Friedrich Gerstäcker
General Franco
Friedrich Gerstäcker

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12.

Verschiedenes Schicksal.

In der nämlichen Viertelstunde, in welcher Ibarra verhaftet werden sollte, befand sich Zegado in seiner Arbeitsstube und schritt unruhig in dem kleinen Raum auf und ab. Ibarra hatte ihm kurz zuvor seinen Plan mitgetheilt, die Vorbereitungen waren getroffen, um heut Abend unmittelbar nach der Versammlung der Gleichgesinnten und so wie man sich nur über die Ausführungsweise geeinigt hatte, alle Kräfte aufzurufen, die man sich geneigt wußte. Nur Eins beunruhigte Zegado, daß der Freund nämlich den Doctor Ruibarbo in's Geheimnis gezogen; denn wenn auch der Doctor gegen ihn stets die Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit selber gewesen war, so traute er ihm doch um so weniger, als er wußte, daß er selber keine erbittertere Feindin in der ganzen Republik hatte, als Ruibarbo's jetzige Braut, die Señora Entonza. Es war das eine alte Geschichte – die Ursache dieser Feindschaft – aber Zegado besaß Menschenkenntniß genug, um zu fühlen, daß diese Frau ihm jenen Augenblick nie vergeben würde, wo er einst den nicht mißzuverstehenden Antrag ihres »Herzens« und ihrer »Hand« kalt und lächelnd zurückgewiesen.

Und wurde ihr an sich verwegenes Unternehmen nicht noch gefährdeter durch einen so zweideutigen Mitwisser, wie der Doctor? Wenn es fehlschlug, so lag jetzt nicht einmal ein englischer Dampfer im Strom, um die Flüchtigen aufzunehmen. Doch alle diese Bedenken kamen zu spät; das Rad rollte, und die Hoffnung Zegado's stützte sich auf die wohlbekannte Scheu des Doctors, entschieden irgend einer bestimmten Partei bei oder entgegen zu treten.

Zegado's Familie befand sich im andern Flügel des Hauses, und er hatte eben seinem Diener Auftrag gegeben, Rothwein und Gläser für die erwarteten Gäste herbeizuschaffen und das Eis in Bereitschaft zu halten, das bei solchen Gelegenheiten nicht fehlen durfte, als seine Thür aufgerissen wurde und Ibarra's Bursche hereinstürzte.

»Flieht!« war das einzige Wort, was er ihm zurief, indem er ihm einen kleinen Zettel in die Hand drückte. Im nächsten Moment sprang er schon auf dem Fenstersims und mit einem kecken Satz in den Garten hinab, wo er unter den dicht wuchernden Büschen verschwand.

Zegado warf einen Blick auf das Papier:

»Verrathen,« murmelte er zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch und riß das Papier in kleine Stücke – aber draußen wurden auch schwere Schritte laut, und wie er noch zögerte, ob er dem Beispiel des Burschen folgen oder erwarten solle, was man von ihm wolle, wurde die Thür aufgestoßen und die Bewaffneten erschienen mit gefälltem Gewehr auf der Schwelle.

»Im Namen Seiner Excellenz, Sie sind mein Gefangener, Señor,« rief ihm ein Polizeibeamter entgegen. Aber mit dem Bewußtsein, verrathen und an allen Hoffnungen gescheitert zu sein, erfaßte ihn ingrimmige Wuth. Einen Revolver von seinem Schreibtisch aufgreifend, rief er mit donnernder Stimme:

»Halt, Compañeros – der Erste, der dies Zimmer ohne meine Erlaubniß betritt, ist eine Leiche.«

Die Soldaten stutzten, denn sie kannten die kleine bösartige Waffe mit den vielen Läufen, die erst kürzlich von den Fremden in ihr Land gebracht worden, der Anführer aber sagte: »Señor, Sie wollen sich doch nicht dem Befehl Seiner Excellenz widersetzen?«

»Seiner Excellenz!« rief aber Zegado. »Der General ist in diesem Augenblick im Innern und weiß nichts davon, daß ruhige Bürger dieser Stadt gegen jedes Gesetz, gegen jede Ordnung verhaftet werden sollen. Wer hat Euch gesandt?«

»Der Polizeidirector Bustillos, der jetzt im Namen Seiner Excellenz die Ruhe der Stadt aufrecht zu erhalten hat. Es hilft Ihnen nichts, Señor, wir sind unserer Acht und eine zweite Patrouille steht unten vor dem Haus. Ein einziger Schuß, und die Burschen stürmen, und was sie nachher hier drinnen angeben, haben Sie selber zu verantworten.«

Zegado seufzte tief auf. – Seine Frau – seine Kinder – nur zu gut wußte er, welcher furchtbaren Rohheiten sich dieses wilde, zügellose Volk schon schuldig gemacht, wo es sich in seinem Rechte und sicher vor Strafe glaubte. Seine Familie durfte er solcher Gefahr nicht preisgeben, wo er noch im Stande war, den Schlag abzulenken.

