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Vom weiß-roten Bandelier

Des Ratsherrn Gilbrecht Weiße Haus stand an der Ecke des Liebfrauenbergs. Es war jedem Frankfurter, gar vielen Kaufleuten und manch einer Fürstlichkeit des Reiches als der »Grimmvogel« bekannt. Und der bürgerliche Bau machte diesem Namen durch sein trutzig Aussehen Ehre. Steil und stolz ragten die mit Schieferplatten eingedeckten Dachseiten und trafen einander hoch über den Schindeldächern der Nachbarbauten zu scharfen Firsten. Fast ein wenig drohend guckten die Luken der drei Dachböden auf eine zinnenartige Mauerkranelierung herab, obwohl die Luftlöcher nur friedlichen Zwecken dienten. Mit niedrigen aber breiten Fenstern, viel Licht den Stuben gewährend, blinkte der »Grimmvogel« auf die Gasse. An der Hausecke trug er ein trutzhaft Türmchen, auf dem sich ein krallenreckender Adler goldleuchtend, im Winde knarrend, um die Eisenstange drehte. Zuerst über dem spitzbogigen Tor kam in roten Sandstein gemeißelt das Wahrzeichen – der grimm' Vogel – ein sonderliches Fabeltier mit den Fittichen und dem Kopfe eines Adlers, mit runden Brüsten, Löwenklauen und einem Drachenschweif. Die Klauen hielten unter dem wie in Verteidigung aufgerissenen Schnabel Gilbrecht Weißes Schild: eine silberne Harke auf blauem Grunde; damit war angedeutet, daß das Geschlecht aus dem nahen Homburg vor der Höhe stammte, denn dieser Ort führte zwei solcher gekreuzter Harken im Stadtwappen. Über dem »grimm' Vogel« aber, von einer umgekehrten Kreuzblume gestützt, sprang ein artiger Erker weit vor. Und dieser Erker war eine vielbestaunte Sehenswürdigkeit der Reichsstadt.

Die Ratsglocke wob ihr helles Geläute in die Ruhe des frühen Nachmittags und warb mit eifrig mahnender Stimme um die Zusammenkunft der Herren von gewichtigem Ansehen; nach der Vorschrift hatte dies Läuten eine halbe Stunde zu währen. Die Ratsversammlung aber war diesmal von Gilbrecht Weiße bewirkt worden.

In die schwarze Tracht seiner Würde gekleidet, das runde eisenfeste Kinn behäbig-ernst über dem weißen Halskollar tragend, schritt Herr Gilbrecht durch die Gassen.

Frau Barbara blickte aus dem Erker dem aufrecht und in gütigem Stolz dahinschreitenden Gatten nach. Als er um die Ecke verschwunden war, wendete sie sich zurück und sah eine Weile der stickenden Tochter zu.

Tief über den Rundrahmen geneigt, weit vorgebeugt – um recht das Licht der Erkerscheiben zu nützen – saß Frene da. Den auf ihr ruhenden Blick der Mutter fühlend, hob sie das Haupt. Die beiden Frauen sahen einander aufs erste vielleicht ähnlich. Dennoch hatte Frene die blau und klug schauenden Augen des Vaters, sein starkes Kinn und seine derbe Nase in ein wenig veredelter Form. Im ältlich ernsten Ausdruck des langgeschnitzten Gesichtes, in den gelbblonden Haaren und den etwas zu gleichmäßigen Linien ihres Körpers glich jedoch Frene wieder ihrer Mutter so sehr, daß der Altersunterschied zwischen beiden fast als eine nur kurze Spanne Zeit deuchen mochte, wäre nicht die weiße Haut gewesen, unter deren Glätte das Blut jung schimmerte.

»Laß das Sticken, Frene!« ermahnte Frau Barbara. »Du ziehst die Stirn dabei kraus, und die Falten stehen dir nicht zu Gesicht. Wie feine Schnitte liegen sie dir über den Augen. Es macht dich alt.«

Ein mißvergnügtes Erröten warf seine flüchtige Welle über das vornehm ernste Mädchengesicht. Unzufrieden gehorchend, kramte Frene die weißrote Schärpe fort, auf deren eines Ende sie den Frankfurter Adler nadelte – seine linke Seite mit weißen Seidenfäden auf die rote Hälfte des Bandeliers, auf den weißen Grund in Rot den rechten Fittich.

»Ich will sie fertig haben, bevor der Zug gen Hattstein Wahrheit wird«, murrte sie und prüfte ihre Arbeit mit nach Fehlern forschenden Augen. Besonders dem bereits vollendeten Gewinde der Schriftzeichen auf dem andern Ende des Bandeliers galt ihre Aufmerksamkeit … sie fand indes an dem kraus verschnörkelten F. v. H. des Namenszuges nichts auszusetzen.

Frau Barbara machte ein bitteres Gesicht. »Meinst du, des Hauptmann Hasselbach leichtes Herz bedürfe so kostbarer Erinnerung, so augenverderbender Stickerei, damit er deiner gedenke?« Sie trat aus dem Erker und folgte der Tochter tiefer ins Gemach, was wunderlich aussah, weil sich Frau Barbara in kurzen, huschenden Schrittchen zu bewegen pflegte.

Frene schloß den Rundrahmen mitsamt der noch auf ihn gespannten Schärpe in eine Truhe. Sie glättete sorgfältig an dem kriegerischen Zierat und ordnete länger in dem Gerätestück, um der Mutter galligem Blick nicht gleich wieder begegnen zu müssen. »Ich meine den Hasselbach gut genug zu kennen«, antwortete sie, während sie die weißen und roten Seidenfäden in ein Tüchlein schlug. »Ob's einer Mahnung bedarf, daß er sich mein erinnere, das laß mich selbst entscheiden.«

Ärgerlich über solche unehrerbietige Zurechtweisung, zupfte Frau Barbara an ihrer goldverzierten Haube. Wie ein Wiesel schusselte sie nun in der Aufregung durchs Zimmer. »Viel zu viel hast du dich um den Menschen!« brach sie los. »Weit mehr denn gut ist, zeigst du ihm deine Neigung. Ich habe den bessern Blick als dein Vater mit aller seiner Klugheit. Dem Hasselbach? … dem seh' ich durch und durch. Der Vater aber sieht nur aufs Wehrgehenk des Hauptmanns; weiter reicht ihm der Blick nicht, denn vom Schwerte Flinks erhofft er Verwirklichung seiner Streitlust gegen die Herren im Taunus. Du aber? … du siehst nur die schöne Vorderseite des gedrechselten, adeligen Herrn, weil dir sein Milchgesicht gefällt. Erweis' er doch erst den Mann einmal, der hinter allen den höfischen Worten, den zierlichen Verneigungen und dem ganzen unbürgerlichen Schöngetue stecken soll! – Dem Klaus Keseler sein Sohn Echter dagegen …«

»Laß den Echter Keseler aus dem Gespräch, Mutter! … ich mag ihn nun einmal nicht.« Frene schlug dabei den Truhendeckel zu, als wollte sie der Mutter weitere Worte abklemmen.

