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III.
Zwischen Taunus und Main


Bei Tor und Tage

Herr Hatzicho nahm sein dem Geckir gegebenes Versprechen ernst, wenn er auch nicht wortwörtlich gemeint hatte, daß er Merla nach dem Hattstein bringen werde. Was ihn zu der beabsichtigten Wohltat trieb, war zunächst das Gefallen, das er am roten Schäfer gefunden. Dann aber überwog der Wunsch: wieder gut zu machen, was auf geradem Wege wie auf wunderlichen Umwegen Philipps Schwertstreich dem jungen Menschen angetan. Das Wagnis, Frankfurt zu betreten, nahm der Hattsteiner gering; er baute auf den Zufall und sein gutes Glück. – Am wichtigsten aber war ihm die Hoffnung, etwas über Frankfurts Fehdeabsichten zu erfahren, um den Hattstein wider Belagerung, Ansturm und Gefahr so vorbereiten zu können, daß der Trutz unerschütterlich stark und fest bleiben konnte. Als Herr Hatzicho aus der Burg aufgebrochen war, stand ihm der Weg zu diesem Ziel noch nicht klar vor Augen. Das Schicksal mischte des Schäfers und seiner Merla Glück in den Zufall: nichts gab dem Ritter triftigere Gründe, das Geschützmeisterhaus aufzusuchen. Und wo wäre mit Geschick und Klugheit mehr zu erfahren als bei Hanns Grysen Horne? Wenn auch nicht alles, so war bei diesem Manne schließlich soviel zu erspähen, daß sich die nach dem Verhör Flinks gefaßte Absicht einer Fahrt nach Frankfurt lohnte.

So näherte sich denn nun der Trupp in der zweiten Hälfte des Nachmittags dem Bockenheimer Tor. Weit genug von der Pforte, in einem kleinen, seitab der Landstraße gelegenen Gehölz hoher Rüstern machten die Reiter halt. Der Hattsteiner hieß absitzen.

»Haltet euch gut verborgen und wagt nichts – auch wenn der Abend anbrechen sollte, ohne daß ich zurück wäre!« gebot er seinen Mannen. »Nur dann reitet ihr heim – und zwar in höchster Eile! –, wenn ich bei völliger Dunkelheit und nach dem Schluß des Tores noch immer nicht bei euch sein sollte. Möglich, daß man mich dann erwischte. Man soll hierauf den fremden Söldner und den nun wohl schon in der Burg befindlichen Hirten als Geiseln bewahren. Sie könnten zu meiner Lösung dienen. – Kehre ich aber rechtzeitig zurück, so bleiben uns zwei feine Stücklein auszuführen … doch davon dann beim Aufbruch.«

»Wolltet ihr denn nicht wenigstens einen von uns mitnehmen, Herr, der Euch die Sicherheit stärken und, wenn not, sein Leben für Eure Freiheit einsetzen könnte?« Ein hochgewachsener Mensch mit kurz geschorenem Haar und krausem, braunem Bart war vorgetreten. Das war der Engelbert Riedesel, sozusagen Herrn Hatzichos Leibknecht und sein getreuer Begleiter auf allen Streifzügen. Den bittenden Blick zu seinem Herrn im Sattel erhoben, stand er und stützte sich auf sein langes Schwert.

Das Verneinen des Hattsteiners klang ein wenig zögernd. Teils rührte ihn und behagte ihm des Mannes besorgte Treue, teils bedachte er, ob die Begleitung nicht doch von Vorteil werden könnte.

»Befehlt doch einem von uns!« riefen sie nun allesamt und umdrängten ihres Herrn Hengst.

»Und wenn ich's tue, wen erwähle ich, um keinen von euch zu kränken?« Er sah mit einem dankbaren Blick in die Runde. Nun wußten sie freilich keinen Rat.

»Laßt das Los entscheiden!« schlug endlich einer vor.

»Gut!« Herr Hatzicho lachte – ein redlich beglücktes Lachen, daß so viele waren, die ihn liebten. Für Sekunden sah er finster nach der nahe liegenden Stadt, aus der ihm so viel Hassen kam: dann kehrten seine Augen zu den jungen Gesichtern zurück … Gefährten, froh und treu, nicht Knechte umgaben seinen Gaul. »Paßt auf denn und seid rasch!« rief er ihnen zu. »Der zuerst die Hand auf meinem Sattelknopf hat –«

Aber er brauchte nicht zu vollenden – zehn Hände reckten sich schon. Doch da Engelbert Riedesel zunahest stand und außerdem der Längste war, hatte er die Faust am ehesten bei Herrn Hatzicho.

Des Mannes Augen glänzten. »Ich bin's – gottlob – ich bin's!« frohlockte er und hielt sich am Sattelknopf fest, den Herandrängenden mit den Ellenbogen wehrend.

Der Hattsteiner war einverstanden … im stillen lachend. Nun durfte keiner gekränkt sein, und er hatte doch den ihm liebsten Mann gewählt. Eilig schwang sich der Knecht in den Sattel seines Falben. Dann trabten die beiden Reiter der Landstraße zu und hielten den Weg nach der Bockenheimer Pforte ein.

Just als der Hattsteiner und Riedesel dem Tore zu ritten, kam ein einzelner Reiter daraus. Doch der schien keinen Weg vorzuhaben, denn er tummelte nur sein Roß. Er ließ es erst einen großen Kreis traben, dann eine gerade Strecke dahinsprengen und schließlich allerlei Kurbetten ausführen, bis er dem Tier Ruhe gönnte.

»Das ist kein schlechter Reiter«, urteilte Herr Hatzicho, der dem Treiben wohlgefällig zugesehen hatte.

Da bog sich der Fremde mit beiden Händen tief nach dem einen Steigbügel hinab, an dem es wohl etwas zu richten gab. Im gleichen Augenblick, vielleicht von einer Bremse gequält, begann der Gaul nach hinten auszuschlagen. Der Mann verlor zwar den sicheren Sitz, vermochte aber, sich noch rasch aufzurichten. Er fehlte dennoch den losgelassenen Zaum und konnte sich eben noch mit beiden Fäusten an den Sattel klammern, als das Roß auch schon davonjagte. Da man den einen Bügel lose an der Seite springen sah, mußte ihn der Reiter verloren haben; der Mann versuchte nicht, ihn mit dem Fuße zu erwischen – folglich war er mit dem andern Fuße wohl im linken Bügel verfangen. Bei dem nun beginnenden hartnäckigen Bocken des Pferdes hin und her geschüttelt, fand der Herr wohl sicherlich nicht den Zaum, auch machte er keinen Versuch, vom Rücken seines Tieres zu gleiten. Des Mannes Lage war höchst gefährlich … brachte es der Gaul fertig, sich von seinem Reiter zu befreien, dann mußte er ihn schleifen oder tödlich sogar mit den Hufen treffen …

Herr Hatzicho wurde kaum das beginnende Unheil gewahr, als er auch schon seinem Hengst die Sporen gab und auf das ungebärdige Roß zustob. Glücklicherweise kam er eben noch zurecht, bevor der scheuende Klepper aufs neu ausbrechen konnte; rasch aus dem Sattel springend, erwischte er ihn am Kopfzeug. Mit eiserner Faust hielt er den ängstlich die Augen rollenden, Schaumflocken von sich prustenden Wallach fest. Nun konnte der Reiter den bis zum Knie geglittenen Steigbügel herabstreifen und war schnell auf dem Boden. Riedesel war herbeigekommen; er stellte an einem aus dem Fell kommenden dicken Blutstropfen fest, daß der Gaul wirklich an einer empfindlichen Stelle von einer Bremse gestochen war. Nach kurzem Umblick hatte der Knecht ein Kräutlein erspäht, das er mit den Fingernägeln zerquetschte und mit dem er auf dem Bremsenstich herumrieb. Nun beruhigte sich der zitternde Wallach.

»Danke Euch, Herr!« sagte der Reiter und lachte den Hattsteiner mit gutmütig breitem Gesicht an. »Dieser Ritt war gleichsam, als ob ich auf einem schneelosen, holprigen Abhang mit einem zerbrochenen Schlitten steil hinabführe«, zog er einen Vergleich. »Ich bin doch des Reitens gewöhnt – aber nun ist mir in den Knien, als zöge man sie mir mit Stricken gewaltsam voneinander«, fand er ein neues Beispiel. »Wahrhaftig – sie zittern!« Kopfschüttelnd befühlte er seine Beine.

Herr Hatzicho betrachtete das gutbürgerliche Gewand des Mannes; es war bei aller Einfachheit vornehm und aus teuerm Stoff. Die dunkeln, ehrlich dreinschauenden Augen des Reiters behagten dem Hattsteiner. Die Stimme klang tief und stark, dennoch gutherzig. Dieser Bürger war ein großgewachsener und stattlicher Mensch von kraftvoller Gestalt; fast waren die Schultern für einen Städter zu breit und mächtig.

»Ihr schwebtet in Gefahr, denn der Gaul konnte Euch schleifen, hättet Ihr nicht prächtig den Sattelsitz bewahrt. Es freut mich, daß ich zu Hilfe kommen konnte«, versicherte der Hattsteiner freundlich.

Der Fremde war inzwischen zu seinem Tier getreten und patschte ihm mit beruhigendem Loben und Trösten den Hals. Dann brachte er Sattel und Zaumzeug in Ordnung und schwang sich auf. Herr Hatzicho und Riedesel folgten seinem Beispiel.

»Kommt Ihr in Geschäften nach Frankfurt?« erkundigte sich der Bürger. Die Frage klang nicht nach Neugier und wurde wohl nur um der höflichen Ansprache willen gestellt.

Sie hielten einander gegenüber.

