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Eberte und der Tod

Wo der Wald an der südlichen Flanke des Sängelbergs herabstieg, schmiegte sich neben dem Rain eines Gleisweges an den Rand dieser Straße eine lange Reihe Birken. Die hellgrünen Schopfhäupter über das Jungbuchengewirr hebend, standen die Bäume da wie würdige, doch freundlich blickende Leute, die mit geduldigem Lächeln, in die Wehmut der Erinnerung versunken, auf die einst auch ihnen nicht fremde Lust der Jugend herniedersehen. Die weiß beschalten, schlanken Stämme ragten als ein blanker Zaun auf, wie von eines Gewaltigen Hand hier aufgerichtet, um dem Weitervordringen des Buchenforstes Einhalt zu tun, denn der hatte seine Samen schon bis auf die Wiesen des Schmittgrundes gestreut. Das war an niedrigen, flirrenden Büschen leicht zu sehen; zartes Blattwerk am braunrindigen Reisig, strebten die Buchensträucher nach einem Bach hinüber. In ihrer Gesellschaft hatten sich ein paar ernste Tannen angesiedelt, trotz ihrer Jugend wie dunkel gekleidete Gnomen, die sich unbeweglich verhielten … wie im Erstaunen, daß sie in eine so lebhaft und leichtfertig winkende, mit den Köpfen lustig schüttelnde Kumpanei geraten waren.

So wollte der Sängelberg ins Land hinaus wandern, dem Tälchen im Schmittgrund zu, als sehne er sich, im sanft aus dem Weilborn her durch die Wiesen rinnenden Gewässer die Füße zu kühlen, denn der Tag war heiß, durchflammt von der aus wolkenlosem Himmel prallenden Sonne. Jenseits des in Blumenstickereien prangenden Grasteppichs grünte der Eichenschlag des Heckenhains, über den her die Zinnen der Reifenberger Burg in schweigsam kraftvollem Trutz leuchteten.

In das Raunen und Weben des Wiesengrases, in das Geflüster der Birken und in das leise, müde Sausen des Forstes mischte sich plötzlich eine singende Mädchenstimme. Neugierig schwiegen Gräser, Birken und Haine. Feierliche Stille war auf einmal in das Ruhevolle des Sommertags gezaubert. Nur der Menschenmund sang seinen Jubel unter den Stämmen hin und silberte den Schall zum reinen Himmelsblau hinauf, ließ die Töne anschwellen aus voller Brust und süß verklingen in den Baumkronen. Der Gesang schwebte aus dem Walde hervor.

Wo sich die grünweiße Wehr der Birken zurückbog, dem Verlauf des Gleisweges folgend, kam mit schleppenden Schritten ein Mann daher, grellrot und weiß leuchtend im Sonnenlicht. Es war der vom Hattstein freigelassene Henchen Hanauwe. Als er die singende Stimme vernahm, blieb er lauschend stehen und stützte sich wie erschöpft auf seinen Botenspeer. Wohl sah sein eichenholzbraunes Gesicht verstört aus von der durchwachten Nacht und von der Todesangst, die er in der schauerlichen Tiefe unterm Daressenturm ausgestanden. Aber seine Augen blickten lebhafter als vielleicht je. Er nahm mit lebensgierigem Schauen das Bild des sanften Wiesengrundes, des glitzernden Baches und der blühenden Sommerblumen in sich auf, genoß mit weit geöffnetem Blick die Lieblichkeit der Landschaft und erhaschte verlangend das Silber und Grün der Birken, wie das traumhafte Waldesdämmern dahinter. Er lebte! … er lebte! … war's möglich nach der feuchten, stinkenden Nacht im Verlies? Er atmete den Hauch des Lebens ein, sog ihn tief, tief in die Lungen und ließ ihn dort ruhen, nur um der Gewißheit willen, daß dieser Erde Odem wieder sein war. Und tranken sich die Augen satt an der Gegenwart der herrlichen Taunuswelt, sättigte sich die Brust an der Würze des Duftes von Bäumen, Wiesen und all dem Blühen rings, so hungerte sein Gehör auch nach dem Singen im Walde. Dies alles war wieder das Leben! Er ging zu einem Birkenstamm hin und ließ sich an der Wurzel nieder. Der Speer entfiel ihm. Henchen tastete im Gras herum, riß es mit vollen Händen aus und führte es zum Munde, um es gleich darauf wieder davonwehen zu lassen. Er schlang die Arme um den Baumstamm, als könne er in ihm diese schöne Erde umhalsen. Er legte Stirn und Wange an die glatte Rinde der Birke. Dann schlug er plötzlich die Finger vors Gesicht und weinte bitterlich in Freude …

Die Mädchenstimme klang näher, dann das Schnauben eines Rosses.

Ein Schimmel trat aus dem Buschwerk hervor und stand mit prächtig rotem Zaumzeug in der Helle wie der Zelter der schönen Waldkönigin. Auf seinem Rücken trug er ein in blauen Samt gekleidetes junges Weib, das, die rechte Hand in der Silbermähne des Pferdes, die letzten Worte des Liedes über den Sommerplan hinjauchzte.

Das war Eberte, der Hattsteiner Brüder schöne, feine Schwester. Die dunkeln Haare trug sie unbedeckt. Nur war diese Pracht ihrer Mädchenhaftigkeit tief gescheitelt, hing ihr geteilt über beide Schultern nach vorn, und dicht am Kopf begannen samtene Bänder die Fülle der beiden Strähnen zu umflechten. Wo sich das Bandwerk kreuzte, war es mit zierlichen goldenen Schließen aneinandergeheftet.