»So, ei so! … du magst ihn nicht?« Frau Barbara wurde ungehaltener. Sie geckerte wütend ein eigentümliches Lachen, das Frene von ihr geerbt hatte.

Es war jenes Geckern, das Flink von Hasselbach so albern und dumm an Frene fand. Das Mädchen fühlte dies Urteil und suchte stets das Lachen zu unterdrücken; sie ärgerte sich im stillen über den gluckhennenden Laut. Und was der Hasselbach für unfrohmütiges Ernsthaftbleiben hielt, war doch ein heimliches Dulden Frenes … sie lachte nicht gern, seit sie bemerkt hatte, daß es unschön klang und ihrer ohnehin herben Schönheit Abtrag tat.

Da die Tochter diesmal keine Antwort gegeben hatte, erhob Frau Barbara die stets ein wenig keifsüchtige Stimme heller und eindringlicher.

»Der Echter Keseler ist ein stiller, guter Mensch und hangt dir in Treuen an seit Kindertagen«, behauptete sie. »Selbst den harten Stoß damals – als der Philipp von Hattstein in unserm Hause wohnte –, und als der von deinem Vater vorgeschlagene Bündnisvertrag mit den Hattsteinern zu guter Letzt doch in die Brüche ging – selbst den Knuff, den du durch die leidige Liebelei mit dem Hattsteiner Echters Herzen versetztest, überwand er und kam wieder, nachdem der höhnische Mensch aus dem Taunus endlich, endlich draußen war. Freilich hast du den Echter stets wieder gescheucht … möcht' wissen, was für ein feindselig Wesen du wider ihn aufführst? Tat er dir was? Kränkte er dich? Das glaub' ich von Echter nicht.«

Frene hatte den Mund zum Reden schon geöffnet. Zwischen den blonden Brauen war plötzlich eine tiefe Falte und verunschönte das stolze Mädchenantlitz. Frene unterdrückte eine Bemerkung, wendete den Kopf fort und ließ das Zanken weiter über sich ergehen.

»Wann aber wird Echter wiederkommen?« fuhr Frau Barbara fort und gab sich gleich selbst die Antwort. »Wenn sich's erst herausstellte, daß der Hasselbach so wenig wie der Hattsteiner Philipp an Freite dachte! – Das sind immer nur Truggebilde deines Vaters, der da meint: er brauche sich nur etwas zu wünschen, flugs stünde die Erfüllung schon wartend vor der Tür. Und du läßt dir die Brust vom Gleißen seiner Gespinste gleich erfüllen. – Klug und bedacht … so wählt eines Patriziers Tochter – wie ich's getan, als ich den Gilbrecht Weiße nahm. Hierin schlägst du aus der Art. Zeit ist es, daß du unter die Haube kommst, wenn du nicht dürftig werden willst wie der Main bei der Brückenmühle zur Sommerzeit. Nimm den Echter Keseler, und aller Unfried zwischen uns hat ein Ende. Es ziemt sich in Frankfurt nicht, daß eine Tochter so spät noch im Hause ist … ich nahm den Vater, kaum daß ich achtzehn Jahre alt war. Du zählst schon acht Jahre mehr und hast noch immer keinen Mann. Noch – immer – keinen – Mann …!«

Sie dehnte mit dem letzten Rest von Atem diesen Vorwurf zum Schlusse breit aus, dann versagte ihr die Stimme. Die trocken gewordenen Lippen eilig mit dem spitzen Zünglein feuchtend, setzte sie zu einem tiefen Luftholen an, mußte aber nachher wohl oder übel schweigen; denn bevor ihr das eifrige Mundwerk wieder ins Haspeln gelangte, war ihr die Tochter bereits zuvorgekommen.

»Wer ist schuld, daß ich mich um den Hasselbach mühe? Doch nur du, Mutter!« Frene begann die Anklage zu beweisen. »Seit ich vor fünf Jahren das Unglück mit dem Philipp von Hattstein erlebte, und mein Herz stumm geworden war, ist deine tägliche Rede: du wirst bald zu alt sein zum Freien! – Gut, ich will dir ja den Willen tun, wenn es dich kränkt, daß ich wider Frankfurter Brauch noch Fräulein bin. Den Erstbesten aber mag ich doch nicht nehmen … das wäre mir der Echter Keseler. Hierin freilich schlug ich aus deiner Art!« Frau Barbara schmatzte vor wortlosem Grimm mit dem zanksüchtigen Munde, aber Frene fuhr unbeirrt fort: »Wenigstens soll es dann einer sein, für den ich etwas fühle und mit dem ich nicht mein Leben durch mich selbst betrügen muß.«

»Ungeratenes Kind!« fand Frau Barbara endlich einzuwerfen die Gelegenheit.

Frene machte eine Bewegung mit der flachen Hand durch die Luft – ganz wie Gilbrecht Weißes Gewohnheit. »Der Hattsteiner?« sprach sie weiter. »Damals hatte es der Vater gewollt, meine Seele schrie in tausend Freuden ihr Ja. Aber das Ende – das Ende war so häßlich …!« Sie brach erschauernd ab; erbleichend in einer peinvollen Erinnerung, flüchtete sie in den Schatten des Zimmers. Erst nachdem sie sich in erregten, aufschluchzenden Atemzügen beruhigt, konnte sie vollenden. »Und nun der Hasselbach! … Vater sähe es auch diesmal gerne, und mein Herz ist wenigstens nicht stumm dabei. Der Echter Keseler aber? … da kann dein Wille noch so laut mahnen, mein Herz wehrt sich und meine Seele ruft ihr Nein. Blieb der Echter – wie du behauptest! – um meinetwillen unbeweibt, dann ist er ein Narr. So oft er ins Haus kam, zeigte ich's ihm – und so oft er wiederkommen mag, verhehl' ich es nicht: er ist mir zuwider. – Die Hoffnung schlage also in den Wind, Mutter.«

Das kräftige Kinn vorgereckt, sah sie auf die kleine Frau nieder … so glich sie plötzlich ganz und gar Gilbrecht Weiße.

Ein altes Weiblein mit einer riesigen weißen Haube unterbrach den Wortwechsel durch das Eintreten – Frau Barbaras Dienerin, die alt' Marein; sie meldete mit einem tiefen Knicks und wackelndem Kinn die verblüffende Neuigkeit, daß Herr Echter Keseler gekommen wäre.