»Recht eigentlich nicht«, gab der Ritter Auskunft. »Es ist ein schwer beim Namen zu nennendes Vorhaben, was mich herführt. Ich möchte zu Hanns Grysen Horne, dem Stückmeister. Da ich sein Haus nicht weiß – vielleicht, daß Ihr es kennt und mir's zeigen würdet?«

»O gern!« versprach der Reiter. »Und wenn ich Euch rechten Dank abstatten dürfte, so nehmt vorher einen kühlen Trunk in meines Vaters Haus. Eure Rüstung sieht bestaubt aus … sicherlich hattet Ihr einen beschwerlichen Ritt durch die Sonne. Kommt Ihr weit her?«

Der Hattsteiner ließ den Blick nach den fernen blauen Bergen hinüberschweifen. »Vom Taunus«, antwortete er.

»Weit genug, um eine freundliche Stube und einen erquickenden Wein nicht zu verschmähen. Mein Vater wird sich freuen, wenn er für seines Einzigen Rettung Vergeltsgott sagen darf.«

»Wer ist der alte Herr?«

»Der Ratsherr Klaus Keseler – ich bin Echter Keseler. Wär's ungebührlich, nach Euerm Namen zu fragen?«

»Durchaus nicht«, versicherte Herr Hatzicho und richtete die stahlblanken Augen auf Echter. Einen Atemzug lang zögerte er, feine Röte überlief das stolze Antlitz: eine Lüge wollte nicht über den allezeit redlichen Mund. Auch versah sich der Ritter keines Übels von dem Mann mit den ehrlichen Zügen. »Durchaus nicht – man nennt mich den Wolf von Hattstein!«

Das maßlose Erstaunen in Echters Gesicht zwang dem Hattsteiner ein gutmütiges Lächeln ab. Er lauerte auf des Frankfurters Flucht und war entschlossen, ihn zu greifen – nicht bloß, weil nur so zu verhindern war, daß seine Anwesenheit in Frankfurt verbreitet würde, sondern auch, weil er sich rasch überlegte, wie ihm der angesehene Bürgersohn als Geisel der Sicherheit dienen könne. Brachte er Echter zu den Knechten in das Rüsternwäldchen, so konnte er sich – griff man ihn heute in der Stadt – morgen nach Sonnenaufgang auf des Ratsherrn Einzigen Freiheit und Leben für die Losgabe berufen, der dann schon nach dem Hattstein gebracht worden wär.

»Hatzicho der Wolf!« brachte Echter Keseler endlich hervor. Er trieb seinen Gaul näher. Dicht neben dem Ritter haltend, sah er in einer Mischung von ehrlicher Bewunderung und leisem Widerwill in des Hattsteiners Gesicht. »So also seht Ihr aus? … und meiner Seel – das hätte ich weder je erraten, noch geglaubt – wenn Ihr's nicht selbst sagtet.« Er ließ den Wallach wieder zurücktreten. Hatzicho griff rasch nach dem Zaumzeug, und Riedesel – der scharf beobachtet hatte – drängte sein Tier schnell an des Unbewaffneten andere Seite. So schlossen sie ihn ein. »Mühet euch nicht!« sprach Echter lachend. »Mich gelüstet nicht nach dem Ausreißen. Denn erstens sehe ich, daß eure Tiere dem meinen überlegen sind, und dann … es ist mir just nicht zumute wie einem Büblein mit dem Hemdzipfel vor dem Schwarzen Mann. – Aber um Himmelswillen, Herr! … sagtet Ihr nicht, daß Ihr zu Hanns Grysen Horne wollt? Gedenkt Ihr vielleicht zur Sicherheit Eurer Burg der Stadt Büchsenmeister am helllichten Tage davonzuführen?«

»Meinte ich mich so vor Frankfurts Geschützen bewahren zu können, dann käm's mir auf dies Wagestück nicht an!« bestätigte der Hattsteiner gutgelaunt. »Allein, ich kam nicht her, um etwas zu holen … diesmal trug ich etwas nach Frankfurt: eines armen Menschen leiderfülltes Herz. Das möchte ich seinem Mägdlein bringen.«

»Ich muß aus Euern Worten den Ernst hören, so gerne ich ihn auch bezweifeln möchte«, gestand Echter aufrichtig. »Wenn Ihr aber solcher Dinge halber einen Ritt wagt, der Euch gleichsam als einen Mann mit dem Strick um den Hals da neben mir halten läßt –«

»Dann möchtet Ihr noch lieber bezweifeln, daß Hatzicho der Wolf das Untier ist, mit dem man in Frankfurt sogar die Kinder schreckt. Ist's nicht so?«

»Wenn es Euch nicht beleidigt – ja.«

Hatzicho hielt es nun für geraten, den Ratsherrnsohn von der redlich gemeinten Absicht zu überzeugen. Daß er auch aus Gründen des Selbstschutzes nach Frankfurt gekommen war, durfte er ohne Unehre verschweigen. Fehde erfordert List – eine Torheit wäre es, hierbei allzu offen zu sein. So berichtete er von der Begegnung mit dem roten Geckir und wie er darnach beschlossen, den Schwertschlag Philipps zu sühnen, indem er dem Burschen zu seinem Glück verhalf. »Eures Vaters Hämmel, die bei der Gelegenheit auf der Ginnheimer Höhe Zeugen von meines Bruders ungutem Handel waren, sind trotz der langen Wochen noch unversehrten Daseins im Hattstein«, sagte der Ritter mit feinem Lächeln. »Verlangt's den alten Herrn nach seinen Schafen, so will ich sie ihm zurückgeben. Nicht um des albernen Ratsbriefes willen – den Frankfurter Rat zu fürchten habe ich noch nicht begonnen! –, aber um Eures redlichen Verhaltens willen gäbe ich die kleine Herde gern wieder heraus. Auch damit kann ich wett machen, was ohne mein Wissen verschuldet ward und wider meinen Willen.«

»Redliches Verhalten? … weil ich nicht davonstob, um in der Stadt zu schreien: Hatzicho der Wolf vor den Toren!?« meinte Echter fragend. »Ihr kommt mit Absichten nach Frankfurt, die keinem anderen Menschen einfallen mögen als dem seltsamen Kauz von Hattstein. Da hielte ich es für Treubruch, verriete ich Euch. Und meinen wie meines Vaters Dank vergeßt Ihr?« Er hielt in aufwallenden Gefühlen dem Ritter die Hand hinüber. »Da nehmt, Herr – sie hat noch nie Unredliches getan. So bürge ich mit Leib und Leben, daß Ihr unangefochten mit dem Geschützmeister sprechen und dann davonreiten sollet. Freilich … nicht als der Hattsteiner!« setzte er zögernd hinzu. »Oder dünkte List Euch feige?«

»Wenn Ihr maßvolle Klugheit nicht für Feigheit nehmt, so habe ich mich ihrer gleichfalls nicht zu schämen«, erwiderte der Hattsteiner und drückte Echters Hand.

»Nun ja, rittet Ihr als der Wolf Hatzicho in Frankfurt um, es wäre just so töricht als spränge der Wolf Isegrim über die Schafhürde und schrie: Achtet, lieben Lämmer, ich bin nicht etwa eures Schäfers grauer Phylax!« zog Echter einen seiner geliebten und manchmal so verschrobenen Vergleiche.

Ein gutes Lachen kam von Herrn Hatzicho. »Wahrlich – ich werde stets zu rasch einem Menschen gut, den ich für redlich erachte. So leicht aber wie bei Euch fiel mir's noch bei keinem.«

Und Echter sagte, herzlich diesem Lobe erwidernd: »Ich bin eines Frankfurter Ratsherrn Sohn und finde mich dem Hattsteiner, dem grimmigsten Schädiger Frankfurts gegenüber. So halten wir hier eigentlich Feind dem Feinde Auge in Auge. In Kampf und Wehre werden wir uns so begegnen müssen – in dieser Stunde aber gab der Freund dem Freunde die Hand. Irgendeinmal wird's anders sein … dann will ich hoffen: keinem von uns zu Leide und Haß!« Er ergriff des Ritters Hand abermals und drückte sie schüttelnd mit so großer Kraft, daß Herr Hatzicho doch die Unterlippe einzog.

Sie schlugen nun den Weg zum Stadttor ein. Unterwegs besprachen sie, wie der Hattsteiner als ein Ritter von Waldburg gelten solle, und wie Echter Keseler – für den Fall, daß einer den Gefürchteten erkenne – durch seines Vaters und Gilbrecht Weißes Beispruch sorgen wolle, dem Ritter Freiheit bis zur Bannmeile zu verschaffen. Darüber hinaus, meinte Echter mit einem bewundernden Blick auf Hatzichos edles Tier, wäre höchstens für den minder gut berittenen Knecht zu befürchten. Doch würde der ergriffen, könnte ja der Schäfer Geckir als Tausch dienen. Der Hattsteiner dachte für sich, daß es dann noch eine bessere Geisel zu tauschen gäbe: den Flink von Hasselbach. Und das wäre ihm der treu Riedesel schon wert, denn vor ein paar Jahren hatten die Frankfurter mit einem Hattsteinschen Mann kurzen Prozeß gemacht … sie hingen ihn einfach vor der Galgenwarte als den Gesellen eines Raubritters auf.

Die drei Reiter hatten das Bockenheimer Tor passiert und waren bald darauf vor Echters Vaterhaus angelangt. An einem Ringstein vorm Eingang wollte Riedesel die Gäule festhalftern. Echter aber ruhte nicht mit Widerspruch, bis die Tiere mit dem seinen im Stall untergebracht wurden; er meinte, alle Vorsicht sei vonnöten, denn es möchte wohl ein ganz geringes Zeichen am Zaumwerk dienen, die Gäule als Hattsteinsche zu verraten. Dann führte er den »Ritter von Waldburg« bei seinem Vater ein. Der Gast fand gute und warmherzige Aufnahme, und so konnte sich der Hattsteiner während des von Echters Schwester Malchen geziemend kredenzten Gasttrunkes an des alten Klaus Keseler sonderlichem Wesen sowohl, wie an der mit scharfem Witz gewürzten Art der Äußerungen des alten Herrn erfreuen.

