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Flink Kurzweg

Während Herr Hatzicho im Hartenfelshaus mit dem Schloßvogt über Flink und Gürg sprach, ihm anvertrauend: nach der Zwiesprache mit Gürg sei außer Zweifel, daß die beiden ein Späherpaar wären, – während dieser Zeit war Eberte des Spielens mit dem Mägdlein müde geworden. Sie ging nach dem Palas. Vor dem Eingang stand Flink.

»Ihr dürft meinem Bruder den schroffen Ton nicht arg auslegen«, redete sie ihn freundlich an. Sie wußte selbst nicht, wie etwas in des Mannes Wesen sie zwang, ihn nicht wie einen gemeinen Knecht zu duzen. »Herr Hatzicho ist sonst gütiger Art, wenn auch ein gestrenger Herr. Jetzt aber lasten mancherlei Sorgen auf ihm.«

»Ich danke Euch, Fräulein«, erwiderte er. »Doch ich weiß, daß der Knecht nicht erwarten darf, als Herr behandelt zu warten. So kränkte mich die Rede Eures Bruders nur für den ersten Augenblick, weil – weil – nun ja, weil ich sie in Eurer holden Anwesenheit zu überstehen hatte.«

Sie sah ihn mit den schönen Augen hell, ein wenig erstaunt an. »Gekränkt aber hat sie Euch doch«, stellte sie fest. »Ihr erwartet Herrn Hatzicho?«

»Er entbot mich in die Halle.«

»Dann rate ich Euch, einzutreten. Er sieht es nicht gerne, wenn einer seiner Befehle nicht wortwörtlich ausgeführt wird.« Sie gab ihm einen Wink, ins Haus zu gehen und schritt nach seiner dankvollen Verneigung voran.

Flink sah sich neugierig im Saale um. Die Einfachheit der Halle war durch weiter nichts unterbrochen als einige Hirschgeweihe an den Wänden, ebenfalls dort aufgehängte Waffen und einen stark abgenützten orientalischen Teppich unterm Tisch in der Mitte. Die zwei einzigen Deckenstützen – glatte, fast unbehauene Eichenstämme – waren mit daran befestigten Schwertern und Hellebarden verziert. Als Prunkgemach taugte der Raum wahrlich nicht.

Eberte war nach freundlichem Gruß zur Treppe geschritten, doch blieb sie auf der ersten Stufe stehen und frug den Hasselbach nach seinem Namen.

»Man nennt mich Flink, kurzweg«, antwortete er.

»Flink Kurzweg?« mißverstand sie, und er beschloß diesen Namen beizubehalten. »Ei, da ist ein Wort so rasch wie das andere. Und seid Ihr auch flink in Euerm Tun und kurzweg in Worten?« Sie lachte und machte ein schelmisches Gesicht.

»Geziemende Ehrfurcht vor dem achtbaren Fräulein verbietet mir, kurzweg zu sein«, ging er auf den Scherz höflich ein. »Ob ich flink in Taten sein kann, wird vielleicht mein Bleiben auf dem Hattstein erweisen müssen«, fügte er doppelsinnig hinzu.

Die wohlgesetzten Worte fielen ihr auf; sie kehrte um und kam wieder näher. »Ihr redet nicht wie ein gewöhnlicher Mann«, urteilte sie. »Auch liegt etwas in Euerm Gehaben, das Euch als einen Waffenknecht von nicht alltäglichen, guten Manieren kennzeichnen will. Sagt die Wahrheit: Ihr dientet nicht immer in untergeordneter Stellung?« Der feinfühlige Sinn des Weibes erkannte ihn eher als Herrn Hatzichos Klugheit und Verdacht.

»Gnädiges Fräulein, Ihr habt die Güte, mich höher zu werten, als der Wahrheit entspricht.« Er sah sich zur Lüge gezwungen und brachte sie errötend vor.

Auch das entging ihr nicht, sie sah ihn forschend an. »Und wo lerntet Ihr den geziemenden Umgang mit Damen?«

»Ich bin aus bürtigem Hause«, antwortete er. »Aber mehr denn ein Mann unter Waffen war ich nie«, glitt er mit geschicktem Ausweichen über ihre Frage hinweg. – Wollte er sich nicht verraten, fiel ihm ein, so mußte er sich künftig ein wenig rauher geben; aber er bedachte auch, wie schwer ihm das werden würde vor dem Liebreiz dieses Mädchengesichtes. Er fühlte den tiefdringenden Eindruck, den er von Eberte empfangen, tiefer dringend als je der Eindruck einer andern gewesen war. Und wie sie nun mit dem lieben Lächeln um die Lippen vor ihm stand, wie die klugen Augen jeden einzelnen Zug seiner Mienen prüften und abmaßen, trieb's dem Flink erst zu Herzen und zog dann heiß in seine Wangen. Eine stille Freude über ihr zutrauliches Wesen nahm ihn gefangen, jene reine Freude, die seinem Leichtverliebtsein bisher fremd geblieben war. Das ließ ihn etwas Ähnliches wie die erste Ehrfurcht vor dem Weibe empfinden. Seine Augen waren nicht zudringlich, als sie in redlicher Bewunderung über Ebertes Schönheit leuchteten.

Das achtungsvolle Anstaunen mißfiel ihr nicht, aber ihre Wangen färbten sich höher. »Berichtet mir doch gelegentlich einmal von Euern Abenteuern«, bat sie. »Wenn Ihr aus gutem Hause seid, so mögen Euch nicht fügliche Ursachen in dies Gewand gebracht haben?« Sie wies auf das schäbige schwarzrote Wams. »Vielleicht gewinnt Ihr in meines Bruders Diensten Besseres? Hatzicho ist ein gerechter Mann und schätzt den Menschen zumeist nach dem, das er leistet.«

Flink sah sich in Verlegenheit gebracht; es widerstrebte ihm, dies freundwillige Geschöpf zu belügen. Er gab daher wirklich bedrückt zur Antwort, daß er ungern über seine Vergangenheit spräche und also um den Verlaub bitten müsse, sie verschweigen zu dürfen. Da aber seine Erlebnisse an des Mainzer Erzbischofs Hofe über das Alltägliche hinaus gingen, so wolle er ihr mit Freuden wenigstens von seinem Aufenthalt dort etwas berichten. In tiefer Beschämung gewahrte er den mitleidigen Ausdruck in Ebertes Antlitz, wie sie seine verlegene und trübe klingende Antwort als aus traurigen Erinnerungen entstammend auffaßte. Er war nahe daran, seinen Einfall zu verfluchen, der ihn nicht als einen redlichen Mann, sondern als einen listigen Ausschnüffler mit diesem Mädchen bekannt werden ließ. Doch besann er sich auf seine Pflichten gegen Frankfurt und entschuldigte vor seinem Innern das Späheramt mit dem leidigen Kriegsgebrauch, der List gebot und auch Arglist gelten ließ.

Herr Dietrich kam die Treppe herab. Eberte neigte noch einmal freundlich das schöne Haupt und verabschiedete sich mit einem guten Wort von Flink. Dann eilte sie dem Bruder entgegen.

»Da ist ein Mann, der aus Mainz kommt und auf dem Hattstein Dienst nehmen will«, flüsterte sie Dietrich zu. »Mich will deuchen, er müsse etwas Besseres und nur ins Unglück geraten sein. Lobe ihn unserm Bruder und vergiß nicht dazuzusetzen, daß dieser Flink Kurzweg mir außerordentlich gefiele.« Silbern auflachend, schlüpfte sie über die Treppe, wendete vor der Tür noch einmal die Augen nach dem in Gedanken verlorenen Hasselbach und entschwand in das Innere des Palas.