Einen schmetternden Lustschrei hallte Eberte noch in den Wald zurück, wie zu einem aus der überquellenden Freude geborenen Gruß und Dank für die grünleuchtende Kühle. Dann leitete sie den Schimmel auf den Gleisweg und ließ ihn heimwärtstraben. Als sie den Menschen bei der Birke sitzen sah, griff sie scharf in den Zaum. Das Roß stand augenblicks wie aus dem Grund gewachsen.

»Was fehlt dir, daß du weinest?« frug sie aus dem Sattel herab.

Henchen Hanauwe hob den Blick. Er sah – – des Hatzicho von Hattstein Antlitz vor sich, nur schöner und jünger. Eberte hatte denselben Mund, die gleichen graublauen Augen und, feiner und zierlicher nur, des Bruders edel geformte Nase. Ein mitleidiger Zug der Barmherzigkeit hatte sich um ihre Lippen gelegt, die röter glühten als die Federnelken auf der Schmittgrundwiese. Der Stadtbote staunte dies Bildnis an – auch dies war das Leben, das wiedergewonnene …

Nun erkannte das Fräulein den Gefangenen ihrer Brüder. »Wie? … konntest du entfliehen?« verwunderte sie sich. Ihr Blick glitt rasch und scharf über die Gegend, als sorge sie sich um den Mann.

»Man ließ mich frei – und ich atme wieder!« sagte Henchen aus tiefstem Herzen. Er wischte die Tränen fort und erhob sich achtungsvoll. Sein Gesicht nahm über die Lieblichkeit Ebertes freudigen Glanz an. Er weidete sich an allem, das ihn des noch einmal erhaschten Lebens gemahnte.

»Tat's nicht mein Bruder Hatzicho?« forschte sie. Dabei leuchteten ihre großen, im Ausdruck kindlich reinen Augen … wie in unbegrenztem Vertrauen zu des Lieblingsbruders Gerechtigkeit und adligem Sinn.

»Ja – Herr Hatzicho – der war's!« antwortete Henchen und hatte wunderlichen Glanz im Blick. »Das ist ein Mensch und er hat ein menschlich Herz. – ›Es war nicht nach meinem Willen, daß du ins Verlies gerietest!‹ sagte er mir, nachdem man mich aus der schrecklichen Tiefe gezogen. Man hätte mir eigentlich den Ratsbrief um die Ohren schlagen wollen und mir auftragen, das wäre die Antwort an Frankfurt – meinte er –, doch wolle er es beim Schreck bewenden lassen; ich solle annehmen, daß mir so geschehen sei und solle das dem Rat bestellen. – Ich will's ausrichten, will aber nicht vergessen dazuzusetzen, daß der Hattsteiner ein Mensch ist und ein menschlich Herz hat, und daß er wahr und wahrhaftig ein Edelmann ist. Speise und Trank ließ er mir reichen und – denkt nur, Fräulein! – das Zinngefäß, das ich zu meiner Erquickung auf dem Rücken trage, ließ er mir mit Wein füllen, damit ich mich unterwegs noch stärken und von der Nacht im Turm erholen könne. Kein Geringerer als er selbst brachte mich zur Zugbrücke; dort sagte er: Renn hinein ins Leben, denn nun wirst du es tausendmal höher schätzen – und dank' nicht mir, danke dem, der mich so schlecht nicht schuf als man draußen im Lande meint! – Wie schade, wie jammer-jammerschade, daß man diesen Herrn bei uns in Frankfurt haßt! Keiner kennt ihn nun so wie ich. Aber ich will's den ganzen Main entlang künden, wie und wer der Hattsteiner ist. Und daß ich ihm das Leben danke. Und daß er ein menschlich, nein, ein göttlich Herz hat. Und daß er Augen hat, wie einer Frau Augen so gut … so hold wie die Euern, edles Fräulein. Und daß er eine so wunderschöne Schwester hat.«

Dem sich an der Erinnerung seines frohen Erlebnisses erregenden Manne sprudelten die Worte vom Herzen über den Mund. Er war dem Roß Ebertes näher gekommen. Nun wendete der Schimmel den Kopf, reckte den Hals und schnupperte nach Henchen. Die unergründlichen und tiefen Tieraugen sahen nach dem Boten, dem dieser Blick wie Mitleid schien. So legte er vorsichtig die Hand über des Hengstes Nase … auch dieses Tier war das Leben …

Als der Hanauwe ihrer Schönheit Erwähnung getan, war ein feines, zufriedenes Lächeln um Ebertes Mund gehuscht. »Du scheinst ein dankbarer Mensch zu sein?« urteilte sie. »Drum will ich dir raten: schaff', daß du eilig aus der Gegend um den Hattstein kommst. Wenn Hatzicho dich freiließ, so war Philipp sicherlich dagegen. Und du bist deines Lebens dann erst sicher, wenn du den Sängelberg nicht mehr siehst. Es täte mir leid um dich, denn du lobtest meinen Lieblingsbruder.«

»O Gott! … das muß ich aus übervollem Herzen tun!« entflammte sich Henchen aufs neue. »Und meiner Seel'! … ich glaube, ich könnte das Leben für ihn in die Schanze schlagen, dieweil ich's als ein Gnadengeschenk aus seiner Hand empfing.« Er trat an den Wiesenrand, breitete die Arme und reckte sie über den grünen Grund hin, verlangend und beglückt zugleich. Plötzlich schien ihm etwas einzufallen. Abermals kam er dicht an den Sattel und sah mit ängstlichen Augen zu Eberte auf. »Fräulein«, sagte er leise. »Ich möchte so gerne etwas gestehen, was meine Dankbarkeit bewiese. Es ist mir über ein Mitwissen kein Eid abgenommen worden … aber ich bin vereidigt für treuen Dienst der Stadt. Und dennoch drängt's mich, zu sagen, was ich weiß.«

»Bist du zur Treue verpflichtet, dann brich sie nicht!« Sie warnte nur zaghaft, halb in Verwunderung, halb in Neugier. Daß es Wichtiges sein müsse, Hatzicho Nützliches, was der Bote zu sagen hatte, ahnte sie; aber sie mochte den Mann nicht durch ein gütiges Wort verleiten und hoffte heimlich, daß er einen Ausweg fände.