Klaus war in bester Laune und verhehlte nicht die Freude über den verhüteten Unfall des Sohnes. Er krähte sein drolliges Lachen in die Zwiesprache, sobald ihm ein Scherzwort gelungen war. Echter aber hielt sich doch ein wenig im Hintergrunde … es war ihm lieb, daß der Vater nicht minder Gefallen an dem ritterlichen Herrn fand, aber die Ehrfurcht vor dem Alten ließ doch eine gewisse Bänglichkeit über den frommen Betrug nicht ganz verschwinden. Das hätte der Vater wissen müssen, daß der Mann da vor ihm – mit dem er sich so prächtig unterhielt – der Hattsteiner war, auf dessen Haupt er ob des Hammelraubes allen Zorn des Himmels und alle Feuer der Hölle beschworen hatte!

Die Zeit war unmerklich rasch verstrichen, denn das Gespräch war immer ernster, immer fesselnder geworden. Es hatte sich schließlich um allerlei Rechte und Pflichten der Bürger Frankfurts und des Rates der Reichsstadt bewegt. Das aber war nicht nur Klaus Keselers Steckenpferd, es gab auch dem Hattsteiner Gelegenheit zu kluger Auslegung seiner Auffassung dieser Rechte und Pflichten. Voller Verwunderung hörte Echter zu; er wurde bald gewahr, daß der Gast für sein verfehmtes Treiben redete und ihm ganz andere Gründe als die der Freude am Stegreif unterlegte. Er wechselte einen Blick des Verstehens mit dem Hattsteiner und nickte ihm zu, wie der Ritter erregt von der Bedrückung der Bürgerschaft anhob und da meinte: dem rein patrizisch gesinnten und nach der Oligarchie strebenden Teile des Rates fehle es nicht an der Faust, die ihm nach der Gurgel griffe … nicht nur um den Rat zu würgen, auf daß ihm das Gelüste nach der berüchtigten »Herrschaft Weniger« verginge, sondern vielmehr, um mit diesem Griff die Frankfurter aufzurütteln. Diese Hand aber wäre der Hattsteiner. Nur ermangele es ihm leider an Verbindungen in der Stadt, und es laste der eingefressene Ruf des Blutes vom Hatzichenstein zu schwer auf ihm, als daß er bisher auf Verständnis rechnen, Glauben finden und auf die Verbreitung seiner nicht unedlen Hoffnungen und Absichten zählen dürfe.

»Frug einer je den Hattsteiner, warum er stets nur der Stadt Eigen und nach der Ratsherren Gut griff?« führte Herr Hatzicho aus. »Ist es nie einem aufgefallen, daß es seit ein paar Jahren keinen gemeinen Bürger Frankfurts gibt, der über Raub und Unrecht des Ritters klagen könnte? Kam niemals einem der Witz, das zu glauben, was den Überfallenen der Herr im Taunus in Frankfurt auszurichten auftrug? Merkte wirklich niemand den Unterschied in der Geschädigten Stand und Herkunft, seitdem der jüngste, in Frankfurt auferzogene Hattsteiner die Herrschaft in der Ganerben Burg über die Häupter der minder bedächtigen Brüder ausübt? Was kann er für die Mißgriffe seines Bruders Philipp – der freilich ist ein Ungut und kennt nicht Maß noch Ziel, wenn er ohne den Jüngsten an den Straßen lauert, während der faule und gutmütige Dietrich daheim den Humpen schwingt! Man kennt nur »den Hattsteiner« – fragt aber nicht, wieviel Hattsteiner ihrer sind. Und so muß der Hatzicho alles entgelten, weil er nur Angesehene schädigt, die das infolge ihres Ansehens am weitesten dringende Geschrei über »den Hattsteiner« erheben. Der Bürger Frankfurts und der gut bürgerlich gesinnte Ratsteil sollte ihn nicht hassen – braucht ihn nicht zu lieben – müßte aber doch begreifen lernen, daß er die oligarchischen Patrizier nur deshalb schädigt, weil er – für andere Vergeltung übend – ihnen ein Teil dessen abnimmt, das sie den Bedrückten stehlen. Er will den Stehler zum Bestohlenen, den Räuber zum Beraubten machen. Und käme nur der Rechte, sein Gut zurückzuverlangen, nie würde er vom Hattstein anders denn in Freude scheiden. – Man könnte mir entgegenhalten: der anständige Bürger Frankfurts will gar nicht, daß ihm der Hattsteiner auf solche Art Beistand leistet! Gut – das mag nicht unrichtig sein. Aber der Ritter tut dennoch, was er für seines Amtes hält … nicht aus gemeinem Sinn dem Buschklepperhandwerk frönend, sondern weil er tief im Innern etwas Ähnliches wie Menschenpflicht, den Armen und Bedrückten beizustehen, fühlt … und wär's auch wider dieser Willen. Eines Tages werden sie ihn begreifen. Und dann wehe dem Frankfurter Rat – der frumbe Bürger wandelt sich, einmal losgebrochen, gar leicht zum Würger.«

»Du meine Güte!« erstaunte Klaus, als der Gast nach einem beklemmenden Atemzug schwieg. »Ihr redet – kennt Ihr denn den Wolf von Hattstein?«

»Ich komme aus seiner Burg, Herr!« erklärte Herr Hatzicho stracks. Echter gab das ordentlich einen Ruck – doch der Ritter streifte ihn mit einem beruhigenden Blick.

»Ihr kennt den Hammeldieb!« stellte Klaus fest und wackelte vor Staunen mit der Knollennase, während er nach Luft happste.

Der Hattsteiner mußte das Scheltwort überhören und tat's mit leicht errötendem Gesicht. »Ich weiß wohl, daß Euch der Philipp von Hattstein schädigte – ihn meint Ihr auch wohl allein mit der Bezeichnung von eben? Aber, wenn Ihr mögt, so holt doch Eure Schafe. Sie werden nicht dürftiger geworden sein auf den fetten Taunusgründen um die Burg. Laßt sie nicht durch den Rat fordern, sondern verlangt sie selbst an des Rates Statt. Ich bin sicher, daß Ihr keine Fehlbitte tut. Nur was der Rat Frankfurts erbittet, pflegt Herr Hatzicho rundweg abzuschlagen.«

»Wunderlich, wie Ihr unterrichtet seid!« Klaus Keseler wirbelte förmlich mit der Nase und sah seinen Gast mit flinken Huschaugen prüfend an. Dann aber nahm das alte, seltsame Gesicht doch einen begierigen Ausdruck an. »Wüßte ich, daß Ihr recht hättet, so schickte ich morgen schon den Sohn nach der Burg.«

»Tut das – und Ihr werdet dem Hattsteiner eine gewaltige Freude bereiten!« Den Doppelsinn der Worte stark betonend, blitzte Herr Hatzicho die blauen Augen zutraulich nach Echter hinüber, der lächelnd heimlich dankte.

»Freude – wieso?« Klaus zog den Mund in die Breite und mümmelte verwundert.

»Nun – gehört Ihr denn nicht zur bürgerlich gesinnten Partei des Rates?«

»Wie Ihr alles wißt!« staunte der Alte, wehrte aber dann: »Nein – nein –! Den Einzigen nach dem Hattstein, Schafe fordernd? Jawohl …!« meinte er mit meckerndem Lachen. »Würde wohl aus meinem Buben selbst ein Schaf, dem der Hattsteiner arglistig das Fell scheren würde … wenn's damit getan wäre … der Reifenberger möchte ihn mit einem Hattsteinschen Armbrustbolzen im Herzen finden – wie den Henchen Hanauwe …!«

Des Ritters Gesicht war blaß geworden. »Trug der Reifenberger diese Kunde nach Frankfurt?« Kaum vermochte er seine Enttäuschung zu meistern … er, der auf dieses blutsverwandten Taunusritters Beistand gehofft! Dann fand er die Fassung wieder. »Ich wußte um diese törichte Tat. Doch wiederum: der Wolf von Hattstein steht dem vergossenen Blute fern. Das einzige, das [mit] dem Mord der Stadt angetan wurde in der Gestalt ihres Boten … er galt dem Manne, der den Philipp von Hattstein einst höhnte, weil er den Ritter auf einem Misthaufen sitzend fand.«

Echter fuhr der Schreck in alle Glieder. Fast wollte er vorstürzen und rufen, daß er es gewesen wäre, der den Beleidiger Frene Weißes auf den Mist befördert hatte … allein er mußte das Geheimnis um des Mädchens Ehre willen wahren. Armer, armer Henchen …

»Zwist ist seitdem zwischen Philipp und Hatzicho, das Tischtuch zwischen den beiden ward zerschnitten …«, fuhr der Hattsteiner fort, unterbrach aber seine Erregung, als könne er zuviel verraten und sich verdächtig machen.

»Wunderliche Mären! … ich dachte, Pech hielte zu Pech. Aber einerlei – der Mord hat des Rates Langmut aus dem Schlaf gestört. Geht's ans Eintränken, dann sei's den Hattsteinern eingetränkt – ob Philipp oder Hatzicho!« Klaus schloß im Grimm den Mund so fest, daß Kinn und Nase die übliche Bekanntschaft schlossen.

»Und was hat die Stadt nun wider den Hattstein vor?« Herr Hatzicho forschte ganz plötzlich, kaum daß er den erwünschten Augenblick erspäht. Er lauerte auf die durch die Überraschung hervorzurufende Antwort.

Aber der Alte erhob sich nun. »Vergebnis, Herr von Waldburg – aber Ihr seid nur fremd … und Ihr kommt vom Hattstein, kennt den Wolf … es stünde mir übel an, verriete ich der Stadt Planen«, sagte er in tiefem Ernst.