Dietrich, behäbig die Hände hinter dem seine derbe Fülle umschließenden Gürtel, äugte kopfschüttelnd der Schwester nach. Dann kam er tiefer in die Halle. Er sah verschlafen aus und war scheint's eben erst aus den Federn gekrochen.

»Also aus Mainz kommst du?« hob er nach breitem Gähnen an. »Da standest du wohl bei des Erzbischofs Waffen?« Er reckte die Arme von sich, daß die Gelenke knackten.

»Aus Mainz?« erstaunte Flink. »Nein, Herr – ich komme aus Frankfurt … in des Bischofs Diensten war ich vorher.«

»Frankfurt?« Dietrich zog die rotblonden Augenbrauen hoch nach seinen dünnen Stirnhaaren hinauf und machte runde Augen. »Da wagtest du dich ja geradeswegs in des Löwen Höhle. Weißt du nicht, wie wenig alles hier ein Willkommen findet, wenn es aus Frankfurt naht?«

»Es war mir nicht fremd, Herr; aber mein Gesell – der Gürg Putzmirslicht – wußte mich zum Mitkommen zu überreden.«

»So, so – der Ungut ist wieder da?« Herr Dietrich gähnte abermals wie ein hungriger Bär und rieb sich die verschlafenen Augen klar. »Ich besinne mich wohl auf den Schmittener Bauernbuben; er trat von des Königsteiners Burg in unsers Herrn Vaters Dienst. – Und den wähltest du dir zum Kumpan?«

»Er ist ein redlicher Mensch.«

»Anders hab' ich ihn nicht im Gedächtnis«, bestätigte Dietrich. »Und daß er den Hattstein kannte, war wohl auch, was euch just hier ein Unterkommen suchen ließ?« Während Flink kurz bejahte, musterte Dietrich mit endlich munter gewordenem Blick den angeblichen Söldner. »Seit wann ist es denn in Frankfurt des Brauches, daß die geizige Stadt ihren entlassenen Waffenknechten das Gewand schenkt?« Er zupfte an dem in seinen Farben der Länge nach geteilten Wams Flinks.

»Wir sind nicht entlassen, Herr – wir sind entlaufen.«

Dietrichs Augen rundeten sich noch weiter und seine Brauen stiegen diesmal noch höher. »Weiß mein Bruder Hatzicho davon?« erkundigte er sich, und sein gutmütiges Gesicht sah sehr bedenklich darein.

»Mein Genosse gestand es dem Schloßvogt, und der wird es wohl vermeldet haben.«

»Und was bringt dich in die Halle?«

»Der gnädige Herr gebot mir, ihn hier zu erwarten.«

»Bürschlein, Bürschlein – da mach' dich auf ein gründliches Bad gefaßt … wenn dich Hatzicho hierher entbot, so hat er seine Gründe«, drohte der gutmütige Mann. »Sieh zu, daß er dir ob der Untreue gegen Frankfurt nicht tüchtig die langen Haare kämmt, um dich samt deinem entlaufenen Gürg nachher das Fliegen über die Brücke lehren zu lassen, und zwar von just nicht sanften Fäusten. Nichts haßt er mehr als Unehrlichkeit – den Frankfurter Rat vielleicht ausgenommen, weil er den wohl am stärksten haßt. Aber einerlei, ob du sonstwo oder aus dem Krämernest am schmutzigen Main entronnen – er wird's nicht eben für ein reinlich Tun erachten.«

Dem Flink begann klar zu werden, daß die Sache längst nicht so einfach war, wie er sie sich in Frankfurt vorgestellt. Allgemach gewann das Gefühl die Oberhand, daß er sich in eine Falle begeben hatte, die mit einem gefährlichen Schnapp hinter ihm zuschlagen konnte. Unruhig strich er die blonden Strähnen hinter die Ohren und sah mit dem Ausdruck einer augenblicklichen Hilflosigkeit in Dietrichs wohlwollendes, weingerötetes und von Sommersprossen betupftes Gesicht. Aber er war nun einmal in der Burg, dachte er, und so galt es zu gewinnen, was zu gewinnen wäre. Sollte er unverrichteter Dinge heimkehren, mit dem Fluch der Lächerlichkeit beladen …?

»Du siehst recht bestürzt drein?« meinte Dietrich und lachte auf. »Doch nur Mut, und aufrecht dem Hatzicho gegenüber. Memmen sind ihm ein Greuel, Männer aber achtet er auch in Unwillkommenen. Suche ihm zu gefallen, indem du frei und wahrheitsgetreu redest. Schmähe Frankfurt nicht mehr, als du's ihm in redlichem Sinne schmähen kannst, denn es ist seine Eigenart, daß er für den Feind eintritt, sobald man unredlich den Feind schilt. Er verabscheut – das heißt, nur zum größten Teil! – die Dickbäuche des Rates im Frankfurter Römer, aber er achtet, was wie ein ehrlicher Kriegsmann in Frankfurt Waffen trägt. Und den Bürgern will er wohler, als – wie er sie nennt – die albernen Lämmer einsehen wollen, die sich von den Mastochsen in den Ratsstuben der Reichsstadt so sänftiglich das beste Gras vor der Nase fortweiden lassen. Das alles beachte! Wirft meine Schwester Eberte dann noch in die Wagschale, was sie mir gestand – nämlich, daß du keinen übeln Eindruck auf sie gemacht –, so mag's sein, der Hatzicho nimmt dich auf. Anders rate ich dir: schau nach deinen Sohlen, ob sie den Weg weiter noch aushalten, und prüfe dein Genick, ob es einen festen Griff von Hattsteiner Mannenfäusten erträgt.«

Und nachdem der wackere Herr Dietrich dergestalt guten Rat im Überfluß gespendet, beeinflußt durch Ebertes Empfehlung, ging er hinaus und schrie nach dem Küper um eine Kanne von Gilbrecht Weißes köstlichem Wein.

Den verblüfft zurückbleibenden Flink hatten die wohlmeinenden Worte völlig aus der Fassung gebracht. Er war der Meinung gewesen, gut aufgenommen zu werden, wenn er das Waffenansehen Frankfurts recht herabsetzte – nun mußte er das Gegenteil erfahren. Gedacht hatte er, ein den Frankfurtern Entlaufener fände auf dem Hattstein ein Willkommen mit offenen Armen – nun drohte Gefahr, daß gerade dies der Anlaß zum schleunigen Verlassenmüssen der Burg werden könnte, ohne daß er gewahr geworden wäre, wo die so trutzfest und stark von außen und innen anzusehende Feste am vorteilhaftesten zu bekennen sein würde. Die Zeit wurde dem einsamen Hasselbach in der Halle lang. Er suchte sie zu nützen, trat an ein Fenster und nahm noch einmal den Gesamtanblick des Burghofes in sein Gedächtnis auf. Und der sah trotz der frühesten Morgenstunde wahrlich reinlicher aus, als der Samstagsberg vorm Römer zur Mittagszeit. Auch daß die Hattsteinschen Mannen den Rest ihrer Zeit mit dem Verprassen des geraubten Gutes verbrächten, war wohl nur eine üble Verdächtigung. Dort übte ein Weibel die Männer in allerlei Waffen, jagte sie in die Wehrgänge unter den Dächern der niedrigen Seitengebäude und befahl sie mit donnergewaltiger Stimme auf den Hof zurück, wenn ihnen der Aufstieg nicht schnell oder geschickt genug gelungen war. In einer Ecke war eine Schießscheibe aufgestellt, vor der sich Armbrustschützen im Zielen und Treffen übten, hart angelassen von einem andern Weibel, sobald ein Bolz allzu weit neben das Schwarze schwirrte. Vor den Ställen fochten Hellebardiere miteinander – auch sie unter der Führung eines Lehrmeisters – ernst und ganz bei der Sache, als übten sie einen Kampf auf der Mauer oder eine Abwehr Stürmender in den Toren …

