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In diesem zweifelhaften Menschenleben steht doch eines außer Zweifel: Alles, was seinen Weg durch ein öffentliches Amt nimmt, geht ganz anders aus, als der Privatmann meint.
Hätte Dinny ebensoviel Erfahrung wie Schwesterliebe besessen, sie hätte sich wohl gehütet, den schlafenden Leu zu wecken. Sie wußte eben noch nicht, daß Briefe an Würdenträger und hohe Beamte meist genau das Gegenteil von dem bewirken, was der Absender damit bezweckt. Dinnys Brief rief nur Lord Saxendens Eigendünkel wach, was man bei Männern in Amt und Würden vermeiden muß, und brachte ihn dazu, sich um die Angelegenheit überhaupt nicht zu bekümmern. Bildet dieses junge Frauenzimmer sich etwa ein, er, Lord Saxenden, habe nicht durchschaut, daß jener Amerikaner ihr aus der Hand fraß? Es zeigte sich wieder einmal die Ironie des Schicksals: Hallorsens Erklärung veranlaßte die Behörden gerade zu strengerer Kritik und schärferem Argwohn in Huberts Angelegenheit. Zwei Tage vor Ablauf des Krankenjahrs erhielt dieser die Nachricht, sein Urlaub sei auf unbestimmte Zeit verlängert und sein Gehalt auf die Hälfte reduziert, solange die vom Abgeordneten Major Motley im Unterhaus vorgebrachte Beschuldigung nicht entkräftet sei.
Dieses Mitglied der Militärkommission hatte als Antwort auf Hallorsens Erklärung in der ‹Times› ebenfalls einen Brief veröffentlicht und darin an den Professor die Frage gerichtet, ob die Prügel und das Erschießen, wovon er in seinem Buch berichte, überhaupt nicht auf Wahrheit beruhten. Wenn dies aber der Fall sei, wie könne der Verfasser diesen verblüffenden Widerspruch erklären? Hallorsen hatte darauf entgegnet, sein Bericht in dem Buch über Bolivien gebe die Tatsache richtig wieder, doch die Schlüsse, die er aus den Tatsachen gezogen, seien irrig; Hauptmann Cherrell habe durchaus nicht unkorrekt gehandelt.
Als Hubert die Nachricht erhielt, sein Urlaub sei auf unbestimmte Zeit verlängert worden, begab er sich ins Kriegsministerium, brachte jedoch keinen andern Trost heim als die inoffizielle Mitteilung eines Bekannten, die bolivianische Regierung habe sich eingemengt. Über diese Botschaft gerieten die Bewohner von Condaford in helle Bestürzung. Keiner der vier jungen Leute – die Tasburghs weilten noch auf Condaford zu Gast, und Clare war noch nicht aus Schottland zurückgekehrt – ermaß die volle Bedeutung dieser Kunde, noch ahnte ja keiner von ihnen, wie weit ein Beamter gehn kann, wenn er auszieht, seine Pflicht zu erfüllen. Doch den General erschütterte die Nachricht so sehr, daß er nach London fuhr und dort über Nacht im Klub blieb.
Am selben Tag sagte Jeanne Tasburgh ruhig nach dem Tee, während sie den Billardstock mit Kreide rieb: «Was bedeutet diese Nachricht aus Bolivien?»
«Nun, dies und das. Du weißt ja, ich hab einen Bolivianer erschossen.»
«Er hat doch dir ans Leben gewollt.»
«Allerdings.»
Sie lehnte den Stock hin; ihre schlanken, kraftvollen, braunen Hände gruben sich in die Polsterwand des Billards. Plötzlich trat sie auf Hubert zu, schob ihre Hand unter seinen Arm und erklärte: «Gib mir einen Kuß, ich gehöre jetzt dir.»
«Jeanne!»
«Still, Hubert! Nichts von Ritterlichkeit oder ähnlichem Unsinn. Du sollst diese scheußliche Sache nicht allein auskochen müssen. Ich will sie mit dir teilen. Gib mir einen Kuß!»
Sie erhielt den Kuß, einen langen Kuß, tröstend und befreiend für beide. Doch kaum war er vorbei, sagte Hubert: «Jeanne, erst muß diese Geschichte in Ordnung sein, früher ist es ganz unmöglich.»
«Selbstverständlich kommt sie in Ordnung, ich werd sie einrenken. Wir wollen schleunigst heiraten, Hubert. Vater wird mir hundert Pfund im Jahr geben, was kannst du aufbringen?»