Und der Hattsteiner schwieg; es wäre schlimmer als unhöflich, es wäre Verdacht erweckend gewesen, hätte er trotz der festen Ablehnung verfängliche Fragen gestellt. Und schließlich: mehr als des Alten Worte bedurfte es nicht – Frankfurt plante. Die Späherschaft Flinks – o ja, der Hattstein hatte auf scharfer Hut zu sein! – Herr Hatzicho bat nun den alten Herrn um Urlaub für wichtige Wege; nur aus dem geziemenden Anstand versprach er, von der Gastfreundschaft des Hauses Gebrauch zu machen, falls er nicht vor Toresschluß aus der Stadt käme.

»Wird schwer halten, wenn Ihr Euch nicht beeilt. Die Sonne will unter. Wenn die Abendröte verging, käme selbst ein Frankfurter nicht mehr ins Freie. Doch – Ihr wißt, daß Ihr mir nicht nur um den Dank für die an meinem Sohn geübte Hilfe, sondern auch als ein Mann willkommen seid, der von den Bürgersleuten Frankfurts – – nun ja, was soll ich's heimlichen!« Er hielt dem Ritter die hagere Hand herzlich hin. »Ihr denkt genau so, wie ich und Gilbrecht Weiße. Behüt' Euch Gott!« –

Die Sonne war wirklich schon mählich auf dem Wege, hinterm Taunus zu vertauchen, als Herr Hatzicho mit Echter das Haus verließ. Der Ritter sah sich nach dem Knechte Riedesel um. Doch Echter meinte, dem ginge es in der Küche gut … auch würde er rechtzeitig bereit sein, falls der Hattsteiner das Nächten in Frankfurt umgehen wolle. Dann schlug er den Weg nach dem Geschützmeisterhaus ein. Trotzdem der Sommertag noch längst nicht seinem vollen Ende neigte, hing doch das Dämmern bereits fahl zwischen den eng einander gegenüber gestellten Häusern. Die Gassen Frankfurts waren nur schmal. Schwer dunstete die Tageshitze zwischen den Bauwerken. Herr Hatzicho hob die beklemmte Brust: im Taunusforst und in der Burg war freiere Luft. Gefangen sein! … wie schrecklich mußte das lasten!

Hanns Grysen Horne war daheim; er empfing ein wenig verwundert den fremden Besucher. Merla saß bleich und still, wie fröstelnd zusammengekauert, auf dem Bänkchen im Ofenwinkel. Mit fieberisch großen Augen sah sie die Männer an, kaum sich regend und einen Zug schweren Leides auf dem hübschen Gesicht, fast teilnahmslos die sonst so Freundliche.

Echter stellte auch hier den Ritter als einen Herrn von Waldburg vor, der Wichtiges mit Hanns besprechen wolle. Dann nahm er vorläufigen Abschied von Herrn Hatzicho; vom Geschützmeister wurde er geziemend bis zur Haustüre geleitet.

Das Alleinbleiben nützte der Hattsteiner und trat rasch zu Merla. »Was soll ich dem Schäfer Geckir bestellen, wenn ich ihn morgen sehe?« redete er sie an.

Merla fuhr auf, ihre Blicke brannten tief und sehnsüchtig, ein wehes Lächeln. »Nichts«, hauchte sie.

»Und dennoch sagt dies Nichts alles, so daß es keines Wortes weiter bedarf«, meinte Herr Hatzicho mit gütigem Ernste. Der an gute Menschen Glaubende tat einen tiefen Blick in den Brunnen des Heimwehs dieser jungen Seele. Ihm war es nicht schwer zu erraten, daß Merla den barschen Abschied bitterlich bereute; aber er ahnte auch in dem blassen, vertrauerten Antlitz den Kummer, der tiefe, viel tiefere Bedeutung haben mochte als nur das bereute Wehetun, wie's Liebe nun einmal so leicht fertig bringt. Dem Weihfremden blieb zwar die Bedeutung verborgen … aber er sah ein, daß hier nur rasche und völlige Hilfe nötig war, um fernerem Schmerz und leidvollem Unheil vorzubeugen. Im Augenblick war er entschlossen so zu handeln und vergaß darüber fast den eigentlichen Zweck seiner Fahrt: dem Kundschafter auf dem Hattstein mit Kundschaften über Frankfurts Absichten zu begegnen.

»Morgen wird er wieder bei dir sein«, versprach er und beobachtete den glücksvoll erlösten Schein in des Mädchens stilldunkeln Sternen. Dann kam Hanns Grysen zurück.

»Was führt den Herrn zu mir, und mit was wäre ihm bei mir gedient?« frug der Geschützmeister höflich, nachdem er Merla mit einem stummen harten Deuten aus der Stube gewiesen.

»Ihr seht den Brautwerber eines unter meinem besondern Schutz stehenden jungen Menschen vor Euch, Meister!« Herr Hatzicho wählte keinen Umweg; als Hanns erstaunt auffahren wollte, zwang er ihn in den Bann der klaren stahlblauen Augen. »Ich bin nicht gesendet – ich komme aus freien Stücken. Um so besser erseht Ihr, daß es mir wichtig ist. – Ihr wieset den Schäfer Geckir mit einem Faustschlag in die Fremde? … fragt Euer Mägdlein, ob ihr's nicht am Herzen liegt, das alles wieder gutzumachen.«

»Aber, Herr – den Wolf im Schafkleide im Haus zu haben –«

Der Hattsteiner mußte dabei an sich selbst denken und unwillkürlich lächeln. Hanns sah dieses Lächeln, das so sonderbar gut den Ernst des stolzen Männergesichts brach. »Ist Euch klar, daß der Wolf in biederm Gewand versteckt in Frankfurt weilen könnte, so seid Ihr bei dem Hirten ganz gewiß im Irrtum«, sagte Herr Hatzicho. »Der war nichts anderes als der redliche Schäfer Geckir, der Eurer Merla just nicht minder zugetan ist wie das Mädchen ihm.«

»Herr – sie selbst gab doch den Grund an, der mich gegen ihn ergrimmen ließ.«

»Und daß der Flink von Hasselbach die Ursache war zu Zwist und Eifersucht, ungutem Wort und nun bereuter Anschuldigung – bedachtet Ihr das nicht?«

»Ich sprach seit drei Tagen kein Wort mit meinem Mädchen.«

»Verbissenes Schweigen ist kein Sonnenschein, der in eines Menschenkindes von verheimlichtem Jammer verdunkeltes Herz leuchtet. Ihr habt nicht recht gehandelt, Stückmeister – weder im einen noch im andern.«

»Ich kann's gar nicht fassen, daß sich ein Unbekannter da einmischt«, gab Hanns seinem Befremden ärgerlichen Ausdruck. »Was ist es denn, das Euch dazu treibt?«

»Das mag ich selbst nicht sagen – aber Ihr werdet es wahr und redlich erfahren, wenn Ihr zugesteht, daß Ihr dem Schäfer Geckir die Heimkehr nicht verwehren wollt.«

»Frankfurt hat weiten Raum – ich hindere ihn nicht, wenn er darinnen weilen will!« sagte der Geschützmeister mit gerunzelten Brauen.

»Die Stadt ist groß – gewiß –; wenn aber der arme Mensch nun kein anderes Ziel als Euer Haus kennte? Laßt mich ihm freundliche Aufnahme vermelden … Ihr werdet Euch am Glücke Eures braven Kindes weiden dürfen.«

»Euer Drängen däucht mich denn doch das Seltsamste, von dem ich je vernommen«, brach Hanns Grysen in die Enge getrieben los.

»Ihr werdet hinterher vernehmen, daß Seltsameres geschah, ohne daß Ihr's ahntet.« Obwohl Herr Hatzicho das im Scherz äußerte, stand er doch zu seiner eindrucksvollen Größe aufgerichtet unter der niedrigen Stubendecke. »Also? – wie ist's? – was soll ich dem Hirten künden?«

Den Stückmeister veranlaßten die undurchsichtigen Worte des Ritters zu wunderlichen Gedanken über des roten Geckir Herkunft. »Will er mit Merla reden, so mag er denn ins Haus kommen«, gab er ein wenig widerwillig zu. Es wollte ihm zwar ungeheuerlich vorkommen, daß er auf solch rätselhaftem Umweg von seines Kindes Liebschaft erfuhr, aber er fand doch auch wiederhin Trost in dem innerlich wach werdenden Glauben an die Redlichkeit Merlas – da nahm ihm der nächtige Besuch Flinks andere Gestalt an, und er fühlte den Irrtum seines Verdachtes in beschämtem Zaudern. So kam er eigentlich nicht zu langer Verwunderung über die Kunde von Merlas und Geckirs Einigsein. Doch meinte er seinem Zugeständnis noch beifügen zu müssen: »Man sollte doch auch das Mädchen erst fragen, wie sie über die Heimkehr des Hirten denkt.«

»Da schauen meine jungen Augen doch wohl klarer als Eure alten – ob es auch die des treuesten Vaters sind«, antwortete der Hattsteiner. »Ich sah tief genug in Eures Kindes schmerzlichen Blick – und dieser Blick sieht nicht nur nach dem Heimkehrenden schon aus, er ruft ihn auch so laut, als ein leidbeschwertes Herze noch rufen kann, das der Kummer zu ersticken droht.«

»Und wo ist der Bursche jetzt?« erkundigte sich Hanns kopfschüttelnd … die Sache schien ihm gar nicht einleuchten zu wollen.

»Er ist dort, wo er kommendem Kampfe, drohender Gefahr und unausbleiblicher Belagerung just noch aus dem Wege gehen kann!« Herr Hatzicho sah sich jetzt bei der von ihm gesuchten Gelegenheit angelangt. Langsam und stark hervorhebend hatte er gesprochen … jetzt galt es, das Wichtigste zu gewinnen! … ob der Stückmeister wohl in die Falle ging? Der Ritter setzte sich schwer auf einen Schemel. Das Eisenkleid klirrte leis. Er stellte das Schwert aufrecht zwischen die Schenkel. Dann hallte das Wort scharf dahin. »Er ist im Hattstein!«

»Guter Gott – dann tut freilich höchste Eile not!« In völliger Überraschung warf Hanns das hin.

