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Viertes Kapitel

Adrian Cherrell war einer jener begeisterten Freunde des Landlebens, wie man sie nur in Großstädten antrifft. Sein Beruf als Leiter eines anthropologischen Museums fesselte ihn an London. Soeben hockte er grübelnd über einer prähistorischen Kinnlade, einem Funde aus Neuguinea, der bei der Presse glänzende Aufnahme gefunden hatte, und meinte im stillen: ‹Leeres Gewäsch! Ganz gemeines Exemplar des Homo Sapiens.› Da meldete der Diener: «Sir, ein Fräulein wünscht Sie zu sprechen. Miß Cherrell, glaub ich.»

«Führen Sie die Dame herein, James.» Dabei dachte er: ‹Dinny? – Jetzt gilt es, klug sein.›»

«Du bist's, Dinny! Denk dir, Canrobert behauptet, das Ding da sei die Kinnlade eines vortertiären Menschen, Mokley behauptet, es sei nur wenig jünger als die Funde von Piltdown, und Eldon P. Burbank hält es für einen Urmenschen wie den Rhodesier. Ich aber behaupte: es ist ein Homo Sapiens; sieh dir doch diesen Backenzahn an.»

«Jawohl, Onkel Adrian.»

«Menschlich, nur allzu menschlich. Der Kerl hat Zahnweh gehabt. Zahnweh trat vermutlich erst im Gefolge der Kunstentwicklung auf. Auf altamiranische Kunstwerke und Cromagnon-Höhlen stößt man immer gleichzeitig. Der Bursch da ist ein Exemplar des Homo Sapiens

«Köstlich! Also kein Zahnweh ohne Weisheit. Ich will Onkel Hilary und Onkel Lawrence besuchen, drum bin ich in London. Aber zuerst möcht ich zur Stärkung mit dir lunchen gehn.»

«Einverstanden. Gehn wir ins bulgarische Kaffeehaus.»

«Warum?»

«Jetzt gibt's noch gute Küche dort. Es ist erst unlängst eröffnet worden, sie wollen Reklame machen, Kind. Drum werden wir wahrscheinlich gut und billig bedient. Willst du dir vorher vielleicht noch die Nase pudern?»

«Ja, bitte.»

«Dort hinein.»

Indessen strich sich Adrian seinen kleinen Spitzbart und erwog, was er eigentlich für achtzehn Shilling und sechs Pence bestellen könne; denn als Staatsbeamter ohne Privatvermögen trug er selten mehr als ein Pfund in der Tasche.

«Hör einmal, Onkel Adrian», begann Dinny bei Tisch, als sie eine Omelette Bulgarienne speisten, «weißt du etwas über Professor Hallorsen?»

«Den Mann, der auszog, den Ursprung der ägyptischen Kultur in Bolivien zu finden?»

«Stimmt. Und Hubert nahm er mit.»

«Aha, und ließ ihn dann im Stich, nicht wahr?»

«Kennst du Hallorsen?»

«Jawohl. Ich traf ihn im Jahre 1920, bei einer Kletterpartie auf die ‹Kleine Zinne› in den Dolomiten.»

«War er dir sympathisch?»

«Nein.»

«Warum nicht?»

«Er war so unverschämt jung und hat mich dabei überflügelt. Ich mußte stets an Baseball denken. Kennst du dieses Spiel?»

«Nein.»

«In Washington hab ich's einmal spielen sehen. Man beflegelt den Gegner, um ihn aus der Fassung zu bringen. Will er den Ball schleudern, so wirft man ihm flugs die saftigsten Grobheiten an den Kopf. Das gehört zu den Spielregeln. Siegen um jeden Preis, so heißt die Losung.»

«Siegen um jeden Preis, hältst du es für erstrebenswert?»

«Jedermann tut das, aber niemand gibt es zu.»

«Ja, und jeder versucht es, wenn es drauf ankommt.»

«Gewiß, Dinny, sogar Politiker sollen dagegen nicht gefeit sein.»

«Onkel, würdest du um jeden Preis siegen wollen?»

«Wahrscheinlich.»

«Nein, du nicht. Ich schon.»

«Zu lieb von dir, Kind. Doch warum traust du dir das zu?»

«Ach, ich bin jetzt blutdürstig wie ein Moskito, Huberts wegen. Gestern nacht las ich sein Tagebuch.»

«Das Weib», erklärte Adrian langsam, «ist noch immer so göttlich verantwortungslos.»

