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Unmittelbar am südlichen Fuß des Chimborazo, aber immer noch hoch genug an dessen Abhang hinaufgebaut, um außer dem Bereich der Tropen sich zu befinden, und zwei gute Tagereisen von Bodegas entfernt – während beladene Maulthiere drei bis vier Tage gebrauchen, um es zu erreichen – liegt Guaranda, nächst Bodegas der Hauptstapelplatz für den ganzen gegenwärtigen Binnenhandel Ecuadors.
Von Bodegas fort zieht sich der Weg, nachdem er das flache Land verlassen, allmälig bis nach Guaranda hinauf, von hier aus aber steigt er rasch und entschieden an den gewaltigen Höhen des Chimborazo empor, passirt ein paar kleine Dörfer, Camino real und Tucumbo, kreuzt dann, indem er den Chimborazo unmittelbar an seiner Linken läßt, den höchsten daran hinlaufenden Paß, etwa fünfzehntausend Fuß über der Meeresfläche in's wellenförmige Grasland, erreicht eine erbärmliche Posada, die dort auf dem höchsten Punkt in die Einöde gebaut ist – Alto Tambo, und fällt dann wieder mit wechselnder Steigung nach der Quito-Ebene hinab, die ungefähr in neuntausendfünfhundert Fuß Höhe liegen mag.
Guaranda selber unterscheidet sich wenig von den übrigen ecuadorischen Städten. Es hat eine große Plaza, regelmäßige und eben so regelmäßig schlecht gepflasterte Straßen und eine Unzahl von Posadas mit obrigkeitlich gestattetem Verkauf – wie auf den Schildern zu lesen ist – von Agua ardiente und anderen gebrannten Wassern. Ein großer Theil seiner Bewohner besteht aber aus Arrieros, deren Maulthiere den Handel mit dem Innern vermitteln.
Wie in einem kleinen Seestädtchen die meisten Menschen Fischer, Lootsen oder Seeleute sind und eine Menge von Wirthshäusern gehalten werden, wo diese ausschließlich verkehren, so verbindet hier ein gemeinsames Interesse die Maulthierhalter, Führer, Treiber und Händler, denn Guaranda hat sich zur Hauptstadt zwischen Quito und Bodegas emporgeschwungen, und Miethverträge für Lastthiere, sei es nun, um Wagen oder Passagiere zu befördern, werden weder in Quito noch Bodegas direct durch, sondern immer nur bis zu diesem Ort abgeschlossen, von wo die alten Führer mit ihren Thieren zurückgehen und das Abkommen mit neuen gesucht werden muß.
Zu diesem Transport, da kein Theil des Weges mit irgend einem Fuhrwerk zu befahren ist, wird eine sehr große Zahl von Maulthieren verwendet, und in Friedenszeiten fehlt es auch nicht daran – es sind deren immer genügend vorhanden. Anders stellte sich aber die Sache jetzt, wo Franco auf der einen, und die Quitener auf der andern Seite, was sie an Maulthieren nur erlangen konnten, zu ihren verschiedenen Zwecken mit Beschlag belegten, während wieder eine große Anzahl Arrieros ihre Thiere in Seitenthäler hinauf und aus dem Weg trieben, um sie nicht in die Hände einer oder der andern Partei fallen zu lassen.
Von der quitenischen Regierung bekamen sie allerdings ihre regelrechte Bezahlung. Aber auch Quito hatte angefangen, Papiergeld zu fertigen, und diese Halbindianer konnten sich nun einmal nicht mit dem Gedanken befreunden, statt baaren Silbers, wie sie es sonst gewöhnt gewesen, ein unansehnlich Stück Papier in Zahlung zu nehmen. Einige Händler gaben ihnen allerdings Waaren dafür, andere weigerten sich aber auch wieder, und ebenfalls hatten sie Umstände damit.
Was that es deshalb, wenn sie auch einmal eine kurze Zeit nichts verdienten – lange konnte der Krieg ja nicht dauern – und ihre Thiere waren ihnen inzwischen gesichert und durften sich einmal ein paar Wochen ordentlich ausruhen.
Dadurch war aber eine ungewöhnlich große Anzahl von Waarenlasten in Guaranda, von wo aus es an Thieren fehlte, um sie weiter zu schaffen, angehäuft worden. Man hatte besonders von Bodegas, in der steten Furcht, daß Franco dort eintreffen würde, alles für Quito und das innere Land Bestimmte nur Hals über Kopf wenigstens bis Guaranda geschafft. Dort aber füllte es jetzt nicht allein die dafür bestimmten Waarenschuppen, sondern auch die Verandas sämmtlicher Posaden, ja selbst eine Anzahl zu diesem Zweck gemietheter Privathäuser an.
