Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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19.

Señor Malveca.

General Franco mußte sich also entschließen, in Camino real einen Rasttag zu machen, denn so gern er selber bis Guaranda vorausgeritten wäre, da er dort viel oder mehr Bequemlichkeiten für seine eigene Person erwartete, so durfte er sich doch auch nicht zu weit vor wagen, da er besonders nicht einmal wußte, bis wohin der quitenische General vorgerückt sei und wie er selber in Guaranda empfangen werden würde.

Der Major allerdings hörte nicht auf, ihm zu versichern, die Bewohner der verschiedenen Orte würden ihn überall mit offenen Armen aufnehmen und als Retter von einer verhaßten Regierung begrüßen. Aber so leicht er alle derartigen Vorspiegelungen in Guajaquil und selbst noch in Bodegas geglaubt haben mochte, und so gern er sie hörte, so war doch sein Vertrauen nicht allein durch die neuliche Scene mit den Officieren, sondern auch durch das Benehmen der unterwegs getroffenen Leute erschüttert worden, die ihm wohl demüthig gehorchten, weil er eben die Gewalt in Händen hatte, aber von wirklich aufrichtiger Freude nicht die geringste Spur erkennen ließen.

Er mußte deshalb vor allen Dingen sicher gehen und sich keiner unnöthigen Gefahr aussetzen – war es doch außerdem unbegreiflich, daß er von allen ausgesandten Spionen auch nicht eine einzige sichere Kunde über die Stellung der quitenischen Armee hielt. Alle konnten sie ja doch nicht von dem Feind gefangen sein – oder waren sie gar zu ihm übergegangen? Er knirschte die Zähne zusammen, wenn er sich nur die Möglichkeit dachte.

Uebrigens wünschte er sich noch immer Glück, wenigstens diesen Punkt erreicht und besetzt zu haben, denn wenn die Quitener vor ihm Camino real genommen und die Höhen vertheidigt hätten, würde es schwer, vielleicht unmöglich gewesen sein, sie aus dieser Position zu werfen. Ueberhaupt durfte er erst hinter Guaranda, in der Alpenregion des Chimborazo darauf rechnen, offenes Terrain zu gewinnen, wo er im Stande wäre, sich in einem Massenangriff auf den Feind zu stürzen. Bis dahin zog sich der Weg noch immer durch den Wald und dichtes Gestrüpp hin, von Guaranda aus sogar wieder steil empor, und er konnte sich nicht eher sicher und seines Sieges gewiß fühlen, bis er wenigstens die Höhe des Bergpasses in seiner Gewalt wußte.

Für jetzt war übrigens Alles geschehen, was der Augenblick zuließ, und ein Piket gegen Tucumbo, den nächsten Ort, vorgeschoben, um gegen einen Ueberfall gesichert zu sein. Gegen Mittag gewann die Infanterie schon die Höhe, und da jetzt, in dem heißen Sonnenschein, der Weg trocknete, daß die Hufe der Maulthiere darauf haften konnten, begannen auch die stärksten und besten Thiere den Widerstand zu überwinden. und Nachmittags drei Uhr fand sich, mit Ausnahme eines kleinen Trupps, der zur Bewachung der einzelnen verspäteten Arrieros zurückbleiben mußte, das ganze Heer auf der Höhe versammelt.

Um diese Zeit war es etwa, daß ein Reiter in quitenischer Officiersuniform, auf schweißtriefendem Rosse und von zwei Franco'schen Cavalleristen begleitet, nach Camino real hineinsprengte, wo der Quitener augenblicklich aus dem Sattel sprang und in das ihm als Franco's Hauptquartier bezeichnete Haus rechts am Wege hineinschritt. Der eine Reiter, der ihm, wie es schien, den Degen abgenommen hatte, folgte ihm damit, und der Major, der sich eben mit den Bewohnern der gegenüberliegenden Gebäude über die Einquartierung gezankt zu haben schien, eilte so rasch er konnte über die Straße hinüber, um zu hören, was da vorginge und was der Abgesandte des Flores, für den er ihn hielt, eigentlich bringe.