»Wenn man den Esel nennt, kommt er um die Ecke!« Und diesmal unterdrückte Frene sogar das hennenhafte Glucklachen nicht. Spottlust glitt um ihre schmalen Lippen. Aber ihr Gesicht wurde plötzlich ernst und unwillig … ein Gedanke war ihr angeflogen. Sie sah in Echters Kommen während der Abwesenheit Herrn Gilbrechts und nach dem eben ausgetragenen Zwist eine Verabredung dieses Mannes mit der Mutter. Sie hätte ums Leben gern die Stube verlassen, aber die hatte nur einen einzigen Ausgang. Die Begegnung mit Echter ließ sich also nicht vermeiden. Zürnend ging Frene nach dem Erker und setzte sich, den Blick starr auf die Gasse richtend. Hinter ihrem Rücken erklang der höfliche Gruß des Mannes. Sie hörte die volle, tiefe Stimme – ein wenig unfrei hörte sie sich für den Augenblick wohl an, aber durchaus nicht wie eines verstohlenen Besuchers bedrücktes Reden. Und abermals kam Frene jene Hitze, wiederum pochte ihr das quellende Blut … sie stampfte mit dem Fuße – 's ist doch wohl Zorn, dachte sie. Und sie fühlte es trotzdem wie eine lang entbehrte Freude. Wie war ihr diese seit Monden nicht mehr vernommene Stimme einst vertraut gewesen … bis vor jenen fünf Jahren, da der Hattsteiner Philipp in Frankfurt weilte … und bis zu jener Stunde, da diese Stimme in die traurigste Erinnerung ihres Lebens hineinscholl …

Des reichen Klaus Keseler Sohn Echter war ein hochgewachsener, kräftiger Dreißiger. Straff und voll, glatt abgeschnitten über der Stirn, ein wenig gelockt über Schultern und Nacken – so hing ihm das Braunhaar um das gutmütige, einfache Gesicht. Die dunkeln Augen hatten einen klaren und freien Ausdruck. Das freundliche Lächeln seines etwas breiten Mundes kleidete ihn gut, denn seine Lippen waren rot und ihre Frische hob das gesunde Weiß der Zähne hervor. Das bürgerliche Gewand war fast unverziert, ohne allen Luxus, aber aus vornehmem Tuch. Die unaufdringliche Farbe verlieh zwar ein behäbiges, doch auch behagliches Aussehen … Echter strahlte förmlich Biedersinn und Aufrichtigkeit. Das Beinkleid und die gespornten Stiefel verrieten, daß er auf einen Ritt vorbereitet oder just zu Pferde heimgekehrt war.

So stand Echter Keseler da. Lange, lange Monde lagen zwischen diesem Kommen und seinem letzten Besuch. Er sprach zwar zu Frau Barbara, seine Augen aber weilten bei Frene. »Um Vergebnis, ehrsame Frau!« sagte er ruhig. »Ich platze da in die Stube, wie ein Fuchs in einen Gänsestall.«

Frau Barbara sah verblüfft drein. Von Frene kam wieder das Geckern, doch gluckste es in heller Schadenfreude.

Erschrocken über diesen Erfolg seiner Worte, überlegte Echter einen Augenblick, ob das Beispiel auch recht angewendet gewesen wäre. Er erging sich gern in bildsamen Vergleichen. Und da ihm sein Gleichnis gut geraten schien, sprach er beruhigt weiter.

»Mein Vater ging zur Ratsversammlung auf den Römer, gleich Euerm Gatten. Es ist so seine Art, niemals auszuplaudern, um was es sich handelt. Nun laufen aber Gerüchte in der Stadt um – wie soll ich sagen? … sie sind gleich einem Floh, den man gefangen wähnt, während einem der behutsam geöffnete Raum zwischen Daumen und Zeigefinger leer blieb … also, nicht recht faßbare Gerüchte. Es heißt, Herr Gilbrecht wäre just dazu gekommen, als der Hattsteiner einen neuen Landschaden verübte. Und nun träte der Rat auf Euers ehrenwerten Hausherrn Ansuchen zusammen, um über einen Zug wider den Hatzicho Beschlüsse zu fassen. – Stimmt das?«

»Es hat alles seine volle Richtigkeit, Herr Echter«, bestätigte Frau Barbara.

Und Frene ärgerte sich über den süßlich-gemachten Ton in der Mutter Antwort.

»Das wäre mir sehr gelegen, käm's endlich zur Fehde«, erklärte Echter und schnippste vergnügt mit den Fingern. »Nicht weil wir vom Hattsteiner Schaden erlitten – soviel hörte ich nämlich doch aus meines Vaters Gebrummel! –, sondern weil ich schon längst einen Groll auf das Ganerbennest hinterm Taunus habe.« Seine Augen forschten behutsam nach Frene hin, aber das Mädchen zeigte ihm unentwegt den Rücken. Ein leises Bedauern, fast eine Bitte um Verzeihung schimmerte aus des Mannes Biedergesicht. »Ich habe dem Hattsteiner, zumeist seinem Bruder Philipp, aus andern Gründen ein Vergelt zugedacht – gleichwie man einem Hunde einen gelegentlichen Fußtritt zugedenkt, weil er einer guten Freundin mal das Kätzchen beißen wollte.« Er lachte breit und hallend.

Frene machte eine hastige Bewegung, wie ein Zusammenzucken im Schmerz. Ihre Augen wollten sich mit Tränen füllen. Ihr Mund verzog sich wie in tiefer Scham. Aber sie bekämpfte alle diese Anwandlungen, wendete sich um und sah dem Manne mit heiß erzürntem Blick ins Gesicht. Er verstummte augenblicks und dachte in sich hinein, daß dieser Vergleich teils ungeschickt, teils verräterisch ungebührlich gewesen sein müsse, enthüllte er doch beinahe das einzige zwischen ihm und Frene bestehende Geheimnis. Da ihn das Mädchen aber nun endlich ansah, ging er in seiner ehrlichen Art nach dem Erker und bot ihr die Hand.

»Gottes Gruß, liebste Frene!« Auch das klang gar nicht bedrückt, sondern sehr warm, nur ein bißchen arg laut. »Ich hoffe, daß ich auch dir nicht ungelegen komme?« Er ließ nicht gleich die Fingerspitzen los, die so kühl und widerwillig in seiner Rechten lagen.

»Laß gehen – du tust mir weh!« Herrn Gilbrechts Augen in Frenes Gesicht schossen Blitze.

Aber Echter Keseler ließ dennoch nicht los. Er ergriff des Mädchens Handgelenk und besah die zwar schlanke und weiße, nur ein wenig große Hand. In seinem Blick war etwas unsäglich Liebevolles, teils Scheues und Andächtiges. »Eine Mädchenhand dünkt mich jedesmal, als hätte ich ein flügg verflogenes Vöglein gefangen«, zog er einen Vergleich.

»Demnach gibt es wohl viele, die du so über Gebühr lang bei der Hand hältst?« spottete Frene und machte abermals einen vergeblichen Versuch zur Befreiung.

Echter achtete nicht darauf, daß ihm auch dies letzte Beispiel mißglückt. Frenes verstochener Daumen und der vom Sticken nicht minder verunzierte Zeigefinger fielen ihm auf.

»Das kenne ich von meiner Schwester Malchen«, erklärte er. »Immer wenn sie vor Weihnachten Stickereien anfertigt, rauht sich ihr da die Haut.« Er tippte vorsichtig auf die sich wehrenden Fingerspitzen. »Bist du jetzt schon mit Christkindchen beschäftigt – noch kaum vor Sommers Anfang?«

Frene kam der glühende Wunsch, ihn zu ärgern. »Laß los – dann will ich dir zeigen, was ich sticke.«

Sofort ließ er ihre Hand fahren und machte ein neugieriges Gesicht.