»Nicht wahr? Ja, die Frankfurter rüsten. Dem Hatzicho und den Hattsteiner Ganerben soll's nun endlich an den Kragen. Nur fürchte ich, die Reichsstadt wird dem Raubnest wiederum nicht beikommen.«

»Es ist diesmal gründlich fürgesorgt«, hielt der Geschützmeister in verletztem Waffenstolz dawider. »Der Rat ist diesmal zu allem entschlossen, das zu seinem Nutzen dienen könnte. Verbündete sind in den letzten Wochen aufgeboten: Der Erzbischof von Mainz –«

»Der darf natürlich nie fehlen, wenn's eine Taunusfehde gilt«, warf der Hattsteiner spöttisch dazwischen.

»Der Vitzthum im Rheingau – der Isenburger – Wilhelm der Alte zu Staffel«, zählte Hanns ahnungslos weiter auf. »Der Gerlach von Londorf wird zweiter Befehlshaber nach dem Hasselbach sein. Langsam sammeln sich die Verbündeten, und ihre Mannen üben gemeinsam mit den unseren. Seit Gilbrecht Weiße zu Fehde und Angriff drängte, ist anderer Geist als der der Bedachtsamkeit in den Rat gefahren.«

»Hasselbach? … ist das nicht der Reichsstadt Hauptmann?« Auf des Geschützmeisters Ja fragte Herr Hatzicho sich vergewissernd weiter: »Ich meine ihn als einen jungen Herrn mit langem Blondhaar und von zierlicher Gestalt zu kennen – weilt er nicht im Taunus als Späher …?«

Hanns Grysen sah ihn an. »Ihr wißt? … nun, ich dachte, das wäre tiefes Geheimnis geblieben.«

»Keineswegs«, deutete der Hattsteiner wie leichthin an. »Aber sagt: Gilbrecht Weiße will dem Hatzicho nicht wohl? Und er war es, der zur Fehde drängte? Das wundert mich.«

»Das Gegenteil wäre verwunderlicher«, entgegnete Hanns. »Kann denn dem unruhigen Menschen überhaupt ein Frankfurter wohlwollen?«

»Lassen wir's«, brach der Ritter mit finster geneigtem Gesicht ab. »Und wie denkt man sich nun diesmal den Angriff?«

Der Geschützmeister lächelte ein wenig spitz. »Herr, Ihr seid selbst in Rüstung und Waffen und solltet den Brauch nicht kennen? Es ist nicht meines Amtes, das einem Fremden anzuvertrauen.«

»Vergebt, Stückmeister!« bat Herr Hatzicho, nachdem er sich zurückgewiesen sah; er suchte ehrlichen Klang in seine Worte zu legen. »Ich stimme Euch vollkommen bei – nur weil ich die Burg des öftern gesehen, frug ich. Führte ich den Zug, so ließe ich den Hattstein zunächst mit dem schwersten Geschütz bewerfen, um ihn zum Ansturm reif zu machen – dann erst wagte ich die Mannen zum Berennen dran.«

»Höchst einfach das – und anders will's auch der Rat nicht«, fing sich Hanns nun doch an dem hingeworfenen Faden. »Zu keiner Fehde zog die Reichsstadt je mit solchem Aufwand schwerster Stücke. Alles ist aufgeboten, das die Stadt an Rohren führen kann.«

»Und Eure ›brummende Katrine‹?«

»Es stünd' dem viele Zentner schwere Bröcklein spuckenden Frauenzimmer übel an, wollte sie den Triumph über den Hattstein nicht mitsingen helfen. Nur muß man erst die schwächsten Stellen der Burg kennen, und dazu ist …«

Da der Mann nun doch erschrocken einhielt, vollendete der Hattsteiner: »Und dazu ist der Hasselbach in gefährlicher Sendung nach dem Taunus aufgebrochen. – Nun, wenn er nur Glück dabei hat.«

»Das wäre ihm zu wünschen!« Doch dies schien auch des Geschützmeisters letztes Wort gewesen zu sein; er schloß fest die Lippen und sah dem Ritter so ins Gesicht, als ob er ihn an den Aufbruch erinnern möchte – das Gespräch war ihm unbequem geworden. Draußen rief die Ratsglocke zum erstenmal – mahnend, daß in einer halben Stunde die Tore geschlossen wurden. »Das Zeichen, daß es nachtet«, deutete der Alte.

Die Dämmerung hatte sich vertieft und hing schwer vor den bleigefaßten Scheiben, nur hoch bei den Dächern war noch ein zögerndes Halbhell. Das Treiben in der engen Gasse war längst verstummt. Vereinzelt klang der eilige Schritt eines Heimkehrenden, der rechtzeitig hinter Tür und Tor sein wollte, bevor die gnadenlose Wache mit der Runde begann.

Der Hattsteiner mußte einsehen, daß auch im Geschützmeisterhaus nicht viel zu erfahren gewesen. Das Aufgebot Verbündeter ließ diesmal den blutigen Ernst der Fehde erraten. Doch suchte sich der Ritter mit dem Gedanken zu trösten, daß Absage und Angriff nicht mehr überraschend kommen konnten, selbst wenn die Stadt die dreitägige Frist nicht einhalten sollte. So gern er den Geschützmeister auch noch vorsichtig nach dem bestimmten Zeitpunkt gefragt hätte, fühlte er doch, wie ihn das verdächtig machen konnte. Der Alte war zwar redseliger sogar als Klaus Keseler gewesen – aber immerhin war er ein Kriegsmann … und schöpfte er Verdacht, so konnte er dem Fremden wohl gar den Weg aus der Stadt verlegen. Frankfurt rüstet – gut, auch der Hattstein war gerüstet. Und nach dem Morde an Henchen Hanauwe stand wohl der Grimm der Reichsstadt zu vermuten. – Klang nun auch eine leichte Enttäuschung über den geringen Erfolg des waghalsigen Weilens in den Frankfurter Mauern bei Herrn Hatzicho auf, so überwog doch schließlich die Zufriedenheit, daß der vornehmere Zweck der Fahrt erreicht war: sicherlich war eines Menschen Glück gegründet, und dem Schäfer lachte die Kunde von seines Mädchens unversiegter Liebe – ihm winkte die Rückkehr. Das verdüsterte Gesicht des Ritters gewann freundlicheren Ausdruck.

»Lebt wohl, Stückmeister«, nahm Herr Hatzicho Abschied. »Will's Gott, so werden wir uns Aug' in Auge noch einmal gegenüber stehen – dann denkt daran, daß ich in Eures künftigen Eidams Sache gekommen war. Wäret Ihr im Vorteil, so möchte es Euch gemahnen, daß ich der Schlechtesten einer nicht bin – wäret Ihr im Nachteil, so möchte Euch das trösten.«

Hanns Grysen fand diese Rede zwar absonderlich, doch kam er nicht zum Nachdenken, weil auch er sich dem Zauber des Liebenswerten an Herrn Hatzicho nicht zu entziehen vermocht. Er legte mit dankbaren Augen seine Hand in des Ritters dargebotene Rechte, die er fest umfaßte.

»Ich bin Euch verpflichtet, Herr!« sprach er aufrichtig. »Brachtet Ihr mir ungeahnte Kunde von meiner Tochter Liebe, so brachtet Ihr mir doch auch den innern Frieden: ich darf meinem Pflegekinde wieder trauen. Nun erst schäme ich mich, daß ein Fremder kommen mußte, um mich zu belehren, wie ich drei bittere Tage lang mein Herz und meine Seele vergiftete. Es soll mir heilig sein, gleich mit Merla darüber zu reden. Ihr habt recht: stummer Groll schweigt, weil er Weh bereiten will – und peint dabei den Schweigenden am meisten. – Doch nun für einen Augenblick Urlaub – ich muß bei meiner Tochter Licht bestellen … auf unserer Treppe ist längst tiefe Nacht.«

Und während Hanns die Stube verließ, nestelte Herr Hatzicho schnell an seiner Gürteltasche. Gleichdrauf legte er einen kleinen, silbern klirrenden Beutel auf den Ofenrand und betrat dann den Flur. Merla kam schon mit dem Licht aus der Küche und ging vorleuchtend die Stiege hinab. Der Stückmeister nahm ehrerbietig des Herrn Hand, um ihn auf den steilen Stufen zu leiten. Bei der offenen Hauspforte hob der Hattsteiner des Mädchens Kinn.

»Wahrlich, du hast ein liebliches Gesicht, Kindlein. Halte nun dein Glück fest, denn mich will däuchen, daß es der Geckir verdient. Er sagte mir, daß er dich auf einem Ofenbänklein kennenlernte? Schau in dem Winkel nach – möglich, daß du die Glücksfey siehst. Sie wird dir mit silbernem Stimmchen sagen, daß dein liebster Gesell den güldenen Reichtum nicht nur auf dem Köpflein und das Gold seines Herzens in der Brust hat, nein, daß er auch wohl gar im Taunuswald einen Schatz hob. Wie er ihn fand, das wird er dir selbst berichten. Und nun, lebt wohl!« Damit trat er auf die einsame Gasse hinaus und entfernte sich klirrenden Schrittes.

Als sich die Haustür geschlossen hatte, sah Hanns seiner Merla mit feuchten Augen ins vergrämte Antlitz. »Warum mußte ein Fremder kommen, mir zu sagen, wie's um dein Herz steht, du Ärmste?«

Das Mädchen schmiegte sich wortlos an den Alten und brach in ein bitterliches Schluchzen aus.

Tröstend streichelte er ihr die schwarzen Haare. »Hatte ich dein Vertrauen so wenig verdient? Sieh, ich bitte dir ab, was ich dir zugefügt …«

»Nicht so liebster Vater«, flehte sie erschrocken.

