Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der scheppe Gürg

Mit der sinkenden Sonne trugen die Mägde das Abendessen auf, wie es in der Burg Hattstein der Brauch war. Eberte und ihre Brüder saßen stumm zu Tische. Hatzicho und das Mädchen standen unter der Nachwirkung der Bestattung des Ermordeten. Dietrich schien heute der Wein nicht mehr zu schmecken, weil die allgemeine Verstimmung schwül in der Halle lastete; er trank mäßig und rollte Brotkrumen zu Kügelchen, und der sonst zu launischer Rede allzu aufgelegte Mann saß mürrisch da. Philipp aß ein paar karge Bissen und machte finstere Augen; der innerliche Groll grub die Falten in dem hagern Krankengesicht tiefer. Wenn der Leidende eine Bewegung machte, merkte man ihm die vom Zorn geschürte Ungeduld an. Das sah jedesmal aus, als bekämpfe er bittere, sich ihm auf die Lippen drängende Worte. Sein hohles Husten scholl doppelt unheimlich in dem dumpfen Schweigen, das im Saale herrschte. Endlich war man bei dem von allen herbeigesehnten Schluß dieses stillen Abendmahles angelangt. Eberte ging mit kurzem Gute Nacht über die von der Halle aus ins Innere des Palas führende Treppe und suchte ihre Kemenate auf. Die drei Brüder blieben allein, da Herr Hatzicho den das Geschirr abräumenden Mägden mit stummem Wink die Entfernung erlaubte.

Er hätte sich das mit dem Umzug nach Falkenstein überlegt, begann Philipp sofort nach der Schwester Gruß, wobei er seine fieberigen Augen auf Hatzichos Blick richtete; er sähe gar nicht ein, warum er angemaßter Gewalt und anmaßender Herrschsucht weichen solle. Denn das merke er schon lange: man hätte ja doch nichts Geringeres im Sinn, als ihn allgemach aus der angestammten Burg zu verdrängen.

Dies wäre nicht nur ein ungerechter Vorwurf, sondern auch eine übers Maß laufende Anschuldigung, unterbrach Herr Hatzicho mit ruhiger Stimme; er wolle durchaus nicht leugnen, daß er in Philipp seit letzter Zeit die ständige Ursache unerquicklicher Zänkereien sähe – aber er schreibe das dem leidenden Zustand des Bruders eher als dessen Charakter zu. Die Luft der Höhe um den Hattstein wehe scharf von Reifenberg herüber; der Falkenstein wäre für den sicherlich Brustkranken günstiger gelegen. Aus brüderlichem Herzen erhoffe er durch die Umsiedelung Genesung für den Bruder. Was ihm aber danach vorschwebe, wäre der Gedanke, daß ein Hattsteiner auf dem Falkenstein Frankfurt zu einer Teilung seiner Kräfte zwingen müsse … entweder, indem es darauf zu achten habe, einer Rückenbedrohung auszuweichen … oder, indem es einen großen Aufwand von Leuten vor den nach menschlicher Voraussicht unbezwingbaren Falkenstein legen müsse, um jene Rückenbedrohung im Schach zu halten. Ja, er selbst würde aus diesem Grunde nicht einen Augenblick zögern und den Falkenstein als Wohnsitz wählen, fessele ihn an die Hattsteiner Burg nicht die Meinung, daß er es gewesen, der seit zwei oder drei Jahren alles für eine schwere Fehde mit Frankfurt gerüstet habe. Es sei wohl nicht zu bestreiten, daß er darum auch Werk und Wert zur Verteidigung der Burg am besten kenne. –

Sachlich ernst und ohne jede Erregung hatte der Ritter gesprochen, obwohl Philipp mit beständig höhnischem Lächeln zuhörte.

Das glaube er ohne weiteres, daß sich Hatzicho weigere, dem angemaßten Befehl über die Feste zu entsagen! erwiderte Philipp nun; nicht alle Tage wäre es an der Ordnung gewesen, daß der Jüngste über des Mittleren gedankenstumpfen Kopf hinweg den Erstgeborenen aus den Rechten des ältesten Sohnes verdränge. Nicht immer hätte es sich ereignet, daß dieser Älteste in Geduld solchem Treiben zugesehen. Er aber wäre nun am Ende seiner Geduld und fest entschlossen, wie er schon erklärt, nicht aus dem Hattstein zu weichen … dies sei das Resultat des von ihm erbetenen Bedenkens. Im übrigen tue Hatzicho so, als ob Absage und Fehde von der Seite Frankfurts schon im Gange wären? Da ihm, Philipp, indes nichts davon bekanntgeworden sei, beweise das viele Gerede nur um so mehr, daß es aus nichts besserm denn Ausflüchten bestünde, mit denen der Bruder nicht wohlwollend, sondern arglistig übelmeinend versuche, den leiblichen Blutsverwandten aus dem Hattstein zu treiben.

Noch hielt Hatzicho an sich, wenn er auch bereits mit unruhigen Fingern auf der Tischplatte trommelte. Ob denn Philipp gar nicht einsehen wolle, daß der rechtlose Mord an Henchen Hanauwe die Stadt aus ihrer Bequemlichkeit aufscheuchen müsse? fragte er.

Dieser Armbrustschuß sei kein rechtloser gewesen! beharrte Philipp; der Mensch hätte in ihm den Adligen schwer beleidigt, lächerlich gemacht, an der ritterlichen Ehre gekränkt – und der gutgezielte Bolz hätte nichts anderes als die Antwort auf eine unverschämte Frage erteilt. Nicht auf den Stadtboten Frankfurts, nein, auf den Rüpel Hanauwe habe er angelegt und, gottlob, scharf genug getroffen.

Danach würde die Stadt wenig fragen, mischte sich nun Dietrich ein; wollte Philipp seinen Beleidiger strafen, so brauchte er nicht fünf Jahre zu warten, bis der Mann einmal in friedlicher Sendung auf die Burg kam. Jedenfalls stimme er Hatzichos Ansicht bei, daß Frankfurt nicht die Gründe am Mord gemächlich prüfen, sondern sich selbst in der Person des Läufers schwer geschädigt erachten werde.

Er hätte ja den Ausweg angedeutet, wie des Stadtboten Tod geheimzuhalten ginge! hielt Philipp starrig und barsch dagegen.

Und er gebe sich nimmer zu so feiger List her! warf Hatzicho hart ein. Selbstverständlich schreie er nicht nach Frankfurt: »Mein Bruder hat den Hanauwe getötet!« Frage man ihn aber nach dem Manne, so könne er nur die Wahrheit sagen – aber nicht: der Mensch läge im Turm und wäre um schweres Lösegeld zu haben. Dietrich könne sich nach Gutdünken dazu verhalten – aber er zweifle nicht an dieses Bruders gerechtem Sinne.

