wir es auf europäischen Theatern als »spanische Tänze« vorgeführt und von ältlichen Herren rasend beklatscht sehen. Jede Bewegung ist nicht allein natürlich, sondern auch würdig und geschmackvoll, und doch wird weder gehüpft noch gesprungen, sondern nur allein getanzt.
Der Zuschauerkreis hatte sich, ungeachtet des noch immer niederströmenden Regens, um ein Bedeutendes vermehrt, denn auf diese halbnackten Gestalten macht die Nässe keinen erkältenden Eindruck bei einer Temperatur von vierundzwanzig Grad Réaumur. Der leichte Kattun trocknet im Handumdrehen, und auf der fettigen Haut haftet überhaupt schwer ein Tropfen Feuchtigkeit. Die Gesichter erglänzten in kindlicher Heiterkeit, und hätten die Leute überhaupt einen Gedanken an die Invasion des Landes durch einen Usurpator gehabt, der ihnen ihre bürgerlichen Rechte zu nehmen drohte, ja öffentlich erklärt hatte, daß er aus dem ganzen Ecuador einen Militärstaat machen wollte, so wich er vor der augenblicklichen Lust, da Fortunato meisterhaft tanzte. – Alles Andere ging sie gar nichts an. Der Mann hatte vielmehr ihr Herz gewonnen und in der einen Viertelstunde mit seinen Füßen mehr Propaganda für Franco gemacht, als ob er ihnen die längste und überzeugendste Rede gehalten hätte.
Inmitten des Tanzes, unbemerkt von den Umstehenden, kam Jacinta die Treppe herauf, um dem Auftrag ihrer Pflegemutter zu gehorchen und – wie sie es gewohnt war – die Wirthschaft mit zu besorgen. Ohne auch dem Tanz nur einen Blick zu schenken – denn die laute Fröhlichkeit machte sie das eigene Leid nur noch tiefer fühlen – schritt sie zum Herd, kochte und quirlte die Chocolade, schenkte sie in die schon von der Frau bereit gestellten Tassen, und konnte sie nur noch nicht herumreichen, weil der Doctor noch keine Pause im Musiciren machte.
Sie blieb bei ihrem Präsentirteller stehen und erwartete die Schlußaccorde. Da fiel ihr Blick zufällig auf den Tänzer, der eben dicht bei ihr vorüber schwenkte, und ihr Herz hörte einen Moment auf zu schlagen, denn auf den ersten Blick erkannte sie in ihm den Retter Benito's. Was führte ihn hierher – in ihre Behausung –? Und war nicht der Mulatte in seiner Begleitung, dessen tückisches Antlitz sie, als sie gestern Abend die Balsa verließ, gesehen und den sie unter Tausenden wiedererkennen wollte?
Die Gedanken schwirrten ihr so wirr und wild durch den Kopf, daß sie das Aufhören des Tanzes unbemerkt ließ. Der Doctor hatte nämlich wahrgenommen, daß die Chocolade fertig sei. Als ihm der Duft derselben in die Nase stieg, machte er eine Pause, und die Señora rief das Mädchen an:
»Jacinta!«
»Ja, Señora.«
Fortunato drehte sich bei dem Klang der Stimme rasch um und erkannte jetzt ebenfalls das junge Mädchen, das einen so innigen und erschütternden Antheil an dem Verurtheilten genommen. Aber Jacinta wich seinem Blick aus. Sie durfte die Bewegung, in der sie sich befand, nicht den Anderen verrathen und schritt zuerst zu dem Doctor, um diesem die Chocolade zu reichen.
»Sieh da, Jacinta, mein Herzchen,« sagte dieser, indem er ihr mit einem väterlichen Anstrich die Wange klopfte, – »aber was fehlt dem Kind, Frau Gevatterin? – Sie sieht bleich und niedergedrückt aus. Ach, ich weiß schon,« brach er kurz ab, als ihm einfiel, was die Frau vorhin erwähnt, »aber laß gut sein, Kleine. Es sind noch so gute Fische in der See, wie je herausgenommen wurden, und Du bist noch viel zu jung, um jetzt schon das Köpfchen hängen zu lassen.«
Er langte dabei nach einer der ihm gebotenen Tassen, und Jacinta wandte sich ab von ihm; die spöttischen Worte hatten sie verletzt. Sie trat darauf zu dem andern Gast, und ihr Blick begegnete in furchtsamer Scheu dem seinen. – Weshalb kam er heraus? Um ihr eine Schreckenskunde – die Nachricht geschehenen Unheils zu bringen? Lieber Himmel, sie war es schon gar nicht mehr gewohnt, irgend etwas Freudiges zu erfahren. Aber sein Gesicht verrieth nichts der Art. Fortunato sah freundlich aus und schien ihr nichts auszurichten zu haben. Gott sei Dank, daß ihre Angst grundlos gewesen. Da jedoch, als sie an ihm vorüber ging, um ihrem Pflegevater eine Tasse zu reichen, bog sich Fortunato leicht zu ihr über und flüsterte: »Er ist in Sicherheit.« Damit schritt er dem vordern Theil des Hauses zu, um nach dem Wetter auszuschauen.