Während die Tochter an die Truhe ging, die Schärpe zu holen, meinte Frau Barbara die beste Gelegenheit gekommen, das Paar allein zu lassen. »Ich muß dafür sorgen, daß Gilbrecht Weiße seine gebrannte Mehlsuppe fertig findet, wenn er heim kommt«, verkündete sie. »Ihr verweilet wohl noch, Herr Echter, und nehmt mit meinem Mädchen vorlieb?«

»O, das tu' ich nur allzu gerne!« gestand er mit behaglich herzlichem Lachen. »Ist mir doch nach so langer Zeit ein Zusammensein mit Frene ebenso lieb, als spielte ich mit unserer alten Katze.« Er gewahrte eine empörte Bewegung des Mädchens und erkannte augenblicks den auch diesmal verunglückten Vergleich, den er tief errötend zu entschuldigen suchte. »Das Tier war uns nämlich abhanden gekommen … ich freute mich so, als man es wiederbrachte … und seitdem gebe ich mich gern mit ihm ab. – Doch, laßt Euch durch mein Hiersein bei der gebrannten Mehlsuppe nicht stören, ehrsame Frau Barbara.«

Sie verließ höchlichst befriedigt die Stube. Frene aber verbarg die Glühhitze ihres Gesichtes im Schatten, indem sie, tief auf die Truhe gebückt, mit übergroßer Vorsicht das weißrote Bandelier auspackte.

Echter bestaunte das Wunderwerk und beguckte den fast fertigen Frankfurter Adler so eingehend, als wolle er alle die Tausende von Stichen zählen. »Mag den gut kleiden, für den's gestickt wird«, brachte er mit heimlichem Neide endlich kurz hervor. Im Halse zwängte ihn etwas; er mußte räuspern, so trocken war ihm die Kehle.

»Es ist für unserer Stadt Hauptmann Flink von Hasselbach«, gab ihm Frene zu wissen und lauerte auf den Eindruck ihrer Worte. In Echters gutem Gesicht änderte sich indes nicht das geringste. »Er soll die Schärpe tragen, wenn er Geschütze und Söldner gegen den Hattstein führt.«

Jetzt ging doch ein verstohlenes Zürnen um des Mannes Mund und Augen. »Konnt' mir wohl denken, daß es ein kriegerisches Bandelier wäre«, gab er mit leiser Stimme zu und wendete das Antlitz fort. Er konnte den Anblick der weißen und roten Seide nicht länger ertragen … besonders das Rot wirkte auf ihn, wie ein roter Rock auf einen Puterhahn.

Frene nahm ihren Sitz im Erker wieder ein und begann fleißig am Adler zu sticheln. Sie bezwang ihr Gesicht und brachte auch wirklich einen so strahlenden Ausdruck zuwege, als nähe sie ihr Herz mit jedem Faden fester an die Liebesgabe.

Echter sah ihr stumm zu. Er verfolgte den eifrig gezogenen Seidenzwirn mit so glühenden Blicken, als könne er ihn absengen, die ganze Stickerei vernichten.

»Ich möchte dir den Grund bekennen, aus dem ich in deiner Eltern Haus kam«, hob er an und wartete, daß sie ihn zum Weitersprechen auffordere. Sie blieb still. Nur das leise Sausen war vernehmlich, mit dem der Faden durch den Seidenstoff glitt, das Knistern des Gewebes und das feine Krachen, sobald die Sticknadel zustach. »Ich habe nämlich eine Bitte an dich, Frene!«

Sie vernahm das in heißer Angst: wenn er jetzt von seinen Gefühlen anfinge … nicht auszudenken! – Aber es kam etwas anderes.

»Nämlich, mein Vater wird dagegen sein, wenn ich die Fahrt über den Taunus mitmachen will«, holte er aus. »Und ich muß mit – ich muß dabei sein, wenn es den Hattsteinischen einen Denkzettel gilt!« Das klang schroff, hitzig, voll tiefen unauslöschlichen Hasses. Er maß das Mädchen mit einem langen Blick, der sich von Verehrung zum Zorn, vom Zorn zu grimmiger Wut steigerte in irgendeiner Vorstellung, irgendeinem vor ihm auftauchenden Erlebnis. Er faßte sich. »Da möchte ich dir denn sagen: erweise mir den Freundschaftsdienst und sprich mit deinem Vater. Ihm ist die Verwaltung über unserer Stadt gesamte Streitkräfte anvertraut. Er soll mich verlangen … soll von meinem Vater begehren, daß ich mitreite … soll darauf bestehen. Gilbrecht Weiße kennt mich als einen Mann, dem Waffengedinge nichts Fremdes ist. Ich hab's beim Armbrusten und Schwertfechten wohl bewiesen und kenne mich auch im Führen von Leuten aus. Wenn mir nur ein Häuflein von zehn oder zwölfen anvertraut wird – oder ein bescheiden Fähnlein Reiter –, so will ich mich als einen Kriegsmann dartun, der seinen Teil redlich erfüllt, gilt es den Hattsteinern zu schaden.« Er hatte sich warm geredet, nun trat er näher in den Erker. »Sieh, Frene – wider den Hattstein ziehen zu können, das ist ein so leidenschaftlicher Wunsch von mir, daß mir's schier das Herz abdrückt, wenn ich denke, er könnte mir versagt bleiben. Tu's doch, Frene – bei dem Gedanken an die uns seit Kindesbeinen verbindende Freundschaft, tu's mir zuliebe!« Wie ein bittender großer Bub stand er vor ihr und hatte warme, helle Lichter in den Augen.

Sie hielt mit dem Sticken inne und sah ihn groß an. Zuerst, weil sie so kriegerische Gelüste nicht bei ihm vermutet, und dann, weil ihr ein Freuen kam – ein Freuen, das sie in rätselhaftem Stolz über seinen männlichen Sinn fühlte. Sie maß Echter Keseler … und plötzlich stand neben dem Ernsten das Bild des zierlichen, ewig heitern, ewig sorglosen Flink von Hasselbach in der bunten Reitertracht. Ja, der hatte wohl auch von einem Zug wider den Hattsteiner gesprochen und Gilbrecht Weiße zugeredet – aber es war kein gründlicher Ernst daraus erklungen – er sagte es mehr, wie wenn sich ein leichtherziger Mensch auf die Abwechselung durch ein vergnügtes Abenteuer freue. Und dieser Echter da? … sie kannte wohl den tiefsten Grund, aus dem er seinen Haß gegen alles, was Hattstein war, schöpfte … und Flink zog nur die Folgen seiner Lust an Abenteuern in Betracht. – Frene wischte über ihre Stirn und nahm sich zusammen: was waren das für unheimliche Gedanken? … es gehörte wohl zu eines Kriegsmanns Art, mit Freuen von einer Fehde zu sprechen und mit leichtem Blute. Und dieser Echter Keseler da nahm's so schwer, als gälte es den Altkönig auf den Feldberg zu heben. Er stand da – gewiß: reckenhafter, größer, derber als der zierlich-feine Reitersmann … aber auch weniger vornehm. Im Groll gegen den Bittenden, den Mann mit den ernsten Augen, die viel tiefer in die ihren tauchten als je die Augen Flinks, schloß sie die Lider und nahm das weißrote Bandelier fest in die Finger, als wäre das der Zipfel, an dem die seligen Empfindungen für den Hasselbach zurückgeholt werden könnten. Der sie da wie ein treuer Hund – halb traurig, halb gehorsam – anblickte … war er nicht schuldig an dem blitzlangen Fortschwirren des Bildes von ihrem zukünftigen Glück? … nicht schuldig, als er mit seiner bäuerisch breiten Gestalt wie ein rascher Schatten für einen Augenblick den schönen, bunten Flink verdrängt? – Sie bannte allen Ausdruck hämischen Spottes und der Verachtung auf ihr schönes Gesicht …