Henchen Hanauwe senkte das Haupt. Über das Eichenbraun seines Gesichtes war verlegene Röte gegossen und um seine Lippen zuckte es wie von zurückgedrängten Worten. Er krampfte die Finger hilflos in den blauen Samt von Ebertes Kleid. Endlich warf er die Stirn zurück, und in entschlossenem Feuer leuchteten ihm dankbar die Augen.

»Herrn Hatzichos Güte und Eure Freundlichkeit sind sehr verführerisch!« gestand er ernst. »So will ich fragen: ist man zur Treue mehr verpflichtet dem, der einem die Treue bezahlt … oder ist die Treue edler gegen den, der diese Treue gewann, ohne sie begehrt zu haben?«

»Ich verstehe dich nicht«, wich das Mädchen aus und sah von dem Läufer fort in den Wald, um dem forschenden Blick nicht mehr begegnen zu müssen, der so deutlich bat: verlange doch, daß ich rede! Es war so still in der Runde, daß sie den erregten Atem Henchens vernahm – so still war es, daß sie meinte, er müsse das Pochen ihres Herzens hören, das mit jedem Schlage heftiger rufen wollte: sprich – sprich – sprich! So still war es, daß das Murmeln des Baches herüberdrang.

»Gesetzt den Fall, mir rettete einer Wohlfahrt und Leben, und ich wüßte Leben und Wohlfahrt dieses einen nun in Gefahr – wo bände mich meine Treue fester?? … an den Gewinner meiner Treue oder an den, der meine Treue kaufte?« flüsterte Henchen eindringlich.

»Mir ginge gewonnene Treue über die bezahlte.« Doch die Antwort war nicht an ihn gerichtet, Eberte sprach sie in die helle Sonne hinein, dann senkte sie erglühend das Antlitz. Es fiel ihr schwer, den Mann zu einem Bruch seines Gelöbnisses zu veranlassen – aber aus allen seinen Fragen klang das Drohen einer Gefahr. Und diese Gefahr zu kennen, war wohl im Augenblick richtiger als alle Erwägungen über redlichen Sinn und ehrenfesten Abweis.

»Vernehmt eine Geschichte!« bat Henchen, nachdem er mit der Furcht vor seinem Gewissen gekämpft, sich selbst und Furcht und Gewissen überwunden wähnte. »Im Tannenwald beim Altkönig hatte ein Fuchs seinen Bau. Manchmal trieb ihn die Not aus dem Forst, wenn es auf der Höhe nichts mehr zu erschnappen gab. Dann brach er bis gen Cronberg vor und raubte einem Bauern Gänse. Darob ergrimmte der Cronberger und beschloß, den Meister Rotrock samt Welpen zu vernichten und das Raubnest zu zerstören. Wohl wußte der Mensch, wo der Fuchsbau lag; aber er wußte auch, daß es nicht leicht ist, dem Kessel beizukommen, weil Reineke verschiedene Röhren gräbt, um seine Burg verteidigen und geschickt aus ihr schliefen zu können. Da prellte der Bauer das Füchslein, indem er ihm eine Gans freiwillig überließ. Und er befahl einem Knecht, mit in den Wald zu kommen. Während der Fuchs vertrauensvoll an der Gans zehrte, sollte das Fuchsnest heimlich ausgestöbert werden. So trieben sich also zwei Männer im Tannenschlag herum.«

»Nun – und das Ende?« frug Eberte erregt, als sie den Sinn der Geschichte Henchens zu erfassen begonnen.

»Der Bauer besaß aber einen Hund«, fuhr der Stadtbote fort und lächelte eigentümlich. »Und diesem Hunde hatte er aufgetragen, die Gans in den Fuchsbau zu schaffen. Als dem Unschuldigen darinnen der Garaus gemacht werden sollte, wehrte Reineke seinen Brüdern und geleitete den Hund ans Tageslicht. Der Hund rannte eilig davon, froh seines Lebens. Dieweil er aber unterwegs des Fuchses Frau Ermeline traf, die gar nicht hochmütig wie zu einem Bauernköter auf ihn herabsah, bezwang er sein dankbares, redliches Herz und brach seinem Herrn so schlau die Treue, daß es wohl doch kein Treubruch war. Er verriet der Füchsin nur wie er vernommen hätte, es würden zwei Männer im Tannenhag beim Fuchsnest herumschnüffeln. Den Rest aber mußte sich die Fähe und der Fuchs selbst ausdenken.«

»Ich danke dir – diese Geschichte aus dem Taunuswald kannte ich noch nicht«, sagte Eberte mit lieblichem Lächeln. »Ich will sie behalten und bei gelegener Zeit daheim erzählen.«

»Dann erzählt sie niemand anderm als Euerm Bruder Herrn Hatzicho«, warnte Henchen mit ernstem, ein wenig bleichem Gesicht. Er hob den Botenspeer auf und schulterte ihn. Darauf grüßte er das Fräulein höflich und wanderte mit starken Schritten dem Leben entgegen, mit wieder lachenden Augen und tief atmender Brust. Wie der Friede weiß, glänzte in der strahlenden Sonne seine Schaube … wie Blut rot, grellten die farbigen Ärmel.

