Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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23.

Die Verfolgung.

Die rasche Beerdigung der Todten wurde in diesem Klima zur Nothwendigkeit, damit sie nicht schon am nächsten Tag den Ort verpesteten. Das von Franco's Soldaten hier und da in die Häuser geworfene Feuer war glücklicher Weise nur an einer Stelle zum Ausbruch gekommen, aber auch dort von den Bewohnern rasch gelöscht worden, und als das Schießen aufhörte, kamen auch diese schüchtern hervor und wollten ihren eigenen Augen kaum trauen, daß der gefürchtete Mulatte mit seinen Negerhorden wirklich geschlagen und geflüchtet sei.

Bereitwillig leisteten sie aber, auf Flores' Aufforderung, Beistand bei der Bestattung der Gefallenen, war es doch nur zu ihrem eigenen Besten. Aber merkwürdig blieb die Gleichgültigkeit dabei, mit der sie oft die verstümmelten Körper handhabten oder schwer Verwundete liegen ließen.

Von den »Gefallenen« thaten ihnen aber sehr viele den Gefallen, ihnen die Arbeit zu erleichtern, denn besonders in dem letzten Kampfe hatten sich eine nicht geringe Zahl niedergeworfen und todt gestellt, bis das Gedränge über sie hinweggegangen war. Einzelne von diesen flohen allerdings, sowie sie einen günstigen Moment ersahen, seitab in den Wald hinein, um dort Schutz und Rettung zu suchen; die meisten aber blieben stehen, ließen sich gefangen nehmen und erklärten, sie wären von Franco gezwungen worden ihm zu folgen, und wollten jetzt mit Freuden (vielleicht auch mit der nämlichen Tapferkeit) unter Flores' Heer dienen. Was kümmerte sie Franco, da sie Quito doch nicht plündern konnten!

Außerdem kam auch noch eine Anzahl von Deserteuren, die die Flucht durch das Gebüsch dazu benutzt hatten, um sich abseits in die Sträucher zu drücken und ebenfalls zu Flores' Heer überzugehen. Es waren das meist Landleute aus der Nachbarschaft von Guajaquil, die Franco gepreßt hatte, und die nun die erste Gelegenheit beim Schopf ergriffen, um dem kleinen gelben Tyrannen zu entfliehen und der Regierung ihre Dienste anzubieten, die sie für die rechte und gesetzliche hielten.

Inwieweit diese Betheuerungen alle wahr und aufrichtig waren, ließ sich allerdings nicht beurtheilen. Manche der braunen Burschen, die hier mit thränenden Augen versicherten, wie schmerzlich es ihnen gewesen wäre, hierher geführt zu sein, um ihr eigenes Vaterland zu verwüsten, hätten vielleicht viel lieber geholfen, Quito mit zu brandschatzen, als hier auf's Neue eingereiht zu werden. Aber Flores wußte recht gut, daß er von diesen Leuten keinen Verrath zu fürchten brauchte, denn wenn sie einmal dienen mußten, thaten sie es, nachdem der Usurpator geschlagen worden, doch gewiß viel lieber unter ihm, als unter Franco. Er beorderte deshalb einen der Officiere, ihnen den Schwur für die quitenische Regierung abzunehmen – der vorgeschrieben war, damit Flores sie nicht für sich selber anwerben konnte – und ließ sie dann ohne Weiteres den verschiedenen Truppenkörpern zutheilen.

Während er noch an der Stelle, an der das blutige Gemetzel stattgefunden, hielt, trabte Fortunato die Straße herauf und Flores winkte ihn zu sich heran.