»Bist du ein Büblein mit dem Hemdzipfel hinten, daß du mir derlei Bitten stellst?« Ihre Stimme war zwar nicht ganz so fest, wie es Frene wollte, aber sie erscholl hart und boshaft genug. »Fehlt dir der Mut, vor deinen Vater hinzutreten und zu künden: ich tue dies oder das!? – Dann halte ich's wahrlich für richtiger, wenn ich Gilbrecht Weiße sage: Sorge dafür, daß Echter Keseler nicht mit muß, es könnte seinem Hemdzipfelhöslein übel geraten, denn er ist – – ein Feigling!«

Wie ein Schlag von der schlanken, weißen Mädchenhand traf das Wort den Mann. Er zuckte zusammen, taumelte, schloß flüchtig die Lider und wurde um einen Schein bleicher. Als er die Augen wieder öffnete und Frene entsetzt ansah wie etwas Unbegreifliches, war das dunkle Tief seines Blicks noch dunkler geworden, trocken und wie erlöschend vor Pein. Seine breite Brust hob sich unter einem gewaltigen Atemzug, als schöpfe er Luft zu einem zerschmetternden, stählernen Ausruf. Doch dieweil er sich bezwang, kam nur ein zitterndes Seufzen. Das harte Wort auf seinen Lippen starb in der schweren Stille. Im Ernste der Wehmut seines verfärbten Gesichts glomm bitterliche Traurigkeit.

»Nie – solange der ›Grimmvogel‹ steht und mit seinem Gärtchen an meines Vaters Hauswesen grenzt – nie ward wohl einem Keseler ein unschöner Wort gesagt, Frene Weiße!« Er sprach es voller Vorwurf und in dennoch unerschütterter Güte langsam dahin. Dann senkte er den Blick, als schäme er sich dessen, das er jetzt sagen wollte. »Meines Wissens sind es fünfundzwanzig Jahre her, seit ich – der Fünfjährige – mich auf den grimmigen Wolfshund warf, mir lieber Hände und Gewand zerfetzen ließ, als daß ich geduldet hätte, das Tier kläffe dich weinendes, kaum ein Jahr altes Kindlein an, um dir das Musbrot abzujagen. Ich darf's sonder Stolz die Tapferkeit des Bübleins mit dem Hemdzipfel nennen. – Dann sind es zehn Jahre her, daß ich der wild geworden durch die Gasse stürmenden Kuh ins Gehörn griff und sie mit einem Ruck zu Boden zwang, weil just vor ihr her Frene Weiße ahnungslos mit einem Arm voll Osterblumen ging. Wäre nicht die eitellose Tapferkeit des Jungmanns Echter Keseler gewesen, so hätte der ›Grimmvogel‹ vielleicht einen traurigen Karfreitag in seinen Mauern erlebt. – Und fünf Jahre sind verflossen, seit ich mich wiederum an einen Hund machen mußte, der Frene Weiße – diesmal nicht um ein Musbrot nur – bedrohte … den Philipp von Hattstein mitsamt seinem Eisenkleid warfen meine zwei Fäuste über Gilbrecht Weißes Gartenzaun, daß der edle Ritter auf der andern Seite tief in des Stadtboten Henchen Hanauwe Misthaufen versank. – Heute noch lacht mich der Henchen vergnügt an, wenn ich ihm begegne, und hundertmal hat er mir schon erzählt, wie er den Philipp fragte: ob sich's da auf dem Mist nicht schön weich und warm säße? – Muß ich sagen, daß ich just zurechtgekommen, weil ein Mädchen sich der frechen Gier eines Trunkenen kaum noch erwehren konnte und fast vergeblich ihre Ehre verteidigt hätte? Was ich da tat, war freilich kein Heldenstück … dein Vater hätt's vielleicht noch besser vollbracht, aber es wäre der Vorgang dann wohl nicht dein Geheimnis geblieben. Und ich erwähn's auch nur deshalb, damit die, die mir damals weinend im Arm lag, an meinem Herzen ihr blutendes Leid enttäuschter Liebe ausschluchzend und an meinem Ohr um das Verschweigen des entehrenden Vorgangs flehend, damit die wisse: Echter Keseler will sagen, wie er dir anhing in Treuen seit Kindesbeinen! – Das Wort Feigling verdiente ich wahrlich nicht … auch was ich vorhin von dir erbat, zeugt wohl dafür, wie wenig mir so schimpfliche Bezeichnung zukommt. Mein Vater ist ein eigenwilliger Mann; nur einem folgt er, und der heißt Gilbrecht Weiße. Warb ich also um deinen Fürspruch, so geschah es, weil ich heute nicht mehr warten kann, bis dein Vater aus der Ratsversammlung heimkommt. Wie du siehst, bin ich zu weitem Ritt angetan; ich soll für ein paar Wochen nach Speier und muß vor Sonnenuntergang aufbrechen, um in Mainz zu nächten und den Tagesritt morgen mit Sonnenaufgang vom Rhein aus beginnen zu können. Die Aufbruchszeit ist nahe. Da wollt' ich mein Sach' in treue Hände legen.« Die Stimme verging ihm. »In Frene Weißes Hände.« Einen Augenblick kämpfte er mit dem beklemmenden Gefühl in seinem Hals, dann zwang er sich zu hartem, unerbittlichem Tone. »Ich meine, was du geantwortet, muß uns trennen für lange, lange Zeit. Mir zum Leide, dir vielleicht zum Frohen. – So bitte ich dich denn nur noch um Vergebnis, wenn ich störend ins Haus kam.«

Es war das längste wohl, das Echter Keseler je in seinem Leben gesprochen. Ihm selbst fiel das auf, und ferner: daß ihm keinerlei Vergleiche dazwischengeraten waren. Nun verneigte er sich und wollte aus der Stube gehen. Als er der Tür zuschritt, vernahm er einen leisen Ruf.

»Echter … bleib' …«

Doch war's wohl nur Täuschung, denn Frene saß noch immer abgewendet da und starrte durch die Scheiben. Was er für ein Rufen gehalten, war wohl nur der Fall des Stickrahmens gewesen. Der war von des Mädchens Schoß geglitten und hing nun an der noch in ihren Händen befindlichen Schärpe. Und die rote Hälfte des Frankfurter Adlers sah auf dem weißseidenen Grunde aus wie ein mitten entzwei gebrochenes Herz. Der Mann zögerte … es kam kein Wort von Frenes Lippen … so war's also nur Täuschung gewesen. Er wendete sich davon … die Sporen klirrten … die Dielen knarrten leis unter seinen schweren Sohlen … die Tür schloß sich hinter ihm. Echter Keseler war ohne Abschied fortgegangen.