Der Anblick aller dieser offenbaren, gewissenhaften Ordnung tat dem soldatisch erzogenen Auge Flinks wohl, aber er erweckte auch in ihm den trüben Gedanken, daß er bis zur Stunde nur Stärken der Burg, jedoch noch nicht eine einzige Schwäche gewahr geworden. Doch da wanderte der Hattsteiner gemächlichen Schrittes über den Hof, sah den Armbrustern zu und versuchte sogar selbst einen ins Schwarze treffenden Schuß, nahm dort einem Hellbardierer die Waffe aus der Hand und zeigte einen Kniff, der augenblicks den Gegner sich überkugeln machte, und ging endlich auf den Palas zu. Flink trat rasch vom Fenster fort und lehnte sich mit harmlosem Gesicht neben die Tür, als hätte er so harrend die ganze Zeit dagestanden.

Herr Hatzicho tat beim Betreten der Halle, wie wenn er den Flink nicht sähe und des Befehles ganz vergessen hätte. Es war ihm in berechnender Absicht darum zu tun, diesen Mann so verächtlich wie möglich zu behandeln. Für ihn unterlag es nach des scheppen Gürg Betragen keinem Zweifel, daß sich mit der Ankunft des Stückknechtes und seines Begleiters die Fabel des unglücklichen Henchen Hanauwe erfüllt hatte. Bestärkt in seiner Meinung wurde er noch durch Flinks wenig einem Söldner entsprechendes Äußere. Die für einen Menschen in solch untergeordneter Stellung zu wenig geschorenen Haare – die nicht vom harten Dienst bei den Geschützen, nicht vom Handhaben der Knechtswaffen zeugenden weißen Hände – die den Stückknechten nie ermangelnde, diesem Manne aber vollständig fehlende gedrungene Krümmung des Nackens und der Schultern – das alles verdeckte selbst der zerschlissene Anzug zu wenig … im Gegenteil: das Gewand wirkte an der zierlichen, reitermäßigen Gestalt erst recht auffällig. Und noch dazu die gute Herkunft dieses unter die Geschützsöldner angeblich nur verschlagenen jungen Mannes? Vielleicht hatte er es in Flink gar mit einem Führer der Frankfurter zu tun? … der aber würde sich vielleicht durch höfliches Gegenbenehmen entlarven, wenn man ihn höflich behandelte? … oder er würde sich in verärgertem Zorn verraten, wenn man noch schlimmeren Tones mit ihm verfuhr wie er sonst Söldnern gegenüber der Brauch war. Die Wahl war schwer. Es galt geschickt sein, um Gewißheit zu erlangen. Gewißheit auch über einen Anschlag Frankfurts gegen die Burg. Lag ein solcher vor, dann konnte der Mann da als wertvolle Geisel dienen, vielleicht zur Grundlage von Verhandlungen nützen, zum Geständnis der Absichten der Reichsstadt gezwungen werden. Und daß diese Absichten arglistig wären, bewies wohl nichts besser als seine Verkleidung … Herr Hatzicho widerstand der Aufwallung, dem Manne seine hohe Stellung auf den Kopf zuzusagen und ihn in Ketten legen zu lassen. Alle Gewißheiten mußte er zunächst haben, dann erst konnte man handeln – jetzt ging Klugheit noch über Gewalt. Als Herr Hatzicho seine stillen Betrachtungen geschlossen, tat er als erblicke er jetzt erst den Harrenden.

»Bist du schon so vertraut auf dem Hattstein, daß du die Halle zu betreten wagst?« fuhr er in gemachtem Zorn auf ihn los, ihn vom überlangen Warten mürbe wähnend.

Flinks Gesicht flammte ob dieser Ungerechtigkeit, aber er beherrschte sich. »Ihr hattet die Gnade, mich hierher zu befehlen, Herr«, antwortete er in höflicher Haltung.

»Was kann ich von dir wollen?« murrte der Hattsteiner. »Für einen Lungerer und Davonlaufer hat die Burg nicht Raum. Wer aus der Pflicht läuft, läuft auch vorm Feinde.«

Darauf wußte Flink keine Antwort; er gedachte nur der Worte Dietrichs und blieb stumm. Der Ritter nahm am Tische Platz, rekelte absichtlich nachlässig die Beine von sich und musterte den Mann mit allzu deutlicher Geringschätzung. Flink hielt in der beschämenden Lage aus, wollte sich gerne auf das Verhör vorbereiten, wußte aber nichts womit beginnen, um gegen Überraschungen gerüstet zu sein.

»Was dünkt dich die stärkste Waffe Frankfurts?« begann der Hattsteiner endlich zu fragen.

»Das ist schwer zu sagen, Herr«, wich Flink zunächst aus. Er überlegte rasch, ob er seiner ursprünglichen Absicht getreu nicht doch versuchen sollte, den Taunusritter mit einer möglichst absprechenden Schilderung von Frankfurts Waffenmacht in Sicherheit zu wiegen.

»So will ich dir meine Frage selbst beantworten: Gold!« unterbrach der Ritter Flinks Gedankenwege. »Die stärkste Waffe Frankfurts ist gülden – von edelstem Metall; aber der Rat macht einen schmutzigen Gebrauch davon. Denn wo sich seine Feigheit hinter Gold und Geldsäcken verkriechen kann, geschieht so. Er kauft die einen, um sie seine Fehden auskämpfen zu lassen. Er zahlt die andern mit Gold für den Frieden, so er sie sich überlegen fühlt, weil sie wohl den im Schreck erst klar sehenden Bürgern die Augen öffnen könnten. Dann würden die armen Frankfurter bald gewahr, daß nicht Weisheit und Fürsorg', sondern Sippengunst und Selbstsucht auf ihren Ratsbänken thront.«

»Ihr sagt dem ehrenwerten, nicht unnütz in der kaiserlichen Gunst stehenden Rate der Krönungsstadt so Übles nach, daß es kein Mann von rechtlichem Sinne ruhig anhören mag!« rief Flink mit dunkelrotem Gesicht. »Wo es klug war, einen Schäbigen mit barem Lohne abzuweisen, mag es geschehen sein. Dem Gegner von Ehr' und Würde aber weiß Frankfurt nicht seinen Geldsack, sondern sein Schwert entgegenzustellen.«

»Ah bah!« machte Hatzicho verächtlich. »Wer sollte wohl für Frankfurt eine Fehde führen! Steht dort auch nur ein einziger an der Spitze der Wehrmacht, kriegerisch genug gesinnt und Verstand genug besitzend, um den Kampf mit irgendeinem Feinde redlich auszufechten?«

»Es gibt …«, fing Flink an, bekämpfte aber eilig seinen verletzten Ehrgeiz; er fühlte noch rechtzeitig, daß er im Begriff war sich zu verraten, und er nahm sich vor, den aufreizenden Schmähungen des Ritters ferner zu widerstehen.