Eberte sah dem wunderlichen Manne dankbar nach, wendete den Schimmel und trieb ihn an. In Nachdenken vertieft, ritt sie dahin. Als sie just die Wegkrümmung erreicht hatte, vernahm sie einen schrillen Schrei hinter sich. Sie wendete das Haupt. Dort stand der Henchen Hanauwe mit hoch erhobenen Armen. In der Meinung, daß ihr der Läufer noch etwas zu sagen hätte, warf sie den Hengst herum und hielt im Galopp auf den Boten zu. Da sah sie ihn taumeln, krampfartig mit den Händen ins Leere greifen … schwer schlug er zu Boden und lag auf dem Angesicht. Erschrocken sprang Eberte aus dem Sattel und beugte sich nieder. Sein dumpfes, in die Erde klagendes Gestöhn klang unheimlich. Mutig faßte sie ihn an und wälzte ihn auf den Rücken. Auf der linken Brust, dicht neben dem Frankfurter Wappen seiner Schaube ragte der gefiederte Bolz einer Armbrust. Das Weiß des Gewandes färbte sich rot, viel röter als die Ärmel waren. Mit einem Jammerschrei hob Eberte des Sterbenden Haupt auf ihren Schoß.

Henchen hatte die Augen weit offen und starrte das Mädchen an, als sähe er aus unendlicher Ferne her. »So straft mich Gott allsogleich an meinem gebrochenen Eide«, seufzte er und begann in Furcht und Todesangst zu zittern. Dann blieb ihm die Stimme aus. Seine Lippen formten immer das gleiche Wort, ohne dies Wort laut werden lassen zu können: mehrmals öffnete sich der Mund, zog sich ein wenig in die Breite und rundete sich dann.

»Hatzicho«, las Eberte endlich den stummen Lippen ab. »Barmherziger Gott! … du meinst, mein Bruder Hatzicho hätte das vollbracht?« rief sie aus, und ihr Blick hing entsetzt am Schaftgefieder des Bolzes. Die Federchen waren abwechselnd weiße und rote … das waren die Farben nicht nur an Henchens Gewand, nicht nur die Frankfurts, sondern auch die Wappenfarben – Silber und Weiß – der Hattsteiner.

Aber der Todwunde hatte das Mädchen verstanden. Sein Gesicht verzog sich langsam zu einem staunenden, unsäglich schmerzenreichen Lächeln. Die letzte Kraft zusammennehmend, schüttelte er das Haupt und verneinte die Frage. Sanft hob er dann die Hand und koste das liebliche, vor jammervollem Schrecken bleiche Antlitz Ebertes. Ein Blutstrom schoß dem Manne über die Lippen; plötzlich lag er schwerer in des jungen Weibes Schoß, und das Lächeln erstarrte zum Todesfrieden. Die Hände faltend, ging Henchen Hanauwe hinüber. Der das Leben wiedergewonnen wähnte, der in der unbändigen seligen Freude an diesem Gewinst neugeboren mit staunenden Augen durch seines Herrgotts schöne Taunuswelt den Heimweg angetreten hatte, ihm hatte die Heimat nun an der Grenze des Unendlichen gelegen. Vor des höchsten Richters Thron stand die Seele jetzt, verklagend den unbekannten Mörder, wie sie lächelnd wohl auch der letzten Menschen gedachte, die ihm Gutes erwiesen: Herr Hatzicho, dessen Namen er mit in die Ewigkeit genommen, und seiner schönen Schwester Eberte.

Ein Schluchzen drängte sich in dem Mädchen auf … es galt dem Armen, der kurz vor seinem Tode sie und den Bruder dem Verderben zu entziehen versucht – denn wie anders wäre das Gleichnis von dem Fuchsbau zu verstehen? …

Hinter dem Waldrand raschelte es leis in den Büschen, als suche sich jemand vorsichtig zu entfernen. Eberte hob lauschend das Haupt: war der Todspender noch in der Nähe? Ein gequältes Husten erscholl in die unheimliche Einsamkeit. Da legte Eberte das Haupt des Gestorbenen sanft ins Gras, raffte den blutbefleckten blauen Samt ihres Kleides an sich und eilte bis zu den Birken vor dem Forst. Hier höhlte sie die Hände um den Mund. Und wie vorher ihr lieblicher Gesang aus den Stämmen hervorgeronnen war, so schrillte ihre wilde Anklage jetzt in das Gründämmern hinein.

»Philipp von Hattstein – du hast den Mann ermordet, der mit seinem letzten Odem dir wie uns allen Burg und Heimstatt bewahrte!«

Doch dort drinnen blieb alles still, wie entsetzt vor der begangenen Tat und den beschuldigenden Worten. Dann erhob sich anschwellend das Gebrause der Buchenwipfel; es verklang wie die ersterbende Stimme der Furcht. Die Birken flüsterten und das Wiesengras begann sein Wispern, der Bach murmelte und der Wind ging mit hohlem Atem durch die Tannen … die unschuldige Natur war vor der Blutschuld dieses Ortes erschrocken.

Ratlos kehrte Eberte zu dem Leichnam zurück. Mit feuchten Wimpern stand sie vor dem Toten. Sie müsse ihn heimschaffen, meinte sie, der um seiner dankbaren Treue willen hier nicht einsam den Raben und Füchsen zur Beute liegenbleiben durfte … vielleicht, daß es ihr gelang, ihn über den Sattel zu legen. Sie holte den weiter fort ruhig grasenden Schimmel herbei. Aber das Tier entsetzte sich vor dem Blutgeruch, öffnete die Nüstern weit und schnaubte ängstlich, Schritt für Schritt rückwärts weichend – auch das Roß wie im Entsetzen vor dem Geschehenen. Und als sie den Schimmel bei dem Toten zu halten zwingen wollte, stieg der Hengst scheuend mit den Vorderhufen hoch, riß sich los und sprengte ein Stück Wegs weiter. Fern blieb der Gaul stehen, äugte zurück und wieherte, als möchte er seine Herrin vom Ort des Grauens fortrufen. Eberte mußte die Unmöglichkeit ihres Vorhabens einsehen. Sie schritt dem Schimmel entgegen, der willig kam und sie in den Sattel ließ. In jagendem Galopp stob sie den Gleisweg dahin, raste am Heckenhainweiher vorüber und schlug die am Weilbach entlang führende Straße nach Schmitten ein. Von ihr leitete der Reitpfad zum Hattstein ab. –