«Besteht Gefahr, daß wir uns darin ändern?»

«Keine Spur; sagt, was ihr wollt, ihr Frauenzimmer – des Mannes angebornen Trieb, euch zu beherrschen, könnt ihr nie und nimmer vernichten.»

«Onkel Adrian, wie stellt man es an, einen Mann wie Hallorsen zu vernichten?»

«Entweder man erschlägt ihn mit einer Keule oder macht ihn lächerlich.»

«Seine Ansichten über bolivianische und ägyptische Kultur waren doch lächerlich, nicht wahr?»

«Einfach lachhaft. In Bolivien existieren meines Wissens einige seltsame, mit rätselhaften Schriftzügen bedeckte Riesenfelsblöcke; doch wenn ich nicht ganz auf dem Holzweg bin, ist seine Theorie Effekthascherei und Unsinn. Aber vergiß nicht, mein Kind, Hubert ist in die Sache verwickelt.»

«Nicht in wissenschaftlicher Hinsicht, er hatte nur den Transport zu leiten.» Mit gewinnendem Lächeln blickte Dinny ihrem Onkel in die Augen. «Gelt, es ist doch gar nichts Schlimmes, solch einen Unsinn vor aller Welt lächerlich zu machen? Onkel, niemand trifft das besser als du!»

«Schlange!»

«Ist es nicht Pflicht jedes ernsten Gelehrten, solchen Unsinn lächerlich zu machen?»

«Wäre Hallorsen Engländer, dann vielleicht. Da er aber Amerikaner ist, sieht die Sache anders aus.»

«Wieso? Was hat Wissenschaft mit Staatsgrenzen zu tun?»

«In der Theorie gar nichts. In der Praxis drücken wir ein Auge zu. Die Amerikaner sind äußerst empfindlich. Denk nur an den berühmten Affenprozeß von Tennessee und an die Stellungnahme der Amerikaner zur Entwicklungslehre. Hätten wir Engländer da ein schallendes Gelächter angestimmt, so wäre es am Ende gar zu einer Kriegserklärung gekommen.»

«Die meisten Amerikaner haben doch selbst darüber gelacht.»

«Stimmt. Aber daß ein Ausländer über sie lacht, das ertragen sie nicht. Möchtest du nicht diese bulgarische Omelette wieder versuchen?»

Schweigend aßen sie weiter, und jeder betrachtete dabei voll Sympathie die Züge des andern. Dinny ging es durch den Sinn: ‹Seine vielen feinen Falten find ich so nett; und was für einen hübschen kleinen Bart er nur hat!› Adrian meinte im stillen: ‹Ihr Stumpfnäschen find ich so nett. Auf meine Nichten und Neffen kann ich stolz sein.› Endlich fragte Dinny: «Also, Onkel Adrian, wirst du dir überlegen, wie man diesem Menschen sein schuftiges Vorgehn gegen Hubert heimzahlen kann?»

«Wo hält er sich auf?»

«In den Vereinigten Staaten, sagt Hubert.»

«Liebes Kind, hast du auch bedacht, daß Nepotismus verwerflich ist?»

«Ungerechtigkeit ist noch verwerflicher, Onkel; und Blut ist dicker als Wasser.»

«Und dieser Wein da», versetzte Adrian und schnitt eine Grimasse, «noch dicker als beides. Wozu besuchst du Hilary?»

«Ich will eine Einführung bei Lord Saxenden ergattern.»

«Zu welchem Zweck?»

«Vater erklärt, er sei ein ‹großes Tier›.»

«Also, du knüpfst ‹Beziehungen› an?»

Dinny nickte.

«Kein feinfühliger und gerader Mensch erreicht etwas durch Beziehungen.»

Zwinkernd zog sie die Brauen hoch und lächelte, so daß man ihre weißen, ebenmäßigen Zähne sah. «Bin ich denn feinfühlig und gerade, Onkelchen?»

«Wird sich zeigen. Übrigens, diese Zigaretten sind tatsächlich famos, eine Propaganda für das Kaffeehaus. Da, versuch eine!»

Dinny nahm eine Zigarette, blies langsam den Rauch vor sich hin und fragte: «Nicht wahr, Onkel Adrian, du hast Großonkel Cuthbert noch im Sterben gesehn?»

«Jawohl. Ein würdevoller Tod. Wie eine Statue hat er gewirkt. An Onkel Cuthbert ging ein Diplomat verloren.»