Franco, dessen Gepäck schon heute Morgen in aller Frühe auf den Schultern von ein paar Soldaten herausgeschafft war, saß wie gewöhnlich in seiner Hängematte und schnitzelte an einer Orange, in deren Schale er mit einem Federmesser eine Menge von kleinen Einschnitten und Verzierungen anbrachte – eine nicht ungewöhnliche Beschäftigung in Ecuador.

Wie er die quitenische Uniform erkannte, fuhr er allerdings im ersten Moment erschrocken empor – aber rasch besann er sich auch wieder. Was konnte ihm hier, inmitten seines ganzen Heeres, geschehen, und sah er nicht auch das wohlbekannte braune Gesicht eines seiner eigenen Soldaten hinter dem Fremden? Er hörte aber doch mit dem Schnitzen auf, und die Hände sinken lassend sagte er, indem er den Eintretenden mit seinen kleinen stechenden Augen scharf fixirte:

»Was wollen Sie? und wie kommen Sie in der Uniform in mein Lager?«

»General,« erwiderte der junge Mann, indem er den vor ihm Sitzenden militärisch grüßte, »ich glaube, ich darf Ihnen nur meinen Namen nennen, um vollkommen gerechtfertigt vor Ihnen zu erscheinen, ja sogar willkommen zu sein. Ich heiße Malveca.«

»So?« sagte Franco gleichgültig, »und den Namen halten Sie vielleicht gar für eine Empfehlung? Sind Sie nicht der Herr, der mich schon in Guajaquil hat versichern lassen, daß er meiner Sache treu ergeben wäre, und der heilig versprochen hat, mir Nachricht zu senden? Und jetzt bin ich den halben Weg nach Quito gekommen, ohne von Ihnen etwas zu hören oder zu sehen!«

»General!« rief Malveca rasch – »ich muß Sie da an den Brief erinnern, den ich Ihnen durch einen zuverlässigen Mann und mit meiner Unterschrift schon von Guaranda nach Bodegas geschickt, und der Sie aufforderte, so rasch als möglich nach Guaranda vorzurücken. Der Bote hat ihn, wie er mich fest versicherte, in Ihre eigenen Hände gegeben.«

»Bote? – ich habe keinen Boten gesehen,« knurrte Franco, indem er den Fremden mißtrauisch betrachtete, »habe auch keinen Brief von Guaranda und keine Kunde von dort erhalten, weder in Bodegas noch hier, und muß glauben, daß alle meine Boten aufgefangen sind – Sie haben wohl blos schreiben wollen, Señor, und nehmen die Sache jetzt als geschehen an.«

»Dann hat mich der Bote betrogen,« rief Malveca heftig aus, »und doch seine reichliche Bezahlung für den Gang genommen.«

»Und was wollen Sie jetzt?« frug Franco finster, denn er hielt die ganze Einleitung für eine plumpe Lüge – »und wie ist überhaupt der Herr durch unsere Linien gekommen?« wandte er sich darauf, ohne die Beantwortung seiner Frage nur abzuwarten, an den hinter ihm stehenden Soldaten – »wo habt Ihr ihn aufgefangen?«

»Er kam in vollem Galopp auf der Straße von Tucumbo herangesprengt, General,« erwiderte der Mann – »und wie wir von hinten ihm den Weg abschnitten – denn wir hatten uns gut versteckt – und vor ihm auch ein paar Burschen auftauchten, zügelte er rasch sein Pferd, kam auf mich zu, gab mir seinen Degen und sagte, er wollte zu Ihnen geführt werden.«

»Er hat sich also nicht widersetzt?«

»Nein, General.«

»Auch keinen Versuch zur Flucht gemacht?«

»Nein – wäre auch wohl kaum gegangen, denn sein Thier war scharf abgehetzt.«

»Und weshalb sind Sie in solcher Eile gewesen, Señor?« wandte sich Franco wieder an den Gefangenen, hinter dem er jetzt auch das breite gelbe Gesicht seines Majors bemerkte.