Da lagen Hunderte von Säcken Anis, ganze Waarenhäuser voll quitenischer Tuche und Baumwollenstoffe, so wie wasserdichter Fabrikate, die außerordentlich gut und billig da oben gearbeitet werden – Hunderte von Kisten mit Schuhen und Stiefeln – sogar eine Menge von Kunsterzeugnissen – lange runde Ballen mit Oelgemälden, Kasten mit Schnitzereien und anderen Sachen – englische Manufacturwaaren, Porzellan und Glas, kurze Waaren, ganze, in einzelne Theile zerlegte Maschinen, Meubles – Pianinos, die ein einziges unglückliches Maulthier die vielen Tagereisen hindurch in die Berge schleppen mußte – Gewürze, Kaffee, Reis, Cacao, kurz Alles, was das höher gelegene Land nicht selbst erzeugte, Alles aber in tragbare Colli verpackt und jeden Augenblick bereit, wieder auf einen Packsattel geschnürt und expedirt zu werden.
Diese Waaren repräsentirten natürlich einen sehr beträchtlichen Werth, und daß Franco darum wußte und Alles thun würde, um sich in deren Besitz zu setzen und Quito dadurch zu schädigen, läßt sich denken. Flores aber hatte von den Kaufleuten sämmtlicher Binnenstädte schon Boten auf Boten erhalten, die es ihm dringend an's Herz legten, nur keine Zeit mehr zu versäumen und ihren Handel zu schützen.
Deshalb schonte er auch jetzt die Thiere nicht, um Guaranda vor dem Usurpator zu erreichen und zu besetzen, was ihm zugleich den Vortheil bot, dem Feinde auf günstigem Terrain zu begegnen und ihn so von seinen nächsten Hilfsquellen abzuschneiden, daß er gezwungen wurde – wenn er den Platz nicht sogleich forciren konnte – seine Armee wieder von Bodegas aus zu verproviantiren. Damit versäumte er aber natürlich seine beste Zeit, denn wie einmal die Regen begannen, war der Weg nach Quito nicht mehr zu passiren, kaum noch für ein unbepacktes Maulthier.
Indessen schwebten die Bewohner von Guaranda in einer steten Angst, wozu die unaufhörlich wechselnden, oft völlig unbegründeten Gerüchte nicht wenig beitrugen. Jetzt hieß es, Flores habe schon Ambato passirt und sei am Chimborazo; dann kam ein furchtsamer Eingeborener von seiner einsamen Hacienda in die Stadt geflüchtet und meldete, Franco rücke an, er habe den Staub seiner Horden schon in der Straße aufwirbeln sehen, was die Bürger fast zur Verzweiflung trieb, da sie nicht wußten, ob sie den Platz verbarrikadiren und bis zum letzten Blutstropfen vertheidigen, oder die ihnen anvertrauten Waaren lieber preisgeben sollten, um sich nur das Leben und den eigenen Herd zu sichern.
In der Stadt lag nur eine kleine Abtheilung quitenischer Reiter, dieselben, die sich von Bodegas vor dem anrückenden Heer des Usurpators hierher zurückgezogen. Es waren aber kaum fünfzig Mann mit vier Officieren, und diese allein konnten nicht daran denken, den unbefestigten Ort gegen eine Uebermacht zu halten. Sie waren nichts weiter als ein Vorposten, der auf die Hauptmacht zurückfiel, sobald der Feind in geschlossenen Colonnen anrückte.
Heute Morgen nun befand sich die kleine Stadt in ganz besonderer Aufregung, denn man hatte zufällig entdeckt, daß auch Verrath im Werke sei, um die Stadt dem Feinde zu überliefern. Zwei von dem Hauptmann zum Recognosciren auf die Straße gesandte Posten nämlich, die sich dort in den Hinterhalt gelegt, hatten einen Burschen aufgegriffen, der den Weg nach Bodegas einschlug und ihnen verdächtig vorkam.
Als sie ihn anriefen, floh er und erreichte auch den Rand des Dickichts, das ihn bald gegen jede weitere Verfolgung gesichert hätte, aber eine ihm nachgesandte Kugel zerschmetterte ihm den Schädel und ein bei ihm gefundener Zettel bestätigte den schlimmsten Verdacht.
Es standen nur wenige Worte mit einer absichtlich gekritzelten Schrift darauf, aber sie lauteten:
»Weshalb zögern Sie – die Stadt ist unbesetzt – Flores rückt an. Haben Sie meine Botschaft nicht erhalten?«
Das Blatt trug allerdings keine Adresse, aber es konnte nur für Franco bestimmt gewesen sein, den man demnach in nächster Nähe vermuthete.
Der Hauptmann der kleinen Besatzung wußte sich nicht zu helfen. Der Beweis war zu deutlich, um ihn wegleugnen zu können; aber wie jetzt den Verräther auffinden, da den Boten schon seine Strafe so gründlich erreicht hatte, daß er nicht mehr aussagen konnte, wer ihn abgesandt?
Noch während er mit seinen Officieren darüber berieth, wurde Hufgeklapper auf der Straße laut, und gleich darauf schallte ein Jubelruf und ein Hurrahschreien von dort herüber, aus dem man nur den Namen Flores deutlich und klar heraushören konnte.
Es war in der That der General, den die Ungeduld vorausgetrieben hatte, den Stand der Dinge an Ort und Stelle zu untersuchen, da die schwerfällige Truppen- und Gepäckmasse nicht im Stande war, so rasch zu eilen. Er wollte sich überzeugen, wie weit Franco mit seinen Truppen vorgerückt sei, und zugleich das Terrain erkennen, wo er am besten im Stande sein würde ihm eine Schlacht zu liefern, oder doch den Weg zu besetzen und ihn am weiteren Vordringen so lange zu hindern, bis sich das Land ermannte und zu den Waffen griff.