«Ich bekam ihn bloß zweimal zu Gesicht. Aber tat es deiner Meinung nach seiner Würde Abbruch, daß er Beziehungen anknüpfte, um sich durchzusetzen?»

«Das trifft nicht recht zu, liebes Kind, vielmehr brachten ihn seine Überredungsgabe und die Macht seiner Persönlichkeit ans gewünschte Ziel.»

«Und sein Auftreten?»

«Die Würde selbst – sie starb mit ihm aus.»

«Jetzt muß ich gehn, Onkel. Eine Portion Falschheit brauch ich und ein dickes Fell.»

«Und ich», erklärte Adrian, «kehre zum Kinnbacken des Homo Sapiens von Neuguinea zurück; mit diesem Kinnbacken schlage ich, ein zweiter Simson, meine Fachkollegen nieder. Wenn ich Hubert auf irgendeine anständige Art beistehn kann, will ich's gerne tun. Für alle Fälle werd ich mir die Geschichte überlegen. Richte ihm einen herzlichen Gruß von mir aus und leb wohl, liebes Kind!»

Sie schieden; Adrian begab sich in sein Museum zurück und setzte sich wieder vor die Kinnlade aus Neuguinea, doch seine Gedanken schweiften zu einem ganz andern Kinn hinüber. Seine ‹törichte Schwäche› für Angela Forest, die schon in die Zeit vor ihrer unseligen Ehe zurückreichte, war ziemlich selbstlos; einem magern, mäßigen und gereiften Mann wie ihm floß ja das Blut nicht mehr allzu stürmisch durch die Adern. Angelas Glück ging ihm über das eigne. Wenn er an sie dachte – und das tat er fast unablässig – fragte er sich vor allem: ‹Was ist wohl für sie das Beste?› Er hatte Angela nun schon so lange entbehren müssen, daß es ihm gar nicht in den Sinn kam, sich ihr aufzudrängen, was sowieso nicht in seinem Wesen lag. Doch ihr reizender Mund, die feine Nase, das ovale Gesicht mit den dunklen Augen, das, wenn sie nicht gerade sprach, stets ein wenig traurig schien, verdrängten immer wieder die Kinnladen, Schenkelknochen und andern interessanten Formationen, die ihm beruflich zu tun gaben. Angela bewohnte mit ihren beiden Kindern ein kleines Haus im Chelsea-Viertel und bestritt den Unterhalt aus dem Vermögenserträgnis ihres Gatten, der seit vier Jahren als ‹Unheilbarer› in einem Sanatorium für Geisteskranke untergebracht war. Nun war sie fast vierzig und hatte entsetzliche Zeiten durchgemacht, ehe Hauptmann Forest fürs Irrenhaus reif geworden. Adrian, in Wesen und Denkungsart ein Mann der alten Schule, hatte sich dazu erzogen, das Menschenleben aus einer gewissen Perspektive zu betrachten, und nahm es mit fast humorvoller Ergebung in sein Schicksal hin. Er war kein Gesellschaftsreformer, kein Umstürzler, die Lage seiner Angebeteten rief in ihm nicht das Verlangen wach, sie als Eheweib zu erbeuten. Er wünschte nichts so sehnlich wie ihr Glück, aber unter solchen Verhältnissen sah er sich außerstande, sie glücklich zu machen. Jetzt hatte sie wenigstens Ruhe und ein ausreichendes Einkommen durch den Mann, den das Schicksal so schwer geschlagen. Adrian empfand sogar ein wenig von jener abergläubischen Scheu, die primitive Menschen vor den unglücklichen Geisteskranken hegen. Forest war ein anständiger Kerl gewesen, gesund und wohlerzogen, bis zu dem Tag, da sich die ersten Symptome seiner Krankheit zeigten; seine Aufführung während der beiden letzten Jahre vor dem Ausbruch des Irrsinns ließ sich einzig durch seinen Irrsinn erklären. Nun war er völlig hilflos, von Gott geschlagen; darum mußte man ihm gegenüber ganz besonders gewissenhaft sein. Adrian wandte sich von dem Kinnbacken ab und langte einen Gipsabguß des Pithekanthropos herab, jenes seltsamen Wesens, dessen Überreste man in Trinil auf Java gefunden; sollte man es als Menschenaffen oder als Affenmenschen bezeichnen? Welcher Unterschied zwischen diesem Fund und dem Schädel eines neuzeitlichen Engländers dort drüben auf dem Kamin! Und mochte man zu allen berühmten Autoritäten laufen, man erhielt dennoch keine Antwort auf die Frage: Wo stand die Wiege des Menschengeschlechts, wo hatte aus den Rassen von Trinil, Piltdown, Neandertal und einigen