»Und was verlangt Ihr von mir,« sagte er finster, indem er die Waffe streckte, »wessen klagt man mich an?«

»Muß bedauern, Señor, Ihnen darüber keine Auskunft geben zu können,« erwiderte achselzuckend der Beamte; »wir haben nur dem gegebenen Befehl zu gehorchen, Sie zum Herrn Director zu führen, der wird dann das Weitere bestimmen und – kann Ihnen auch alle Fragen beantworten – wenn er es eben für gut findet.«

Zegado knirschte mit den Zähnen – das Spiel war für den Augenblick verloren, aber was konnte Bustillos wissen! – Verrathen! »Hab' ich es Ibarra nicht gesagt?« knirschte er zwischen den Zähnen durch – »dieser nichtswürdige Doctor –!«

»Zwei Mann vor,« commandirte der Polizeimann, der Erfahrung genug hatte, um zu wissen, daß sie jetzt keinen Widerstand mehr zu fürchten brauchten.

Zegado maß die Burschen mit finsteren Blicken. Einen Moment noch zuckte es ihm in der Hand, den Kampf zu wagen und lieber unterzugehen, als sich zu ergeben. Aber der Gedanke an die Seinen drückte ihm noch einmal den Arm nieder. Die Waffe neben sich auf den Tisch legend, sagte er: »Thut, was Euch befohlen ist, aber seid versichert, daß ein Tag kommt, an dem Ihr für diese Handlung Rechenschaft geben müßt.«

»Kennen den Tag, Señor,« erwiderte mit einem eigenen Anflug von Humor der Polizeisoldat, denn er war sehr zufrieden damit, daß sie keinen größeren Widerstand fanden – »'s ist der jüngste, an dem das große Buch aufgeschlagen wird – müssen's aber eben abwarten und laufen auch eigentlich keine große Gefahr, denn Alles kommt doch zuletzt auf die Rechnung Seiner Excellenz.«

»Und darf ich meine Frau nicht sprechen?«

»Thut mir leid, Señor – strenger Befehl: Keinen Verkehr mit irgend welcher Person zu dulden. Aber kommen Sie mit uns, so ist's ja möglich, daß Sie den Herrn Director mit Ihren Antworten gleich befriedigen, und in einer Stunde sind Sie wieder zu Hause. Je länger wir hier zögern, desto länger dauert's.«

»Gut, dann vorwärts,« rief Zegado.

Noch war nichts geschehen, was ihn vor irgend einem Gerichtshof der Welt hätte bloßstellen können. Auf einen Argwohn hin ließ sich kein Hochverrathsproceß begründen – dem Angeber fehlt jeder Schatten von Beweisen. Mit dem Gedanken beruhigte sich Zegado; das Schlimmste, was ihm bevorstehen konnte, war eine Nacht in Haft.

Ohne weiter ein Wort zu verlieren, ergriff er seinen Hut und wollte eben das Zimmer verlassen, als er seine beiden Arme von den nächsten Soldaten gepackt und zurückgebogen fühlte. »Bestien!« zerdrückte er zwischen den Zähnen, indem er vergebens mit ihnen rang, »das geht über Euren Befehl.«

»Nur ruhig, Herzchen,« riefen aber die Soldaten, die sich jetzt alle auf ihn warfen und ihm, trotz seines Sträubens, die Arme auf den Rücken schnürten. »Glaubst Du, daß wir uns von Dir noch einmal wollen so ein Ding wie den Revolver unter die Nase halten lassen? – Nimm es mit, Pedro, da auf dem Tische liegt's, und vielleicht stecken in den Schiebladen auch noch andere.«

Der Wink war zu deutlich, um ihn mißzuverstehen. Im Nu war der Schreibtisch und jedes andere Gefach im Zimmer geöffnet, aufgeschlossen oder erbrochen, und was die Burschen von dort vorgefundenen Sachen brauchen konnten – und sie konnten eigentlich Alles brauchen – steckten sie ein. Selbst das Papier wurde nicht von ihnen verschont, da sie es zu ihren Cigarretten verwenden konnten. In wenigen Minuten war das Zimmer sauber ausgeplündert. Zwei Soldaten aber, die sich ihren Beuteantheil durch Zurufe an die übrigen sicherten, stießen den Gefangenen vor sich her, der Treppe zu.

Zegado, also mißhandelt, sah, wie er den Vorsaal betrat, seine Frau mit einem Aufschrei aus ihrem Zimmer stürzen und dann ohnmächtig auf der Schwelle zusammenbrechen. – Er wollte zu ihr, aber seine Schergen drängten ihn nach vorn, und wenige Minuten später fand er sich, vollkommen machtlos, in ihrer Gewalt, auf der Straße und dem Polizeigebäude entgegen geschleppt.