»Es gibt keinen! … wolltest du wohl sagen?« Der Hattsteiner lachte dröhnend, innerlich sehr zufrieden, daß er den Mann an der rechten Stelle zu treffen schien. Sein Verdacht befestigte sich immer mehr: wagte ein Soldknecht derlei Einspruch? Nun galt es, ihn mit überlegenem Hohne und scharfem Geiste so weit zu treiben, daß er sich vollends verriet … das Weitere mußte dann der Augenblick eingeben – vielleicht war es mit einer Gefangensetzung allein nicht getan. Herrn Hatzichos Augen flackerten in hellem Triumph, nun begann ihm die Zwiesprache zu behagen – er konnte die Spitze seines Geistes an dieses andern Festigkeit erproben. »Es gibt keinen – keinen – keinen!« fuhr er mit gesteigert beißendem Spott fort. »Wohl wahr, denn nie focht die Reichsstadt allein, ohne ihres Gegners stärkere Faust zu verspüren. Drum bedient sie sich ihrer goldenen Waffe auch denen gegenüber, die anstatt der gefräßigen Faulenzer im Römer mit ihren blutenden Leibern den Kampfrasen decken müssen. Davon wissen zu erzählen: Reinhard, der Herr von Hanau – Konrad, Erzbischof von Mainz – Diether, Herr zu Isenburg – und andere. Vor fünf Jahren drohten uns Hattsteinern die Frankfurter mit dieser Edelsten Frankens Kraft, Klugheit, Feldherren und Mannen, schickten den Absagebrief – – und unternahmen schließlich doch nichts. Vielleicht, weil sie jenesmal zu geizig waren, den Bändel am Geldsack weiter als nur für zwei Finger reicht zu öffnen.«

»Daran lag es nicht!« widersprach Flink heftig und geriet in Eifer; er hatte sein Vorhaben über der beleidigenden Wucht der Schmähungen Hatzichos vergessen. »Man rechnete in Frankfurt, Ihr und Eure Brüder würden den im Jahre 1389 mit den Hattsteinern geschlossenen Vertrag gütlich anerkennen. Ihr selbst suchtet ihn ja vor jenen fünf Jahren neu zu festigen.«

»Ganz recht! … es geschah durch meines Bruders Philipp Person«, bestätigte Herr Hatzicho. Er mußte die Freude zurückdämmen, das Verlangen dem Flink zuzurufen: Solche Kenntnisse verraten dich, und dein zerschlissenes Gewand ist eine Lüge, wie dein Kommen! – Seine Augen glänzten: den Soldknecht gibt's nicht, der in derlei Dingen Bescheid wüßte. Und der übertölpelte Flink merkte nicht, daß er sich längst verraten hatte. »Zwei Jahre nach diesen Verhandlungen drohte man uns mit der gewaltsamen Öffnung des Schlosses«, fuhr der Hattsteiner fort und lachte grimmig. »Es kostete uns nicht mehr denn im Hartenfelshaus ein neues Tor, das sie uns angebrannt hatten. Vor dem Franke von Cronberg liefen sie davon, mit flatternden Zatteln und stiebenden Rossen, uneinig untereinander und mit ihren Verbündeten. Vor dem Franke von Cronberg, der mir freilich aus selbstischen Gründen zu Hilfe gekommen war. Praunheim und Niedererlenbach wissen davon zu erzählen, wie ich den gütlichen Tagungen Hohn sprach, auf denen man mir mit Vergleich zu kommen wagte, den man dem Hund stellt, aber nicht dem Wolf – wie sie mich doch selber heißen.«

»Und nachdem hätten die Frankfurter diesen Wolf fast gefangen im Taunus. Aber dem bedächtigen Isegrim war sein Fell so teuer, daß er die Gelenkigkeit von Pferdebeinen – nicht einmal die der eigenen Füße – in Anspruch nahm, um den lieben Pelz in Sicherheit zu bringen. Euer Gaul rettete Euch, und Ihr verließet sogar Eure beiden Knechte. Damals war die Schnelligkeit eines Kleppers größer als des Wolf von Hatzichenstein Kampfgier und Mut!« wagte Flink zu höhnen.

Dem Hattsteiner trieb's dunkelblaue Adern an den Schläfen hervor ob dieser Kühnheit. Langsam wie ein ergrimmender Löwe, erhob er sich und starrte erbleichend auf Flink. »Für diese ungeheuerliche Frechheit verdientest du einen Ast im Sängelbergwald … der Feigheit zieh mich noch kein Mensch auf Erden.« Und als müsse er die Flucht von damals entschuldigen, setzte er hinzu: »Was weißt du, ob das Leben des Burgherrn mehr bedeutet, denn die Gefangenschaft zweier Knechte. Dieses Hatzichensteins Festigkeit hängt an meinem Blute, steht und fällt mit mir. Legtest du anders aus, was ich jenesmal in weiser Vorsicht tat, so könnte ich dich zur bessern Einsicht bringen, indem ich dir Zeit gönnte, im Verlies deiner Kühnheit nachzudenken. Doch ich gnade dich, denn mir gefällt Witz, wenn auch der deine nur Aberwitz war. Auch bin ich noch nicht mit dir fertig, mein Bursche. Und so führen wir denn dies unterhaltsame Gespräch weiter.« Er begann auf und ab zu wandern. »Seit drei Jahren hat der Hattstein vor den Frankfurtern Ruhe, wenn auch nicht Frankfurt vorm Hattstein. Man sah im Römer wohl ein, daß man Hatzicho den Wolf nicht mit gesiegelten Pergamenten, nicht mit dem Maulwerk und der Faust im Sack befehden kann oder mit feige aus verstecktem Buschwerk von Knabenhand geworfenen Kieseln. Männer – Männer gehören dazu. Und an denen mangelt es dem armen, armen Frankfurt. Gilbrecht Weiße wäre vielleicht einer – aber es ist, als redete er mit der Stimme eines Stummen zu den Ohren von Tauben – er verschwendet seine Mahnungen an eine Ochsenherde, die stumpf denkt: der einzige Stier in ihrer Mitte brülle nur von einem frischen Bündel Heu. Männer! … Männer!« Herr Hatzicho stampfte dazu mit festen Schritten; plötzlich drehte er sich um und trat Aug' in Auge vor Flink. »Oder wärest du ein solcher Mann?«

Doch diesmal ließ sich Flink nicht fangen. Er verzog den Mund zu einem bescheiden wirkenden Lächeln und sagte: »Männer genug gibt es unter Frankfurts Soldknechten, und ich darf mich wohl zu diesen Männern zählen – vielmehr, ich durfte es. Aber was wäre damit gedient, wenn es – wie Eure Meinung ist – an der Führung mangelt?«

Ein wenig ärgerlich, daß ihm der überraschende Anschlag mißlungen, wendete sich Herr Hatzicho auf dem Fuße um und nahm sein Schreiten wieder auf.

»In ganz Frankfurt ist die Meinung verbreitet, der Hattsteiner schade der Stadt nur aus Übermut. Habe ich recht?« fing er von neuem an.

»Wär's mehr denn Übermut, Herr, der Euch freventlich erwuchs aus dem Wunsch der Stadt, Ruhe und Fried' zu halten? Mich dünkt, der von Euch geübte Trutz ist just nichts Besseres«, wendete Flink ein.