andern noch unentdeckten Vettern dieser Geschöpfe sich der Homo Sapiens entwickelt? Außer seiner Liebe zu Angela Forest kannte Adrian nur noch eine Leidenschaft: den brennenden Wunsch, die Heimat des Homo Sapiens zu ergründen. Jetzt führte man wieder die Ansicht ins Treffen, er stamme vom Neandertaler ab, doch Adrian meinte, damit habe es einen Haken. Wenn eine Menschenart bereits einen so hohen Grad von Differenzierung erreicht hatte wie der tierische Schlag des Neandertalers, dann konnte er wohl nicht mehr in einen Typ so grundverschiedener Art übergehen. Mit demselben Recht hätte man erwarten können, daß sich ein Hirsch in einen Elch verwandle! Adrian wandte sich dem großen Globus zu, auf dem er in seiner netten Handschrift alle für das Problem der Herkunft des Menschen wichtigen Funde verzeichnet hatte, nebst zahlreichen Anmerkungen über die geologischen Perioden, das Klima der Fundorte und die Zeit, der diese Gebeine entstammten. Wo – wo lag die Heimat des Menschen? Man konnte dieser Frage nur durch Schlüsse beikommen, nach der Methode der Franzosen durch instinktives Erraten der Gegend, die wahrscheinlich in Betracht kam; nachträglich mußten jene Schlüsse dann freilich durch Grabungen im mutmaßlichen Gebiet Bestätigung finden. Wo befand sich also diese Heimstätte, in den Hügeln am Fuße des Himalaja, in Fayum oder auf einem jetzt vom Meer verschlungenen Festland? Wenn sie wirklich unter dem Meeresspiegel lag, dann konnten sie wohl nie mehr mit Sicherheit ermittelt werden. Eine rein akademische Angelegenheit? Praktisch ohne Bedeutung? Halt, doch nicht ganz: sie hing mit der Frage nach der Wesensart der ursprünglichen Menschen zusammen, des unverdorbenen Primitiven. Erst unlängst hatte man diese alte Streitfrage wieder aufgeworfen und lebhaft erörtert, diese Frage, deren Entscheidung das Fundament der Gesellschaftslehre bilden sollte: Ist der Mensch von Natur friedlich und gutartig, wie die Lebensführung mancher Tiere und sogenannter ‹wilder› Volksstämme nahelegt, oder ist er unruhig und angriffslüstern, wie die Menschheitsgeschichte, jene Sammlung schauriger Ereignisse, zu beweisen scheint? Wenn sich doch nur die Wiege des Homo Sapiens finden ließe! Wer weiß, vielleicht brächte dies Licht in das Problem, ob der Mensch von Natur ein Teufel war, der etwas vom Engel an sich hatte, oder ein Engel mit einem Einschlag von Teufelei? Ein Mann von Adrians Charakter neigte natürlich eher zu dieser wieder modern gewordenen These von der angeborenen Gutartigkeit des Menschen; doch sein prüfender Verstand sträubte sich dagegen, irgendeine Behauptung ohne eingehende Untersuchung hinzunehmen. Selbst gutartige Vierfüßler und Vögel konnten den Selbsterhaltungstrieb nicht verleugnen, ebensowenig der primitive Mensch. Die eigentlich raffinierte Grausamkeit des Menschen trat naturgemäß erst dann zutage, als sich ihm ein weiterer Wirkungskreis erschloß, als die Zahl seiner Rivalen wuchs – mit andern Worten, sie begann erst mit der Ausbreitung und Verzweigung des Selbsterhaltungstriebs in der sogenannten Zivilisation. Die einfache Lebensweise unzivilisierter Menschen bot ihrem Selbsterhaltungstrieb weit weniger Gelegenheit, sich unheilvoll auszuwirken, aber das ließ noch lange keinen Schluß auf sein gutartiges Naturell zu. Klüger, den modernen Menschen so zu nehmen, wie er eben war, und ihm möglichst wenig Gelegenheit zu Missetaten zu geben. Auch durfte man bei den Primitiven nicht allzuviel Gutmütigkeit voraussetzen. Erst gestern nacht hatte er von einer Elefantenjagd in Zentralafrika gelesen; die Neger, Männer und Frauen, die den Weißen als Treiber gedient, waren über die Kadaver der erbeuteten Elefanten hergefallen, hatten sie Glied für Glied zerrissen und das rohe, bluttriefende Fleisch verzehrt, dann waren sie paarweise in den Wald verschwunden, die Orgie zu vollenden. Na ja, die Zivilisation war doch nicht ohne Wert!