«Ich habe dreihundert Privateinkommen jährlich und halbes Gehalt, das mir aber vielleicht entzogen wird.»
«Sichere vierhundert Pfund also jährlich. Junge Leute haben schon mit viel weniger geheiratet. Auch bleibt es ja nicht dabei. Natürlich können wir heiraten. Wo?»
Hubert stand atemlos da.
«In Kriegszeiten», fuhr Jeanne fort, «hat man auch vom Fleck weg geheiratet. Man konnte nicht warten, weil der Mann in den Tod ging. Noch einen Kuß!»
Atemloser denn je stand Hubert da, den Hals noch immer von ihren Armen umschlungen. So fand Dinny die beiden.
Jeanne gab noch immer seinen Hals nicht frei und erklärte: «Wir heiraten, Dinny. Wo sollen wir das am besten erledigen? Im Standesamt? Aufgebote nehmen so viel Zeit in Anspruch.»
Dinny riß Mund und Augen auf. «Daß du dich so schnell erklärst, Jeanne, hätte ich nicht erwartet.»
«Ich mußte doch. Hubert ist kindisch in seiner Ritterlichkeit. Vater wird vom Standesamt nichts wissen wollen. Könnten wir nicht die Erlaubnis zur Trauung ohne Aufgebot erwirken?»
Huberts Hände lagen auf ihren Schultern. Er hielt sie ein wenig von sich.
«Sei doch ernst, Jeanne.»
«Das bin ich ja. Wenn wir ohne Aufgebot getraut werden, braucht niemand etwas zu erfahren, eh nicht alles vorbei ist. Da wird sich auch niemand drüber aufregen.»
«Mir scheint, du hast recht», erklärte Dinny ruhig. «Wenn etwas geschehn muß, tut man es am klügsten schnell ab. Ich denke, Onkel Hilary würde euch zusammengeben.»
Hubert ließ die Hände sinken. «Ihr seid beide übergeschnappt.»
«Höflich!» gab Jeanne zurück. «Die Männer sind doch hirnrissig. Zuerst wünschen sie sich was, und wird es ihnen dann geboten, so zaudern sie wie alte Weiber. Wer ist denn Onkel Hilary?»
«Pfarrer von Sankt Augustin im Grünen. Er hat einen sehr schwach entwickelten Sinn für das, was sich schickt.»
«Bravo! Hubert, morgen gehst du zu ihm und besorgst die Lizenz für die Trauung ohne Aufgebot. Wir holen dich dann ab. Dinny, wo können wir in London übernachten?»
«Angela wird uns gewiß gern aufnehmen.»
«Einverstanden. Wir müssen in Lippinghall haltmachen, ich muß mir einige Kleider holen und mit Vater sprechen. Ich werd es ihm eröffnen, während ich ihm das Haar schneide, da kann er keine Geschichten machen. Alan soll auch mitkommen, wir werden doch einen Brautführer brauchen. Und du, Dinny, bringst inzwischen Hubert zur Vernunft.»
Als sie mit dem Bruder allein war, meinte Dinny: «Hubert, sie ist ein Prachtmädel und durchaus nicht übergeschnappt. Das Tempo ist atemraubend, aber Jeanne hat enorm viel gesunden Menschenverstand. Arm ist sie ja immer gewesen, da macht es ihr gar nichts aus.»
«Das ist es nicht. Aber etwas Verhängnisvolles scheint über mir zu schweben, und das wird dann auch sie treffen.»
«Wenn du sie nicht heiratest, trifft es sie noch schlimmer. Ich täte es an deiner Stelle, lieber Junge. Vater wird nichts dagegen haben. Sie gefällt ihm, und er sieht es gewiß lieber, du heiratest ein mutiges Mädchen aus guter Familie als einen Geldsack.»
«Es kommt mir so unschicklich vor – eine Trauung ohne Aufgebot», murmelte Hubert.
«Es ist romantisch, und überdies läßt du den Leuten ja nicht einmal Zeit, es für passend zu halten oder nicht. Sie werden sich mit der Tatsache abfinden wie immer.»
«Aber was wird Mutter sagen?»
«Wenn du willst, teile ich es ihr mit. Sie wird gewiß nicht viel dagegen haben. So modern, daß du irgendein Revuegirl heiratest, bist du ja doch nicht. Mutter bewundert Jeanne, Tante Emily und Onkel Lawrence ebenfalls.»