Jacinta's Wangen färbten sich in dem Moment mit hoher, glühender Röthe. Er war in Sicherheit. Sie hätte niederknieen und vor Freude und Gram zugleich weinen mögen.
Das Wetter ließ indessen wirklich nach. Der Donner hatte sich schon lange nach dem Meeresufer zu gezogen, und während die Blitze viel schwächer und in längeren Zwischenräumen zuckten, grollte der Nachhall nur noch dumpf und machtlos aus weiter Ferne herüber. Schon wurden auch am Himmel wieder einige blaue Flecke sichtbar, und nur zerstreut schwere Wolkenstreifen – Nachzügler der vorbeigejagten Nebelmassen – gossen noch ihre letzten Vorräthe in kurzen, aber deshalb nicht minder gut gemeinten Schauern nieder. Es wurde Zeit, an den Aufbruch zu denken.
»Doctor,« sagte der Hauptmann, »ich meine, wir gehen lieber an unser Geschäft. Sie wissen, ich darf nicht zu lange von Bodegas entfernt bleiben.«
»Ja wohl, Señor Capitano,« versetzte der Doctor freundlich, indem er sich eine frische Cigarre drehte und anzündete. »Wir können die Sache aber gleich hier in aller Bequemlichkeit abmachen, denn Señor Nunez wird, wie ich fest überzeugt bin, uns nicht allein mit Freuden unterstützen, sondern vielleicht die ganze Lieferung selbst übernehmen. – Amigo!«
»Señor,« sagte Nunez, der durch die letzten Worte aufmerksam geworden war, »womit kann ich Ihnen dienen?«
»Die Sache ist ganz einfach,« erörterte Ruibarbo. »Seine Excellenz der Herr General Franco braucht nämlich zu seinem für die nächsten Tage beabsichtigten Marsch nach Quito eine große Anzahl von Lastthieren. Natürlich muß er dafür auch Futter haben, wenn sie ihm nicht sollen unterwegs liegen bleiben. Er hat deshalb eine bedeutende Lieferung Aerba (Futterkraut) ausgeschrieben. Täglich verlangt er zweihundertfünfzig Gebund oder das Entsprechende an Mais oder Zuckerrohr.«
»Wie wollen Sie das hier zusammentreiben?« erwiderte der Mann trocken und wie mit einem spöttischen Zug um den Mund.
»Amigo de mi alna,« lächelte der Doctor, indem er seinen Blick vertraulich über die sonst noch Anwesenden schweifen ließ, »ich kenne die Nachbarschaft zu genau, um nicht zu wissen, daß die Möglichkeit vorhanden ist, die nöthige Quantität zu liefern, wenn nämlich der gute Wille da ist! Da ich Freunde hier ringsum besitze, hat mich Seine Excellenz mit seinem Vertrauen beehrt. Es gilt, die Leute im Guten zur Lieferung dessen zu bewegen, was ihnen im entgegengesetzten Fall ohne Bezahlung genommen würde.«
»Alle Wetter!« brummte Nunez, »das ist klar genug ausgedrückt.«
»Krieg ist Krieg, bester Freund,« sagte achselzuckend der Doctor. »Daß die Armee Lastthiere braucht, wißt Ihr; daß die Lastthiere fressen müssen, seht Ihr ebenfalls ein, und daß ein Oberbefehlshaber, dem die Verantwortlichkeit für das Ganze auf den Schultern liegt, die Thiere, die ihn weiter bringen sollen, nicht wird verhungern lassen, wenn es ihn nur einen Befehl kostet, sie am Leben und bei Kräften zu erhalten, wird Euch ebenfalls einleuchten. Also seid vernünftig, Gevatter. Ihr habt selber große Yerbafelder – Eure Nachbarn schaffen täglich große Massen von Kraut in die Stadt, und wenn Ihr Euch der Sache annehmen wollt,« setzte er hinzu, indem er sich mit einem halbscheuen Blick auf den Officier leicht zu Nunez überbog, »so könnt Ihr ein hübsch Stück Geld damit verdienen.«
Der Tanz war im Nu vergessen. Der Ernst des Lebens schaute wieder durch alle Ritzen und Spalten in das Palmen-Haus und Señor Nunez kratzte sich verlegen hinter den Ohren. Fortunato aber, der wohl fühlte, daß der Doctor die ganze Sache viel besser und rascher abmachen würde, wenn er nicht dabei wäre, sagte, indem er seinen Hut ergriff: »Señor Medico, ich will einmal nach unseren Pferden sehen, denn wie mir scheint, haben wir das schlimmste Wetter überstanden. Versuchen Sie indessen, mit den guten Leuten in Ordnung zu kommen; ich werde mir nachher Antwort holen.« Mit den Worten stieg er die Außenleiter hinunter.