»Major Fortunato,« sagte er aber, als der junge Mann ehrerbietig grüßte, indem er ihm lächelnd die Hand entgegenstreckte, »vor allen Dingen habe ich Ihnen Abbitte zu thun, und das soll hiermit auf das Herzlichste geschehen sein.«

»General!« rief Fortunato, von der plötzlichen Auszeichnung überrascht und ergriffen, »Abbitte? – wofür?«

»Ja, ja,« nickte dieser freundlich, »ich hatte Sie anfangs scharf im Verdacht, daß Sie mit mir faules Spiel treiben wollten – nun, im Kriege ist jede List erlaubt und der Spion beweist manchmal weit mehr Tapferkeit, als der Soldat, der sich, von dem allgemeinen Taumel angesteckt, mitten in das Kampfgewühl hineinwirft. Ihre Geschichte kam mir beinahe zu unglaublich vor, selbst wenn Sie dem Espinoza geholfen hätten. Doch das ist jetzt abgemacht. Sie haben uns nicht allein mit List, sondern auch mit dem Arm wesentlich geholfen, denn Ihr ganz vortreffliches Retraiteblasen hat die Burschen vollkommen irre gemacht, und daß Sie jenen riesigen Mulatten aus dem Weg schafften – dort tragen sie eben die Leiche hin – wandte vielleicht allein den Sieg auf unsere Seite.«

»General,« lachte Fortunato, »das ist weniger Ihret- als meinetwegen geschehen, denn dieser gelbe Fleischklumpen war das willigste Werkzeug Franco's und ein Thier durch und durch. Als ich ihn sah, war ich fest entschlossen, daß er oder ich den Tag nicht überleben dürfe.«

»Das bleibt sich gleich, der Fleischklumpen hatte auch Muskeln und Sehnen und hat mir Manchen meiner Leute zu Schanden gehauen. Aber jetzt kommen Sie – wir können für den Augenblick doch nichts weiter thun und wollen deshalb frühstücken, dann mögen sich die Leute bis elf Uhr ausruhen, und nachher müssen wir dem Expräsidenten auf den Fersen sitzen, damit wir ihn einholen, wenn er gerade die Ebene von Bodegas erreicht. – Nun, was giebt's« wandte er sich an einen der Soldaten, der jedenfalls an ihn geschickt war, um etwas auszurichten, denn er blieb mit der Hand an der Mütze vor dem General stehen.

»General,« meldete der Mann, »Lieutenant Espinoza läßt Ihnen sagen, Sie möchten einmal geschwind da drüben in das Haus kommen, sie hätten da einen Gefangenen gefunden!«

»So, mein Bursche?« lachte der General, »also Lieutenant Espinoza läßt mir das sagen?«

»Ja, General.«

»Sehr schön, dann werden wir wohl gehorchen müssen. Kommen Sie mit, Major, wir wollen doch einmal sehen, was sie für einen Vogel dort gefangen haben. Wie sieht er aus?«

»Kann es nicht sagen, General; ich stand draußen vor der Thür.« Und ohne weiter zu fragen, wandte sich Flores um und schritt, von Fortunato begleitet, dem bezeichneten Hause zu, als ihnen Espinoza schon entgegenkam.

»General,« rief er aus, als er Flores erblickte, »wir haben hier einen merkwürdigen Fund gethan. Wissen Sie, wer da drinnen an Händen und Füßen gebunden liegt? – Malveca!«

»Malveca? Caramba!« sagte Flores, selber erstaunt über die Nachricht, »und gebunden? von Franco? Sollte mein Brief wirklich Früchte getragen haben?«

»Er behauptet, er sei gar nicht desertirt, sondern von einer Streifpatrouille dicht vor Guaranda gefangen genommen und fortgeführt worden.«

»In der That? – ein sehr glaubliches Märchen; aber den Herrn wollen wir uns doch einmal ansehen. Wo liegt er?«

»Gleich hier unten rechts; sie scheinen ihm übrigens bös mitgespielt zu haben.«

»Nicht schlimmer wahrscheinlich, als er es verdient, und ich fürchte fast, der Herr ist aus dem Regen unter die Traufe gekommen. Aber wir müssen doch selber hören, was er für sich zu sagen hat.«

Der General schritt voran und betrat gleich darauf einen halb kellerartigen Raum, der vor wenigen Minuten, und als ihn die Soldaten zuerst betraten, noch stockfinster gewesen war. Jetzt aber hatte man die hölzernen Läden aufgeschlagen, welche die Fensteröffnung verschlossen, und die Sonne goß ihre Strahlen voll und warm auf den unglücklichen Deserteur, an den bei dem Angriff der Quitener und bei der Flucht natürlich Niemand mehr gedacht hatte.