Auch in Latacungo hatte sich eine Masse junger Leute seinem Heere angeschlossen, und in Ambato begeisterte er die Bevölkerung ebenfalls durch eine Rede, die sie nicht allein zu den Waffen rief, sondern auch eine Anzahl Arrieros veranlaßte, ihre sorgfältig aus dem Weg geschafften Maulthiere herbei zu holen und diese selber dem General zur Verfügung zu stellen.
Das aber kaum geschehen, übergab Flores einem der ihn begleitenden älteren Officiere die Organisation der zusammenströmenden Freiwilligen, die sich der Hauptmacht anschließen sollten, nahm frische Pferde und setzte seinen Ritt nach Guaranda fort.
Dieser Stadt hatte er sich indeß sehr vorsichtig genähert, denn in Ambato hieß es schon allgemein, Franco sei bis dorthin vorgedrungen und eben beschäftigt, die quitenischen Waarenlager auszuräumen und mit seinen Lastthieren nach Bodegas und auf Balsas schaffen zu lassen. Schon von dem Guaranda gegenüber liegenden Hang überzeugte sich aber Flores mittelst seines Fernrohres, daß das Gerücht jeder Begründung entbehrte. Allerdings bemerkte er außergewöhnliches Leben in den sonst so stillen und sonnigen Straßen, und die Möglichkeit war da, daß man den anrückenden Feind erwartete; von einem größeren Truppenkörper war aber nichts zu bemerken und selbst auf der hinter Guaranda sich über die Höhen ziehenden Straße, die man von diesem Punkte aus auf eine weite Strecke überschauen konnte, nicht das Geringste von einer nahenden Armee oder von einzelnen vorgeschobenen Posten zu erkennen.
»Lassen Sie mich vorausreiten, General!« sagte da einer seiner Begleiter, ein junger Officier, indem er ehrfurchtsvoll seine Mütze berührte. »Ich bringe Ihnen sichere Kunde, wie es in der Stadt aussieht.«
»Ich danke Ihnen, lieber Espinoza,« lächelte Flores, indem er das Fernrohr wieder zusammenschob, »aber ist wirklich Gefahr in Guaranda vorhanden, so wären Sie derselben mehr ausgesetzt, als einer von uns Anderen, da Sie doch jetzt durchaus ohne Franco'sche Erlaubniß lebendig in der Welt herumlaufen. Uebrigens können wir ruhig sein. Der kleine Mulatte hat die Stadt noch nicht, und wenn meine Leute jetzt ihre Schuldigkeit thun und so rasch heranrücken, wie sie es ermöglichen können, so soll er sie auch nicht bekommen. Einen verzweifelt schlechten Vertheidigungspunkt bietet sie freilich in ihrer tiefen Lage. Wenn der Mulatte die Höhen darumher besetzt, kann er uns nach Belieben mit Brandraketen beschießen und uns hinausräuchern wie die Ratten aus einem Schiffe.«
»Hier wäre ein besserer Punkt,« meinte der junge Mann, »aber dann müßte Guaranda preisgegeben werden.«
»Und das darf nicht sein,« sagte Flores ernst, »noch dazu, da wir an der dortigen Bevölkerung eine kräftige Stütze haben. Nein, mit Gottes Hülfe denke ich Franco noch den Rang abzulaufen. Zu keck wird er sich auch nicht vorwärts werfen, nachdem ihm die Kunde geworden, daß wir unterwegs sind. Aber jetzt hinab! Auch auf die Möglichkeit hin, daß wir einer Streifpatrouille des Usurpators begegnen. Die Stadt scheint in beträchtlicher Aufregung zu sein – jenen aber würden wir mehr Schrecken einjagen, als sie uns, denn sie müßten die ganze Armee hinter uns vermuthen. Vorwärts!« –
Und sein Thier wieder am Zügel nehmend – denn der steile Abhang, der sich hier zu Thal zog, machte das Reiten nur unbequem und that den Thieren weh – schritt er rasch voran, zwischen den großblätterigen blühenden Büschen, die hier, wo die Alpenflora des Chimborazo endete, schon wieder begannen und den Uebergang in die wärmere Zone anzeigten.
Schon an den Außengebäuden der Stadt erfuhr indeß der General, daß Franco'sche Soldaten den Platz allerdings noch nicht betreten hätten, ein Spion aber heute Morgen erschossen sei, der die Stadt habe an den Feind verrathen wollen, und sein Pferd wieder besteigend und ihm die Sporen gebend, sprengte er darauf in vollem Galopp auf die Plaza, um sich von dem Tatbestand zu überzeugen.
Flores war indeß eine in Guaranda zu bekannte Persönlichkeit, um unerkannt hier durch zu reiten. Seine Erscheinung wurde mit Jubel begrüßt, denn man wußte, daß er in diesem Augenblick der einzige Mann in ganz Ecuador sei, von dem man Hülfe, von dem man Rettung von der drohenden Gefahr erwarten konnte, und kaum zeigte er sich in der Straße, kaum riefen die klappernden Hufschläge der Pferde die Bewohner in die Thüren, als auch der Ruf: »Flores! el viva!« vor ihm her schallte.