»Ich hatte alle Ursache dazu, General,« erwiderte Malveca, »denn heute Morgen erst wurde wieder ein Bote, den ich Ihnen schicken wollte, unterwegs erschossen und mein Zettel bei ihm gefunden. Da aber Flores zufällig nach Guaranda kam und ein Officier in seiner Begleitung meine Handschrift kannte –«

»Flores in Guaranda?« rief Franco, aus seiner Hängematte emporspringend – »seit wann?«

»Erst seit heute Morgen und mit wenigen Begleitern.«

»Und seine Armee?«

»Ist kaum von Latacungo ausgerückt und noch unterwegs. Es können Tage vergehen, ehe sie bei ihm eintrifft.«

»Und weshalb binden die Schufte den Verräther nicht und liefern ihn uns aus?« rief der Major wüthend, indem er in's Zimmer sprang.

»Wen? Flores, Señor?« sagte Malveca, nicht allein über die Frage, sondern auch über den riesigen Mulatten selbst erstaunt. – »Mit Jubeln und Hurrahschreien haben sie ihn empfangen und begrüßt.«

»Flores?« schrie der Major und sah dabei aus, als ob er sich nach Jemandem umsähe, den er zerreißen könnte.

»Allerdings,« bestätigte der Ueberläufer – »auf die gute Hülfe der dortigen Bevölkerung dürfen Sie nicht rechnen, denn die Bewohner fürchten Ihr Heer, weil sie wissen, was für verlockende Beute in ihrer Stadt aufgehäuft liegt, und sie hoffen jetzt nur, daß Flores' Armee zeitig genug in Guaranda eintrifft, um sie zu schützen.«

»Und welcher Ursache, Señor,« sagte Franco jetzt, der den Officier, während er sprach, scharf beobachtet hatte, »verdanke ich die freundliche Gesinnung, die Sie meiner Sache zu zeigen scheinen? Sie find ein quitenischer Officier, wie kommt es, daß Sie mir Boten senden, um mich gegen Ihre Freunde anzurufen?«

Malveca biß die Zähne zusammen und sagte finster:

»Weil ich Ihrer Sache den Sieg wünsche, General, um meine Feinde im andern Lager zu züchtigen. Ich bin Quitener, aber ich hasse Quito – hasse Flores – hasse seine ganze Familie, und will meinen letzten Blutstropfen daran setzen, um Rache zu haben für alle Unbill, die ich da drüben erleiden mußte.«

Franco lächelte – solche Leute konnte er brauchen, aber vollkommen sicher fühlte er sich noch immer nicht, denn er glaubte nicht, daß ihm der Officier schon früher eine Botschaft, die nicht in seine Hand gelangt sein sollte, geschickt habe.

»Und wie denken Sie Ihren Zweck am besten zu erreichen?« frug er endlich, nachdem er ihn eine Zeit lang schweigend beobachtet hatte – »können Sie mir einen bestimmten Plan angeben?«

»Ja,« rief Malveca rasch – »jetzt ist der einzige Moment, und wenn Sie ihn benutzen, kann Ihnen der Sieg nicht entgehen. Ich habe bis jetzt vor Ungeduld gebrannt, weil Sie so lange zögerten, sich Guarandas, als ersten wichtigen Punktes im Innern, zu versichern und den Paß des Chimborazo zu besetzen; aber jetzt schlägt es vielleicht zum Guten aus, denn mit einem raschen Schlag sind Sie vielleicht im Stande, Flores selbst in Ihre Gewalt zu bekommen. Gelingt dies aber, so ist dem ganzen Widerstand der Kopf zertreten. Flores gefangen, und das quitenische Heer stiebt auseinander wie eine Herde, der man den Führer genommen – Niemand denkt mehr an Widerstand, denn Niemand kann denselben leiten.«

Franco war aufmerksam geworden; der Plan schien in der That, so kühn er sein mochte, ausführbar, wenn ihn das Terrain begünstigte, und darüber sollte ihm Malveca vor allen Dingen Auskunft geben.

Er that das mit kurzen und klaren Worten. Von Tucumbo, wie ein herbeigerufener Einwohner bestätigte, führte ein zweiter Weg nach Guaranda, der eine ziemliche Strecke von der Hauptstraße abwich – es war der sogenannte Camino viejo – der alte Weg – und näher wie der neue, aber auch für schwer beladene Thiere nur sehr schlecht und mühselig zu passiren. Fußgänger schnitten aber dadurch eine nicht unbedeutende Strecke ab, konnten dann in Sicht von Guaranda, aber ohne von dort gesehen zu werden, die Stadt umgehen und sich bequem an dem einzigen Weg, der in das Innere führte, in den Hinterhalt legen. Dort aber ahnte Flores noch keinen Feind, und rückte Franco dann mit dem Gros der Armee rasch und entschieden, der gewöhnlichen Straße folgend, auf Guaranda los, so lief sein Gegner, der sich in dem Fall jedenfalls mit seinen wenigen Begleitern wieder zurück auf das Heer zog, um nicht in der Stadt erkannt und gefangen zu werden, rettungslos in das Netz.