Huberts Miene hellte sich auf. «Also ich heirate. Wie wunderbar! Schließlich hab ich keinen Grund, mich zu schämen.» Er trat auf Dinny zu, küßte sie fast heftig und eilte hinaus. Dinny blieb im Zimmer und übte einen Billardstoß. Trotz ihrem sachlichen Verhalten war sie tief bestürzt. Die Umarmung, bei der sie die beiden ertappt, war so leidenschaftlich gewesen. Das Mädchen schien eine so seltsame Mischung von Gefühl und Selbstbeherrschung, Lava und Stahl, war so gebieterisch und dabei noch so lachhaft jung. Die Sache war vielleicht ein Wagnis. Aber jetzt schon hatte sie Hubert zu einem ganz andern Menschen gewandelt. Dennoch behagte Dinny die Geschichte nicht ganz. Ihr selbst wäre ein solches Auflodern der Leidenschaft einfach unmöglich gewesen. Wenn sie ihr Herz verschenkte, würde das nicht so stürmisch geschehn. Ihre alte schottische Kinderfrau pflegte immer zu sagen: «Miß Dinny weiß, woher der Wind weht.» Sie war nicht stolz auf diesen ‹Sinn für Humor, diesen Witz, der bisweilen alles andre an der Entfaltung hinderte›. Sie beneidete Jeanne um ihre frische Entschlußkraft, Alan um seine schlichte Überzeugung, Hallorsen um seinen robusten Wagemut. Immerhin, auch sie hatte so manches in die Waagschale zu werfen. Ein leises Lächeln auf den Lippen, ging sie zu ihrer Mutter.
Lady Cherrell saß in ihrem Allerheiligsten neben dem Schlafzimmer und nähte Musselinsäcke für die Blätter der duftenden Verbene, die sich am Haus emporrankte.
«Liebste Mutter», rief Dinny, «mach dich auf einen leichten Nervenschock gefaßt. Erinnerst du dich noch an meinen Wunsch, wir könnten für Hubert ein modernes Prachtgirl auftreiben? Nun, wir haben es. Soeben hat Jeanne ihm einen Heiratsantrag gemacht.»
«Dinny!»
«Sie lassen sich vom Fleck weg trauen, ohne Aufgebot.»
«Aber um Gottes willen –!»
«Freilich! Morgen fahren wir also nach London. Jeanne und ich wohnen bei Angela, bis alles erledigt ist. Hubert wird es Vater sagen.»
«Aber Dinny, im Ernst –?»
Durch einen Berg von Musselin arbeitete Dinny sich zur Mutter durch, kniete vor sie hin und umschlang sie. «Ich fühle ganz wie du», erklärte sie. «Na, vielleicht doch nicht ganz so, weil ich ihn nicht geboren habe. Doch bedenk, liebste Mutter, alles ist ja in bester Ordnung. Jeanne ist ein wundervolles Geschöpf, und Hubert scheint bis über die Ohren in sie verschossen. Die Geschichte schlägt ihm schon jetzt sehr gut an, Jeanne wird dafür sorgen, daß er den Kopf nicht hängen läßt.»
«Aber die Geldfrage, Dinny!»
«Vom Vater erwarten sie nichts. Für einen einfachen Haushalt langt ihr Einkommen, und in der ersten Zeit müssen sie ja nicht gleich Kinder kriegen.»
«Ich denke nicht. Es kommt so schrecklich unerwartet. Weshalb nur eine Trauung ohne Aufgebot?»
«Plötzliche Eingebung. Jeanne hat sie gehabt.» Dinny faßte die schlanke Gestalt Lady Cherrells. «Huberts nächste Zukunft sieht ohne Frage recht düster aus, Mutter.»
«Ach ja, ich bin ganz niedergeschlagen, und dein Vater ist es nicht minder, wenn er auch nicht viel sagt.»
Mehr wollten beide von ihrem Kummer nicht laut werden lassen, drum zogen sie es vor, zu beraten, wo das wagemutige junge Paar sein Nest bauen solle.
«Könnten sie denn nicht bei uns auf Condaford wohnen, bis diese Sache erledigt ist?» fragte Lady Cherrell.
«Vermutlich finden sie es amüsanter, in der eignen Küche Geschirr zu waschen. Gerade jetzt ist es ungemein wichtig, daß Hubert munter und rege bleibt.»
Lady Cherrell seufzte. Korrespondenzen, Gartenpflege, Anordnungen im Haushalt und Ausschußsitzungen der Pfarrgemeinde waren allerdings nicht aufregend. Und den jungen Leuten fehlten in Condaford sogar diese Zerstreuungen. «Es ist freilich still bei uns», gab sie zu.