Flores grüßte dankend im Vorbeisprengen, aber erst vor dem Regierungsgebäude auf der Plaza zügelte er sein Pferd ein, und als er kaum aus dem Sattel sprang und eine Menge bereitwilliger Leute herbeieilten, um die Pferde zu halten, sah er sich schon von dem Hauptmann Belconza, dem Führer des hier gelegenen Streifcorps, begrüßt, der ihn rasch mit den eben stattgehabten Vorfällen bekannt machte und ihn auf die Veranda des Hauses führte.
Die übrigen Officiere hatten sich indeß gegenseitig die Hand geschüttelt; nur Lieutenant Malveca stand abseits, und eine eigene Unruhe schien sich seiner zu bemächtigen, als er den jungen Espinoza unter der Begleitung des Generals bemerkte. Niemand aber achtete auf ihn, denn die Ankunft von Flores nahm die Aufmerksamkeit Aller viel zu sehr in Anspruch.
Aber man ließ die Officiere auch nicht lange da draußen in der brennenden Sonne stehen, und als Espinoza – der die Zurückhaltung seines Feindes jenem von dessen Seite ausgeschlagenen Duell zuschrieb und ihn viel zu sehr verachtete, um sich weiter um ihn zu kümmern – die obere Veranda erreichte, sah er, daß Hauptmann Belconza dem General gerade jenes aufgefundene Schriftstück vorlegte, bei dem es sich darum handelte, den Urheber heraus zu bekommen.
Malveca war den eben Gekommenen gefolgt, aber in der offenen Thür stehen geblieben. – Espinoza hatte ihn dort selber gesehen – als Flores sagte:
»Das ist eine leichte, flüchtige Handschrift, so viel sich der Herr auch Mühe gegeben hat, sie zu verstellen, und ich glaube kaum, daß Viele in diesem Städtchen leben, die so schreiben. Der Bursche muß heraus zu bekommen sein. – Bitte, treten Sie einmal näher, meine Herren, und sagen Sie mir, ob einer von Ihnen nicht vielleicht zufällig diese Schriftzüge kennt.«
Die Anrede galt eigentlich den schon hier befindlichen Officieren, von denen der General voraussetzen konnte, daß sie mit der besseren Klasse der Einwohner während ihres Aufenthaltes bekannt geworden. Seine Begleitung trat aber ebenfalls mit zum Tische, schon aus Neugier, das Document zu sehen, das bestimmt gewesen war, die Stadt an den Feind zu verrathen.
Auch Espinoza näherte sich dem Tisch, hatte aber kaum das Papier in die Hand genommen, als sein Blick fast unwillkürlich nach der Thür hinüberschweifte, in der er noch vor wenigen Minuten Malveca gesehen – der Platz war jetzt leer.
»Nun,« sagte Flores, dem der Blick nicht entgangen – »Sie, Espinoza, werden wohl keine große Handschriftenkunde für Guaranda besitzen – bitte, geben Sie das Blatt einmal den anderen Herren – eh, Compañero!« rief er dann einem Bürger von Guaranda zu, dem Wirth der nächsten Posada, der es sich nicht hatte nehmen lassen, eigenhändig eine Erfrischung für den »General« herbeizuschaffen, und mit einer wahren Flaschenbatterie gerade in diesem Augenblick auf der Veranda erschien – »wissen Sie nicht vielleicht zufällig, wer diese Zeilen geschrieben haben könnte?«
Der Wirth setzte rasch seine Flaschen nieder, wischte sich die Hände an den Hosen ab und trat dann mit einem »zu Befehl, Señor!« zum Tisch, um das fragliche Blatt zu besichtigen, als Espinoza leise zu Flores sagte:
»General, möchten Sie nicht den Lieutenant Malveca einmal veranlassen, Ihnen einige Worte auf ein Blatt Papier zu schreiben.«
»Den Lieutenant Malveca?« rief Flores erstaunt.
Der junge Officier verneigte sich nur leicht, ohne ein Wort weiter zu sagen.
»Bah, Thorheit! junger Freund,« fuhr der General fort, indem er Espinoza scharf ansah. »Malveca hat seine ganze Familie in Quito – alle seine Interessen liegen dort.«
»Und ich bitte gleichwohl darum,« erwiderte Espinoza. »Es braucht gar nichts Kränkendes für den Besagten darin zu liegen. Lassen Sie Schreibmaterialien bringen und befehlen Sie uns Allen, irgend einen Satz aufzuschreiben. Ich kann mich irren, aber ich bitte darum.«
»Gut denn,« sagte Flores nach kurzem Ueberlegen, während der Wirth das Papier noch immer kopfschüttelnd betrachtete, und bald von der, bald von jener Seite hielt; – »apropos, wo ist denn der Lieutenant Malveca? kam er nicht mit uns herauf?«
»Er stand eben noch in der Thür,« sagte Espinoza.