»Und was gedenkt die feige Stadt jetzt dagegen zu unternehmen?« Lauernd fragte der Ritter und auf Flinks Verschnappen hoffend. »Brief und Boten? Oder diesmal mehr?«

Doch auch diesmal glitt der Hasselbach über die Frage fort. »Dachtet Ihr, daß man dies mit mir beraten – mit mir, dem gemeinen Söldling?«

Herr Hatzicho blitzte ihn von der Seite an, warf aber den Köder verletzender Rede aufs neu aus. »Das ist es eben – du bist nur ein gemeiner Söldling, ein Mensch, den man nicht weiter achtet … für Lumpengeld verkaufst du Leib und Leben, frissest das Brot der Stadt, nur weil dir vor tätigem Sichregenmüssen graust, wie es ein Gewerb' erfordert.« Doch es nützte nicht, Flink blieb kühl und ruhig und schüttelte die Beleidigung ab. Herr Hatzicho entschloß sich, den Hohn noch salziger zu machen, zunächst aber sprach er in tiefem Ernste. »Wärest du mehr, so wollte ich dir sagen, was mich Frankfurt zu prügeln reizt. Es steckt vielleicht mehr Menschlichkeit dahinter und nicht nur die Frechheit eines Übermütigen, der gern den Knüppel wirft, um einen lahmbeinigen Dickbauch zu seinem Ärger ins Stolpern zu bringen. Doch was bist du, Mann?« holte er nun aus. »Du bist nicht mehr als ein entlaufener, wortbrüchiger Knecht, dem Dienste Frankfurts entronnen, weil du auf dem Hattstein das Brot feiler vermutest, dich zu bereichern gedenkst bei lustigem Stegreif und freien Tagen auf fauler Haut. Pflicht – und das Bewußtsein zur Pflicht – sie machen den Ärmsten, Niedrigsten zum ehrenwerten Mann. Das Gegenteil davon schafft Memmen und feige, schlappe Köter, die von den Knochen leben, so man den Räudigen zuwirft. Wärest du ein ehrenwerter Mann, so hättest du der Stadt nicht dein Gelöbnis gebrochen und suchtest nicht als ein Lump diese Burg mit deiner schmutzigen Gegenwart heim. Meine Brüder und ich sind andere Leute gewöhnt, und unsere Mannen machen ungern Gemeinschaft mit dem Judas.«

Den Flink würgte es förmlich in der Kehle, den Widerspruch gegen diese Beschimpfungen hinauszuschreien und sich als das, was er war, bekanntzugeben. Er zitterte an allen Gliedern und rang mit dem Aufruhr in seinem Innern. So hatte er sich weder einen Empfang auf der Burg ausgemalt, noch die vorher mit Spannung und Erwartung herbeigesehnte Unterredung mit dem Hattsteiner. Das sollte ein edelgesinnter Mensch sein? … der seine Herrenmacht einen Knecht fühlen ließ mit Hohn und Schmähen? Und doch wieder fiel ihm Dietrichs Wort ein, daß der Bruder Untreue verpöne. Er senkte das Haupt und fühlte enttäuscht: was er begonnen, war verkehrt begonnen. Das Spiel verloren zu geben, widerstrebte ihm … nun galt es, die Suppe auszulöffeln, um wenigstens irgendeinen Brocken darin zu finden und nicht mit leerem Munde nach Frankfurt zurückzukehren.

Der Hattsteiner hatte das Zittern bemerkt und deutete es ganz richtig als Flinks Empörung. Er sah jedoch nun ein, daß er's nicht zu weit treiben durfte, wollte er von der Anwesenheit des Mannes Nutzen ziehen und ihm – zunächst ohne Gewaltanwendung – Frankfurts Pläne entlocken. Vor Folter und blutiger Peinfrage schreckte nicht nur sein gutgearteter Sinn zurück, sondern er wußte sehr wohl, daß unter Not und Schmerzen ein Mann von der Herkunft und sicher nicht geringen Stellung Flinks alles, nur nicht die Wahrheit bekennen würde, wenn er sich durch erlogene Geständnisse retten konnte. Mit falschen Angaben aber war nicht gedient – sie konnten höchstens Unheil für den heraufbeschwören, der danach einen Kriegsplan zur Verteidigung der Burg fassen würde, oder sie konnten ruhige und sichere Erwägungen stören durch das von ihnen eingeflößte Mißtrauen, ob der Gefolterte nicht doch die Wahrheit gestanden haben könnte. Herr Hatzicho erwog blitzschnell alles Mögliche, das ihm Wahrheit verschaffen könnte. Nichts Rechtes fiel ihm ein, und so beschloß er, das harte Wesen zunächst beizubehalten, wenn auch gemildert.

»Sieh, wie dir die Glieder schlottern!« sagte er mit grimmigem Gesicht, Flink am Arme rüttelnd. »Doch mußt du nicht feige Furcht hegen. Ich habe noch keinen Menschen körperlich gezüchtigt … und so sollst du nicht der erste sein. Ich will dir auch sagen, wie ich von dir denke, wenn du's nicht längst an dem merktest, das ich mit dir besprach. Ich halte dich für einen, der einst Besseres war und durch sein Verschulden tiefer geriet als er wollte. Das spricht dich zwar nicht frei von dem, was du an Frankfurt begangen: Wortbruch! Und du scheinst auf deinem Abwärtswege weiter zu gleiten, auch indem du zum Feinde Frankfurts überläufst. Trotzdem will ich mich bedenken, ob ich dich behalten soll.«

»Fragt Ihr nicht erst, Herr, ob mich dessen nach diesem Gespräch noch gelüstet?« Flink hatte sich endlich gefaßt und warf die Frage mit offenem Hohne hin, groß und klar den Blick zu seinem Widersacher erhebend, dessen Worte er ja für baren Ernst nahm.

»Nein!« drohte der Hattsteiner grollend. »Denn was dich gelüstet ist mir gleich, wenn mich gelüsten sollte, dich mit Gewalt hier zu behalten. – Deine Frechheit geht übers Maß – auch dies deutet, daß du mehr – warest als du jetzt bist!« schloß sich rasch besinnend Herr Hatzicho. Er bohrte den stählernen Blick in Flinks Augen, um ihn durch Einschüchterung das fast entschlüpfte Wort vergessen zu machen. »Du magst noch auf der Burg bleiben, bis ich mich entschied. Es geschieht um deines Gesellen willen, der – bevor er in Frankfurts Sold trat – dem Hattstein ein treuer Mann gewesen. Doch merke dir: verlässest du den Ring der Mauern auch nur zum geringsten ohne meinen Willen, so trifft dich einen Schritt hinter der Brücke ein Pfeil. Befehl dazu gab ich bereits.« Als er den verblüfften, fassungslosen Blick Flinks bemerkte, fügte er rasch hinzu: »Gebot der Klugheit – weiter nichts. Es geschah aus Gründen der Festigkeit des Hattsteins … einem Männlein wie dir trau ich schon zu, daß es gekränkt nach Frankfurt zurückliefe und gegen die Gnade für das Entrinnen die Burg verriete – nur weil ich ihm hier die Ohren wusch.« Befriedigt sah er die Verblüffung sich in ein kaum merkliches Lächeln verwandeln; hatte dem Manne geschwant, daß er erkannt sei, so hatte sich dieser Eindruck wieder verwischt. »Ich entlasse dich«, endigte Herr Hatzicho das Gespräch. »Sieh zu, daß du dich irgendwie nützlich machst, bis über dein Los entschieden ist. Doch magst du's genau behalten: ehvor ich nicht sicher bin, daß mir von Frankfurt keinerlei Gefahr droht, siehst du den Hattstein nicht mehr von draußen.«

»Ich danke Euch, Herr, und ich bin der besten Hoffnungen voll«, sagte Flink fein.