«Gott sei Dank!» murmelte Dinny. «Doch Hubert braucht gerade jetzt Leben und Bewegung. All das wird er mit Jeanne in London finden. Vielleicht können sie eine Arbeiterwohnung mieten, nur für kurze Zeit. Also, liebste Mutter, tu, bitte, heut abend so, als wüßtest du gar nichts, und wir alle werden wissen, daß du alles weißt. Das wirkt so beruhigend.» Sie gab der Mutter einen Kuß auf den sorgenvoll lächelnden Mund und verließ das Zimmer.
Am nächsten Morgen zogen die Verschwornen schon zu früher Stunde aus. Wie Jeanne meinte, sah Hubert wie vor einem Hindernisreiten drein. Alan zeigte sich gewandt als angehender Brautführer, Dinny entschlossen, alles von der heitern Seite zu nehmen, nur Jeanne schien völlig ungerührt. Sie fuhren im Auto der Tasburghs, setzten Hubert am Bahnhof ab und schlugen den Weg nach Lippinghall ein. Jeanne chauffierte, die beiden andern saßen hinten.
«Dinny», fragte der junge Tasburgh, «könnten wir uns nicht auch gleich ohne Aufgebot trauen lassen? Verschaffen wir uns die Lizenz.»
«Gebührenermäßigung bei Abnahme mehrerer Exemplare. Benimm dich! Wenn du erst wieder auf See bist, hast du mich in einem Monat vergessen.»
«Seh ich danach aus?»
Prüfend blickte Dinny in sein braunes Gesicht. «Stellenweise schon.»
«Sei doch endlich einmal ernst!»
«Ich kann nicht. Ich sehe Jeanne vor mir, wie sie dem Vater eine Locke abzwickt und dabei ruft: ‹Also los, Papa, gib deinen Segen oder du wirst ratzekahl geschoren!› Und der Pfarrer erwidert: ‹Ich? Nie – und nimmer!› Da zwickte Jeanne eine zweite Locke weg und ruft: ‹Also abgemacht. Ich krieg hundert Pfund im Jahr, oder deine Augenbrauen sind fort.›»
«Jeanne ist ein wahrer Drache. Dinny, versprich mir wenigstens, daß du keinen andern heiratest!»
«Stell dir doch vor, ich liebte jemanden rasend, willst du mir da mein junges Leben verderben?»
«Jawohl!»
«So antworten die Liebhaber auf der Leinwand nicht.»
«Ich nehme rascheres Tempo», erklärte Jeanne und lehnte sich zurück. Der Geschwindigkeitszähler stieg rapid: sechzig – siebzig – fünfundsiebzig – achtzig –! Des Seemanns Hand schob sich unter Dinnys Arm.
«So geht das nicht weiter, der Motor explodiert noch. Aber diese Straße fordert einen dazu heraus.»
Dinny saß mit starrem Lächeln da; sie haßte so schnelle Fahrten und bemerkte klagend, als Jeanne wieder das gewöhnliche Fünfzig-Kilometer-Tempo einschlug: «Jeanne, ich bin inwendig noch ganz neunzehntes Jahrhundert.»
Später beugte sie sich wieder vor: «Ich möchte mich nicht in Lippinghall sehn lassen. Bitte fahr geradewegs zum Pfarrhof und halt mich dort irgendwo versteckt, während du mit dem Vater verhandelst.»
Sie wurde im Speisezimmer gegenüber dem Ahnenbild untergebracht, von dem Jeanne ihr erzählt hatte, und betrachtete es voll Neugier. Darunter stand: ‹1553. Catherine Tastburgh, geborene Fitzherbert, im 36. Lebensjahr, Gattin des Sir Walter Tastburgh.› Das altersgebräunte Gesicht über dem langen, von steifer Krause umschloßnen Hals sah so aus, wie Jeanne fünfzehn Jahre später aussehn mochte. Die gleiche Linie von den breiten Backenknochen zu dem spitzen Kinn, die gleichen langgeschnittnen, lockenden Augen mit dunklen Wimpern; selbst die unter der Brust verschränkten Hände glichen genau den Händen Jeannes. War wohl die Geschichte dieser seltsamen Vorgängerin bekannt? Und würde sich diese Geschichte in ihrem Ebenbild wiederholen?