»Hauptmann, bitte, lassen Sie Ihren Lieutenant Malveca rufen! wo ist er? – Ich wünsche alle Officiere für einen Augenblick zusammen zu haben.«
Einer der anderen Officiere war schon die Treppe hinabgesprungen, um den Verlangten wissen zu lassen, daß ihn der General sprechen wolle – er kam nicht wieder. Hauptmann Belconza ging selber und erfuhr unten, daß Malveca vor einigen Minuten sein Pferd bestiegen habe, langsam die Plaza hinabgeritten und um die nächste Ecke gebogen sei. Der junge Officier war ihm dahin gefolgt.
Noch stand der Hauptmann in der Thür, als dieser zurückkehrte und meldete, Malveca sei die Straße hinabgeritten, aber er begreife nicht, was er vorhaben könne, denn er wäre, der Aussage jener Leute dort an der Ecke nach, in die Straße langsam und im Schritt eingebogen, habe dort aber auf einmal seinem Pferd die Sporen gegeben und sei dann in einen scharfen Trab gefallen, daß sein Thier ordentlich Funken aus dem Pflaster geschlagen habe. Beinahe hätte er, noch ein kleines Stück weiter oben, ein junges Mädchen überritten, das gerade vor ihm über den Weg gehen wollte und kaum rasch genug ausweichen konnte.
Der Hauptmann schüttelte den Kopf. Was war dem tollen Menschen eingefallen? Zu dem Regierungsgebäude zurückgekehrt, schickte er augenblicklich eine Ordonnanz hinter Malveca her, um ihn aufzusuchen und herzubescheiden, und blieb dann unten im Haus stehen, um die Rückkunft zu erwarten.
Es dauerte aber wohl eine Viertelstunde, bis der Soldat wiederkam und dann die Meldung machte, Señor Malveca sei aus Guaranda hinaus und auf die Straße nach Bodegas zu gejagt – möglich, daß er dort etwas Verdächtiges bemerkt habe, worüber er Kunde einziehen wolle. Er, der Soldat, sei ihm durch die Stadt gefolgt, und da er nicht das Mindeste von dem Lieutenant bemerkt habe, sei er wieder hierher zurückgekehrt.
Der Hauptmann wußte jetzt noch viel weniger, was er aus dem Allen machen solle, als vorher, und stieg langsam wieder die Treppe hinauf, um dem General Bericht abzustatten. Noch hatte er denselben nicht halb vollendet, als Espinoza ausrief:
»Er ist fort! ich habe mich nicht geirrt.«
»Fort? wohin?« sagte der Hauptmann.
»Zu Franco – er hat den Brief geschrieben – das ist seine Handschrift, denn ich kenne sie genau und er wußte es.«
»Malveca!« schrie der Hauptmann erschreckt – »dann haben wir auch den schlimmsten Feind in Franco's Lager – aber noch ist es vielleicht möglich« – und während er sprach, wollte er der Thür wieder zustürzen.
»Halt, Hauptmann!« rief ihm aber Flores mit ruhiger Stimme zu. »Wenn der Herr seinen Weg dort hinaus genommen, so hat er jetzt wenigstens eine Viertelstunde Vorsprung, und mit einem guten Thier unter sich, das er sich doch jedenfalls ausgesucht, wäre es nutzlose Arbeit, ihn zu verfolgen. Aber was ist das für ein Lärm draußen?«
Mit diesen Worten war er auf den Balkon hinausgetreten, denn unten in der Straße wurden Rufe laut und ein wildes Getöse von Menschenstimmen drang herauf. Wie der General aber hinab auf die Straße sah, bemerkte er einen Gefangenen, der von einer Anzahl Menschen geführt und von Bewaffneten begleitet wurde, und erkannte an demselben auf den ersten Blick die Franco'sche Uniform.
»Ein Helfershelfer Malveca's?« sagte er finster, indem er von dem Balkon wieder zurück in das Zimmer trat, »wie es scheint, sind wir doch in größerer Nähe des Feindes, als ich dachte. Führen Sie den Gefangenen herauf.«
Es dauerte nicht lange, so erdröhnte die knarrende Holztreppe draußen von den schweren Schritten einer Anzahl Männer, die theils den Gefangenen führten, theils die Gelegenheit nicht wollten unbenutzt vorüberlassen, den berühmten General einmal in der Nähe zu sehen. Trupp auf Trupp drängte sich hinzu und konnte nur mit Mühe an der Thür durch die Officiere verhindert werden, sich in das Zimmer hinein zu pressen. Nur dem Gefangenen und zwei Wachen wurde gestattet einzutreten, während der Rest draußen vor der offenen Thür stehen blieb und einen Blick in das Innere zu gewinnen und einzelne Worte zu erhaschen suchte.
Der Gefangene sah bös aus. Er trug die Franco'sche Uniform, aber nur noch in Fetzen, denn Dornen und Schlingpflanzen, vielleicht aber auch die rauhe Behandlung seiner Wächter, hatten ihm nicht allein diese, sondern auch die Haut im Gesicht und an den Händen in Stücken heruntergerissen. Sein Haar – Mütze oder Hut trug er gar nicht mehr – hing ihm wirr um die Schläfe, und sein Gesicht sah matt und hohläugig aus. Ueberhaupt schien er weit eher zum Tod erschöpft und abgehetzt, als hierher gekommen zu sein, um die Stellung des Feindes auszukundschaften.