In diesem Augenblick meldete ein Amtsdiener: «Ein Professor Hallorsen wünscht Sie zu sprechen, Sir. Er möchte gern die Schädel aus Peru sehn.»

«Hallorsen?» rief Adrian verdutzt. «Irren Sie nicht, James? Der ist doch in Amerika.»

«Hallorsen, ja, so heißt er. Ein stattlicher Herr, spricht wie ein Amerikaner. Hier seine Karte.»

«Hm! Führen Sie ihn herein, James!» Und er dachte: ‹Dinny! Dinny! Was soll ich ihm nur sagen?›»

Der Eintretende, ein ungewöhnlich großer, sehr hübscher Mann, schien etwa achtunddreißig Jahre alt. Sein glattrasiertes Gesicht sah blühend aus, die Augen funkelten, im dunklen Haar glänzten hie und da ein paar Silberfäden. Ein frischer Lufthauch schien mit ihm ins Zimmer zu dringen. «Herr Kustos?» fragte er ohne Umstände. Adrian verneigte sich. «Ah! Wir sind einander schon einmal begegnet, ganz bestimmt! Auf einer Bergpartie, nicht?»

«Jawohl», erwiderte Adrian.

«Freut mich wirklich! Mein Name ist Hallorsen, von der Expedition nach Bolivien. Ihre peruanischen Schädel sollen ja großartig sein. Ich habe aus Bolivien eine kleine Sammlung mitgebracht; möchte sie gern an Ort und Stelle mit den Ihren vergleichen. Es ist schon viel dummes Zeug darüber zusammengeschmiert worden von Leuten, die die Originale nicht kennen.»

«Sehr richtig, Professor! Ich werde Ihre Bolivianer mit Vergnügen besichtigen. Da fällt mir übrigens ein, Sie kennen ja noch gar nicht meinen Namen. Hier bitte.» Adrian überreichte ihm seine Karte, Hallorsen nahm sie entgegen.

«Ah! Sie sind ein Verwandter des Hauptmanns Cherrell, der so über mich hergefallen ist?»

«Sein Onkel. Doch ich war der Meinung, Sie seien über ihn hergefallen.»

«Er hat mich im Stich gelassen.»

« Sie ihn, behauptet er.»

«Hören Sie zu, Mr. Cherrell. Sie betrauen einen Mann mit einer Aufgabe, er zeigt sich ihr keineswegs gewachsen und läßt Sie in der Patsche. Dann überreichen Sie ihm wohl zum Abschied eine goldne Verdienstmedaille, Herr Kustos?»

«Ehe ich über ihn herfiele, würde ich jedenfalls untersuchen, ob die ihm gestellte Aufgabe menschenmöglich war.»

«Das hat der zu tun, der diese Aufgabe übernimmt. Und was wurde schon von ihm verlangt? Ein paar Mestizen im Zaum zu halten, weiter nichts.»

«Ich weiß allerdings nicht viel von der Geschichte, aber wie ich hörte, hatte er auch über die Transporttiere zu wachen.»

«Stimmt! Und hat alles seinen Händen entgleiten lassen. Nun, ich kann von Ihnen nicht erwarten, daß Sie gegen Ihren Neffen Stellung nehmen. Aber dürfte ich Ihre Schädel aus Peru sehn?»

«Gewiß.»

«Sehr verbunden.»

Als sie gemeinsam die Schädel besichtigten, warf Adrian immer wieder einen Blick auf das prachtvolle Exemplar des Homo Sapiens, das neben ihm stand. Einen so kraftstrotzenden, blühend gesunden Mann hatte er selten gesehn. Den mußte natürlich jeder Fehlschlag wurmen, denn seine starke Vitalität hinderte ihn dran, die Sache auch vom Standpunkt des Gegners ins Auge zu fassen. Überall mußte der den eignen Kopf durchsetzen, wie alle seine Landsleute; bei seiner überschäumenden Lebenskraft konnte er gar nicht anders.

‹Da hat Gott zweifellos eine neue Spezies erschaffen›, dachte Adrian, ‹den ‹Homo Transatlanticus Superbus›!› Und listig fragte er: «In Zukunft, Professor, wird die Sonne wohl von West nach Ost wandern?»