Als Dietrich bejahend den Kopf dazu neigte, geriet Philipp in nach und nach steigende Erregung. Man gewahrte es am sich öfter bemerkbar machenden Hustenreiz. Er suchte das Leiden zu bekämpfen und rollte in halber Erschöpfung die Augen in ihren tiefen Höhlen. Sein Gesicht war leichenfahl, seine Hände zitterten. Glühenden Blicks starrte er den kühl bleibenden Hatzicho an. Dessen Bemühen, einen überzeugend eindringlichen und doch gemessen gütigen Ton beizubehalten, schien ihn aus der Fassung zu bringen, anstatt seine Aufgeregtheit zu dämpfen. Übelwollend, hörte er in den ruhigen Worten Hohn und Verachtung, nicht Klugheit und Mitleid. Er legte in der Reizbarkeit des Kranken alles zugunsten der beiden andern, nichts zu seinen oder zugunsten der gemeinsamen Sicherheit aus. Verzehrenden Grolles voll, verzerrte er das Gesicht.

»Nimm Vernunft an, Philipp!« begann Hatzicho nach dieser Beobachtung von neuem; er wollte abermals auseinandersetzen, wieviel besser dem Kranken ein Aufenthalt auf dem Falkenstein wäre.

Aber der Leidende faßte nun auch noch den Hinweis auf seinen Zustand als Kränkung auf. »Erbschleicher seid ihr beide – nur auf mein Absterben lauernd!« brach er los.

Doch Dietrich faßte ihn am Arm. »Dränge alles in dein Herz zurück, das dir häßliche Worte hinter die Zähne treibt«, warnte er. »Ich bin ein langmütiger Mensch. Doch auch meine Langmut ist nicht so stark wie eine Eiche auf dem Sängelberg. Mich gelüstet nicht nach dem, das dein ist von unsers Vaters Erbe. Meinetwegen nimm's mit ins Grab …«

»Grab …?« schrie Philipp. Da hätte man's ja, daß er mit seinem Verdacht ganz auf der rechten Spur wäre, wenn man sogar schon von seinem Grab zu sprechen wage. Dietrich wollte sich biedersinnig ob des ihm entschlüpften Ausdrucks entschuldigen. Philipp ließ ihn jedoch nicht zu Worte kommen. Er begann mit harten Schmähungen über die beiden Brüder herzufallen, strömte Beschimpfungen hin, in denen er sie Schelme und Schalksnarren schalt, die es nur darauf abgesehen hätten, ihn zu beseitigen. Sie wollten ihn nur nach dem Falkenstein haben, weil sie vielleicht schon längst wüßten, daß Frankfurt heranzöge. Und indem sie ihm dies verheimlichten, hofften sie wohl auf die der Falkensteiner Burg drohende Gefahr und dächten: die Reichsstadt würde ihnen Mühe und Schuld ersparen, sein Leben auszulöschen, wie seine Ansprüche auf Erbe und Eigenteil am Hattstein.

»Elender Verleumder!« wetterte Hatzicho, endlich aufgebracht, auf den Ungerechten los. »Meinst du denn, wir wären wie du geraten in deiner grausamen Unbarmherzigkeit? Eberte, Dietrich und ich – wir dreie sind wie unser Vater und unsere Mutter waren. Nur du gibst dich als wärest du ein Bastard, irgendeiner Magd Sohn, untergeschoben, auf daß er teil habe an der Hattsteiner Erbe und Ehre. Das edle Blut unsers Ahnen, Herrn Hatto vom Hatzichenstein, ist es wahrlich nicht, was in deinen Adern pulst!«

Diese wuchtige Beleidigung traf den kranken Menschen fast ins Herz. Für einen Augenblick saß er vollständig starr und regungslos da. Plötzlich raffte er sich auf, griff Dietrichs gefüllten, schweren Zinnkrug und schleuderte unversehens das schwere Gefäß nach Hatzicho. Es traf den Ritter an der Stirn und schürfte eine Hautwunde. Der rote Wein sprang wie Blut über das Kleid und das bleichgewordene Antlitz des überraschten Mannes. Abwechselnd hustend und gellend, stieß Philipp Schmähreden hervor, die alles früher von ihm Gesagte weit übertrafen an boshafter Niederträchtigkeit.

Hatzicho faßte sich während der Beschimpfungen. Er tupfte mit dem Mundtuche den Wein von Haaren und Wangen, wischte ihn von seinem Gewande und zog schließlich den Dolch aus dem Gehenk.

»Heute früh griffst du nach der Waffe, und ich ließ es dir hingehen. Jetzt hast du mir das Blut fließen gemacht, und das sei dir nimmermehr vergeben. Du bist das Unheil des Hattsteins!« Mit einem einzigen scharfen Ruck glitt die blitzende Dolchklinge quer über den Tisch und trennte das Tafelgedeck in zwei Teile. »So zerschneide ich das Tischtuch zwischen dir und mir!« sagte der Ritter mit erhobener Stimme. »Wir essen fürder nicht vom selben Brot und Salz und wir trinken nicht vom gleichen Wasser und Wein und wir sitzen fürder nicht im selben Saal, am gleichen Tisch. – Schiltst du mich aber und den Bruder, daß wir den Hattstein an uns allein bringen wollen, so sei's hiermit gesagt: Ich achte ihn von Stund' an als meine Burg und als mein Dach, darin und darunter ich dir die Heimstatt verweigere. Du bist mir nur noch ein Fremder und bist nicht mehr vom Blute der Hattsteiner – in Feld und Wald, Burg und Stadt werde ich in Unfried' gegen dich sein. Nichts soll mich hindern, den Fremden aus meinen Mauern zu weisen, nachdem die Sonne dreimal unterging.« Damit verließ er die Halle und trat in den vom klaren Sommerabend überröteten Burghof hinaus.

»Ich muß es mit Hatzicho halten, der mir noch nie ein Leides zugefügt – wie du so oft«, sagte der gutmütige Dietrich betrübt; und es war, als glänzten ihm die Augen vor verhaltenen Tränen so blank.

»Feiger, erbärmlicher Säufer!« keuchte Philipp. »Man merkt den heimtückischen Anschlag zu deutlich, als daß er fein eingefädelt sein könnte. Den Triumph gönn' ich euch nicht. Ich weiche, damit ihr euch in der eigenen Falle fangt. Und so maße ich mir den Falkenstein als mein ausbezahltes Erbteil an. Die Schuldenlast des Unterpfandes deckt mich reichlich. Wir werden uns darüber nach Schrift und Schwur verständigen müssen; das sei das letzte zwischen uns. Und so –«, er zerrte das Tuch vom Tisch, daß die Becher auf den Boden kollerten, und riß es vollends entzwei, »– so bin ich's, der die Kluft vollkommen macht.« Die eine Hälfte des Linnens Dietrich vor die Füße werfend, schleuderte er die andere auf den weinüberflossenen Estrich. Darauf betrat er gleichfalls den Hof und rief nach Knecht und Gäulen.

Eine Weile später ritt der Einsame in den grau dämmernden Abend hinaus und schlug den Weg nach Falkenstein ein. Kurz darauf folgte ihm sein Dienstmanne, auf bepacktem Saumpferd die eilig zusammengeraffte Habe nachführend. –

Früh hatte der Mond sich erhoben und strebte die zagend nahende Dunkelheit mit silbernem Glanze zu erfüllen, als vor der Zugbrücke zwei Männer erschienen. Die Wache, eben mit den Ketten rüstend, um das schwere Bollwerk aufzuziehen, wehrte ihnen den Eintritt in die Burg.