»Da bringen wir den Räuber,« sagte der eine von den bewachenden Soldaten, während sie den armen Teufel vor den General führten, der ihn mit finster forschenden Blicken betrachtete. »Den Geschicktesten scheint sich Franco aber nicht zum Spioniren ausgesucht zu haben, denn wie wir ihn fingen, kam er eben aus dem Dickicht und war so ermattet, daß er nicht einmal seinen Degen ziehen konnte.«
»Wer bist Du und wie heißt Du?« fragte der General, indem er den Mann streng ansah, »und was hat Dich hierher geführt?«
»Das sind drei Fragen auf einmal, General Flores,« lächelte der Gefangene trotz seiner Lage, »aber sie sind ziemlich leicht zu beantworten. Wenn jedoch das der Empfang ist, welcher der Franco'schen Uniform hier im Lande bevorsteht, dann hat sich der Mulatte wohl vergebens auf Triumphbogen, Illumination und Ehrenpforten gefreut. Mit mir sind diese wackeren Leute wirklich schmählich umgegangen. Uebrigens, General, brauche ich Ihnen wohl kaum zu sagen, daß ich kein Spion bin, und wenn mir die Dornen nicht Gesicht und Kleider zerfetzt hätten, wäre es nicht einmal nöthig, Ihnen meinen Namen zu nennen. Lassen Sie mir etwas Wasser geben, daß ich mir das geronnene Blut abwaschen kann, und ich werde mir dann erlauben, mich Ihnen als Hauptmann Fortunato von den Franco'schen Tiradores vorzustellen.«
»Fortunato?« rief Flores erstaunt aus – »Mensch, wie sind Sie zugerichtet!«
»So, General, daß mich nicht einmal ein neuer Freund wiedererkennt, der mich – genau genommen – eigentlich in meine jetzige Verfassung versetzt hat. Espinoza, erinnern Sie sich meiner nicht?«
»Beim ewigen Gott!« brach Espinoza aus, der den Gefangenen schon erstaunt gemustert hatte – »das ist – das ist ja der nämliche Officier, dem ich meine Rettung, mein Leben verdanke – das ist kein Spion, General!«
»Aber wie kommen Sie in der Franco'schen Uniform in unser Lager?« fragte Flores, der in dem Augenblick an den ebenfalls in Uniform geflüchteten Malveca dachte.
»Die Geschichte ist nicht in zwei Worten erzählt, General,« sagte Fortunato, der sich kaum noch auf den Füßen erhalten konnte – »wenn Sie mir aber einen Stuhl und ein Glas Wein – am liebsten eine Flasche – geben lassen, so glaube ich, daß ich Ihnen manche wichtige Mittheilung machen kann, ohne dabei für einen Ueberläufer zu gelten. Ich bin mir keines unredlichen Schrittes bewußt, aber augenblicklich so todmatt, daß ich –«
Er konnte nicht weiter reden – sein Gesicht war erdfahl geworden, er schwankte und wäre zusammengebrochen, wenn seine beiden Wächter und der hinzuspringende Espinoza ihn nicht gehalten hätten. Seine kräftige Natur siegte aber bald wieder über die augenblickliche Schwäche.
Espinoza rückte ihm einen Stuhl zum Tisch und reichte ihm ein rasch eingeschenktes Glas Wein, das der Ermattete gierig hinunterstürzte, und Flores befahl dann den Wachen, sich zu entfernen und die Thür zu schließen. Den Gefangenen wolle er unter seine persönliche Obhut nehmen, denn es sei keine Gefahr da, daß er entfliehe.
Es bedurfte allerdings noch einiger Zeit, bis sich der von seinem anstrengenden Marsch, seinen Entbehrungen und Aengsten erschöpfte Fortunato so weit erholt hatte, um die Geschichte der letzten beiden Tage im Zusammenhang erzählen zu können. Nachdem er aber von seiner Verurtheilung berichtet hatte, erklärte er auch, daß er schon lange bereut habe, unter die Fahnen des heimtückischen Menschenschlächters und Tyrannen getreten zu sein; nur der Vorwand habe ihm gefehlt, sich dem Dienst zu entziehen, ohne den geleisteten Eid zu verletzen.
Jetzt sei er indessen durch Franco's Grausamkeit frei geworden, und nicht allein hänge sein eigenes Leben davon ab, daß der Usurpator nicht über Ecuador herrsche – nein, er erkenne auch, daß diese Mulattenwirthschaft, wenn Menschen wie Franco und der thierische Barbadoes an der Spitze ständen, das unnennbarste Elend über das Land bringen würde, und er sei daher bereit, mit Leib und Leben in Flores' Heer, und wenn es als gemeiner Soldat wäre, einzutreten.
»Und wo steht Franco jetzt?« fragte der General, der dem Bericht schweigend und nur manchmal leise mit dem Kopf nickend gelauscht hatte.