Unten stand Viruta neben den abgesattelten Thieren, um die Sättel wenigstens soviel als möglich trocken zu halten. Er hatte Jacinta auch schon bemerkt und augenscheinlich wiedererkannt. Aber obgleich sie jetzt ebenfalls in den Laden hinunterstieg, achtete er gar nicht auf sie, und sagte nur zu Fortunato in seiner demüthigen Weise:
»Wie ist es, Señor? – das Wetter zieht ab, soll ich wieder satteln, oder – hat es noch Zeit? – Señor bleiben vielleicht noch länger hier.«
Fortunato entging der Blick nicht, den der Mulatte wie unwillkürlich dabei nach Jacinta hinüber schweifen ließ, ohne daß der Bursche dabei eine Miene verzogen hätte. Der Hauptmann fühlte auch, daß Viruta von seinem Geheimniß mehr wußte, als er eigentlich sollte, und bezweifelte leider stark, daß er so zuverlässig und ergeben sei, wie er sich stellte. Aber was konnte er thun, als der Sache ihren Lauf lassen? Zu ändern war nichts, und das leichte Blut des Officiers gewann auch bald die Oberhand.
»Wohlan, Viruta,« sagte er, indem er sich eine Cigarre nahm, »ich denke, Du kannst satteln, der Doctor wird hoffentlich inzwischen mit den Herrschaften oben fertig. Willst Du eine Cigarre?«
»Warum nicht?« lachte der Bursche aus dem ganzen Gesicht, indem er die dargebotene nahm.
»Dann hol' auch Feuer dazu herunter.«
Viruta sprang die Leiter hinauf, um dem Befehl Folge zu leisten. Unten näherte sich Jacinta dem Officier, und ohne aufzusehen, raunte sie ihm zu:
»Traut dem Mulatten nicht.« Dann stieg sie, ohne sich aufzuhalten, an der Seitenleiter wieder in das Haus empor.
»Caramba!« brummte Fortunato vor sich hin – »was weiß die Kleine von dem Mulatten? Hat sie meine Gedanken errathen? Und fort ist sie wieder. Ja, Schatz, ich bin ganz Deiner Meinung, mein gefälliger Viruta ist ein Schuft. Aber woran halte ich ihn, daß er nicht zum Verräther an mir wird?«
»Señor!« sprach Viruta, der wieder vor ihm stand und ihm, indem er halb seine Mütze lüftete, seine eigene brennende Cigarre zum Anzünden darreichte.
Fortunato pfiff leise vor sich hin, zündete seine Cigarre an, gab Viruta die seinige zurück und schritt zu seinem Pferd, um selbst den Sattel aufzulegen. Der Regen hatte vollständig nachgelassen, die Sonne schien wieder hell und klar von dem rein gefegten Himmel nieder, und wie in tausend Brillanten funkelten die Blätter der nächsten Bäume und Sträucher im blitzenden Schmuck der Tropfen.
Uebrigens hatte der junge Officier ganz Recht gehabt wenn er glaubte, daß der Doctor in seiner Abwesenheit ihre Angelegenheit besser und rascher arrangiren würde, als wenn er dabei stand. Die Leute konnten sich jetzt ungestört aussprechen, und weiter verlangte Doctor Ruibarbo nichts. Wo es erst einmal zu einem Zungenkampfe kam, wußte er, daß er immer Sieger bleiben würde – besonders den Eingeborenen gegenüber.