»Deutet dein höhnisches Lächeln, daß du mich in Gedanken der Furcht zeihest?« frug Hatzicho finster. Flinks Antwort war ein sehr verbindliches Verneinen. »Die Stadt Frankfurt schrieb mir und den Meinen einen heimtückischen Brief – doch das weißt du ja!« suchte er ihn noch einmal zu fangen.

»Wie käme ich dazu?« entgegnete Flink, verwundert tuend.

»Frage gegen Frage ist gemeinhin ein Verleugnen«, blieb der Hattsteiner dabei. »Und käme ich dir auf nur die geringste Lüge, so wäre mir das Verlies unterm Daressenturm nicht tief genug, dich zu bestrafen.«

»Der Ort ist männiglich im Lande wohlbekannt – so darf ich wohl gestehen, daß mich nach dem Blutdunst darinnen nicht gelüstet«, erwiderte Flink mit kühnem Vorwurf.

Herr Hatzicho fand diesmal keine Worte, der Anschuldigung zu begegnen, weil sie berechtigt war – wenn auch nicht mehr, seit er die Herrschaft über den Hattstein übte. Er machte einen Gang durch die Halle, dann trat er noch einmal dicht vor Flink.

»Ich weiß nicht, was mich so viel mit dir reden machte, aber ich weiß auch nicht, was mich so sehr gegen dich ergrimmt – vielleicht stehen wir uns einmal anders miteinander. Vorläufig bist du aber mein! Nun geh!« –

Flink verneigte sich und verließ die Halle. Er durfte sich für glimpflich davongekommen halten und wähnte sich unentdeckt. Aber nun galt es, rasch zu handeln, viel zu erfassen und kluge Vorsicht zur Flucht. Vergeblich suchte er während des Vormittags nach einer Gelegenheit zu einer Besprechung mit dem scheppen Gürg. Den hatte der Schloßvogt jedoch auf Herrn Hatzichos heimliches Geheiß zu entfernen verstanden. Der Stückknecht war vorläufig auf dem Dachboden des Palas beschäftigt, wo man die Mehlsäcke umstapelte und durchrüttelte, um den reichen Vorrat vor dem Stockigwerden zu bewahren.

Kurze Zeit nach der Unterredung mit Flink hatte der Hattsteiner in Begleitung eines Fähnleins Reiter die Burg verlassen. Niemand hatte er anvertraut, wohin der Weg führen sollte.

Der halbe Tag verging dem Hasselbach in trübseligem Nichtstun. Gesind und Mannen begegneten ihm wenig freundlich und sehr zurückhaltend. Fast war es, als hätte sich die Ächtung herumgesprochen, mit der ihn der Ritter behandelt. Dies war jedoch nicht der Fall, denn der Hattsteiner verschwieg klüglich allen, Dietrich und Eberte nicht ausgenommen, was er von Flink hielt. Nur der Schloßvogt Henerig war über des Ritters Verdacht unterrichtet. Die Zurückhaltung der Burgsassen hatte ihre Ursache lediglich in Flink selbst. Sie ebenfalls mochten etwas Besseres in ihm wittern, wenn auch in anderm Sinne wie ihr Herr, und so legten sie Flinks gedankenvoll schweigsames Umherstehen für eines ihnen Gleichgestellten Hochmütigkeit aus. Er nützte weise dies Ungestörtbleiben, prägte sich die innere Anlage der Burg fest ein, berechnete den Inhalt der Ställe und der sichtlich mit Futter und Stroh vollgepfropften Dächer darüber. An den mehlbestaubten Gestalten, die den Palas verließen, erriet er dort angehäufte Vorräte; daß diese Nahrungsmittel nur unter dem Schloßdach aufbewahrt sein könnten, lag ihm nahe, da er richtig annahm, Mehl müsse luftig untergebracht sein. Und abermals kam ihm der stille Ärger, daß nirgend eine Schwäche der Burg – weder in Ring und Mauern, noch in Mannen und Wehrhaftigkeit – zu entdecken war.

Als er gehofft hatte, den scheppen Gürg wenigstens beim Mittagessen zu sehen und ihm einen Wink geben zu können, fand er sich wiederum enttäuscht. Gürg teilte das Mahl mit den Leuten im Mannenhaus und kam ihm nur von ferne zu Gesicht. Er, Flink, aber war vom Vogt ins Hartenfelshaus gewiesen worden, wo ihm Frau Doreta mürrisch eine Schüssel voll Fleisch und Zukost vorgesetzt und darauf stumm die Stube verlassen hatte. Später war Henerig mit einem Knechte gekommen, den er mit dem Namen Weißkirchen anredete. Der verschlossen aussehende Mensch hatte allerlei Eisenwerk und Rüstungsteile herbeigeschleppt, bei Flink Platz genommen und – nach dem Befehl des Vogtes – begonnen, mit Hasselbachs Hilfe geringe Schäden auszubessern. Verschiedentlich lenkte Johann Weißkirchen das Gespräch auf Frankfurt, offenbar in ungeschicktem Aushorchen. Flink blieb jedoch wortkarg, verrichtete die von ihm verlangten einfachen Handreichungen und sehnte den Abend herbei, an dem er mit Gürg das Lager unterm Dach teilen und sich über die Flucht mit ihm beraten würde. Fast kam er sich bereits wie ein Gefangener vor und spann trübsinnige Gedanken. Manchmal erinnerte er sich auch an Eberte, sah den freundlichen Blick der schönen Mädchenaugen vor sich, den roten lächelnden Mund und fühlte dann ein seltsames Heimweh nach ihr. Fester und inniger beschäftigte sich sein Sinnen mit der schönen Schwester des Hattsteiners. Und als hätten seine Gedanken sie herbeizurufen vermocht – plötzlich klang ihre helle Stimme auf der Treppe. Gleich darauf betrat sie in lieblicher Erscheinung das Gemach, in dem Flink mit dem Knecht seiner langweiligen Beschäftigung oblag. Er erhob sich höflich und grüßte das Fräulein, während der Weißkirchen einen mürrischen Gruß brummelte, als wäre ihm die Anwesenheit der Pate seines Kindes diesmal wenig willkommen.

»Ist's arg wichtige Arbeit, die da verrichtet wird?« wendete sie sich an Johann.

»Nicht wichtiger, als um die Zeit damit hinzubringen«, knurrte er.

»Dann befreie ich dich davon«, gewährte sie. »Da du nichts versäumst, wird es dir willkommen sein. Grüße das Mägdlein Eilberta von mir.«

Der Weißkirchen zögerte. »Ja – mir ist die Arbeit aufgetragen, und ich weiß nicht –«

»Geh nur«, gebot sie freundlich. »Ich will's Herrn Hatzicho verantworten, wenn er am Abend heimkehrt. Nun, so geh doch!« sagte sie fester, als der Knecht nicht Miene machte, seine Arbeit zu unterbrechen. »Erst deutest du, es wäre nichts Wichtiges, und jetzt tust du, als störte ich dich bei Gott weiß was.«

»Herr Hatzicho hat mir durch den Schloßvogt befohlen –«

»So befehle ich dir anders, und das magst du dem Henerig bestellen!«

»Gnädige Herrin – ich bin des Gehorsams gewohnt, aber in diesem Falle steht Befehl gegen Befehl. Ich bleibe, bis Herr Hatzicho mir nach Euerm Sinn befiehlt.«

Flink sah, daß diese milden Augen sprühen konnten und daß sie dabei erst recht denen des Hattsteiners glichen.