»Scheucht uns nicht, sondern laufe einer zum Schloßvogt Henerig und melde, daß der Gürg Putzmirslicht mit wichtigen Nachrichten ankam!« verlangte der Stückknecht mit breitem Lachen. Er betrat hinkend die Brücke, und forderte seinen Begleiter zum Mitkommen auf. Auf einem Prellstein neben dem Tor nahm er müde Platz, während sich Flink, erschöpft von der weiten Wanderung, an einen Pfeiler des Eingangs lehnte.

Die Knechte musterten die beiden mißtrauisch. Einer aber meinte, da er den drolligen Namen Putzmirslicht nicht zum erstenmal auf dem Hattstein vernähme, so wolle er denn den Schloßvogt stören. Er stieg auch wirklich nach der im Hartenfelshaus gelegenen Wohnung Henerigs hinauf. Ein anderer aber fragte, sie hätten wohl einen weiten Weg hinter sich?

»Wie vom Teufel in der Irre geleitet, sind wir gewandert«, erzählte Gürg und rieb sich ächzend den lahmen Fuß. »Im Homburger Schloß wollte man uns nicht haben. Also auf und über den Taunus! sagte ich da meinem guten Gesellen. Wir wandern dann durch die Forsten, steigen einen Berg hinan, und ich denke: das ist der Feldberg. Jawohl – hatt' sich was! … der Altkönig war's, wie ich an dem von des Teufels Zorn ausgestreuten Steinring bemerken muß – wißt ihr, damals als der erste Ritter von Reifenberg mit dem Satan einen Pakt schloß, die Burg sollte ihm gehören mit allem was drin und drum wäre, wenn der Pferdefuß die Steine vom Altkönig herzutrage, damit das Schloß gebaut werden sollte. – Doch wir, herab also vom Altkönig und wieder einen Berg hinauf, bis wir die Reifenberger Burg unter uns liegen sahen. All das bei der glühenden Hitze, müßt ihr bedenken! Und wie's abermals des höllischen Geistes Wille war, ist der Reifenberger nach Frankfurt, wo er – was weiß ich, was für eine – Kunde hinbringen will. Der Vogt aber jagt uns davon, weil man in der Feste keine Knechte mehr brauchen könne. Der Geizkragen – nicht einmal 'nen frischen Trunk gewährte er uns, nicht einen Bissen Brot. Ja, da haben wir beide denn Bucheckern gefressen und Quellwasser dazu gesoffen und Sauerampfern als Beikost verspeist. Im Mund hab' ich einen bittern Geschmack von allen den öligen Kernen, und das Gras drückt mich im Magen. Meinem Kumpan wird auch nicht zumute sein wie nach einem Mahl in der Frankfurter Herberg. Dort kommen wir nämlich her, müßt ihr wissen. Nachdem wir einen erschöpften Schlaf im Wald hinter uns hatten, fiel mir der Hattstein ein, von dem ich vor sechzehn Jahren in Fried' und Ehren schied. Himmelherrgott! schreie ich meinem Gesellen zu, schnell auf und hin, bevor sie die Brücke hochnehmen in der Burg … so finden wir wenigstens ein Dach überm Kopf und ein Bund Stroh unterm müden Leib und eine Suppe in den hungrigen Bauch – selbst wenn man uns auch dort nicht solden will. – Nun, ich hoffe jedoch, man wird den Gürg Putzmirslicht aus Schmitten nicht vergessen haben – und für meinen Freund, da sage ich gut.«

»Glaub' nicht, daß ihr bei uns mehr Glück haben werdet«, meinte der Reisige. »Wir liegen auf dem Hattstein mit mehr Mannen als je, seit Herr Hatzicho hier handhabt. Vielleicht hättet ihr auf dem Falkenstein Aussicht, wohin heute Herr Philipp verzog.«

»O ja – und dann könnten wir noch in Königstein fragen, schließlich in Cronberg, auch in dem zerfallenen Schlosse Niederhöchstadt und in Eschborn, in der Rödelheimer Burg – immer vergeblich – und so langten wir zum Schluß wieder in dem vermaledeiten Frankfurt an, das wir froh sind hinter uns zu haben!« rief Gürg und lachte schallend.

»Ja, Frankfurt – nun, wie ist's denn da?«

»Ei nun, nicht schlimmer, als wenn man bei den Mohren in Ketten dient!« antwortete der Stückknecht mit einem sackermentschen Fluch. »Möchtest du's kennenlernen? Dann schier dich nur hin und du schaffst wenigstens einem von uns beiden Platz in der Feste.«

»Ich bedank' mich! … Mir gefällt's unter unsers Herrn Hatzicho Regiment recht gut«, wehrte der Knecht. »Doch, da kommt der Schloßvogt – nun werdet ihr ja sehen.«

Flink löste sich von der Mauer und Gürg erhob sich vom Prellstein. Er hinkte gleich auf Henerig zu.

»Einen Gürg Putzmirslicht kannte ich wohl – aber keinen, der hinkte«, sagte Henerig zweifelnd und musterte die beiden Männer in der fahlen Helle des Mondlichtes.

»Glaubt nicht, weil ich auf einem Bein schnappe, daß es der Teufel in meiner Gestalt ist«, entgegnete Gürg in gutgelauntem Tone. »Dem Teufel freilich verdanke ich den lahmen Fuß – dieser Satan aber heißt Hanns Grysen Horne, ist Geschützmeister in Frankfurt, und wir sind ihm entlaufen.«

»Entlaufene Soldknechte?« meinte Henerig. »Ich glaube, ihr tut am besten, wenn ihr über die Brücke zurück und weitermarschiert. Auf mit den Ketten!« befahl er den Wächtern.

»Aber, Meister Henerig«, verlegte sich Gürg nun aufs Bitten. »Muß ich Euch daran erinnern, wie ich der erste war, der auf dem Daressenturm das neue Stück löste und mit dem Klosser einen Raben willig traf? Trägt die Fichte nicht heute noch die Narbe von jenem Schuß, von dem Ihr damals sagtet: es wäre der beste, den Ihr in Jahren gesehen?« mahnte der Söldner. »Und wollt Ihr wirklich den Mann nicht mehr kennen, der das vollbrachte?«

»Du verstehst es, gute Erinnerungen zu wecken«, sagte der Vogt, und während sich sein strenges Gesicht verfinsterte, meinte er: »Aber dein Anblick weckt auch Erinnerungen, die dich nicht empfehlen.«