Und das war vielleicht ein Glück für ihn; denn wäre des Mulattenmajors Thätigkeit draußen nicht so sehr in Anspruch genommen gewesen, bis ihr ganz ein Ende gemacht wurde, er würde den Gefangenen wahrlich hier nicht lebend zurückgelassen haben.

General Flores hatte nun allerdings geglaubt, den Deserteur in einer sehr gedrückten und zerknirschten Stimmung zu finden, sah sich aber darin vollkommen getäuscht, denn wie er nur den kleinen Raum betrat, rief ihm Malveca schon laut und freudig entgegen:

»Gott sei Dank, General, der Sie hier zu meiner Rettung herbeiführt. Geben Sie nur Befehl, daß ich von diesen unwürdigen Banden befreit werde, die unsere Burschen wunderbarer Weise mir nicht abnehmen wollten.«

»Wunderbarer Weise allerdings,« wiederholte Flores, ihn forschend betrachtend. »Ehe ich Ihren Wunsch indessen erfülle, mein werther Señor, möchte ich Sie wenigstens um eine Erklärung bitten, wie Sie in diese Lage kommen, denn Kriegsgefangene behandelt man doch nicht auf die Art.«

»Und so wollen Sie Franco's Verfahren, nur eines Verdachts wegen, gegen mich fortsetzen?« rief Malveca bitter.

»Nein – Sie haben Recht,« sagte Flores – »bitte, lassen Sie ihm die Stricke abnehmen, Major – oder, Ihr Burschen, schneidet mir einmal die Seile durch und gebt dem Herrn die Freiheit seiner Gliedmaßen wieder; für seine Person haftet Ihr mir aber, und wenn er entwischt, dann gnade Euch Gott!«

»Und mich wollen Sie als Gefangenen halten, General?« frug Malveca mit vortrefflich erheucheltem Erstaunen – »etwa weil ich das Unglück hatte, in Gefangenschaft zu gerathen?«

»In Gefangenschaft!« sagte Flores, langsam mit dem Kopf nickend – »es war in der That ein besonderes Unglück, mitten aus dem Regierungsgebäude von Guaranda heraus abgefangen und fortgeführt zu werden. Sie sollten das Kriegshandwerk aufgeben, Malveca, Sie haben wirklich kein Glück.«

Die Soldaten hatten den Gefesselten indessen, während der General sprach, von seinen ihn wirklich schmerzenden Banden befreit, und Malveca brauchte einige Zeit, ehe er nur im Stande war, wieder aufzustehen, so weh thaten ihm die Glieder. Mühsam erhob er sich, hielt es aber nicht lange aus, denn die Circulation des Blutes war zu lange gehemmt gewesen, und Flores, der es sah, sagte ruhig:

»Bleiben Sie liegen, Señor, und lassen Sie Ihre Glieder erst wieder sich strecken – was wir zu sprechen haben, kann auch so geschehen, aber beantworten Sie mir die eine Frage offen und wahr. Weshalb sind Sie desertirt?«

»Desertirt? – ich?« schrie Malveca – »nur meine Feinde können das Gerücht verbreitet haben, und ich ahne fast, wer es gewesen ist.«

»Das genügt,« sagte Flores ruhig – »wir Beide haben also vor der Hand nichts weiter mit einander zu thun, und ein Kriegsgericht mag entscheiden, ob Sie schuldig oder unschuldig sind. – Kommen Sie, Major – und Ihr da, paßt mir gut auf den Gefangenen auf. Bei dem ersten Fluchtversuch, den er wagen sollte, macht Ihr von Euren Waffen Gebrauch. Ihr habt mich doch verstanden?«

»Ja wohl, General!«

»So soll ich ohne Untersuchung, selbst ohne Verhör als Deserteur behandelt werden?« rief der Gefangene – »und Sie selber, General, glauben mich schuldig?«

»Kommen Sie, Major,« wiederholte Flores, ohne ihn weiter einer Antwort zu würdigen, und verließ das Haus.