Malveca selbst erbot sich dabei, den Hinterhalt zu führen, da er den Weg genau kannte. – Sollte aber der Plan gelingen, so war es unumgänglich nöthig, auch keinen Augenblick länger zu säumen, denn wie nahe Flores' Heer stand, konnte er selber nicht bestimmt angeben, und daß Flores sein Möglichstes thun würde, um es rasch herbei zu ziehen, lag auf der Hand.

Franco zögerte noch; seine mißtrauische Natur ließ ihn selbst die einfachste Darlegung einer Sache nie gleich erfassen, ohne auf die Beweggründe zurück zu gehen, die denjenigen leiten konnten, mit dem er in Berührung kam. Haß und Rache waren zwei Factoren, die er selber nur zu gut kannte und die ihn schon oft in seinen Unternehmungen geleitet und weiter getrieben hatten, Haß und Rache gegen das ganze Geschlecht der Weißen, die ihn früher verachtet und unter die Füße getreten, und der Umstand, daß er Weiße dazu benutzen konnte, Weiße zu verderben, übte noch einen ganz besonderen Reiz auf ihn aus.

Der Major selber war entzückt von dem Plan und wäre am liebsten gleich aufgebrochen und die Nacht durch geritten, um nur den verhaßten Flores in seine Gewalt zu bekommen.

»Und welche Belohnung verlangen Sie dafür, wenn Sie Alles erfüllen, was Sie da eben versprochen haben?« sagte Franco endlich, und sein stechendes Auge bohrte sich ordentlich in den jungen Fremden hinein.

»Meinen Lohn fordere ich mir in Quito, General,« sagte aber dieser, »und ich werde dann nicht allzu bescheiden sein. Vor der Hand verlange ich weiter nichts als die Ehre, in Ihre Armee als Hauptmann eintreten zu dürfen.«

Der junge Mann forderte kein Geld, das war schon etwas. Officiere hatte Franco freilich, trotz des Verlustes der drei an jenem Abend, noch über und übergenug; denn die südamerikanischen Heere treiben darin einen außerordentlichen Luxus. Aber wenn der Fremde es ehrlich meinte – und es lag vor der Hand kein Grund vor, ihm zu mißtrauen – wenn er Flores in der That in seine Gewalt brachte, dann war er selbst, wie er recht gut wußte, auch Herr in Ecuador, und dafür hätte er in dem Augenblick jeden Preis gezahlt.

Mit seinem hinterlistigen Character verband Franco aber auch eine nicht unbedeutende Energie – besonders eine Art von Zähigkeit im Festhalten, und wie er Alles, was ihm im Wege stand, rücksichtslos unter die Füße trat, so schonte er auch seine eigene Mannschaft nicht, wenn es galt, seine Zwecke zu erreichen.

»Gut,« sagte er nach einer Weile, nachdem er starr vor sich nieder gesehen und, wie ganz in Gedanken, die Orange wieder aufgenommen hatte – »wir wollen's versuchen – aber Ihr Kopf bürgt mir dafür, junger Mann, daß Sie es ehrlich mit mir meinen.«

»Ich wollte, Sie könnten mein Herz sehen, General,« rief Malveca voller Freude, seine Rache bald befriedigt zu wissen – »außerdem werden Sie aber noch einen andern Fang dabei machen, den ich noch nicht erwähnte. Jener Bursche, den Sie neulich in Bodegas zum Tode verurtheilten, und der dann mit Hülfe Eines Ihrer eigenen Leute entkam, ist gegenwärtig in Flores' Begleitung.«

»Caracho!« rief der Major, und um Franco's dicke Lippen zuckte ein Lächeln der Befriedigung, das aber gleich wieder einem finstern, häßlichen Zug Platz machte, als die Erwähnung desselben in natürlicher Folge die Erinnerung an die glückliche Flucht Fortunato's in ihm wach rief. Aber alle seine bösen Leidenschaften waren dadurch auch wieder geweckt, und hastig stand er auf, um selber nachzusehen, wie weit die Lastthiere eingetroffen waren und wann man sicher darauf rechnen konnte, daß sie im Stande wären zu folgen.