Die von den trommelnden Pferdehufen aufgejagten Wolken der Landstraße hatten sich noch nicht gelegt, als ein daherkommender Mensch am Heckenhainweiher halt machte. Er kniete an dem stillen Teich nieder und hob mit hohlen Händen das Wasser zum Trinken auf. Dann beugte er sich tiefer und schöpfte das kühlende Naß über sein bloß getragenes Haupt, so lange, bis der graue Wanderstaub davongespült war. Mit trocknenden Händen die Tropfen fortschleudernd, daß sie wie glitzerndes Gestein in den Teich zurückfielen, rieb er sich den Schädel. Und in der Sommersonne gleißte nun das kurze Haar, als hätte sich der Bursche eine enge kupferne Haube übern Kopf gestülpt. Das war der rote Geckir, der sich nun auf seinen Stecken stützte und versonnen nach den Zinnen der Feste Reifenberg hinübersah.

Dann schlug er den Weg durch das Tälchen ein. Bald stutzte er vor dem still daliegenden Manne. Und er sah den in kaltem, nimmer zu brechendem Schweigen schlafenden Tod zum erstenmal … mit heimlichem Grauen betrachtete er den buntgekleideten Schläfer, der so friedlich im wispernden Grase lag, weil ihm eines jungen, schönen Weibes sanfte Hand die Augen zugedrückt. Geckir neigte sich über das stille Gesicht, um auf den Atem zu lauschen, obwohl das noch quillende Blut seine stumme und doch nicht mißzuverstehende Stimme von des Getöteten Brust schrie. Nun erkannte er den Adler Frankfurts inmitten der blutigen Schaube. Und auch den Mann erkannte er, den in der Reichsstadt jeder kannte. War dem wohler wie ihm, der am Morgen mit wehem Herzen von Frankfurt ausgezogen war? Alles hatte der Tote dahinten gelassen, das ihn bedrückt haben mochte. Wer so vergessen könnte: eines Mädchens listige Anklage und eines Mannes ungerechten Faustschlag! Ernst war der rote Geckir fortgewandert, noch ernster ward er über dem unheimlichen Anblick des Blutenden und begann mit traurig gesenktem Haupte dem ihm so fremden Rätsel Tod nachzusinnen. Dem Menschen, der nichts anderes gekannt hatte als den hellen Sonnenschein, und dem die Natur allein gesagt hatte, was Glück sei und Freude, der aus dem Leben nichts anderes zu machen verstanden als Hunger und Durst – auch da, als er das Glück kennengelernt –, ihm war das Dasein nun ein unheimliches Wunder geworden; es barg gestern noch die Liebe und den Frieden – heute hatte es ihm Haß und Einsamkeit, Entsagen und Fremdsein gewiesen … und nun noch den Tod. – Erst als drei Reiter von der Anhöhe des Reifenbergs herabkamen, erhob er das Gesicht.

»Tatest du das, Mensch?« zürnte ihn der eine an, während die beiden andern eilig aus den Bügeln sprangen.

Der Schäfer schwieg.

»Nein, Herr!« antwortete statt seiner der ältere Knecht. Er hatte sich zu dem Ermordeten gekniet und deutete nun auf den gefiederten Bolzschaft. »Hier steckt ein Geschoß, und der fremde Mensch hat keinerlei Wehr bei sich.«

»Vielleicht hat er sie fortgeworfen. Sucht!« befahl der im Sattel verbliebene Mann.

Der jüngere Knecht befolgte den Befehl und schritt vorgeneigt den Gleisweg entlang.

»Spar' dir die Mühe – ich bin's nicht gewesen«, rief ihm Geckir nach und wendete das junge Gesicht dem Reiter zu. »So wie er da liegt, fand ich ihn. Es ist der Henchen Hanauwe und der Läufer Frankfurts.«

»Wenn du ihn nicht erschlagen haben willst, wie kennst du ihn denn?«

»Ich bin selbst aus Frankfurt, wo ich Schäfer war«, gab Geckir bereitwillig Auskunft.

»Also warst du bei dem Manne, als man ihn überfiel?« verhörte der Reiter fort.

»Nein, ich kam eben erst.«

»Und wohin willst du?«

»Dorthin und dann dorthin«, antwortete der Hirt, erst nach den Zinnen des Reifenbergs, dann nach dem Feldberggipfel deutend.

»Und was suchst du hier in der Gegend?« Das ein wenig mürrische Gesicht des Reiters war von ungläubigem Lächeln beherrscht. Nun faltete er die Brauen und drohte verdachtschöpfend mit düstern Augen den Schäfer an.

»Ich suchte die Welt, weil ich das Glück verlor – aber ich fand da vor mir den Tod«, sagte Geckir ernst und deutete auf den Leichnam.

Der alte Knecht, der der Zwiesprache zugehört hatte, folgte der weisenden Hand. »Herr, der Bolz ist ja am Schaft mit unsern Farben gefiedert!« rief er plötzlich aus.

Das brachte den Reiter nun gleichfalls aus dem Sattel. Mit einem raschen Schritt war er bei dem Toten.