Seltsam, daß Frene aufsprang, an die andere Erkerseite ging und wartete, bis der Mann aus dem Hause trat. Und immer wieder mußte sie über die Augen wischen … etwas verschleierte ihr den Blick. Undeutlich nur sah sie die aufgereckte Gestalt stolz die Gasse entlang schreiten. Nicht ein einziges Mal sah er sich um – so begierig das Mädchen auch darauf wartete, ihn mit ihren Gedanken fast dazu zwingen wollte. Da endlich klärte sich ihr das Sehen … Echter trat auf die andere Seite des Wegs, blieb stehen und verneigte sich – zwei Männer kamen daher. Dem einen blinkte der Harnisch in der späten Nachmittagssonne. Mit eifrigen Gesten redete der Gewappnete auf seinen Begleiter ein und achtete des Grußes Echters nicht. Dem andern hing das Ratsherrngewand schwer von den Schultern; er hatte in vertieftem Zuhören das Kinn auf das weiße Halskollar gesenkt und die Hände auf dem Rücken ineinander gelegt. Die glitzernde Perlenquaste baumelte und sprang auf seiner Brust hin und her, als ermahne sie ihn an die Gegenwart … doch auch er übersah die ihm gebotene Höflichkeit und schritt stumm vorüber; nur ein gleichgültiger Blick streifte den Grüßenden.

Erschrocken starrte Echter dem Ratsherrn Gilbrecht Weiße und dem Hauptmann Hasselbach nach. Mied man ihn so offen? … War's Schimpf oder was? Aber nein, Herr Gilbrecht hatte ihm geradeswegs in die Augen geblickt ohne zu danken … ein verwirrter Blick nach dem Erker des »Grimmvogel« – dann neigte Echter betrübt das Haupt und ging mit schweren, harten Schritten enttäuscht um die Ecke.

Frene aber raffte das weißrote Bandelier schnell auf und knäulte es hastig und achtlos in die Truhe. Als Frau Barbara dazukam, erstaunt guckte, stotterte Frene: sie hätte das Ding verdorben und nun sei ihr die Freude, daran zu arbeiten, verleidet. Frau Barbara war's ganz zufrieden.

In bester Laune, wenn auch sehr nachdenklich, kam Gilbrecht Weiße heim. Diesmal hatte sich der Rat zum Entschluß bringen lassen, daß dem Stegreifreiten des Hattsteiners Vergeltung und kraftvoller Widerspruch entgegengesetzt werden müsse. Der »ältere« Bürgermeister hatte den mit Blut besudelten, wunden Schäfer Geckir durch Flink von Hasselbach vor die Versammlung führen lassen. Der Anblick wirkte so, wie Herr Gilbrecht gehofft.

Schließlich hatte man den Hauptmann Hasselbach hereingerufen und ihn aufgefordert, alsbald dem Rate Vorschläge zu unterbreiten, wie er sich den Fehdezug wider den Hattstein ausdenken würde. Und nachdem Flink gelobte, mit dem über Frankfurts Waffengewalt gesetzten Gilbrecht Weiße alles ordentlich beraten und bereden zu wollen, war die Ratsversammlung einig gewesen.

Der Ratsherr Meffried Notschilling machte noch den Vorschlag, daß man den verletzten Schäfer Geckir dem wundheilkundigen Geschützmeister Hanns Grysen Horne anvertrauen möge.

Und so fand der rote Geckir – der seit Kindertagen im Schäferkarren Heimende – auch einmal ein bürgerlich Unterkommen. –

Wenn nun aber Herr Gilbrecht trotz seines Erfolgs nachdenklich heimkam, war Flink von Hasselbach daran schuld. Der Hauptmann hatte ihm unterwegs erklärt, daß ein Fehdezug nicht von heute auf morgen angesetzt werden könne. So, wie der Ratsherr sich das dächte – aufbrechen in den Taunus und losschlagen –, davon könne keine Rede sein. Nun saß Gilbrecht Weiße noch im Amtsgewande vor seiner gebrannten Mehlsuppe und fand nur hin und wieder einmal mit dem Löffel zum Munde, denn der Hasselbach zählte immer noch weiter auf.

»O nein, Herr Gilbrecht!« begann er seine Ausführungen fortzusetzen. »Ich möchte sogar eifrig raten, daß man den Hattsteinern ruhig abermals einen Boten sende mit der Aufforderung, das in Bonames brandgeschädigte Haus zu vergüten, die Pferde von Euerm Weinkarren, die weiland fortgetriebenen Rinder und Klaus Keselers Hammelherde zurückzugeben, wie Euch den geraubten Wein zu bezahlen. Mag Hatzicho gern darüber lachen und es für Schwäche halten – es wird ihn in Sicherheit wiegen. Um so leichter und um so härter trifft ihn dann der von uns geführte Schlag. Daß zu diesem Schlage aber mit voller Wucht ausgeholt werden kann, laßt meine Sorge sein. Ich habe mein Plänchen fertig im Kopf, muß mir's nur noch in Ruhe allein überdenken. Leicht kann's dann kommen, daß ich mir von Frankfurt einige Zeit Urlaub erbitte. Der alte Bothmer könnte an meiner Stelle das Üben in den Waffen überwachen – wobei Ihr ihm ja reichlich in dem von mir Erlernten, von mir Gewollten zur Hand gehen könntet – während ich selbst – –«

Er brach geheimnistuerisch ab und warf einen hellen Blick auf die gespannt und still zuhörende Frene. Es sah aus, als möchte er sagen: Ihr werdet euer blaues Wunder erleben!

Fast ärgerlich fuhr sich Herr Gilbrecht nun mit dem Mundtuch über Lippen und Kinn, legte den Löffel in die steif gewordene Mehlsuppe und schob den Teller weit zurück.

»Ich gestehe ehrlich, daß mir durch Eure Worte vielerlei versinkt«, erklärte er. »Mag sein, daß Ihr in des Erzbischofs von Mainz Diensten das Waffenhandwerk besser erlerntet als ich, der ich nur aus Liebhaberei und aus Freude am kriegerischen Treiben die Aufsicht über Frankfurts Waffengewalt erbeten. Ein neues Zaudern – und wär's auch nur aus Euern nicht wegzuleugnenden Vernunftgründen – wird mir den bequemen Rat wiederum einschläfern. Doch, Ihr seid der Stadt Hauptmann und sollet die Verantwortung tragen … so begreif' ich's. Ginge es aber nach mir, ich zöge noch in dieser Nacht mit Mannen, Rossen und Geschützen über die Höhe, ohne den Fehdebrief vorauf zu senden. Und bei Sonnenaufgang spuckte die ›brummende Kathrine‹ ihren ersten unverdaulichen Bissen den Hattsteinern über die Mauern.«

»Und ich halte des Herrn von Hasselbach Vorschlag für den einzig richtigen, Vater, und bitte dich, auf ihn zu hören!« warf Frene hastig und laut ein, verstummte aber errötend sofort, weil Herr Gilbrecht mit schief gehaltenem Kopf sein Kind so lustig anstaunte.