Hallorsen lächelte – ein herzgewinnendes Lächeln: «Nun, Herr Kustos, wir stimmen doch beide in der Ansicht überein, daß die Zivilisation vom Ackerbau ihren Ausgang nahm. Wenn wir nun beweisen können, daß in Amerika schon Jahrtausende vor den alten Weizen- und Gerstenkulturen der Nilebene Mais gebaut wurde, scheint es dann noch so unmöglich, daß der Strom der Zivilisation von Westen nach Osten drang?»

«Aber können Sie das wirklich nachweisen?»

«Nun, wir finden in Amerika zwanzig bis fünfundzwanzig verschiedene Maissorten. Hrwdlicka ist der Ansicht, daß es eines Zeitraums von mindestens zwanzigtausend Jahren bedurfte, sie in so hohem Maß zu differenzieren. Das beweist wohl ohne Frage, daß wir die weitaus ältesten Begründer des Ackerbaus sind.»

«Nur schade, daß es in der Alten Welt vor der Entdeckung Amerikas keine einzige Spezies des Mais gab.»

«Stimmt, Sir, doch auch in Amerika fand sich vor dieser Zeit keine einzige Getreidesorte der Alten Welt. Wenn die orientalische Kultur, wie ihr meint, über den Stillen Ozean zu uns drang, warum brachte sie da nicht auch ihre Getreidesorten mit?»

«Dieses Argument beweist noch lange nicht, daß Amerika der übrigen Welt das Licht der Kultur geschenkt hat.»

«Vielleicht nicht. Doch wenn dem auch nicht so war, so hat es doch durch eigene Entdeckung der Getreidepflanzen seine eigene alte Kultur entwickelt. Und es hat von allen Ländern der Erde als erstes Getreide gebaut.»

«Professor, sind Sie vielleicht ein Anhänger der Atlantis-Theorie?»

«Zuweilen trete ich diesem Gedanken nahe, Herr Kustos.»

«Na schön. Darf ich mir die Frage erlauben, ob Ihnen der Angriff auf meinen Neffen nicht selbst unangenehm ist?»

«Freilich. Es hat mich arg verdrossen, das schreiben zu müssen. Ihr Neffe und ich paßten nicht zusammen.»

«Vielleicht müßten Sie sich da um so gründlicher prüfen, ob Sie ihm nicht Unrecht taten.»

«Meine Kritik zurückziehen hieße meine Überzeugung verleugnen.»

«Sind Sie denn wirklich so überzeugt, daß Sie ganz objektiv urteilen und selbst gar keine Schuld am Mißlingen tragen?»

Nachdenklich runzelte der Riese die Stirn. ›Ein Ehrenmann trotz allem‹, dachte Adrian.

«Ich weiß nicht, worauf Sie anspielen», entgegnete Hallorsen langsam.

«Sie selbst haben doch meinen Neffen gewählt, nicht wahr?»

«Jawohl, aus zwanzig Bewerbern.»

«Schön. Sie haben also eine schlechte Wahl getroffen?»

«Zweifellos.»

«Sie bewiesen also schlechte Menschenkenntnis?»

Hallorsen lachte. «Ein scharfsinniger Schluß, Herr Kustos. Doch ich bin nicht der Mann, der einen Fehlgriff vor aller Welt bekennt.»

«Sie haben einen Mann gesucht, dem jedes Mitleid fremd war», erklärte Adrian trocken; «ich gebe zu, Sie haben ihn nicht gefunden.»

Hallorsen schoß das Blut in die Wangen. «Über diesen Punkt werden wir uns nicht einigen. Nun geh ich wieder mit meinen paar Schädeln. Besten Dank für Ihr Entgegenkommen.» Einige Minuten später war er fort.

Adrian blieb mit gemischten Gefühlen zurück. Der Bursche war doch besser, als er gedacht. Körperlich ein Prachtexemplar, geistig nicht zu verachten, seelisch – nun, seelisch war er der typische Vertreter jener neuen Welt, in der jedem sein Ziel das Wichtigste auf Erden schien und jedes Mittel recht, es zu erreichen. ‹Schade›, dachte er, ‹wenn es zu einem Kampf bis aufs Messer käme. Aber im Unrecht ist der Bursche doch. Man darf einen andern nicht so erbarmungslos öffentlich angreifen. Allein das liebe Ich steht bei Freund Hallorsen immer im Mittelpunkt›, sagte sich Adrian und legte den Kinnbacken in die Lade zurück.


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