Da ging ein Luftzug durchs Haus und verlöschte das Licht. Die beiden standen im Dunkeln. Und in der Finsternis schlang endlich Merla um des alten Mannes Hals die Arme und suchte mit kindlich zärtlichem Kuß den ernsten Mund. Ach, jetzt wäre ein volles Geständnis so leicht gewesen … aber Hanns Grysen Horne erinnerte an die Feye im Ofenwinkel, von der der seltsame Gast vorausgesagt. Und so suchten sie den Weg nach oben.

»Bin neugierig, ob ein Glück heimlich ins Haus kommen kann«, sagte der Geschützmeister vor der Stubentür.

Und Merla dachte, wie ein heimliches Glück so viel stilles Leid bergen könne. –

Als Herr Hatzicho die Gasse dahin schritt, löste sich von der Hausecke an einem kleinen freien Platz Echter Keselers breite Gestalt.

»Hohe Zeit, Herr – Ihr müßt vor Torschluß aus den Mauern!« drängte er. »Den Grund sage ich Euch, wenn wir uns wiedersehen. Ich war daheim und führte Euch Knecht und Rosse entgegen.« Er deutete auf die an einem leise murmelnden Brunnen trinkenden Pferde.

Als Riedesel seinen Herrn kommen sah, warf er den bereiten Gäulen die Zügel über den Hals, hielt dem Hattsteiner den Steigbügel und schwang sich eilig in den Sattel. Der Ritter tauschte noch einen freundschaftlichen Händedruck mit Echter.

»Auf Wiedersehen – und – dann zürnt mir um dies Wiedersehen nicht«, sagte der Frankfurter, nachdem er den einfachen Weg zum Tor beschrieben. In den Häuserschatten verschwand er – sein hastiger Schritt verhallte in der Dunkelheit der Gasse.

»Ich glaube, Riedesel, ich glaube … das wird heut nacht unser letzter Ritt für lange Zeit gewesen sein.« Der Hattsteiner seufzte wie in schwerem Ahnen, dann gab er seinem Hengst leicht den Sporn und trabte vorauf.

»Herr – mein Blut für das Eure!« konnte der Knecht noch sagen.

Die Ratsglocke hob just mit dem zweiten, durch den traurig verdunkelten Sommerabend her hallenden Ruf an, als die beiden Reiter die Bockenheimer Pforte erreichten. Die Wache war schon bereit, die schweren Bohlenflügel zu sperren und das Fallgatter zu senken. Herr Hatzicho warf den Leuten ein paar Geldstücke zu und dankte für den fast verspäteten Auslaß. Dann polterte das gewichtige Balkenwerk nieder und grub sich mit den eisenbeschlagenen Spitzen tief in die dazu ausgemauerten Kauten.

»Hoffentlich sind sie noch bei den Rüstern – fort im Galopp!« rief der Hattsteiner seinem Manne zu, während er selbst noch einmal ans Tor zurückkehrte. »Heda – Wärtel – Leute!« schrie er mit hallender, gewaltiger Stimme. »Kündet es – wenn ihr wollt, noch zur nacht – in Frankfurt, daß Hatzicho der Wolf heute in den Mauern aus- und eingeritten wäre. Spart die Mühe!« rief er, als das Knirschen und Kreischen der Ketten anzuzeigen schien, wie sie drinnen die Pforte noch einmal öffnen wollten. »Ihr müßtet mit blutigen Köpfen Umkehr halten, denn des Hattsteins zehn beste Mannen stehen vor dem Tor!« Ein lautes, triumphierendes Lachen und er warf den Gaul herum, dem Riedesel nachsprengend. –

In des Geschützmeisters Haus lag Merla vor ihrem Lager auf den Knien, die Wange auf das versengte Haarkringlein geschmiegt, das sie an jenem traurigen Abschiedstage eben noch gerettet. Sie weinte leis in die Kissen. Da ging von dem goldenen Haargelock ein seltsamer Zauber aus: es war, als umspanne es ihr Herz und ihre Seele mit so gleißendem Schein, daß die enge Kammer sich zu unendlicher Aue öffnete – die Sonne stieg, ihr Licht brach über Blumen – Wolken segelten hochoben wie Engelsfittiche – und fern, ganz fern war ein Brünnlein mit silbernem Rand – darinnen sangen die zarten Stimmchen kleiner Wesen …

Hanns Grysen Horne aber saß nachdenklich beim Licht in seiner Stube vor ein paar bescheidenen Häuflein großer Silbermünzen. Abenteuerliche Gedanken kamen ihm. War's möglich, daß der Schäfer eines Herren Sohn sein könnte? … wie ließe sich denn auch die reiche Heiratsgabe deuten? Des Fremden verhüllten Worten Sinn abzugewinnen suchend, strich er das Geld in den Beutel, zog den Riemen zu und knüpfte ihn. Dann ging er schlafen. Das Säcklein lag wohlverwahrt unterm Kopfkissen. Und während der Alte auszurechnen begann, daß der künftige Eidam nicht nur Zwilchkittel und Schäferstecken besaß, sondern sogar ein recht gutgestellter Ehemann Merlas werden würde, fielen ihm die Lieder zu. –

Herr Hatzicho aber hatte mit seinem Fähnlein in langsamem Reiten den Weg zur Bockenheimer Warte eingeschlagen. Ein paarmal horchte er hinter sich, ob vielleicht doch Frankfurter Reiter nachkämen; aber die Landstraße blieb still und leer. Ach wohl – die Frankfurter vermeinten ihn schon sicher zu haben, wenn sie vor den Hattstein zögen. Da wollte er ihnen erst noch zeigen, daß Hatzicho der Wolf noch beißen konnte, ehvor er sich in seinem Trutz zu verteidigen begann.

»Es eilt nicht, Leute!« hatte er zu seinen Mannen unter den Rüstern gesagt. »Wenn wir nur vor Tagesanbruch in Sülzbach sind. Dort wollen wir den Frankfurter Amtmann festnehmen. Hierauf schlagen wir den Heimweg über Eschborn ein. Bevor die Sonne aufgeht, müssen wir da der Reichsstadt Vogt ausgehoben haben. Beides muß ohne Aufenthalt, wie auch ohne Raub und Brand geschehen, wohlgemerkt. Schlimme Zeit steht dem Hattstein bevor … drum wird's gut sein, wenn wir angesehene Geiseln haben. Vielleicht verschonen sie uns um des Lebens dieser Leute willen das Schloß – nicht zuletzt deshalb, weil wir der Reichsstadt Hauptmann fest in den Mauern haben. Und so könnten wir unterhandeln, falls wir die Frankfurter diesmal nicht abzuschlagen vermöchten – sie rücken mit gewaltigen Kräften wider unsern Hattstein. Stärk' jeder von euch sein Herz!«

Da ihr Herr jetzt still und in tiefen Gedanken voranritt, konnten die Männer flüsternd ihre Meinungen austauschen. Sie einigten sich, daß nur der hochfahrende blonde Söldner der Frankfurter Hauptmann sein könnte. Riedesel aber mußte berichten, was er hinter den Mauern der Stadt gesehen und gehört.

»Sie schelten auf unsern guten Herrn«, erzählte er mit einem grimmigen Fluch. »Selbst die Weiber in der Küche rührten das Maulwerk, als hätten sie alle Übeltat von ihm empfangen. Doch ich denk', wir schlagen ihnen die Schelt gründlich in die Zähne zurück.«

Und alle freuten sich auf den Strauß mit dem Krämernest an dem schmutzigen Main – wie denn einmal Frankfurt im Hattstein hieß. Die Tapfern waren der Zuversicht voll und glaubten an Herrn Hatzichos Stern. Ihr junger Herr war ihnen der Edelste und Gerechteste. Und die Burg? Sie hatte der Stadt nicht nur stets getrutzt, sie hatte ihr auch schwere, lang blutende Wunden geschlagen. Warum sollte es dem festen stolzen, gütigen Herrn Hatzicho weniger gelingen. –

*

Vogt und Amtmann – die aufgehobenen, auf dem Rücken ihrer Bauerngäule finster blickenden Männer – eng umkreist haltend, war das Fähnlein mit heller Morgensonne durch Cronberg geritten. Die Bürger hatten mit stumm bemitleidenden Augen vor den Haustüren gestanden und miteinander getuschelt, wen die unruhigen Hattsteiner da wohl gefangen haben mochten.

Hinter dem Ort, in einem Hohlwege bei Falkenstein, begegnete Herr Hatzicho dem Knecht seines Bruders Philipp. Er hielt den Mann an und fragte ihn freundlich nach dem Wohin. Mürrisch wurde ihm die Auskunft verweigert. Der Mensch musterte düster des Hattsteiners Reiter, die Gaul bei Gaul quer den Hohlweg gesperrt hielten. Die widerborstige Art des Mannes machte Herrn Hatzichos Verdacht rege. Verdacht, unter dem er um des Bruders willen tief errötete. Mit kurzem Wort gebot er, des Knechtes Kleider zu untersuchen. Riedesel und ein anderer ritten vor.

»Lasset die Hände von mir!« sagte der Reisige schwer atmend. »Ich bin auf dem Wege nach Frankfurt – vor der Gewalt gesteh' ich's ein. Aber nun laßt mich ungehindert weiter.«

»Und was hast du in Frankfurt zu schaffen?« verhörte Herr Hatzicho. Da der Mann mit wilden Augen trotzig schwieg, befahl der Ritter nach wiederholtem vergeblichen Zureden, daß er gebunden nach dem Hattstein mitgeführt werden solle. Das endlich öffnete dem Knecht die Lippen.

»Ich habe ein Pergament nach dem Römer zu bringen.«

Mehr brauchte der Hattsteiner nicht zu erfahren. Er warf einen ergrimmten Blick nach dem hoch auf seinem unbezwingbaren Felsen thronenden Falkenstein. Grau und wild, überragt von einem schlanken Bergfrit, dräute die kleine Burg herunter; verbissen und vereinsamt sah sie aus – wie ihre Bewohner –, war ein unbezwingbar Nest und ergab sich Frankfurt ohne Not. Was anders sollte in dem Brief an Frankfurt auch wohl stehen?