Es war wie ein leises, entsagendes Beben in des riesenhaften Stückknechtes Stimme, als er erwiderte: »Erinnerungen, die mich nicht empfehlen … Ihr meint jenen Tag Eurer Hochzeit, an dem ich mit Euch in Streit geriet? Nun, so hättet Ihr Euerm Weibe die Barmherzigkeit immer noch nicht verziehen, in der sie mir damals das pulververbrannte Gesicht mit Leinöl kühlte? Seht, Vogt – es war doch Eure Schuld, daß das Säcklein mit dem Teufelszeug in die Luft ging, denn Ihr – nicht ich – waret ihm mit dem Kienspan zu nahe gekommen –, und da Frau Doreta nicht anders davon gehört hatte, so hielt sie's für Menschenpflicht, sich meiner Wunden anzunehmen. Entsinnt Euch nur, wie ich mich tagelang nicht sehen ließ, aus Scham über meinen unholden Anblick, und wie Ihr selbst Euer Weib zu mir schicktet mit der Bitte um Vergebnis für Eure Unachtsamkeit. Und den Mann wollet Ihr von der Burgpforte weisen? Ihn wollet Ihr nicht mehr erkennen? Ich sah Frau Doreta sechzehn Jahre nicht – aber sie wird mich nicht vergessen haben.«

»Glaub's wohl«, knurrte der Schloßvogt, und ein häßliches Grinsen verunstaltete sein Gesicht. Aber die Erinnerung an eine offenbare Schuld gegen den Putzmirslicht schien zu wirken. »Gut«, sagte er widerwillig. »Um des Unglücks willen, das ich dir angetan haben soll, will ich versuchen, zu glauben, daß kein Betrüger um Einlaß bittet … denn wer kennt einen Knecht noch wieder nach so langen Jahren.« Man hörte seinen Worten an, daß sie nur ein Vorwand waren, mit dem er irgendeinen Groll gegen Gürg zu dämmen und decken suchte. »Aber wer ist der andere in deiner Begleitung?«

»Das ist ein feiner Bürschlein als ich, guter Leute Kind, geriet unter die Söldner und wurde mein Gutgesell«, gab Gürg in wieder heiterm Tone Auskunft, indem er den Hasselbach am Ärmel herbeizog. »Zweifelt Ihr wirklich an der Richtigkeit meines Daseins, so geht mit uns in die Wachtstube und betrachtet uns bei Licht. Dann wollen wir berichten, was uns nach dem Hattstein führte. Und manches andere wissen wir zu sagen, das just nicht für aller Ohren bestimmt ist«, fügte er geheimnistuerisch hinzu.

Der Schloßvogt wurde aufmerksam: die Männer kamen von Frankfurt – waren entlaufen? Er gedachte der Verhandlungen heute früh zwischen den Hattsteiner Brüdern. Vielleicht konnte man von den Entlaufenen des nähern über Frankfurts Pläne erfahren …

»So kommt denn ins Haus hinauf«, entschloß er sich. »Ich kann dann allein hören, was ihr zu sagen wißt.«

»Hinauf? … ins Haus?« Gürg stutzte und kratzte sich hinter den Ohren, als wäre ihm das gar nicht recht. Er tat einen Seufzer und regte wie in Unbehagen die Schultern; dann aber war er bereit. »Gut, es soll mich freuen, heute schon Frau Doreta wiederzusehen. Vielleicht gewährt sie uns eine warme Suppe.«

»Es wird meinem Weibe nicht darauf ankommen«, erwiderte Henerig und machte eine Bewegung, daß die beiden vorangehen sollten. Gürg kannte den Weg noch und nahm ihn ein wenig zögernd auf. Flink folgte ihm. Kopfschüttelnd musterte der Vogt diesen jungen Söldner mit den langen, blonden Haaren und der zierlichen Gestalt. Dann schritt er hinterdrein.

Die Ketten rasselten und lärmten. Mit dumpfem Gepolter stieg die Zugbrücke auf und sank das Fallgatter. Nun war der Hattstein fest verschlossen. Den Hasselbach überkam ein eigenes Gefühl …

In dem von einem Spanlichte schwach erhellten Raum stand die dunkelhaarige, kleingestaltete Frau Doreta und sah den Ankömmlingen erwartungsvoll entgegen. Ihre schwarzen Augen in dem bräunlich beschatteten Antlitz glänzten den Widerschein der Kienflamme zurück. Der gespannte Ausdruck ihres früh gealterten, doch immer noch Spuren einst vorhandener Schönheit aufweisenden Gesichts löste sich zu einem müden Lächeln, als Gürg sie freundlich begrüßte.

Seltsam! dachte Flink – wie dieses rauhen, widerborstigen Menschen Stimme weich und gut klingen konnte.

»Hätt' ich's doch nimmer geglaubt, daß wir je ein Wiedersehen feiern könnten, Frau Doreta«, sagte Gürg halblaut und sah sie tiefernst an. Dann hielt er ihr die breite Tatze hin, in die sie zaghaft die gebräunte, verarbeitete Hand legte. »Doch wie der Himmel manchmal wider Will' und Absichten des Menschen ist!« scherzte er und ließ die harten Finger der Vogtin fahren. »Da bin ich denn wieder.«

»Schaff' den Männern eine Suppe!« gebot Henerig und wies die Frau mit einem scharfen Blick hinaus.

Sie entfernte sich zögernd, während ihre dunkeln Augen wie in einer kaum zurückzudämmenden Frage an dem Stückknecht hingen.

Der Schloßvogt rückte zwei Schemel an den Tisch und nahm selbst neben der Feuerstelle Platz. Als Flink und Gürg saßen, fragte er nach den Ursachen ihres Entlaufens aus dem Frankfurter Sold.

Der Stückknecht begann eine breite Erzählung vom unerträglich gewordenen Dasein der Söldner Frankfurts. Er malte in dicken Farben, wie die Leute in der Reichsstadt maßlos geschunden und wie herrenlose Hunde behandelt würden; dabei wies er auf sein lahmes Bein hin und fluchte alle Wetter der Welt auf die Stadt am Main herab.

Was denn nun das Wichtige wäre, das er mitzuteilen versprochen? erkundigte sich der Vogt, der mit gelangweilter Ungeduld zugehört hatte.

Nun – ob denn das nicht wichtig genug sei, was er vom Söldnerleben Frankfurts berichtet? wendete Gürg schlau ein und tat sehr erstaunt um des Schloßvogts Frage.

Der Alte machte ein enttäuschtes Gesicht, gab sich aber glücklicherweise zufrieden und meinte nur: er hätte zwar Wichtigeres erwartet, denn wie es den Leuten Frankfurts bei den Waffen ergehe, das schere den Hattstein nicht – aber es ließe sich immerhin denken, daß dergestalt gehunzte Burschen just nicht mit Löwenmut für die Reichsstadt fechten würden. Und Frankfurt hatte doch wohl eine Fehde wider den guten Hattstein vor?

Gürg tat äußerst verwundert und wich geschickt diesem Teile der Unterhaltung aus, indem er meinte: »Dann freut's mich doppelt, daß wir entronnen sind – gegen meinen Hattstein hätte ich nimmer gefochten und so entging ich also wohl dem Meister Hanfumdenhals. Aber da Ihr behauptet, Frankfurt führe etwas gegen die Burg im Schilde, so war's doch wichtig genug, was ich berichtet!« schloß Gürg verschmitzt.