»Der Stadtbote Frankfurts mit einem Geschoß aus meiner Burg im Herzen? … Das könnte mir fehlen!« meinte er mit harter Stimme und betrachtete die Federchen. Doch er richtete sich zufrieden auf. »Bist du lahmsichtig geworden, daß du das Reifenberger Bolzfiedern von dem der Hattsteiner nicht mehr unterscheidest?« knurrte er den Knecht an. »Bei meinen Gewaffen sind die Federn weiß auf der einen, rot auf der andern Schaftseite. Hier aber wechselt das Rot und Weiß auf beiden Flügeln gleichmäßig. – Den Schuß tat einer aus dem Hatzichenstein. Und ist es auch ein Schuß, der sichere Hand und festen Willen verrät, so scheint's doch ein Mord zu sein. Auf die Gäule und zurück nach Reifenberg! Die Jagd ist doch vertan nach dem Toten am Pfad. Aber ich bin Frankfurt verpflichtet und will einen Boten hinjagen, damit mich kein Verdacht treffe, falls der Läufer auf dem Wege zu mir war.«

»Herr, dann läge er nicht hier im Schmittgrund«, erlaubte sich der jüngere Knecht zu bemerken, der mittlerweile zurückgekommen war.

»Du hast recht«, lobte ihn der Reifenberger. »Er kam wohl vom Hattstein oder wollte dorthin. Einer von euch mag vor Sonnenuntergang hierherreiten und nachsehen, ob der Leichnam noch daliegt. Ist es der Fall, so bringt meinen Vettern Botschaft, daß sie ihn vor abend verscharren lassen sollen, damit die Seele nicht hier umgeht, wenn mit der sinkenden Sonne der Leib noch keine Ruhestatt fand. Den Menschen da aber nehmt mit aufs Schloß!« befahl er, auf Geckir deutend. »Er muß nötigenfalls als Zeuge dienen, wenn ich beweisen soll, daß am Stadtboten nicht unser Fried' mit Frankfurt gebrochen wurde.« Er kletterte in den Sattel und sprengte den Weg zurück, den er mit seinen Knechten gekommen war. –

Mittlerweile hatte Eberte den Hattstein erreicht. Im Burghof von ihrem Schimmel springend und einem Knechte das Roß überlassend, rief sie nach Herrn Hatzicho. In der Halle – wo Dietrich angeheitert wieder beim Zinnkrug saß und von Gilbrecht Weißes Wein trank – traf sie den Lieblingsbruder. Mit jagenden Worten erzählte sie, was vorgefallen war. Tränen rannen über ihr von der Erregung noch verschöntes Gesicht. Als ihr Bericht beendet war, sank sie schluchzend in einen Sessel und legte die Stirn in die auf dem Tisch gekreuzten Arme.

»Bist eine Hattsteinerin und kannst kein Blut sehen?« spottete Dietrich lachend und spülte den bittern Geschmack über die Mordnachricht mit einem tüchtigen Schluck hinab.

Herr Hatzicho hatte stumm dagestanden, an der Unterlippe nagend. »Und aus dem Husten schlossest du, daß Philipp in der Nähe war und den Schuß abgab?« forschte er.

Rasch setzte Dietrich die Kanne nieder. »Was? … das hatte ich vollkommen überhört!« stammelte er verblüfft. »Wer konnte denn aber auch bei dem Gegreine jedes Wörtlein erfassen!« Der Weindunst schien ihm zu verfliegen. Sein gutmütiges Gesicht war um einen Schimmer bleicher geworden, so daß die Sommersprossen sichtbarer zutage traten. Der verwirrte Blick lief ihm an der Hallenwand entlang und haftete an der Lücke in der Reihe der Armbrusten. »Teufel! … der Frankfurter Stadtbote … was brockt uns der Satan Philipp da wieder ein.« Er war mit einem Schlage ernüchterter wie je zuvor.

»Ging denn der Bruder mit der Wehre fort?« erkundigte sich Hatzicho, der mit seinem Blick den Augen Dietrichs gefolgt war.

Dietrich nickte stumm und schob den Krug zurück, weit von sich, als empfände er einen plötzlichen Widerwillen vor dem Getränk.

»Befiehl, Hatzicho, daß man den armen Menschen bestatten läßt, der in meinem Schoße starb«, bat Eberte und suchte sich zu fassen. »Wir schulden ihm vielleicht großen Dank. Warum, das vertraue ich dir allein – nach seinem Willen.«

Dietrich übernahm die Fürsorge, den Knechten Weisungen zu geben, daß sie satteln und sich mit Grabgeräten versehen sollten. Nachdem Herr Hatzicho ihm gesagt hatte, daß er zu dem Begräbnis mitreiten und die Knechte also auf ihn warten sollten, verließ Dietrich, weinerleichtert und gedankenschwer den spärlich-blonden Kopf schüttelnd, die Halle.

»Nimm mich mit, Bruder«, erbat Eberte von ihrem Bruder den Weg zu Henchens Begräbnisstätte. »Auch ich will dem Erschlagenen eine Handvoll Erde spenden.«

Und Herr Hatzicho sagte zu, bedrängte sie dann aber, mit dem Geheimnisvollen ihrer Nachricht anzufangen. Nun begann sie erst des näheren von ihrer Unterhaltung mit Henchen Hanauwe zu erzählen.

Ein verlegenes Lächeln glitt über Hatzichos Gesicht, als er von der Dankbarkeit des Toten vernahm. »Hält man mich für ein Untier, so ist es ewig schade um den Schuß. Frankfurts Rat und Bürger hätten erfahren dürfen, daß mir der Arme ein Herz nachrühmte«, warf er ein. »Doch weiter – wieso schulden du und ich ihm Dank?«

Eberte erzählte nun die Fabel von dem Fuchsbau. »Ich hätte sie aufgespart, wäre nicht der Mord geschehen«, schloß sie. »Doch nun will ich meinen: dies Blut schreit wider den Hattstein, und sein Schrei wird das Unheil locken. – Was hältst du von dem Bauern und dem Knecht, die im Tannenschlag beim Altkönig um das Fuchsnest schnüffeln?«

Herr Hatzicho schritt eine Weile nachdenklich auf und ab; immer wieder schien es ihn zu der Lücke in der Waffenreihe zu ziehen, als müsse er sich stets von neuem vergewissern, daß eine der Armbrusten fehlte. Endlich kam er an den Tisch zurück und nahm schwer der Schwester gegenüber Platz.