Seine einzige Hoffnung war jetzt, augenblicklich vor den Direktor geführt zu werden, um dort [gegen] die nichtswürdige Behandlung zu klagen, die er erlitten. Aber auch darin sollte er sich getäuscht sehen. Als er nach dem Señor Bustillos frug, wurde ihm die Antwort, der Señor habe Gesellschaft und jetzt anderes zu thun, als sich um jeden neu eingebrachten Gefangenen zu kümmern. Im nächsten Augenblick ward er in ein dumpfes Loch hineingestoßen, aus dem ihm, als es geöffnet wurde, eine heiße, fast erstickende Luft entgegen wehte, und ohne daß man seine Banden löste, blieb er dort halb ohnmächtig auf dem Boden liegen. Kaum hörte er noch wie im Traum, daß die schweren Riegel seines Gefängnisses draußen vorgeschoben wurden.

Ein anderes Leben kam, je näher die Nacht heranrückte, in die Straßen, wo sich bis dahin das Volk, nur seinem Vergnügen nachgehend, umhergetrieben hatte. Hier und dort schallte der Schritt der Patrouillen. Cavallerie durchritt mit geladenen Carabinern und wehenden Lanzenfahnen die Straßen; überall tönten in kurzen Zwischenräumen die Horn- und Trompetensignale der aufgestellten Posten.

Scheu zogen sich die Lustwandelnden vor diesem wilden Treiben in die hinteren Straßen und den Schutz der Häuser zurück. Es war etwas im Werke, das ließ sich nicht mehr verkennen; irgend etwas Außergewöhnliches mußte die Besatzung alarmirt und zu solcher Thätigkeit gerufen haben, und die Bewohner wußten aus Erfahrung, daß es nicht rathsam sei, bei solchen Gelegenheiten mit dem übermüthigen Soldatenvolk zusammen zu treffen. Das Geringste, was ihnen bei einer solchen Gelegenheit bevorstand, war, eine Nacht zwischen Ungeziefer und Schmutz auf der Wache zuzubringen. Ehe daher eine halbe Stunde verging, waren die Straßen ziemlich geräumt. Selbst die Händler und Höker packten mit eifriger Hast ihre Eß- und Trinkwaaren ein, die sonst einer begehrlichen Patrouille hätten – natürlich vollkommen ohne Bezahlung – zum Opfer fallen können. Verkaufen konnten sie keineswegs mehr etwas an dem Abend.

Jetzt erklärte sich auch das Heizen der Dampfer, erklärte sich das viele Hin- und Herfahren verschiedener Boote, die zugleich eine Controle auf dem Strome auszuüben schienen.

War General Flores im Anmarsch? Hatte er vielleicht dem Mulattengeneral eine Schlacht geliefert und trieb ihn jetzt vor sich her? Sollte die Stadt gegen die andrängenden Quitener vertheidigt werden, wobei die Kanonen der Dampfer schwerlich unthätig blieben? Niemand wußte es, und Gerüchte, eins immer toller und unwahrscheinlicher als das andere, durchliefen die Stadt und beunruhigten Hunderte von Familien, die am liebsten mit Sack und Pack geflohen wären, wenn sie nur eben gewußt hätten wohin?

Unterdessen schmetterten beim Director Bustillos die Trompeten, wirbelten die Pauken und hämmerte die große Trommel, die eben ihr Vorspiel zur Tafelmusik begann. – Durch die Seitenstraße aber glitt die dunkle Gestalt eines Mannes, horchte vorsichtig an der Ecke, ob keine Patrouille vorüber kam, und betrat dann über dem Weg drüben ein kleines niederes Haus, das ihm auf ein besonderes Klopfen geöffnet wurde. – Für die Stadt war er von dem Augenblick an verschwunden, aber mit kaum verminderter Eile setzte er durch den dahinter liegenden, völlig abgeschiedenen Hofraum seinen Weg bis zur nächsten Gartenmauer fort, die er, trotz seinen zu solchen gymnastischen Uebungen nicht geeigneten Kleidern, übersprang und jetzt auf das Portal eines anderen Hauses zuschritt. – Es war Zegados.

Unten blieb er stehen und horchte; aus dem Haus drang Wimmern und Wehklagen von Frauenstimmen.

»Zu spät,« murmelte er leise vor sich hin, und fast krampfhaft ballte sich die drohend zum Himmel gestreckte Faust. Aber was konnte er noch thun – die Stadt wimmelte von Bewaffneten, und hätte er auch sein eigenes Leben gewagt, indem er sich ihnen entgegenstellte, wem konnte er dadurch nützen? – Er mußte frei bleiben, mußte handeln können. Wie er gekommen, unbemerkt und geräuschlos, glitt er in den schützenden Schatten der Gebüsche zurück, und als das Weinen und Klagen im Hause endlich nachließ, lag die noch vor wenigen Stunden so glückliche und friedliche Wohnung dunkel und schweigend wie das Grab.



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