«Sieht sie nicht Jeanne geradezu erschreckend ähnlich?» Mit dieser Frage trat der junge Tasburgh ein. «Die hatte, wie es heißt, einen eisernen Schädel. Sie soll ihr eigenes Begräbnis inszeniert haben und bei den Katholikenverfolgungen, kurz nach dem Regierungsantritt Elisabeths, aus England geflohn sein. Weißt du, wie es damals allen Priestern ging, die nach katholischem Ritus die Messe lasen? Daß ihnen dafür der Bauch aufgeschlitzt wurde, war eine Kleinigkeit. Christentum, wahrhaftig! Diese Dame hat, denk ich, so manchen Draht gezogen. Ich wette, die betrieb auch alles im Eiltempo.»
«Nichts Neues von der Front?»
«Jeanne hat sich mit einer alten Nummer der ‹Times›, einem Handtuch und einer Schere in Vaters Arbeitszimmer begeben. Der Rest ist Schweigen.»
«Weißt du nicht irgendein Versteck, aus dem wir sie beobachten können, wenn sie herauskommen?»
«Setzen wir uns auf die Treppe. Wenn sie nicht zufällig hinaufgehn, bemerken sie uns nicht.»
Dinny und Alan verließen das Zimmer, hockten sich in einen dunklen Winkel der Treppe und spähten durchs Geländer nach der Tür der Bibliothek. Mit einem Gruseln wie in den Kindertagen wartete Dinny drauf, daß die Tür sich auftat. Plötzlich trat Jeanne heraus, in der einen Hand eine Tüte aus Zeitungspapier, in der andern eine Schere. Die Lauscher hörten sie sagen: «Vergiß nicht, Lieber, daß du heut nicht ohne Hut aus dem Haus darfst.»
Die unartikulierte Antwort wurde vom Schließen der Tür übertönt. Dinny erhob sich und rief übers Geländer: «Nun, wie steht's?»
«Alles in Ordnung. Er hat ein wenig gemurrt – weiß nicht, wer ihm in Zukunft die Haare schneiden wird und so weiter. Die Lizenz zur Trauung ohne Aufgebot hält er für Geldvergeudung. Aber die hundert Pfund im Jahr wird er mir geben. Als ich fortging, stopfte er sich grade die Pfeife.» Sie blieb stehn und guckte in die Papiertüte: «Es hat ihn ziemlich viel Haare gekostet. Dinny, wir nehmen sofort den Lunch, dann fahren wir gleich wieder weiter.»
Beim Lunch benahm sich der Pfarrer höflich wie immer. Dinny beobachtete ihn aufmerksam, ja bewundernd – ein Witwer in vorgerückten Jahren, jetzt sollte er seine einzige Tochter verlieren, die ihm in Haus und Pfarre alles besorgte, sogar das Haarschneiden. Und doch schien er ruhig wie immer, kein Laut des Unmuts stahl sich über seine Lippen. War das nun seiner Erziehung zuzuschreiben, seiner Vaterliebe, oder atmete er am Ende gar erleichtert auf? Dinny kam drüber nicht recht ins klare; ihr Herz begann unruhig zu schlagen. Nun stak Hubert bald in des Pfarrers Schuhn. Sie starrte Jeanne an. Ohne Zweifel konnte die ebenfalls ihr eigenes Begräbnis inszenieren, vielleicht auch das andrer Leute. Aber ihr Kommando würde gewiß nie rauh und ordinär klingen, als gewöhnlicher Hausdrache entpuppte sie sich wohl nie. Wenn nur Hubert und sie genügend Humor besaßen!
Nach dem Lunch nahm der Pfarrer Dinny beiseite. «Meine liebe Dinny – ich darf Sie doch wohl so nennen? – was halten Sie von der Sache, und was sagt Ihre Frau Mutter dazu?»
«Wir denken beide: ‹Eins, zwei, drei: im Sauseschritt –›»
«Nun», erwiderte der Pfarrer versonnen, «Jeanne ist ein gutes Mädchen; ungemein – eh – tatkräftig. Bin froh, daß unsere Familien wieder – eh – durch Verwandtschaftsbande verknüpft werden. Mir wird sie freilich arg fehlen, aber – eh – man darf nicht immer an sich selbst denken.»
«Was wir auf der einen Seite verlieren, gewinnen wir auf der andern», murmelte Dinny.
Des Pfarrers blaue Augen zwinkerten. «Ach ja! Der Mensch muß sich fügen. Jeanne will nicht, daß ich sie bei der Trauung dem Gatten übergebe. Hier ist ihr Taufschein, falls man ihn verlangen sollte. Sie ist mündig.» Er zog einen langen vergilbten Zettel hervor. «Du meine Güte!» fügte er ergriffen hinzu.
Dinny wußte wieder nicht recht, ob sie ihn bedauern sollte. Gleich darauf fuhren sie davon.