Mit einem zornigen Ausruf hatte sich Eberte dicht vor den Johann Weißkirchen gestellt und blitzte ihn an. »Soll dich der Kotter Gehorsam gegen deine Herrin lehren?«

Der Mann erblich im Widerstreit seiner Pflichten und seiner Achtung vor der Gebietenden. »Ich darf nicht!« stammelte er.

»Du darfst, mein guter Johann, wenn ich es erlaube«, sagte sie in unvermittelt gütigem Ton und lächelte. Sie schob mit dem zierlichen Fuße den Eisenkram beiseite, worauf sie den Widerstrebenden von seinem Schemel drängte. »Geh' nun, mein getreuer Johann.«

Vor dieser Güte kapitulierte er und ging, halb mürrisch und halb scheu.

Still und schwer hing der sich neigende Nachmittag vor dem Fenster der freundlichen Stube. Mählich verglimmendes Licht ließ er über die jenseits von Brücke und Graben stehenden Bäume rinnen. Auf einem Brettchen vor den Scheiben blühten ein paar Feldblumen ins Gemach, in sprüngige, zu nichts anderm mehr nütze Töpfe gepflanzt. Kornblumen blauten da, neben ihnen hoben Raden die feinen Becher und stützten die schwachen Stengel an dünnen Stäbchen. Üppig entwickelte Hundsveilchen machten sich mit hellem Violett im Erdreich des einen Geschirrs breit, in einem andern ragte Farnkraut mit breitem Blattwerk auf. Doch gar im größten der Töpfe stand stolz ein Rosenstöckchen und trug eine volle purpurne Blüte. Sie glühte … aber auch Ebertes Wangen glühten. Bei aller ihr innewohnenden natürlichen Harmlosigkeit besann sie sich nun doch darauf, daß ihr dem Fremdling geltendes Kommen vielleicht nicht züchtig gehandelt wäre. Das überlegte sie erst, als sie mit Flink allein geblieben. Ein verlegenes Schweigen verschloß beiden den Mund. Indes fühlte sich Flink beglückt von ihrer holden Gegenwart. Seine Augen tranken die Schönheit des lieblichen Geschöpfes in ehrlicher und andächtiger Bewunderung. Erst als beider Blicke ineinander trafen, senkte er die Lider und rieb mit der in Öl benetzten Fadenwolle am Rostflecken einer Halsberge auf seinen Knien. Eberte sah dem Tun still eine Weile zu, nachdem sie das Fenster geöffnet hatte; nun klang der frühe Schlag des Abendliedes einer Drossel herein.

»Ich müßte lügen, wenn ich sagen sollte, daß Euch diese Arbeit zu Gesicht stünde«, begann das Mädchen endlich mit einem feinen Lächeln. »Weit eher könnte ich mir denken, Euch gut gekleidet auf einem Rosse und als einen Herrn, wie hier im Hartenfelshaus als einen Eisenputzer zu sehen.«

»Möglich, daß Ihr recht hättet, ehrbares Fräulein!« antwortete er und entschloß sich schweren Herzens zum Flunkern, da er Vorsicht doch vonnöten hielt. »In mir war stets ein Hang zu Besserem als einem Söldling, und das prägt sich vielleicht in der Haltung aus. Auch nehme ich mein Ungemach nur für eine Lehrzeit, dieweil im Waffendienst einer wohl am besten von unten auf beginnt. Dereinst gedenke ich mich wohl ritterlich auf einem Gaul zu finden. Meines Vaters Haus war angesehen in Köln. Auch den alten Mann möchte es übel deuchen, sähe er mich wie ein Stalljunge hier den Rost abölen. Er erzog mich dazu wahrlich nicht. Und ich muß jetzt denken, ich hätte ihm herzlich schlecht gelohnt, daß ich's nicht weiter brachte als zu dem!« Er hielt ihr scherzend die rostige Halsberge hin und zeigte die von der schmutzigen Fadenwolle verunzierten Finger.

»Wißt Ihr, daß Eure Hände nicht die eines Stückknechtes sind?« äußerte sie, nachdem sie einen Blick darauf geworfen.

»Ihr hegt verwunderliche Meinungen«, wich Flink aus, fast betroffen, daß sie das gleiche wie Herr Hatzicho sagte. »Haltung und Hände sind nicht immer das Maß für Wert und Ansehen eines Menschen. Ihr seht, sie trügen bei mir am meisten.«

»Mich erbarmt Eures Geschickes«, beteuerte Eberte nach einem gedankenvollen Schweigen.

»Ihr besitzt ein gütig Herz, edle Jungfrau«, brachte Flink leise hervor. »Vielleicht verschwendet Ihr das Mitleid an einen Unwürdigen«, setzte er hinzu und senkte die Stirn vor dem Edelmut, der auf des Mädchens Angesicht leuchtete. Bitterlich schwer empfand er es, sich zum Heucheln verurteilt zu sehen … dieser gegenüber. Dieser einzigen, die je einen gewissen Ernst in ihm zu wecken vermocht, und deren Güte sich in Abscheu verwandeln mußte, erkannte sie nach seinem Verschwinden aus der Burg, mit wem sie freundlich verkehrt hatte.

Eberte saß da, die verschlungenen Hände um das Knie gelegt und mit dem kleinen Fuße wippend, als überlege sie etwas und ordne den Zusammenhang ihres Nachdenkens. Das einfach gehaltene, dunkelblaue Samtkleid umfloß ihre frischen jungen Formen und gab der zierlichen Gestalt den Anschein ernster Reife. Gedankenverloren hatte sie das Antlitz dem Fenster zugewendet, das mild hereindringende Abenddämmern umfloß die süße Lieblichkeit der Züge. Das dunkle Haargeflecht umgab die Wangen und hing bänderumflochten über die Schultern schwer in ihren Schoß. – Endlich warf Eberte das Haupt zurück – sie schien zu einem Entschluß gekommen zu sein.

»Ich will meinen Bruder Hatzicho bitten, daß er Euch des näheren auf Eure Kenntnis von Wehr und Waffen, Roß und Reiten prüfe«, stellte sie ihm vor. »Vielleicht kann er Euch zu Besserm als zum gemeinen Knecht gebrauchen. Und was Ihr in Mainz nicht fandet – das Ziel zu würdigem Dienste –, hier auf dem Hattstein wird es Euch vielleicht zuteil. Wär's durch meine Beihilfe, niemand wäre glücklicher als ich.«

Er suchte vergeblich nach Worten, die sie von diesem Beginnen abbringen könnten. Doch sie kam ihm zuvor, indem sie ihm die Hand hin hielt und ihn bat, einzuschlagen auf gute Freundschaft.

»Es ist nicht möglich, edles Fräulein!« zwang er sich zu sagen. »Ihr irrt in mir – ich brauche nicht nach Höherem als ich bin zu streben und ich verdiene Eure Gnade nicht, denn …«

Ihr silbernes Lachen unterbrach glücklicherweise das auf seinen Lippen schwebende Geständnis. »Diese Burg gehört nicht einem allein, sondern wir Geschwister sitzen zu gleichen Rechten als Herren darauf. Suchtet Ihr also bei Hatzicho Dienst, so suchtet Ihr Dienst auch bei mir. Und so geziemt es mir als Eurer neuen Herrin, meinem Knechte zu befehlen. Wär's so schwer, mir zu gehorsamen?«

»Das weiß der Himmel: niemand wäre Euch wohl lieber ein getreuer Knecht als ich!« brach es leidenschaftlich aus ihm hervor.