Die heiße Mittagssonne, die hier nicht weniger brannte als in Guajaquil selber, ja sogar nach der kalten Nacht noch viel drückender schien, hatte den Weg jetzt vollkommen getrocknet, so daß auch die letzten und schwächsten Thiere, wenn auch langsam, folgen konnten. Die Arrieros erklärten freilich, daß sie die Nacht gar nicht daran dächten, weiter zu marschiren, denn die Thiere müßten ihre nöthige Ruhe haben, wenn sie nicht morgen unterwegs liegen bleiben sollten, aber das durfte jetzt kein Hinderniß sein.

Ein Piket Cavallerie sollte bei ihnen zurückbleiben und sie dann sobald wie möglich folgen lassen, die Armee mußte und sollte jetzt marschiren, heute, und wenn es um Mitternacht wäre, Tucumbo erreichen und morgen früh schon den Hauptschlag gegen Guaranda und Flores selber führen. In Guaranda, einem mit allen Bequemlichkeiten ausgestatteten Ort, ließ sich dann auch ein besserer Rasttag machen wie hier in dem öden, schmutzigen und kalten Dorf, und daß die Soldaten dabei willens waren, ihr Aeußerstes zu thun, wußte Franco, denn zu verlockend war für sie die Aussicht auf die versprochene reiche Beute.

Major Barbadoes, der eine ganz eigene Manier hatte, mit den Soldaten zu verkehren, wurde beauftragt, sie mit der Absicht des Generals bekannt zu machen, und der Erfolg zeigte, daß sich Franco nicht geirrt hatte.

Im Anfang freilich schienen die Meisten eben nicht besonders mit einem forcirten Marsch einverstanden zu sein, aber das gute Leben in Guaranda lockte sie, denn hier im Orte waren ja nicht einmal mehr genügende Vorräthe für den zehnten Theil von ihnen, und die mitgenommenen mußten schon angegriffen werden. Außerdem machte aber Barbadoes auch noch eine leise Andeutung, daß er Jeden krumm und lahm schließen würde, der sich zu folgen weigerte, so daß sie bald überredet wurden und in ein lautes, donnerndes Hurrah ausbrachen.

»Sehen Sie, lieber Freund,« sagte Barbadoes, als er mit dem ihn begleitenden Malveca nach seinem eigenen Quartier hinüberschritt – »das ist die Art, mit Soldaten umzugehen. Im Guten sind sie zu Allem zu bringen; aber – was ich Ihnen noch sagen wollte, Kamerad – erstlich war es ein verdammt gescheidter Streich von Ihnen, daß Sie dem verwünschten Hallunken, dem Flores, durchgebrannt sind, und Sie können sich meiner ganzen Protection versichert halten. – Dann aber müssen Sie diese gemeine, nichtswürdige Uniform ausziehen, denn die Soldaten stecken schon die Köpfe zusammen – wir wollen einmal sehen, ob wir nicht einen anständigen Uniformsrock auftreiben – meine werden Ihnen etwas zu groß sein – und endlich – wenn Sie meinem Rath folgen wollen, nennen Sie unsern ›Alten‹ nicht General.«

»Nicht General?«

»Nein – er ist es freilich, aber – er hört es nicht gern – lieber Gott, wir haben ja Alle unsere kleinen Schwächen.«

»Aber wie denn anders, wenn ich fragen darf?«

»Excellenz,« sagte der Major. – »Er ist ja doch schon so gut wie Präsident, wenn wir auch noch nicht das ganze Land in der Tasche haben, aber der ganze Süden des Reiches, die ganze Küste ist unser, und das bischen Norden wird jetzt auch noch bald dazu geschlagen werden. Also verstanden?«

»Herr Major, ich bin Ihnen unendlich dankbar –«

»Erwähnen wir's nicht weiter – apropos, haben Sie etwas Cigarrenpapier bei sich? Meins ist mir gestern in der Tasche zu einem flüssigen Brei geworden.«