»Aber was zum Henker habt Ihr denn eigentlich mit Franco's Feldzug zu thun, Doctor?« hatte Nunez vorhin gefragt, als der Officier kaum die Leiter hinab verschwunden war. Aber er sprach dabei mit unterdrückter Stimme, denn der Boden des Hauses war nicht stark und dicht genug, den Schallwellen irgend ein großes Hinderniß entgegen zu setzen. – »Ich weiß doch, daß Ihr –«
»Bst, lieber Freund,« bedeutete ihn der Gevatter. »Seine Excellenz der Herr General regiert jetzt und hat eine Armee von so exquisiter Wahl um sich her, daß wir nicht umhin können, ihm überall verbindlich entgegen zu treten. Es handelt sich hier auch gar nicht darum, was wir thun wollen oder möchten, sondern allein um das, was wir thun müssen und von dem Standpunkt betrachtet kommen wir am besten und schnellsten zu einem Verständniß.«
»Wer will uns zwingen?« sagte finster Nunez. »Zum Henker mit ihm, wenn es der kleine Mulatte zum Aeußersten treibt –«
»Bst!« warnte der Doctor mit aufgehobener Hand – »wir sind Gevattersleute, Amigo, und ich will nichts gehört haben. Aber wenn irgend eine gehässige Zunge Seiner Excellenz das Wort hinterbrächte, so möchte ich keinen falschen Real für Euer Leben geben. Bedenkt doch nur um Gottes willen, Hombre, daß es den General ein Wort kostet, und seine Leute überschwemmen in einem einzigen Tag Eure ganzen Felder, ruiniren, was sie nicht mitnehmen – und sie nehmen eigentlich Alles mit, wohin sie kommen – es sind Menschen wie die Kinder; was sie sehen, das wollen sie haben – und nachher dürft Ihr nicht den geringsten Anspruch auf Bezahlung machen, denn sie waren in Feindesland, wo sie hausen können, wie sie wollen.«
»Schöne Aussichten für uns von dem neuen Präsidenten,« brummte Nunez halblaut. »Ihr gebt ihm eine ganz vortreffliche Empfehlung, Doctor. Wir könnten unsere Kinder damit zu fürchten machen.«
»Mißversteht mich nicht,« erwiderte Ruibarbo, »das ist nur im äußersten und gewungenen Fall. Jetzt noch bietet er Euch ja Bezahlung für Alles, was er braucht. Mehr könnt Ihr doch beim Himmel nicht verlangen. Er kommt zu Euch wie ein Privatmann, der für baar Geld kaufen will, und verlangt nur dafür die Gefälligkeit, ihm das Gewünschte nicht im alten Schlendrian – wenn es Euch gerade paßt – zu besorgen, sondern unmittelbar daran zu gehen und es herbei zu schaffen.«
»Will er wirklich bezahlen?« entgegnete der Ecuadorianer, noch immer ungläubig mit dem Kopf schüttelnd.
»Wie vielmal soll ich es Euch denn noch sagen?« rief der Doctor. »Die Sache ist so einfach und klar wie irgend etwas. Das Futter wird morgen herbeigeschafft, mit Eurem Willen für Geld, ohne denselben gratis. Also nun thut, was Ihr wollt, aber ich glaube, ich habe als Freund gehandelt, daß ich Euch zum Besten gerathen.«
»Wir haben gar nicht Arbeiter genug, um das Alles bis morgen zu ermöglichen.«
»Das ist kein Hinderniß,« lächelte der Doctor. »Wenn Ihr es ermöglichen wollt, schicke ich Euch heut Abend und morgen früh fünfzig Mann Soldaten heraus, die damit umzugehen wissen. Sie werden Euch gutwillig und um ganz geringen Lohn helfen. Seid Ihr das zufrieden.
»Ihr, Doctor, schickt Soldaten von Franco?« forschte Nunez. »Ja, was zum Henker habt Ihr denn unter des Mulatten Soldaten zu befehlen?«
»Ich werde seine Excellenz darum ersuchen,« erwiderte der Doctor, dem es augenscheinlich unangenehm war, daß der Mann das Wort aufgegriffen hatte – »ich selber habe natürlich gar nichts mit den Soldaten zu thun, und es steht mir kein Befehl über sie zu. Also wie ist's? Wollt Ihr die Sache in Frieden abmachen? Leute, seid doch um Gottes willen vernünftig – es ist sonst Euer eigener schwerer Schaden. Ueberlegt Euch Euren Vortheil noch einmal,« setzte er hinzu, als er sah, daß Nunez und die paar Nachbarn, die noch im Haus waren, unschlüssig standen – »und nachher setzen wir uns zusammen und rechnen aus, was Jeder übernehmen kann, und zu welchem Preis.« Damit nahm er die Guitarre wieder auf, klimperte einige kleine Sätze, spielte dazu mit den Kindern und unterhielt sich auf das Liebenswürdigste mit der jungen Frau, ohne ein Wort in die Berathung der Gruppe hinein zu reden, bis diese endlich von selbst zu einer Entscheidung kam.
Es war in der That das Beste – vielleicht sogar das Einzige, was sie thun konnten, sich in Gutem in den Willen des für den Augenblick allmächtigen Generals zu fügen. Außerdem lockte sie das Geld – Weide gab es jetzt gerade genug, Futter, Mais und andere Dinge konnten sie, wenn es gebraucht wurde, immer billiger aus dem innern Lande beziehen – am Ende war es gar kein so übler Handel, nur die Bedingungen mußten noch festgestellt werden.
Das war bald geschehen. Sobald der Doctor bemerkte, daß er sie so weit hatte, sammelte er den kleinen Trupp um sich, legte die Guitarre hin, nahm Papier und Bleistift und entzückte die Eingeborenen durch die unendliche Liebenswürdigkeit, womit er ihnen sogar einen noch etwas höheren Preis für ihre Producte gewährte, als sie hatten fordern wollen.