»Und du?« wendete sich Henerig nun an Flink.

Der hatte bisher noch kein einziges Wort geäußert, ganz und gar dem scheppen Gürg die Einführung in den Hattstein überlassend. »Ich stamme aus der Rheingegend«, antwortete er nun. »Lief dem Kriegshandwerk nach und kam so in den Sold Frankfurts; das ist meine ganze Geschichte.« Kurz und bündig hatte er gesprochen; nun strich er die blonden Strähnen hinter die Ohren und sah den Schloßvogt mit hellen Augen an, in dem ehrlichen Bewußtsein, daß keines seiner Worte eine Lüge gewesen.

Henerig lachte leise. »Hattest dir wohl Herrlichkeiten versprochen vom schwarzroten Wams?« folgerte er mit ungutem Spott. »Deine Hände sind fein und sehen nicht nach festem Zugreifen aus. Da wird es also wohl seine Ursach' haben, wenn dir unter Hanns Grysen Hornes strengem Regiment nicht behaglich war. Wer bei der Arckaley nicht anpacken mag, taugt für die Waffe nicht. Und da wir auf dem Hattstein verwöhnte Muttersöhnchen auch nicht gebrauchen können, so hättest du vielleicht besser getan, fein in deines Vaters Rosengarten am Rheine spazierenzugehen. – Was war dein Vater?«

»Ein reicher Kaufherr.«

»So hoch also?« sagte Henerig kopfschüttelnd. »Das ist freilich keine Vorbereitung auf das Hantieren mit den stein- und feuerspeienden Rohren.«

Er brach ab, weil Frau Doreta eintrat und eine dampfende Suppenschüssel nebst zwei Holzlöffeln brachte. Gürg schob seinem Kumpan den einen Löffel zu und rückte die Schüssel in die Mitte. Ohne Umstände begann er von der geschmackig duftenden Milchbrühe zu essen und blies dabei auf den heißen Holzlöffel, daß sich der Schnurrbart sträubte. Der hungrige Flink, ziemlich erschöpft von dem tatenlosen Umherlungern im Taunus – er hatte nach Gürgs Rat den Abend abwarten müssen, bevor sie den Weg nach dem Hattstein einschlugen –, mußte sich trotz seines Widerwillens vor solch gemeinschaftlichem Speisen entschließen zuzugreifen … der Stückknecht regierte einen flinken Löffel und fischte eifrig nach den Mehlklößen der Suppe.

Henerig und Frau Doreta sahen schweigend den Essenden zu.

Endlich legte Gürg den Löffel fort, sog schmatzend die Tropfen aus seinem Schnurrbart und wischte mit dem Handrücken rechts und links über die hängenden Borsten. »So!« stöhnte er zufrieden. »Und nun könnte des Teufels Großmutter auf den Plan treten – ich wollte mich getrauen, mit ihr zu scharmuzzieren … denn wenn der Mensch gesättigt ist, so hat er allerlei gute Laune.«

Auch Flink war der Appetit mit dem Essen gekommen. Nachdem er das letzte Restchen Milchsuppe aus dem Napf geschlürft, rückte er sich behaglicher auf seinem Schemel zurecht.

»Du möchtest also fortab wieder auf dem Hattstein dienen?« begann der Vogt. Gürg löste gerade den Hosenriemen und nickte nur stumm. »Heute freilich darf ich Herrn Hatzicho nicht mehr mit deinem Anliegen belästigen. Morgen mit dem frühesten aber will ich ihm deinen Wunsch vortragen. Ob's nützt? Kann ja auch sein, daß ihm zwei Köpfe mehr anzuwerben just nicht ungelegen käme.«

»Und vier Fäuste«, fiel der Stückknecht wichtig ein.

»Na? …«, machte Henerig zweifelnd und warf einen geringschätzigen Blick auf Flinks Hände. »Es müßten denn deine doppelt gelten, Gürg Putzmirslicht. Vielleicht wird sich unser Herr deiner noch erinnern, da er doch schon ein Büblein von elf Jahren war, als dich der selige Herr Kunrad aus seinen Diensten gehen ließ. War's nicht dein Wille gewesen?«

»Wohl, wohl!« bestätigte Gürg und warf einen scheuen Blick nach Frau Doreta.

»Gut, das wird dich ihm empfehlen«, sagt der Vogt. »Und wenn ich noch ein gutes Wort dazu gebe, so – glaub' ich – wird's nicht ohne Erfolg sein. Der andere aber …«

»Ach, er ist kein uneben Menschenkind, und ihm könnte ich ja Fürsprach' leisten«, schlug Gürg vor.

»Ob das Herrn Hatzicho genügt …?« entgegnete Henerig lachend. »Doch – wir wollen's bei Tageslicht besehen. Ihr werdet müde sein und Schlaf brauchen. Mein Weib mag euch unterm Dach ein Lager anweisen, denn ins Mannenhaus kann ich euch nicht führen, dieweil ihr in dieser Nacht Gäste nur im Hartenfelshaus seid.«

Der Stückknecht erklärte, sie wären schon einverstanden, wenn sie die müden Knochen nur auf irgendeinem Bund Stroh dehnen könnten. Und so sagte denn der Schloßvogt gute Nacht und gebot Frau Doreta, den Männern zu leuchten, damit die Burschen nicht etwa mit dem Lichtspan Unheil stiften könnten. Die stille Frau nahm den ruhig flackernden Kienspleißen aus dem Ring und öffnete die Tür. Eine schmale, leiterartige Stiege erhellend, zeigte sie den Weg nach oben. Der Hasselbach kletterte die knirschenden und krachenden, sprossenähnlichen Stufen voran. So wurde er nicht gewahr, was zwischen Gürg und der Vogtin vorging, wie er auch durch das Strohgeraschel des mit ausgedroschenen Bündeln förmlich vollgestopften Dachbodens nicht vernahm, was die beiden flüsterten.

Frau Doreta hatte den Söldner am Ärmel gezupft und mit heiß flehenden Augen angesehen.

»Glücklich und zufrieden … und du?« murmelte der scheppe Gürg.

»Unselig …«, hauchte die Frau; dann huschte sie davon, ängstlich wie in der Furcht vor Entdeckung. –

Als am andern Morgen Henerig in den Palas hinüberging und Herrn Hatzicho von der Ankunft zweier aus Frankfurt entlaufener Söldner berichtete, glomm Zornesröte in des Ritters Antlitz auf. Dann aber huschte ein eigentümliches Spottlächeln über die strengen Züge, und die eben noch hellen Augen verschärften sich unter den zusammengezogenen Brauen zum Blicke eines beuteerspähenden Falken: der Bauer und der Knecht … paßte nicht schon die Beschreibung des Äußeren der beiden Ankömmlinge auf die Spürer in des toten Henchen Hanauwe Fabel? Ein herrenhaft aussehender Mensch und ein anderer, der dem Vogt als ein wirklicher Stückknecht bekannt war …? Henerig sah zu seinem Erstaunen, daß Herr Hatzicho in augenscheinlicher Freude auf und ab schritt, und konnte sich vorläufig nicht erklären, was denn für den Hattsteiner so Frohes in der Ankunft der Entlaufenen liegen möchte. Schließlich erläuterte der Ritter, er könne sich dunkel wohl an einen Mann mit dem Namen Putzmirslicht erinnern, und daß das seltsame Wort irgendwelche wichtigen Vorkommnisse in ihm aufriefe. Er wolle sich die beiden Gesellen einmal betrachten – es wäre nicht gerade ausgeschlossen, daß er sie auf dem Hattstein behielte. Und abermals erstaunte der Vogt im stillen über die scharfe Betonung, die der Herr in diese letzten Worte legte.