Indessen, während den Bewohnern von Tucumbo das Begraben der Todten überlassen wurde, und man die Verwundeten unter Aufsicht einiger Aerzte in ein rasch zum Spital eingerichtetes Haus schaffte, wurde der Befehl gegeben, daß die Soldaten ihr Frühstück bereiteten und dann Rast hielten, um zur bestimmten Zeit wieder bei Kräften und gerüstet zu sein.

Das Hinausschaffen der Todten hatte aber doch mehr Zeit weggenommen, als man vorher gedacht, und der Aufbruch mußte deshalb etwas verschoben werden, wenn man die Leute nicht unnöthiger Weise aufreiben wollte – Flores setzte ihn auf drei Uhr Nachmittags fest, denn er rechnete darauf, daß Franco mit seinem Heer nicht geringere Schwierigkeiten würde zu überwinden haben, weil er genöthigt war, die leichter Verwundeten mit fortzuschaffen.

Nach dem entsetzlichen Gemetzel und der anscheinenden Erbitterung bei den Angriffen und dem Zurückwerfen hätte man nun glauben sollen, daß Hunderte von Menschen diesen Tag mit ihrem Leben bezahlen, ober doch wenigstens Krüppel bleiben würden. Aber sonderbarer Weise zeigte sich das Resultat gar nicht so fürchterlich, denn es belief sich der beiderseitige Verlust von Erschlagenen auf kaum mehr als etwa fünfzig bis sechzig Mann, und etwa eben so viele Verwundete wurden noch gefunden. – Und selbst von diesen letzteren erwiesen sich noch manche als so leicht beschädigt, daß sie mit einem einfachen Verband wieder entlassen werden konnten.

Trotzdem wurde dem kleinen Dorf doch eine nicht unbedeutende Last dadurch aufgebürdet, und die Leute jammerten und lamentirten so lange, bis ihnen Flores endlich versprach, daß sie für die erlittenen Verluste entschädigt werden sollten, und zu gleicher Zeit, um sie nur in etwas zu beruhigen, Geld unter sie vertheilen ließ.

In einer wahrhaft verzweifelten Stimmung setzte indessen Franco seinen Weg nach Camino real fort, wobei er durch eine Anzahl ihm nachgesandter Plänkler zwar nicht aufgehalten, aber doch fortwährend belästigt und beunruhigt wurde.

Verloren! – Alles verloren mit dem einem tollen Angriff dieser »quitenischen Rebellen!« – Und was nun? – Aber noch gab er die Hoffnung nicht auf, denn wenn er nur Guajaquil erreichte – Bodegas war seiner offenen Lage wegen nicht zu vertheidigen – so wußte er sich dort unter Perus Schutz, und dessen Präsident Castilla würde, wie er glaubte, Alles aufbieten, um ihn in Ecuador zu halten und die Rebellen zu bestrafen.

Jetzt galt es deshalb vor allen Dingen, Bodegas wieder zu gewinnen, und ein paar Boten wurden auf raschen Pferden vorausgesandt, um gleich sämmtliche Balsas und Boote daselbst mit Beschlag zu belegen.

Es war das um so wichtiger, als Franco dadurch nicht allein seinen eigenen raschen Rückzug bewerkstelligen, sondern auch die Quitener verhindern konnte, ihm unmittelbar zu folgen. Flores mußte dann entweder so lange in Bodegas liegen bleiben, bis er wieder neue Fahrzeuge auftreiben konnte, oder den fast unmöglichen, jedenfalls entsetzlich beschwerlichen Landweg einschlagen.

Und wo war indessen Franco's sonstiger Schatten, der Major? – Daß er gefallen sein konnte, daran mochte er gar nicht glauben, obgleich einige Officiere gesehen haben wollten, wie er vom Pferde stürzte. – Sein Major todt? Und wen hatte er jetzt, den er quälen und chicaniren konnte? wen, der trotzdem nicht von seiner Seite wich, und mit einer Treue an ihm hing, wie kaum ein Hund an seinem strengen Herrn? Vielleicht war er nur verwundet und gefangen, und wie die Möglichkeit vor ihm auftauchte, knirschte Franco mit den Zähnen, denn er dachte in dem Augenblick zum ersten Mal wieder an seinen eigenen Gefangenen in Tucumbo, den er jetzt für wirklich schuldig hielt, ihn in eine Falle gelockt zu haben, und den er schmählich vergessen hatte, ohne ihn zu züchtigen.