»Wäre die Gans im Fuchsheim das Pergament, so wollte mich der Frankfurter Rat wohl mit seinem wehmütigen Geschreibe in Sicherheit lullen«, hob er an zu erklären. »Aber wie bärge diese List einen Sinn? Auf eine Fehde sind wir stets gerüstet – nicht nur um des Stegreifreitens willen, sondern weil alldiemalen unruhige und unsichere Zeiten sind. Man sagt in Frankfurt, es fehle unserm Geschlecht an Treu und Glauben. Doch dies ist nur, weil wir mehr von uns reden machen als der Reifenberger oder der Cronberger und der vom Königstein. Ob's denen weniger an Treu und Glauben gebricht, wer weiß es? Von allen diesen munkelt man, sie hielten es insgeheim mit Frankfurt, und daher traue ich ihnen nie völlig. Was anders wäre es auch, das sie treibt, niemals auf der Reichsstadt Biet einzufallen? Dies Feld haben sie uns ganz überlassen seit letzter Zeit? Nein, daß uns das Vom-Sattel-leben besser glückt, und daß wir's ungescheut üben … es wäre nicht unmöglich, daß dieser Neid eines Tages aus ihnen unsere Feinde schüfe. Dann hätten wir sie im Rücken. Und so hält mein Hene auf sein Amt, und die Burg ist zum Turnei gerüstet selbst gegen den Mainzer Erzbischof und den Vogt des Landfriedens am Rheine. Also mag auch Frankfurt kommen – wie Henerig sagte. Wäre ich der Fuchs, und wärest du mit des Fuchses Fähe Ermeline gemeint, dann wäre der Wohltat empfangende und Wohltat vergeltende, warnende Hund des Bauern Henchen Hanauwe selbst gewesen. Bauer und Knecht, die den Fuchsbau umschnüffeln … es ist unschwer und doch wieder schwer zu erraten, worauf dies deuten soll. Verräter? … Kann sein, daß man uns die in den Hattstein schicken will.«

»Und du versprichst, was ich dir sagte, dem Philipp und dem Dietrich zu verheimlichen?« wollte Eberte wissen. »Auch wenn sich zweie einfinden werden?«

»Die Klugheit gebietet es«, gab Hatzicho nach kurzem Besinnen zu. »Der Philipp könnte seinen Haß nicht zähmen, und der schwatzhaft gutmütige Dietrich verriete sich durch ein unzeitig Wort. Nur wenn ich allein beobachten kann, komme ich Verrätern auf die Sprünge. Du hast also mein Versprechen.«

Als die beiden einander die Hände reichten, trat Philipp ein. Er schritt stracks nach der Wand und hing die Armbrust an den Haken, worauf er seine Gürteltasche leerte und die Bolze in einen der Kasten warf. Sein krankes Gesicht war düster und verschlossen, doch nicht ohne einen Schein grimmiger Zufriedenheit.

»Bringst du alle zurück?« fragte Herr Hatzicho, als die Stahlspitzen der Geschosse leis klirrten. Es war, als möchte er in seiner Sorge ein beruhigendes Ja vernehmen.

»Bis auf einen«, antwortete Philipp kurz.

»Und der?«

»Ich brannte ihn einem verlaufenen Köter auf den Pelz.«

»Vielleicht just einem treuen Hunde«, meinte Hatzicho in ernster Anspielung und wechselte mit Eberte einen Blick. Dann aber begann er erzürnt zu spotten: »Am Bockenheimer Tor erschlugst du einen Hund, hier triffst du einen mit der Armbrust – seit wann bist du so grimm auf diese Tiere?«

»Seitdem du die Hunde nicht mehr trittst, sondern ihnen sänftiglich den Flohpelz streichelst«, lautete die widerwillig gegebene Antwort. »Was hattest du im Schmittgrundtälchen zu suchen?« fuhr er unerwartet auf Eberte ein und griff sie hart beim Arm.

Das Mädchen riß sich los und wich zurück, als schrecke sie des Bruders mordbefleckte Hand.

»Laß dir von Henes Frau Doreta Brombeerblättertee kochen, damit dich dein Husten ferner nicht verrät, wenn du ungute Jagd ausübst!« grollte Hatzicho auf und stellte sich schützend vor die Schwester. »Du hast uns einen übeln Dienst erwiesen, Philipp. Der Ratsbote Frankfurts wäre im Verlies sicher vor dir gewesen. Mich reut, daß mich die Barmherzigkeit anwandelte – sonst hätte ich dem Armen sein Leben anders wahren können. Wer weiß, was nun dem Hattstein droht.«

»Ich nehme mein Teil auf mich«, entgegnete Philipp düster. Er griff nach Dietrichs Zinnkrug, um einen Hustenanfall zu ersticken.

»Heilo – mich freut's, Philippus, daß dir Gilbrecht Weißes Wein zu munden beginnt!« rief sorglos tuend der eben zurückkommende Dietrich. »Er ist wirklich gut und dabei billig.«

»Ich fürchte, wir werden ihn teuer bezahlen müssen«, warnte Herr Hatzicho.