»Eines aber sage ich dir zum voraus«, endigte Herr Hatzicho. »Bleiben sie in der Burg, so hast du darauf zu achten, daß keiner von ihnen jemals auch nur einen einzigen Schritt über die Brücke tut, ehe ich selbst nicht anders bestimmte. Merk' dir das.«

»Ich habe wissentlich noch nie gegen einen Eurer Befehle verstoßen, Herr«, versicherte der Vogt. »So soll es auch in diesem Falle sein. Nur eines: wie läßt sich solche Überwachung bewerkstelligen, da ich nicht immer selbst auf die beiden achten kann, und da Ihr, deucht mich, andere ins Vertrauen zu ziehen vermieden sehen möchtet?«

»Du tust zwei Dinge, die mir behagen«, sagte der Ritter. »Das erste ist, daß du mich nicht nach Gründen fragst … so sage ich sie dir freiwillig und vertraue sie dir in die Hand.« Er hielt Henerig die Rechte hin, der Vogt schlug ein. »Vernimm!« fuhr Herr Hatzicho leiser fort: »Ich halte diese Söldlinge für Späher Frankfurts …«

»Da soll denn doch gleich …«, wollte Henerig losbrechen.

»Still!« fiel ihm der Hattsteiner in den Fluch und preßte des Alten Hand.

»Der Gürg Putzmirslicht«, murmelte der Schloßvogt, ein seltsames Flackern in den Augen.

»Ja, den will ich mir zunächst ansehen«, bedeutete Herr Hatzicho. »Und ist er der, den ich zu kennen meine, so weiß ich Bescheid, bevor ich noch den andern sah. – Aber weiter: dein zweites ist, daß du mich einer Lücke in meinem Befehl gemahnst. Es sei dir gedankt.« Er schüttelte seines Dienstmannen Hand und ließ sie dann los. »Suche denn unter den Knechten einen unwiderleglich sichern Mann. Den verbindest du, daß er diesem Söldner aus eines reichen Kaufherrn Haus nicht von der Seite weiche, solange die Burg offen ist. Er soll womöglich beide Männer beobachten und dir gewissenhaft über all ihr Tun und Lassen berichten. Auch, ob sie die Köpfe zusammenstecken, den Festigungen des Hattsteins merkliche Aufmerksamkeit schenken und unsere Leute nach allerlei fragen.«

»Johann Weißkirchen möchte da wohl der rechte sein«, schlug Henerig vor. »Das ist ein halb bedächtiger, halb listiger Mann, Euch aber in großen Treuen anhänglich, seit Ihr ihm dazu verholfen, das arme Mädchen aus seinem Dorfe heimzuführen – und seit nun gar noch unser Fräulein Eberte dem Mägdlein des Paares Pate gestanden hat …«

»Also bleibt's beim Weißkirchen«, unterbrach ihn der Ritter zustimmend. »Das heißt: wenn es so weit kommt, denn nun will ich mir die Burschen erst besehen, sie auf Herz und Nieren prüfen. Möglich ja, daß sie der Wind des Zufalls übern Taunus wehte.« –

Auf dem Burghof stand Flink von Hasselbach und beobachtete, wie Eberte mit einem fünfjährigen Mägdlein scherzte. Mit großem Erstaunen war er des holden jungen Weibes gewahr geworden. Soviel Anmut und Liebreiz hatte er auf dem verschrienen Hattstein nicht vermutet. Flink hätte gern mit Eberte gesprochen, erinnerte sich aber, daß er für einen entlaufenen Soldknecht galt; dem ziemte es wenig, an ein Edelfräulein das Wort zu richten. So sah er denn mit aufmerksamen Augen den kraftvollen und doch dabei so zierlichen Bewegungen der von hellem Morgenscheinen umflossenen ranken Gestalt zu. Jauchzend fing sie das Federspiel des Kindes auf und warf den bunten Schwirrball mit lustigem Lachen dem nicht minder jauchzenden Mägdlein wieder zu. Die Kleine war des Johann Weißkirchen Töchterchen und hieß – damit der Name des Mannenkindes ehrfürchtig dem Namen der Herrentochter nur im Klange ähnlich sei – Eilberta. Gerade fehlte das Fräulein das Federspiel und trieb es mit einem vorbeihaschenden Schlag des Prellnetzes seitwärts, so daß der durch die Sonne flirrende Ball bunt wirbelnd fast bis zu Flinks Füßen flog. Schnell nahm er das Spielzeug auf und übergab es Eberte mit höflicher Verneigung. Sie sah ihn ein wenig erstaunt an. Groß und verwundert glitt ihr Blick über das zerschlissene, schwarz und rote Söldnerwams und haftete länger auf dem so wenig zum Gewande des Mannes passenden hübschen Antlitz. Ihre blaugrauen, schönen Sterne strahlten ihn mit freundlichem Lichte an. Er verneigte sich abermals und wollte wortlos zurücktreten, als Herr Hatzicho dazukam.

»Seit wann nahmst du den Brauch an, dich mit einem so tief unter dir stehenden Fremden zu unterhalten, von dem du noch nicht weißt, ob ich ihn im nächsten Augenblick vielleicht mit Scheltworten aus dem Tor jage?« grollte er hart und erregt.

Flink wurde gewahr, daß er sich abermals den klaren, klugen Augen des Mädchens gegenübersah; nur leuchteten sie in des Bruders Gesicht stählern und trutzig. »Entschuldigt, Herr – es lag an mir!« nahm er die Gezankte in Schutz.

»Bist du gefragt?« murrte der Hattsteiner mit dem Ausdruck völliger Verachtung. Er sah die Röte in Flinks Wangen aufflammen … das schien ihm verwunderlich bei einem Menschen, der – mochte er auch besserer Herkunft sein – doch an härtere Worte in der Stellung eines Söldners gewöhnt sein sollte, noch dazu er als Bittender in der Burg weilte. Er betrachtete Flink aufmerksam. Auch ihm fielen die gutgepflegten, wohlerhaltenen Hände, das sauber gestrählte und zierlich verschnittene, für einen Stückknecht reichlich lange Haar auf. Nun prüfte er auch den nicht unedeln Schnitt der jugendlichen Züge. Der Verdacht, einen Verkleideten vor sich zu haben, steigerte die Schärfe in Herrn Hatzichos Blick zu grimmigem Unwillen.