Se. Excellenz ballte die Faust in ohnmächtiger Wuth und murmelte halblaute zornige Verwünschungen vor sich hin. Sein Gesicht hatte dabei eine gewisse hellgelbe Färbung angenommen, und seine Officiere mieden dann soviel wie möglich seine Nähe.

So trabte er, vollkommen unbekümmert, was aus dem Gros der Armee würde, die Straße entlang und überließ die Deckung der geschlagenen Schaar dieser selbst, bis er gegen Mittag Camino real wieder erreichte.

Hier traf er seine Lastthiere mit ihrer Bewachung, deren Arrieros, als sie von den vorausgeschickten Courieren hörten, daß Franco auf der Flucht sei, augenblicklich umgekehrt waren und zum Theil ihre Thiere schon wieder abgepackt hatten, um hier zu übernachten. Wie ein Wetter fuhr aber Franco über sie her und drohte jeden der Treiber augenblicklich erschießen zu lassen, der nicht unverzüglich wieder aufpacke und zu Thal ziehe, und die Burschen merkten, daß es ihm ernst war und daß er seine Drohung ohne Weiteres wahr machen würde.

Und fort ging es nach kaum einer Stunde Aufenthalt in dem jetzt vollkommen menschenleeren öden Ort, denn wie die Kunde nur das Dorf erreichte, daß die geschlagene Armee Franco's auf dem Rückzug sei, flohen die armen Einwohner mit ihrer geringen Habe in den Wald hinein und überließen dem Heer, dem sie nach dieser Niederlage Alles zutrauten, die leeren Häuser.

Franco durfte übrigens diese Eile nicht beklagen, und rettete dadurch wahrscheinlich sich selbst und den Ueberrest seiner Truppen, denn der Himmel drohte wieder Regen, und kaum hatte er die schlüpfrigen Anhöhen hinter sich, als auf's Neue der Regen in Strömen herabstürzte.

Flores indessen, der zu viel auf Franco's Zähigkeit im Widerstand gerechnet hatte und sich nicht denken konnte, daß der Usurpator alle weiteren Eroberungspläne für das innere Land nach der einen erlittenen Schlappe vollkommen aufgeben würde, ließ seine Leute erst vollständig rasten. Er konnte ja auch nicht wissen, welche Anstrengungen ihnen noch bevorständen, und die braven Burschen hatten bis dahin wirklich das Aeußerste geleistet.

Es war drei Uhr Nachmittags, ehe er mit ihnen wieder von Tucumbo ausrückte, und er hoffte fest darauf, Franco in Camino real verschanzt anzutreffen.

Als er mit Fortunato an der Spitze des Zuges ausritt, erreichten sie bald darauf den Platz, wohin die Einwohner von Tucumbo die Todten geschafft hatten. Der Weg war hier, an einer ziemlich steilen Wand hin, mit der Spitzhacke eingehauen und zeigte zur Linken einen etwa acht Fuß hohen, scharf abfallenden gelben Lehmwall, aus dem überall die Wurzeln von Bäumen hervorragten, während sich nach rechts, etwa sechzig bis achtzig Schritt tief, ein dicht mit Gebüsch und Bäumen bewachsener Abhang hinabzog, um unten in eine schmale Terrasse auszulaufen.

Bis zu dieser Stelle hatte man die Gebliebenen getragen und sie dann, um sie so viel als möglich aus dem Wege zu räumen, den steilen Hang bis zu der Terrasse hinabgeschleift. Ueberall zeigten die zertretenen und geknickten Büsche noch die frischen Blutspuren der hindurchgeschleppten Körper, und Fortunato wandte schaudernd das Auge davon ab, als es auf einem noch viel furchtbareren Gegenstand vor Entsetzen haften blieb.