»Macht dem Manne Platz, Leute!« sagte Herr Hatzicho dumpf, und plötzlich war eine tiefe Traurigkeit um seine Augen. »Und du –« wendete er sich an Philipps Reisigen, »reite unangefochten weiter, zu tun, was dir die Treue gegen deinen Herrn gebeut, auch ob es wider deines Herrn Brüder und Schwester wäre. Du trägst eines Mannes Botschaft, der sich nicht allein daran genügen läßt, ein Kain zu heißen, nein auch ein Judas werden will. Vermagst du meinen Bruder von dem, das ich denke, zu reinigen?«

Der Knecht senkte nun doch in Scham die Stirn, einen Blick warf er nach dem Felsenschloß zurück, als überlege er, ob er umkehren solle. Herr Hatzicho wurde das gewahr und riet ihm, kein Umkehren zu wagen, denn er begäbe sich damit in Gefahr.

»Dein Herr erfährt noch rechtzeitig genug, daß ich gewarnt bin«, erklärte er. »Du magst ihm bei der Heimkehr sagen, daß du Abel trafst, der seinen Bruder Kain nicht verabscheut, aber tief und traurig beklagt. Und nun – fort mit dir!« Er blitzte den Unseligen mit wilden Augen an, dann ritt er weiter.

Die Mannen aber würdigten des Verräters Getreuen keines Blicks. Mit schwerem Herzen machte sich der Knecht davon und verfluchte still die Begegnung, vor der ihn Herr Philipp so sicher gewähnt.

»Flehe in Frankfurt, daß man uns das Leben retten soll!« heulte der Sülzbacher Amtmann auf, als der Reisige an ihm vorbeikam. Ein Puff vor den Wanst, von Riedesels Faust gespendet, brachte den Schreier zum Verstummen. Der Sülzbacher war ein starkbeleibter Mann, dem der ungewohnte weite Ritt längst alle Knochen im Leibe schlottern gemacht, soweit dies nicht die feige Angst schon getan.

Der Vogt von Eschborn, ein ritterlich und freimütig aussehender Herr, maß seinen Mitgefangenen mit verachtungsvollem Gesicht. »Ich fürchte nichts für mich«, sagte er zu dem Knecht neben seinem Gaul. »Den Wolf von Hattstein kenne ich seit Kindesbeinen und schenkte ihm mal einen Apfel, als er noch ein Büblein war. Flugs dankte er, kehrte sich um und gab die Frucht an einen Armen weiter. Der Hatzicho blickt mit guten Augen geradenwegs aus seinem guten Herzen heraus. Der Schlimmste sitzt dort oben und verrät den Hattstein … das verstand ich wohl aus der Zwiesprache eben.« Und da er mit den gefesselten Armen hatte zum Falkenstein hinaufweisen wollen, machte sich der ihn bewachende Knecht daran, die Fesseln zu lockern … denn der Eschborner hatte ja ein gutes Wort über Herrn Hatzicho gesagt.

Der Hohlweg lief zwischen Buchen aus, die nach einem tief im Grunde gelegenen, grüngolden schimmernden Wiesenplan hin dürftiger standen. Dann kam das Dörfchen am Felsenfuß. Der Trupp ritt schweigend hindurch. Der Hattsteiner hielt die Augen halb geschlossen auf seines Hengstes Mähne geheftet … er mochte die Burg nicht sehen, unter der die Dächer so niedrig geduckt lagen, als hätten die Häuser die Köpfe eingezogen in der Furcht vor dem unguten Herrn im Schlosse droben. Die Straße führte über die Höhe und dann in der Senkung des Falkensteiner Wetterlochs fort. Felder lagen ringsum. Das Getreide stand nur kniehoch in dem unablässig kühlenden Wind. Aus den Wiesen, wie zwischen den Fruchthalmen, guckten die Buckel der zahlreichen Steine, die das Erdreich dürftig machten. Mit Mühen und Sorgen nur gewannen die Falkensteiner Bauern dem felsigen Grund das Brot ab. Und darum schmeckte es auch hier droben so süß und war so weiß wie der Schnee, der im Winter die Falkensteiner Höhe tief begrub.

Wo fern der Wald an einem Kornacker Halt gemacht hatte, eine staubige Landstraße aus dem Dämmer seiner Bäume entlassend, erschien plötzlich in scharfem Galopp ein Reiter. An seinem schwarzrot geteilten Wams leuchtete die helle Farbe in der blendenden Morgensonne. Er stutzte, als er das Fähnlein gewahr wurde. Unter dem Anriß am Zaumzeug setzte sich sein brauner Klepper fast auf die Keulen. Dann warf der Mann den Gaul herum und suchte nach der Seite mitten in die Felder auszubrechen.

Im Augenblick hatte Herr Hatzicho den Flink von Hasselbach erkannt. Mit einem gellenden Schrei jagte er dem Davonwirbelnden nach, dessen verängstigtes Pferd in den hufumschlingenden Halmen mit langen Sätzen stolpernd hastete. Einige der Mannen folgten ihrem Herrn. Bei einer langen, blühenden Schwarzdornhecke, die den Kornacker von einer Wiese schied, fürchtete sich des Flüchtenden Brauner vor dem Sprung. Mitten in den zertrampelten Ähren umringten sie Flink … nun gab er hoffnungslos alles verloren.

»Diesmal seht Ihr den Hattstein unfreiwillig zwar und gefangen, aber doch in den Euch zukommenden Kriegsehren wieder, Herr Hauptmann!« sagte der Hattsteiner ruhig und höflich, als man dem Unseligen die Hände auf den Rücken gebunden hatte. Bevor man die Straße nach der Burg einschlug, suchte Herr Hatzicho den Rest des Geldes aus seiner Gürteltasche zusammen. Er übergab Engelbert Riedesel die letzten Gulden. Auf das verwüstete Korn deutend, sagte er: »Frage im Dorf unterm Falkenstein nach dem Eigner dieses Ackers bei der Schwarzdornhecke. Sage ihm, ich ließe um Vergebung für den angerichteten Schaden bitten, den ich mit dem Gelde einigermaßen zu vergüten suche.«

Dann nahm der schweigende Forst die Heimkehrenden auf.

Noch tropften die Blätter vom Morgentau, die Feuchte machte die Harnische blind. Sie klebte auch in Flinks blonden Strähnen. Mit tiefgeneigtem, bleichem Gesicht ritt der Mann dahin, dem Willen seines Pferdes anvertraut, dem noch die Flanken zitterten von der wilden Flucht durch den Taunus. Niemand bekümmerte sich um Flink. Einsam schritt sein Tier zwischen den beiden Haufen und folgte den Hufen der vorderen Gäule. Nicht die Gefangennahme schmerzte Flink … das war schließlich Kriegerlos und immerhin besser, als wenn er in der Burg blind in die Falle getappt wäre und keinen Ausweg versucht hätte. Weit mehr bebte ihm das Herz vor diesem raschen Wiedersehen mit Eberte. Als Sieger über den Bruder Hatzicho, aber in einer Liebe, die auch in der durch die Pflicht aufgezwungenen Fehde nicht enden sollte, hatte er gehofft ihr wieder zu begegnen. Sagen hatte er ihr wolle: Sieh, ich mußte in Amt und Eid wider deiner Eltern Haus sein – vergib mir um meiner Liebe willen! – Dann hätte dies edle Herz gewiß vergeben, denn jedes auf dem Ritt gewechselte Wort hatte mehr und mehr ihre Freundlichkeit vergoldet, ihre Güte verklärt und ihre Neigung verraten. Mit wehem Grimm, nur dem Rufe seiner Pflicht folgend, war er einmal hinter ihr zurückgeblieben und hatte den Weg nach Frankfurt eingeschlagen, indes sie – auf ihrem Schimmel lieblich wie die Waldfee aussehend – ahnungslos hinter einem flüchtenden Hirsch herjagte. Nun sollte sie ihn als Gefangenen wiedersehen und ohne daß der Eindruck feiger Flucht, ehrlosen Verhaltens von der Zeit verwischt worden war. Ach, alles war nun wohl dahin! Scham und Schande? … so groß konnten sie dem Übertölpelten in Frankfurt nimmer werden, als vor den schönen, stillen, jetzt wohl traurigen Augen der Hattsteinerin. Es war, als müsse ihm das Leid das Herz zersprengen, daß kaum begonnene, jäh so häßlich endende Liebe es sein mußte, was er ihr für ihre Güte bot! Mit irren Augen sah er sich nach einem verzweifelten Fluchtversuch um. Vor ihm der Hattsteiner mit einigen Mannen – hinter ihm, dem verachtungsvoll Gemiedenen, die Knechte mit den Gefangenen – rechts und links der wilde Forst, von Unterholz und Himbeerbüschen, Brombeersträuchern und wildem Efeu verstrickt, wie mit vom Schicksal aufgestellten Fallen versperrt. Die Fesseln an den Händen … sie schnitten Flink ins Fleisch, tiefer noch ins Herz …

Von blendender Morgensonne übergossen, lag der Hattstein da und hob seine vom Sonnenschein umgoldeten Türme so siegessicher dem blauen Taunushimmel zu, als gäbe es nie einen irdischen Feind, der ihn gewönne. Die gewaltigen Buchen, die riesenhaften Tannen ragten wie ein wachendes, wehrbereitetes Heer von finstern Waldgeistern um die Burg.

Knechte und Mägde drängten sich jauchzend auf der Zugbrücke und grüßten freudig die in banger Sorge Erwarteten. Die drei Gefangenen wurden mit stiller Neugier betrachtet. Herr Hatzicho hatte es früher einmal verboten, daß man – wie des Brauchs in andern Burgen geübt wurde – Eingebrachte mit Schmähreden überschüttete oder gar mit Dreck bewarf. Selbst beim Anblick des in Fesseln wiederkehrenden Flink äußerten sich nur halblaute Rufe des Staunens.