»Was ich habe, steht Ihnen mit Vergnügen zu Diensten.«

»Danke Ihnen,« sagte Barbadoes, indem er das Dargereichte ohne Weiteres nahm und in die jetzt getrocknete Tasche steckte. – »Nun wollen wir uns aber rüsten, und Sie gehen hier indessen hinein und lassen sich tüchtig zu essen und zu trinken geben. – Heh, Viruta, sorge mir für den Señor, daß es ihm an nichts fehle, oder ich gerbe Dir nachher Deine gelbe Haut, Du Halunke.«

Der angeredete Mulatte verzog sein Gesicht zu einem breiten Grinsen, denn er wußte, daß der Major, je gröber er wurde, in desto besserer Laune war, und wenn er auch noch nicht recht begriff, was der quitenische Officier hier im Lager machte, so verstand es sich doch von selber, daß er dem Befehl zu folgen hatte.

Und Franco säumte in der That nicht; seine Reiter bekamen Befehl abzufüttern und dann augenblicklich zum Aufsitzen bereit zu sein, die Infanterie mußte wieder ihre Tornister packen, und in kaum einer Stunde, von der Zeit an, wo Malveca Camino real betreten, setzten sich die ersten Colonnen schon wieder in Bewegung, um Tucumbo wo möglich noch vor einbrechender Nacht zu erreichen.

Die Entfernung zwischen den beiden Dörfern ist nicht sehr groß, und der Weg zieht sich, freilich von einer Menge von Thälern durchschnitten, über ein weites, mit dichtem Gestrüpp bewachsenes Bergland. Die tropische Vegetation hat hier schon vollkommen jener der gemäßigten Zone Platz gemacht. Kleinblätterige Gebüsche mit fast europäischen Formen bedecken den Boden, zwischen denen nur die höhersteigenden Cactus- und Aloearten an Amerika erinnern.

Franco ritt, wie gewöhnlich, an der Spitze des Zuges, neben ihm der Major und zu seiner Linken Malveca, der ihm heute eine Menge von Einzelheiten, besonders über die Stärke von Flores' Heer, erzählen mußte. Darüber wußte Malveca, für den man noch eine passende Uniform aufgetrieben hatte, allerdings eigentlich gar nichts, denn die Rüstungen waren im Innern des Landes betrieben worden. Von dem Heere selber hatte er noch nicht einmal den Vortrab gesehen, und nur Gerüchte über die Zahl der Truppen konnten nach dem entfernt liegenden Guaranda dringen. Daß diese allerdings sämmtlich zu Flores' Gunsten lauteten, wußte er, aber er kannte auch seine Landsleute in ihren Uebertreibungen und hütete sich besonders, Franco's augenblickliche Kampfeslust durch solche Berichte, die ungünstig von ihm aufgenommen werden konnten, herab zu stimmen.

So viel blieb überhaupt sicher, daß beide Heere aus nichts weniger als kampfgeübten Truppen bestanden, es war auf beiden Seiten zusammengelaufenes Volk mit einer Unzahl von Officieren, die in vielen Fällen nicht einmal zu commandiren verstanden und von Taktik oder überhaupt von einer höheren Kriegskunst nicht den geringsten Begriff hatten. In dieser Hinsicht waren sie einander vollkommen gleich. Einen unendlichen Vortheil gewann Flores' wilde Schaar aber dadurch, daß die meisten unter seinen Leuten für sich selber und für den eigenen Herd kämpften, während Franco eine Unmasse Gesindel aus der Hafenstadt nur durch Versprechungen von Plünderung und Beute gewonnen hatte.

So lange er siegte, war er ihrer gewiß, bei der geringsten Niederlage aber fehlte ihnen der moralische Halt, und deshalb lag dem Mulattengeneral auch jetzt vor allen Dingen daran, Flores in seine Gewalt zu bekommen, um das Gefühl in seinen Schaaren wach zu rufen, daß ihnen jetzt kein Feind mehr ernsthaft Widerstand leisten konnte.