Unmittelbar an der Straße nämlich, und in der Lehmwand selbst, die hier gewissermaßen die natürliche Mauer bildete, sah er die abgehauenen Köpfe zweier Menschen so in die Wand hineingegraben, daß sie nur mit ihren stieren Todtenmasken daraus hervorstarrten, und erkannte augenblicklich in den Beiden die nur zu scharf seinem Gedächtniß eingeprägten Züge des riesigen Barbadoes und seines Genossen Viruta.

»Um Gottes willen, General, sehen Sie dort,« rief er und streckte die Hand nach dem gräßlichen Zeugniß einer wilden Barbarei aus.

»Zwei Mulatten,« sagte aber Flores gleichgültig, als sein Blick leicht darüber hinstreifte – »ja, die haßt das Volk hier vor allen Anderen, noch mehr als die Neger, und wäre Franco ihm in die Hände gefallen, ich glaube kaum, daß es ihm besser ergangen wäre. Lassen Sie die Todten, was kümmert das uns. Sie sind als Räuber in ein friedliches Land eingebrochen und haben ihre Strafe dafür erhalten.«

»Erkannten Sie das Gesicht des Einen, General?«

»Ich habe gar nicht so genau darauf geachtet.«

»Es war der Major – die rechte Hand Franco's.«

»In der That?« lächelte Flores – »schade denn, daß er nicht selber diesen Anblick haben konnte – aber vielleicht ist uns das Glück günstig, und wenn wir ihn hier nach Quito vorüberführen, kann er nicht allein dort einen alten Bekannten begrüßen, sondern auch vielleicht sein eigenes Schicksal darin abspiegeln sehen. Dort drüben sammelt sich schon wieder ein Wetter um den Sangai – heut Abend ist der Abhang von Camino real unpassirbar, und wenn mich nicht Alles täuscht, sitzt der andere Mulatte dort in der Falle.«

Das Gespräch war damit abgebrochen und Fortunato nicht in der Stimmung, es wieder anzuknüpfen, denn seine Gedanken weilten bei vergangenen Zeiten, und er dachte, wie wunderbar der Zufall oder auch ein dunkles Verhängniß es gefügt habe, daß gerade diese beiden Menschen, die so schwer in sein eigenes Schicksal eingegriffen hatten, ihm noch einmal in so schrecklicher Weise nach dem Tode entgegentraten, als ob sie ihn mahnen wollten, wie rasch hinieden Glück und Unglück wechseln.

Aber Fortunato hatte einen leichten Sinn und war von trüben Gedanken oder gar Ahnungen nicht so bald zu bewältigen, und wie sich der Weg wieder öffnete und der freie Blick über das schöne offene Land dahinschweifte, schüttelte er alle düsteren Bilder, die hinter ihm lagen, wie einen wüsten, wirren Traum wieder ab.

Uebrigens nahm das Wetter ebenfalls ihre Aufmerksamkeit in Anspruch, denn Flores hatte ganz Recht gehabt; der Sangai bewährte seinen alten Ruf, und bald umhüllte sich die heitere Luft mit einem dichten Regenmantel. Die Blitze zuckten, der Donner rollte, und eine Wasserfluth peitschte erbarmungslos auf die dem Wetter ruhig die Stirn bietenden Truppen nieder.

Franco aber hatte sich vorsichtiger gezeigt, als Flores glaubte, und wie sie endlich noch vor Sonnenuntergang im vollen Toben der Elemente das kleine verlassene Dorf Camino real erreichten, war von dem Mulattengeneral und seinen Truppen weiter Niemand zurückgeblieben, als ein paar arme Teufel von Verwundeten, die nicht mehr im Stande gewesen, den forcirten Marsch auszuhalten.

An eine weitere Verfolgung für den Abend konnte indessen nicht gedacht werden, und bei dem vollständig unpassirbar gewordenen Weg blieb ihnen nichts Anderes übrig, als Besitz von dem verlassenen und geleerten Häusern zu ergreifen, um die Ankunft des Gepäcks abzuwarten und dann Nachtquartier zu machen.



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