Dietrich machte ein mißmutiges Gesicht, dann wendete er sich an Eberte. »Wolltest du nicht mitreiten? Dann sieh nach deinem Schimmel – er hat einen Hufschaden, und du wirst einen andern Gaul wählen müssen. Weiß nicht, ob der Tod des Boten soviel wert war, daß du dein Tier auf dem Heimweg halb lahm rittest.«

Hatzicho geleitete die Schwester hinaus und gab ihr ein Trostwort mit, daß des Hengstes Schaden nicht so schlimm sein werde. Als er die Halle wieder betrat, war sein Antlitz tief umwölkt, und er suchte den Groll gegen Philipp nicht länger zu verbergen. Mit kurzen, festen Schritten ging er auf den Kranken zu. »Die Luft auf dem Hattstein bekommt dir nicht, Philipp!« sagte er hart. »Ich rate dir darum gut, suche das mildere Taunusatmen bei Cronberg auf und hause fürder auf dem uns gehörenden Falkenstein.«

»Mein Platz ist hier und ich weiche nicht – ich bin auf unsers Vaters Erbe – der Falkenstein ist nur ein Unterpfandgut!« widersprach Philipp.

Erregt schlug Hatzicho auf den Tisch. »Keinen Tag länger – morgen in der Frühe brichst du nach Falkenstein auf. Der Burgvogt dort ist ungenau und säckelt für seinen Nutzen. Es ist an der Zeit, daß das anders wird.«

»Ich bin kein Diener, den man über andere setzen kann«, beharrte der Bruder. »Und redest du noch weiter in dem Ton zu mir, so …«

Er war nach den Armbrusten gesprungen, Hatzicho ihm nach. Nun rangen sie um die Waffe. Erschöpft und hustend lehnte Philipp an der Wand, überwunden, aber in maßlosem Grimm musterte er seinen Bezwinger. Dietrich war so verblüfft, daß er erst zur Besinnung gelangte, als das Ringen, kurz und blitzschnell, schon vorüber war.

»Die Waffe auch gegen mich? Bist du ein Hattsteiner?« donnerte Herr Hatzicho den schwer Atmenden an, der mit dem Handrücken die Blutströpfchen von den Lippen wischte und erstaunt das Rot betrachtete.

Der gutmütige Dietrich sprang ihm bei, Herr Hatzicho sah mit unsagbar wehem Ausdruck auf den unfriedsamen Menschen.

»Spare die Bolze, bis es den Hattstein zu verteidigen gilt«, sagte er ernst und suchte seinen Groll beim Anblick des Leidenden zu überwinden. »Du kannst uns auf dem Falkenstein nützlich werden«, begann er gemäßigter. »Der Schuß auf den Henchen Hanauwe wird Frankfurt aus seiner Ruhe bringen; daran ist wohl kaum ein Zweifel. Es ist gut, wenn einer den Belagerern im Rücken liegen wird. Nicht wahr, Philipp, du gehst?« Er zwang seine Stimme zu gütigem Tone.

»Ich will's bedenken«, sagte Philipp nach kurzem Schweigen finster zu.

»So lasse ich dir Zeit zur Fahrt bis übermorgen«, meinte Herr Hatzicho und verließ nach einem traurigen Blick auf den abermals Hustenden die Halle.

»Mensch – was fiel dir eigentlich ein?« brach Dietrich los, nachdem sie allein waren. »Wenn nun Frankfurt morgen nach seinem Läufer fragen läßt?«

»Dann sitzt er im Verlies unterm Daressenturm«, erwiderte Philipp kalt. »Er ist nur mit tausend Gulden zu lösen. Und das wird den Krämern der lausige Botenknecht nicht wert sein. So sage auch dem Hatzicho. Er schiert sich in Angst um Frankfurts Fehdegelüste? Der Rat schläft – und er schläft gut, fast so gut wie der Mann im Schmittgrund. Der rührt sich nimmer, und auch Frankfurt wird sich nicht rühren.«

»Der Himmel erhalte dir dein Vertrauen auf die Langmut der Stadt!« meinte Dietrich sorgenvoll und betrübt. »Nur möchte ich wissen, aus welchen Gründen du den unseligen Schuß gewagt. Aus Grausamkeit, die dir der Hatzicho nachsagt?«

»O nein – es war die Antwort nach langer Zeit, dieweil mich der freche Mensch vor fünf Jahren fragte: ob sich's nicht weich und warm auf seinem Misthaufen säße.« –

Draußen klapperten über die Zugbrücke dumpf Pferdehufe. Vier Knechte ritten aus, um den Erschlagenen bei den silbernen Birken am Abhang des Sängelbergs zu begraben. Mit ihnen waren Herr Hatzicho und Eberte. Das Mädchen wollte zwar erst den Toten in der Burg aufgebahrt wissen, allein der Bruder wehrte ihrem Mitleid.

»Er wird in Frieden sicher ruhen an der Stelle, wo ihm deine barmherzige Hand den Todesseufzer erleichterte und ihm die brechenden Augen schloß. Was soll der Zeuge des Unheils noch im Hattstein? Mich will bedünken, das Unheil fand den Weg dahin auch allein«, sagte er trübe. –

Und die Birken flüsterten bei dem frischen Erdhügel. Das Gras auf der Wiese davor raunte. Der Wald sauste und sang im vom Feldberg jagenden Abendwind.

Da kam des Reifenbergers Knecht durch den Schmittgrund; bei ihm war der rote Geckir.

»Es ist getan«, sagte der Mann und wies auf die noch nicht getrocknete Erde des Grabes.

»So geh hinauf und vermeld's«, meinte der Schäfer. »Ich will hier eine Totenwache halten … darunter liegt ein Mensch aus meinem Frankfurt. Vielleicht weiß der Stille mir Rat, wie man Heimweh und Herzweh wendet.«

Er ließ sich neben dem Hügel nieder, schlang die Arme um die Knie und verbarg sein Antlitz. –


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