»Genau bin ich nicht im Stande das anzugeben,« erwiderte Fortunato. »Ist er in einem Strich fortmarschirt, so muß er diese Nacht Tucumbo erreichen, denn große Tagemärsche kann er mit dem Troß nicht machen. Gestern regnete es aber bei Camino real, was vom Himmel herunter wollte, und ich weiß nicht, wie seine Lastthiere den Hügel hinaufgekommen sind, der unmittelbar hinter dem Dorf sich das Thal hinabzieht. Der Boden dort wird nach dem Regen so schlüpfrig wie Seife, und ein leeres Pferd ist kaum im Stande, ihn zu passiren, ohne zu stürzen, obgleich man noch immer besser aufwärts wie abwärts kommen kann.«
»Aber Tucumbo liegt ganz in unserer Nähe,« rief Espinoza, »und wenn Franco das heut Abend erreicht, rückt er morgen mit Leichtigkeit auf Guaranda.«
»Das allerdings,« sagte Fortunato. »Das Terrain ist freilich coupirt und geht Hügel auf und ab, durch Buschwerk und kleine Wälder, aber der Weg ist nicht schlecht, denn der mehr sandige Boden saugt den Regen ein und zeigt nur hier und da einige schlechte Stellen. Der einzige wirkliche böse Platz ist hinter Camino real.«
»Hauptmann Belconza, lassen Sie augenblicklich zwei von Ihren Leuten aufsitzen – oder nehmen Sie lieber drei – aber solche, die Sie als zuverlässig genug kennen, daß sie sich nicht volltrinken und in Gefangenschaft gerathen, und schicken Sie dieselben zum Recognosciren nach Tucumbo. Sie sollen scharf reiten; möglich, daß sie den Señor Malveca noch unterwegs einholen – wo nicht, bleiben sie in Tucumbo, das in drei Stunden zu erreichen ist, bis Franco's Vorhut dort in Sicht kommt und sie sich überzeugt haben, daß es nicht ein bloßes Streifcorps ist. Sie schicken am besten einen Officier mit – und wer von Ihnen geht, meine Herren, bedenken Sie, daß die Sicherheit unseres ganzen Heeres von Ihrer Aufmerksamkeit abhängt.«
»Im Fall Franco heut Abend Tucumbo erreicht, General,« sagte Espinoza, »so dürfen wir uns auch sicher darauf gefaßt machen, ihn morgen früh hier zu haben, denn nach dem Brief, den Malveca geschrieben, scheint ihm gerade besonders daran zu liegen, ihn vor uns in Guaranda zu sehen.«
»Malveca wird allerdings sein Möglichstes thun,« sagte Flores nachsinnend, »denn jetzt, als Verräther gebrandmarkt, bleibt seine einzige Hoffnung nur der Sieg für Franco's Waffen. Wenn aber meine Leute nur den gegebenen Befehlen genau nachkommen und in Eilmärschen vorrücken, so wären wir mit der Cavallerie im Stande, den Feind wenigstens aufzuhalten, bis das Gros der Armee eintreffen könnte.«
»Darf ich wissen, um was es sich hier handelt?« frug Fortunato, der sich durch die erhaltene Stärkung wunderbar erfrischt fühlte.
»Es ist kein Geheimniß,« sagte Flores ruhig. »Einer von unseren Officieren, noch dazu ein geborener Quitener, dessen ganze Familie in Quito lebt, den alle eigenen Interessen an unsere Fahne fesseln sollten, hat uns verrathen und ist heute Morgen in das Franco'sche Lager entflohen, um dem Mulatten die wehrlose Lage von Guaranda mitzutheilen. Wenn daher Franco nicht vollständig verblendet und nur irgend im Stand ist vorzurücken, so muß jetzt die Stadt in seine Gewalt fallen, und wir dürfen nicht einmal die Waaren da verbrennen, ohne den ganzen, fast nur aus Holz gebauten Ort mit Einäscherung zu bedrohen.«
»Sollte es kein Mittel geben, dem Aeußersten zu begegnen?«
»Wissen Sie eins?« rief Flores schnell. – »Jedes, das Aussicht auf Erfolg hat, ist willkommen. Sie kennen Franco – gäbe es irgend etwas, das seinen Marsch verzögern könnte?«
»Ja,« sagte Fortunato nach kurzem Ueberlegen. »Er ist entsetzlich mißtrauisch, weil er in jedem Menschen einen Verräther argwöhnt und selber zu genau weiß, wie er an Anderen gehandelt hat. Wenn man im Stande wäre, die Aussagen jenes Ueberläufers bei ihm zu verdächtigen – aber die Zeit ist freilich dazu entsetzlich kurz gemessen.«
Flores hatte den Redenden scharf und erwartungsvoll angesehen; dann ging er plötzlich mit untergeschlagenen Armen und raschen Schritten im Zimmer auf und ab, und als er das Haupt wieder hob, zuckte ein Lächeln über seine Züge.