Der Amtmann von Sülzbach starrte angstvoll auf die Menschen nieder, mit vor Furcht verschwitztem Gesicht und zitternd, als gälte es schon in der nächsten Minute den Strick um den Hals zu fühlen.

Der Eschborner Vogt sah wohl ein wenig düster drein, nickte aber doch freundlich einem Mädchen zu, das die Hände zusammenschlug und ausrief: »Ach, um den hübschen Mann!«

Flink schloß die Augen, kaum daß er der Zugbrücke ansichtig geworden war. Und geschlossenen Auges ritt er auch in den Burghof ein. Nur ihrem Blick nicht begegnen zu müssen, der er an dieser Stelle hatte sagen wollen: ich warb um die Festigkeit des Hattsteins, weil ich mit ihm auch die Herrin gewinnen wollte! … Träume, eitle Träume! … Wahngebilde, die ihm unter der ernüchternden Tatsache seiner Gefangenschaft plötzlich so undenkbar vorkamen, daß er auf einmal nicht mehr begreifen konnte, wie er den hohlen und haltlosen Luftbau so unklug und töricht berechnend vor sich aufzubauen vermocht. Klang nicht Ebertes Stimme aus dem Lärm? … gottlob, nein. Vielleicht war das Mädchen noch gar nicht heimgekehrt, suchte ihn, verirrt ihn wähnend oder verunglückt, noch im Forst. Es überlief ihn kältend trotz der auf sein unbedecktes Haupt prallenden Sonne. Leichter Wind wehte ihm die blonden Strähnen vor die geschlossenen Augen, als wolle er ihm den schamvollen Blick barmherzig verhüllen helfen. – Vielleicht war diese Rückkehr die Strafe für das verräterische Doppelwort, mit dem er arglistigen Sinns die Wiederkunft verheißen – vielleicht hatte er den letzten Hauch der Freiheit nur verspüren dürfen, um hier den Weg anzutreten, der zur ewigen Freiheit führt: zur todesnächtigen. Wiederum erschauerte Flink – nicht aus Furcht, nur aus dem Gedanken, daß der Tod seiner warten mochte, wo ein Glück zu blühen begonnen, der erste wirklich selige Hauch der Liebe verspürt worden war. Die Strafe hatte der Späher verdient – das Glück verwirkt. Dennoch: sollte er feig verschlossenen Blicks hier stehen? Im Kriegsdienst und im Gelöbnis treu seiner Pflicht war er hier eingedrungen. Nein – offen die Lider! Für einen Feigling sollte ihn hier niemand messen – – und sie erst recht nicht. Er hob das Haupt …

»So ist's recht, mein wackerer Gesell!« sagte der Vogt von Eschborn neben ihm. »Ihr seid unter gar seltsamen Umständen in der Burg gewesen, wie ich unterwegs vernahm. Es gibt einen harten Brauch für solches Tun. Doch nur nicht kopfhängerisch! Muß es sein – und müßten wir drei den Nacken beugen, so wollen wir's wenigstens erst dann tun, wenn ihn der Hattsteiner uns vorm Richtblock beugen heißt. Doch wie ich den Hatzicho kenne, wird's dazu schwerlich kommen. Seht, mich trieben sie aus dem Bett auf, und ich sah die Nutzlosigkeit der Gegenwehr ein, obgleich ich sonst eine flinke Faust führe. Ihr aber konntet Euer letztes Restchen Freiheit doch noch zu wahren trachten, obgleich Ihr waffenlos gewesen. Da seht den Schlotterbock von Amtmann an – die Knie tragen den Sülzbacher kaum noch. Ist's nicht ein erbärmlicher Anblick?« Er wendete sich angewidert ab und fragte dann: »Ich meine, wir müßten einander schon in Frankfurt begegnet sein. Ist es nicht der Fall?«

»Ich bin der Reichsstadt Hauptmann Flink von Hasselbach«, gab sich Flink zu erkennen; mit froherem Blick sah er zu dem stattlichen Eschborner auf. Der pfiff eine leise, absteigende Tonleiter der Verwunderung.

»So bin ich denn in guter Gesellschaft«, sagte er zufrieden und nannte seinen Namen: Boß von Offenbach. »Aber nun laßt uns den Hattsteinern weniger mit Hochmut denn mit gutem Vertrauen in die Augen lachen. Ich fürchte noch längst nicht das Schlimmste, so peinvoll auch schon die Gefangenschaft ist. Siegt Frankfurt, so werden wir frei … siegt der Hattstein … nun, ich sagte es unterwegs schon zu meinem ehrbaren Wächter als wir am Falkenstein passierten: der schlimme Philipp ist aus Burg und Bann – das läßt das Beste erhoffen. Und wem das Leben wohl will, dem will es wohl trotz Banden und Turm.«

An der frohmütigen, vertrauensstarken Sprache des Offenbachers richtete sich Flink auf und stärkte er sein Herz. Er sah sich um … drüben schlich Frau Doreta mit traurigen Augen scheu vorüber. Sie wagte einen kurzen Blick nach den Gefangenen, die unbewacht mitten im Burghof standen. Der scheppe Gürg war nirgends zu sehen. …

Aber wer kam da aus dem Palas? … und der Hattsteiner war bei ihm und schüttelte ihm wie zum Abschied die Hand … dem roten Geckir. War da irgendein Verrat? Doch er mußte den Gedanken von sich weisen, denn der Schäfer kam mit ehrlichem Gesicht, frohen Glanz in den blauen Kinderaugen daher und schritt geradenwegs auf die Gefangenen zu.

»Hätt' nicht gedacht, daß ich Euch hier wiederträfe, nachdem ich Euch im Wald draußen vor kurzer Zeit erst mit dem feinen Fräulein vorüberreiten sah«, redete er den Hasselbach voller Mitleid an. »Wißt, ich bin hier, weil ich den Hattsteiner verstand, er wolle mir meine Merla herbringen. Nun war es anders gemeint. Aber heimkehren darf ich. Und ich soll auch dem Geschützmeister vermelden, daß der Hattsteiner gestern abend bei ihm im Hause war. Und vorher soll ich dem Rat in Frankfurt Kunde zutragen, daß es der Philipp von Hattstein gewesen, der mir den Kopf verdrosch. Und sagen soll ich: bevor man einen Brief nach dem Hattstein sende, wolle man bedenken, daß Ihr und ein gesülzener Amtmann und ein Vogt in des Hattsteiners Gewalt wäret.«

Flink knurrte den Schäfer mit einem unwirschen Wort an und wies ihn von dannen.

»Laßt den Burschen gewähren – er könnte uns Rettung bringen«, warnte der Vogt von Eschborn. »Mach' dich eilig auf, Rotkopf!« drängte er mit freundlichem Lachen. »Der Amtmann sieht zwar wahrlich aus, als ob er in der Sülze wäre, aber immerhin sage lieber: der Amtmann von Sülzbach ist's. Und von mir berichte, daß ich der Vogt von Eschborn bin. Und ich lasse den Frankfurtern sagen: wenn sie nicht eiligst aufbrächen, uns zu helfen, so solle ihnen der Main in alle Keller steigen.« Doch setzte er flüsternd hinzu: »Ist bitterer Ernst dabei … künde, daß wir in großer Bedrängnis sind.«

Dann mußte Geckir weichen. Vier Knechte kamen mit klirrenden Ketten, bei ihnen der Johann Weißkirchen. Sie legten dem stummbleibenden Flink, dem lachenden Vogt und dem heulenden Amtmann die Eisen an.

»Hättest du den niedlichen Schmuck geputzt, als ich dich dazu anhielt, so brauchtest du heute nicht rostigen Zierat zu tragen«, höhnte der Weißkirchen. »Du meintest mit der Rose in der Hand, der Hattstein berge lindere Fesseln? Nun kannst du's ausprobieren.«

Da versetzte der ergrimmte Eschborner dem Spötter einen Tritt. »Hältst du so deines Herrn Gebote, indem du Gefangene verhöhnst? Ich kenne den Brauch auf dem Hattstein – der deine ist dawider. Meide künftig den Weg durch Eschborn, Kerl. Leicht könnte ich dich selber lehren, wie hart es tut, wenn man den Meister Eisenklirr an den Fäusten schleppen muß!« So stark vertraute der reckenhafte Mann auf sein Heil und auf Herrn Hatzichos Gerechtigkeit.

Bewundernd sah Flink zu dem großen Mann empor, ein freies Lächeln huschte über sein bleiches Gesicht.

Der Johann Weißkirchen rieb sich mit zornroter Stirn das schmerzende Schienbein, wagte aber kein weiteres Wort. Dann sah der Schäfer Geckir zu, wie man die drei Männer nach dem Gefängnis im Hartenfelshaus führte, allwo sich ein dazu eingerichteter fester Raum befand. Er aber ging ungehindert über die Zugbrücke in die Freiheit hinaus … dem Glück entgegen. …

Der Wald grünte in vergoldeten Wipfeln und rauschte schläfrig in der heißen Sonne, die im Begriffe war gen Mittag zu steigen. Der Himmel blaute so friedlich, als gäbe es nimmer Zwietracht und Haß unter den Menschen, nimmer ein vertanes Glück und ein zernichtet Herz. Langsamen Gangs kam ein Schimmel den Reitweg zum Hattstein daher. Er trug auf seinem Rücken eine bleiche Frau, die mit irrenden, zögernden Augen traurig auf den Pfad starrte, als suche sie das Kostbarste, das sie je besessen und nun verloren – schmerzlich verloren und mit bitterer Pein. Vor diesem Schmerz aber verstummte der Wald, hielt ein mit Brausen und Flüstern und lag einsam und öde trotz allen Sonnenscheins. –


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