»Ei siehe da! … Mädchenfürsprach? Denkst du, der Sinn könne sich mir ändern, wenn Zeit gewonnen wird? Hast du Angst um des weiland verliebten Philipp von Hattstein kostbares Leben?«

Frene brauste auf; solchen Spott hatte sie vom Vater zuletzt erwartet. Tränen wollten ihr in die Augen treten, ob der Erwähnung ihrer Lebensenttäuschung – noch dazu in der Gegenwart Hasselbachs.

Doch der Ratsherr beruhigte sie rasch und meinte, er hätte nur daran erinnern wollen, daß jeder Aufschub den Hattsteinern eine gewährte Gnade bedeute.

Das Mädchen war's zufrieden.

»Als mir das vorlaute Wort kam, dachte ich freilich an einen Mann«, hob sie an, senkte aber plötzlich die Stirn und schloß den Mund fest, als hätte sie schon zuviel gesagt …

Herr Gilbrecht wartete vergeblich auf das Ende des angefangenen Satzes. Er bemerkte jedoch den erschrockenen Blick, mit dem Frene sich unterbrochen. Und dieser Blick war an Hasselbach haften geblieben, während ihr alles Blut aus den Wangen wich.

Frene war es nun fast unerklärlich, daß sie diesen Einwurf hinrufen konnte, als ihr eingefallen war: ging die Sache wider den Hattstein eilig los, so war Echter Keseler noch nicht von Speier zurück und kam um die Teilnahme an der Fehde. Nun ärgerte sie sich über sich selbst – was ging der Mann sie noch an, der sie so hart des Dankes für erwiesene Hilfe und Freundschaft gemahnt … Echter, der sie an die entsetzlichste Stunde ihres Lebens erinnert: an jene Stunde, in der ihr liebeerfülltes Herz zertreten worden war von eines zu hoch beurteilten Menschen gemeinem Sinne … Echter, der den Augenblick wieder vor ihr wachgerufen, in dem sie sich unter des Hattsteiner Philipps Fäusten dem Tode nah gewähnt. Und in der furchtbaren Erinnerung an die ihr zugefügte Schmach jener Stunde brannte ihr das Blut aufglühend vom Herzen zur Stirn.

Doch Herr Gilbrecht deutete dies abwechselnde Erbleichen und Erröten nach seinem Sinne und nach den Wünschen, die er hegte. So blinzelte er listig dem Hauptmann zu und machte heimlich mit den Augen einen schelmischen Seitenwink nach seiner Tochter. Dann erbat er noch allerlei Ratschläge, wie er des alten Bothmer Aufsicht über die Waffenübungen seinerseits wiederbeaufsichtigen könne. Mit vielen Worten setzte ihm Flink das auseinander.

Und trotzdem Frene mit trotzigem Grübeln ihren Groll gegen Echter Keseler immer wieder aufs neue heraufbeschwor, war sie unruhig. Sie wartete – zum ersten Male! – mit Ungeduld auf des Hauptmanns Abschied, um mit dem Vater allein über Echters Wunsch reden zu können.

Endlich hatten die beiden Männer alles besprochen. Der Hasselbach brach auf, Herr Gilbrecht wollte ihn geleiten. Frene hing sich eilig an ihres Vaters Arm.

»Dürfte ich ohne Verzug ein Wörtlein im geheimen sagen, liebster Herr Vater?« Fast flehentlich bat sie, in der Sorge, die Gelegenheit könne ihr geraubt werden.

Herr Gilbrecht warf einen zufriedenen Blick auf sein Kind. Bedeutungsvoll lächelte er den Hauptmann an: hatte ich recht heute früh? … als ich vom Ängsten eines Mägdleins sprach? …

»Ihr seht, es ist von höchster Wichtigkeit, was mir mein Mädchen anzuvertrauen hat«, bemerkte er mit gemachtem Ernste gutmütig scherzend. »Vergeßt drum nicht, was ich Euch vorm Bockenheimer Tor gesagt. – Ihr werdet Euch mit einem fein ausgeklügelten Kriegsplan vor dem Hattstein verdiente Ehren holen, und das weitere …? Nun, es soll auch gestickte Schärpen geben, die Glück verheißen – nicht nur zerbrochene Scherben, von denen man so sagt.«

Und da der Farbenwechsel auf Frenes Gesicht abermals begann, lachte er glücklich laut und zufrieden.

Mit zierlich gesetzten Reden verabschiedete sich Flink von des Ratsherrn Tochter, mit einem biedern Händedruck von ihm selbst. Dann verließ er das Gemach. Draußen atmete er befreit auf. Gottlob! … jetzt endlich konnte er nach Hanns Grysen Hornes Haus eilen und Merla sagen, was ihn von dem versprochenen Nachmittagsbesuche alles ferngehalten. Der Ratsherr hatte ihn bestimmt, den Heimweg mitzugehen und auf ein Stündlein im »Grimmvogel« zu verweilen. Teils, weil er gesprächige Gesellschaft zur gebrannten Mehlsuppe liebte – teils, weil er von ihm Bericht und einige Verabredungen über den Hattsteiner Fehdezug hören wollte … dem Gönner konnte man keine Ausreden sagen und mußte wohl oder übel den Besuch beim Geschützmeister hinausschieben. Nun lag schon die Abendsonne über den Dächern und funkelte in den Scheiben – rot und glühend, als wären in jedem Fenster ein paar heiße Herzen. Und wo die sinkende Sonne nicht voll hintraf, glänzten die Gläser wie der versteckte Glanz in Merlas Braunaugen. Flink gab seinen Schritten Eile. –

Auch Gilbrecht Weiße machte sich über das Abendröten seine Gedanken. Wenn das Blut Frenes nicht bald hoch stieg, bald wieder sank – gleich jenem Teufelsmännlein im Glase, das er auf der letzten Frankfurter Messe angestaunt –, dann war sicherlich der glutende Abend schuld am jetzt so roten, vorhin noch so bleichen Antlitz der Tochter. Es mochte aber wohl die ruhesuchende Sonne sein, denn die fing sich in den Erkerscheiben, stob ihren Glust in die dämmerige Stube und zauberte brennende Rundflecke auf Boden und Wände. Und in dem heimeligen Lichte faßte ihn baß das Verwundern: nicht vom Hasselbach, wie er erwartet, sprach Frene mit so eifrigen, so beredten, so dringlichen Worten! … Sie sprach von einem, den man seit ein paar Jahren nie nennen durfte, wollte man sie nicht reizen. Sie bot alle besten Worte auf für einen, mit dem Herr Gilbrecht sie so lange Zeit nicht eine einzige Silbe wechseln gesehen. Sie nannte zwanzigmal einen Namen, der sonst eine fauchende Katze aus ihr gemacht hatte. Sie redete für Echter Keseler! – Und wie bedrängte sie dabei den Vater! … Sie half ihm aus der schweren Ratsherrentracht und trieb ihn förmlich auf den Weg zur Trinkstube, allwo er abendlich mit Klaus Keseler zusammentraf. Immer wieder legte sie ihm ans Herz, daß er ja gründlich für Echters Teilnahme an der Fehde sorgen möchte, bis er ihr schließlich den Willen tat und ging.