Eberte war betroffen von der sichtlichen Erregung des Bruders. »Ich kenne den Mann freilich nicht«, nahm sie das Wort. »Das wäre aber doch kein Grund, seine Höflichkeit abzuweisen. Da ich tatsächlich noch keine Silbe mit ihm sprach, schulde ich ihm sogar noch den Dank. Er tat nichts Schlimmeres, als daß er mir den verflogenen Federball zurückreichte. Ich danke Euch«, wendete sie sich mit lieblichem Lächeln an Flink, der wohlerzogen seine Verneigung wiederholte.

»Dir – dir!« betonte der Ritter. »Auf dem Hattstein war es noch immer an der Ordnung, daß man die Knechte duzte.«

Eberte errötete tief, warf dem Zornigen einen schmollenden Blick zu und nahm das Federspiel mit Eilberta wieder auf.

»Schier dich in die Halle und warte dort. Mit dir habe ich allein zu reden!« gebot Herr Hatzicho, als sich der Hasselbach entfernen wollte. »Und wo ist dein Kumpan?«

Flink deutete stumm nach dem auf einer Bank vorm Mannenhaus sitzenden, im Kreise der Waffenknechte absichtlich prahlenden Gürg.

»Bist du maulfaul, daß du mir mit Gebärden dienst?« fuhr der Hattsteiner auf. »Ich bin von meinen Leuten gewöhnt, daß sie den Mund auftun, wenn ich mit ihnen spreche, und nicht nur wenn sie beim Essen sind.« Auch jetzt fiel ihm auf, daß dieser Soldknecht eine entschlossene Haltung annahm, als wäre ihm so scharfer Ton fremd und fast beleidigend. – Spielt er hier den Späher, so spielt er ihn schlecht! dachte Herr Hatzicho und nahm sich vor, diesen Verdächtigen klüglich zum Selbstverrat zu treiben. Zu einem schneidenden »Marsch mit dir!« deutete er nach der Freitreppe des Palas. Dann ging er der schwatzenden Gruppe zu, in der Gürg das große Wort führte.

Des Stückknechts Stimme scholl herüber. »Ja, das könnt ihr euch doch denken, daß es mir arg gegen den Strich gegangen wäre, mit den Frankfurtern wider meinen alten Hattstein zu ziehen. Und als vor drei Jahren einmal Ernst aus dem ewigen Drohen wurde, standen mir die Haare zu Berg, bedacht' ich meine unselige Lage. Glücklicherweise aber fiel mir damals die Steinkugel auf den Fuß, durch des vermaledeiten Frankfurter Geschützmeisters Rückenschubbser. Und so lag ich denn auf dem Strohsack und lachte mir ob meines wehen Beins ins Fäustchen – aber auch darum, daß die Frankfurter unverrichteter Dinge heimkehren mußten.«

Der Ritter betrachtete den Erzählenden von weitem. Immer deutlicher kam ihm der Mann in Erinnerung … freilich: das war doch jener Bursche, der nach einem sitzenden Vogel so sicher mit einem Stein werfen gekonnt, als ob er mit der Armbrust zielte. Und das war doch jener Mensch, der damals – –. Herr Hatzicho trat heimlich lächelnd rasch herzu. Die Leute wichen mit achtungsvollem Gruß vor ihrem Herrn auseinander.

»Dich gelüstet, aufs neu in den Dienst des Hattsteins zu treten?« redete er den scheppen Gürg an.

Der Stückknecht schnellte zu seiner ganzen Größe auf, stand mit den breiten Schultern da und ließ die bärenstarken Arme mit den gewaltigen Fäusten herabhängen. »Wohl, wohl, Herr!« stotterte er und sah den Hattsteiner teils verblüfft und teils mit tief ernst werdenden Augen an, als wäre ihm plötzlich etwas Wunderliches eingefallen.

»Komm' ein wenig auf die Seite!« befahl der Ritter und schritt nach einer der Zisternen, wo er nachlässig auf dem Brunnenrad Platz nahm. Auch diesen Verdächtigen maß er mit klug beobachtender Vorsicht. Der freilich sah wie ein echter, rechter Stückknecht aus. Und dann: die flache Stirn – die kleinen, scharf und doch dabei so einfach gutmütig blickenden Augen – die Hakennase – der riesenhafte Körper … immer gewisser nahm das alles die Gestalt eines nicht unguten Gedenkens an. Ein zufriedener Ausdruck machte Herrn Hatzichos strenges Antlitz freundlicher.

»Getrautest du dich wohl heute noch, einen Sperling mit einem Kieselwurf zu töten?« hob er an.

»Herr – so besinnt Ihr Euch noch auf mich?« Es ging wie ein Glänzen über Gürgs wettergegerbtes Bauerngesicht. »Befehlt, daß ich den Federball dort im Fluge treffe, wie ich seitdem dazulernte, einen niedrig fliegenden Vogel zu treffen.« Er bückte sich und nahm einen Stein auf.

»Laß es gut sein, er könnte meiner Schwester ungelegen kommen«, sagte Hatzicho lachend, und der scheppe Gürg ließ enttäuscht den Stein fallen. »Aber weiter will ich dich fragen: was war die ehrlich gestandene Ursache, die dich nach dem Hattstein brachte? Wohlgemerkt, Gürg! … die wirkliche – denn daß du entlaufen wärest, nur weil dir der Dienst in Frankfurt nach so langen Jahren plötzlich nicht mehr zusagen wollte, das glaubt dir vorläufig keiner, und ich am wenigsten. Unterlaß derlei Beteuerung«, ermahnte er ernst, als Gürg das Wort ergreifen wollte, »und diene mir mit Offenheit. Also?«

Des scheppen Gürg Augen wanderten mit schwermütigem Ausdruck über die Fenster des Hartenfelshauses und kehrten mit offensichtlicher Verlegenheit zu Herrn Hatzichos klarem Blick zurück.

»Gürg – – die Wahrheit …!« erinnerte der Ritter; verwundert hatte er den Söldner betrachtet. Auf dieses Menschen Angesicht lag urplötzlich der Widerschein einer großen Traurigkeit.

»Bei meiner armen Seele, Herr, daß ich die Wahrheit spreche!« beteuerte Gürg. »Es war ein verklungen Jugendlied … und … und ein Stück Herz war mir auf dem Hattstein zurückgeblieben.« Das hörte sich ehrlich und überzeugend an.

»Hattest du dir eingebildet, die Jahre wären außer der Welt auf dem Hattstein stillgestanden?« Herr Hatzicho lächelte.

»Nein, Euer Gnaden – das sah ich beim ersten Wiedersehen mit ihr.«

»Oh – sie …? Sie ist also noch hier?« horchte der Hattsteiner auf. »Und was sagte sie, als sie dich sah – und was sagtest du bei ihrem Anblick?« Gütig klangen die Fragen; fast vergaß er, daß er den Mann in bösem Verdacht hatte.