So rückte der Zug eben nicht übermäßig rasch, denn man wollte sich nicht von dem Fußvolk trennen, aber doch ununterbrochen auf der Straße vor, als zwei Reiter sichtbar wurden, die von dem nächsten Hügel herabkamen und gerade auf das Heer zuhielten. Waren es schon Vorposten von Flores' Truppen? – aber sie schienen die Schaaren, die den Weg bedeckten, entweder gar nicht gesehen zu haben oder nicht zu beachten, denn sie hielten ihre Pferde nicht an und verschwanden im nächsten Augenblick in einer Senkung des Weges, aus der sie erst nach einiger Zeit wieder in Sicht kommen konnten.

Franco hatte sein Fernrohr vom Sattelknopf genommen und geöffnet und richtete es nun auf den Punkt der Straße, auf dem die Reiter, wenn sie die Richtung beibehielten, wieder zum Vorschein kommen mußten. Jetzt wurden ihre Gestalten auf's Neue sichtbar, und er sagte, nachdem er kaum einen Moment durch das Glas gesehen, indem er es wieder zusammenschob:

»Vorwärts, es ist Niemand weiter wie der Courier der Consulardepeschen nach Guajaquil, er hat sein Fähnchen schon aufgesteckt. Jetzt erfahren wir auch vielleicht, wo der Feind steht,« und seinem Thier rasch die Sporen gebend, sprengte er, nur von dem Major gefolgt, der ihn überhaupt nie verließ, voraus.

Nicht lange darauf begegneten sie den beiden Reitern. Der eine von ihnen, der Courier, war ein junger Franzose, sein Begleiter aber ein ecuadorianischer Cholo von zwölf oder dreizehn Jahren, der den Mantelsack mit den Briefen über seinem Sattel liegen hatte und darauf ritt.

Man hätte in der That darüber staunen müssen, welche fabelhafte Korrespondenz die wenigen Consuln und Geschäftsträger einer Binnenstadt führten, wenn man die vollgestopfte Satteltasche des Couriers sah; aber er trug fast die ganze quitenische Post, nur unter Verschluß der verschiedenen Consulatssiegel, denn diese allein waren im Stande, ihre Briefe nach der Hafenstadt zu senden. – Alle anderen Boten, einerlei, ob sie von einem Privaten oder von der Regierung ausgingen, wären natürlich aufgefangen und die Briefschaften geöffnet worden.

Franco wußte dabei recht gut, welchen Mißbrauch die Consuln mit ihrem Vorrecht trieben, aber es ließ sich nichts dagegen thun, denn mit den Seemächten, so lange Guajaquil der einzige Platz blieb, in dem er sich behaupten konnte, durfte er es nicht verderben und mußte sie schon gewähren lassen. Ueberhaupt zeigte er sich den Ausländern, oder vielmehr den Engländern und Franzosen, überall gefällig und duldete nicht, daß ihnen irgend etwas in den Weg gelegt wurde; war es doch auch für ihn vom höchsten Interesse, daß diese beiden Länder seine Regierung anerkannten.

Der Courier, der eigentlich gar nicht aussah, als ob er sich in einem tropischen Klima befände, denn er trug einen warmen Ueberzieher und hohe Wasserstiefeln mit riesigen Messingsporen, einen breiten Filzhut und einen großen Regenmantel hinten an den Sattel geschnallt – führte ein kleines Fähnchen wie eine Ulanenlanze, aber ohne Spitze und mit drei kleinen Flaggen daran, der englischen, französischen und amerikanischen. Er kannte auch den General, denn er hatte ihm die letzten Monate mehrfach Depeschen gebracht und ihn noch kurz vor seinem Zug gegen Bodegas in Guajaquil gesehen.

Er ritt auf den General zu, grüßte ihn militärisch und sagte, indem er in die Brusttasche griff:

»General Franco – ich habe die Ehre, Ihnen hier eine Depesche des englischen Consulats zu übergeben, mit der Bitte, sie zu beantworten, bis ich wieder von Guajaquil zurückkomme. Außerdem sind« – setzte er hinzu, nachdem er das Papier überreicht hatte, »hier noch ein paar andere Briefe an Sie und Ihre Leute, die mir in Quito, und einer, der mir in Guaranda übergeben wurde.«

»Beno,« sagte der General, indem er die Depesche in die Tasche steckte, die Briefe aber noch in der Hand behielt – »und wo steht General Flores jetzt mit seinen Leuten, Amigo?«

»General,« sagte der Courier achselzuckend, »Sie wissen, daß ich eidlich verpflichtet bin, keine Einzelheiten über die verschiedenen Heere anzugeben. Es war eine Hauptbedingung, die Sie selber stellten, ehe Sie die Erlaubniß gaben, daß der Consulatscourier passiren durfte.«

»Und halten Sie das nach beiden Seiten so gewissenhaft?« frug der General mit einen tückischen Blick auf den Franzosen.