Sie maß ihn mit einem Blick, der halb Verstehen, halb züchtige Zurückhaltung war. Dennoch trug ihre offene, unberührte Natürlichkeit den Sieg davon, ihre unschuldige Frische überwand die Scheu. Sie erhob sich, trat auf ihn zu und legte ihm die kleine, bebende Hand auf die Schulter. Er konnte nicht anders – er mußte das Haupt ein wenig seitwärts neigen, so daß seine Wange die Wärme dieser Finger berührte. Ebertes Züge überhauchten sich mit einem feinen Rot. Für eine Sekunde schloß sie die Lider, dann war ihr blauer Blick strahlender als je zuvor.

»Ich nehme das Gesagte als Euer Gelöbnis, mein Knecht Flink Kurzweg …!« Sie flüsterte es leis und innig, ohne ihrem Herzen ferner Zwang aufzuerlegen und ohne der unwillkürlichen Liebkosung Flinks Widerstand entgegenzusetzen. Und während er sein Gesicht geschlossenen Auges auf ihrer Hand ruhen ließ, redete sie weiter. »Mein Bruder sieht in Euch nur den Söldling; ich dagegen sah auf den ersten Blick, daß sich dahinter ein anderer versteckt – besser gesagt: verstecken muß durch widrige Geschicke. – Einmal fand ich im Wald eine garstige Raupe. Dennoch trug ich sie heim, weil mir des Reifenbergers Schafhirt Leuthold erklärt hatte, daraus kämen die bunten Schmetterlinge. Es dauerte nicht lange, und ich mußte das Wesen für gestorben halten. Noch häßlicher war es geworden und verdorrte schließlich an dem frischen Reisig im Krug, das ich in sorgsamem Hüten der wunderlichen Beute zum Aufenthalt in meiner Kammer angewiesen. Der Schäfer aber riet mir wiederum, das Ding aufzubewahren, als ich ihm von meiner Enttäuschung berichtete. Und an einem sonnigen Morgen – ich hatte das greuliche Geschöpf fast vergessen – saß plötzlich ein schöner Falter auf den dürren Zweigen im Krug. Da wurde ich an der leeren Hülle gewahr, daß er nur aus meiner Raupe entstiegen sein konnte.«

»Und Ihr hieltet ihn gefangen?«

»Ich gab ihm die Freiheit – aber ich war doch glücklich, daß er durch meinen Schutz frohmütig aus einem häßlichen Gewande hatte schlüpfen können.«

»Und so – meint Ihr – könne es auch mit mir werden?« Er sah ihr tief in die Augen.

»Ich weiß nicht, was mich mahnen will, daran zu glauben.« Ihr Lächeln war unsagbar rührend in seiner reinen Unschuld. Dann wendete sie sich plötzlich ab und trat ans Fenster. Dort kosten ihre Finger die bescheidenen Feldblumen. Und dann hob Eberte vorsichtig die schwer hängende Rose. Sie näherte ihr Gesicht der Blüte und atmete den süßen Duft ein. »Als ich vor kurzer Zeit Frau Doreta besuchte, war das hier nur eine karge, schale grüne Knospe«, erklärte sie auf die Rose deutend. »Nun ist es die Königin der Blumen. Frau Doreta wird mir zürnen – aber ich breche die Pracht dennoch.« Sie knickte die Blüte ab und reichte sie Flink. »Nehmt sie als ein Sinnbild, das zu dem vom Falter paßt. Und mit der Rose verschenke ich auch mein Vertrauen.«

Dann – als wäre ihr die plötzliche Erkenntnis ihres Tuns gekommen – huschte sie rasch aus dem Gemach …

Flink blieb in vollem Seelenaufruhr allein. Sein erster Gedanke war, Eberte zurückzurufen, sie verloren zu geben, indem er ihr alles bekannte, und dann den Hattstein zu fliehen. Die Torheit solchen Tuns aber wurde ihm rechtzeitig klar. In der Enttäuschung und Bestürzung würde dies erstaunlich offene Menschenkind dem Ausspäher der Burg gewiß nichts mehr von zuneigenden Gefühlen entgegenzubringen haben und dem Bruder ebenso ohne weiteres die Kunde von dem Spion vermelden, wie sie diesem Kundschafter unverhohlen das rasch erwachte, sicherlich erste Gefühl junger Liebe enthüllt. Die Drohung des Hattsteiners fiel ihm ein: einen Schritt hinter der Brücke trifft dich ein Pfeil! – Nein, die Klugheit gebot Verschweigen. Und zu dieser Klugheit gesellte sich das Pflichtbewußtsein. Was er unternahm, es war im Dienste Frankfurts unternommen und mußte zu glücklichem Ende geführt werden. Mit allerdings widerstrebenden Empfindungen legte er sich zurecht, daß ihm mit Hilfe Ebertes die Flucht aus dem Hattstein gelingen könnte, falls kein anderer Ausweg blieb. Und so sah er sich mit fast verzweifelndem Herzen vor die Pein gestellt, die sicherlich wachsende Liebe eines holden Weibes häßlich und heuchlerisch ausbeuten zu müssen … Liebe, die er so heiß erwiderte, und die ihn so tief beglückte … Eberte, die ihm den ersten tiefen Eindruck gemacht, und für die er Gefühle hegte so hehr und ernst, wie er sie nie vorher gekannt. Frene Weiße, der er nur aus Dankbarkeit gegen den Vater und um dessen Zufriedenheit versucht hatte zu gefallen, mit kühlem Herzen still abwehrend, sobald ihn Herr Gilbrecht zu einem Entschluß zu treiben gesucht – – Hanns Grysen Hornes schwarze Merla, für die seine Zärtlichkeit nicht über den Begehr hinaus gelangt – – andere Tändeleien … was waren sie alle gegen diese schöne, herrliche und ehrliche Eberte! Hier hatte sein Herz den ersten reinen Schlag getan, lauterer als je einem andern Mädchen gegenüber und wie wenn ihm dies Mädchen selbst zur Läuterung werden wollte. Es ergrimmte ihn schier, daß es unter unseligen Verkettungen geschehen, ihn in den Widerstreit von Pflicht und Gewissen, Lieben und Meidenmüssen, Verzichten und Gewinnenwollen schleudernd. Er versuchte sich einzureden, daß das Verhängnis keinen Menschen in seine Kreise zöge, ohne daß ein gütiges Geschick den Ausweg vorbereitete. Und war er nun in verhängnisvolle Kreise gelangt, so galt es denn nach des Schicksals Güte zu spähen, um den schönsten Ausweg – ein Glück mit Eberte – zu finden …

Johann Weißkirchen trat ein und griff die alte Arbeit mit Blicken auf, als wäre er froh, den Flink noch leiblich vor sich zu sehen. Seine Augen weiteten sich über die Rose in des Hasselbach Hand.

»Maßest du dir Rechte an, Frau Doretas Blumen zu brechen, so wird dir der Schloßvogt einen übeln Strauß binden!« knurrte er.

Mit stillem Lächeln barg Flink die Blüte im Wams. Er sah hinaus in das schweigende Abendscheinen des sich neigenden Sommertages. Der Himmel rötete wie in einer großen, seligen Hoffnung …

Der Weißkirchen warf unwillig das klirrende Eisen durcheinander. »Hier ist eine Fessel«, sagte er und hielt seinem Gefangenen die Kette zum Putzen hin.

»Der Hattstein birgt lindere und schönere«, erwiderte Flink mit verträumten Augen und achtete nicht des brummigen Menschen Gemurr. –


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