»Hauptmann Belconza,« wendete er sich in diesem Augenblick wieder an den gerade eintretenden Officier, der eben die von Flores gegebenen Befehle ausgeführt hatte und davon zurückkehrte. »Thun Sie mir den Gefallen und begeben Sie sich augenblicklich in Malveca's Quartier, packen Sie dort die besten und werthvollsten Sachen, die er zurückgelassen hat – es wird gerade nicht viel sein – zusammen und sorgen Sie mir dann für einen Arriero; aber ich brauche einen schlauen, durchtriebenen Burschen, der unserer Sache treu ergeben ist. Seine Bezahlung soll reichlich sein, denn es gilt jetzt nichts Geringeres als die Rettung Guarandas.«
»Und wohin soll der Arriero, General?«
»In Franco's Lager, mit einem Maulthier. Er wird dort natürlich zurückgehalten und sein Thier ihm abgenommen, er selber auch vielleicht eine Zeit als Gefangener behandelt werden, aber –«
»Dazu finden wir Niemand, General,« sagte der Hauptmann kopfschüttelnd. – »Ich kenne die Burschen, sie fürchten den Mulatten mehr wie den Teufel, und alle Versprechungen in der Welt würden keinen von ihnen bewegen, dort Gefahr zu laufen, ganz einfach als Spion aufgehangen zu werden. Aber wozu soll man ihm die Sachen schicken?«
»Um darin einen Brief an Malveca zu verbergen,« sagte Flores, »der sicher in die Hände Franco's fiele.«
»Wenn's weiter nichts ist,« erwiderte der Hauptmann, »so hat sich uns die herrlichste Gelegenheit dazu in diesem Augenblick geboten. Eben wie ich unten war, ritt der Postbote vor der Posada an, der alle vierzehn Tage mit den englischen, amerikanischen und französischen, wie überhaupt den Consulatsdepeschen nach Guajaquil an Bord des eintreffenden Dampfers geht. Wenn Sie dem einen Brief an Malveca übergeben, den er nur zu bestellen hat, so können Sie sicher darauf rechnen, daß er in die Hände des Mulatten fällt.«
»Davon bin ich ebenfalls fest überzeugt,« sagte Fortunato, »denn wenn Franco den Courier nicht selber vor sich läßt, ist jedenfalls bei dessen Ankunft der Mulattengeneral Barbadoes gegenwärtig, der etwa eintreffende Briefe oder Depeschen in Empfang nimmt und sie alle – ohne Unterschied – zuerst an den General abliefert. – Wir haben nie einen Brief bekommen, der nicht vorher erbrochen und gelesen war.«
»Gut,« sagte Flores, sich die Hände reibend, »das vereinfacht die Sache ungemein – lassen Sie nur den Courier nicht fort, bis ich ihn gesprochen habe, Hauptmann, und einen der Herren dürfte ich wohl indessen um Schreibzeug und Papier bitten.«
»Hier im nächsten Zimmer steht Alles, General,« sagte einer der jungen Officiere, und Flores schritt ihm rasch dorthin voran.
»Und nun, mein lieber, wackerer Freund,« rief Espinoza, auf Fortunato zugehend und ihn nach ecuadorianischer Sitte umarmend, »bin ich überglücklich, daß ich die ersehnte Gelegenheit habe, Ihnen für meine Rettung zu danken, deren Folgen ich auch nicht einmal bedauere, denn sie hat Sie aus den Klauen des Mulatten befreit und auf die Seite geführt, zu der Sie gehören. Sie sind jetzt einer der Unseren und werden warme Freunde finden.«
»Lieber Espinoza,« bemerkte Fortunato, seine Hand drückend, »vor allen Dingen thun mir warme Kleider noth, denn nach dem letzten Nachtregen und oben in den Bergen hat mich gefroren, daß mir die Zähne klapperten. Außerdem hat mich bis jetzt die Seite, zu der ich, wie Sie meinen, gehöre, außerordentlich rauh bewillkommnet, und es fehlte nicht viel, so setzten sie das fort, was Seine Excellenz so hübsch begonnen, und führten sogar sein Urtheil aus, denn sie hatten gar nicht übel Lust, mich ohne Weiteres an den nächsten Baum zu knüpfen.«
»Da Sie sich in Franco's Uniform näherten – kein Wunder!« lachte Espinoza.
»Sollte ich etwa die letzte Nacht in Hemdsärmeln verbringen?« sagte Fortunato – »ich gebe Ihnen mein Wort, Sie haben gar keine Idee, was diese Höhe von Camino real oder vielmehr der Berg daneben für ein kalter, windiger Strich ist. – Also ich muß vor allen Dingen Toilette machen –«
»Deren Besorgung Sie aber ganz allein mir überlassen,« rief Espinoza, »denn ich bin noch tief in Ihrer Schuld –«
»Lieber Freund – Sie sehen mich bereit, Ihre ganze Hülfe anzunehmen.«
»Der General kommt,« unterbrach ihn der junge Officier. »Wir gehen dann gleich in dasselbe Quartier.«
»Wo ist der Bote?« fragte Flores den an der Thür seiner harrenden Hauptmann.
»Er hält unten, Ihre Befehle zu empfangen.«
»Vortrefflich, und jetzt wollen wir doch sehen, ob wir diesen saubern Malveca nicht in seinen eigenen Schlingen fangen. Espinoza, diese Ordre schicken Sie augenblicklich mit einem Courier über den Paß zurück dem Heer entgegen. Es ist der Befehl, die Cavallerie vorauszusenden. Guaranda muß gerettet werden, und dann,« setzte er hinzu, indem sein Blick mit einem lächelnden Zug um den Mund die sehr traurige Gestalt Fortunato's streifte – »sorgen Sie mir auch dafür, daß der Herr da in anständige Kleider kommt und – unserer Armee keine Schande macht.«