»General,« erwiderte dieser ernst, »ich bin Beamter der französischen Regierung und besitze deren Vertrauen. So viel kann und darf ich Ihnen aber sagen, daß Sie sich sehr bald über den Stand der Dinge selber überzeugen können. Sie werden nicht mehr lange in Ungewißheit darüber sein. Aber Sie entschuldigen, ich möchte gern noch vor einbrechender Nacht Bodegas erreichen, und habe keinen Augenblick Zeit mehr zu verlieren« – und die Hand an seinen Hut legend, gab er seinem Pferde die Sporen und sprengte weiter, um sich jetzt seinen nichts weniger als leichten Weg durch die dichten Massen der nachrückenden Soldaten zu bahnen.

»Unverschämtes Pack, diese Fremden!« fluchte der Major, als der Courier kaum außer Hörweite war. »So viel weiß ich, wenn ich Präsident wäre, jagte ich sie Alle zum Lande hinaus. – Hungriges Gesindel, weshalb bleiben sie nicht daheim, wenn sie zu Hause satt zu essen haben?«

Franco antwortete ihm gar nicht. Er wußte schon, daß sein Major oft höchst wunderbare Ansichten über Alles entwickelte, was außer seinem Gesichtskreise lag, und gab sich weder die Mühe, ihn zu belehren, noch darauf einzugehen. Nur die Aufschriften der verschiedenen Briefe hatte er gelesen, und auch einen – und zwar den, von dem ihm der Courier gesagt, daß er ihn in Guaranda erhalten – für Señor Malveca darunter gefunden.

»Caracho,« murmelte er leise vor sich hin, »was führt denn der Herr noch für eine Korrespondenz mit Guaranda; da wär' ich doch neugierig – und wie versiegelt und verklebt der Brief ist, daß ja Niemand hineinsehen soll.« – »Veremos« setzte er hinzu, indem er denselben in die Tasche schob. Zwei andere Briefe waren noch an Officiere in seinem Heere – beide von Quito – er steckte sie ebenfalls ein, denn er mußte wissen, welchen Verkehr seine Leute mit der feindlichen Stadt hatten, mit der ihnen nur ein solcher in Privatangelegenheiten erlaubt war.

Der letzte Brief war an ihn selber, mit der Aufschrift: »Sr. Excellenz, dem großen General Franco« – er brach ihn auf und las ihn, aber während dessen glühten seine Augen und seine breiten gelben Züge nahmen etwas Dämonisches an. Als er aber zu Ende gelesen hatte, riß er den Brief quer durch und dann noch in kleine Stücke, die der Wind über die nächsten Büsche trug.

Etwas Angenehmes hatte auch in der That nicht in dem Brief gestanden – nichts als das Spottlied, das jetzt überall in Quito auf den Mulattengeneral gesungen wurde:

»Muerto tendido me veo,«

und daß sich Franco darüber nicht gerade freute und daß dies seine Laune nicht verbessern konnte, läßt sich denken. Aber er äußerte kein Wort darüber, selbst nicht gegen seinen treuen Major, und als sie etwa eine Stunde später das kleine Dorf Tucumbo erreichten, in dem sein Quartiermacher ihm schon das beste Haus zur Wohnung angewiesen hatte, stieg er die Treppe hinauf und nahm Besitz davon. Der Major mochte zusehen, wo die Truppen Unterkunft fanden.

Uebrigens wollte er diesen Abend, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, ungestört sein. Es wurde ein Posten an die Thür gestellt, der den Befehl hatte, Jeden abzuweisen – selbst den Major – und mit einer dürftigen Oellampe, die ihm die Wirthin zur Verfügung stellte, begann er nun die ihm von dem Courier gegebenen Briefe zu erbrechen und zu lesen.



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