Unterwegs grübelte der Ratsherr diesem Rätsel nach. War Frenes Haß gegen den guten, braven Menschen so groß, daß sie ihn gerne in Gefahr geschickt haben wollte, wie sie in Sorge und Angst den Hauptmann ungern nach dem Taunus ziehen sah? … Und darob gab's doch keine Frage: sie hatte ihr Ängsten um Flink ja heute wieder verraten, indem sie ihm beistand und dem Aufschub des Zuges das Wort redete. Und der arme Echter sollte da mit um eines Mädchens Laune willen? Fast erschrak Herr Gilbrecht, als er bedachte, wie er solchem Handel die Hand geboten. – Warum war ihm das nicht noch im Hause eingefallen, ehe er sich von dem eigensinnigen Kinde das Wort abnehmen ließ, alles haargenau nach ihren Bitten zu fördern? Nun mußte er mit Klaus Keseler darüber reden. Hm, das war doch eine Welt zum Verwundern! – In tiefen Gedanken stapfte Herr Gilbrecht über die Gasse. Noch mehr Gedanken, noch mehr Verwunderung aber hätte er aufwenden müssen, wäre er gewahr geworden, was derweil daheim dies Sorgenkind Frene trieb.

Da lag das wunderliche Geschöpf bei verschlossener Tür vor der Truhe auf den Knien und weinte auf das weißrote Bandelier mit dem rotweißen Frankfurter Adler. Und sie wußte nicht, weinte sie über sich selbst oder über den fernen Echter oder über den nahen Hasselbach. Sie konnte es nicht begreifen: war eine mit dem Vergehen ringende Liebe in ihr oder war es eine mit dem Aufleben beginnende, die so rätselhafte, erschütternde, einengende und wieder befreiende Gefühle durch sie hin wirbelte? Und nachdem Frau Barbara mehrmals vergeblich an die Türe gepocht hatte, rückte Frene das Kerzenlicht zurecht und betrachtete den Namenszug Flinks am fertigen Ende der Schärpe. Sie dachte daran, daß sie Stich für Stich ihre Liebe und ihr Herz festzunähen gemeint, als sie die Zeichen stickte. Wie ein großer, schwerer Entschluß rang es in ihr – ein Entschluß, der alles umkehren, alles ändern würde –, als sie nun sorgsam mit zitternden Fingern und pochendem Herzen die Nadel unter eines der Seidenfädchen schob und versuchte, ob sich alle die fleißigen Stiche entknüpfen ließen. Der Faden gab nach, das krause Gewirr war aufzulösen …

Da mußte Frene dran denken, daß Echter Keselers Zorn fester haften würde als ihre Stickerei. –

Um diese Stunde ritt der grollende Mann auf der Landstraße nach Mainz dahin, ohne den Zaum zu halten und ohne auf den Gaul zu achten. Fern lag der nächtig blauende Taunus. Das schwere Rot der sinkenden Sonne war noch nicht über der Höhe verglommen. Ein feuriger Schimmer gloste just noch über den Bergrand. Fast sah das wie ein Brand hinter den Wäldern aus. Da tauchte vor Echters innerem Schauen eine flammenlodernde, verbrannte und berannte Burg auf – und er war nicht dabei gewesen, als Frankfurt gen den Hattstein zog – aber der Flink von Hasselbach hatte die Mannen geführt und trug nun im Triumph das weißrote Bandelier auf dem Heimweg nach dem Main …

Der Knecht war die längste Zeit hinter dem jungen Herrn hergeritten – ein alter, treuer Mensch, hieß Gebhard und war mit dem alten Klaus Keseler vertrauter als sonst ein Dienender. Nun sah er das Kind dieses seines Herrn mit schwer gesenktem Haupte im Schritt dahintrotten. Er wagte sich an die Seite des Träumenden.

»Verübelt's nicht, wenn ich um Eile mahne, Herr Echter – aber wir wollen doch noch vor Nachteinbruch in Mainz sein?« redete er den jungen Mann an.

Gedankenlos gab Echter daraufhin seinem Gaul die Sporen; der flitzte, aus seiner beschaulichen Ruhe übel aufgeschreckt, augenblicklich los und nahm den Weg in einem beunruhigten Galopp unter die Hufe.

»So ist's recht!« meinte der alte Gebhard zufrieden. Er sagte, an seines jungen Gebieters Seite bleibend, mit wichtiger Miene: »Ein forscher Galopp ziemt sich, wenn man dem Glück entgegenreitet.«

»Wie meinst du das?« frug Echter verwundert.

»Nun – tragt Ihr denn nicht Briefe nach Speier, Herr?«

»Was hätten diese Botschaften mit dem Glück zu tun?«

»Ei fürwahr – so sollt' ich wohl lieber das Maul halten«, stammelte der Knecht erschrocken, und das Galoppieren machte plötzlich nicht nur den Mann, auch seine Worte hopsen.

Der junge Keseler aber kannte seinen Begleiter. »Auf den Augenblick sprich, wenn du weißt, was in den Briefen steht … oder ich kehre um und frage in Frankfurt meinen Vater!« drohte er.

»Barmherzige Gerechtigkeit!« seufzte der Alte. »So muß ich denn bekennen.«

Und nun berichtete er, in den Briefen stünde weiter nichts Wichtiges. Der Mann, dem die Botschaft zu bringen wäre, Herr Wendlin Hecker in Speier, hätte eine reiche und schöne Tochter. Diese Tochter kennenzulernen, müßte Echter selbst reiten, wovon sich der gestrenge Herr Klaus mancherlei verspräche.

Echter starrte in Gedanken versinkend auf des Gauls flatternde Mähne, horchte auf das Knarren des Sattels und wendete keinen Blick mehr nach dem Taunus hinüber. Vor ihm lag die gerade, weiß bestaubte Landstraße. Rechts neben ihr liefen die Kornfelder dahin, über denen sich der Sonne Röten wie ein abendlicher Himmelssegen breitete. Alle Natur sah aus wie ein endloses Bandelier – wie das Bandelier Frene Weißes: am Ende dahinten lag der Frankfurter Adler – hatte der nicht mit seiner roten Hälfte an ein zerbrochenes Herz erinnert? … Und auf der letzten Hälfte der Schärpe brannte in rotem Zeichengewirr ein Namenszug – dazwischen aber wanderten Frenes Gedanken beim Sticken hin und her … bald zu dem Manne, dessen Namen sie mit flinker Hand einnähte, bald – – ach nein, an das zerbrochene Herz Echters dachte sie wohl nicht.

Und da der Himmel verblaßte, verblaßte auch das weißrote Bandelier von Landstraße und Korn daneben … immer mehr und immer mehr – bis alles grau und öde aussah … wie eine große, große Traurigkeit.


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