»Wir haben nichts miteinander zu reden … wir sprachen uns damals aus bis aufs allerletzte Wort, als ich um ihretwillen aus der Burg und des seligen Herrn Kunrad Diensten schied.«

Eine kurze Weile bedachte Herr Hatzicho, daß er hier in knappen Worten sicherlich die Geschichte des zerbrochenen Lebensglücks eines guten Menschen vernahm. Dann aber erinnerte er sich seines Mißtrauens und wehrte sich gegen die Güte, die die offenen Antworten Gürgs hervorzuzaubern drohten.

»Gib weiter Auskunft!« hob er in schärferem Tone an. »Du weißt doch, daß weiland auf dem Hattstein ein Menschenleben wenig galt?«

»Ich weiß«, Herr«, antwortete der Stückknecht, und das Braun seiner Wangen wurde durchsichtig fahl. »Doch werdet ihr mich nicht ohne Ursach' kränken …«

»Wenn du die Ursach' nicht selbst bist …?« erwiderte Herr Hatzicho ernsten Auges. Er besann sich, womit er den Mann am leichtesten zur ganzen Wahrheit drängen könnte, obwohl das vorher Gesagte sicherlich ein Teil seines Kommens gewesen. Nun schlug er einen sanft vorwurfsvollen, wehmütigen Ton an. »Als du nach der Burg aufbrachst – gestern –, hattest du da unterwegs im Gedächtnis, daß du einmal deines Herrn Kunrad von Hatzichenstein Söhnleins Spielfreund warest? Oder war dir entfallen, wie einst dieser Jüngste – du selbst nanntest ihn damals dein Wölflein – wie Wölfchen dich vorm Stäupen bewahrte? Du solltest dem Geschützmeister Henerig Pulver zum Unfug gestohlen haben – der Vogt hatte dich Herrn Kunrad angezeigt –«

»Ich hab's dem Vogt nicht vergessen!« unterbrach Gürg mit einem grimmigen Blick nach dem Hartenfelshaus.

»Gut, daß du's behieltest – dann wirst du auch das Weitere wissen!« sagte der Ritter. »Der Unfug hatte die Tannen im Sängelbergwald zum Brennen gebracht. Du solltest um des Diebstahls willen und um der Brandstiftung Schaden beim Leibe bestraft werden, obwohl du tausendfältig deine Unschuld beteuertest. Da trat der Knabe mutig vor den harten Vater und sagte, daß er den Spielfreund nicht ohngebühr unehrlich und schuldig schelten ließe. So hat Herrn Kunrads verzogenes Wölfchen lieber die furchtbar strafende Hand des Vaters ausgehalten, ehe ein Unschuldiger an seiner Statt leiden sollte, obwohl du, als ich dir gestand, wie ich der Täter gewesen, mich anflehtest, die Strafe für mich aushalten zu dürfen und die Schuld tragen zu können. Ich tat's nicht, Gürg! Stand vor deinem Gedächtnis, daß jener Knabe – damals lag er mit blutrünstigen Gliedern wohl acht Tage lahm –, daß jenes Wölfchen heute der Hatzicho Wolf von Hattstein geworden und ein Herr in dieser Burg ist?«

»Herr, Ihr bedrängt mich«, sagte der scheppe Gürg leise. Manches Gute, das er von dem Knaben erfahren, wanderte den Weg seiner Gedanken zurück. In tiefer Scham fiel ihm ein, daß er nichts davon bedacht, als er sich mit dem Hasselbach auf den Weg in den Taunus machte, um den Hattstein auszustöbern … die Burg, in der ihm einst auch frohe und glückliche Tage gelacht. Und nicht zuletzt durch den kleinen Junker, der selbst wider Herrn Kunrads Wunsch und Willen doch immer wieder den Weg ins Mannenhaus gesucht; er hielt nun einmal den grobschlächtigen, aber gutmütigen Kinderfreund Putzmirslicht aus Schmitten für den besten Spielkameraden. Langsam und scheu erhob der Stückknecht den Blick zum erwachsenen Manne, den zu verraten er hergekommen war. Und fand doch in seiner Angst und Scham nur das schon einmal gesprochene Wort: »Herr – Ihr bedrängt mich!«

»Du irrst, Gürg«, entgegnete Herr Hatzicho sanft und gütig. »Nicht ich bedräng' dich – dein Gewissen fühlt sich bedrängt von mir, denn du weilest mit schlechtem Gewissen auf dem dir einst so frohen Hattstein. Sagtest du nicht vorhin, daß dir auch eine Liebe hier geblüht und ein Glück gelebt?«

»Die starben beide, Herr«, antwortete Gürg trübe.

»Und darum meinest du den Hattstein verraten zu dürfen?«

»Herr, Euer Verdacht ist –« Doch der Stückknecht vollendete nicht: erstens war es unklug gewesen, das Wort Verdacht überhaupt auszusprechen, dann aber wollte ihm eine unredliche Beteuerung doch nicht über die Lippen.

Der Hattsteiner aber griff das Wort auf. »Verdacht …!« betonte er. »Das ist es! … du stehst nicht unverdächtig vor dem zum Wolf von Hattstein gewordenen Wölfchen. Aber – wie dem nun einmal sei!« Er erhob sich – ein Steinchen bröckelte vom Brunnenrand, schoß in die Tiefe und störte den Wasserspiegel. Der gluckernde Hall quoll dumpf herauf. Hatzicho deutete in den Brunnen. »Erst wenn deine Seele wieder so klar ist wie der Quell, aus dem du oft dieser Zisterne Vorrat schöpfen geholfen, erst dann komme mir abermals vor Augen. Ich will dich auf der Burg dulden, wie ich auch deinen Begleiter dulden werde. Ich fürchte Frankfurts Ränke nicht. Alles andere entscheidet in deinem und deines Genossen Los die Zeit. Nütze sie, damit sie wenigstens dir nicht zum Unheil gereiche … es tät' mir wahrlich leid um dich.« Gürg wollte etwas erwidern, doch der Hattsteiner schnitt ihm mit einem drohend warnenden Blick die Worte ab. »Merke dir: du kamst auf die Burg und dachtest, die Jugend wäre hier noch am Leben. Des törichten Knäbleins Jugend, dem du Spielgenosse warest – eines Mädchens Jugend, das dir wohl einst am Herzen lag. Du sagtest selbst, daß du nur das Alter fandest. So sorge denn auch selbst, daß du hier nicht das findest, das nach dem Alter steht. Und ich weiß, ich würde auch um meiner in Freundschaft mit dir verteilten Knabentage willen nicht sparen an dem, das hinter dem Alter unabänderlich kommen muß, wenn's Gott gefällt. Für dich käm's, gefiele es mir nicht anders, falls ich dich auf Verräterei träfe. Du errätst, was ich meine, ehrlicher Gürg?«

»Den Tod«, bekannte Gürg leise, senkte tief das Kinn und blieb in unheimlichen Gedanken allein zurück. Beschämten Herzens sah er hinter dem nach dem Hartenfelshaus schreitenden Herrn her.

Den in der Halle wartenden Flink schien der Hattsteiner vergessen zu haben. –


 << zurück weiter >>